12.10.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 268/32


BESCHLUSS DER KOMMISSION

vom 6. Juli 2010

zu der Maßnahme C 48/07 (ex NN 60/07), die von Polen zugunsten von WRJ und WRJ-Serwis durchgeführt wurde

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 4476)

(Nur der polnische Text ist verbindlich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2010/612/EU)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 108 Absatz 2 Unterabsatz 1,

gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a,

gestützt auf das Protokoll Nr. 8 des Beitrittsvertrags über die Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie (1),

nach Aufforderung der Beteiligten zur Äußerung gemäß dem vorgenannten Artikel (2) und unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

1.   VERFAHREN

(1)

Die Kommission wurde im Rahmen der Überwachung der Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie auf Unregelmäßigkeiten im polnischen Stahlrohrsektor hingewiesen. Nach dem Beitritt Polens zur EU wurden die Beihilfen an Walcownia Rur Jedność Sp. z o.o. („WRJ“) und WRJ Serwis Sp. z o.o. („WRJ-Serwis“) von Amts wegen überprüft. Mit Schreiben vom 6. April 2005, 4. August 2005, 3. November 2005, 4. Mai 2006, 17. November 2006 und 11. Juli 2007 forderte die Kommission Informationen von den polnischen Behörden an. Die polnischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 7. Juni 2005, 29. September 2005, 2. Dezember 2005, 18. Mai 2006, 31. Mai 2006, 10. Januar 2007 und 3. August 2007.

(2)

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 teilte die Kommission Polen ihren Beschluss mit, das Verfahren nach Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) (3) bezüglich mehrerer Maßnahmen zugunsten von WRJ und WRJ-Serwis einzuleiten.

(3)

Der Beschluss der Kommission zur Einleitung des Verfahrens wurde im Amtsblatt der Europäischen Union vom 24. November 2007 veröffentlicht (4). Die Kommission forderte die Beteiligten auf, zu den Maßnahmen Stellung zu nehmen.

(4)

Die Kommission erhielt die Stellungnahme eines Beteiligten. Sie leitete diese an Polen weiter, das Gelegenheit zur Reaktion auf die Stellungnahme erhielt; Polen übermittelte seine Bemerkungen mit Schreiben vom 16. Februar 2009. Die Antwort Polens auf die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens erfolgte mit Schreiben vom 21. Januar 2008 und 1. Februar 2008.

(5)

Am 16. Februar 2009 forderte die Kommission weitere Informationen an, die Polen mit Schreiben vom 4. Juni 2009 übermittelte.

2.   AUSFÜHRLICHE BESCHREIBUNG DER MASSNAHMEN

2.1.   Begünstigte

2.1.1.   WRJ

(6)

WRJ hat seinen Sitz in Katowice und beschäftigt 12 Personen in der Verwaltung. 40,736 % der Anteile sind im Besitz von Towarzystwo Finansowe Silesia Sp. z o.o. („TFS“), einem zu 99,6 % in Staatseigentum stehenden Unternehmen. Weitere 7,235 % der Anteile werden von Walcownia Rur Silesia S.A. („Walcownia Rur Silesia“) gehalten, einem 100%igen Tochterunternehmen von TFS.

(7)

Die übrigen Anteilseigner sind:

PIW Enpol Sp. z o.o. (Anteil 19,009 %),

Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A. (Anteil 8,3 %),

Kulczyk Privatstiftung (Anteil 4,533 %),

Huta Jedność (Anteil 0,817 %),

eine Reihe weiterer Minderheitsanteilseigner mit einem jeweiligen Anteil von 0,004 % bis 3,4 %.

(8)

WRJ wurde 1995 zwecks Errichtung eines neuen Walzwerks für nahtlose Rohre mit einer Produktionskapazität von 160 000 t im Jahr („WRJ-Projekt“) gegründet.

(9)

Ein weiteres Unternehmen, Huta Jedność, hatte 1978 mit dem Bau eines Walzwerks für nahtlose Rohre mit einer Kapazität von 400 000 t begonnen, die Arbeiten wurden aber 1980 eingestellt, als staatliche Beihilfen ausgesetzt wurden. Nach verschiedenen Anläufen zur Wiederaufnahme des Projekts stellte Huta Jedność einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Liquidation des Vermögens, der jedoch vom Gericht abgelehnt wurde. Derzeit befindet sich das Unternehmen Huta Jedność in Liquidation, deren Aktivitäten in der Vermietung von Gegenständen des Produktionsvermögens an andere Unternehmen und der Tätigkeit als Versorgungsdienstleister bestehen.

(10)

Das WRJ-Projekt umfasste Infrastrukturelemente ebenso wie einen Teil der Maschinen und Anlagen, die zuvor von Huta Jedność für das ursprüngliche Projekt zusammengetragen worden waren, und sollte auf einem Grundstück errichtet werden, das zuvor Huta Jedność gehörte. Zur Beteiligung am WRJ-Projekt, das 1997 begann, wurden neue Investoren aufgefordert. Das Projekt wurde 2001 gestoppt, seitdem haben sich die Investoren zurückgezogen. Obschon die Arbeiten anscheinend zu 86 % abgeschlossen wurden, hat WRJ nie die Produktion aufgenommen.

(11)

Am 4. September 2007 meldete Walcownia Rur Silesia, ein 100%iges Tochterunternehmen von TFS, das zur Konsolidierung des polnischen Stahlrohrsektors gegründet worden war (siehe Erwägungsgründe 15 bis 17), die Insolvenz von WRJ an und beantragte die Liquidation von dessen Vermögen. Das Bezirksgericht Katowice erklärte WRJ am 23. Januar 2008 für insolvent und ordnete die Liquidation seines Vermögens an, wozu es einen Insolvenzverwalter bestellte. Anscheinend wurden bislang noch keine Vermögensgegenstände von WRJ im Rahmen des Insolvenzverfahrens veräußert.

2.1.2.   WRJ-Serwis

(12)

WRJ-Serwis wurde 2002 gegründet, nach Umwandlung des Unternehmens Zakład Usług Energomechanicznych „Jedność“ S.A., das 1999 gegründet worden war. Anteilseigner sind TFS (Anteil 54,66 %), PIW ENPOL Sp. z o.o. (Anteil 36,77 %), Commplex Sp. z o.o. (Anteil 8,29 %) und Huta Jedność (Anteil 0,28 %).

