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INITIATIVSTELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zum Thema ' Die Junglandwirte und der Generationswechsel in der bäuerlichen Gesellschaft"

Amtsblatt Nr. C 195 vom 18/07/1994 S. 0064


Stellungnahme zum Thema "Die Junglandwirte und der Generationswechsel in der bäuerlichen Gesellschaft" (94/C 195/20)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 27. Januar 1994 gemäß Artikel 20 Absatz 4 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: "Die Junglandwirte und der Generationswechsel in der bäuerlichen Gesellschaft".

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft und Fischerei nahm ihre Stellungnahme am 7. April 1994 an. Berichterstatter war Herr Morize.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 315. Plenartagung (Sitzung vom 27. April 1994) mit grosser Mehrheit bei 18 Gegenstimmen und 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Der Rat "Landwirtschaft" der Europäischen Union hat auf Initiative des griechischen Vorsitzes beschlossen, eine umfangreiche Untersuchung über den Generationswechsel in der bäuerlichen Gesellschaft einzuleiten.

1.2. Die Überalterung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, der Abwärtstendenz bei den landwirtschaftlichen Einkommen, der immer schwierigere Zugang zur Produktion infolge der Produktionsbeschränkungen haben die bäuerliche Gesellschaft geschwächt und erschweren die Niederlassung junger Menschen in der Landwirtschaft.

1.3. Hinzu kommen nicht zu unterschätzende soziale Faktoren: das negative Berufsbild des Landwirts in der Gesellschaft und die Entvölkerung bestimmter ländlicher Gebiete lassen die Lebensbedingungen in einer bäuerlichen Gesellschaft wenig attraktiv erscheinen.

1.4. Die Europäische Union muß eine globale und dynamische Politik in die Wege leiten, die den jungen Landwirten wieder Vertrauen gibt und ihnen echte Zukunftsperspektiven bietet.

1.5. Der Ausschuß ist sich bewusst, daß bei jeder Analyse der Zusammenhänge in der gemeinschaftlichen Landwirtschaft den tiefgreifenden strukturellen Unterschieden Rechnung getragen werden muß, die zwischen den verschiedenen Regionen der Europäischen Union bestehen.

1.6. Er ist der Ansicht, daß jede Gemeinschaftspolitik, soweit irgend möglich, versuchen muß, diese Unterschiede zu verringern.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. Der Ausschuß begrüsst, daß der Rat sich nun endlich dem Problem des Generationswechsels zuwendet. Die Schwierigkeiten, mit denen die Bauern zu kämpfen haben, zwingen zum Nachdenken darüber, mit welchen Mitteln der europäischen Landwirtschaft neue Perspektiven eröffnet werden können.

2.1.1. Der Ausschuß hält es für notwendig, daß in diese Überlegungen alle landwirtschaftlichen Arbeitnehmer mit einbezogen werden. Die Verbesserung der sozialen Lage aller in der Landwirtschaft tätigen Personen ist im Römischen Vertrag ausdrücklich als eines der Ziele der GAP definiert.

2.1.2. In seiner Initiativstellungnahme zu den "Auswirkungen der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die soziale Lage der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer in der EG" beklagte der Ausschuß bereits das Fehlen eines Rechtsrahmens für diesen Bereich. Er erinnerte insbesondere daran, daß das Hauptziel einer Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik die Schaffung langfristig tragfähiger Produktionsstrukturen und Betriebseinheiten sein müsse, um so die Voraussetzung für sichere und humane Arbeitsplätze auch für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft und der ersten Verarbeitungsstufe zu bieten.

2.1.2.1. Der Ausschuß empfahl den Aufbau einer integrierten Sozialberichterstattung, um den Informationsstand über die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu verbessern und um möglichst zu einer Angleichung dieser Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten zu gelangen; ferner schlug er begleitende Sozialprogramme und die Förderung ständiger Arbeitsplätze vor.

2.1.2.2. Diese Vorschläge haben nichts an Aktualität eingebüsst und sollten bei den Überlegungen der Landwirtschaftsminister Beachtung finden.

2.2. Der Ausschuß unterstreicht im übrigen die wichtige Rolle der Landwirtschaft und der mit ihr verbundenen Tätigkeiten bei der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum vor dem Hintergrund der Verstädterung, der wachsenden Arbeitslosigkeit und der Änderung der Lebensweisen und der Freizeitgestaltung.

