5.9.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 224/4


BESCHLUSS (EU) 2018/1215 DES RATES

vom 16. Juli 2018

zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 148 Absatz 2,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (1),

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),

nach Anhörung des Ausschusses der Regionen,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses (3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Mitgliedstaaten und die Union sind gehalten, auf die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie und insbesondere auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer sowie der Fähigkeit der Arbeitsmärkte hinzuarbeiten, auf die Erfordernisse des wirtschaftlichen Wandels zu reagieren, um die Ziele der Vollbeschäftigung und des sozialen Fortschritts gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union zu erreichen. Die Mitgliedstaaten haben die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und ihre diesbezüglichen Tätigkeiten im Rat aufeinander abzustimmen, wobei die einzelstaatlichen Gepflogenheiten in Bezug auf die Zuständigkeit der Sozialpartner zu berücksichtigen sind.

(2)

Es ist Aufgabe der Union, soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen zu bekämpfen und soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz sowie die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen hat die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung Rechnung zu tragen.

(3)

Im Einklang mit dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat die Union fiskalpolitische, makroökonomische und strukturelle Koordinierungsinstrumente entwickelt und eingeführt. Die vorliegenden Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten sind Teil dieser Instrumente; zusammen mit den in der Empfehlung (EU) 2015/1184 (4) des Rates genannten Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union bilden sie die integrierten Leitlinien zur Umsetzung der Strategie Europa 2020. Sie sollen als Richtschnur für die Umsetzung der Politik in den Mitgliedstaaten und in der Union dienen und spiegeln die gegenseitige Abhängigkeit der Mitgliedstaaten wider. Die entsprechenden koordinierten Strategien und Reformen auf europäischer und nationaler Ebene ergeben zusammen einen angemessenen gesamtwirtschaftlichen und sozialen Policy-Mix, der positive Ausstrahlungseffekte entfalten dürfte.

(4)

Die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen stehen im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und den geltenden Rechtsvorschriften der Union und verschiedenen Initiativen der Union, einschließlich der Empfehlung des Rates vom 22. April 2013 zur Einführung einer Jugendgarantie (5), der Empfehlung des Rates vom 15. Februar 2016 zur Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt (6), der Empfehlung des Rates vom 19. Dezember 2016 für Weiterbildungspfade (7) und der Empfehlung des Rates vom 15. März 2018 zu einem Europäischen Rahmen für eine hochwertige und nachhaltige Lehrlingsausbildung (8).

(5)

Im Rahmen des Europäischen Semesters werden die verschiedenen Instrumente in einem übergreifenden Rahmen für integrierte multilaterale Überwachung der wirtschafts-, haushalts-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Maßnahmen zusammengeführt und die Verwirklichung der Ziele der Strategie Europa 2020, insbesondere in Bezug auf Beschäftigung, Bildung und Armutsbekämpfung gemäß dem Beschluss 2010/707/EU des Rates (9), angestrebt. Das Europäische Semester, das der Förderung der politischen Ziele Investitionsförderung, Fortsetzung der Strukturreformen und Gewährleistung einer verantwortungsvollen Fiskalpolitik dient, wird seit 2015 kontinuierlich verstärkt und gestrafft. Die Ausrichtung auf Beschäftigung und soziale Aspekte wurde besonders verstärkt und der Dialog mit den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und Vertretern der Zivilgesellschaft intensiviert.

(6)

Zwar fördert die Erholung von der Wirtschaftskrise in der Union positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, doch bestehen nach wie vor erhebliche Herausforderungen und Unterschiede zwischen und in den Mitgliedstaaten, was die wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit anbelangt. Die Krise hat deutlich gemacht, wie eng die Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten miteinander verflochten sind. Die wesentliche Herausforderung besteht heute darin, in der Union ein intelligentes, nachhaltiges und inklusives Wachstum zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen. Dies erfordert abgestimmte, ehrgeizige und wirksame politische Maßnahmen sowohl auf Ebene der Union als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten im Einklang mit den Bestimmungen des AEUV und den Unionsvorschriften zur wirtschaftspolitischen Steuerung. Die politischen Maßnahmen sollten sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite ansetzen, eine Ankurbelung der Investitionen und eine erneuerte Verpflichtung zu angemessen gestaffelten Strukturreformen zur Verbesserung der Produktivität, des Wachstums, des sozialen Zusammenhalts und der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber Erschütterungen bewirken, und sie sollten zur Wahrnehmung haushaltspolitischer Verantwortung beitragen, wobei zugleich ihren beschäftigungspolitischen und sozialen Auswirkungen Rechnung zu tragen ist.

