12.11.2004 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
L 336/38 |
ENTSCHEIDUNG DES RATES
vom 2. November 2004
zur Ermächtigung Österreichs zur Anwendung einer von Artikel 21 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichenden Regelung
(2004/758/EG)
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft,
gestützt auf die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (1), insbesondere auf Artikel 27 Absatz 1,
auf Vorschlag der Kommission,
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) |
Die österreichische Regierung hat mit Schreiben an die Kommission, dessen Eingang vom Generalsekretariat der Kommission am 3. März 2004 registriert wurde, die Ermächtigung zur Einführung von drei Regelungen beantragt, die von Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 77/388/EWG abweichen. |
(2) |
Durch die von Österreich beantragten Ausnahmeregelungen soll in folgenden drei Fällen die Mehrwertsteuer-Schuldnerschaft auf den Leistungsempfänger übergehen: erstens bei der Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch einen steuerpflichtigen Sicherungsgeber an einen Sicherungsnehmer, zweitens bei der Lieferung von Gegenständen im Rahmen des abgetretenen Eigentumsvorbehalts und drittens bei der Lieferung von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an eine andere Person. Die beantragten Ausnahmeregelungen sind als Maßnahmen anzusehen, mit denen in den genannten Bereichen Steuerhinterziehung oder -umgehung vermieden werden soll. |
(3) |
Die Lieferung von Gegenständen im Rahmen der Sicherungsübereignung von einem steuerpflichtigen Sicherungsgeber an einen Sicherungsnehmer erfolgt vorwiegend in Fällen, in denen der Sicherungsgeber nicht in der Lage ist, seine Schulden, einschließlich seiner Steuerschulden, zu bedienen. Wenn der Sicherungsnehmer sein Eigentumsrecht an den Gegenständen ausübt und die sicherungsübereigneten Gegenstände an einen Dritten verkauft, ist dieser Verkauf auch mit einer Lieferung vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer verbunden. Mehrwertsteuerausfälle ergaben sich häufig, wenn dem Sicherungsnehmer und Empfänger der Lieferung zwar das Recht auf Vorsteuerabzug gewährt werden musste, die Mehrwertsteuer jedoch beim Sicherungsgeber als Lieferer aufgrund seiner Insolvenz oder weil er unauffindbar war, nicht zurückgefordert werden konnte. Das Problem hat solche Ausmaße angenommen, dass rechtliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Deutschland wurde durch die Entscheidung 2002/439/EG (2) zur Anwendung einer ähnlichen Ausnahmeregelung ermächtigt. |
(4) |
Eine Lieferung von Gegenständen erfolgt unter Eigentumsvorbehalt wenn die Bezahlung durch den Käufer nicht gewährleistet ist; der Lieferant tritt sodann seinen Eigentumsvorbehalt und die Kaufpreisforderung an einen Dritten ab, in der Regel an eine Bank, die dem Käufer der Gegenstände einen Kredit für die Bezahlung der Gegenstände gewährt. Wenn der Käufer seine Schulden nicht mehr bedienen kann, wird die Bank ihr Eigentumsrecht an den Gegenständen ausüben; diese Ausübung des Eigentumsrechts ist mit einer Lieferung der Gegenstände vom ursprünglichen Käufer an die Bank verbunden. Die Bank zahlt dem ursprünglichen Käufer in der Regel nicht die auf die Lieferung anfallende Mehrwertsteuer, sondern verwendet sie für die Kreditrückzahlung, so dass sich Steuerausfälle für den Fiskus ergeben, da der ursprüngliche Käufer insolvent oder nicht mehr auffindbar ist, bevor die Steuerverwaltung ihn identifizieren und die Mehrwertsteuer von ihm zurückfordern kann. Dieser Fall ähnelt der vorstehend beschriebenen Sicherungsübereignung. |
(5) |
Mehrwertsteuerausfälle ergeben sich auch in Fällen einer steuerpflichtigen Lieferung von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an eine andere Person. Besonders betroffen sind jene Fälle, in denen der Lieferer sich für eine Besteuerung entschieden hatte, obwohl er zur Zeit der Lieferung finanziell nicht in der Lage war, die dem Käufer in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer an den Fiskus abzuführen. Der Käufer kann dabei sein Vorsteuerabzugsrecht ausüben, der Lieferer führt jedoch keine Mehrwertsteuer an den Fiskus ab. Das Problem hat solche Ausmaße angenommen, dass rechtliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Grundstücke haben in der Regel einen hohen Wert, so dass die Bemessungsgrundlage und die Mehrwertsteuerausfälle schon bei einem einzigen Umsatz sehr hoch sind. Der Wert eines Grundstücks umfasst in der Regel versteckte Mehrwertsteuer, so dass die Möglichkeit der Besteuerung beibehalten werden muss, um das Mehrwertsteuersystem neutral zu halten. Unter diesen Umständen und angesichts des besonders hohen Risikos scheint die angestrebte Verlagerung der Mehrwertsteuer-Schuldnerschaft auf den Leistungsempfänger die beste Lösung zu sein. Durch die beantragte Ausnahmeregelung werden Mehrwertsteuerausfälle vermieden, da der Fiskus keinem der betroffenen Wirtschaftsbeteiligten Mehrwertsteuer erstattet. Vermieden wird außerdem die doppelte steuerliche Haftung von Lieferer und Leistungsempfänger, die für den Empfänger mit einem höheren wirtschaftlichen Risiko und für den Fiskus mit aufwändigen Rückforderungsverfahren verbunden wäre, da sich der Fiskus nur dann an den Empfänger wenden könnte, wenn sich die Rückforderung vom Lieferer als unmöglich herausstellt. Auch die steuerliche Haftung eines Dritten (z. B. des Notars), die zu höheren Kosten für Lieferer und Leistungsempfänger führen würde, wird vermieden. Deutschland wurde durch die Entscheidungen 2002/439/EG und 2004/290/EG (3) bereits zur Anwendung ähnlicher Ausnahmeregelungen ermächtigt. |
(6) |
Diese Ausnahmeregelungen wirken sich weder auf den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Mehrwertsteuer noch auf die Mehrwertsteuer-Eigenmittel der Gemeinschaft aus — |
HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:
Artikel 1
Abweichend von Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe a) der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung von Artikel 28g dieser Richtlinie wird die Republik Österreich ermächtigt, bei den in Artikel 2 dieser Entscheidung bezeichneten Lieferungen von Gegenständen den Empfänger der betreffenden Lieferungen als Mehrwertsteuerschuldner zu bestimmen.
Artikel 2
In folgenden Fällen kann der Empfänger der Lieferungen als Mehrwertsteuerschuldner bestimmt werden:
1. |
bei der Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch einen steuerpflichtigen Sicherungsgeber an einen Sicherungsnehmer; |
2. |
bei der Lieferung von Gegenständen nach vorangegangener Übertragung des Eigentumsvorbehalts und der Ausübung des Eigentumsrechts durch den Abtretungsempfänger; |
3. |
bei der Lieferung von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an eine andere Person. |
Artikel 3
Die Geltungsdauer dieser Entscheidung endet am 31. Dezember 2008.
Artikel 4
Diese Entscheidung ist an Österreich gerichtet.
Geschehen zu Brüssel am 2. November 2004.
Im Namen des Rates
Der Präsident
B. R. BOT
(1) ABl. L 145 vom 13.6.1977, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/66/EG (ABl. L 168 vom 1.5.2004, S. 35).
(2) ABl. L 151 vom 11.6.2002, S. 12.
(3) ABl. L 94 vom 31.3.2004, S. 59.