2.3. Wichtig ist zunächst einmal, daß die Landwirtschaft wettbewerbsfähig wird und Zugang zu den Märkten erhält. Die GAP-Reform hat eine tiefgreifende Umwälzung der Produktionsbedingungen und der Gleichgewichte zwischen den einzelnen Sektoren ausgelöst, einengende Verwaltungsvorschriften eingeführt und die Betriebe geschwächt. Diese Aspekte müssen bei allen politischen Maßnahmen berücksichtigt werden, damit der gesamte Wirtschaftssektor wieder mehr Vertrauen schöpft.

2.4. Jetzt schon ist die Nachfolge für die Generation, die die Landwirtschaft bis Ende des Jahrhunderts verlässt, nicht gesichert.

2.4.1. Die letzte EUROSTAT-Erhebung über die landwirtschaftlichen Betriebsstrukturen in der Gemeinschaft (1987) liefert bereits eine Reihe von Elementen:

- In der EU gibt es rund 8,6 Mio. Betriebe von unterschiedlicher Grösse (zwischen 4 und 65 ha); die gesamte landwirtschaftliche Fläche beträgt 115 Mio. ha. Die von diesen Betrieben erwirtschafteten Durchschnittserträge sind sehr unterschiedlich.

- Rund 55 % der Betriebsleiter sind über 55 Jahre alt (30,6 % zwischen 55 und 65 Jahre, 23,7 % über 65 Jahre). Viele von ihnen wissen nicht, ob sie einen Nachfolger haben werden. Verschärft wird diese Situation noch durch den starken Geburtenrückgang in bäuerlichen Familien.

- Einer von drei Landwirten betreibt die Landwirtschaft im Nebenerwerb.

2.4.1.1. Die Überalterung der landwirtschaftlichen Bevölkerung und die grosse Vielfalt an unterschiedlichen Strukturen wird in den nächsten Jahren zahlreiche Veränderungen im derzeitigen Gleichgewicht hervorrufen.

2.4.1.2. Die Übergabequote (d.h. das Verhältnis zwischen Betrieben und Betriebsaufgaben) schwankt in den einzelnen Regionen der Union sehr stark. Die Fachgruppe Landwirtschaft und Fischerei des Ausschusses hat Junglandwirte aus sämtlichen Mitgliedstaaten der Union angehört und dabei festgestellt, daß die allgemeinen Bedingungen für die Niederlassung in der Landwirtschaft in allen Mitgliedstaaten schlecht sind. Die je nach Mitgliedstaat verschiedenen Schwierigkeiten sind auf folgende Faktoren zurückzuführen: geringe Betriebsgrösse, Erbschaftssteuern und -abgaben, schlechte Finanzierungsmöglichkeiten, hohe Zinssätze, erschwerter Erwerb des Anspruchs auf Prämien und Quoten.

2.4.1.3. Diese Zahlen lassen keinerlei Spielraum für eine Politik des "Laisser-faire", die die Landflucht und die Verödung bestimmter weniger begünstigter Gebiete nur noch beschleunigen würde. Sie erfordern die Durchführung geeigneter Maßnahmen sowie Bedingungen, die die jungen Landwirte zur Betriebsgründung oder Übernahme veranlassen.

2.4.2. Selbstverständlich ist und bleibt die Politik zur Unterstützung junger Landwirte bei der Übernahme von Betrieben der Hauptangelpunkt jeder Maßnahme zur Förderung des Generationswechsels in der Landwirtschaft. Die Schaffung lebensfähiger Betriebe war von Anfang an das Hauptziel der Gemeinschaftspolitik zur Verbesserung der Agrarstrukturen und zur Förderung von Betriebsgründungen. Diese Zielsetzung hat nichts an Aktualität eingebüsst.

2.4.3. Die demographischen Probleme sollten jedoch auf regionaler Ebene angegangen werden, weil es bereits Gebiete gibt, in denen junge Landwirte von aussen angeworben werden müssen, während anderswo eher die Mobilität innerhalb einer bestimmten Region gefördert werden muß, und zwar nicht nur die geographische Mobilität, sondern auch die soziale Mobilität, damit jungen Menschen aus einer anderen sozialen und wirtschaftlichen Umgebung der Zugang zur Landwirtschaft erleichtert wird.

