22.11.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 415/16


VERORDNUNG (EU) 2021/2030 DER KOMMISSION

vom 19. November 2021

zur Änderung von Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) hinsichtlich N,N-Dimethylformamid

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (1), insbesondere auf Artikel 68 Absatz 1,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

N,N–Dimethylformamid ist ein aprotisches mittelpolares organisches Lösungsmittel, das gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) als reproduktionstoxisch der Kategorie 1B, akut toxisch der Kategorie 4 (inhalative oder dermale Exposition) und augenreizend der Kategorie 2 eingestuft ist. N,N–Dimethylformamid ist ein Stoff mit hohem Produktionsvolumen, der in vielen industriellen Bereichen und gewerblichen Tätigkeiten in ganz Europa eingesetzt wird.

(2)

Am 5. Oktober 2018 legte Italien (im Folgenden „übermittelndes Land“) der Europäischen Chemikalienagentur (im Folgenden „Agentur“) ein Dossier (3) gemäß Artikel 69 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (im Folgenden „Dossier nach Anhang XV“) vor, um das in den Artikeln 69 bis 73 der genannten Verordnung vorgesehene Beschränkungsverfahren einzuleiten. In dem Dossier nach Anhang XV wurde die Notwendigkeit von Maßnahmen auf Unionsebene nachgewiesen und vorgeschlagen, die industrielle und gewerbliche Verwendung sowie das Inverkehrbringen von N,N–Dimethylformamid als Stoff oder in Gemischen zu beschränken.

(3)

Das übermittelnde Land stützte seine Bewertung der Gefahren von N,N–Dimethylformamid auf die systemischen Wirkungen des Stoffes in Bezug auf mehrere Endpunkte. Dies führte jeweils zu einem DNEL-Wert (abgeleitete Expositionshöhe ohne Beeinträchtigung, derived no-effect level) bei inhalativer bzw. dermaler Langzeit-Exposition auf der Grundlage von Tierversuchsdaten zu verringertem Körpergewicht, Veränderungen der klinischen Chemie und Leberschäden.

(4)

Am 20. September 2019 verabschiedete der Ausschuss für Risikobeurteilung (im Folgenden „RAC“) der Agentur seine Stellungnahme (4), in der er zu dem Schluss kam, dass die vorgeschlagene Beschränkung mit den Änderungen durch den RAC die am besten geeignete unionsweite Maßnahme sei, um den ermittelten Risiken einer Exposition gegenüber N,N–Dimethylformamid zu begegnen, und zwar sowohl hinsichtlich der Wirksamkeit bei der Risikoreduktion als auch hinsichtlich der Durchführbarkeit und der Überwachbarkeit.

(5)

Da in der Bewertung des übermittelnden Landes mehrere beitragende Szenarien für N,N–Dimethylformamid enthaltende Stoffe in niedrigen Konzentrationen berücksichtigt sind, schlug der RAC vor, den Wortlaut des Geltungsbereichs zu präzisieren und das bloße Vorhandensein des Stoffes, unabhängig davon, ob N,N–Dimethylformamid ein Bestandteil, ein Hauptbestandteil, eine Verunreinigung oder ein Stabilisator ist, darin aufzunehmen.

(6)

Auf der Grundlage der Wirkungen auf die Leber von Tieren schlug das übermittelnde Land einen DNEL-Wert von 3,2 mg/m3 für die inhalative Langzeit-Exposition vor. Der RAC empfahl jedoch auf der Grundlage einer Kombination von Human- und Tierdaten für die inhalative Langzeit-Exposition einen DNEL von 6 mg/m3, in dem die Leber- bzw. die Entwicklungstoxizität berücksichtigt ist.

(7)

Für den DNEL-Wert bei dermaler Langzeit-Exposition empfahl der RAC, den DNEL eher auf eine dermale Studie zu gründen, anstatt, wie vom übermittelnden Land vorgeschlagen, eine Extrapolation von einem Applikationsweg auf einen anderen ausgehend von einer 28tägigen Studie zur oralen Exposition vorzunehmen. Der RAC schlug daher vor, den Wert von 1,1 mg/kg/Tag als DNEL-Wert für dermale Langzeit-Exposition zu verwenden.

(8)

Am 5. Dezember 2019 verabschiedete der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (im Folgenden „SEAC“) der Agentur seine Stellungnahme (5), in der er zu dem Schluss gelangte, dass die vorgeschlagene Beschränkung mit den Änderungen des RAC unter dem Aspekt ihres sozioökonomischen Nutzens und der Kosten unionsweit die am besten geeignete Maßnahme zur Verringerung der gesundheitlichen Gefährdung von Arbeitnehmern durch N,N–Dimethylformamid ist. Der SEAC empfahl im Einklang mit dem Dossier nach Anhang XV, die Anwendung der Beschränkung für alle Sektoren um 24 Monate zu verschieben, um den Interessenträgern ausreichend Zeit für die vollständige Umsetzung der Beschränkungsanforderungen einzuräumen.

(9)

Das Forum für den Austausch von Informationen zur Durchsetzung wurde zu der vorgeschlagenen Beschränkung konsultiert und seine Empfehlungen wurden berücksichtigt.

(10)

Am 1. April 2020 übermittelte die Agentur die Stellungnahmen des RAC und des SEAC an die Kommission. In den genannten Stellungnahmen wurde bestätigt, dass das Risiko für die Gesundheit von Arbeitnehmern an Arbeitsplätzen aller Art bei der Herstellung und Verwendung von N,N–Dimethylformamid nicht angemessen beherrscht wird.

