31.1.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 31/43


WARNUNG DES EUROPÄISCHEN AUSSCHUSSES FÜR SYSTEMRISIKEN

vom 22. September 2016

zu mittelfristigen Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors Österreichs

(ESRB/2016/05)

(2017/C 31/02)

DER VERWALTUNGSRAT DES EUROPÄISCHEN AUSSCHUSSES FÜR SYSTEMRISIKEN —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (1), insbesondere auf Artikel 3 und Artikel 16,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Vergangenheit in vielen Ländern lehrt, dass Anzeichen für Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors bedeutende Risiken für die nationale Finanzstabilität bergen können und zu schwerwiegenden negativen Folgen für die Realwirtschaft mit möglichen negativen Ansteckungseffekten in anderen Ländern führen können.

(2)

Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) hat kürzlich eine systematische und vorausschauende unionsweite Bewertung von Anfälligkeiten in Zusammenhang mit dem Wohnimmobiliensektor abgeschlossen. In dieser Hinsicht hat der ESRB in acht Ländern gewisse mittelfristige Anfälligkeiten als eine Ursache von Systemrisiken für die Finanzstabilität ausgemacht, die potenziell schwerwiegende negative Folgen für die Realwirtschaft nach sich ziehen könnten.

(3)

Die Bewertung des ESRB zu Anfälligkeiten zeigt für Österreich Folgendes:

a)

Die Wohnimmobilienpreise in Österreich sind rapide gestiegen, insbesondere seit 2011. Bis vor Kurzem war die Preisentwicklung bei Wohnimmobilien in Wien wesentlich stärker als im restlichen Österreich. Der jährliche Anstieg der Wohnimmobilienpreise außerhalb von Wien war jedoch in der letzten Zeit bedeutend; er überstieg den Anstieg der Preise in Wien. Diese Entwicklungen haben zu einem Wohnimmobilien-Preisniveau geführt, das über den Fundamentalpreisindikatoren zu liegen scheint im Vergleich zur langfristigen Entwicklung der nationalen Fundamentalpreisindikatoren, insbesondere in Wien (2). Im Rest des Landes sind die Wohnimmobilienpreise nach den Schätzungen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) jedoch weitgehend im Einklang mit den Fundamentalpreisindikatoren.

b)

In letzter Zeit hat sich die starke Preisentwicklung bei Wohnimmobilien mit dem robusten Wachstum der Immobiliardarlehen gedeckt. Die Ergebnisse der OeNB-Umfrage über das Kreditgeschäft zeigen eine Verschlechterung der Kreditvergaberichtlinien. Darüber hinaus zeigen sie, dass der Anteil der neuen Immobiliardarlehensnehmer mit erhöhten Schulden-Einkommens- und Beleihungsquoten gestiegen ist. Allerdings sollten diese Ergebnisse aus den Umfragedaten der OeNB aufgrund der verschiedenen Umfrageergebnisse zwischen den Banken, des kleinen Stichprobenumfangs und der wechselnden Stichprobenzusammensetzung mit Vorsicht interpretiert werden. Im Allgemeinen könnten aber insbesondere Privathaushalte, die sich in Relation zum Einkommen oder zum Wert ihres Eigentums hoch verschulden, anfällig für wirtschaftliche Schocks sein, wie ein Anstieg der Arbeitslosigkeit oder ein Rückgang der Einkommen der Privathaushalte oder der Wohnimmobilienpreise. Unter diesen Umständen kann es für Privathaushalte schwieriger sein, ihre Kredite zu bedienen und die Zahl der Zahlungsausfälle bei den Immobiliardarlehen kann ansteigen, wodurch es zu direkten Kreditausfällen bei Banken kommt, insbesondere wenn Wohnimmobilienpreise fallen. Darüber hinaus könnten bei Eintreten eines volkswirtschaftlichen Negativszenarios die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf Einkommen und Vermögen der Privathaushalte den ursprünglichen Schock verstärken, was wiederum zur Verschlimmerung der unmittelbaren und mittelbaren negativen Auswirkungen auf die Finanzstabilität führen könnte (z. B. dann, wenn Privathaushalte ihren Konsum zur Bedienung ihrer Immobiliardarlehen einschränken müssen). Weitere Informationen zu Kreditvergaberichtlinien auf der Basis einer größeren Stichprobe von Finanzinstituten werden benötigt, um die systemischen Auswirkungen von möglicherweise sich verschlechternden Kreditvergaberichtlinien zu beurteilen.

c)

Im Allgemeinen erschwert rapides Preiswachstum bei Wohnimmobilien, das die Einkommensentwicklung der Haushalte übersteigt, wie es vor Kurzem in Österreich beobachtet wurde, es für Privathaushalte, Hauseigentümer zu werden und kann insgesamt zu einer höheren Verschuldung der Privathaushalte bzw. zu einer Zunahme der Gruppe von Privathaushalten mit einer höheren Verschuldung führen. Ferner besteht aufgrund der robusten Dynamik der Kredite und Wohnimmobilienpreise das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Kreditvergaberichtlinien.

d)

