31991D0298

91/298/EWG: Entscheidung der Kommission vom 19. Dezember 1990 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/33.133-B: Soda - Solvay und CFK) (Nur der deutsche und französische Text sind verbindlich)

Amtsblatt Nr. L 152 vom 15/06/1991 S. 0016 - 0020


ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION vom 19. Dezember 1990 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/33.133-B: Soda - Solvay und CFK) (Nur der deutsche und der französische Text sind verbindlich) (91/298/EWG)

DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN - gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft,

gestützt auf die Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 - Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (1), zuletzt geändert durch die Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals, insbesondere auf die Artikel 3 und 15,

im Hinblick auf den Beschluß der Kommission vom 19. Februar 1990, von Amts wegen ein Verfahren nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten,

nach der gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 (2) an die betreffenden Unternehmen ergangenen Aufforderung, sich zu den Beschwerdepunkten zu äussern,

nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

TEIL I SACHVERHALT A. Zusammenfassende Darstellung des Verstosses (1) 1. Die vorliegende Entscheidung ist das Ergebnis von Untersuchungen, die die Kommission im März 1989 nach Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 bei den Herstellern von kalzinierter Soda in der Gemeinschaft durchgeführt hat. Bei diesen Nachprüfungen und den anschließenden Ermittlungen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 ist die Kommission auf Unterlagen gestossen, aus denen (unter anderem) hervorgeht, daß folgende Unternehmen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen haben:

- Solvay et Cie S.A., Brüssel (Solvay),

- Chemische Fabrik Kalk, Köln (CFK).

2. Der Verstoß kann wie folgt zusammenfassend beschrieben werden:

Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag seitens Solvay und CFK Solvay und CFK haben sich ab einem unbekannten Zeitpunkt, vermutlich im Jahr 1987, bis zumindest 1989 an einer im Widerspruch zu Artikel 85 EWG-Vertrag stehenden Vereinbarung bzw. aufeinander abgestimmten Verhaltensweise beteiligt, aufgrund der Solvay in den Jahren 1987, 1988 und 1989 CFK eine Mindestabsatzmenge garantierte, die nach einer Formel auf der Grundlage des Jahresabsatzes von CFK in der Bundesrepublik Deutschland von 179 kt im Jahr 1986 berechnet wurde, und an CFK einen Ausgleich für etwaige Fehlmengen bietet, indem es von CFK die Mengen aufkauft, die erforderlich sind, um deren Verkäufe auf die garantierte Mindestabsatzmenge zu bringen.

B. Der Verstoß gegen Artikel 85 EWG-Vertrag seitens Solvay und CFK 1. Hintergrund (2) Für Einzelheiten zu dem Produkt und dem Markt für kalzinierte Soda wird auf Teil I B der Entscheidung 91/297/EWG der Kommission (Solvay-ICI) (3) verwiesen.

(3) CFK ist eine Tochtergesellschaft von Kali & Salz AG (BASF-Gruppe) und zählt zu den drei Herstellern von synthetischer kalzinierter Soda in Deutschland. Ihre gegenwärtige Produktionskapazität beträgt rund 260 kt, ihr Anteil am deutschen Markt rund 15 %.

Solvay ist der bei weitem grösste Anbieter auf dem deutschen Markt mit einem Anteil von über 50 %. Während des entscheidenden Zeitraums wurde das Sodageschäft von Solvay auf diesem Markt über die Tochtergesellschaft Deutsche Solvay Werke (DSW) geführt. Bis 1985 war in diesem Sektor noch eine weitere Solvay-Gesellschaft, die Kali Chemie (KC), tätig, die dann jedoch geschäftlich Bestandteil von DSW wurde.

Im November 1989 kündigte Solvay Pläne zum Umbau seiner Tätigkeiten in Deutschland durch die Gründung einer Holdinggesellschaft Solvay Deutschland GmbH an. Diese zu 100 % im Besitz von Solvay befindliche Holding soll Kali Chemie kontrollieren und 59,7 % der Anteile an den deutschen Solvay-Werken halten. Diese Vereinbarungen berühren nicht die Verantwortung von Solvay für den Vertragsverstoß.