(7)

Reformen des Arbeitsmarkts, einschließlich der nationalen Lohnfestsetzungsmechanismen, sollten sich nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten des sozialen Dialogs richten und den notwendigen Spielraum für eine umfassende Berücksichtigung sozioökonomischer Aspekte vorsehen, einschließlich Verbesserungen in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Schaffung von Arbeitsplätzen, lebenslanges Lernen und Berufsbildung sowie Realeinkommen.

(8)

Die Mitgliedstaaten und die Union sollten sich auch mit den sozialen Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise befassen und darauf hinarbeiten, eine inklusive Gesellschaft aufzubauen, in der die Menschen fähig sind, Veränderungen zu antizipieren und zu bewältigen, und in der sie aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen können, wie in Empfehlung 2008/867/EG der Kommission (10) dargelegt. Ungleichheiten und Diskriminierung sollten angegangen werden. Zugangsmöglichkeiten und Chancen sollten für alle sichergestellt und Armut und soziale Ausgrenzung (auch von Kindern) sollten abgebaut werden, insbesondere indem für gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialschutzsysteme gesorgt wird und Hindernisse für die Teilhabe an der allgemeinen und beruflichen Bildung und am Arbeitsmarkt beseitigt werden, was auch Investitionen in frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung einschließt. Das Potenzial von Menschen mit Behinderungen, zu Wirtschaftswachstum und sozialer Entwicklung beizutragen, sollte stärker genutzt werden. Da an den Arbeitsplätzen in der Union neue Wirtschafts- und Geschäftsmodelle Einzug halten, ändern sich auch die Beschäftigungsverhältnisse. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass in diesen Beschäftigungsverhältnissen, die im Zuge der neuen Arbeitsformen entstehen, das europäische Sozialmodell aufrechterhalten und weiter gestärkt wird.

(9)

Am 17. November 2017 unterzeichneten das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission nach einer umfassenden, breit angelegten öffentlichen Konsultation, eine interinstitutionelle Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte (11). Mit der Säule werden 20 zentrale Grundsätze und Rechte zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Sozialsysteme festgelegt. Diese Grundsätze sind in drei Kategorien unterteilt: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und soziale Inklusion. Die Säule dient als Bezugsrahmen, um die Leistung der Mitgliedstaaten in den Bereichen Beschäftigung und Soziales zu verfolgen und um Reformen auf nationaler Ebene voranzutreiben, und sie dient als Kompass für einen erneuerten Konvergenzprozess in ganz Europa. Angesichts der Bedeutung dieser Grundsätze für die Koordinierung der Strukturpolitik ist es notwendig, die beschäftigungspolitischen Leitlinien mit den Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte in Einklang zu bringen.

(10)

Die europäische Säule sozialer Rechte wird von einem Scoreboard flankiert, mit dem die Umsetzung der Säule und die erzielten Fortschritte überwacht werden sollten, indem Trends und Leistungen in den Mitgliedstaaten verfolgt und die Fortschritte in Richtung sozioökonomischer Aufwärtskonvergenz bewertet werden. Diese Analyse wird gegebenenfalls in das Europäische Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik einfließen.

(11)

Die integrierten Leitlinien sollten die Grundlage für die länderspezifischen Empfehlungen bilden, die der Rat gegebenenfalls an die Mitgliedstaaten richtet. Die Mitgliedstaaten sollten den Europäischen Sozialfonds und andere Unionsfonds vollständig nutzen, um Beschäftigung, soziale Inklusion, die Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern, lebenslanges Lernen und Bildung zu fördern und die öffentliche Verwaltung zu verbessern. Auch wenn sich die integrierten Leitlinien an die Mitgliedstaaten und die Union richten, sollten sie in Partnerschaft mit allen nationalen, regionalen und lokalen Behörden und unter enger Einbeziehung von Parlamenten sowie Sozialpartnern und Vertretern der Zivilgesellschaft umgesetzt werden.

(12)

Der Beschäftigungsausschuss und der Ausschuss für Sozialschutz sollten — im Einklang mit ihrem jeweiligen vertragsgestützten Mandat — überwachen, wie die einschlägigen politischen Maßnahmen unter Berücksichtigung der beschäftigungspolitischen Leitlinien umgesetzt werden. Diese Ausschüsse sollten mit den anderen Vorbereitungsgremien des Rates, die an der Koordinierung der wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen beteiligt sind, eng zusammenarbeiten. Der Grundsatzdialog zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission sollte insbesondere in Bezug auf die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten beibehalten werden.

