8.9.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 317/1


DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2021/1456 DER KOMMISSION

vom 2. Juni 2021

zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates mittels Festlegung der Voraussetzungen, unter denen die handelsüblichen Bedingungen von Clearingdiensten für OTC-Derivate als fair, angemessen, diskriminierungsfrei und transparent anzusehen sind

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (1), insbesondere auf Artikel 4 Absatz 3a Unterabsatz 3,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 wurde durch die Verordnung (EU) 2019/834 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) geändert. Mit diesen Änderungen wurde unter anderem für Clearingmitglieder und Clearingkunden, die unmittelbar oder mittelbar Clearingdienste erbringen (im Folgenden „Clearingdienstleister“), die Pflicht eingeführt, diese Dienste zu fairen, angemessenen, diskriminierungsfreien und transparenten handelsüblichen Bedingungen zu erbringen. Um für Clearingdienstleister und deren potenzielle oder bestehende Kunden Rechtssicherheit zu schaffen, ist es erforderlich, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen handelsübliche Bedingungen als fair, angemessen, diskriminierungsfrei und transparent anzusehen sind.

(2)

Unter Berücksichtigung dessen, dass das Ziel von Artikel 4 Absatz 3a der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 darin besteht, Kunden, deren Tätigkeitsvolumen auf dem Markt für OTC-Derivate begrenzt ist und die Schwierigkeiten beim Zugang zum zentralen Clearing haben, den Zugang zum Clearing zu erleichtern, und in Anbetracht der Wichtigkeit dessen, dass der Clearingpflicht unterliegende Gegenparteien Zugang zum zentralen Clearing haben, sollte diese Verordnung für die Erbringung von Clearingdiensten in Bezug auf OTC-Derivatekontrakte gelten, die nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 der Clearingpflicht unterliegen. Um gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass Kunden in der Union von fairen, angemessenen, diskriminierungsfreien und transparenten handelsüblichen Bedingungen profitieren, sollte diese Verordnung Anwendung finden, wenn diese Clearingdienste in der Union erbracht werden.

(3)

Zur Gewährleistung von Transparenz sollten Clearingdienstleister in ihren Websites den Vorgang, dessen Endpunkt die Vereinbarung von Vertragsbedingungen und die Festlegung betrieblicher Prozesse für Clearingdienste ist (im Folgenden „Onboarding-Prozess“) beschreiben und dort ein Formblatt für Angebotsanfragen bereitstellen. Aus dem gleichen Grund sollten sämtliche Clearingdienstleister potenziellen Kunden gegenüber wichtige handelsübliche Bedingungen offenlegen.

(4)

Clearingdienstleister sollten zwar einerseits die mit der Erbringung von Clearingdiensten verbundenen Risiken kontrollieren können, andererseits aber sollte eine harmonisierte Risikobewertung potenzieller und bestehender Kunden sicherstellen, dass handelsübliche Bedingungen unter Berücksichtigung der Kosten und Risiken fair und diskriminierungsfrei sind. Einige Clearingdienstleister unterliegen bereits der Pflicht, das von Kunden ausgehende Risiko nach den in Artikel 25 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/589 der Kommission (3) festgelegten Kriterien zu beurteilen. Um eine harmonisierte Risikobewertung von Kunden sicherzustellen, zugleich aber den Regelungsaufwand für Clearingdienstleister zu verringern und doppelte oder kollidierende Vorschriften zu vermeiden, sollten sämtliche Clearingdienstleister die Kunden auf der Grundlage der Kriterien bewerten, die in Artikel 25 der genannten Delegierten Verordnung festgelegt sind.

