24.10.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 273/12


EMPFEHLUNG (EU) 2017/1936 DER KOMMISSION

vom 18. Oktober 2017

für unverzügliche Maßnahmen zur Verhütung des Missbrauchs von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die jüngsten terroristischen Anschläge und Zwischenfälle haben gezeigt, dass die Bedrohung durch selbst hergestellte Explosivstoffe in Europa hoch bleibt. Trotz der Bemühungen, den Zugang zu Ausgangsstoffen für Explosivstoffe wirksam zu beschränken und zu kontrollieren, sind diese nach wie vor verfügbar und werden zur Eigenherstellung von Explosivstoffen verwendet.

(2)

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hebt in seiner Entschließung 2370 (2017) hervor, wie dringend notwendig es ist, Terroristen an der Verwendung bzw. dem Erwerb von Rohstoffen und Komponenten, die zur Herstellung von Explosivstoffen geeignet sind, zu hindern, und ruft dazu auf, die Wachsamkeit zu steigern und dafür u. a. Leitlinien für praxisbewährte Verfahren zu erstellen, grenzüberschreitend Informationen auszutauschen sowie Partnerschaften aufzubauen.

(3)

Die Verordnung (EU) Nr. 98/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (1) legt einheitliche Vorschriften für die Bereitstellung, die Verbringung, den Besitz und die Verwendung von Stoffen oder Gemischen fest, die für die unrechtmäßige Herstellung von Explosivstoffen missbraucht werden könnten; sie zielt zudem darauf ab, die Verfügbarkeit dieser Stoffe für die Allgemeinheit zu beschränken und zu gewährleisten, dass verdächtige Transaktionen in der gesamten Lieferkette in geeigneter Form gemeldet werden.

(4)

Die Verordnung (EU) Nr. 98/2013 muss von allen Mitgliedstaaten ordnungsgemäß angewendet werden, damit sie ihre Ziele erreichen kann, d. h. den freien Warenverkehr mit chemischen Stoffen und Gemischen im Binnenmarkt verbessern, Wettbewerbshindernisse beseitigen und ein hohes Maß an Sicherheit für die Allgemeinheit gewährleisten. Außerdem wird sie den Zielen der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) zur Verhütung terroristischer Straftaten im Zusammenhang mit der Herstellung, dem Besitz, dem Erwerb, der Beförderung, der Bereitstellung oder der Verwendung von Sprengstoffen sowie der Unterweisung in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoffen oder dem Erhalt solcher Unterweisung förderlich sein.

(5)

Mit dieser Empfehlung will die Kommission gewährleisten, dass die Ziele der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 wirksamer erreicht werden, indem sie den Mitgliedstaaten Orientierung für die Anwendung dieser Verordnung gibt. Die Empfehlung ergänzt die von der Kommission und dem Ständigen Ausschuss für Ausgangsstoffe (3) angenommenen Leitlinien (4) und trägt den Diskussionen in diesem Ausschuss und in einer Reihe von regionalen Workshops unter Beteiligung der Behörden der Mitgliedstaaten, die 2016 und 2017 stattgefunden haben, Rechnung.

(6)

Die Verfügbarkeit von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe sollte für die Allgemeinheit beschränkt werden, um Terroristen daran zu hindern, diese Stoffe zu erwerben. Mit der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 wird für Mitglieder der Allgemeinheit der Zugang zu sieben chemischen Stoffen (in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 aufgeführte beschränkte Ausgangsstoffe für Explosivstoffe (5)) und deren Verwendung beschränkt.

(7)

Ungeachtet dieses Verbots können die Mitgliedstaaten entscheiden, diese Stoffe für die Allgemeinheit zugänglich zu machen, allerdings nur auf der Grundlage eines Genehmigungs- und Registrierungssystems. Am 1. Januar 2017 galt in sechzehn Mitgliedstaaten ein Genehmigungs- und/oder Registrierungssystem und kein Verbot (6). In diesen Mitgliedstaaten sind beschränkte Ausgangsstoffe für Explosivstoffe und entsprechende Gemische also nach wie vor für Mitglieder der Allgemeinheit zugänglich und werden von diesen verwendet.

(8)

Die Mitgliedstaaten sollten Alternativstoffe und geringere Konzentrationen, bei denen weniger Sicherheitsbedenken bestehen, ausweisen und deren Verwendung fördern sowie Bedingungen für die Lagerung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe festlegen. Mitgliedstaaten, die ein Genehmigungssystem haben, sollten Einzelpersonen, die eine Genehmigung beantragen, gründlich durchleuchten.

