26.8.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/183


EMPFEHLUNG DES RATES

vom 20. Juli 2020

zum nationalen Reformprogramm des Vereinigten Königreichs 2020 mit einer Stellungnahme des Rates zum Konvergenzprogramm des Vereinigten Königreichs 2020

(2020/C 282/28)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (1), insbesondere auf Artikel 9 Absatz 2,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte (2), insbesondere auf Artikel 6 Absatz 1,

auf Empfehlung der Europäischen Kommission,

unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments,

unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission die Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum an, mit der das Europäische Semester für die wirtschaftspolitische Koordinierung 2020 eingeleitet wurde. Dabei wurde der am 17. November 2017 vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte gebührend Rechnung getragen. Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 auch den Warnmechanismus-Bericht an, in dem das Vereinigte Königreich als einer der Mitgliedstaaten genannt wurde, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei.

(2)

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union am 31. Januar 2020 und dem Inkrafttreten des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (3) (im Folgenden „Austrittsabkommen“) begann für das Vereinigte Königreich ein Übergangszeitraum, der am 31. Dezember 2020 endet. Dieser Übergangszeitraum kann durch einen vor dem 1. Juli 2020 erlassenen einzigen Beschluss der Union und des Vereinigten Königreichs im Rahmen des im Austrittsabkommen vorgesehenen Gemeinsamen Ausschusses um höchstens 1 oder 2 Jahre verlängert werden. Während dieses Übergangszeitraums gilt das EU-Recht, einschließlich der Rechtsvorschriften in Bezug auf das Europäische Semester, weiterhin für das und im Vereinigten Königreich.

(3)

Der Länderbericht des Vereinigten Königreichs 2020 wurde am 26. Februar 2020 veröffentlicht. Darin werden die Fortschritte des Vereinigten Königreichs bei der weiteren Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Rates vom 9. Juli 2019 (4) (im Folgenden „länderspezifische Empfehlungen 2019“), bei der weiteren Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen der Vorjahre und bei der Verwirklichung seiner nationalen Ziele im Rahmen der Strategie Europa 2020 bewertet.

(4)

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den COVID-19-Ausbruch offiziell zur weltweiten Pandemie. Diese stellt eine öffentliche Gesundheitskrise mit weitreichenden Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Gesellschaften und Volkswirtschaften dar. Sie setzt die nationalen Gesundheitssysteme unter erheblichen Druck, unterbricht globale Lieferketten, verursacht Volatilität an den Finanzmärkten, löst Schocks bei der Verbrauchernachfrage aus und zieht eine Vielzahl von Branchen in Mitleidenschaft. Sie bedroht Arbeitsplätze und Einkommen der Menschen sowie die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Die Folgen des durch sie verursachten schweren wirtschaftlichen Schocks sind in der Union bereits stark spürbar. Am 13. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung angenommen, in der zu einer koordinierten wirtschaftlichen Reaktion auf die Krise unter Einbeziehung aller Akteure auf nationaler und auf Unionsebene aufgerufen wird.

(5)

Mehrere Mitgliedstaaten haben den Notstand ausgerufen oder Notmaßnahmen eingeführt. Alle Notmaßnahmen sollten unbedingt verhältnismäßig, notwendig und zeitlich begrenzt sein und europäischen wie internationalen Standards entsprechen. Sie sollten demokratischer Kontrolle und einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen.

(6)

Am 20. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung über die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts angenommen. Die in Artikel 5 Absatz 1, Artikel 6 Absatz 3, Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 sowie in Artikel 3 Absatz 5 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates (5) aufgestellte allgemeine Ausweichklausel erleichtert die Koordinierung der Haushaltspolitik in Zeiten eines schweren Konjunkturabschwungs. In ihrer Mitteilung vom 20. März 2020 vertrat die Kommission die Auffassung, dass die Bedingungen für die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel angesichts des schweren Konjunkturabschwungs, der infolge der COVID-19-Pandemie zu erwarten ist, ihrer Auffassung nach erfüllt seien, und ersuchte den Rat, diese Schlussfolgerung zu billigen. Am 23. März 2020 schlossen sich die Finanzminister der Mitgliedstaaten dieser Einschätzung der Kommission an. Sie kamen überein, dass der schwere Konjunkturabschwung eine entschlossene, ehrgeizige und koordinierte Reaktion erfordert. Die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel ermöglicht eine vorübergehende Abweichung vom Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel, vorausgesetzt die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wird dadurch nicht gefährdet. Für die korrektive Komponente kann der Rat auf Empfehlung der Kommission zudem beschließen, einen überarbeiteten haushaltspolitischen Kurs festzulegen. Die Verfahren des Stabilitäts- und Wachstumspakts werden durch die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel nicht ausgesetzt. Sie ermöglicht den Mitgliedstaaten, von den normalerweise geltenden Haushaltsverpflichtungen abzuweichen, und versetzt gleichzeitig Kommission und Rat in die Lage, im Rahmen des Pakts die nötigen politischen Koordinierungsmaßnahmen zu treffen.