(4) Im Jahr 1985 hat DSW offensichtlich versucht, die Stellung von CFK auf dem deutschen Markt zu schwächen, indem sie CFK deren Geschäftsanteile bei bestimmten Großkunden abnehmen wollte. CFK glich diesen Verlust jedoch dadurch aus, daß sie ihrerseits Geschäftsanteile von Matthes & Weber, dem anderen deutschen Sodahersteller, abnahm.

Im Verlauf des Jahres 1986 stellte Solvay fest, daß CFK ihre Preise herabsetzte, um Marktanteile zu halten bzw. zurückzugewinnen. Anläßlich eines Telefongesprächs zwischen DSW und dem Solvay-Hauptsitz Brüssel am 24. Oktober 1986 wurden die Möglichkeiten eines "Waffenstillstands" zwischen Solvay und CFK erörtert. Nach den Aussagen von DSW wäre ein "Waffenstillstand" mit CFK nur möglich gewesen, wenn für das Jahr 1987 Preiserhöhungen in Aussicht genommen worden wären. Solvay Brüssel vertrat die Auffassung, daß nach einem versuchsweisen "Waffenstillstand" CFK eine Preiserhöhung eventuell im zweiten Quartal 1987 vorgeschlagen werden könnte.

Sowohl Solvay als auch CFK bestreiten die Existenz eines vereinbarten "Waffenstillstands" (Antworten nach Artikel 11). Diese Aussage ist jedoch im Lichte der Unterlagen zu beurteilen, auf die in den nachstehenden Absätzen Bezug genommen wird.

2. Die "Garantievereinbarung" (5) Aus einer von DSW im März 1988 vorgenommenen Bewertung des Sodamarktes geht hervor, daß sich die Schwierigkeiten von CFK mittlerweile "beruhigt" hatten. Aus den von der Kommission gefundenen Unterlagen geht hervor, daß eine Vereinbarung zwischen Solvay und CFK getroffen worden war, mit der CFK und Solvay eine Jahresmindestabsatzmenge auf dem deutschen Markt "garantiert" wurde.

Danach würde Solvay die Fehlmengen aufkaufen, falls die Verkäufe von CFK in Deutschland die garantierte Mindestabsatzmenge nicht erreichen sollten.

(6) Ursprünglich wurde die Garantiemenge für CFK auf 179 kt - wahrscheinlich in Anlehnung an die Verkaufszahlen von CFK in der Bundesrepublik im Jahr 1986 - festgesetzt. Damals sahen die Parteien nicht voraus, daß ein echtes Wachstum auf dem deutschen Sodamarkt, auf dem 1986 und 1987 jeweils insgesamt rund 1 080 kt abgesetzt wurden, stattfinden könnte.

Sowohl 1987 als auch 1988 konnte CFK eine Menge absetzen, die etwas über der garantierten Mindestabsatzmenge von 179 kt lag (nämlich 183 bzw. 180 kt), nachdem die Nachfrage auf dem deutschen Markt über die früheren Erwartungen hinaus zu wachsen begonnen hatte und Ende 1988 deutlich geworden war, daß die Gesamtverkäufe auf dem deutschen Markt in diesem Jahr rund 1 170 kt - rund 8,3 % mehr als im Vorjahr - erreichen würden.

Als Folge der wachsenden Nachfrage forderte CFK daraufhin für 1988 und 1989 eine Mindestabsatzmenge von 194 kt. CFK forderte mithin einen rückwirkenden "Ausgleich" für das Jahr 1988 in Höhe von 14 kt (194 - 180 kt), was unter Berücksichtigung des Kredits für 1987 einen Restbetrag von 11 kt ergab. Die im Januar 1989 revidierten internen Vorausschätzungen von CFK für 1989 bestätigen, daß CFK ihre ursprüngliche Planung geändert hatte, da sie mit "Koproduzenten"-Lieferungen in Höhe von 11 kt für 1989 rechnete.

Solvay hatte in der Tat Ende Dezember 1988 2,5 kt aufgekauft, womit eine Restmenge von 8,5 kt blieb, die Solvay 1989 von CFK beziehen sollte.