(13)

Der Ausschuss für Sozialschutz wurde gehört —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Die im Anhang beigefügten Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten werden angenommen. Diese Leitlinien sind Teil der integrierten Leitlinien zu Europa 2020.

Artikel 2

Die Mitgliedstaaten berücksichtigen die im Anhang aufgeführten Leitlinien in ihren beschäftigungspolitischen Maßnahmen und Reformprogrammen, über die nach Maßgabe des Artikels 148 Absatz 3 AEUV Bericht erstattet wird.

Artikel 3

Dieser Beschluss ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Brüssel am 16. Juli 2018.

Im Namen des Rates

Die Präsidentin

J. BOGNER-STRAUSS


(1)  Stellungnahme vom 19. April 2018 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)  Stellungnahme vom 14. März 2018 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)  Stellungnahme vom 3. Mai 2018 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4)  Empfehlung (EU) 2015/1184 des Rates vom 14. Juli 2015 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 192 vom 18.7.2015, S. 27).

(5)  ABl. C 120 vom 26.4.2013, S. 1.

(6)  ABl. C 67 vom 20.2.2016, S. 1.

(7)  ABl. C 484 vom 24.12.2016, S. 1.

(8)  ABl. C 153 vom 2.5.2018, S. 1.

(9)  Beschluss 2010/707/EU des Rates vom 21. Oktober 2010 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (ABl. L 308 vom 24.11.2010, S. 46).

(10)  Empfehlung 2008/867/EG der Kommission vom 3. Oktober 2008 zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen (ABl. L 307 vom 18.11.2008, S. 11).

(11)  ABl. C 428 vom 13.12.2017, S. 10.


ANHANG

Leitlinie 5: Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften

Die Mitgliedstaaten sollten die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze erleichtern, unter anderem indem sie die Hindernisse für Unternehmen bei der Einstellung von Arbeitskräften verringern, verantwortungsvolles Unternehmertum und echte Selbstständigkeit fördern und insbesondere die Gründung und das Wachstum von Kleinstunternehmen und kleinen Unternehmen unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollten die Sozialwirtschaft aktiv fördern und soziale Innovation begünstigen. Die Mitgliedstaaten sollten die innovativen Formen der Arbeit begünstigen, durch die qualitativ hochwertige Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Die Steuerlast sollte vom Faktor Arbeit auf andere, weniger beschäftigungs- und wachstumsschädliche Steuerquellen verlagert werden; dabei sollte der Umverteilungseffekt des Steuersystems berücksichtigt werden, und es sollten zugleich Steuereinnahmen für angemessenen sozialen Schutz und für wachstumsfördernde Ausgaben sichergestellt werden.

Die Mitgliedstaaten sollten unter Wahrung der Autonomie der Sozialpartner transparente und verlässliche Lohnfestsetzungsmechanismen fördern, die die Anpassung der Löhne an die Produktivitätsentwicklungen ermöglichen und eine faire Entlohnung sicherstellen, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Bei diesen Mechanismen sollten Unterschiede bei den Qualifikationsniveaus und bei der Wirtschaftsleistung der verschiedenen Regionen, Sektoren und Unternehmen berücksichtigt werden. Die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner sollten im Einklang mit den einzelstaatlichen Gepflogenheiten angemessene Mindestlöhne gewährleisten und deren Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Armut trotz Erwerbstätigkeit berücksichtigen.

Leitlinie 6: Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und Verbesserung des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen

Im Kontext des technologischen, ökologischen und demografischen Wandels sollten die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern Produktivität und Beschäftigungsfähigkeit durch ein angemessenes Angebot an einschlägigen Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen fördern, die die Menschen während ihres gesamten Arbeitslebens erwerben und die den aktuellen und künftigen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entsprechen. Die Mitgliedstaaten sollten die notwendigen Investitionen sowohl in die Grundbildung und die berufliche Erstausbildung als auch in die berufliche Weiterbildung (lebenslanges Lernen) tätigen. Sie sollten gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Trägern der allgemeinen und beruflichen Bildung, Unternehmen und anderen Interessenträgern an der Beseitigung struktureller Schwächen in den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung arbeiten, damit die allgemeine und berufliche Bildung sowie das lebenslange Lernen eine hohe Qualität und Inklusion aufweisen. Sie sollten bestrebt sein, sicherzustellen, dass Ansprüche auf Fortbildung bei beruflichen Übergängen übertragen werden können. Dies sollte es allen Beteiligten ermöglichen, die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes besser zu antizipieren, sich besser an diese Bedürfnisse anzupassen und Übergänge erfolgreich zu bewältigen, sodass die allgemeine Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber Erschütterungen verbessert wird.