(7)

Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie einzudämmen und zu kontrollieren, die Widerstandsfähigkeit der nationalen Gesundheitssysteme zu stärken, die sozioökonomischen Folgen der Pandemie durch Unterstützung von Unternehmen und Haushalten abzumildern und mit dem Ziel der Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit für angemessenen Gesundheitsschutz und angemessene Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Die Union sollte die verschiedenen ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in vollem Umfang nutzen, um die Bemühungen der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen zu unterstützen. Parallel dazu sollten die Mitgliedstaaten und die Union gemeinsam die Maßnahmen erarbeiten, die für eine Rückkehr zu einem normalen Funktionieren unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften und zu nachhaltigem Wachstum nötig sind, wobei unter anderem auch dem ökologischen und dem digitalen Wandel Rechnung getragen und Lehren aus der Krise gezogen werden sollten.

(8)

Die COVID-19-Krise hat deutlich gemacht, wie flexibel der Binnenmarkt auf Ausnahmesituationen reagieren kann. Damit rasch und reibungslos die Erholungsphase eingeleitet und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wiederhergestellt werden können, sollten jedoch außergewöhnliche Maßnahmen, die das normale Funktionieren des Binnenmarkts verhindern, aufgehoben werden, sobald sie nicht mehr unerlässlich sind. Die aktuelle Krise hat gezeigt, dass im Gesundheitssektor Krisenvorsorgepläne benötigt werden. Bessere Beschaffungsstrategien, diversifizierte Lieferketten und strategische Reserven an wesentlichen Gütern stellen zentrale Elemente für die Erarbeitung umfassenderer Krisenvorsorgepläne dar.

(9)

Einzelne Regionen des Vereinigten Königreichs sind aufgrund unterschiedlicher Spezialisierungsmuster wahrscheinlich in ungleichem Maße von den sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen. Dies birgt das erhebliche Risiko, dass sich das bestehende regionale Gefälle im Vereinigten Königreich weiter verstärkt. Die derzeitige Lage macht gezielte politische Maßnahmen erforderlich.

(10)

Das Vereinigte Königreich hat sein nationales Reformprogramm 2020 am 30. April 2020 und sein Konvergenzprogramm 2020 am 7. Mai 2020 vorgelegt. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

(11)

Das Vereinigte Königreich unterliegt derzeit der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie der Schuldenregel. Am 13. Juli 2018 empfahl der Rat dem Vereinigten Königreich sicherzustellen, dass die nominale Wachstumsrate der gesamtstaatlichen Nettoprimärausgaben (6) im Zeitraum 2019–2020 1,6 % nicht überschreitet, was einer jährlichen strukturellen Anpassung von 0,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Die Gesamtbewertung der Kommission bestätigt, dass für den Zeitraum 2019–2020 sowie für die Zeiträume 2018–2019 und 2019–2020 zusammengenommen die Gefahr einer erheblichen Abweichung vom empfohlenen Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel besteht. Die Ist-Daten für 2019–2020 liegen im Herbst 2020 vor.

