26.8.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/129


EMPFEHLUNG DES RATES

vom 20. Juli 2020

zum nationalen Reformprogramm Österreichs 2020 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Österreichs 2020

(2020/C 282/20)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (1), insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

auf Empfehlung der Europäischen Kommission,

unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments,

unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission die Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum an, mit der das Europäische Semester für die wirtschaftspolitische Koordinierung 2020 eingeleitet wurde. Dabei wurde der am 17. November 2017 vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte gebührend Rechnung getragen. Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) auch den Warnmechanismus-Bericht an, in dem sie Österreich nicht als einen der Mitgliedstaaten nannte, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei. Am selben Tag nahm die Kommission ferner eine Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets an.

(2)

Der Länderbericht Österreich 2020 wurde am 26. Februar 2020 veröffentlicht. Darin wurden die Fortschritte Österreichs bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Rates vom 9. Juli 2019 (3) (im Folgenden „länderspezifische Empfehlungen 2019“), bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen der Vorjahre und bei der Verwirklichung seiner nationalen Ziele im Rahmen der Strategie Europa 2020 bewertet.

(3)

Am 11. März 2020 wurde der COVID-19-Ausbruch von der Weltgesundheitsorganisation offiziell zur weltweiten Pandemie erklärt. Diese stellt eine Krise der öffentlichen Gesundheit mit weitreichenden Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Gesellschaften und Volkswirtschaften dar. Sie setzt die nationalen Gesundheitssysteme unter erheblichen Druck, unterbricht die globalen Lieferketten, verursacht Volatilität an den Finanzmärkten, führt zu Schocks bei der Verbrauchernachfrage und zieht eine Vielzahl von Branchen in Mitleidenschaft. Sie bedroht die Arbeitsplätze und Einkommen der Menschen sowie die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Die Folgen des durch sie verursachten schweren wirtschaftlichen Schocks sind in der Union bereits stark spürbar. Am 13. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung angenommen, in der zu einer koordinierten wirtschaftlichen Reaktion auf die Krise unter Einbeziehung aller Akteure auf nationaler Ebene und auf Unionsebene aufgerufen wird.

(4)

Mehrere Mitgliedstaaten haben den Notstand ausgerufen oder Notmaßnahmen eingeführt. Jede Notmaßnahme sollte unbedingt verhältnismäßig, notwendig und zeitlich begrenzt sein und europäischen wie internationalen Standards entsprechen. Sie sollten demokratischer Kontrolle und einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen.

(5)

Am 20. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung über die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts angenommen. Die in Artikel 5 Absatz 1, Artikel 6 Absatz 3, Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 sowie in Artikel 3 Absatz 5 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates (4) aufgestellte allgemeine Ausweichklausel erleichtert die Koordinierung der Haushaltspolitik in Zeiten eines schweren Konjunkturabschwungs. In ihrer Mitteilung vom 20. März 2020 vertrat die Kommission die Auffassung, dass die Bedingungen für die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel angesichts des schweren Konjunkturabschwungs, der infolge der COVID-19-Pandemie zu erwarten ist, ihrer Auffassung nach erfüllt seien und ersuchte den Rat, diese Schlussfolgerung zu billigen. Am 23. März 2020 schlossen sich die Finanzminister der Mitgliedstaaten dieser Einschätzung der Kommission an. Sie kamen überein, dass der schwere Konjunkturabschwung eine entschlossene, ehrgeizige und koordinierte Reaktion erfordert. Die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel ermöglicht eine vorübergehende Abweichung vom Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel unter der Voraussetzung, dass die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen dadurch nicht gefährdet wird. Für die korrektive Komponente kann der Rat auf Empfehlung der Kommission zudem beschließen, einen überarbeiteten haushaltspolitischen Kurs festzulegen. Die Verfahren des Stabilitäts- und Wachstumspakts werden durch die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel nicht ausgesetzt. Sie gestattet es den Mitgliedstaaten, von den normalerweise geltenden Haushaltsverpflichtungen abzuweichen, ermöglicht der Kommission und dem Rat aber gleichzeitig, im Rahmen des Pakts die erforderlichen Koordinierungsmaßnahmen zu treffen.