2.4.4. Der Ausschuß konnte feststellen, daß es zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union in bezug auf die Anwendung der Niederlassungspolitik grosse Meinungsunterschiede gibt, die darauf zurückzuführen sind, daß diese Maßnahmen für die Mitgliedstaaten fakultativ sind. Nach Meinung des Ausschusses müssen die Niederlassungsbedingungen vereinheitlicht werden.

2.4.5. Die Entscheidung, Landwirt zu werden, ist vor allem wegen der damit verbundenen finanziellen Aufwendungen immer ein Risiko, ganz gleich, in welcher Region sich der Betrieb befindet. Abgesehen von diesem finanziellen Risiko, das von der Art der gewählten Produktion, den vorhandenen Märkten und von den individuellen Fähigkeiten des jungen Landwirts abhängt, besteht auch ein menschliches Risiko, das jedoch nicht überall gleich ist, sondern von der jeweiligen Umgebung abhängt (Infrastrukturen, Bevölkerungsdichte, Wirtschaftsstruktur).

2.4.5.1. Daher muß dringend eine Politik entwickelt werden, die die unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten in der Union stärker berücksichtigt.

2.4.6. Im übrigen weist der Ausschuß nachdrücklich auf die mitunter allzu strengen Anforderungen in den gemeinschaftlichen und nationalen Regelungen hin, die eine grosse Zahl von jungen Menschen von den Hilfen für Betriebsgründungen ausschließen.

2.5. Der Ausschuß weist ganz besonders auf die Notwendigkeit hin, daß die Stellung der landwirtschaftlichen Unternehmerinnen, der mithelfenden Ehefrauen und Familienangehörigen rechtlich anerkannt wird, wobei die dieser Bevölkerungsgruppe eigenen Schwierigkeiten (familiäre Zwänge, erschwerte Berufsausbildung, Alter bei der Betriebsübernahme, ungleiches Sozialschutzniveau usw.) zu berücksichtigen sind.

2.6. Schließlich muß nach Ansicht des Ausschusses dafür gesorgt werden, daß ein lebenswerter ländlicher Raum für Niederlassungswillige geschaffen wird. Dazu sind die nötigen Infrastrukturen für das Leben auf dem Lande zu schaffen (Verkehr, Dienstleistungen, Schulen usw.).

2.7. Die demographische Entwicklung ist bedrohlich, kann aber auch eine Chance sein. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen die demographische Situation nutzen und die Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Betriebe beschleunigen, damit lebensfähige Einheiten geschaffen werden. Darüber hinaus müssen künftige Betriebsniederlassungen in der gesamten Union erleichtert werden, um einer weiteren Schwächung der europäischen Landwirtschaft vorzubeugen.

3. Instrumente, die im Rahmen einer kohärenteren Politik neu belebt werden müssen

3.1. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß die gemeinschaftlichen Bemühungen hauptsächlich auf die Anpaßsung der folgenden vier Ziele ausgerichtet sein müssen: Ausbildung, Betriebsübernahme und -übergabe, Strukturverbesserung sowie Kohärenz zwischen diesen Zielen.

3.1.1. Bei der Betriebsübernahme muß eine Lösung gefunden werden, damit Hilfen für Junglandwirte auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union gewährt werden können. Zu diesem Zweck muß in jedem einzelnen Mitgliedstaat ein Verfahren zur Bewertung der Niederlassungspolitik eingeführt werden.

3.1.2. Der Ausschuß vertritt die Auffassung, daß Landwirten, die einen Betrieb übernehmen möchten, oder landwirtschaftlichen Arbeitnehmern, die sich ausserhalb ihres Herkunftsgebiets als Landwirte niederlassen, eine Unterstützung zur Förderung der geographischen und beruflichen Mobilität gewährt werden sollte.

3.1.3. Die derzeitigen Maßnahmen bei Betriebsgründungen müssen den neuen Gegebenheiten in der Landwirtschaft angepasst werden. Bestimmte Bedingungen für die Vergabe der diesbezueglichen Hilfen müssen zweifellos überprüft und erleichtert werden, wobei jedoch die Lebensfähigkeit der Vorhaben nicht in Frage gestellt werden darf: d.h. Überprüfung der Altersgrenzen, stärkere Berücksichtigung der Mehrfachtätigkeit.