(7) Als Gegenvorschlag bot Solvay für 1988 eine maximale Kompensation von 4 kt anstelle von 8,5 kt; für 1989 wollte Solvay die Garantie lediglich um 5,3 % anstelle von 8,3 % erhöhen, um eine "neutrale Zone" von 3 % zu berücksichtigen. Die Garantiemenge für 1989 würde sich somit lediglich auf 190 kt anstelle der von CFK ursprünglich beantragten 194 kt belaufen.

Am 14. März 1989 fand eine Zusammenkunft mit maßgeblichen Vertretern von CFK und ihrer Muttergesellschaft Kali & Salz auf der einen Seite und DSW auf der anderen Seite statt. Bezeichnenderweise wurde über diese Zusammenkunft keine offizielle Aufzeichnung oder Niederschrift angefertigt, und bei CFK und Kali & Salz finden sich keine Spur von dieser Zusammenkunft. Aus einem bei DSW gefundenen kurzen handschriftlichen Vermerk über diese Zusammenkunft geht jedoch unzweifelhaft hervor, daß die Zusammenkunft einzig der Klärung der Frage diente, ob die Kompensation rückwirkend anzuwenden wäre. Kein Streit bestand über das Grundprinzip: In der Aktennotiz von DSW heisst es: "Verständnis System: i. O. (= ,in Ordnung')". DSW schlug zwar einige Änderungen vor, schien aber mit der Art und Weise zufrieden zu sein, wie die Vereinbarung funktionierte ("Schiff laufen lassen und nach vorn orientieren"). Diese Notiz scheint darauf hinzudeuten, daß beide Seiten vereinbarten, daß Solvay für die kommenden acht Monate monatlich 1 000 Tonnen von CFK abnehmen würde.

Der Ausgleichsmechanismus gelangte zur Anwendung, und Solvay kaufte von CFK in der ersten Hälfte 1989 die von CFK geforderten zusätzlichen 8,5 kt auf.

3. Gegenargumente (8) Sowohl Solvay als auch CFK bestreiten jegliche geheime Abrede oder Absprache untereinander. Das bei DSW vorgefundene Belastungsmaterial bezieht sich nach der Darstellung von Solvay auf eine Regelung, die auf einer rein einseitigen Basis konzipiert wurde, als Solvay um das Jahr 1988 eine Übernahme der Geschäftstätigkeit von CFK erwog. Um den Fortbestand von CFK während der Verhandlungen sicherzustellen, habe Solvay (wiederum ohne jegliche Kontaktaufnahme mit CFK), die Menge berechnet, die CFK auf dem deutschen Markt absetzen müsste, um ihre Kapazität auf einem Niveau fahren zu können, das ihr Überleben garantieren würde (Solvay erklärt jedoch nicht, warum es einer Politik folgte, die dazu führte, daß es einen höheren Preis für die Geschäftstätigkeit von CFK zahlte, als dies sonst der Fall sein würde, noch warum es, wenn es sich lediglich darum handelte, für eine optimale Produktionsauslastung zu sorgen, nötig war, sich speziell auf die Verkaufszahlen auf dem deutschen Markt zu beziehen, und warum es diese Menge nur in bezug auf die Verkäufe auf dem deutschen Markt und nicht auf die Gesamtproduktion von CFK berechnen sollte). Diese "Überlebensmenge" wurde von Solvay für 1986 mit 179 kt veranschlagt. Die häufigen Hinweise in den Dokumenten auf eine "Forderung" oder ein "Verlangen von CFK und die sehr detaillierten Berechnungen hierzu würden laut Solvay keinerlei Kontakt zu CFK implizieren, ebenso wenig wie die Hinweise auf ein "Angebot" von Solvay oder auf einen "Kompromiß". Auf der Zusammenkunft vom 14. März 1989 zwischen DSW auf der einen Seite und CFK und Kali & Salz auf der anderen Seite sei einfach die Frage einer möglichen Beteiligung von Solvay an dem Soda-Geschäftsbereich von CFK erörtert worden: erst auf dieser Zusammenkunft habe Solvay CFK erstmals von den Überlegungen in Kenntnis gesetzt, das Überleben des Unternehmens zu unterstützen, doch seien keine konkreten Vereinbarungen getroffen worden, und die Zusammenkunft habe niemals ein Ergebnis gebracht.