(11)

Unter Berücksichtigung des Dossiers nach Anhang XV und der Stellungnahmen des RAC und des SEAC ist die Kommission der Auffassung, dass von einer Exposition gegenüber N,N–Dimethylformamid oberhalb spezifischer DNEL-Werte ein unannehmbares Risiko für Arbeitnehmer ausgeht und dass die vorgeschlagene Beschränkung, mit der ein DNEL-Wert sowohl für die inhalative als auch für die dermale Exposition von Arbeitnehmern gegenüber N,N–Dimethylformamid festgelegt wird, die unionsweit am besten geeignete Maßnahme zur Eindämmung dieses Risikos ist.

(12)

Die Kommission hält die vorgeschlagene Beschränkung in der vom RAC und dem SEAC geänderten Form aus folgenden Gründen für angemessen: Das Gesamtrisikoverhältnis basiert auf quantifizierten DNEL-Werten für die Exposition gegenüber N,N–Dimethylformamid durch Inhalation und über die Haut; eine Harmonisierung des Stoffsicherheitsberichts innerhalb der Registrierungsdossiers durch einheitliche DNEL-Werte ist nur im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 möglich; die Sicherheitsdatenblätter werden diese DNEL-Werte in den entsprechenden Abschnitten enthalten.

(13)

Den Interessenträgern sollte ausreichend Zeit eingeräumt werden, um sich auf die vorgeschlagene Beschränkung einzustellen; insbesondere sollten nachgeschaltete Anwender über denselben Zeitraum verfügen wie Hersteller und Importeure, um geeignete Risikomanagementmaßnahmen umzusetzen und Verwendungsbedingungen herzustellen, um sicherzustellen, dass die Exposition der Arbeitnehmer gegenüber N,N–Dimethylformamid unter den DNEL-Werten liegt. Die Kommission ist daher im Einklang mit dem Dossier nach Anhang XV und der Stellungnahme des SEAC der Auffassung, dass die Anwendung der Beschränkung um 24 Monate verschoben werden sollte.

(14)

Es wird davon ausgegangen, dass die Sektoren, die Beschichtungen und Membranen aus Polyurethan oder synthetische Fasern herstellen, mehr Zeit bis zur Einhaltung der DNEL-Werte für die Exposition von Arbeitnehmern gegenüber N,N–Dimethylformamid benötigen. Daher werden längere Übergangszeiträume für die betreffenden Sektoren vorgeschlagen, nämlich 36 Monate für die Polyurethanbeschichtungen und -membranen herstellenden Sektoren, in denen N,N–Dimethylformamid als Lösungsmittel für die Beschichtung von Textilien oder Papiermaterialien im direkten oder im Transferverfahren oder für die Produktion von Polyurethanmembranen verwendet wird, und 48 Monate für Hersteller synthetischer Fasern, die N,N–Dimethylformamid als Lösungsmittel zum Trocken- oder Nassspinnen synthetischer Fasern verwenden.

(15)

Die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 sollte daher entsprechend geändert werden.

(16)

Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des gemäß Artikel 133 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 eingesetzten Ausschusses —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 wird gemäß dem Anhang der vorliegenden Verordnung geändert.

Artikel 2

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 19. November 2021

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)   ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1).

(3)  https://echa.europa.eu/documents/10162/d3feb838-3c17-bcf9-db88-92b83f5a43fc

(4)  https://echa.europa.eu/documents/10162/44ad5cd9-1143-0072-0550-5860846ffbb4

(5)  https://echa.europa.eu/documents/10162/b6644298-54a4-052a-9bbc-6824966d151e (kompilierte Fassung der endgültigen Stellungnahmen des RAC und des SEAC).


ANHANG

In Anhang XVII der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 wird folgender Eintrag hinzugefügt:

„76.

N,N-Dimethylformamid

CAS-Nr. 68-12-2

EG-Nr. 200-679-5

1.

Darf nach dem 12. Dezember 2023 nicht als Stoff, als Bestandteil anderer Stoffe oder in Gemischen in Konzentrationen von ≥ 0,3 % in Verkehr gebracht werden, es sei denn, die Hersteller, Importeure und nachgeschalteten Anwender haben DNEL-Werte für die Exposition von Arbeitnehmern von 6 mg/m3 bei Inhalation und von 1,1 mg/kg/Tag bei Aufnahme über die Haut in die einschlägigen Stoffsicherheitsberichte und Sicherheitsdatenblätter aufgenommen.

2.

Darf nach dem 12. Dezember 2023 nicht als Stoff, als Bestandteil anderer Stoffe oder in Gemischen in Konzentrationen von ≥ 0,3 % hergestellt oder verwendet werden, es sei denn, die Hersteller und nachgeschalteten Anwender treffen geeignete Risikomanagementmaßnahmen und sorgen für angemessene Verwendungsbedingungen, die gewährleisten, dass die Exposition von Arbeitnehmern unter den in Absatz 1 angegebenen DNEL-Werten liegt.

3.

Abweichend von den Absätzen 1 und 2 gelten die darin festgelegten Verpflichtungen für das Inverkehrbringen zur Verwendung oder für die Verwendung als Lösungsmittel für das Beschichten von Textilien und Papiermaterialien mit Polyurethan im direkten oder im Transferverfahren oder für die Herstellung von Polyurethanmembranen ab dem 12. Dezember 2024 und für das Inverkehrbringen zur Verwendung oder für die Verwendung als Lösungsmittel für das Trocken- und Nassspinnen synthetischer Fasern ab dem 12. Dezember 2025.“