(13)

Ursprünglicher Zweck von WRJ-Serwis war die Durchführung des WRJ-Projekts und die Schaffung besserer Möglichkeiten zur Kreditaufnahme für WRJ. WRJ-Serwis nahm die Investitionstätigkeiten jedoch nie auf, sondern hat seit Mai 2004 nahtlose kaltgewalzte Stahlrohre produziert, nachdem Huta Jedność die Produktion im Walzwerk Anfang 2004 eingestellt hatte. Diese Tätigkeit wird auf der Grundlage von Aktiva durchgeführt, die ursprünglich von Huta Jedność geleast wurden. Diese Aktiva wurden später von ING Bank Śląski S.A. und schließlich von Walcownia Rur Silesia übernommen. Darüber hinaus erwarb WRJ-Serwis 9/10 der Nutznießung des Grundstücks, auf dem das WRJ-Projekt angesiedelt ist, sowie 9/10 des Eigentums an den auf diesem Grundstück errichteten Gebäuden.

(14)

WRJ-Serwis stellte den Betrieb im April 2008 ein, als Walcownia Rur Silesia die Produktion von Stahlrohren im Walzwerk übernahm.

2.1.3.   Konsolidierung von WRJ und WRJ-Serwis und Anläufe zu ihrer Privatisierung

(15)

TFS begann 2004 mit der Suche nach einem strategischen Investor für WRJ und WRJ-Serwis. 2005 wurden interessierte Parteien zu Angeboten eingeladen, woraufhin zwei Angebote eingereicht wurden. Schließlich wurde eine Rahmenvereinbarung mit einem Bieter über den Erwerb der von allen Verbindlichkeiten befreiten Aktiva von WRJ und WRJ-Serwis geschlossen; diese Vereinbarung wurde jedoch zum Oktober 2006 gekündigt, da die Bedingungen nicht erfüllt worden waren. TFS leitete im Dezember 2006 ein neues Ausschreibungsverfahren ein, erhielt aber keine verbindlichen Angebote.

(16)

Nach einer neuerlichen Ausschreibung im Jahr 2007 beschloss TFS, WRJ und WRJ-Serwis zu konsolidieren, um deren Privatisierung zu erleichtern. Zu diesem Zweck schuf TFS zwei neue Unternehmen, FEREX Sp. z o.o. („FEREX“) und Walcownia Rur Silesia. TFS hält 100 % der Anteile an beiden Unternehmen. Über Walcownia Rur Silesia und FEREX erwarb TFS die zur Durchführung des WRJ-Projekts erforderlichen Aktiva und übernahm die Verbindlichkeiten von WRJ und WRJ-Serwis:

a)

Walcownia Rur Silesia wurde durch den Erwerb der Verbindlichkeiten von WRJ in Höhe von PLN 168 940 469 bzw. PLN 95 595 057, die es vom Bankensyndikat bzw. von Stalexport erwarb, Gläubiger von WRJ. Außerdem erwarb Walcownia Rur Silesia das bewegliche Vermögen des Walzwerks vom Bankensyndikat, das von ING Bank Śląski geführt wurde.

b)

FEREX wurde ebenfalls Gläubiger von WRJ durch Erwerb von Verbindlichkeiten von WRJ in Höhe von insgesamt PLN 142 941 270,43, die FEREX von den Banken erwarb und die durch eine Hypothek auf Grundbesitz von WRJ und WRJ-Serwis gesichert waren.

(17)

Im August 2008 versuchten die polnischen Behörden erneut, WRJ, WRJ-Serwis, FEREX und Walcownia Rur Silesia zu verkaufen. TFS und Walcownia Rur Silesia forderten interessierte Parteien auf, an Verhandlungen über den gemeinsamen Erwerb der Aktiva von Walcownia Rur Silesia, des Anteilskapitals von FEREX, der Forderungen von TFS gegenüber FEREX und der TFS-Anteile am Kapital von WRJ-Serwis teilzunehmen. Das Verfahren endete am 15. Januar 2009 und führte nicht zum Verkauf angebotener Aktiva.

2.2.   Die in Frage stehenden Maßnahmen

(18)

Die WRJ gewährte Beihilfe besteht aus Kapitalzuführungen durch TFS (2.2.1), von TFS übernommenen Bürgschaften (2.2.2) und vom Staat gestellte Sicherheiten (2.2.3). Die WRJ-Serwis gewährte Beihilfe besteht aus Kapitalzuführungen durch TFS (2.2.4).

2.2.1.   Zuführungen zum Kapital von WRJ durch TFS

(19)

Die erste Zuführung zum Kapital von WRJ durch TFS erfolgte am 26. Juni 2002, als die Anteilseigner von WRJ eine Kapitalerhöhung beschlossen. TFS wurden Anteile im Nennwert von PLN 15 Mio. im Tausch gegen Forderungen zugeteilt. Die Forderungen von TFS bestanden gegenüber Huta Andrzej und Huta Katowice und beliefen sich auf PLN 15 Mio. Die Kapitalerhöhung wurde eingetragen und am 22. November 2002 wirksam.

(20)

Die zweite Kapitalerhöhung erfolgte am 17. Januar 2003, als die Anteilseigner von WRJ eine erneute Kapitalerhöhung beschlossen. TFS wurden Anteile im Nennwert von PLN 40 Mio. im Tausch gegen Forderungen von TFS an WRJ zugeteilt. Die Forderungen hatten einen Nennwert von PLN 40 Mio. und TFS hatte sie zuvor, im Dezember 2002, von ING Bank Śląski S.A. übernommen. Die Kapitalerhöhung wurde eingetragen und am 25. August 2003 wirksam.

2.2.2.   Übernahme von Bürgschaften zugunsten WRJ durch TFS

(21)

2001 übernahm TFS eine Bürgschaft über bis zu PLN 5 Mio. eines Darlehens in Höhe von PLN 20 Mio. Das Darlehen war WRJ 1999 durch die Regionale Umwelt- und Wasserverwaltung (WFOŚiGW) gewährt worden.