Die Mitgliedstaaten sollten die Chancengleichheit für alle in der Bildung, einschließlich der frühkindlichen Erziehung und Bildung, fördern. Sie sollten das allgemeine Bildungsniveau steigern und hier insbesondere bei den am geringsten qualifizierten Menschen und Lernenden aus benachteiligten Verhältnissen ansetzen. Sie sollten hochwertige Lernergebnisse sicherstellen, die Grundkompetenzen stärken, die Zahl der jungen Menschen, die früh von der Schule abgehen, verringern und dafür sorgen, dass Erwachsener vermehrt an der Weiterbildung teilnehmen. Die Mitgliedstaaten sollten in ihren Berufsbildungssystemen das Lernen am Arbeitsplatz (unter anderem im Rahmen einer hochwertigen und nachhaltigen Lehrlingsausbildung) verstärken, die Relevanz der Tertiärbildung für den Arbeitsmarkt steigern und die Überwachungs- und Prognoseinstrumente für Kompetenzen verbessern; zudem sollten sie die Darstellung und Vergleichbarkeit von Kompetenzen verbessern und mehr Möglichkeiten für die Anerkennung und Validierung von Fähigkeiten und Kompetenzen schaffen, die außerhalb der formalen allgemeinen und beruflichen Bildung erworben werden. Sie sollten das Angebot an flexiblen Maßnahmen für die berufliche Bildung verbessern und ausweiten. Ferner sollten die Mitgliedstaaten gering qualifizierte Erwachsene dabei unterstützen, langfristig beschäftigungsfähig zu werden bzw. zu bleiben, indem sie für einen besseren Zugang zu hochwertigen Lernangeboten sorgen, und zwar durch die Einrichtung von Weiterbildungspfaden, die eine Bewertung der Kompetenzen, den Chancen am Arbeitsmarkt entsprechende Bildungs- bzw. Berufsbildungsangebote und die Validierung und Anerkennung erworbener Kompetenzen umfassen.

Arbeitslosigkeit und Nichterwerbstätigkeit sollten angegangen werden, auch durch effiziente, frühzeitige, koordinierte und bedarfsgerechte Hilfsangebote, die auf Unterstützung bei der Arbeitssuche, Fortbildung und Umschulung basieren. Um die Langzeitarbeitslosigkeit und die strukturelle Arbeitslosigkeit erheblich zu verringern und ihnen vorzubeugen, sollten umfassende Strategien verfolgt werden, die eine eingehende individuelle Bewertung spätestens nach 18 Monaten Arbeitslosigkeit umfassen. Gegen die Jugendarbeitslosigkeit und das Phänomen der jungen Menschen, die weder einen Arbeitsplatz haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren, sollte weiterhin mit Maßnahmen zur Verhinderung eines vorzeitigen Schulabgangs und strukturellen Verbesserungen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben vorgegangen werden; dazu gehört auch die uneingeschränkte Umsetzung der Jugendgarantie (1).

Die Mitgliedstaaten sollten sich um den Abbau von Hindernissen und Negativanreizen und die Schaffung von Anreizen für die Erwerbsbeteiligung vor allem derjenigen bemühen, die dem Arbeitsmarkt am fernsten sind. Sie sollten die Bereitstellung eines an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angepassten Arbeitsumfelds fördern, unter anderem durch gezielte finanzielle Unterstützung und durch Dienstleistungen, die Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft ermöglichen.

Sie sollten die Gleichstellung der Geschlechter und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen sicherstellen, indem sie unter anderem für Chancengleichheit und für gleiche Möglichkeiten bei der Laufbahnentwicklung sorgen und Hindernisse für eine Teilhabe am Arbeitsmarkt beseitigen. Das Einkommensgefälle zwischen Frauen und Männern sollte beseitigt werden, wozu auch gehört, dass gleiches Entgelt für gleiche beziehungsweise gleichwertige Arbeit gezahlt wird. Die Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben sowohl für Frauen auch als für Männer sollte insbesondere durch den Zugang zu Langzeitpflege und zu erschwinglichen, hochwertigen Diensten für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung gefördert werden. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass Eltern und Menschen mit Betreuungs- oder Pflegepflichten Zugang zu angemessenem Urlaub aus familiären Gründen und zu flexiblen Arbeitszeitregelungen haben, sodass sie ihr Arbeits-, Privat- und Familienleben miteinander in Einklang bringen können, und sie sollten eine ausgewogene Inanspruchnahme solcher Ansprüche durch Frauen und Männer fördern.