(6)

Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie einzudämmen und zu kontrollieren, die Widerstandsfähigkeit der nationalen Gesundheitssysteme zu stärken, die sozioökonomischen Folgen der Pandemie durch Unterstützung von Unternehmen und Haushalten abzumildern und mit dem Ziel der Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit für angemessenen Gesundheitsschutz und angemessene Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Die Union sollte die verschiedenen ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in vollem Umfang nutzen, um die Bemühungen der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen zu unterstützen. Parallel dazu sollten die Mitgliedstaaten und die Union gemeinsam die Maßnahmen erarbeiten, die für eine Rückkehr zu einem normalen Funktionieren unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften und zu nachhaltigem Wachstum nötig sind, wobei unter anderem auch dem ökologischen und dem digitalen Wandel Rechnung getragen und Lehren aus der Krise gezogen werden sollten.

(7)

Die COVID-19-Krise hat deutlich gemacht, wie flexibel der Binnenmarkt auf Ausnahmesituationen reagieren kann. Damit rasch und reibungslos die Erholungsphase eingeleitet und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wiederhergestellt werden können, sollten jedoch die außergewöhnlichen Maßnahmen, die das normale Funktionieren des Binnenmarkts verhindern, aufgehoben werden, sobald sie nicht mehr unerlässlich sind. Die aktuelle Krise hat gezeigt, dass vor allem im Gesundheitssektor robuste Krisenvorsorgepläne benötigt werden. Unter anderem sind bessere Beschaffungsstrategien, diversifizierte Lieferketten und strategische Reserven an wesentlichen Gütern für die Ausarbeitung umfassenderer Krisenvorsorgepläne von zentraler Bedeutung.

(8)

Der Unionsgesetzgeber hat bereits die einschlägigen Rahmenvorschriften mittels der Verordnungen (EU) 2020/460 (5) und (EU) 2020/558 (6) des Europäischen Parlaments und des Rates geändert, damit die Mitgliedstaaten alle nicht abgerufenen Mittel aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds dafür einsetzen können, die beispiellosen Folgen der COVID-19-Pandemie einzudämmen. Diese Änderungen werden größere Flexibilität sowie einfachere und straffere Verfahren ermöglichen. Um den Liquiditätsdruck zu verringern, können die Mitgliedstaaten im Geschäftsjahr 2020-2021 bei Mitteln aus dem Unionshaushalt außerdem einen Kofinanzierungssatz von 100 % in Anspruch nehmen. Österreich wird darin bestärkt, diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen, um die am stärksten betroffenen Personen und Wirtschaftszweige zu unterstützen.

(9)

Die einzelnen Regionen dürften aufgrund unterschiedlicher Spezialisierungsmuster insbesondere in den stark vom Tourismus abhängigen Regionen in ungleichem Maße von den sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen sein. Dies birgt die Gefahr, dass sich die regionalen Unterschiede innerhalb Österreichs vergrößern. Da gleichzeitig die Gefahr eines vorübergehenden wirtschaftlichen Auseinanderdriftens der Mitgliedstaaten besteht, sind in der derzeitigen Lage gezielte politische Maßnahmen erforderlich.

(10)

Österreich übermittelte sein nationales Reformprogramm 2020 am 14. April 2020 und sein Stabilitätsprogramm 2020 am 30. April 2020. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

(11)

Österreich unterliegt gegenwärtig der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie der Schuldenregel.

(12)

Im technischen Update zum Stabilitätsprogramm 2020 geht die Regierung von einer Verschlechterung des staatlichen Gesamtsaldos aus, der sich demnach von einem Überschuss von 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2019 in ein Defizit von 8,0 % des BIP im Jahr 2020 verwandelt. Das Defizit soll den Projektionen zufolge 2021 auf 1,9 % des BIP zurückgehen. Die gesamtstaatliche Schuldenquote, die 2019 auf 70,4 % des BIP gesunken war, dürfte sich dem Stabilitätsprogramm 2020 zufolge im Jahr 2020 auf 81,4 % des BIP erhöhen. Die Aussichten für die Gesamtwirtschaft und den Haushalt sind wegen der COVID-19-Pandemie mit großer Unsicherheit behaftet.