(12)

In ihrem Konvergenzprogramm 2019–2020 geht die Regierung von einer Verschlechterung des Gesamtsaldos, d. h. einem Defizit von 2,2 % des BIP aus, während im Zeitraum 2020-2021 ein Defizit von 2,5 % des BIP erwartet wird. Das Defizit wird voraussichtlich im Zeitraum 2021–2022 auf 3,1 % des BIP 2021 steigen und im Zeitraum 2024–2025 auf 2,4 % des BIP zurückgehen. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird — dem Konvergenzprogramm 2020 zufolge — nach einem geschätzten Rückgang auf 83,2 % des BIP im Zeitraum 2019–2020 voraussichtlich weiter auf 82,9 % im Zeitraum 2020–2021 zurückgehen. Das diesen Haushaltsprojektionen zugrunde liegende makroökonomische Szenario scheint allerdings nicht mehr realistisch, da es den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie nicht Rechnung trägt. Zudem tragen die Projektionen in dem Programm nicht den Maßnahmen Rechnung, die das Vereinigte Königreich als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie angekündigt hat. Die Aussichten für die Gesamtwirtschaft und den Haushalt sind wegen der COVID-19-Pandemie mit großer Unsicherheit behaftet.

(13)

In Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hat das Vereinigte Königreich rechtzeitig haushaltspolitische Maßnahmen beschlossenen, um die Kapazität seines Gesundheitssystems zu erhöhen, die Pandemie einzudämmen und die besonders betroffenen Menschen und Wirtschaftszweige zu unterstützen. In den Projektionen im Konvergenzprogramm sind diese Maßnahmen nicht berücksichtigt, die Frühjahrsprognose 2020 der Kommission trägt ihnen jedoch Rechnung. Die haushaltspolitischen Maßnahmen belaufen sich auf rund 5,5 % des BIP und umfassen die Unterstützung von Arbeitnehmern, Selbstständigen und Unternehmen sowie Sozialmaßnahmen. Zusätzlich dazu hat das Vereinigte Königreich Maßnahmen angekündigt, die sich zwar nicht unmittelbar auf den Haushalt auswirken, aber zur Verbesserung der Liquidität von Unternehmen beitragen werden. Diese Maßnahmen umfassen Darlehensgarantien (rund 16 % des BIP). Werden die Notmaßnahmen und unterstützenden finanzpolitischen Maßnahmen vollständig umgesetzt und die Haushaltspolitik danach, sobald die wirtschaftlichen Bedingungen es zulassen, erneut auf die mittelfristige Erreichung einer vorsichtigen Haushaltslage ausgerichtet, so wird das mittelfristig zur Erhaltung tragfähiger öffentlicher Finanzen beitragen.

(14)

Nach der Frühjahrsprognose 2020 der Kommission wird sich voraussichtlich der gesamtstaatliche Haushaltssaldo des Vereinigten Königreichs unter der Annahme einer unveränderten Politik 2020-2021 auf -10,7 % des BIP und 2021-2022 auf -6,2 % des BIP belaufen. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird den Projektionen zufolge 2020-2021 bei 102,5 % des BIP und 2022 bei 100,2 % des BIP liegen. Das dem Konvergenzprogramm zugrunde liegende makroökonomische Szenario trägt den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie nicht Rechnung, und die Schulden- und Defizitprojektionen weichen erheblich von denen der Kommission ab.

(15)

Angesichts der für 2020-2021 geplanten Überschreitung der Defizitobergrenze von 3 % des BIP durch das Vereinigte Königreich hat die Kommission am 20. Mai 2020 einen Bericht nach Artikel 126 Absatz 3 des Vertrags veröffentlicht. Die Analyse der Kommission legt insgesamt nahe, dass das im Vertrag und in der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 festgelegte Defizitkriterium nicht erfüllt wurde.

(16)