3.2. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß Betriebsübernahme und Ausbildung stärker miteinander verbunden werden müssen.

3.2.1. Die Ausübung des Berufs des Landwirts und die Anpassung an ein evoluierendes Umfeld erfordern ein hohes Ausbilungsniveau und grosse Anpassungsfähigkeit. Im übrigen müsste im Rahmen der Ausbildung weniger die Steigerung der Produktion als vielmehr die Senkung der Kosten und die Steigerung der Effizienz des Erzeugers im Mittelpunkt stehen. Auf diese Weise soll der Nachwuchs dazu ermutigt werden, Unternehmergeist zu entwickeln und neue Einkommensquellen in neuen Tätigkeitsbereichen (z.B. Agrartourismus, Dienstleistungen) ausfindig zu machen.

3.2.2. Die Ausbildung muß innerhalb der Europäischen Union gefördert werden, um ein vergleichbares Niveau in allen Mitgliedstaaten zu erreichen. Darüber hinaus muß in den Ausbildungsbedingungen ein "Quereinstieg" für Personen vorgesehen werden, die einen Betrieb übernehmen wollen und keine landwirtschaftliche Ausbildung haben.

3.2.3. Der Ausschuß betont, wie wichtig es für die Junglandwirte ist, im Rahmen der Ausbildung berufliche Praxis auf dem angestrebten Tätigkeitsfeld zu erwerben. Die Europäische Union sollte Berufspraktika fördern, damit die Junglandwirte durch eine Konfrontation mit den unterschiedlichen Gegebenheiten und durch Aufenthalte in anderen Regionen oder Ländern Einblick in ihren Beruf gewinnen können. Zu diesem Zweck sollte eine finanzielle Unterstützung der Gemeinschaft bereitgestellt werden. Die Berufsausbildung landwirtschaftlicher Arbeitnehmer müsste ebenfalls gefördert werden.

3.2.4. Schließlich muß in der gesamten Union ein Berufsorientierungs- und Beratungsprogramm für Junglandwirte eingeleitet werden, damit diese über die eigene betriebliche Situation, über die Finanzierungsmöglichkeiten sowie über die Entwicklungsvorhaben für den ländlichen Raum besser informiert werden.

3.2.5. Im übrigen muß für die Information der Landwirte noch sehr viel getan werden. Die Europäische Union müsste die Förderung ländlicher und landwirtschaftlicher Berufe unterstützen. Sie könnte beispielsweise durch eine kofinanzierte Gemeinschaftskampagne in der Öffentlichkeit für eine Aufwertung der ländlichen Berufe sorgen.

3.3. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Niederlassungspolitik muß die Übergabe landwirtschaftlicher Betriebe erleichtert werden.

Dieses Ziel lässt sich nach Ansicht des Ausschusses erreichen, indem bei Betriebsaufgaben die Übernahme durch einen Junglandwirt erleichtert oder im Falle eines jungen Erben die Belastung durch Erbschaftssteuern und -abgaben erheblich reduziert wird.

3.3.1. Die Betriebsübergabe ist für den Generationswechsel in der bäuerlichen Gesellschaft eine entscheidende Etappe, denn von ihr hängt es ab, ob bestehende Betriebseinheiten erhalten bleiben oder aufgeteilt werden.

3.3.2. Die Tatsache, daß die Junglandwirte heutzutage in den meisten Fällen weder das Grundvermögen noch das Betriebskapital aufbringen können, führt unweigerlich dazu, daß pragmatische wirtschaftliche, rechtliche und steuerliche Lösungen erarbeitet werden müssen, um das Problem der Bodenfinanzierung zu lösen. Insbesondere sollte die Gesetzgebung entsprechend angepasst werden, damit die Übergabekosten gesenkt werden können.

3.3.3. Ferner sollten den Junglandwirten in den ersten Jahren nach ihrer Betriebsübernahme Steuervergünstigungen gewährt werden oder sie sollten eine Entwicklungssubvention erhalten, mit der sie bei der Entwicklung ihres Betriebs unterstützt werden und mit der vermieden wird, daß sie von den zu hohen Übernahmekosten erdrückt werden. Der Junglandwirt muß in seiner neuen Stellung als Betriebsleiter gestärkt werden, da die Steuerlast für die Übergabe im Vergleich zum Investitionskapital oft viel zu hoch ist.