(22)

2001 übernahm TFS eine Bürgschaft über bis zu PLN 50 Mio. eines Darlehens in Höhe von PLN 115 Mio. Das Darlehen war WRJ 1996 durch die Regionale Umwelt- und Wasserverwaltung (WFOŚiGW) gewährt worden.

2.2.3.   Stellung von Sicherheiten zugunsten WRJ durch den Staat

(23)

Am 14. Oktober 1997 gewährte der Staat eine Bürgschaft über 45 % des Darlehensbetrags und der Zinsen für zwei Darlehen über insgesamt PLN 262,5 Mio. Diese Darlehen umfassten eine Fremdwährungs-Kreditfazilität und eine Kreditfazilität in PLN, die beide 1997 von einem Banksyndikat gewährt wurden.

(24)

Am 2. Januar 2003 wurde die staatliche Bürgschaft vom Kabinett durch Unterzeichnung der entsprechenden Dokumente auf 55 % erhöht. Die Erhöhung der Bürgschaft wurde nicht vollzogen.

2.2.4.   Zuführungen zum Kapital von WRJ-Serwis durch TFS

(25)

TFS nahm Erhöhungen des Kapitals von WRJ-Serwis im Dezember 2003 vor, um die Mehrheitsbeteiligung an dem Unternehmen zu erzielen und dadurch die Kontrolle über das WRJ-Projekt zu erlangen. Mit Beschluss vom Dezember 2003 stimmten die Anteilseigner von WRJ-Serwis dem Erwerb von Anteilen am Unternehmen durch TFS zu. Die Anteile hatten einen Nennwert von PLN 7 910 000. TFS erwarb diese Anteile hauptsächlich im Tausch gegen Forderungen von TFS an Huta Jedność. Diese Forderungen wurden an WRJ-Serwis übertragen. TFS leistete für die Anteile auch eine Barzahlung (PLN 890 000) sowie eine Sacheinlage (Metallspäne von Huta Jedność für die weitere Verarbeitung, Übertragungswert PLN 450 000). Der Anteilserwerb wurde am 8. Juni 2004 unterzeichnet. Die Kapitalerhöhung wurde erst am 17. August 2007 eingetragen.

(26)

Neben TFS wurden Anteile aus der Kapitalerhöhung auch von einem bestehenden Anteilseigner, PIW Enpol Sp. z o.o., und einem neuen Anteilseigner, Commplex Sp. z o.o., (beides Privatunternehmen) gezeichnet. Die Unternehmen erwarben die Anteile durch die Übertragung von Forderungen, die gegenüber Huta Jedność bestanden, an WRJ-Serwis.

3.   GRÜNDE FÜR DIE ERÖFFNUNG DES FÖRMLICHEN PRÜFVERFAHRENS

(27)

Wie in Erwägungsgrund 3 dargelegt, beschloss die Kommission am 23. Oktober 2007, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen („Eröffnungsbeschluss“). Im Eröffnungsbeschluss drückte die Kommission zuerst ihre Ansicht aus, dass sie über die Zuständigkeit verfügte, eine Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen, und dass die in Frage stehenden Maßnahmen eine staatliche Beihilfe darstellen, die nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist.

3.1.   Anwendbares Recht und Zuständigkeit der Kommission

(28)

Im Eröffnungsbeschluss vertrat die Kommission die Ansicht, dass die Artikel 107 und 108 (AEUV) (vormals Artikel 87 und 88 EG-Vertrag) normalerweise nicht auf Beihilfen anwendbar sind, die vor dem Beitritt gewährt und nach dem Beitritt nicht mehr angewendet wurden. Die Bestimmungen des Protokolls Nr. 8 des Beitrittsvertrags über die Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie („Protokoll Nr. 8“) könnten jedoch als eine lex specialis im Verhältnis zu den Artikeln 107 und 108 AEUV angesehen werden, die die Überwachung staatlicher Beihilfen nach dem AEUV auf alle Beihilfen ausdehnten, die für die Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie zwischen 1997 und 2006 gewährt wurden. Demgemäß wäre die Kommission grundsätzlich für die Bewertung solcher Beihilfen zuständig.

(29)

Hinsichtlich der Frage, ob Hersteller von Stahlrohren wie WRJ und WRJ-Serwis Teil der „Stahlindustrie“ im Sinne des Protokolls Nr. 8 sind, argumentierte die Kommission wie folgt: Das Protokoll Nr. 8 basierte auf dem nationalen Umstrukturierungsprogramm (Umstrukturierungs- und Entwicklungsprogramm für die polnische Stahlindustrie („NUP“)). Der Anwendungsbereich des NUP und des Protokolls Nr. 8 war nicht auf den Anwendungsbereich von Anhang I des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl („EGKS-Vertrag“) beschränkt, sondern umfasste auch bestimmte Stahlsektoren wie nahtlose Rohre und große gewalzte Rohre.

(30)

Laut Eröffnungsbeschluss war diese Auslegung erstens vereinbar mit der Definition der Stahlindustrie nach den EU-Regeln für staatliche Beihilfen, namentlich der Definition in Anhang B des multisektoralen Rahmens (5). Zweitens ergab sich dies aus dem NUP, bei dem die Hälfte der Begünstigten Hersteller von Rohren waren. In der Tat war Huta Jedność, Vorgängerin von WRJ und WRJ-Serwis, am Umstrukturierungsprozess beteiligt und wurde ausdrücklich mehrmals im Entwurf des NUP genannt, jedoch schließlich nicht als potenzieller Begünstigter angesehen, da es zu dem Zeitpunkt Pläne zur Liquidation des Unternehmens nach seiner Insolvenz im Jahr 2002 gab.

(31)

Im Ergebnis war die Kommission der Ansicht, dass das Verbot der Gewährung von Beihilfen, die nicht unter den NUP und das Protokoll Nr. 8 fielen, für Huta Jedność, WRJ und WRJ-Serwis zur Anwendung kommt.

3.2.   Vorliegen staatlicher Beihilfen

(32)

Hinsichtlich der Investitionen von TFS in WRJ und der von TFS für das Unternehmen gestellten Sicherheiten äußerte die Kommission ernste Bedenken, dass diese den Anforderungen des Prinzips eines markwirtschaftlich handelnden Investors entsprochen hätten. WRJ befand sich zu dem Zeitpunkt, als diese Maßnahmen ergriffen wurden, in Schwierigkeiten und wäre selbst nicht in der Lage gewesen, Mittel auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Die Kommission bezweifelte auch, dass eine ausreichende Rendite in Aussicht stand. Schließlich war sie auch der Auffassung, dass die Investitionen kaum dadurch zu rechtfertigen waren, dass TFS beabsichtigte, WRJ zu einem späteren Zeitpunkt zu privatisieren.

