STELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes"
Amtsblatt Nr. C 397 vom 31/12/1994 S. 0008
Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes () (94/C 397/04) Der Rat beschloß am 14. Juni 1994, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 129 d Absatz 3 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Vorschlag zu ersuchen. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr und Kommunikationsmittel nahm ihre Stellungnahme am 9. November 1994 an. Berichterstatter war Herr Decaillon. Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 320. Plenartagung (Sitzung vom 23. November 1994) ohne Gegenstimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes (Dok. KOM (94) 107 endg.) mit Interesse zur Kenntnis genommen. Aus den im nachstehenden Text ausführlich dargelegten Gründen hält der Ausschuß die Kommissionsvorlage, die durch die Berücksichtigung seiner Bemerkungen noch verbessert werden könnte, für einen wichtigen Beitrag zur Einrichtung eines solchen Netzes. 1. Einleitende Bemerkungen 1.1. Bevor der eigentliche Inhalt der Richtlinie zur Sprache kommt, sollte zur Erhellung der Diskussion kurz daran erinnert werden, unter welchen Bedingungen das Konzept der Hochgeschwindigkeitsbahnen und des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes aufkam. Die ersten Projekte für Hochgeschwindigkeitsbahnen in Europa (der Bau der "Direttissima"-Bahnlinie in Italien, der Beginn des Linienbetriebs des TGV Sud-Est im Jahr 1981 in Frankreich und die Inbetriebnahme des ICE in Deutschland zehn Jahre später) waren vor allem Bemühungen, das Problem der zunehmenden Übersättigung bestimmter Hauptachsen der Eisenbahnnetze konkret zu bewältigen. Anstatt eine kostspielige Erneuerung der Verkehrsader Paris-Lyon in Angriff zu nehmen, die nur eine begrenzte Verbesserung der Dienstleistung gebracht hätte, schlug beispielsweise die französische staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF den französischen Staatsorganen vor, eine neue, optimierte Infrastruktur zu schaffen, die geeignet sein sollte, einen dichten, schnellen Verkehr mit bis dahin in Europa fast ungekannter Bedienungsqualität aufzunehmen. Die gleiche Zielsetzung lag den in Deutschland, Italien und Spanien durchgeführten Projekten zugrunde, die alle in erster Linie auf die Lösung nationaler Probleme abzielten. 1.2. Daraus ergab sich, daß sich die Eisenbahnen bei diesen Projekten wie üblich vorrangig darum bemühten, die Infrastruktur- und Materialkonzepte sowie die Betriebsverfahren in das allgemeine Schema ihrer Techniken, Vorschriften und erprobten Praktiken einzubetten, die manchmal von einem Mitgliedstaat zum anderen sehr unterschiedlich sein können. 1.3. In Fortführung ihrer Überlegungen und Studien ergriffen die in der Gemeinschaft der europäischen Bahnen (GEB) zusammengeschlossenen Eisenbahnen der EG-Mitgliedstaaten jedoch die Initiative, den europäischen Behörden schon im Januar 1989 einen Bericht unter dem Titel "Vorschläge für ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz" vorzulegen. 1.4. Der Rat nahm am 4./5. Dezember 1989 eine Entschließung an, in der er die Kommission aufforderte, eine "Arbeitsgruppe auf hoher Ebene" zu bilden; diese sollte "zu den gemeinsamen Normen und technischen Merkmalen konsultiert werden, die den Einsatz moderner Zuege auf diesem Netz ermöglichen und die gegenseitige Kompatibilität der in den einzelnen Teilen dieses Netzes angewandten Techniken und Infrastrukturen gewährleisten". 1.5. Diese Arbeitsgruppe gab im November 1990 einen Bericht über die Entwicklung eines europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes ab. Der Rat der Verkehrsminister "begrüsste" die Ergebnisse dieses Berichts im Dezember 1990 (); dabei nahm er "die Absicht der Kommission zur Kenntnis, einen Richtlinienvorschlag zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für den Zugverkehr auszuarbeiten und betonte die Notwendigkeit, so bald wie möglich gemeinsame Maßnahmen zur Harmonisierung der Zugsteuerungs- und Zugsicherungssysteme einzuleiten". 