11.12.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 333/5


ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION

vom 2. Dezember 2008

zur Anwendung von Artikel 8 der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2008) 7378)

(Nur der portugiesische Text ist verbindlich)

(2008/932/EG)

DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN —

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft,

gestützt auf die Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (1), insbesondere auf Artikel 8,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die portugiesische Behörde für Medizinprodukte INFARMED hat mit Schreiben vom 29. Juli 2005 (2) der italienischen Firma Medical Biological Service S.R.L („MBS“) die Vermarktung ihres In-vitro-HIV-Diagnostik-Testkits „HIV 1&2 Ab“ („der HIV-Test“) verboten. INFARMED verpflichtete außerdem das portugiesische Vertriebs-unternehmen Prestifarma Lda. zum Rückruf des Produkts im Namen von MBS.

(2)

Mit Schreiben vom 1. September 2005 (3) teilte INFARMED diese Maßnahmen gemäß Artikel 13 der Richtlinie 98/79/EG mit. Zur Begründung seiner Maßnahme verwies Portugal auf den Gesundheitsüberwachungsbericht „NCAR DE-2005-07-30“ des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI-Fall Nr. PEI0026/05). In einem nachfolgenden Schriftwechsel wurde klargestellt, dass die Nummer des NCAR-Berichts falsch angegeben worden war, dass die korrekte Nummer DE-2005-07-07-30 lautet und dass dieser Bericht mit dem NCAR-Bericht DE-2005-07-27-30 identisch ist.

(3)

Der NCAR-Bericht DE-2005-07-07-30 stellt fest, dass der HIV-Test kurz nach einer HIV-Infektion zur Entdeckung der Infektion 10—18 Tage länger als vergleichbare Tests braucht (geringe Sensitivität für frühe Serokonversion). Aus demselben Grund hatte die Slowakische Medizinische Hochschule in ihrem Prüfbericht vom 28. Oktober 2004 (4) der slowakischen notifizierten Stelle EVPÚ empfohlen, keine Bescheinigung für den HIV-Test auszustellen. Der Test entsprach somit nicht dem „allgemein anerkannten Stand der Technik“ im Sinne von Anhang I (Grundlegende Anforderungen) Abschnitt A.2 der Richtlinie 98/79/EG und von Abschnitt 3.1.8 Satz 3 der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen für In-vitro-Diagnostika im Anhang der Entscheidung 2002/364/EG der Kommission (5).

(4)

Wie das Paul-Ehrlich-Institut in seinem Schreiben an das deutsche Bundesgesundheitsministerium vom 12. Dezember 2005 (6) feststellt, belegen die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Unterlagen überdies, dass der HIV-Test nicht wie laut Abschnitt 3.1.8 Satz 1 der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen erforderlich alle echt positiven Proben entdeckte. Entgegen Abschnitt 3.1.5 der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen wurde dieses Versagen vom Hersteller oder seiner notifizierten Stelle niemals aufgeklärt. Der HIV-Test erfüllt daher nicht Abschnitt 3.1.8 Satz 1 und Abschnitt 3.1.5 der Gemeinsamen Technischen Spezifikationen.

(5)

Nachdem MBS den NCAR-Bericht DE-2005-07-07-30 zur Kenntnis genommen hatte, modifizierte das Unternehmen den HIV-Test. Jedoch wurde, wie das Paul-Ehrlich-Institut später in einem Bericht vom 23. August 2007 (7) feststellte, die Sensitivität des HIV-Tests für frühe Serokonversion durch die Modifizierung nicht verbessert. Laut der Aussage auf Seite 10 dieses Berichts versagt auch der modifizierte Test bei der Erkennung echt positiver Proben, deren Befund bereits durch die Westernblot- oder Immunoblot-Methode bestätigt wurde.

(6)

Die Kommission konsultierte die Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 22. März 2007 (D(2007)7800), die beteiligten notifizierten Stellen und Institute mit Schreiben vom 21. März 2007 (D(2007)7817) und MBS mit Schreiben vom 11. Juni 2007 (D(2007)16597). Sie hörte außerdem verschiedentlich Experten auf dem Gebiet der In-vitro-Diagnostika, unter anderem auf einer Sitzung am 31. Januar 2008.

(7)

In Artikel 13 der Richtlinie 98/79/EG (Besondere Gesundheitsüberwachungsmaßnahmen) sind die Bedingungen weiter gefasst als in Artikel 8 (Schutzklausel) derselben Richtlinie. Artikel 13 der Richtlinie 98/79/EG erfordert bei der handelnden Behörde nicht dasselbe Maß an Gewissheit im Hinblick auf das Vorliegen eines Risikos.

(8)

Die Auswertung der ursprünglichen Mitteilung und der späteren Schreiben von INFARMED sowie die Anhörung der betroffenen Parteien haben bestätigt, dass das zu prüfende Produkt bei korrekter Wartung und bestimmungsgemäßer Verwendung die Gesundheit und/oder die Sicherheit von Patienten, Nutzern oder anderen Personen im Sinne von Artikel 8 der Richtlinie 98/79/EG beeinträchtigen kann, da es nicht dem „allgemein anerkannten Stand der Technik“ entspricht und somit eine grundlegende Anforderung nicht erfüllt.

(9)

Da der Test langsamer und weniger zuverlässig als andere Diagnostika ist, entdeckt er weniger HIV-Infektionen als die anderen Diagnostika und verzögert möglicherweise den Beginn einer geeigneten Antiretrovirentherapie. Der Test könnte auch zu einem erhöhten Risiko unentdeckter HIV-Infektionen bei Blutspendern beitragen. Er beeinträchtigt die Gesundheit auch insofern, als durch die verspätete und unzuverlässige Entdeckung von HIV-Infektionen das Risiko einer Übertragung auf dritte Personen, zum Beispiel durch Geschlechtsverkehr, steigen kann.

(10)

Laut dem Europäischen Gerichtshof (8) ist die im Einklang mit Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 98/79/EG geäußerte Ansicht der Kommission für den Mitgliedstaat, der Maßnahmen getroffen hat, bindend. Dementsprechend ist dieser Rechtsakt als Entscheidung einzustufen —

HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Die Maßnahmen, die die portugiesische Behörde INFARMED gegen die Vermarktung des von der italienischen Firma Medical Biological Services S.R.L hergestellten In-vitro-Diagnostikums „HIV 1&2 Ab“ mit Schreiben vom 29. Juli 2005 (DGREE/VPS/086/05 — Fall Nummer 9.5.1.-329/2005) getroffenen hat, sind gerechtfertigt.

Artikel 2

Diese Entscheidung ist an die Portugiesische Republik gerichtet.

Brüssel, den 2. Dezember 2008

Für die Kommission

Günter VERHEUGEN

Vizepräsident


(1)  ABl. L 331 vom 7.12.1998, S. 1.

(2)  DGREE/VPS/086/05 — Fall Nummer 9.5.1.-329/2005.

(3)  DGREE/VPS/094/05.

(4)  Prüfbericht Nr. E-650/04 208600.

(5)  ABl. L 131 vom 16.5.2002, S. 17.

(6)  Bezugsnummer: A2.

(7)  Die österreichischen Behörden hatten das Paul-Ehrlich-Institut um die Erstellung dieses Berichts ersucht, nachdem sie den modifizierten Test auf dem Weg von MBS zur österreichischen Firma DIALAB GmbH beschlagnahmt hatten, die beabsichtigte, den Test unter ihrem eigenen Namen zu vermarkten.

(8)  Vgl. analog das Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 14. Juni 2007, Rechtssache C-6/05, Slg. 2007, S. I-4557 Randnummern 58, 59.