(33)

Hinsichtlich der vom Staat gewährten Bürgschaften zugunsten WRJ stellte die Kommission fest, dass es nicht klar war, ob sich WRJ zum Zeitpunkt der Bürgschaftsgewährung, d. h. 1997, in Schwierigkeiten befand. Was die Erhöhung der Bürgschaftssumme im Jahr 2003 angeht, könnte andererseits angenommen werden, dass sich WRJ in Schwierigkeiten befand, so dass die Kommission bezweifelte, dass die Erhöhung der Bürgschaftssumme mit dem Prinzip eines markwirtschaftlich handelnden Investors vereinbar war.

(34)

Hinsichtlich der Investitionen in WRJ-Serwis durch TFS bezweifelte die Kommission, dass diese die Anforderungen des Prinzips eines markwirtschaftlich handelnden Investors erfüllt hätten. Die Kommission stellte fest, dass sich das Unternehmen 2003 in Schwierigkeiten befand, und erachtete es daher als zweifelhaft, dass die Investitionen eine angemessene Rendite versprachen.

3.3.   Vereinbarkeit der staatlichen Beihilfe

(35)

Die Kommission konnte keine Gründe erkennen, wonach die potenzielle staatliche Beihilfe als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar hätte erklärt werden können, da Investitions- oder Umstrukturierungsbeihilfen an die Stahlindustrie im Zeitraum 1997 bis 2006 durch das Protokoll Nr. 8 und somit nach den EU-Regeln für staatliche Beihilfen untersagt waren.

4.   ÄUSSERUNGEN POLENS ZUM ERÖFFNUNGSBESCHLUSS

(36)

Polen übermittelte seine Äußerungen zum Eröffnungsbeschluss mit Schreiben vom 21. Januar und 1. Februar 2008. Zusammengefasst stimmte Polen der Auslegung des Protokolls Nr. 8 durch die Kommission nicht zu und wiederholte seine Auffassung, dass die in Frage stehenden Maßnahmen keine staatliche Beihilfe darstellten.

4.1.   Anwendbares Recht und Zuständigkeit der Kommission

(37)

Polen ist der Auffassung, dass Verallgemeinerungen auf der Grundlage des Protokolls Nr. 8 nicht getroffen werden sollten, das eine Ausnahme von der Regel des Nichteingreifens in Bezug auf staatliche Beihilfen vor dem Beitritt darstellt.

(38)

Erstens weist Polen darauf hin, dass Hersteller von Rohren und ihre Erzeugnisse nicht in Anhang I zum Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits (6) („Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens“) aufgenommen waren und daher nicht in dessen Anwendungsbereich fielen.

(39)

Zweitens wurde das Verbot der Gewährung staatlicher Beihilfen an Hersteller von Rohren in den Mitgliedstaaten am 24. Juli 2002 eingeführt, als Anhang B des multisektoralen Rahmens, in dem der Umfang des Begriffs „Stahlindustrie“ definiert wurde, in Kraft trat. Gemäß dieser Definition war der Sektor der nahtlosen Rohre und großen geschweißten Rohre Teil der „Stahlindustrie“. Dementsprechend schlossen der von der Kommission 2003 genehmigte NUP und das Protokoll Nr. 8 auch Hersteller von Rohren ein. Zuvor, während der Geltung des EGKS-Vertrags, war der Stahlrohrsektor ausgenommen.

(40)

Polen kommt zu dem Schluss, dass das Protokoll Nr. 8 so auszulegen ist, dass vor dem 24. Juli 2002 Herstellern von Rohren gewährte Beihilfen nicht der Kontrolle durch die Kommission unterlagen (wie bei allen anderen Eingriffen, die vor dem Inkrafttreten des Beitrittsvertrags erfolgten). Nach diesem Zeitpunkt unterlagen Hersteller von Rohren den genannten Beschränkungen.

(41)

Was die Begünstigten angeht, weist Polen darauf hin, dass WRJ-Serwis erst seit 2004 als Stahlhersteller eingestuft werden kann, als das Unternehmen begann, die Walzwerkseinrichtungen zu nutzen, und dass vor diesem Zeitpunkt staatliche Eingriffe nicht als staatliche Beihilfen an die Stahlindustrie angesehen werden konnten.

(42)

Schließlich betont Polen, dass das WRJ-Projekt keine Fortsetzung des früheren Projekts von Huta Jedność darstellt.

4.2.   Vorliegen staatlicher Beihilfen

(43)

Darüber hinaus macht Polen geltend, dass TFS, obschon vom Staat kontrolliert, nach Marktbedingungen mit Gewinnerzielungsabsicht handelt. Die von TFS getroffenen Maßnahmen bezüglich WRJ und WRJ-Serwis ergaben sich nicht aus einer besonderen Kontrolle oder Beaufsichtigung durch den Staat. Demgemäß übte der Staat nicht notwendigerweise die Kontrolle im Sinne des Urteils „Stardust Marine“ (7) aus.

(44)

Was die von TFS vorgenommenen Erhöhungen des Kapitals von WRJ und die von TFS übernommenen Bürgschaften angeht, ist Polen der Auffassung, dass TFS keine wesentlichen Mittel in das WRJ-Projekt gesteckt hat. Der Tausch von Forderungen gegen WRJ-Anteile war wirtschaftlich sinnvoller als die unmittelbare Eintreibung dieser Forderungen. Außerdem lagen TFS zum Zeitpunkt der Investitionen in WRJ Geschäftspläne vor, wonach das WRJ-Projekt profitabel war. Schließlich war auch das Bankensyndikat bereit, WRJ zu diesem Zeitpunkt weitere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Demnach hat sich TFS wie ein markwirtschaftlich handelnder Investor verhalten.