(5)

Um sicherzustellen, dass handelsübliche Bedingungen angemessen sind und um neutrale, rationale vertragliche Vereinbarungen zu gewährleisten, sollten Entgelte, Preise und Abschläge auf objektiven Kriterien, einschließlich der geclearten Volumen, Clearingmuster und Bedürfnisse und Anforderungen eines Kunden, beruhen. Um unausgewogene Preisbildungsstrukturen und Interessenskonflikte zu vermeiden, sollten Entgelte, Preise und Abschläge sorgfältig gestaltet sein. Bei den Kosten für die Berechnung von Entgelten gegenüber dem Kunden sollte zwischen Kosten, die mit der Erbringung von Clearingdiensten für den betroffenen Kunden unmittelbar zusammenhängen, und Kosten, die allgemein mit der Erbringung von Clearingdiensten zusammenhängen, deutlich unterschieden werden und diese sollten einzeln nach Posten, einschließlich IT-Kosten, Lizenzkosten und Kosten für die Sicherheitenverwaltung, aufgeschlüsselt werden.

(6)

In den Vertragsbedingungen sollten die Bedingungen und Kriterien für die Annahme von durch Kunden zum Clearing eingereichten Transaktionen und für das Recht des Clearingdienstleisters, Clearingdienste auszusetzen sowie Kundenpositionen zu liquidieren oder glattzustellen, im Einzelnen festgelegt werden. Eine Abweichung von diesen Bedingungen und Kriterien sollte möglich sein, wenn sie angemessen und ordnungsgemäß begründet ist, etwa um die mit der Erbringung von Clearingdienstleistungen verbundenen Risiken zu kontrollieren.

(7)

Zur Sicherstellung der Vorhersagbarkeit und Kontinuität von Clearingdiensten sollten Clearingdienstleister auf die Kündigung von Verträgen oder Änderungen mit wesentlichen Auswirkungen auf die vereinbarten allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Kündigungsfrist von mindestens sechs Monaten anwenden. Eine kürzere Kündigungsfrist sollte möglich sein, wenn sie angemessen und ordnungsgemäß begründet ist, etwa um die mit der Erbringung von Clearingdienstleistungen verbundenen Risiken zu kontrollieren.

(8)

Sowohl künftige als auch bestehende Kunden sollten von fairen, angemessenen, diskriminierungsfreien und transparenten handelsüblichen Bedingungen profitieren. Während die neuen Bedingungen künftigen Kunden ab Geltungsbeginn dieser Verordnung zugutekommen, sollte Clearingdienstleistern und bestehenden Kunden hinreichend Zeit eingeräumt werden, damit sie die vereinbarten handelsüblichen Bedingungen vor Inkrafttreten dieser Verordnung überprüfen und gegebenenfalls anpassen können.

(9)

Artikel 4 Absatz 3a der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 ist bereits in Kraft getreten und findet ab dem 18. Juni 2021 Anwendung. Um hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen handelsübliche Bedingungen als fair, angemessen, diskriminierungsfrei und transparent anzusehen sind, Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollte die vorliegende Verordnung unverzüglich in Kraft treten. Um Clearingdienstleistern genügend Zeit zur Vorbereitung auf die Anwendung der vorliegenden Verordnung einzuräumen, sollte ihre Anwendung jedoch aufgeschoben werden —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Geltungsbereich

Diese Verordnung gilt für Clearingmitglieder und Kunden, die in der Union direkt oder indirekt Clearingdienste erbringen (im Folgenden „Clearingdienstleister“), wenn diese Dienste in Bezug auf OTC-Derivatekontrakte erbracht werden, die nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 der Clearingpflicht unterliegen.

Artikel 2

Faire, angemessene, diskriminierungsfreie und transparente handelsübliche Bedingungen

Die handelsüblichen Bedingungen für Clearingdienste, die von Clearingdienstleistern erbracht werden, sind als fair, angemessen, diskriminierungsfrei und transparent anzusehen, wenn sie die im Anhang festgelegten Anforderungen erfüllen.

Artikel 3

Übergangsbestimmung

Vor dem 9. September 2021 vereinbarte handelsübliche Bedingungen für Clearingdienste werden überprüft und gegebenenfalls zur Erfüllung der im Anhang festgelegten Anforderungen bis zum 9. September 2022 geändert.

Artikel 4

Inkrafttreten und Geltungsbeginn

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Sie gilt ab dem 9. März 2022.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 2. Juni 2021

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 1.