(13)

In Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hat Österreich im Rahmen eines koordinierten Ansatzes der Union zeitnah haushaltspolitische Maßnahmen verabschiedet, um die Kapazität seines Gesundheitssystems zu erhöhen, die Pandemie einzudämmen und besonders betroffene Menschen und Wirtschaftszweige zu unterstützen. Laut Stabilitätsprogramm 2020 belaufen sich diese haushaltspolitischen Maßnahmen auf 5,0 % des BIP. Die Maßnahmen beinhalten die Stärkung der Gesundheitsversorgung, Soforthilfe für notleidende Unternehmen und Kurzarbeitsregelungen. Zusätzlich hat Österreich Maßnahmen angekündigt, die sich zwar nicht unmittelbar auf das Budget auswirken, aber zur Verbesserung der Liquidität von Unternehmen beitragen werden und im Stabilitätsprogramm 2020 mit 5,0 % des BIP veranschlagt werden. Zu diesen Maßnahmen gehören Stundungen der Einkommen- und Körperschaftsteuern (2,6 % des BIP) sowie Kreditgarantien (2,4 % des BIP). Insgesamt stehen die von Österreich ergriffenen Maßnahmen mit den Leitlinien der Kommissionsmitteilung vom 13. März 2020 in Einklang. Werden die Notmaßnahmen und unterstützende Fiskalmaßnahmen vollständig umgesetzt und die Haushaltspolitik danach, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen es zulassen, erneut auf die mittelfristige Erreichung einer vorsichtigen Haushaltslage ausgerichtet, so wird das mittelfristig zur Erhaltung tragfähiger öffentlicher Finanzen beitragen.

(14)

Gemäß der Frühjahrsprognose 2020 der Kommission dürfte sich der gesamtstaatliche Haushaltssaldo Österreichs unter Annahme einer unveränderten Politik 2020 auf -6,1 % des BIP und 2021 auf -1,9 % des BIP belaufen. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird den Projektionen zufolge 2020 bei 78,8 % des BIP und 2021 bei 75,8 % des BIP liegen.

(15)

Angesichts der von Österreich für 2020 geplanten Überschreitung der Defizitgrenze von 3 % des BIP hat die Kommission am 20. Mai 2020 einen Bericht nach Artikel 126 Absatz 3 des Vertrags veröffentlicht. Die Analyse der Kommission legt insgesamt nahe, dass das im Vertrag und in der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 festgelegte Defizitkriterium nicht erfüllt wurde.

(16)

Die österreichische Regierung hat beispiellose Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen. Sie hat strenge Regeln für Quarantäne und soziale Distanzierung eingeführt und erhebliche Mittel für das Gesundheitssystem bereitgestellt, um den Ankauf von Material und Ausrüstung, einen Ausbau der Laborkapazitäten und eine personelle Verstärkung zu ermöglichen. Die medizinische Grundversorgung ist außergewöhnlich unter Druck geraten, da der Bedarf an Fernsprechstunden, Arztterminen und Hausbesuchen in beispiellosem Maße zugenommen hat. Der rasche Ausbruch von COVID-19 hat die österreichische Wirtschaft stark beeinträchtigt. Die nationalen und internationalen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite getroffen, was einen Abschwung auf breiter Basis zur Folge hat. Das BIP dürfte daher im Jahr 2020 um 5,5 % schrumpfen und damit mehr als in der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008-2009. Angesichts des relativ raschen Rückgangs der Neuinfektionen hat Österreich als eines der ersten Mitgliedstaaten ab Mitte April eine Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen in Aussicht gestellt. Damit die Wirtschaft keinen langfristigen Schaden nimmt und um die Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigung und die Gesellschaft abzufedern, hat die Regierung ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Unterstützung der österreichischen Wirtschaft beschlossen (etwa 10 % des BIP). Das Paket umfasst die sogenannte Kurzarbeit‚ bei der die Arbeitszeit für eine bestimmte Zeit um durchschnittlich bis zu 90 % verkürzt werden kann und dem Arbeitgeber 80 % bis 90 % des letzten Nettoeinkommens des Arbeitnehmers (je nach dessen letztem Bruttoeinkommen) erstattet werden. Das umfassende Maßnahmenbündel für Unternehmen und Selbstständige soll Liquiditätsengpässe kurzzeitig überbrücken helfen und bietet Direktzuschüsse insbesondere für hart getroffene Unternehmen und Branchen, mit besonderem Fokus auf kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die Maßnahmen beinhalten Zuschüsse, Liquiditätshilfe durch Kredite, Garantien, Kapitalspritzen und Steuerstundungen. Bei der Gestaltung und Umsetzung dieser Maßnahmen muss die Resilienz des Bankensektors berücksichtigt werden.