(45)

Polen erachtet die Erhöhung der Bürgschaftssumme zugunsten WRJ als dem Prinzip eines markwirtschaftlich handelnden Investors entsprechend, da die Bürgschaft durch werthaltige Sicherheiten gedeckt war und WRJ dem Staat eine Marktsätzen entsprechende Bürgschaftsgebühr zahlte. Außerdem war die Bürgschaft von einer Empfehlung der Banken abhängig, das WRJ-Projekt zu finanzieren, die aber nicht erfolgte. Demgemäß wurde die Erhöhung der Bürgschaftssumme nie vollzogen und ergab sich nach Auffassung Polens kein Vorteil zugunsten WRJ.

(46)

Die Erhöhung des Kapitals von WRJ-Serwis wird als dem Prinzip eines markwirtschaftlich handelnden Investors entsprechend angesehen. Erstens erwarben private Anteilseigner zusammen mit TFS Anteile am Unternehmen. Zweitens befand sich WRJ-Serwis nicht in einer schwierigen Finanzlage und TFS traf die Entscheidung in Anbetracht der künftig von WRJ-Serwis zu erzielenden Gewinne. Schließlich war TFS in der Lage, die Kontrolle über WRJ-Serwis und die Grundstücke für die Errichtung des WRJ-Projekts zu erlangen.

(47)

Was die Konsolidierung von WRJ und WRJ-Serwis angeht, argumentiert Polen, dass dies der einzige Weg war, um eine rasche Übernahme und Fertigstellung des WRJ-Projekts durch einen privaten Investor zu ermöglichen und dabei die größtmögliche Rückzahlung der bis dahin vom Staat investierten Mittel sicherzustellen.

5.   ÄUSSERUNGEN BETEILIGTER

(48)

Der Kommission gingen Äußerungen eines beteiligten Dritten zu, der die von Polen gewährten Subventionen entschieden ablehnte. Der Beteiligte weist darauf hin, dass Rohre nie Erzeugnisse darstellten, die dem EGKS-Vertrag unterlagen, und die Rohrindustrie die Umstrukturierung auf eigene Kosten bewältigen musste, ohne staatliche Beihilfen zu erhalten. Die Akzeptanz von Beihilfen in dieser Angelegenheit würde die europäische Rohrindustrie schädigen. Der Beteiligte führte auch aus, dass die Akzeptanz der Beihilfen Anstrengungen gefährden könnten nachzuweisen, dass bestimmte Rohre importierende Länder in die EU zu Dumpingpreisen oder subventionierten Preisen importieren. Schließlich argumentiert der Beteiligte, dass sich die europäische Industrie der nahtlosen Stahlrohre in einer besonderen wirtschaftlichen Situation befand, mit Überkapazitäten in Europa und der Notwendigkeit, große Mengen zu exportieren, während die Importe aus China 2007 zunahmen.

6.   ÄUSSERUNGEN POLENS ZU DEN BEMERKUNGEN DES BETEILIGTEN

(49)

Die Bemerkungen des Beteiligten wurden Polen übermittelt, das seine Äußerungen am 16. Februar 2009 vorlegte. Polen unterstütze die Ansicht, dass es transparente Regeln für den fairen Wettbewerb auf dem Markt für Rohre geben sollte.

(50)

Polen stimmt mit dem Beteiligten überein, dass Rohre nie ein vom EGKS-Vertrag erfasstes Erzeugnis waren, und wiederholt, dass Hersteller von Rohren bis zum Inkrafttreten des multisektoralen Rahmens am 24. Juli 2002 nicht zur Stahlindustrie gehörten. Demnach hat das Verbot staatlicher Beihilfen im Rohrsektor erst seit dem 24. Juli 2002 gegolten, als die „erweiterte“ Definition der Stahlindustrie in Kraft trat.

(51)

Schließlich wiederholt Polen, dass WRJ die Produktionstätigkeit nie aufgenommen hat und WRJ-Serwis die Produktion 2008 eingestellt hat. Polen betont, dass es WRJ nie staatliche Beihilfen gewährt hat.

7.   BEWERTUNG DER MASSNAHME

7.1.   Anwendbares Recht und Zuständigkeit der Kommission

(52)

Die in Frage stehenden Maßnahmen wurden vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (d. h. vor dem 1. Mai 2004) gewährt. Grundsätzlich gelten die Artikel 107 und 108 AEUV nicht für Beihilfen, die vor dem Beitritt gewährt wurden und nach dem Beitritt nicht mehr anwendbar sind (8). Abweichend von dieser allgemeinen Regel, und daher auf Basis einer Ausnahme, ist die Kommission nach dem Protokoll Nr. 8 zum Beitrittsvertrag für die Überprüfung von Beihilfen zuständig, die im Zusammenhang mit der Umstrukturierung seiner Stahlindustrie von Polen vor dem Beitritt gewährt wurden.

7.1.1.   Die Eigenart des Protokolls Nr. 8 als eine lex specialis

(53)

Das Protokoll Nr. 8 umfasst Bestimmungen, die es Polen ermöglichen, die vor dem Beitritt begonnene Umstrukturierung seiner Stahlindustrie abzuschließen. Die vor dem Beitritt eingeleitete Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie wurde auf der Grundlage des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens, das durch einen Beschluss des Assoziationsrates EU-Polen („Beschluss des Assoziationsrates“) (9) verlängert worden war, durchgeführt.

(54)

Das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens räumte Polen eine Übergangsfrist von fünf Jahren, ab 1992 bis Ende 1996 ein, während der es Polen gestattet war, seinen EGKS-Stahlsektor mit staatlichen Beihilfen umzustrukturieren.

(55)

Diese Übergangsfrist wurde durch den Beschluss des Assoziationsrates um weitere acht Jahre ab dem 1. Januar 1997 oder bis zum EU-Beitritt Polens verlängert. In dieser Zeit konnte Polen ausnahmsweise in Bezug auf „Stahlerzeugnisse“ staatliche Beihilfen nach den Bedingungen des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens (wie durch den Beschluss des Assoziationsrates verlängert) und auf der Grundlage des NUP, den Polen der Kommission im April 2003 vorlegte, für Umstrukturierungszwecke gewähren. Nach Bewertung des NUP durch die Kommission genehmigten die Mitgliedstaaten den polnischen Vorschlag im Juli 2003 (10).