(2)  Verordnung (EU) 2019/834 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 in Bezug auf die Clearingpflicht, die Aussetzung der Clearingpflicht, die Meldepflichten, die Risikominderungstechniken für nicht durch eine zentrale Gegenpartei geclearte OTC-Derivatekontrakte, die Registrierung und Beaufsichtigung von Transaktionsregistern und die Anforderungen an Transaktionsregister (ABl. L 141 vom 28.5.2019, S. 42).

(3)  Delegierte Verordnung (EU) 2017/589 der Kommission vom 19. Juli 2016 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards zur Festlegung der organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen, die algorithmischen Handel betreiben (ABl. L 87 vom 31.3.2017, S. 417).


ANHANG

1.   Transparenz des Onboarding-Prozesses

1.1.

Der Clearingdienstleister veröffentlicht auf seiner Website eine Beschreibung des Vorgangs, dessen Endpunkt die Vereinbarung von Vertragsbedingungen und die Festlegung betrieblicher Prozesse für Clearingdienste ist (im Folgenden „Onboarding-Prozess“). Die Beschreibung schließt Folgendes ein:

a)

die verschiedenen Schritte dieses Vorgangs;

b)

den für das Vollenden der verschiedenen Schritte dieses Vorgangs veranschlagten Zeitplan;

c)

ein Formblatt zur Einholung eines Angebots des Clearingdienstleisters zur Aufnahme als Kunde („Angebotsanfrage-Formblatt“) gemäß Ziffer 2;

d)

die wesentlichen Unterlagen, die der potenzielle Kunde dem Clearingdienstleister zusammen der Angebotsanfrage vorlegen muss.

1.2.

Potenzielle Kunden können wählen, ob sie das in Ziffer 2 beschriebene Angebotsanfrage-Formblatt oder ein beliebiges anderes Formblatt für Angebotsanfragen verwenden wollen.

1.3.

Entscheidet ein Clearingdienstleister, auf die Angebotsanfrage hin kein Angebot abzugeben, informiert er den potenziellen Kunden unverzüglich darüber.

2.   Angebotsanfrage-Formblatt

2.1.

Das Angebotsanfrage-Formblatt umfasst:

a)

Angaben zum potenziellen Kunden:

i)

rechtlicher Name;

ii)

Rechtsträgerkennung (Legal Entity Identifier, im Folgenden „LEI“);

iii)

ob es sich bei dem potenziellen Kunden um eine finanzielle oder nichtfinanzielle Gegenpartei handelt und diese der Clearingpflicht nach Artikel 4a Buchstabe a oder 10 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 unterliegt;

iv)

Tätigkeitssektor;

b)

Informationen über die Unterlagen, die der potenzielle Kunde dem Clearingdienstleister im Rahmen des Onboarding-Prozesses zu übermitteln hat;

c)

Informationen über die betroffenen OTC-Derivatekontrakte einschließlich der Angabe, ob diese Kontrakte der Clearingpflicht nach Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 unterliegen;

d)

Informationen oder Unterlagen, die der potenzielle Kunde dem Clearingdienstleister vorzulegen hat, damit dieser in die Lage versetzt wird, ein auf umfassende Informationen gestütztes, ausführliches Angebot zu folgenden Einzelheiten zu machen:

i)

Umfang eines Clearingdienstes im Hinblick auf OTC-Derivatekontrakte;

ii)

Entgelte, Kosten und Abschläge;

iii)

das Ergebnis der in Artikel 25 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/589 genannten Beurteilung;

iv)

die allgemeinen Vertragsbedingungen;

v)

die akzeptierten Sicherheiten;

vi)

die geltenden Sicherheitsabschläge;

vii)

die Kriterien für die Annahme von Aufträgen;

viii)

die Bedingungen für Aussetzung von Clearingdiensten bzw. die Liquidation oder Glattstellung von Positionen;

ix)

die Bedingungen für die Kündigung der Vereinbarung über die Erbringung von Clearingdiensten;

x)

IT-Anforderungen.

3.   Offenlegung handelsüblicher Bedingungen

3.1.