(17)

Das österreichische Gesundheitssystem hat die COVID-19-Pandemie bisher erfolgreich bewältigt. Durch Ausbau der primären und der ambulanten Versorgung mit Schwerpunkt auf Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention könnte die Gesundheit der Bevölkerung noch weiter verbessert werden. Unter Wahrung hoher Qualitätsstandards könnte die Kosteneffizienz durch ein wirksameres öffentliches Beschaffungswesen und den Einsatz generischer Arzneimittel erhöht werden. Außerdem steht das österreichische System der Langzeitpflege vor strukturellen und fiskalischen Herausforderungen, die bislang nicht umfassend angegangen wurden. Das System bietet Dienstleistungen vergleichsweise hoher Qualität, hat aber mit Personalproblemen zu kämpfen, die in der aktuellen Krise noch spürbarer und offensichtlicher werden. Der Langzeitpflegesektor ist stark auf Arbeitskräfte aus anderen Mitgliedstaaten angewiesen, was deutlich macht, dass die Freizügigkeit für Grenzgänger sichergestellt werden muss. Auch eine angemessene Vergütung könnte helfen, den Pflegeberuf attraktiver zu machen.

(18)

Die Steuerpolitik spielt eine wichtige Rolle, um die Haushalte und Unternehmen während der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 zu unterstützen, und wird auch für die wirtschaftliche Erholung nach der COVID-19-Krise von entscheidender Bedeutung sein. Der österreichische Steuermix ist durch eine hohe Belastung des Faktors Arbeit geprägt, während das Einnahmenpotenzial der vermögens- und umweltbezogenen Steuern weitgehend ungenutzt bleibt und die Verbrauchsteuern effizienter gestaltet werden könnten. Steuerreformen könnten dazu beitragen, den Steuermix auf Quellen zu verlagern, die einem inklusiven und nachhaltigen Wachstum weniger abträglich sind, und eine solide Grundlage für die Erholung zu schaffen. So bedeutet insbesondere eine unzureichend genutzte Besteuerung von Alkohol und Tabak sowie Umweltverschmutzung und Ressourcenverbrauch, dass Steuerungseffekte und Einnahmenpotenziale nicht ausgeschöpft werden. Die ungleiche, doch allgemein niedrige Energiebesteuerung untergräbt ihre eigene Effizienz und Wirksamkeit als politisches Instrument zur Schaffung von Anreizen für einen umweltfreundlichen Verbrauch. Insbesondere würde eine konsequente Besteuerung der CO2-Emissionen klimafreundliche Energiequellen wettbewerbsfähiger machen und haushaltspolitischen Spielraum für eine Senkung von Steuern mit größerer Verzerrungswirkung eröffnen. Höhere CO2-bezogene Energiesteuern würden die gesellschaftlichen Kosten der Umweltverschmutzung internalisieren helfen, die Verbraucher zur stärkeren Nutzung erneuerbarer Energiequellen veranlassen und Investoren ermutigen, in innovative klimafreundliche Technologien zu investieren. Schließlich könnte das Steuersystem durch einen stärkeren Rückgriff auf vermögensbezogene Steuern gerechter gestaltet werden, insbesondere auch mit Blick auf die in Österreich weiterhin großen Vermögensunterschiede. So haben sich insbesondere periodische Immobilien- und Erbschaftssteuern als relativ wachstumsfreundlich und progressiv erwiesen und sollten nicht übersehen werden, wenn es darum geht, Steuereinnahmen für die Sanierung der öffentlichen Finanzen zu generieren.