(56)

Das Protokoll Nr. 8 erlaubt es der Kommission, nach dem Beitritt Polens staatliche Beihilfen, die Polen der Stahlindustrie auf der Grundlage des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens (wie durch den Beschluss des Assoziationsrates verlängert) und des NUP gewährt hat, zu überwachen. Darüber hinaus ermächtigt das Protokoll Nr. 8 die Kommission, Beihilfen zurückzufordern, die unter Verstoß gegen das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens und den NUP gewährt wurden. Demnach ist das Protokoll Nr. 8 eine lex specialis, das auf Basis einer Ausnahme und in Abweichung von der allgemeinen Regelung die nachträgliche Überwachung und Überprüfung staatlicher Beihilfen, die der polnischen Stahlindustrie von Polen vor dem Beitritt gewährt wurden, erlaubt. Dies wurde vom Gerichtshof bestätigt, der für Recht erkannte, dass das Protokoll Nr. 8 eine lex specialis bezüglich der Artikel 107 und 108 AEUV darstellt, die die Überwachung staatlicher Beihilfen durch die Kommission nach dem AEUV auf Beihilfen ausdehnt, die für die Reorganisation der polnischen Stahlindustrie während des Zeitraums von 1997 bis 2007 gewährt wurden (11).

7.1.2.   Umfang der Zuständigkeit der Kommission zur nachträglichen Kontrolle nach dem Protokoll Nr. 8

(57)

Im Rahmen dieses Verfahrens muss die Kommission bewerten, ob die ausnahmsweise bestehende Zuständigkeit zur nachträglichen Kontrolle, die in den Erwägungsgründen 53 bis 56 dargelegt ist, auch Maßnahmen erfasst, die von Polen vor dem Beitritt zugunsten von Herstellern von Rohren ergriffen wurden. Dazu sind die für diesen Fall geltenden Rechtsgrundlagen, d. h. das Protokoll Nr. 8 in Verbindung mit Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens und dem Beschluss des Assoziationsrates, im Hinblick auf die Feststellung auszulegen, ob die Bestimmungen Maßnahmen erfassen, die zugunsten polnischer Hersteller von Rohren vor dem Beitritt gewährt wurden.

(58)

Es handelt sich um einen allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass die Bestimmungen einer lex specialis, die Ausnahmen von der allgemeinen Regelung vorsieht, strikt auszulegen sind. Eine strikte Auslegung der vorgenannten Rechtsgrundlagen (siehe Erwägungsgründe 59 bis 65) führt zu dem Schluss, dass sich die ausnahmsweise bestehende Zuständigkeit der Kommission für die nachträgliche Kontrolle auf Maßnahmen vor dem Beitritt beschränkt, die EGKS-Herstellern gewährt wurden, was Maßnahmen zugunsten von Herstellern von Rohren ausschließt.

7.1.3.   Auslegung der Rechtsgrundlagen

(59)

Die Nummern 12 und 18 des Protokolls Nr. 8 legen die Zuständigkeiten der Kommission für die Überwachung und nachträgliche Kontrolle von vor dem Beitritt gewährten Beihilfen zugunsten der polnischen Stahlindustrie fest. Nummer 12 ermächtigt die Kommission und den Rat, die Umsetzung des NUP vor und nach dem Beitritt bis 2006 zu überwachen. Nummer 18 ermächtigt die Kommission, die Rückforderung staatlicher Beihilfen anzuordnen, die unter Verstoß gegen die im Protokoll Nr. 8 festgelegten Bedingungen gewährt wurden.

(60)

Nummer 1 des Protokolls Nr. 8 legt fest, dass von Polen gewährte Beihilfen für die Umstrukturierung „bestimmter Teile seiner Stahlindustrie“ als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen sind, sofern „der Zeitraum gemäß Artikel 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 über EGKS-Erzeugnisse zum Europa-Abkommen […] bis zum Tag des Beitritts verlängert worden ist“, die Bedingungen des NUP eingehalten werden, die Bedingungen des Protokolls Nr. 8 erfüllt sind und „der polnischen Stahlindustrie nach dem Tag des Beitritts keine staatliche Beihilfe für die Umstrukturierung mehr zu gewähren ist“.

(61)

Nummer 2 des Protokolls Nr. 8 bestimmt, dass die Umstrukturierung der polnischen Stahlindustrie nach den Vorgaben der einzelnen Geschäftspläne der in Anhang 1 aufgeführten Unternehmen bis spätestens 31. Dezember 2006 abgeschlossen sein muss. Nummer 3 des Protokolls Nr. 8 legt fest, dass nur den in Anhang 1 des Protokolls aufgeführten Unternehmen im Rahmen des Umstrukturierungsprogramms für die polnische Stahlindustrie staatliche Beihilfen gewährt werden können.

(62)

Nummer 1 des Protokolls Nr. 8 bezieht sich ausdrücklich auf Artikel 8 Absatz 4 des durch den Beschluss des Assoziationsrates verlängerten Europa-Abkommens. Das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens galt nur für „EGKS-Stahlerzeugnisse“ (Artikel 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2) und führte die Stahlerzeugnisse sogar in einem Anhang auf. Letzterer gab die Liste der EGKS-Erzeugnisse gemäß Anhang I des EGKS-Vertrags wieder, wo die Definition von „EGKS-Stahlerzeugnissen“ Rohre („Stahlröhren (nahtlos oder geschweißt), […], Blankstahl und Gussstücke (Röhren, Gusseisenrohre und Rohrleitungszubehör, schwere Gussstücke)“) ausdrücklich ausschließt.

(63)

Der EGKS-Vertrag lief am 23. Juli 2002 aus. Ab diesem Zeitpunkt wurden staatliche Beihilfen an die Stahlindustrie der allgemeinen EG-Regelung unterworfen. Anlässlich dessen wurde entschieden, die Definition der europäischen Stahlindustrie zu erweitern und Hersteller von Rohren einzubeziehen. Dies wurde in Artikel 27 und Anhang B des multisektoralen Rahmens kodifiziert, in dem die EU-Stahlindustrie unter Einbeziehung nahtloser Rohre und Hohlprofile sowie geschweißter oder genieteter Rohre aus Eisen oder Stahl definiert wurde. Diese erweiterte Definition der Stahlindustrie wurde in Anhang I der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013 (12) sowie in Nummer 29 von Artikel 2 der allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (13) übernommen.

