18.8.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 272/91


EMPFEHLUNG DES RATES

vom 14. Juli 2015

zum nationalen Reformprogramm Polens 2015 mit einer Stellungnahme des Rates zum Konvergenzprogramm Polens 2015

(2015/C 272/24)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (1), insbesondere auf Artikel 9 Absatz 2,

auf Empfehlung der Europäischen Kommission,

unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments,

unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Am 26. März 2010 stimmte der Europäische Rat dem Vorschlag der Kommission zu, eine neue Strategie für Wachstum und Beschäftigung („Europa 2020“) auf den Weg zu bringen, die sich auf eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken stützt. Der Schwerpunkt dieser Strategie liegt auf den Schlüsselbereichen, in denen Maßnahmen notwendig sind, um Europas Potenzial für nachhaltiges Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

(2)

Am 14. Juli 2015 nahm der Rat auf der Grundlage der Kommissionsvorschläge eine Empfehlung zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union, und am 21. Oktober 2010 einen Beschluss über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2) an. Diese bilden zusammen die „integrierten Leitlinien“; die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, bei ihrer nationalen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik den integrierten Leitlinien Rechnung zu tragen.

(3)

Am 8. Juli 2014 nahm der Rat eine Empfehlung (3) zum nationalen Reformprogramm Polens 2014 an und gab eine Stellungnahme zum aktualisierten polnischen Konvergenzprogramm 2014 ab.

(4)

Am 28. November 2014 nahm die Kommission den Jahreswachstumsbericht an, mit dem das Europäische Semester der wirtschaftspolitischen Koordinierung 2015 eingeleitet wurde. Am selben Tag nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) den Warnmechanismus-Bericht an, in dem Polen nicht als einer der Mitgliedstaaten genannt wird, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei.

(5)

Am 18. Dezember 2014 billigte der Europäische Rat die Prioritäten für eine Investitionsförderung, intensivierte Strukturreformen und die Fortführung einer verantwortlichen wachstumsfördernden Haushaltskonsolidierung.

(6)

Am 26. Februar 2015 veröffentlichte die Kommission ihren Länderbericht Polen 2015. Darin wurden die Fortschritte Polens bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen vom 8. Juli 2014 bewertet.

(7)

Am 29. April 2015 übermittelte Polen sein nationales Reformprogramm 2015 und am 30. April 2015 sein Konvergenzprogramm 2015. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

(8)

Polen unterliegt derzeit der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts, nachdem das Defizitverfahren im Juni 2015 eingestellt wurde (5). Laut Konvergenzprogramm 2015 plant die Regierung einen schrittweisen Abbau des Gesamtdefizits: 2015 soll des von 3,2 % des BIP auf 2,7 % des BIP gesenkt und bis 2018 weiter auf 1,2 % des BIP zurückgeführt werden. Unter Zugrundelegung der Frühjahrsprognose 2015 der Kommission kann das übermäßige Defizit schon seit 2014 und damit ein Jahr vor der gesetzten Frist als korrigiert gelten, da die Überschreitung des im Vertrag verankerten Referenzwerts von 3 % des BIP auf die Nettokosten der Rentenreform für den Haushalt zurückzuführen ist. Dem Konvergenzprogramm zufolge plant die Regierung, das mittelfristige Ziel — ein strukturelles Defizit von 1 % des BIP — bis 2019 zu erreichen. Die Regierung plant ferner, die öffentliche Schuldenquote, die 2015 mit 51,7 % ihren Höchststand erreichen dürfte, bis 2018 auf 49,1 % zurückführen. Das makroökonomische Szenario, das diesen Haushaltsprojektionen zugrunde liegt, ist 2015 plausibel und 2016 eher günstig. Eine Gesamtbewertung ergibt, dass Polen angesichts seines unter dem Richtwert liegenden Nettoausgabenwachstums die erforderliche Anpassung an das mittelfristige Ziel voraussichtlich 2015 vollzieht. Mit welchen Maßnahmen die geplanten Defizitziele ab 2016 erreicht werden sollen, wurde nicht präzise genug dargelegt. Laut Frühjahrsprognose 2015 der Kommission besteht 2016 das Risiko, dass leicht vom erforderlichen Anpassungspfad abgewichen wird, da die strukturelle Anpassung hinter den Vorgaben zurückbleibt. 2016 werden deshalb weitere Maßnahmen erforderlich sein. Aufgrund seiner eigenen Bewertung des Konvergenzprogramms und unter Berücksichtigung der Frühjahrsprognose 2015 der Kommission ist der Rat der Auffassung, dass Polen die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts voraussichtlich weitgehend einhalten wird. Die Steuereinnahmen könnten gesteigert werden, indem in geringerem Umfang als bisher auf ermäßigte MwSt.-Sätze zurückgegriffen und die Effizienz der Steuerverwaltung erhöht würde.