2. Rechtliche Grundlage für das Tätigwerden der Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes 2.1. Der vorgenannte Bericht vom November 1990 war gewissermassen der Prototyp der Leitpläne für die transeuropäischen Verkehrsnetze. Mit dem Vertrag über die Europäische Union jedoch, der am 1. November 1993 in Kraft trat, nahm dieses Konzept wirklich Gestalt an. Durch diesen Vertrag wurde das gemeinschaftliche Vorgehen im Hinblick auf die transeuropäischen Infrastrukturen insbesondere im Verkehrsbereich auf eine neue Grundlage gestellt. Mit den betreffenden Bestimmungen, die unter dem Titel XII zusammengefasst sind, wurde der Rahmen für die gemeinschaftliche Betätigung auf diesem Gebiet neu definiert. 2.2. Bei der Umsetzung der nunmehr von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen sind zwei weitere Dimensionen zu berücksichtigen, die mit der Vollendung des Binnenmarktes zusammenhängen: - die Bestimmungen zur Öffnung der Märkte im Verkehrssektor für den gemeinschaftlichen Wettbewerb [Richtlinie 90/531/EWG (), aktualisiert durch die Richtlinie 93/38/EWG ()]; - die Bestimmungen zur Entwicklung des gemeinschaftlichen Eisenbahnnetzes [Richtlinie 91/440/EWG vom 29. Juli 1991 ()]. 3. Notwendigkeit einer technischen Weiterentwicklung 3.1. Technisch war es somit notwendig geworden, das Konzept der technischen Harmonisierung, das bisher für den internationalen Eisenbahnverkehr bestimmend war, zu vertiefen. Der Grundsatz der technischen Harmonisierung bedeutete eine Vereinheitlichung oder zumindest Kompatibilität einiger Eckwerte, beispielsweise der Spurweite, der Lichtraumprofile (wobei mehrere Profile möglich waren), der Pufferhöhen, der Bremsvorrichtungen usw. für die Fahrzeuge, die gemeinsam verkehren sollten, und der Infrastrukturen, auf denen dieser Verkehr stattfinden kann. 3.2. Erfasst sind die entsprechenden Vorschriften in folgenden Sammlungen: - Technische Einheit im Eisenbahnwesen, eine Vereinbarung zwischen mehreren Regierungen aus dem Jahre 1882, zu dem die letzten Beschlüsse 1938 gefasst wurden, - die Regelungen des Internationalen Reisezug- und Gepäckwagenverbands RIV (Regelung für die gegenseitige Verwendung von Reisezug- und Gepäckwagen im internationalen Verkehr) bzw. des Internationalen Güterwagenverbands RIC (Regelung für die gegenseitige Verwendung von Güterwagen im internationalen Verkehr) und eine Datensammlung, die der Internationale Eisenbahnverband (UIC) im Hinblick auf die Zusammenarbeit angelegt hat und die seine Mitglieder verwenden sollen, die jedoch nicht den rechtlich bindenden Charakter der europäischen Spezifikationen besitzt und ohnehin die Hochgeschwindigkeit nicht berücksichtigt. 3.3. Solche Vorschriften, deren Grundidee noch aus der Zeit der Dampflokomotiven stammt, reichten so lange völlig aus, wie durch die üblichen Geschwindigkeiten, die Reisezeiten, die Reichweiten der Triebfahrzeuge und die Hoechstarbeitszeiten der Belegschaften die an den Staatengrenzen, die gleichzeitig technische "Grenzen" waren, für Lokomotiven- und Personalwechsel notwendigen Pausen von nicht ausschlaggebender Bedeutung waren. Es ist den Eisenbahnen durch zusätzliche Investitionen zwar in gewissem Umfange gelungen, technische (In)kongruenzen zu beseitigen und auf diese Weise eine Interoperabilität bei bestimmten internationalen Diensten herbeizuführen. Die Reichweite von Maßnahmen dieser Art bleibt jedoch beschränkt und wird jedenfalls den Erfordernissen eines einheitlichen Marktes ohne Grenzen nicht gerecht. 3.4. Mit der enormen Zunahme und Beschleunigung des innergemeinschaftlichen Verkehrs und vor allem des Aufkommens der Hochgeschwindigkeitszuege sind die durch die "technischen Grenzen" bedingten Zwänge nämlich einfach nicht mehr tragbar, und die vorgeschlagene Richtlinie über die Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitszugnetzes zielt denn auch darauf ab, hier Abhilfe zu schaffen. 