(64)

Weder das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens noch der Beschluss des Assoziationsrates wurde jedoch ausdrücklich geändert, um diese erweiterte Definition der EU-Stahlindustrie zur Einbeziehung von Herstellern von Rohren widerzuspiegeln. Das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens lief am 31. Dezember 1996 aus. Der Beschluss des Assoziationsrates verlängerte die Geltung des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens ab dem 1. Januar 1997 um acht Jahre oder längstens bis zum Beitritt Polens. Artikel 1 des Beschlusses des Assoziationsrates bezieht sich auf „Eisen- und Stahlerzeugnisse“ allgemein, sein Anwendungsbereich ist aber auch besonders mit Artikel 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens verknüpft, das nur EGKS-Stahlerzeugnisse erfasst. Insbesondere wurde die Verlängerung des Protokolls Nr. 2 des Europa-Abkommens davon abhängig gemacht, dass Polen der Kommission ein Umstrukturierungsprogramm und Geschäftspläne für dessen Begünstigte vorlegt, die allesamt „die Anforderungen des Artikels 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 erfüllen und von seiner nationalen Aufsichtsbehörde für staatliche Beihilfen (Amt für Wettbewerb und Verbraucherschutz) geprüft und genehmigt wurden“ (Artikel 2 des Beschlusses des Assoziationsrates).

(65)

Angesichts dessen kommt die Kommission zu dem Schluss, dass Nummer 18 des Protokolls Nr. 8, ausgelegt im Lichte der Nummern 1 bis 3 des Protokolls Nr. 8 in Verbindung mit Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens und des Beschlusses des Assoziationsrates der Kommission nicht die Zuständigkeit gibt, Beihilfen zu kontrollieren, die polnischen Herstellern von Rohren vor dem Beitritt gewährt wurden.

7.1.4.   Durchführungsvorschriften des Europa-Abkommens als Auslegungsinstrument

(66)

Neben der rechtlichen Auslegung des Geltungsbereichs der einschlägigen Rechtsgrundlagen (d. h. Protokoll Nr. 8, Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens und Beschluss des Assoziationsrates, siehe Erwägungsgründe 59 bis 65) hat die Kommission auch die Frage geprüft, ob die Durchführungsvorschriften für die Anwendung der Bestimmungen über staatliche Beihilfen im Europa-Abkommen und im Protokoll Nr. 2, die vom Assoziationsrat EU-Polen 2001 erlassen wurden („die Durchführungsvorschriften“) (14) von Belang sind, was die Feststellung des Anwendungsbereichs der Zuständigkeit der Kommission zur nachträglichen Kontrolle vor dem Beitritt gewährter Maßnahmen zugunsten polnischer Hersteller von Rohren angeht.

(67)

Grundsätzlich enthalten die Durchführungsvorschriften Verfahrensregeln, die von den substanziellen Bestimmungen für staatliche Beihilfen im Europa-Abkommen und im Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens zu unterscheiden sind. Es ist jedoch anzumerken, dass die Durchführungsvorschriften auch spezifische Bestimmungen zu den Kriterien für die Bewertung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Europa-Abkommen und mit Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens enthalten.

(68)

Satz 1 von Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsvorschriften lautet: „Die Beurteilung der Vereinbarkeit von Einzelbeihilfen und Beihilfeprogrammen mit dem Europa-Abkommen nach Artikel 1 erfolgt nach den Kriterien, die sich aus Artikel 87 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ergeben, einschließlich der derzeitigen und künftigen abgeleiteten Rechtsvorschriften, Rahmenregelungen, Leitlinien und sonstigen in der Gemeinschaft geltenden einschlägigen Verwaltungsakte, der Rechtsprechung des Gerichts erster Instanz und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sowie jedes etwaigen vom Assoziationsrat nach Artikel 4 Absatz 3 gefassten Beschlusses.“ Dieser Satz legt den Grundsatz fest, dass substanzielle Kriterien für die Bewertung der Vereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Europa-Abkommen „evolutiver“ Art sind in dem Sinne, dass sie Änderungen/Weiterentwicklungen des EU-Rechts und der Rechtsprechung im Laufe der Zeit Rechnung tragen.

(69)

Satz 2 von Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsvorschriften bezieht sich insbesondere auf die Vereinbarkeitskriterien nach Protokoll Nr. 2: „Soweit die Einzelbeihilfen oder Beihilfeprogramme für Erzeugnisse bestimmt sind, die unter Protokoll Nr. 2 zum Europa-Abkommen fallen, findet Unterabsatz 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass die Beurteilung nicht nach den Kriterien erfolgt, die sich aus Artikel 87 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ergeben, sondern nach den Kriterien, die sich aus den Vorschriften für staatliche Beihilfen des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ergeben.“ Der Wortlaut dieses Satzes macht deutlich, dass im Gegensatz zum Fall allgemeiner Beihilfen, der von Satz 1 von Artikel 2 Absatz 1 erfasst wird (siehe Erwägungsgrund 68) für die Zwecke von Beihilfen, die vom Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens erfasst werden, sich die Vereinbarkeitskriterien unter Bezugnahme auf den EGKS-Vertrag entwickeln. Es werden keine spezifischen Angaben gemacht zur Weiterentwicklung der Vereinbarkeitskriterien nach Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahr 2002.