(19)

Wenngleich Österreich beim sozialpolitischen Scoreboard der europäischen Säule sozialer Rechte gut abgeschnitten hat, könnten gewisse Erfassungslücken doch bedeuten, dass die Einkommenssicherung für schutzbedürftige Gruppen in der COVID-19-Krise nicht ausreichen und zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein könnten. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt, und Arbeitslose, Langzeitarbeitslose, Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen sowie im Ausland Geborene sind besonders armutsgefährdet. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die Möglichkeiten für lebenslanges Lernen und Weiterqualifizierung bietet, wird weiterhin von entscheidender Bedeutung sein. Benachteiligte Schüler und Studierende, insbesondere auch solche mit Behinderungen, sind von Umständen, die Fernunterricht erfordern, besonders betroffen. Rund 10 % aller Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren haben keinen Zugang zu einer virtuellen Lernumgebung, und die österreichische Regierung hat in Reaktion auf die COVID-19-Krise Linderungsmaßnahmen ergriffen, indem sie digitale Endgeräte für gefährdete Schülerinnen und Schülern bereitgestellt hat. Die schon bestehenden Ungleichheiten bei den Bildungsabschlüssen, die mit sozioökonomischer Herkunft und Migrationshintergründen zusammenhängen, drohen sich jedoch zu verschärfen. Eine Erholungsstrategie, die den Zugang zu inklusiver, hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung — durch die soziale Nachteile nachweislich ausgeglichen werden können — verbessert, würde mittel- und langfristig sozioökonomische Vorteile mit sich bringen und Frauen Chancen auf eine vollwertige Arbeitsmarktbeteiligung eröffnen. Insgesamt war die Frauenerwerbsquote vor der Krise zwar hoch, doch arbeitete fast die Hälfte aller Frauen (bedingt durch die kurzen Öffnungszeiten von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen) in Teilzeit, was ein erhebliches unbereinigtes Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zur Folge hat.

(20)

Die Wirksamkeit der COVID-19-Hilfsmaßnahmen zur Entlastung wirtschaftlich bedrängter Firmen, zur Erhaltung der unternehmerischen Rahmenbedingungen und zur Vermeidung von Insolvenzen hängt davon ab, dass diese Maßnahmen von den Behörden und Intermediären rasch und unbürokratisch umgesetzt werden. Start-ups und Scale-ups könnten besondere Unterstützung benötigen, beispielsweise indem die öffentliche Hand Kapitalbeteiligungen übernimmt oder für Risikokapitalfonds Anreize setzt, vermehrt in diese Firmen zu investieren. Damit sollen Firmen, die für die Erholung von entscheidender Bedeutung sind, gestärkt, aber auch Notverkäufe strategisch wichtiger europäischer Unternehmen verhindert werden. Wirtschaftlich bedrängte Firmen, insbesondere die kleineren unter ihnen, brauchen nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch gute Rahmenbedingungen. Bürokratie und Regelungsdichte verursachen Kosten, die sich die Unternehmen zurzeit weniger denn je leisten können. Indem unnötige Bürokratielasten abgebaut und effiziente digitale öffentliche Dienste bereitgestellt werden, kann den Unternehmen auf wirksame Weise eine sofortige und spürbare Entlastung verschafft werden, ohne den Steuerzahler zu belasten. Der Insolvenzrahmen sollte darauf abstellen, Insolvenzen abzuwenden, aber auch eine rasche Abwicklung und eine „zweiten Chance“ zu ermöglichen. Streitbeilegungsnetzwerke wie SOLVIT können Unternehmen bei Verwerfungen im Binnenmarkt eine Hilfe sein und brauchen eine angemessene Ressourcenausstattung.