3.5. Die in dem Richtlinienvorschlag enthaltene Bestimmung des Begriffs der Interoperabilität ist das Ergebnis langwieriger Diskussionen in der Untergruppe "Technische Kompatibilität" der hochrangigen Arbeitsgruppe der Kommission, die sich aus Vertretern der Behörden, der im Materialbau tätigen Unternehmer und der Netzbetreiber zusammensetzt. Diese Begriffsbestimmung lautet: "[...] betrifft die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes alle ordnungsrechtlichen, technischen und betrieblichen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Hochgeschwindigkeitszuege mit den spezifizierten Leistungskennwerten auf diesem Netz durchgehend verkehren können." Nach Auffassung des Wirtschafts- und Sozialausschusses entspricht die Festlegung des Begriffs der Interoperabilität durch die Kommission heute unumgänglichen technischen, wirtschaftlichen und ökologischen Erfordernissen. 4. Beschreibung des vorgeschlagenen Verfahrens 4.1. Die Kommission hat sich nicht für ein Maximalkonzept der Interoperabilität entschieden. Die Interoperabilität, so wie sie im Kommissionsvorschlag definiert ist, soll vielmehr jedem Eisenbahnunternehmen erlauben, "auf einer beliebigen Strecke seiner Wahl einen öffentlichen Verkehrsdienst zu den niedrigsten Kosten zu betreiben". 4.2. Um ein ausreichendes Maß an Interoperabilität gemäß dieser Definition zu gewährleisten, schlägt die Kommission vor, eine notgedrungen relativ komplexe Struktur auszuarbeiten, die mit folgendem Schema dargestellt werden kann. 4.3. In der Richtlinie werden zunächst in Form ergebnisorientierter Vorschriften folgende wesentliche Anforderungen beschrieben: - Sicherheit; - Gesundheitsschutz; - Umweltschutz; - Verbraucherschutz; - technische Kompatibilität; - betriebliche Fragen. 4.4. Um die Beschreibung und die Formulierung der technischen Anforderungen zu erleichtern, wird das System sodann in acht Teilsysteme untergliedert: - Infrastruktur; - Energieversorgung; - Wartung; - Zugsteuerung, Zugsicherung, Signalgebung; - Fahrzeuge; - Umwelt; - Betrieb; - Fahrgäste. 4.5. Jedem dieser acht Teilsysteme muß eine "technische Spezifikation für die Interoperabilität" entsprechen. 4.6. Den technischen Spezifikationen für die Interoperabilität kommt eine vierfache Aufgabe zu: - sie enthalten für jedes Teilsystem die einschlägigen "wesentlichen Anforderungen"; - sie legen die Eckwerte (Streckenprofil, Spannung der Stromzufuhr, Bogenhalbmesser, maximale Belastung des Gleises, Achsfahrmasse, Schwingungen, Geräuschentwicklung usw.) fest; - sie bestimmen die Komponenten und Schnittstellen, die für die Interoperabilität von kritischer Bedeutung sind; - sie nennen unter Bezugnahme auf die in der Entscheidung 93/465/EWG des Rates vom 22. Juli 1993 () vorgesehenen Bestimmungen die Module, die bei der Konformitäts- oder Gebrauchstauglichkeitsbewertung verwendet werden müssen. 4.7. Die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität werden im Auftrag der Kommission von einer internationalen gemeinnützigen Vereinigung belgischen Rechts ausgearbeitet, die sich aus Vertretern der Eisenbahnunternehmen, der Infrastrukturbetreiber und der in der Materialherstellung tätigen Industrieunternehmer zusammensetzt. 4.8. Jedes Teilsystem wird auf Antrag der auftraggebenden Behörde einer Prüfung auf seine Konformität mit den technischen Spezifikationen für die Interoperabilität unterzogen. Diese Prüfung wird von "benannten Stellen" vorgenommen. Diese stellen eine EG-Prüferklärung aus, aufgrund derer der betreffende Mitgliedstaat die Inbetriebnahme des fraglichen Teilsystems genehmigt. 4.9. Auf der dritten Ebene schließlich, derjenigen der Komponenten und Schnittstellen, werden die Spezifikationen von Fachorganisationen aufgestellt; bei Europäischen Normen sind dies das CEN, der CENELEC und das ETSI. In diesem Fall wird die Konformität bzw. Gebrauchstauglichkeit auf Antrag des Herstellers von den benannten Stellen anhand von in der entsprechenden technischen Spezifikation angegebenen Modulen festgestellt. 