Die derzeitige COVID-19-Krise hat wirtschafts- und sozialpolitische Herausforderungen hervorgebracht, wie es sie in den vergangenen Jahrzehnten nie gegeben hatte. Die Arbeitslosigkeit dürfte 2020 um knapp 3 Prozentpunkte auf 6,7 % ansteigen und 2021 leicht auf 6 % zurückgehen, nachdem sie im Jahr 2019 bei 3,8 % gelegen hatte. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat Notmaßnahmen getroffen, um die negativen Auswirkungen des Schocks aufzufangen. Die Kosten der direkten fiskalpolitischen Unterstützung hängen von der Nachfrage ab, können sich jedoch auf rund 110 Mrd. GBP (5,5 % des BIP) belaufen; dazu kommen 330 Mrd. GBP (16 % des BIP) für Kreditgarantien für Bankdarlehen. Kurzarbeitsregelungen wurden eingeführt, um die Beschäftigung zu erhalten; außerdem wurden Maßnahmen zur Unterstützung von Selbstständigen getroffen. Der Anwendungsbereich und der Anspruch auf Zugang zu Vorauszahlungen von Universal Credit wurden vorübergehend erweitert und der Grundanspruch auf Universal Credit wurde vorübergehend um zwölf Monate verlängert. Die lokalen Behörden sollen außerdem zusätzliche Einmalzahlungen für die Unterstützung der wirtschaftlich am stärksten gefährdeten Menschen und Haushalte erhalten. Darüber hinaus kündigte die Regierung ein dreimonatiges Moratorium für Hypothekenzahlungen für Hauseigentümer an, die durch die COVID-19-Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind.

(17)

Zur Verbesserung der Finanzlage von Unternehmen hat die Bank of England den Diskontsatz zweimal gesenkt (insgesamt von 0,75 % auf 0,1 %), die Quote des antizyklischen Kapitalpuffers des Vereinigten Königreichs von dem vorigen Pfad mit Zielwert 2 % bis Dezember 2020 auf 0 % zurückgeführt, ihr Aufkaufprogramm für Staatsanleihen auf 645 Mrd. GBP aufgestockt und ihre Unterstützung für die Vergabe von Krediten der Geschäftsbanken an die Realwirtschaft gleichzeitig mit staatlichen Darlehensgarantien angehoben. Die Regierung bot einigen Branchen ein einjähriges Moratorium für die Zahlung der Gewerbesteuer, eine Stundung der Mehrwertsteuerzahlungen (MwSt.) und Zuschüsse für kleinere Firmen an. Darüber hinaus wurden Liquiditätshilfen in Form von Garantien und Darlehen im Rahmen einer „Coronavirus Business Interruption Loan Scheme“ genannten Darlehensregelung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gewährt, die unterhalb eines Umsatzschwellenwerts liegen und ihre Geschäftstätigkeit wegen des Coronavirus vorübergehend einstellen mussten. Dabei kommt ein breites Spektrum von Finanzprodukten für Unternehmen zum Einsatz, wie revolvierende Kreditfazilitäten und andere Produkte, einschließlich Kredite. Außerdem wurde für alle Gewerbezweige ein Programm zur Bereitstellung von Liquidität für KMU, aber auch für größere Unternehmen, aufgestellt, das auch Investitionsförderung einschließen könnte. Bei der Gestaltung und Umsetzung dieser Maßnahmen muss der Belastbarkeit des Bankensektors Rechnung getragen werden.

(18)

Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass das Gesundheitssystem im Vereinigten Königreich Schwächen bei der Vorsorge und der Kapazität für derartige Krankheitsausbrüche aufweist, vor allem im Hinblick auf Einrichtungen, Personal und Material. Dies führte dazu, dass überall im Vereinigten Königreich als Notfallmaßnahme vorübergehend Feldlazarette für COVID-19-Patienten errichtet wurden. Die verarbeitende Industrie des Landes wurde aufgefordert, ihre Produktionslinien auf die Herstellung von zusätzlicher medizinischer Ausrüstung wie Beatmungsgeräte umzustellen, um den voraussichtlichen Bedarf zu decken. Die COVID-19-Krise hat den bestehenden Mangel an Fachkräften im Gesundheitssektor weiter verschärft. Um künftig derartige Krisen meistern zu können, sind Investitionen in das Gesundheitssystem des gesamten Vereinigten Königreichs erforderlich; dazu gehören auch wirksame und mit ausreichenden Finanzmitteln unterfütterte Maßnahmen im Bereich öffentliche Gesundheit. Diese Investitionen sollten darauf abzielen, die notwendigen Ausrüstungen, Einrichtungen und Fachkräfte sowie allgemein die Kapazität bereitzustellen, die erforderlich sind, um die erwartbare normale medizinische Versorgung parallel zur Pflege von Patienten zu leisten, die unter COVID-19 oder ähnlichen Infektionskrankheiten leiden.