(21)

Um die wirtschaftliche Erholung zu begünstigen, wird es wichtig sein, durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzuziehen und private Investitionen, auch durch entsprechende Reformen, zu fördern. Am meisten bewirken können diese Investitionen, wenn sie auf Innovation, Digitalisierung und den grünen Wandel abstellen, um so die Produktivität zu steigern und nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Die Forschungs- und Entwicklungsintensität Österreichs gehört in der Union zu den höchsten, doch liegt das Land bei den Innovationsergebnissen hinter den Innovationsführern zurück. Jetzt, da die Forschungsbudgets vieler Unternehmen unter Druck stehen, ist es umso wichtiger, dass die Anstrengungen Österreichs im Bereich Forschung und Entwicklung sich auch tatsächlich in wissenschaftlicher Exzellenz und modernster Innovation niederschlagen, die öffentlichen Investitionen in die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung aufrechterhalten werden und die Beteiligungsfinanzierung für innovative Scale-ups sichergestellt ist. Die Digitalisierung bleibt von entscheidender Bedeutung, damit die Wirtschaft nach den COVID-19-Ausgangsbeschränkungen wieder geöffnet und die „neue Normalität“ vorbereitet werden kann. Die schwache Verbreitung von digitalen Technologien und Geschäftsmodellen unter kleineren Unternehmen stellt für das Produktivitätswachstum einen Engpass dar. Auch wenn die digitalen Kompetenzen der Österreicherinnen und Österreicher insgesamt über dem EU-Durchschnitt liegen, reicht die Zahl der Hochschulabsolventinnen und -absolventen im Fach Informatik nicht aus, um alle verfügbaren Stellen zu besetzen. Sollen beispielsweise E-Commerce, Telearbeit und elektronische Behördendienste ausgeweitet werden, muss mehr in Infrastruktur (einschließlich 5G und Breitbandnetze in ländlichen Gebieten), Ausrüstung und Kompetenzen investiert werden.

(22)

Der Übergang Österreichs zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird über längere Zeit beachtliche private und öffentliche Investitionen erfordern. Laut nationalem Energie- und Klimaplan steht Österreich vor erheblichen Herausforderungen, um sein Ziel für die Senkung der nicht unter das Emissionshandelssystem der Union fallenden Treibhausgasemissionen bis 2030 zu erreichen. Die Verbesserung der Ressourcenproduktivität ist ein entscheidender Antriebsfaktor künftigen Wachstums bei gleichzeitiger Minimierung der Umweltauswirkungen. Für die Einhaltung der Luftreinheitsnormen und der Klimaziele ist es von entscheidender Bedeutung, die verkehrsbedingten Emissionen zu senken. Indem geplante Investitionen zur Unterstützung des grünen Wandels vorgezogen und neue Investitionen hierfür auf den Weg gebracht werden, können sie zur Entstehung neuer umweltverträglicher Arbeitsplätze beitragen und die Wirtschaft nach dem COVID-19-Krisenmanagement-Modus wieder ankurbeln. Investitionen in Öko-Innovation würden die Produktivität steigern und zugleich den ökologischen Fußabdruck Österreichs verringern. Die Programmplanung des Fonds für einen gerechten Übergang, der Gegenstand eines Kommissionsvorschlags ist, für den Zeitraum 2021-2027 könnte Österreich dabei helfen, insbesondere in den in Anhang D des Länderberichts 2020 genannten Regionen einige der mit dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft verbundenen Herausforderungen anzugehen. Dies würde es Österreich erlauben, diesen Fonds optimal zu nutzen.

(23)

Während die länderspezifischen Empfehlungen dieser Empfehlung („länderspezifische Empfehlungen 2020“) in erster Linie auf die Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie und die Förderung der wirtschaftlichen Erholung abzielen, ging es bei den länderspezifischen Empfehlungen 2019 auch um Reformen, die für die Bewältigung mittel- bis langfristiger struktureller Herausforderungen von wesentlicher Bedeutung sind. Die länderspezifischen Empfehlungen 2019 sind nach wie vor relevant, weswegen ihre Einhaltung während des gesamten Europäischen Semesters im nächsten Jahr weiter verfolgt werden wird. Dies umfasst auch die länderspezifischen Empfehlungen 2019 zu investitionsbezogenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Alle länderspezifischen Empfehlungen 2019 sollten bei der strategischen Planung kohäsionspolitischer Mittel nach 2020 berücksichtigt werden, also auch bei Maßnahmen zur Abfederung der derzeitigen Krise und bei diesbezüglichen Exit-Strategien.