4.10. Die benannten Stellen müssen die in der Richtlinie festgelegten Kriterien erfuellen. Zur Zeit besitzen nur die Eisenbahnunternehmen die erforderliche Sachkenntnis. Der Richtlinie 91/440/EWG zufolge können sie nicht zugleich Richter und Partei sein. Anscheinend sollen nach der Absicht der Kommission die Eisenbahnen die betreffende Tätigkeit unter der Voraussetzung weiter ausüben können, daß sie die Bildung einer der Richtlinie entsprechenden Organisation ins Auge fassen. 4.11. Schließlich wird in der Richtlinie noch die Einführung eines "Ständigen Ausschusses" aus Vertretern der Mitgliedstaaten geregelt, der alle Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie erörtern soll. Nach Auffassung des Wirtschafts- und Sozialausschusses ist der Grundsatz der Interoperabilität geeignet, die Schaffung des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes für den Personenverkehr zu erleichtern. Diese Maßnahme dürfte die Stellung des Eisenbahnverkehrs in Europa stärken und die Allgemeinheit stärker von den Vorteilen dieses Verkehrsträgers profitieren lassen. Der Ausschuß fragt sich, ob die Priorität, die dem Hochgeschwindigkeitsbahnnetz im Hinblick auf die Anwendung dieses Grundsatzes eingeräumt wird, wirklich angemessen ist. 5. Allgemeine Bemerkungen 5.1. Kohärenz des Systems 5.1.1. Eines der Merkmale des Schienenverkehrs liegt darin, daß seine Bestandteile - ob es sich nun um bewegliche oder fest installierte Teile handelt - in hohem Masse zusammenwirken und miteinander verzahnt sind. Von der Beachtung dieses Grundsatzes hängen die Sicherheit, die Wirtschaftlichkeit, die Leistungsfähigkeit und selbst die Lebensfähigkeit des Systems ab. Damit eine optimale Übereinstimmung erreicht wird, müssen also alle Bestandteile von Anfang an vollkommen kohärent sein. 5.1.2. Die vorgeschlagene Richtlinie lässt den Eindruck entstehen, daß der Akzent stärker auf den einzelnen Teilen des Systems, d.h. Teilsystemen bzw. Komponenten, liegt, als auf seiner Gesamtheit. Der Ausschuß fragt sich deshalb, ob die vorgeschlagene Konzeption eine Gewähr für eine Gesamtkonfiguration bietet. Die Entwicklung eines optimierten Systems setzt nämlich nach Einschätzung des Ausschusses eine Reihe von Optionen bzw. Kompromissen zwischen verschiedenen denkbaren Möglichkeiten voraus, und es ist fraglich, ob ein einfaches Zusammenfügen von untereinander interoperablen Teilsystemen zwangsläufig zum besten Gesamtsystem führt. 5.1.3. Der Ausschuß regt daher an, zu Beginn der Ausarbeitung der technischen Spezifikationen für die Interoperabilität eine Synthese herzustellen unter der Aufsicht des nach Artikel 21 vorgesehenen Ständigen Ausschusses für den spurgeführten Verkehr, dessen Rolle entsprechend präzisiert werden müsste. Die Synthese müsste aber auch am Ende des Prozesses stattfinden, indem die Mitgliedstaaten beauftragt werden, im Stadium der Genehmigung der Inbetriebnahme dafür zu sorgen, daß die Teilsysteme tatsächlich aufeinander abgestimmt sind. 5.2. Berücksichtigung des gegenwärtigen Bestandes 5.2.1. Ein weiteres Problem liegt in der Berücksichtigung des gegenwärtigen Bestandes. Mehrere Mitgliedstaaten, nämlich Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, besitzen bereits eine erhebliche Kilometerzahl an neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Die gleiche Überlegung gilt für die Strecken, deren Bau zwar noch nicht stattgefunden hat, aber deren Planung bereits so weit vorangeschritten ist, daß die grundlegende Konzeption für ihren Bau bereits feststeht. 5.2.2. Im übrigen muß bei jeder Neubaustrecke zwangsläufig dem bestehenden herkömmlichen Netz Rechnung getragen werden, damit der Übergang an den Endpunkten und somit die Kontinuität des europäischen Netzes gewährleistet bleibt. 