(19)

Die derzeitige Krise dürfte die schwächsten Bevölkerungsgruppen am härtesten treffen und die Armut weiter verstärken. Bereits vor der Krise stieg das Risiko von Armut oder sozialer Ausgrenzung, obwohl die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief gesunken war. Zudem herrscht hohe Erwerbstätigen- und Kinderarmut. Kürzungen und Reformen bei Sozialleistungen untergraben die erhebliche armutslindernde Wirkung des Steuer- und Sozialleistungssystems im Vereinigten Königreich. Für die Unterstützung der Schwächsten, einschließlich in Armut lebender Kinder, gibt es durchaus Spielraum, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Krise die Ungleichheit der Einkommen voraussichtlich weiter verstärkt.

(20)

Eine der größten Herausforderungen für das Vereinigte Königreich ist die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die Stundenleistung ist im Vereinigten Königreich erheblich niedriger als in den meisten anderen Industrieländern und kaum höher als vor der Finanzkrise. Das BIP-Wachstum wurde von der wachsenden Beschäftigung getragen, während in der jüngsten Vergangenheit praktisch keine Produktivitätszuwächse verzeichnet wurden. Trotz eines angespannten Arbeitsmarkts ist die Arbeitsproduktivität im Vereinigten Königreich seit Anfang 2018 im Wesentlichen auf dem gleichen Stand geblieben. Auch das Reallohnwachstum war zögerlich. Weite Teile des Vereinigten Königreichs sind relativ arm, und dort wird vergleichsweise wenig in Qualifikationen und Infrastruktur investiert. Die schlechten beruflichen Perspektiven der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor wirken sich negativ auf Produktivität und Armut aus. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise dürfte diese Situation anhalten und sich sogar verschärfen. Die derzeitige Pandemie stellt auch das Schul- und Berufsbildungssystem im Vereinigten Königreich auf eine harte Probe, insbesondere in Bezug auf Fernunterricht und unterschiedlichen Zugang zu strukturiertem Lernen. Infolgedessen sollten Produktivitätssteigerungen angestrebt werden, indem breitangelegte Probleme wie geringe Investitionen in Ausrüstung, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie Qualifikationsdefizite, besonders bei grundlegenden und fachlichen Kompetenzen, angegangen werden. Das Vereinigte Königreich will stärker in Forschung und Innovation investieren und die Nutzung bestehender Technologien in der gesamten Wirtschaft verbessern.

(21)

Um die wirtschaftliche Erholung zu fördern, wird es wichtig sein, durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzuziehen und private Investitionen, auch durch entsprechende Reformen, zu fördern. Im Vereinigten Königreich besteht ein anhaltender Wohnungsmangel. Während der Wohnungsbau nach wie vor den geschätzten Bedarf nicht decken kann, treten erste Kapazitätsengpässe auf. Aufgrund der strengen Regulierung des Grundstücksmarkts bestehen Einschränkungen hinsichtlich der Anzahl und der Lage der Flächen für neue Wohnungsbauvorhaben, insbesondere im Umkreis großer Städte. Der Gebäudesektor bleibt ein zentraler Faktor für das Wohnungsangebot, aber auch für die Einhaltung künftiger Zielvorgaben für Energieeffizienz und Klimaschutz durch die Senkung der für die Wohnraumbeheizung verbrauchten Energie. Erschwert wird dies allerdings durch das Alter des Gebäudebestands und dessen langsame Erneuerung. Nach Jahrzehnten öffentlicher Unterfinanzierung hat die Regierung begonnen, das Infrastrukturdefizit anzupacken. Bei Investitionen in erneuerbare Energiequellen sind ermutigende Fortschritte zu verzeichnen, und im Stromsektor wurden erhebliche Emissionsreduktionen erzielt. Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind allerdings weiterhin Herausforderungen in der gesamten Wirtschaft zu bewältigen. Die Kapazitäten der Straßen-, Schienen- und Luftverkehrsnetze des Vereinigten Königreichs sind zunehmend ausgelastet, was zu Staus und Luftverschmutzung führt. Das Vereinigte Königreich will bei emissionsfreien Fahrzeugen an vorderster Front sein, allerdings ist der größte Teil des Schienennetzes noch immer nicht elektrifiziert. Während derzeit reine Glasfasernetze im Vereinigten Königreich noch kaum verbreitet sind, steigt der Netzwettbewerb auf dem Markt für reine Glasfaser, da die Regierung die öffentlichen Fördermittel für den Ausbau von Glasfasernetzen erheblich aufstockt. Solche Investitionen in die digitale Infrastruktur müssen allerdings mit einer Verbesserung der digitalen Kompetenz einhergehen, da es im Vereinigten Königreich strukturbedingt an IT-Fachkenntnissen mangelt.