Leitlinie 7: Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs

Um Nutzen aus dynamischen, produktiven Arbeitskräften sowie neuen Arbeits- und Geschäftsmodellen zu ziehen, sollten die Mitgliedstaaten gemeinsam mit den Sozialpartnern an Grundsätzen der Flexibilität und der Sicherheit arbeiten und dabei auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten achten. Sie sollten die Segmentierung der Arbeitsmärkte verringern und ihr präventiv entgegenwirken, nicht angemeldete Erwerbstätigkeit bekämpfen und den Übergang in unbefristete Beschäftigungsformen fördern. Durch die Vorschriften für den Beschäftigungsschutz, das Arbeitsrecht und die einschlägigen Einrichtungen sollte ein Umfeld geschaffen werden, das sowohl die Rekrutierung von Arbeitskräften begünstigt als auch gewährleistet, dass die Arbeitgeber über die notwendige Flexibilität verfügen, um sich — unter Wahrung eines angemessenen Sicherheitsniveaus und gesunder, sicherer und geeigneter Arbeitsumfelder für die Arbeitnehmer — schnell an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen zu können. Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, sollten unterbunden werden, unter anderem, indem gegen den Missbrauch atypischer Verträge vorgegangen wird. In Fällen einer ungerechtfertigten Entlassung sollte ein Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung einschließlich einer angemessenen Entschädigung gewährleistet werden.

Die politischen Maßnahmen sollten darauf abzielen, die Erwerbsbeteiligung, die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sowie Arbeitsmarktübergänge zu aktivieren und zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten sollten diejenigen, die am Arbeitsmarkt teilhaben können, ermutigen und unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollten die Wirksamkeit der aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen verstärken, indem sie diese in Bezug auf Ausrichtung, Reichweite und Umfang verbessern und enger mit den Einkommensbeihilfen für Arbeitslose während der Arbeitssuche verknüpfen, und zwar auf Grundlage der Rechte und Pflichten Arbeitsloser. Die Mitgliedstaaten sollten sich bemühen, die Wirksamkeit und Effizienz der öffentlichen Arbeitsverwaltungen zu steigern, indem sie Arbeitsuchenden frühzeitig maßgeschneiderte Hilfsangebote bereitstellen, die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt stimulieren und leistungsorientiertes Management umsetzen.

Die Mitgliedstaaten sollten Arbeitslosen angemessene Leistungen von angemessener Dauer entsprechend ihren Beiträgen und den nationalen Bestimmungen zur Anspruchsberechtigung gewähren. Diese Leistungen sollten die Empfänger nicht davon abhalten, schnell wieder in Beschäftigung zurückzukehren, und von aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen flankiert werden.

Die Mobilität von Lernenden und Arbeitskräften sollte gefördert werden, um den Erwerb der für die Beschäftigungsfähigkeit maßgeblichen Kompetenzen zu verstärken und das Potenzial des europäischen Arbeitsmarktes voll auszuschöpfen. Hindernisse für die Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung, für die Übertragung von betrieblichen und privaten Altersversorgungsansprüchen und für die Anerkennung von Qualifikationen sollten beseitigt werden. Die Mitgliedstaaten sollten Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass Verwaltungsverfahren die Aufnahme einer Beschäftigung durch Arbeitskräfte aus anderen Mitgliedstaaten unnötig erschweren. Ferner sollten die Mitgliedstaaten einen Missbrauch der geltenden Regeln verhindern und einer potenziellen Abwanderung hoch qualifizierter Kräfte aus bestimmten Regionen entgegenwirken.

Um einen effektiveren sozialen Dialog zu erreichen und die sozioökonomischen Ergebnisse zu verbessern, sollten die Mitgliedstaaten entsprechend den einzelstaatlichen Gepflogenheiten dafür sorgen, dass die Sozialpartner rechtzeitig und sinnvoll in die Gestaltung und Umsetzung von beschäftigungs-, sozial- und gegebenenfalls auch wirtschaftspolitischen Reformen und Maßnahmen eingebunden werden, auch indem sie den Ausbau der Kapazitäten der Sozialpartner unterstützen. Die Sozialpartner sollten darin bestärkt werden, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter uneingeschränkter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts auf Kollektivmaßnahmen.