5.2.3. Die Wahl der Spezifikationen, wie sie in der Richtlinie vorgeschlagen werden, darf nicht dazu führen, daß die Kosten für Anpassung und Betrieb eines solchen Netzes übermässig in die Höhe schießen, was die Betreiber vor dessen Modernisierung zurückschrecken lassen und somit dem angestrebten Ziel zuwiderlaufen könnte. Es müssten also für jedes Teilsysteme mehrere annehmbare Formeln zur Verfügung stehen, selbst wenn manche von ihnen aus Gründen der technischen Kontinuität nur in bestimmten Gebieten zum Einsatz kommen können. 5.3. Weiterentwicklung des Systems Zu dem Mangel an Flexibilität bei der Berücksichtigung des aktuellen Bestands kommt noch hinzu, daß über dessen Weiterentwicklung keine genauen Angaben gemacht werden. Wie ist mit einer Technologie, die einem regelmässigen und zuegigen Wandel unterliegt, umzugehen, ohne sie festzuzementieren. 5.4. Die wirtschaftliche Dimension des Systems Die wirtschaftliche Seite des Systems kommt allgemein kaum zur Sprache; vor allem wird bei den grundlegenden Anforderungen und den - nicht bezifferten - möglicherweise damit einhergehenden Kosten keine wirtschaftliche Optimierung angestrebt. 5.5. Die sozialen Aspekte 5.5.1. Trotz der in Anhang II Punkt 2.7.1 des Richtlinienvorschlags verankerten Bestimmungen hält der Ausschuß den vorgesehenen Ansatz für unzureichend, weil er nur halbherzig an ein Thema herangeht, dem der Wirtschafts- und Sozialausschuß aber grosse Bedeutung beimisst: die Berufsausbildung des Personals. Ein interoperables System, das sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, muß unter dem Blickwinkel der Effizienz und der Mobilität mit einer einheitlichen Ausbildung der Arbeitnehmer einhergehen. 5.5.2. Ganz allgemein ist festzustellen, daß die Sozialpartner bei der von der Kommission ins Auge gefassten Vorgehensweise nicht ins Spiel kommen. Nach Ansicht des Ausschusses sollten sie aber unbedingt in dem nach Artikel 21 des Richtlinienvorschlags einzusetzenden Beratenden Ausschuß für den spurgeführten Verkehr vertreten sein. 5.6. Berücksichtigung der Verkehrsnutzerinteressen Die Verfasser des Richtlinienvorschlags haben richtigerweise die Verkehrsnutzer in das von ihnen gewählte Konzept (vgl. Anhang II Punkt 2.8) einbezogen. Allerdings hätte über das im wesentlichen technisch angelegte Konzept hinausgehend der Akzent stärker auf eine Interoperabilität der den Kunden gebotenen Dienstleistungen gelegt werden sollen: Verfahren für die Kundeninformation, die Platzreservierung und die Fahrscheinausstellung, Vereinheitlichung der besonderen Leistungsangebote der Eisenbahngesellschaften, die gegenwärtig manchmal eher zu Divergenz als zu Einheitlichkeit tendieren. 6. Besondere Bemerkungen 6.1. Gewährleistung des Sicherheitsniveaus Zu Artikel 15 6.1.1. In Anbetracht der weiter oben geäusserten Bedenken sollten auch ganze Teilsysteme einer Prüfung unterzogen werden, um - insbesondere im Hinblick auf den Gebrauch - das erforderliche Maß an Kohärenz zu gewährleisten. Zu Artikel 5 6.1.2. Die in der Ratsentscheidung 93/465/EWG (die an die Stelle der Ratsentscheidung 90/683/EWG getreten ist) vorgesehenen Module, auf die in der Kommissionsvorlage Bezug genommen wird, wurden für allgemeine bzw. für die breite Öffentlichkeit bestimmte Industrieerzeugnisse festgelegt, sind also für Eisenbahnausrüstungen, die in bezug auf Langlebigkeit, Zuverlässigkeit, Sicherheit, Erschütterungsfestigkeit, starke elektromagnetische Felder usw. besonders hohen qualitativen Anforderungen genügen müssen, kaum angemessen. Es wäre also ratsam, Ergänzungen zu diesen Modulen vorzusehen, um insbesondere den Sicherheitserfordernissen Rechnung zu tragen. 