(22)

Während die länderspezifischen Empfehlungen dieser Empfehlung („länderspezifische Empfehlungen 2020“) in erster Linie auf die Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der Pandemie und die Förderung der wirtschaftlichen Erholung abzielen, ging es bei den länderspezifischen Empfehlungen 2019 auch um Reformen, die für die Bewältigung mittel- bis langfristiger struktureller Herausforderungen von wesentlicher Bedeutung sind. Die länderspezifischen Empfehlungen 2019 sind nach wie vor relevant und werden als Teil des Europäischen Semesters bis zum Ende des Übergangszeitraums weiter verfolgt werden.

(23)

Das Europäische Semester bildet den Rahmen für eine kontinuierliche wirtschafts- und beschäftigungspolitische Koordinierung innerhalb der Union, die zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen kann. Die Mitgliedstaaten haben in ihren nationalen Reformprogrammen 2020 eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gezogen. Indem das Vereinigte Königreich die nachstehenden länderspezifischen Empfehlungen 2020 vollständig umsetzt, wird es zu Fortschritten bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung beitragen.

(24)

Im Rahmen des Europäischen Semesters 2020 hat die Kommission die Wirtschaftspolitik des Vereinigten Königreichs umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2020 veröffentlicht. Sie hat auch das Konvergenzprogramm 2020, das nationale Reformprogramm 2020 sowie die Maßnahmen zur weiteren Umsetzung der in den Vorjahren an das Vereinigte Königreich gerichteten länderspezifischen Empfehlungen bewertet. Dabei hat die Kommission nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik im Vereinigten Königreich berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit Unionsvorschriften und -leitlinien bewertet.

(25)

Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Konvergenzprogramm 2020 geprüft; seine Stellungnahme (7) spiegelt sich insbesondere in der nachstehenden Empfehlung 1 wider —

EMPFIEHLT, dass das Vereinigte Königreich 2020 und 2021

1.

im Einklang mit der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die COVID-19-Pandemie wirksam zu bekämpfen, die Wirtschaft zu stützen und die darauffolgende Erholung zu fördern; sobald die wirtschaftlichen Bedingungen dies zulassen, eine Haushaltspolitik verfolgt, die darauf abzielt, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Investitionen erhöht; die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems stärkt;

2.

die Angemessenheit des Sozialschutzsystems und die Erfassung durch dieses gewährleistet, damit alle, und vor allem diejenigen, die die Krise am härtesten trifft, Unterstützung erhalten;

3.

Innovation fördert und die Entwicklung des Humankapitals unterstützt; durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzieht und private Investitionen unterstützt, um die wirtschaftliche Erholung zu fördern; schwerpunktmäßig in den Übergang zu einer ökologischen und digitalen Wirtschaft investiert, insbesondere in Wohnungsbau, saubere und effiziente Energieerzeugung und -nutzung, eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur und Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetze.

Geschehen zu Brüssel am 20. Juli 2020.

Im Namen des Rates

Die Präsidentin

J. KLOECKNER


(1)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

(2)  ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25.

(3)  ABl. L 29 vom 31.1.2020, S. 7.

(4)  ABl. C 301 vom 5.9.2019, S. 163.

(5)  Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 6).

(6)  Die staatlichen Nettoprimärausgaben umfassen die Gesamtheit der Staatsausgaben ohne Zinsaufwendungen, Ausgaben für Unionsprogramme, die vollständig durch Einnahmen aus Fonds der Union ausgeglichen werden, und nichtdiskretionäre Änderungen der Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung. Staatlich finanzierte Bruttoanlageinvestitionen werden über einen Zeitraum von vier Jahren geglättet. Diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen oder gesetzlich vorgeschriebene Einnahmensteigerungen werden eingerechnet. Einmalige Maßnahmen sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite werden saldiert.

(7)  Gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.