3.3.4. Davon abgesehen sollten Anreize für die Verpachtung von Böden geboten werden; dies setzt voraus, daß die in den einzelnen EU-Staaten für die Verpachtung geltenden zahlreichen Auflagen aufgehoben werden.

3.4. Der Ausschuß befürwortet ferner eine schrittweise Harmonisierung der Steuer- und Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten.

3.4.1. Die frühzeitige Übertragung von landwirtschaftlichen Anbauflächen an Junglandwirte sollte durch die steuerlichen Bestimmungen begünstigt werden. Wenn z.B. ein Eigentümer im Alter von 60 Jahren eine Übergabe vornimmt, sollte er von jeglicher Steuerlast befreit werden; diese Steuerlast könnte dann über diese Altersgrenze hinaus progressiv erhöht werden.

3.4.2. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß mit einer stufenweisen Übergabe Erfolge erzielt werden könnten; dies würde beispielsweise die Betriebsübernahme im Rahmen der Rechtsform einer Gesellschaft erleichtern. Dieser Rahmen erlaubt nämlich eine Übergabe des Kapitals über mehrere Jahre und verleiht dem künftigen Eigentümer einen wirklichen gesellschaftlichen und beruflichen Status. Er stellt im übrigen eine hervorragende Inanspruchnahme des Kapitals, inbesondere des Familienkapitals, dar.

3.4.3. Der Ausschuß hebt zudem die Bedeutung hervor, die dem Zusammenschluß von Betrieben und den verschiedenen Formen von Genossenschaften bei der Zusammenlegung der Mittel zur Rationalisierung der Investitionen und Kosten und im Hinblick auf eine bessere Arbeitsgestaltung zukommt. Die Gründung von Gesellschaften kann eine angemessene Antwort auf die wachsenden Schwierigkeiten des Landwirts darstellen.

3.4.4. Allerdings wird die Form der Gesellschaft heute bei den meisten Entscheidungen der Europäischen Union im Rahmen der Reform der GAP verkannt und dadurch ihre Entwicklung gebremst.

3.5. Die Strukturverbesserung ist Dreh- und Angelpunkt jeglicher Politik zur Förderung des Generationswechsels in der Landwirtschaft. Mit Hilfe der Strukturverbesserung muß die Verödung der ländlichen Regionen verhindert und gleichzeitig eine Zunahme der Produktion vermieden werden.

3.5.1. Heute von Strukturverbesserung zu sprechen, heisst jedoch, sich mit einem Vorhaben zu beschäftigen, das sich über 5 bis 10 Jahre erstreckt und das - unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung, der wirtschaftlichen Situation und der neuen Erwartungen der Gesellschaft - die Planung von Maßnahmen umfasst, die auf die Anpassung der Landwirtschaft an die neuen Gegebenheiten abzielen.

3.5.2. Deshalb sind innerhalb dieser zusätzlichen Entwicklungsprogramme begleitende Maßnahmen nicht nur auf gemeinschaftlicher, sondern auch auf einzelstaatlicher und lokaler Ebene erforderlich.

3.5.3. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß mit der Vorruhestandsregelung vor allem das Ziel der Strukturverbesserung verfolgt werden muß. Deshalb ist es wichtig, den Zugang des Berechtigten zur Ruhestandsregelung und die Übergabe seines Betriebs an einen anderen Landwirt miteinander zu verbinden.

3.5.4. Die Vorruhestandsregelung könnte beispielsweise zur Erleichterung der Betriebsübernahme in problematischen Gebieten auf Landwirte angewendet werden, die ihre Beschäftigung aufgeben und ihren Betrieb an einen noch nicht niedergelassenen Landwirt übergeben, ohne daß von diesem eine Vergrösserung des Betriebs verlangt wird. Allerdings muß die Betriebsfläche ausreichen, um die Gründung eines wirtschaftlich lebensfähigen Unternehmens zu gewährleisten.

3.5.5. Die Maßnahmen für die Stillegung des Betriebs oder die Einstellung der Produktion (Rodungsprämie im Weinbausektor, Milchprämie, ...) sowie die Auflagen für den Ruhestand der Landwirte müssen aufeinander abgestimmt werden, damit sie den strukturellen Entwicklungen nicht zuwiderlaufen, sondern diese begleiten.

