3.7.2009 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 151/1 |
EMPFEHLUNG DES RATES
vom 9. Juni 2009
zur Sicherheit der Patienten unter Einschluss der Prävention und Eindämmung von therapieassoziierten Infektionen
2009/C 151/01
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 152 Absatz 4 Unterabsatz 2,
auf Vorschlag der Kommission,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (1),
nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),
nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (3),
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) |
Gemäß Artikel 152 des Vertrags ergänzt die Tätigkeit der Gemeinschaft die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet. |
(2) |
Schätzungen zufolge kommt es in den EU-Mitgliedstaaten bei 8 bis 12 % der in Krankenhäuser eingelieferten Patienten während der Behandlung zu Zwischenfällen (4). |
(3) |
Nach einer Schätzung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) kommt es im Durchschnitt bei einem von 20 stationären Patienten zu therapieassoziierten Infektionen, das heißt bei 4,1 Millionen Patienten pro Jahr in der EU; diese Infektionen führen jedes Jahr zu 37 000 Todesfällen. |
(4) |
Unzureichende Patientensicherheit stellt sowohl ein schwerwiegendes Problem der öffentlichen Gesundheit als auch eine hohe wirtschaftliche Belastung der ohnehin begrenzten Gesundheitsbudgets dar. Ein Großteil der Zwischenfälle in Krankenhäusern wie auch in der medizinischen Grundversorgung könnte verhindert werden; die meisten davon sind offenbar auf systemische Faktoren zurückzuführen. |
(5) |
Diese Empfehlung basiert auf den und ergänzt die Arbeiten auf dem Gebiet der Patientensicherheit, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch ihre Weltallianz für Patientensicherheit (World Alliance for Patient Safey), vom Europarat und von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geleistet wurden. |
(6) |
Die Gemeinschaft fördert mit dem Siebten Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (5) die Forschung auf dem Gebiet der Gesundheitssysteme, und zwar insbesondere die Erforschung der Qualität von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Themas Gesundheit, wobei ein Schwerpunkt auch auf der Patientensicherheit liegt. Im Rahmen des Themas Informations- und Kommunikationstechnologie wird die Patientensicherheit ebenfalls eingehend behandelt. |
(7) |
Die Kommission nennt in ihrem Weißbuch „Gemeinsam für die Gesundheit: Ein strategischer Ansatz der EU für 2008-2013“ vom 23. Oktober 2007 die Patientensicherheit als einen Aktionsbereich. |
(8) |
Es liegen Hinweise darauf vor, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Entwicklung und Durchführung wirksamer und umfassender Strategien zur Förderung der Patientensicherheit einen unterschiedlichen Entwicklungsstand aufweisen (6). Deshalb soll mit dieser Empfehlung ein Rahmen geschaffen werden, der die Politikentwicklung sowie künftige inner- und zwischenstaatliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der wichtigsten Probleme, denen die EU auf dem Gebiet der Patientensicherheit gegenübersteht, voranbringen kann. |
(9) |
Durch Einbindung in den Prozess der Patientensicherheit sollten die Patienten informiert und zum Handeln befähigt werden. Sie sollten über die Patientensicherheitsstandards, bewährte Praktiken und/oder getroffene Sicherheitsmaßnahmen informiert und darüber aufgeklärt werden, wo sie zugängliche und verständliche Informationen zu Beschwerde- und Rechtsbehelfsmöglichkeiten finden können. |
(10) |
Die Mitgliedstaaten sollten umfassende Berichterstattungs- und Lernsysteme einrichten, aufrecht erhalten oder verbessern, so dass Umfang und Ursachen von Zwischenfällen im Hinblick auf die Entwicklung effizienter Lösungen und Maßnahmen erfasst werden können. Die Patientensicherheit sollte einen festen Platz in der Aus- und Weiterbildung derjenigen haben, die im Gesundheitswesen arbeiten und entsprechende Leistungen erbringen. |
(11) |
Zwecks Einführung effizienter und transparenter Programme, Strukturen und Strategien auf dem Gebiet der Patientensicherheit sollten auf Gemeinschaftsebene vergleichbare und aggregierte Daten erhoben und bewährte Verfahrensweisen unter den Mitgliedstaaten verbreitet werden. Zur Erleichterung des Lernens voneinander ist es erforderlich, durch eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission eine einheitliche Terminologie der Patientensicherheit sowie gemeinsame Indikatoren zu entwickeln, wobei die Arbeiten der einschlägigen internationalen Organisationen berücksichtigt werden sollten. |
(12) |