Die Risikopositionen für Immobiliardarlehen bei den österreichischen Banken sind im Vergleich zu anderen Ländern der Union gering. Dies steht im Zusammenhang mit der niedrigen Hauseigentumsquote (3) und dem geringen Anteil an Immobiliardarlehensnehmern unter den Hauseigentümern in Österreich. Dennoch ist die Summe der Risikopositionen der österreichischen Banken im Bereich der Immobilientätigkeit, einschließlich der Kreditvergabe an den Bausektor usw., höher im Vergleich zu anderen Ländern der Union. Die durchschnittlichen Risikogewichte für österreichische Banken, die interne Ratingmodelle nutzen, liegen deutlich über dem Unionsdurchschnitt. Dadurch ist der österreichische Bankensektor weniger anfällig für mögliche direkte Risiken aus dem Wohnimmobiliensektor. Es sollte jedoch beachtet werden, dass die durchschnittliche Gesamtkapitalisierung der österreichischen Banken leicht unter dem Unionsdurchschnitt liegt.

e)

Bei der Analyse der Art der festgestellten Anfälligkeiten in Österreich gibt es sowohl risikomindernde als auch erschwerende Faktoren. Zu den erschwerenden Faktoren zählen ein wesentlicher Anteil an variabel verzinslichen Krediten (sowohl für neue Kredite als auch im Bestand bestehender Kredite) sowie bestehende Fremdwährungskredite für den Wohnungsbau, die Privathaushalte Zinsänderungs- bzw. Wechselkursrisiken aussetzen. Der Anteil an Immobiliardarlehen mit variabler Verzinsung oder die auf Fremdwährungen lauten hat jedoch abgenommen. Ferner zeigen mehrere Analysen, dass insbesondere Kreditnehmer von Fremdwährungskrediten für den Wohnungsbau in Österreich beträchtliche Risikopuffer vorhalten, die die damit einhergehenden Anfälligkeiten abmildern. Zu den weiteren wichtigen risikomindernden Faktoren zählen eine relativ niedrige Hauseigentumsquote, die über Jahrzehnte stabil war, in Verbindung mit einem gut entwickelten Wohnungsmarkt und einer insgesamt moderaten Verschuldung der Privathaushalte. Darüber hinaus amortisieren sich die meisten Immobiliardarlehen und Schulden werden eher von wohlhabenderen Haushalten gehalten.

f)

Der ESRB würdigt die von den österreichischen Behörden ergriffenen Maßnahmen, einschließlich der Erwartungen an nachhaltige Kreditvergaberichtlinien, die den Banken kommuniziert wurden (4). Des Weiteren hat das österreichische Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) dem Bundesministerium der Finanzen geraten, eine Erweiterung der makroprudenziellen Instrumentarien um schuldnerbezogene makroprudenzielle Instrumente auf dem Gebiet der Immobilienfinanzierung vorzunehmen, damit sichergestellt ist, dass das FMSG auf systemische Risiken aus nicht nachhaltigen Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt reagieren kann (5). Wohnimmobilienpreise und Immobiliardarlehen nehmen stark zu; es gibt Gruppen von Privathaushalten mit erhöhter Verschuldung und es gibt Anzeichen für eine Abschwächung der Kreditvergaberichtlinien. Zwar sind die von den österreichischen Behörden bereits ergriffenen politischen Maßnahmen für die Anfälligkeiten in Zusammenhang mit dem Wohnimmobiliensektor in Österreich geeignet, sie könnten aber möglicherweise nicht ausreichen, um den Anfälligkeiten vollumfänglich zu begegnen —

HAT FOLGENDE WARNUNG AUSGEGEBEN:

Der ESRB hat gewisse mittelfristige Anfälligkeiten im Wohnimmobiliensektor Österreichs als eine Ursache von Systemrisiken für die Finanzstabilität ausgemacht, die potenziell schwerwiegende negative Folgen für die Realwirtschaft nach sich ziehen könnten. Als Hauptanfälligkeiten erachtet der ESRB aus makroprudenzieller Sicht den starken Anstieg, insbesondere in jüngster Vergangenheit, der Wohnimmobilienpreise und Immobiliardarlehen sowie das Risiko einer weiteren Lockerung der Kreditvergaberichtlinien.

Geschehen zu Frankfurt am Main am 22. September 2016.

Francesco MAZZAFERRO

Leiter des ESRB-Sekretariats

Im Auftrag des Verwaltungsrates des ESRB


(1)  ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 1.

(2)  Auf der Basis von Schätzungen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und der Europäischen Zentralbank (EZB).

(3)  Insbesondere in Wien ist die Hauseigentumsquote niedrig — 82 % der Privathaushalte sind Mieter.

(4)  Nach der Entscheidung des ESRB, diese Warnung auszugeben, hat das österreichische FMSG nachhaltige Kreditvergaberichtlinien für Wohnimmobilien in seiner Sitzung am 23. September 2016 diskutiert.

(5)  Der Hinweis des FMSG ist öffentlich zugänglich: https://www.fmsg.at/publikationen/risikohinweise-und-empfehlungen/hinweis-2-2016.html.