3.6. Der Ausschuß hatte die Möglichkeit, sich mit der Zuteilung der Quoten und der Prämien für die Junglandwirte zu beschäftigen. Seines Erachtens darf ein angehender Junglandwirt in seinem Vorhaben nicht durch einen unzureichenden Marktzugang und Finanzspekulationen betreffend diesen Zugang, durch die er im Vergleich zu anderen Erzeugern ins Hintertreffen gerät, bedroht werden. Im übrigen sollte in den Gemeinschaftsvorschriften vorgesehen werden, daß zumindest ein Teil der Quoten, die durch den Markt oder nationale Reserven frei werden, den Junglandwirten zugute kommt.

3.7. Das Problem des Generationswechsels erfordert wirksame Instrumente im Rahmen globaler Politiken. Die Fachgruppe betont die Wichtigkeit, die einer Sicherstellung der Kohärenz zwischen den durchgeführten Politiken und den einzelnen Ebenen der Intervention (gemeinschaftliche, einzelstaatliche, lokale) zukommt.

4. Vorschlag für eine Anpassung der Gemeinschaftspolitiken, die den Landwirten Zukunftsperspektiven bietet

4.1. Heute besteht allgemein Einigkeit darüber, daß die Landwirtschaft zwei wichtige Funktionen erfuellt:

- eine wirtschaftliche Funktion, die darin besteht, Nahrungsmittelerzeugnisse und Rohstoffe für industrielle Zwecke zu liefern und Dienstleistungen für die übrige Gesellschaft zu erbringen;

- eine Funktion im Bereich des Umweltschutzes und der Erhaltung der Landschaft.

4.1.1. Diese beiden Funktionen der Landwirtschaft werden offenbar in der Europäischen Union je nach Region oder Tätigkeitsart nicht gleichermassen wahrgenommen. Allerdings wird die Komplementarität dieser beiden Aufgaben von niemandem in Frage gestellt.

4.2. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in der europäischen Landwirtschaft muß Dreh- und Angelpunkt einer jeden Agrarpolitik sein.

Durch die Reform der Stützungsmechanismen und die Steuerung der Erzeugung wird der Marktzugang zum Kernpunkt der landwirtschaftlichen Entwicklung.

4.2.1. Aus diesem Grund muß mit den Bestimmungen zur Beihilfengewährung der Gefahr einer Verlagerung der Produktionen vorgebeugt werden. Es muß möglich sein, daß die Produktionstätigkeiten mit einem Gebiet verhaftet bleiben und nicht ausschließlich unter dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt der derzeit wettbewerbsfähigen Produktionszweige angesiedelt werden.

4.2.2. Jedoch darf diese Bindung der Erzeugung an ein bestimmtes Gebiet nicht zu starren Strukturen führen und eine etwaige Entwicklung auf Ebene der Betriebe blockieren.

4.2.3. Die Absicht einer Betriebsübernahme muß durch einen ausreichenden Marktzugang erleichtert werden.

4.2.4. Die Funktion der Landschaftserhaltung gewinnt mit dem Rückgang der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung und dem wachsenden Umweltbewusstsein in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Die zunehmende Verstädterung und die steigenden Arbeitslosenzahlen machen eine bessere Raumordnung und eine Wiederbelebung des ländlichen Raumes unumgänglich.

4.2.5. Das die GAP-Reform begleitende Agrarumweltprogramm ermöglicht sicherlich die Finanzierung von Aktionen zugunsten eines Umweltmanagements, der Pflege landwirtschaftlicher Flächen und der Aufforstung. Es muß durch neue Aktionen weiterentwickelt und mit höheren Mitteln ausgestattet werden.

4.2.6. Nach Ansicht des Ausschusses kann die Gemeinschaftsaktion insbesondere durch folgende zwei Instrumente verstärkt werden:

- Anreiz und Unterstützung der kollektiven und konzertierten Initiativen zur Bewirtschaftung des ländlichen Raums unter agrar-umweltpolitischen Gesichtspunkten;

- Förderung eines vertraglich festgelegten Vorgehens, da nur auf diese Weise der Vielfalt der lokalen Gegebenheiten Rechnung getragen werden kann.

