51995IP0963

Entschließung zur Lage in Tibet und dem Verschwinden des sechs Jahre alten Panchen Lama

Amtsblatt Nr. C 249 vom 25/09/1995 S. 0162


B4-0963, 0979, 0983, 1003, 1007 und 1011/95

Entschließung zur Lage in Tibet und dem Verschwinden des sechs Jahre alten Panchen Lama

Das Europäische Parlament,

- unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Besetzung von Tibet und zur Unterdrückung des Volks von Tibet durch die chinesischen Behörden,

A. tief besorgt über die Berichte, wonach ein sechs Jahre alter tibetischer Junge, Gedhun Chökyi Nyima, sowie seine Eltern von den chinesischen Behörden nur wenig später entführt wurden, nachdem der Dalai Lama ihn als jüngste Reinkarnation des zweitwichtigsten geistigen Führers Tibets, des Panchen Lama, der 1989 starb, bezeichnet hatte,

B. in der Erwägung, daß es Tibet in seiner ganzen Geschichte gelungen ist, eine eigenständige nationale, kulturelle und religiöse Identität zu bewahren, die sich von der Chinas unterschied, bis diese Identität im Anschluß an die chinesische Invasion sich aufzulösen begann,

C. unter erneutem Hinweis auf die Unrechtmässigkeit der Invasion und Besetzung Tibets durch die Volksrepublik China und in der Erwägung, daß Tibet vor der chinesischen Invasion von 1950 de facto von zahlreichen Staaten anerkannt war und Tibet gemäß den im Völkerrecht und in den Resolutionen der Vereinten Nationen festgelegten Grundsätzen ein besetztes Gebiet ist,

D. unter Verurteilung des Versuchs seitens der chinesischen Behörden, die tibetische Identität zu zerstören, insbesondere mittels massiver Bevölkerungsansiedlungen von Chinesen, der Zwangssterilisierungen der Frauen und Zwangsabtreibungen, der politischen, religiösen und kulturellen Verfolgung und der Bestrebungen, die tibetische Verwaltung durch eine chinesische zu ersetzen,

1. fordert die chinesischen Behörden auf, dafür zu sorgen, daß Gedhun Chökyi Nyima und seine Familie sofort freigelassen werden und in ihr Heimatdorf zurückkehren können;

2. fordert die chinesische Regierung auf, ihre Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu beenden, die Achtung der Grundrechte der Bevölkerung und der Einzelpersonen in Tibet zu garantieren und die staatlich geförderte Ansiedlung von chinesischen Bevölkerungsgruppen in Tibet einzustellen;

3. fordert die Kommission und den Rat auf, gegenüber den chinesischen Behörden deutlich zu machen, welche Belastung die fortwährende Unterdrückung des tibetischen Volkes für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China darstellt;

4. fordert zum einen die Organe der Europäischen Union auf, jede Initiative zur Regelung des sino-tibetischen Problems über den politischen Dialog zu fördern und fordert zum anderen die chinesische Regierung und die tibetische Exilregierung auf, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen, und bringt in diesem Zusammenhang seine Unterstützung für die Bemühungen des Dalai Lama zum Ausdruck, die kulturelle und religiöse Freiheit des tibetischen Volkes und auch seine politische Autonomie auf friedlichem Wege wiederherzustellen;

5. bringt gegenüber dem tibetischen Volk seine Unterstützung zum Ausdruck und wünscht die Einrichtung regelmässiger Kontakte zwischen dem tibetischen Exilparlament und dem Europäischen Parlament;

6. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Regierung der Volksrepublik China, Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, dem tibetischen Exilparlament und dem UN-Generalsekretär zu übermitteln.