(70)

Die Artikel 2 Absätze 2 und 3 der Durchführungsvorschriften legen das Verfahren fest, wie Änderungen der EU-Vereinbarkeitskriterien in Polen Rechnung zu tragen ist. Insbesondere ist Polen von Änderungen der gemeinschaftlichen Vereinbarkeitskriterien, die nicht veröffentlicht wurden, zu unterrichten und es gilt: „Erhebt die Republik Polen nicht binnen drei Monaten nach der amtlichen Unterrichtung Einwände gegen diese Akte, so werden sie Vereinbarkeitskriterien nach Absatz 1. Erhebt die Republik Polen Einwände gegen diese Akte, so finden im Hinblick auf die im Europa-Abkommen vorgesehene Angleichung der Rechtsvorschriften Konsultationen nach den Artikeln 7 und 8 statt.“

(71)

Selbst wenn Polen nicht innerhalb von drei Monaten Einwände gegen die 2002 vorgenommene Änderung der Gemeinschaftsdefinition der Stahlindustrie, mit der Hersteller von Rohren einbezogen wurden, erhoben hat, konnten diese Änderungen des Gemeinschaftsrechts nicht auf Maßnahmen anwendbar werden, die nicht in den Anwendungsbereich des Europa-Abkommens fallen, d. h. diejenigen, die nicht vom EGKS-Vertrag erfasst wurden. Außerdem ist das Protokoll Nr. 8 eine lex specialis, so dass sich die Kommission für die Feststellung seines Anwendungsbereichs nicht auf die Erweiterung der Definition der EU-Stahlindustrie nach Auslaufen des EGKS-Vertrags stützen kann. Es ist daher zu schlussfolgern, dass eine deutliche Unterscheidung zu treffen ist zwischen einerseits der „evolutiven“ Natur des Rechts, das für staatliche Beihilfen zugunsten der Stahlindustrie in Polen vor dem Beitritt laut Europa-Abkommen gilt, und andererseits der notwendigen strikten Auslegung des Anwendungsbereichs der Zuständigkeit der Kommission für die nachträgliche Kontrolle, die sich aus dem Protokoll Nr. 8, dem Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens und dem Beschluss des Assoziationsrates ergibt.

8.   SCHLUSSFOLGERUNG

(72)

Auf dieser Grundlage muss die Kommission zu dem Schluss kommen, dass sie auf Grund des Protokolls Nr. 8 nicht zuständig ist für die Überprüfung vor dem Beitritt, insbesondere im Zeitraum von 1997 bis 2003 getroffener Maßnahmen zugunsten polnischer Hersteller von Rohren. Dieses Verfahren wird angesichts der Tatsache, dass die Kommission nicht für die Bewertung der von diesem Verfahren erfassten Maßnahmen zuständig ist, geschlossen —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Das förmliche Prüfverfahren nach Artikel 108 Absatz 2 AEUV, das mit Schreiben an Polen vom 23. Oktober 2007 eingeleitet wurde, wird geschlossen, da die Kommission nach den Bestimmungen des Protokolls Nr. 8 des Vertrags über den Beitritt Polens nicht zuständig ist für die Überprüfung der Maßnahmen, die von Polen zugunsten von WRJ und WRJ-Serwis 2001, 2002 und 2003 ergriffen wurden.

Artikel 2

Dieser Beschluss ist an die Republik Polen gerichtet.

Brüssel, den 6. Juli 2010

Für die Kommission

Joaquín ALMUNIA

Vizepräsident


(1)  ABl. L 236 vom 23.9.2003, S. 948.

(2)  ABl. C 282 vom 24.11.2007, S. 21.

(3)  Mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 sind an die Stelle der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag die Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) getreten. Die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag und die Artikel 107 und 108 AEUV sind im Wesentlichen identisch. Im Rahmen dieses Beschlusses sind Bezugnahmen auf die Artikel 107 und 108 AEUV als Bezugnahmen auf die Artikel 87 und 87 EG-Vertrag zu verstehen, wo dies angebracht ist.

(4)  Siehe Fußnote 2.

(5)  Siehe Anhang B des multisektoralen Rahmens (ABl. C 70 vom 19.3.2002, S. 8), der seit dem 24. Juli 2002 anwendbar war (Absatz 39) und der durch Anhang I der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013 ersetzt wurde (ABl. C 54 vom 4.3.2006, S. 13).

(6)  ABl. L 348 vom 31.12.1993, S. 2.

(7)  Rechtssache C-482/99, Stardust Marine, Slg. 2002, I-4397.

(8)  In Randnr. 90 des Urteils vom 1. Juli 2009 in den verbundenen Rechtssachen T-273/06 und T-297/06, ISD Polska und andere/Kommission, bestätigte das Gericht erster Instanz, dass die Artikel 87 und 88 EG-Vertrag grundsätzlich nicht auf Beihilfen Anwendung finden, die vor dem Beitritt gewährt wurden und danach nicht mehr anwendbar waren. Siehe auch Absatz 108 der Entscheidung 2006/937/EG der Kommission vom 5. Juli 2005 über die staatliche Beihilfe C 20/04 (ex NN 25/04) zugunsten des Stahlherstellers Huta Częstochowa S.A (ABl. L 366 vom 21.12.2006, S. 1) und Absätze 202 ff. der Entscheidung 2010/3/EG der Kommission vom 6. November 2008 über die staatliche Beihilfe C 19/05 (ex N 203/05), die Polen zugunsten der Stettiner Werft gewährt hat (ABl. L 5 vom 8.1.2010, S. 1).

(9)  Beschluss Nr. 3/2002 des Assoziationsrates EU-Polen vom 23. Oktober 2002 zur Verlängerung des in Artikel 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 über EGKS-Erzeugnisse zum Europa-Abkommen vorgesehenen Zeitraums (ABl. L 186 vom 25.7.2003, S. 38).

(10)  Beschluss 2003/588/EG des Rates vom 21. Juli 2003 über die Erfüllung der Voraussetzungen des Artikels 3 des Beschlusses Nr. 3/2002 des Assoziationsrates EU-Polen vom 23. Oktober 2002 für die Verlängerung des in Artikel 8 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 über EGKS-Erzeugnisse zum Europa-Abkommen vorgesehenen Zeitraums (ABl. L 199 vom 7.8.2003, S. 17).

(11)  Rechtssache T-288/06, Huta Czestochowa S.A., Slg. 2009, II-2247, Randnr. 44.

(12)  ABl. C 54 vom 4.3.2006, S. 13.

(13)  ABl. L 214 vom 9.8.2008, S. 3.

(14)  Beschluss Nr. 3/2001 des Assoziationsrates EU-Polen vom 23. Mai 2001 zur Annahme der Durchführungsbestimmungen nach Artikel 63 Absatz 3 des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits zu den Vorschriften über staatliche Beihilfen in Artikel 63 Absatz 1 Ziffer iii und Absatz 2 des Europa-Abkommens und in Artikel 8 Absatz 1 Ziffer iii und Absatz 2 des Protokolls Nr. 2 über EGKS-Erzeugnisse zum Europa-Abkommen (ABl. L 215 vom 9.8.2001, S. 39).