(9)

Mit dieser Empfehlung ruft die Kommission zudem dazu auf, die Beschränkungen und Kontrollen der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 besser durchzusetzen und sektorübergreifend zusammenzuarbeiten. Wird das Problembewusstsein aller Akteure in der Lieferkette einschließlich der Online-Händler gestärkt, so sind diese besser in der Lage, ihren Verpflichtungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 nachzukommen.

(10)

Unbeschadet der Rechtsvorschriften für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen bei terroristischen Straftaten (7) oder im Zollwesen (8) ruft die Kommission mit dieser Empfehlung dazu auf, Informationen über verdächtige Transaktionen, das Abhandenkommen und den Diebstahl sowie andere verdächtige Vorkommnisse oder Genehmigungsanträge auszutauschen, sofern es dabei grenzüberschreitende Aspekte zu geben scheint.

(11)

Bei den jüngsten Anschlägen und Zwischenfällen wurde zwar meist Triacetontriperoxid (TATP) verwendet, die Bedrohung geht jedoch von einem breiteren Spektrum an selbst hergestellten Explosivstoffen und entsprechenden Ausgangsstoffen aus. Die Union und ihre Mitgliedstaaten müssen weiter wachsam sein, den Entwicklungen in diesem Bereich auf der Spur bleiben bzw. entgegentreten und dabei mit den relevanten Interessenträgern und Verwendern zusammenarbeiten.

(12)

Seit der Annahme der Verordnung hat die Kommission in enger Zusammenarbeit mit dem Ständigen Ausschuss für Ausgangsstoffe die Anwendung der Verordnung überwacht und erleichtert. Im Februar 2017 hat die Kommission einen Bericht (9) angenommen, in dem sie zu dem Schluss gelangte, dass das Inkrafttreten der Verordnung zwar zur Verringerung der von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe ausgehenden Gefahr in Europa beigetragen habe, dennoch aber Maßnahmen zu ermitteln seien, mit denen das Kontrollsystem für selbst hergestellte Explosivstoffe verschärft werden könnte. Im Mai 2017 hat die Kommission die Überprüfung der Verordnung über Ausgangsstoffe für Explosivstoffe (10) mit einer Evaluierung begonnen, der im ersten Halbjahr 2018 eine Folgenabschätzung folgen wird. Im Rahmen der Evaluierung werden die Relevanz, die Wirksamkeit, die Effizienz, die Kohärenz und der Mehrwert der Verordnung untersucht und Probleme und Hindernisse ermittelt, die möglicherweise weitere Maßnahmen erforderlich machen. Im Rahmen der Folgenabschätzung werden verschiedene politische Optionen für die Bewältigung der gegebenenfalls ermittelten Probleme und Hindernisse geprüft werden. Bis das Ergebnis dieser Überprüfung vorliegt, ruft die Kommission mit dieser Empfehlung die Mitgliedstaaten auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Verfügbarkeit von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe für die Allgemeinheit im Rahmen der bestehenden Verordnung wirksam zu beschränken —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

Beschränkung der Verfügbarkeit von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe für die Allgemeinheit

1.

Die Mitgliedstaaten sollten alle im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Verfügbarkeit von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe für die Allgemeinheit zu beschränken, Terroristen am Erwerb von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe zu hindern und zugleich zu gewährleisten, dass verdächtige Transaktionen in der gesamten Lieferkette in geeigneter Form gemeldet werden. Die Mitgliedstaaten sollten daher sorgfältig prüfen, ob das Verbot, das Genehmigungs- oder das Registrierungssystem, das sie eingeführt haben, diesen Zielen wirksam dient. Die Mitgliedstaaten sollten die Kommission innerhalb von vier Monaten nach Abgabe dieser Empfehlung über die Ergebnisse ihrer Prüfung unterrichten. Diese Informationen werden in die Bewertung der möglichen künftigen Maßnahmen auf EU-Ebene einfließen.

2.

Zudem sollten die Mitgliedstaaten dringend nachstehende Maßnahmen ergreifen. Sie sollten

a)

die Verwendung von Alternativstoffen oder geringeren Konzentrationen, die für rechtmäßige Tätigkeiten ebenso gut geeignet sind, bei denen aber weniger Sicherheitsbedenken bestehen, fördern bzw., soweit möglich und angemessen, vorschreiben;

b)

für Wirtschaftsteilnehmer, gewerbliche Verwender und Mitglieder der Allgemeinheit, die rechtmäßig Eigentümer von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe sind, Sicherheitsbedingungen für die Lagerung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe festlegen;

c)