(9)

Der haushaltspolitische Rahmen Polens ließe sich durch Schaffung einer unabhängigen Stelle — entweder als eigenständige Stelle oder innerhalb einer bestehenden Einrichtung — verbessern, die die Einhaltung der Haushaltsvorschriften ex ante und ex post beurteilen, die Prognosen für die Gesamtwirtschaft und den Haushalt bewerten und die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen analysieren würde.

(10)

Polen hat Ende 2013 die Rentenreform von 1999 zurückgenommen. Wenngleich dies den Haushalt kurzfristig entlastet, wird die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen dadurch nicht verbessert, da die kurzfristigen Vorteile durch die höheren Sozialversicherungsbeiträge und niedrigeren Zinszahlungen durch höhere künftige Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Säule zunichte gemacht werden. Alles in allem ist die Rücknahme der Rentenreform von 1999 für die öffentlichen Finanzen Polens mit einigen Risiken verbunden.

(11)

Die Privilegien, die Landwirte und Bergleute in der Sozialversicherung genießen, stehen der beruflichen Mobilität weiterhin im Wege und sind für die öffentlichen Finanzen mit erheblichen Kosten verbunden. Diese Vorzugsregelungen halten Menschen davon ab, in produktivere Sektoren zu wechseln, schaffen verdeckte Arbeitslosigkeit und werden wegen der geringen Beitragszahlungen in hohem Maße vom Steuerzahler subventioniert. Der polnische Agrarsektor beschäftigte im Jahr 2014 11,5 % der Arbeitskräfte (mehr als doppelt so viel wie im EU-Durchschnitt), generiert aber nur 3,3 % der nationalen Bruttowertschöpfung. Die staatlichen Subventionen für das Sozialversicherungssystem für Landwirte machen fast 1 % des BIP aus, die Subventionen für die Bergarbeiter-Rentenkasse 0,5 % des BIP. Beiträge und Leistungen sind nur schwach miteinander verknüpft, und zumeist werden die Beiträge auf pauschaler Basis erhoben. Die Tatsache, dass Landwirte mit hohen Einkommen nicht systematisch ausgeschlossen werden können, macht das System missbrauchsanfällig. Die Einführung eines Systems zur Erfassung und Bewertung der Einkommen der Landwirte wäre der zwingend notwendige erste Schritt zu einer Reform des Sozialversicherungssystems für diese Berufsgruppe.

(12)

Die Segmentierung des polnischen Arbeitsmarkts besteht fort. Nirgendwo sonst in der Union gibt es so viele befristete Arbeitsverträge, wobei es nur einem geringen Teil der Arbeitnehmer gelingt, von einem befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu wechseln, und die Lohnunterschiede die höchsten in der Union sind. Starre Kündigungsvorschriften, lange Gerichtsverfahren und andere Erschwernisse für die Arbeitgeber begünstigen den Rückgriff auf befristete, atypische Arbeitsverträge. Auch die als hoch empfundenen Kosten der vom Arbeitsrecht abgedeckten Verträge führen dazu, dass im Übermaß von zivilrechtlichen Verträgen (umowy cywilnoprawne) Gebrauch gemacht wird, die wegen der damit verbundenen niedrigeren Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber attraktiv sind. Der hohe Anteil dieser mit geringeren Beiträgen einhergehenden Verträge kann allerdings vor allem für junge Arbeitnehmer die Qualität der verfügbaren Beschäftigung beeinträchtigen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Qualifikationen und Fertigkeiten der Bewerber nicht den Erfordernissen des Arbeitsmarkts entsprechen. Anhaltende Anstrengungen sind deshalb erforderlich, um das System der beruflichen Aus- und Fortbildung zu reformieren und eine größere Teilhabe am lebenslangen Lernen zu gewährleisten. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist nach wie vor gering. Um diesem Problem abzuhelfen, hat Polen das Angebot an vorschulischen Einrichtungen erhöht, zählt aber nach wie vor zu den Mitgliedstaaten, die beim Angebot frühkindlicher Betreuung am schlechtesten abschneiden.