(24)

Das Europäische Semester bildet den Rahmen für eine kontinuierliche wirtschafts- und beschäftigungspolitische Koordinierung innerhalb der Union, die zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen kann. Die Mitgliedstaaten haben in ihren nationalen Reformprogrammen 2020 eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gezogen. Indem Österreich die nachstehenden länderspezifischen Empfehlungen 2020 vollständig umsetzt, wird es zu Fortschritten bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und zu den gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherstellung wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit in der Union beitragen.

(25)

Eine enge Koordinierung zwischen den Volkswirtschaften in der Wirtschafts- und Währungsunion ist für eine rasche Erholung von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie von entscheidender Bedeutung. Als Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, sollte Österreich sicherstellen, dass seine Politik weiterhin mit den Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet für 2020 in Einklang steht und weiterhin mit der Politik der anderen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, abgestimmt wird, wobei die politischen Leitlinien der Euro-Gruppe zu berücksichtigen sind.

(26)

Im Rahmen des Europäischen Semesters 2020 hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Österreichs umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2020 veröffentlicht. Sie hat auch das Stabilitätsprogramm 2020, das nationale Reformprogramm 2020 sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der an Österreich gerichteten länderspezifischen Empfehlungen der Vorjahre bewertet. Dabei hat die Kommission nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Österreich berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt durch auf Unionsebene entwickelte Vorgaben für künftige nationale Entscheidungen zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit Vorschriften und Leitlinien der Union beurteilt.

(27)

Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Stabilitätsprogramm 2020 geprüft; seine Stellungnahme (7) hierzu spiegelt sich insbesondere in der nachstehenden Empfehlung 1 wider —

EMPFIEHLT, dass Österreich 2020 und 2021

1.

im Einklang mit der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die COVID-19-Pandemie wirksam zu bekämpfen, die Wirtschaft zu stützen und die darauffolgende Erholung zu fördern; wenn die wirtschaftlichen Bedingungen dies zulassen, eine Haushaltspolitik verfolgt, die darauf abzielt, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Investitionen erhöht; die Resilienz des Gesundheitssystems verbessert, indem es die öffentliche Gesundheit und die Grundversorgung stärkt;

2.

Chancengleichheit im Bildungswesen und im vermehrten digitalen Lernen sicherstellt;

3.

eine wirksame Umsetzung von Liquiditäts- und Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, sicherstellt und die Belastung durch Bürokratie und Regulierung verringert; durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzieht und private Investitionen fördert, um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen; verstärkt in den ökologischen und den digitalen Wandel investiert, insbesondere in die Grundlagenforschung und die angewandte Forschung, sowie in Innovation, nachhaltigen Verkehr sowie saubere und effiziente Energieerzeugung und -nutzung;

4.

den Steuermix effizienter und einem inklusiven und nachhaltigen Wachstum zuträglicher gestaltet.

Geschehen zu Brüssel am 20. Juli 2020.

Im Namen des Rates

Die Präsidentin

J. KLOECKNER


(1)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte (ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25).

(3)  ABl. C 301 vom 5.9.2019, S. 117.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 6).

(5)  Verordnung (EU) 2020/460 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. März 2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 508/2014 im Hinblick auf besondere Maßnahmen zur Mobilisierung von Investitionen in die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten und in andere Sektoren von deren Volkswirtschaften zur Bewältigung des COVID-19-Ausbruchs (Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise) (ABl. L 99 vom 31.3.2020, S. 5).

(6)  Verordnung (EU) 2020/558 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1301/2013 und (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Einführung einer außerordentlichen Flexibilität beim Einsatz der europäischen Struktur- und Investitionsfonds als Reaktion auf den COVID-19-Ausbruch (ABl. L 130 vom 24.4.2020, S. 1).

(7)  Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.