4.2.7. Die Berufsverbände müssten durch Sensibilisierung, Anreize und Koordinierungsbemühungen zur Umsetzung dieser Vorhaben beitragen.

4.2.8. Schließlich muß die Europäische Union ihre Interventionen ausbauen, um die Entfaltung von Dienstleistungstätigkeiten zu fördern.

4.2.9. Der Ausschuß hat einen Grossteil dieser neuen Aufgaben der Landwirtschaft erforscht. Er ist sich der Schwierigkeiten bewusst, heute die Gesamtheit der Erfordernisse und Möglichkeiten festzumachen. Aufwertung der natürlichen Ressourcen und des ländlichen Raums, Förderung der Diversifizierung, Ausbau des "grünen" Fremdenverkehrs und der Berufe im Umweltbereich, so lauten die Ziele, die sich die Gemeinschaftspolitiken setzen müssen.

4.3. Der Ausschuß hat sich ferner mit der Frage der Mehrfachtätigkeit auseinandergesetzt: eine wachsende Anzahl Landwirte übt in der Europäischen Union ihre Tätigkeit in Teilzeitarbeit aus und bessert ihr Einkommen mit einer anderen Tätigkeit ausserhalb der landwirtschaftlichen Erzeugung auf. Die Zunahme der Mehrfachtätigkeit ist Beweis für die Kreativität und die Anpassungsfähigkeit des Agrarsektors, veranlasst die landwirtschaftlichen Unternehmer allerdings zu einer Diversifizierungspolitik, mit der sie sich immer weiter von der eigentlichen landwirtschaftlichen Tätigkeit entfernen.

4.3.1. Folglich sollte zunächst einmal ein Statut für einen diversifizierten landwirtschaftlichen Betrieb ausgearbeitet werden, in dem die einzelnen Tätigkeiten durch betriebsinterne Logik miteinander verbunden sind.

4.3.2. Die steuerlichen, sozialen und rechtlichen Probleme, die die Mehrfachtätigkeit erschweren, müssen beseitigt werden. Die gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Rechtsrahmen werden den Gegebenheiten eines ländlichen Raums, in dem sich die Grenzen zwischen den einzelnen Tätigkeitsarten allmählich verwischen, nur unzureichend gerecht.

5. Schlußfolgerungen

5.1. Der Ausschuß ist der festen Überzeugung, daß unbedingt und sofort umfassende Überlegungen über die Zukunft der Landwirtschaft und insbesondere das Problem des Generationswechsels angestellt werden müssen. Ziel der Politik muß es vor allem sein, die Niederlassung in der Landwirtschaft zu fördern.

5.1.1. Es ist unverzichtbar, daß die demographische Herausforderung unverzueglich angenommen wird, da das Gleichgewicht im ländlichen Raum in vielen Regionen der Europäischen Union verlorenzugehen droht. Eine "Laisser-faire-Politik" hätte dramatische Konsequenzen, da sich die landwirtschaftliche Tätigkeit auf bestimmte Bereiche konzentrieren und der ländliche Raum zunehmend geschwächt würde.

5.2. Der Ausschuß ist der Auffassung, daß folgenden tiefgreifenden Veränderungen der landwirtschaftlichen Tätigkeit in den Gemeinschaftspolitiken Rechnung getragen werden muß: neues Berufsprofil der übernahmewilligen Landwirte, regelmässige Erhöhung der Flächen und des Investitionskapitals, Entwicklung neuer Tätigkeiten auf der Grundlage des landwirtschaftlichen Betriebs sowie neues Konzept der Mehrfachtätigkeit.

5.3. Nach Ansicht des Ausschusses ist die Landwirtschaft ein wichtiges Schlüsselelement für die Beschäftigung im ländlichen Raum, da eine Übernahme oder eine Gründung eines Betriebs Auswirkungen auf die vorgeschaltete und nachgelagerte Industrie des Sektors hat. Des weiteren machen die geringe Bevölkerungsdichte in den ländlichen Gebieten und der Wandel der Lebensweisen und Ansprüche der Landbevölkerung eine bessere Organisation der Dienstleistungen sowie die Schaffung der für ein Leben im ländlichen Raum notwendigen Infrastrukturen erforderlich.

Geschehen zu Brüssel am 27. April 1994.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Susanne TIEMANN