Angebote, die ein Clearingdienstleister in Beantwortung einer vollständigen Angebotsanfrage unterbreitet, sind klar und strukturiert gestaltet und enthalten die folgenden Angaben:

a)

die in den folgenden Bestimmungen genannten Informationen:

i)

Artikel 38 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012;

ii)

Artikel 39 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012;

b)

die Geschäftsbedingungen, unter denen der Clearingdienstleister seine Clearingdienste anbietet, unter Einschluss von Geschäftsbedingungen, die speziell für den potenziellen Kunden vorgesehen sind;

c)

die akzeptierten Sicherheiten;

d)

die geltenden Sicherheitsabschläge;

e)

die Kriterien für die Annahme von Aufträgen;

f)

die Bedingungen für Aussetzung von Clearingdiensten bzw. die Liquidation oder Glattstellung von Positionen;

g)

die Bedingungen für die Kündigung der Vereinbarung über die Erbringung von Clearingdiensten;

h)

geltende IT-Lösungen und Anforderungen an die IT.

4.   Beurteilung im Rahmen der Risikokontrolle

4.1.

Der Clearingdienstleister nimmt nach Artikel 25 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/589 eine Beurteilung des potenziellen oder bestehenden Kunden vor.

4.2.

Der Clearingdienstleister informiert den potenziellen oder bestehenden Kunden über das Ergebnis der in Nummer 4.1 genannten Beurteilung.

Bei einem negativen Beurteilungsergebnis informiert der Clearingdienstleister den potenziellen oder bestehenden Kunden auf Anfrage über die Hauptgründe für die negative Beurteilung und die Kriterien in Artikel 25 Absatz 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/589, die nicht erfüllt wurden.

5.   Handelsübliche Bedingungen

5.1.

Die handelsüblichen Bedingungen für die Erbringung von Clearingdiensten zwischen dem Clearingdienstleister und dem Kunden werden schriftlich niedergelegt, sind klar und vollständig und decken alle wesentlichen Geschäftsbedingungen für die Erbringung der Clearingdienste ab.

6.   Entgelte und weiterbelastete Kosten

6.1.

Entgelte, Preise und Abschläge sind transparent und beruhen auf objektiven Kriterien.

6.2.

Die handelsüblichen Bedingungen enthalten Informationen über die dem Kunden berechneten Entgelte, mit denen Kosten weiterbelastet werden, die mit der Erbringung von Clearingdiensten verbunden sind (im Folgenden „weiterbelastete Kosten“).

6.3.

Sämtliche zwischen dem Clearingdienstleister und dem Kunden vereinbarten Entgelte, Preise, Abschläge und weiterbelasteten Kosten werden in den handelsüblichen Bedingungen genau festgelegt.

7.   Ablehnung von Clearingaufträgen, Aussetzung, Liquidierung oder Glattstellung von Kundenpositionen sowie Kündigungsfristen

7.1.

Der Clearingdienstleister darf das Ersuchen des Kunden um Clearing eines OTC-Derivatekontrakts (im Folgenden „Clearingauftrag“), das die Bedingungen und Kriterien für die Annahme solcher Aufträge erfüllt, nur dann ablehnen, wenn diese Ablehnung angemessen und ordnungsgemäß begründet ist; in diesem Fall übermittelt der Clearingdienstleister dem Kunden auf Anfrage schriftlich die Gründe für die Ablehnung.

7.2.

Der Clearingdienstleister kann Clearingdienste nur dann aussetzen oder Positionen des Kunden liquidieren oder glattstellen, wenn die vereinbarten Bedingungen und Kriterien für diese Aussetzung, Liquidierung oder Glattstellung erfüllt sind; dies gilt nicht, wenn eine solche Aussetzung, Liquidierung oder Glattstellung angemessen und ordnungsgemäß begründet ist; in diesem Fall übermittelt der Clearingdienstleister dem Kunden auf Anfrage die Gründe hierfür in schriftlicher Form.

7.3.

Sofern keine kürzere Kündigungsfrist angemessen und ordnungsgemäß begründet ist, wird der Kunde mindestens sechs Monate im Voraus von Folgendem in Kenntnis gesetzt:

a)

die Kündigung der Vereinbarung über die Erbringung von Clearingdiensten;

b)

jegliche wesentliche Änderung der Geschäftsbedingungen, nach denen der Clearingdienst erbracht wird.