den Wirtschaftsteilnehmern klare Leitlinien an die Hand geben, wie diese wirksam und effizient prüfen können, ob eine Person ein Mitglied der Allgemeinheit ist oder nicht. Dafür könnten die Mitgliedstatten den Begriff des „gewerblichen Verwenders“ einführen, der eine Person bezeichnet, die beschränkte Ausgangsstoffe für Explosivstoffe für Zwecke im Zusammenhang mit Handel, Geschäfts- oder Berufstätigkeit benötigt;

d)

in Fällen, in denen ein Genehmigungssystem gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 eingeführt wurde, Einzelpersonen, die eine Genehmigung beantragen, gründlich durchleuchten und insbesondere die Vorstrafen des Antragstellers in allen Staaten, in denen dieser in den vorangegangenen fünf Jahren seinen Wohnsitz hatte, überprüfen; und

e)

ein Kontrollsystem einführen, um Wirtschaftsteilnehmer zu ermitteln, die die Vorschriften nicht einhalten.

Stärkung der Zusammenarbeit und des Austausches mit der Lieferkette

3.

Im Interesse der Stärkung der Zusammenarbeit und des Austausches mit der Lieferkette sollten die Mitgliedstaaten

a)

Schulungen anbieten, um zu gewährleisten, dass Strafverfolgungsbehörden, Ersthelfer und Zollbehörden Ausgangsstoffe für Explosivstoffe und entsprechende Gemische im Rahmen der Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben erkennen und zügig und angemessen auf verdächtige Tätigkeiten reagieren können;

b)

die Endverwender von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe ermutigen, über die bestehenden Meldepflichten gemäß Artikel 9 Absatz 4 der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 hinaus nennenswerte Fälle von Abhandenkommen und Diebstahl zu melden;

c)

Informationen über verdächtige Transaktionen, das Abhandenkommen, den Diebstahl und andere verdächtige Vorkommnisse oder Genehmigungsanträge, bei denen es grenzüberschreitende Aspekte geben könnte, so schnell wie möglich im Einklang mit nationalen Rechtsvorschriften und einschlägigen internationalen Rechtsinstrumenten mit anderen betroffenen Mitgliedstaaten austauschen, soweit dies noch nicht durch bestehende Verpflichtungen im Rahmen des Unionsrechts abgedeckt ist; und

d)

alle relevanten Sektoren, auch im Online-Bereich, ermitteln, Sensibilisierungsmaßnahmen auf die Besonderheiten des jeweiligen Sektors ausrichten und einen ständigen Dialog mit der Lieferkette und den Endverwendern führen, um das Verständnis für rechtmäßige gewerbliche und nichtgewerbliche Verwendungen von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe zu verbessern.

Brüssel, den 18. Oktober 2017

Für die Kommission

Julian KING

Mitglied der Kommission


(1)  Verordnung (EU) Nr. 98/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2013 über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (ABl. L 39 vom 9.2.2013, S. 1).

(2)  Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates (ABl. L 88 vom 31.3.2017, S. 6).

(3)  http://ec.europa.eu/transparency/regexpert/index.cfm?do=groupDetail.groupDetail&groupID=3245

(4)  https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/crisis-and-terrorism/explosives/explosives-precursors/docs/guidelines_on_the_marketing_and_use_of_explosives_precursors_en.pdf

(5)  Wasserstoffperoxid, Nitromethan, Salpetersäure, Kaliumchlorat, Kaliumperchlorat, Natriumchlorat, Natriumperchlorat in einer Konzentration oberhalb des in Anhang I aufgeführten jeweiligen Konzentrationsgrenzwerts einschließlich eines Gemischs oder sonstigen Stoffes, das bzw. der einen solchen aufgeführten Stoff in einer Konzentration oberhalb des jeweiligen Konzentrationsgrenzwerts enthält.

(6)  Bericht der Kommission über die Anwendung der und die Befugnisübertragung gemäß Verordnung (EU) Nr. 98/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (COM(2017) 103 final vom 28. Februar 2017).

(7)  Beschluss 2005/671/JI des Rates vom 20. September 2005 über den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit betreffend terroristische Straftaten (ABl. L 253 vom 29.9.2005, S. 22).

(8)  Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung (ABl. L 82 vom 22.3.1997, S. 1).

(9)  Bericht der Kommission über die Anwendung der und die Befugnisübertragung gemäß Verordnung (EU) Nr. 98/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (COM(2017) 103 final vom 28. Februar 2017).

(10)  https://ec.europa.eu/home-affairs/what-is-new/work-in-progress/initiatives/revision-regulation-marketing-and-use-explosives-precursors_en