(13)

Der Eisenbahnsektor leidet unter hohen Wegeentgelten und unzureichender nationaler Finanzierung. Aufgrund des Regulierungs- und Verwaltungsumfelds sind die Verfahren für die Ausarbeitung und Umsetzung von Projekten in der Regel langwierig und schwerfällig. Wenngleich sich die jüngsten Gesetzesänderungen positiv auf den Schienenverkehr auswirken können, werden sie auf die im Programmplanungszeitraum 2007-2013 angelaufenen Investitionsprojekte aber voraussichtlich keine Auswirkungen haben. Im Zeitraum 2014-2020 sollen die EU-Finanzierungen für den Schienensektor allerdings erheblich aufgestockt werden.

(14)

Im Rahmen des Europäischen Semesters hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Polens umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2015 veröffentlicht. Sie hat auch das Konvergenzprogramm und das nationale Reformprogramm sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der an Polen gerichteten Empfehlungen der Vorjahre bewertet. Dabei hat sie nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Polen berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt durch auf EU-Ebene entwickelte Vorgaben für künftige nationale Entscheidungen zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit EU-Vorschriften und -Leitlinien beurteilt. Ihre Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters spiegeln sich in den nachstehenden Empfehlungen 1 bis 4 wider.

(15)

Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Konvergenzprogramm geprüft; seine Stellungnahme (6) hierzu spiegelt sich insbesondere in der nachstehenden Empfehlung 1 wider —

EMPFIEHLT, dass Polen 2015 und 2016

1.

nach der Korrektur seines übermäßigen Defizits in den Jahren 2015 und 2016 jeweils eine Anpassung von 0,5 % des BIP in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel vornimmt; einen unabhängigen Haushaltsrat einsetzt; die Steuerbemessungsgrundlage ausweitet, insbesondere indem der Rückgriff auf das umfassende System ermäßigter MwSt.-Sätze eingeschränkt wird;

2.

damit beginnt, die Rentenregelungen für Landwirte und Bergleute an die anderer Arbeitnehmer anzupassen und einen Zeitplan für eine schrittweise vollständige Anpassung festlegt; ein System für die Erfassung und Bewertung der Einkommen der Landwirte schafft;

3.

Maßnahmen ergreift, um am Arbeitsmarkt den übermäßigen Rückgriff auf befristete und zivilrechtliche Verträge einzuschränken;

4.

Hindernisse für Investitionen in Schienenprojekte beseitigt.

Geschehen zu Brüssel am 14. Juli 2015.

Im Namen des Rates

Der Präsident

P. GRAMEGNA


(1)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.

(2)  Aufrechterhalten durch den Beschluss 2014/322/EU des Rates vom 6. Mai 2014 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten für 2014 (ABl. L 165 vom 4.6.2014, S. 49).

(3)  Empfehlung des Rates vom 8. Juli 2014 zum nationalen Reformprogramm Polens 2014 mit einer Stellungnahme des Rates zum Konvergenzprogramm Polens 2014 (ABl. C 247 vom 29.7.2014, S. 97).

(4)  Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte (ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25).

(5)  Beschluss (EU) 2015/1026 des Rates vom 19. Juni 2015 zur Aufhebung des Beschlusses 2009/589/EG über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Polen (ABl. L 163 vom 30.6.2015, S. 37).

(6)  Gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97.