Gegebenenfalls sollten die Mitgliedstaaten entsprechend den einzelstaatlichen Gepflogenheiten die Erfahrung der einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Beschäftigungs-und Sozialfragen berücksichtigen.

Leitlinie 8: Verbesserung der Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut

Die Mitgliedstaaten sollten durch die Einführung wirksamer Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung und zur Förderung der Chancengleichheit von auf dem Arbeitsmarkt unterrepräsentierten Gruppen inklusive Arbeitsmärkte unterstützen, die allen Menschen offenstehen. Sie sollten im Hinblick auf Beschäftigung, sozialen Schutz, Bildung und Zugang zu Waren und Dienstleistungen für Gleichbehandlung — unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung — sorgen.

Die Mitgliedstaaten sollten die Sozialschutzsysteme modernisieren, um einen wirksamen, effizienten, nachhaltigen und angemessenen sozialen Schutz des Einzelnen in allen Lebensphasen zu gewährleisten, und dabei die soziale Inklusion und den sozialen Aufstieg fördern, Anreize für die Teilhabe am Arbeitsmarkt schaffen und Ungleichheiten beseitigen, auch durch die Gestaltung ihrer Steuer- und Sozialleistungssysteme. Wenn allgemeine Ansätze durch selektive Ansätze ergänzt werden, steigert dies die Wirksamkeit der Sozialschutzsysteme. Die Modernisierung der Sozialschutzsysteme sollte dazu führen, dass diese leichter zugänglich, nachhaltiger, angemessener und besser werden.

Die Mitgliedstaaten sollten präventive und integrierte Strategien entwickeln und umsetzen, bei denen die drei Pfeiler der aktiven Inklusion miteinander kombiniert werden: angemessene Einkommensunterstützung, inklusive Arbeitsmärkte und Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen, die den Bedürfnissen des Einzelnen gerecht werden. Die Sozialschutzsysteme sollten gewährleisten, dass jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, angemessene Mindesteinkommensleistungen erhält, und sie sollten die soziale Inklusion fördern, indem sie die Menschen zu einer aktiven Teilhabe am Arbeitsmarkt und an der Gesellschaft ermutigen.

Die Verfügbarkeit bezahlbarer, zugänglicher und hochwertiger Dienstleistungen, beispielsweise frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung, außerschulische Betreuung, allgemeine Bildung, Berufsbildung, Wohnraum, Gesundheitsdienste und Langzeitpflege, ist ausschlaggebend für die Gewährleistung von Chancengleichheit, auch für Frauen, Kinder und junge Menschen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung gerichtet werden, wozu auch die Verringerung der Armut trotz Erwerbstätigkeit und der Kinderarmut gehört. Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass jede Person Zugang zu essenziellen Dienstleistungen hat. Personen, die hilfsbedürftig sind oder sich in einer prekären Lage befinden, sollten sie Zugang zu angemessenen Sozialwohnungen oder zu angemessener Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung gewähren. Zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit sollten spezifische Maßnahmen ergriffen werden. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sollten berücksichtigt werden.

Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass Menschen rechtzeitig Zugang zu einer hochwertigen und bezahlbaren Gesundheitsvorsorge, Heilbehandlung und Langzeitpflege erhalten, und zugleich die langfristige Tragfähigkeit der entsprechenden Systeme sicherstellen.

Vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung und des demografischen Wandels sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Rentensysteme für Arbeitnehmer und Selbstständige nachhaltig und angemessen sind; dabei sollten sie für Chancengleichheit für Frauen und Männer beim Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen, auch durch Zusatzsysteme, sorgen, sodass für ein angemessenes Einkommen gesorgt ist. Rentenreformen sollten durch Maßnahmen zur Verlängerung des Erwerbslebens, wie beispielsweise die Heraufsetzung des tatsächlichen Renteneintrittsalters, unterstützt und von Strategien für aktives Altern flankiert werden. Die Mitgliedstaaten sollten einen konstruktiven Dialog mit den relevanten Interessenträgern aufnehmen und bei der Einführung von Reformen angemessene Übergangsphasen vorsehen.


(1)  ABl. C 120 vom 26.4.2013, S. 1.