Instrumente der Informations- und Kommunikationstechnologie wie elektronische Patientenakten oder Verschreibungen können zur Verbesserung der Patientensicherheit beitragen, zum Beispiel durch systematisches Screening nach möglichen Medikamenteninteraktionen oder -allergien. Instrumente der Informations- und Kommunikationstechnologie sollten auch darauf ausgerichtet sein, die Kenntnisse der Anwender von Arzneimitteln zu verbessern. |
(13) |
Zur Ergänzung von Strategien, die auf den vorsichtigen Einsatz von Antibiotika abzielen (7), sollten nationale Strategien ausgearbeitet werden, welche die Prävention und Eindämmung therapieassoziierter Infektionen in die nationalen Ziele für die öffentliche Gesundheit einbeziehen und die Verringerung des Risikos, in den Gesundheitseinrichtungen an therapieassoziierten Infektionen zu erkranken, bezwecken. Wichtig ist, dass die Ressourcen, die für die Umsetzung der Bestandteile der nationalen Strategie erforderlich sind, im Rahmen der Kernfinanzierung der Gesundheitsversorgung bereitgestellt werden. |
(14) |
Prävention und Eindämmung von therapieassoziierten Infektionen sollten für Gesundheitseinrichtungen eine langfristige strategische Priorität darstellen. Alle Hierarchieebenen und Funktionen sollten zusammenarbeiten, um ergebnisorientierte Veränderungen in Bezug auf Verhaltensmuster und Organisation zu erreichen, indem auf allen Ebenen die Zuständigkeiten definiert, die unterstützenden Strukturen und lokalen technischen Ressourcen organisiert und Evaluierungsverfahren eingeführt werden. |
(15) |
Es liegen nicht immer ausreichende Daten zu therapieassoziierten Infektionen vor, um Überwachungsnetzen aussagekräftige Vergleiche zwischen einzelnen Einrichtungen zu ermöglichen, um die Epidemiologie therapieassoziierter Pathogene zu beobachten und um Strategien zur Prävention und Eindämmung von therapieassoziierten Infektionen zu evaluieren und Leitlinien hierfür zu entwickeln. Aus diesem Grund sollten Überwachungssysteme auf Ebene der Gesundheitseinrichtungen sowie auf regionaler und nationaler Ebene geschaffen oder ausgebaut werden. |
(16) |
Die Mitgliedstaaten sollten eine Verringerung der Zahl der an therapieassoziierten Infektionen erkrankten Personen anstreben. Um eine Verringerung der therapieassoziierten Infektionen zu erreichen, sollte die Einstellung von Gesundheitspersonal, das sich auf Infektionskontrolle spezialisiert, gefördert werden. Ferner sollten die Mitgliedstaaten und die Gesundheitseinrichtungen in ihrem Land den Einsatz von Verbindungspersonal zur Unterstützung des mit der Infektionskontrolle befassten Personals im klinischen Bereich in Erwägung ziehen. |
(17) |
Die Mitgliedstaaten sollten eng mit der Wirtschaft im Bereich Gesundheitstechnologie zusammenarbeiten, um bei der Konzipierung stärker die Patientensicherheit zu berücksichtigen und damit die Zahl der Zwischenfälle in der Gesundheitsversorgung zu verringern. |
(18) |
Um die zuvor genannten Ziele im Hinblick auf die Patientensicherheit unter Einschluss der Prävention und Eindämmung therapieassoziierter Infektionen zu erreichen, sollten die Mitgliedstaaten zum einen die Vollständigkeit ihres Konzeptes gewährleisten, zum anderen aber auch berücksichtigen, welche Elemente einen echten Einfluss auf die Prävalenz und die Belastung durch Zwischenfälle haben. |
(19) |
Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung sollte die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt werden — |
EMPFIEHLT
unter Anwendung folgender Begriffsbestimmungen für die Zwecke dieser Empfehlung:
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„Zwischenfall“ bezeichnet ein Ereignis, durch das ein Patient geschädigt wird; |
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„Schädigung“ impliziert eine Beeinträchtigung der Struktur oder Funktion des Körpers und/oder jede sonstige, sich daraus ergebende schädliche Auswirkung; |
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„therapieassoziierte Infektionen“ bezeichnet Krankheiten oder Pathologien, die mit der Präsenz eines Krankheitserregers oder eines seiner Produkte infolge der Exposition gegenüber Behandlungseinrichtungen oder Behandlungsverfahren oder Behandlungen zusammenhängen; |
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„Patientensicherheit“ bezeichnet die Bewahrung des Patienten vor unnötigen Schädigungen oder potenziellen Schädigungen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung; |
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„Prozessindikator“ bezeichnet einen Indikator, der sich auf die Einhaltung vorgegebener Verhaltensregeln, z.B. in Bezug auf Handhygiene, Überwachung, Standardarbeitsweisen, bezieht; |
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„Strukturindikator“ bezeichnet einen Indikator, der sich auf alle Arten von Ressourcen wie etwa Personal, eine Infrastruktur oder einen Ausschuss, bezieht; |