6.1.3. Artikel 5 Absatz 3 sieht keinerlei Mitwirkung der Regierungen der Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung der technischen Spezifikationen für die Interoperabilität vor. Es ist unerläßlich, daß die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität im Einklang mit innerstaatlichen Sicherheitsanforderungen stehen. Daher muß es den Mitgliedstaaten freistehen, in besonderen Fällen, wie z.B. beim Ärmelkanaltunnel, höhere Sicherheitsnormen vorzuschreiben. Zu Artikel 20 6.1.4. Diese Bewertungsverfahren werden von Stellen durchgeführt, die von den Mitgliedstaaten benannt werden. Angesichts der Risiken vor allem in bezug auf die Sicherheit müssen die hierfür verlangten Kriterien streng genug sein. Für die hohen Geschwindigkeiten der Zuege ist ein äusserst spezielles Know-how erforderlich, das bisher nur ganz wenige Hersteller und Eisenbahngesellschaften besitzen. Deshalb sollte - möglicherweise im Rahmen eines anderen Regelwerkes als der vorgeschlagenen Richtlinie - ein unparteiischer und sachkundiger "sektoraler Ausschuß" vorgesehen werden, der die Mitgliedstaaten bei der Akkreditierung der benannten Stellen unterstützt. 6.2. Der Ausschuß für spurgeführten Verkehr Zu Artikel 21 Der Ausschuß fragt sich, ob für den Ausschuß für den spurgeführten Verkehr, der über die zu erörternden Fragen befinden muß, wirklich der richtige Status gewählt wurde. Reicht ein beratender Ausschuß als Gremium tatsächlich aus, wenn es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden soll, ihren Standpunkt zu einem relativ neuen Fragenkomplex zum Tragen zu bringen? Stellt sich bei einer solchen Konzeption nicht auch die Frage der Verantwortung, die letztlich bei den Eisenbahnunternehmen und den für das Fahrwegmanagement zuständigen Stellen liegt? 6.3. Umsetzungsfristen Zu Artikel 23 Den Mitgliedstaaten wird für die Umsetzung der Richtlinie und die Anwendung bzw. Annahme der den technischen Spezifikationen für die Interoperabilität genügenden Teilsysteme eine Frist bis zum 30. Juni 1997 eingeräumt. Da die Ausarbeitung der technischen Spezifikationen für die Interoperabilität sich sehr komplex gestalten wird und diese Spezifikationen weitreichende Folgen für die einzelstaatlichen Regelungen nach sich ziehen, steht zu befürchten, daß diese Frist schwerlich einzuhalten sein wird, zumal die Bekanntgabe der technischen Spezifikationen für die Interoperabilität unter normalen Umständen für denselben Tag vorgesehen ist. 7. Schlußfolgerung Mit ihrem Richtlinienvorschlag hat sich die Kommission bemüht, eine komplexe, vielfältige, vor allem technische und wirtschaftliche Aspekte umfassende Realität unter einen Nenner zu bringen und dabei die transeuropäische Dimension sowie die Interessen des Umwelt- und Verbraucherschutzes usw. mit einzubeziehen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß ist mit dieser Vorgehensweise einverstanden. Nach seiner Einschätzung könnten indes noch bestimmte Nachbesserungen vorgenommen werden hinsichtlich der: - Optimierung des Systems insbesondere in bezug auf die Systemkohärenz, die Sicherheit des Systems und das Kosten-Nutzenverhältnis, in dem Wissen, daß die Interoperabilität eigentlich eine langfristige Zielsetzung darstellt; - sozialen Komponente im Sinne einer stärkeren Beteiligung der Sozialpartner bei der Festlegung des Systems sowie im Ausbildungsbereich; - stärkeren Berücksichtigung der Verkehrsnutzerinteressen. Gerade auch dieser letztgenannte Aspekt bedingt eine grössere Interoperabilität der betrieblichen Praktiken der Eisenbahnunternehmen auf sämtlichen Ebenen, was im Richtlinienvorschlag zwar angesprochen, aber nicht näher ausgeführt wird. Unter diesen Voraussetzungen könnte die Richtlinie über die Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes - im Verbund mit einer entsprechenden Interoperabilität des traditionellen Eisenbahnnetzes und der Kombiverkehrssysteme - zu einem Schlüsselelement der transeuropäischen Netze werden. Geschehen zu Brüssel am 23. November 1994. Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses Carlos FERRER () ABl. Nr. C 134 vom 17. 5. 1994, S. 6. () Entschließung des Rates vom 17. 12. 1990, ABl. Nr. C 33 vom 8. 2. 1991, S. 1. () ABl. Nr. L 297 vom 29. 10. 1990. () ABl. Nr. L 199 vom 9. 8. 1993. () ABl. Nr. L 237 vom 24. 8. 1991. () ABl. Nr. 220 vom 30. 8. 1993.