DEN MITGLIEDSTAATEN FOLGENDES:
I. EMPFEHLUNGEN ZUR ALLGEMEINEN PATIENTENSICHERHEIT
1. |
Unterstützung für die Einführung und Weiterentwicklung nationaler Strategien und Programme in Bezug auf die Patientensicherheit durch
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2. |
Stärkung der Handlungskompetenzen der Bürger und Patienten und Information der Bürger und Patienten durch
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3. |
Unterstützung für die Einführung bzw. den Ausbau von sanktionsfreien Systemen der Berichterstattung über Zwischenfälle und entsprechender Lernsysteme, die
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4. |
Förderung der Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften des Gesundheitswesens auf dem Gebiet der Patientensicherheit auf der geeigneten Ebene durch
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5. |
Klassifizierung und Messung der Patientensicherheit auf Gemeinschaftsebene durch Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission wie folgt:
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6. |
Austausch von Wissen, Erfahrungen und bewährten Praktiken durch Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission und einschlägigen europäischen und internationalen Gremien in folgenden Bereichen:
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7. |
Ausbau und Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Patientensicherheit. |
II. ZUSÄTZLICHE EMPFEHLUNGEN ZUR PRÄVENTION UND EINDÄMMUNG VON THERAPIEASSOZIIERTEN INFEKTIONEN
8. |
Annahme und Durchführung einer Strategie auf geeigneter Ebene zur Prävention und Eindämmung therapieassoziierter Infektionen, die folgende Ziele verfolgt:
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9. |
Erwägung — im Hinblick auf die koordinierte Durchführung der Strategie gemäß Nummer 8 sowie für die Zwecke des Informationsaustauschs und der Koordinierung mit der Kommission, dem ECDC, der Europäischen Arzneimittel-Agentur und den anderen Mitgliedstaaten — der Einführung, möglichst bis 9. Juni 2011 eines geeigneten bereichsübergreifenden Mechanismus oder gleichwertiger Systeme, je nach Infrastruktur in den Mitgliedstaaten, der/die mit dem bestehenden bereichsübergreifenden Mechanismus, der gemäß der Empfehlung des Rates vom 15. November 2001 zur umsichtigen Verwendung antimikrobieller Mittel in der Humanmedizin (2002/77/EG) (9) eingerichtet wurde, zusammenarbeitet/zusammenarbeiten oder in diesen integriert wird/werden. |
III. ABSCHLIEßENDE EMPFEHLUNGEN
10. |
Unterrichtung der Gesundheitsorganisationen, Berufsverbände und Bildungseinrichtungen über den Inhalt dieser Empfehlung und Motivierung zur Übernahme der darin vorgeschlagenen Konzepte, damit ihre grundlegenden Elemente in die alltägliche Praxis umgesetzt werden können. |
11. |
Berichterstattung an die Kommission über die Fortschritte bei der Durchführung dieser Empfehlung bis 9. Juni 2011 sowie danach auf Aufforderung der Kommission, damit ein Beitrag zum Follow-up dieser Empfehlung auf Gemeinschaftsebene geleistet werden kann. |
ERSUCHT DIE KOMMISSION,
bis 9. Juni 2012 dem Rat einen Durchführungsbericht vorzulegen, in dem sie auf der Grundlage der Informationen der Mitgliedstaaten die Auswirkungen dieser Empfehlung beurteilt und prüft, in welchem Maße die vorgeschlagenen Maßnahmen effektiv funktionieren und ob Bedarf für weitere Maßnahmen besteht.
Geschehen zu Luxemburg am 8. Juni 2009.
Im Namen des Rates
Der Präsident
Petr ŠIMERKA
(1) Stellungnahme vom 23. April 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
(2) Stellungnahme vom 25. März 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
(3) Stellungnahme vom 22. April 2009 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
(4) Technischer Bericht „Improving Patient Safety in the EU“, ausgearbeitet für die Europäische Kommission, veröffentlicht 2008 von der RAND Cooperation.
(5) Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 über das Siebten Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013) (ABl. L 412 vom 30.12.2006, S.1).
(6) Safety improvement for Patients in Europe (SIMPATIE), von der Gemeinschaft aus ihrem Programm im Bereich der öffentlichen Gesundheit 2003-2008 finanziertes Projekt, (http://www.simpatie.org).
(7) Z.B. Schlussfolgerungen des Rates zur Antibiotikaresistenz vom 10. Juni 2008.
(8) Zum Beispiel Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 1998 über die Schaffung eines Netzes für die epidemiologische Überwachung und die Kontrolle übertragbarer Krankheiten in der Gemeinschaft (ABl. L 268 vom 3.10.1998, S. 1) und Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136 vom 30.4.2004, S. 1).
(9) ABl. L 34 vom 5.2.2002, S. 13.