Solvay hielt es nicht für erforderlich vorzuschlagen, daß die beteiligten Personen ausfindig gemacht werden, damit sie die faktischen Argumente bestätigen; ebenso wenig beantragte Solvay eine mündliche Anhörung.

CFK ihrerseits bestritt jede Mitwirkung an einer Geheimabrede: es sei Sache von Solvay und nicht von CFK, eine Erklärung für die bei DSW vorgefundenen Unterlagen zu geben. Ihre eigenen Unterlagen enthielten nichts, was sie mit einer Geheimabrede in Verbindung bringen könnte.

(9) Die Kommission weist die von Solvay gegebenen Erklärungen, die in jedem Fall in völligem Widerspruch zu den Aussagen der eigenen Unterlagen stehen, als absolut unglaubwürdig zurück. Ebenso aufschlußreich ist es, daß einige der fraglichen Dokumente per Telefax von DSW an den Solvay-Hauptsitz in Brüssel übermittelt wurden, daß aber keine Spur davon zu finden ist, daß sie dort eingegangen sind. Was die Argumente von CFK betrifft, so steht fest, daß bei einem Unternehmen vorgefundene Dokumente, die ein anderes Unternehmen belasten, sowohl gegen das eine wie auch gegen das andere Unternehmen beweiskräftig sind (siehe Randnummer 164 der Entscheidung des Gerichtshofs in den Rechtssachen 40-48, 50, 54-56, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie und andere gegen die Kommission) (1). In jedem Fall finden sich mehrere detaillierte Hinweise in den internen Unterlagen von CFK, die ihren Widerhall in den bei Solvay vorgefundenen Unterlagen finden und deren Informationsgehalt Solvay nicht hätte bekannt sein können, wenn er Solvay nicht mitgeteilt worden wäre. CFK konnte keine Erklärung für das Zusammentreffen von Hinweisen in ihren eigenen Unterlagen und in denen eines anderen Herstellers geben.

TEIL II RECHTLICHE WÜRDIGUNG A. Artikel 85 EWG-Vertrag 1. Artikel 85 Absatz 1 (10) Gemäß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag sind mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.

Artikel 85 Absatz 1 nennt als Beispiele verbotener Vereinbarungen ausdrücklich die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise und die Einschränkung, Kontrolle oder Aufteilung der Märkte.

2. Vereinbarungen/aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (11) Nach Artikel 85 Absatz 1 sind sowohl Vereinbarungen als auch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verboten. Im vorliegenden Fall ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen der verbotenen Abrede zwar nicht ausschlaggebend, doch ist nach Auffassung der Kommission das Vorgehen von Solvay und CFK - genau genommen - als "Vereinbarung" im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 zu qualifizieren.

Von dem Bestehen einer "Vereinbarung" kann ausgegangen werden, wenn die Parteien Übereinstimmung über einen Plan erzielt haben, der ihre geschäftliche Unabhängigkeit einschränkt oder einzuschränken geeignet ist, indem er ihr gegenseitiges Vorgehen oder ihr Nichttätigwerden auf dem Markt in den Grundzuegen festlegt. Es ist nicht erforderlich, daß die Parteien diesen Plan als rechtsverbindlich ansehen, und es ist nicht zu erwarten, daß sie diesem Vertragskraft verleihen, wenn ihnen die Unrechtmässigkeit ihres Vorgehens bewusst ist. Bei einer Vereinbarung dieser Art sind weder Bestimmungen über ihre Durchsetzung noch die schriftliche Niederlegung erforderlich.

3. Einschränkung des Wettbewerbs (12) Im vorliegenden Fall bezweckt und bewirkt die Vereinbarung eindeutig die Einschränkung des Wettbewerbs.

Der Zweck der Vereinbarung bestand eindeutig darin, eine Marktstabilität auf künstliche Weise herbeizuführen. Als Gegenleistung für die Rückkehr zu einem Preisverhalten, das von Solvay als nicht störend angesehen wurde, wurde CFK ein Mindestanteil am deutschen Markt garantiert. Indem Solvay die Mengen vom Markt nahm, die CFK nicht verkaufen konnte, sorgte Solvay dafür, daß das Preisniveau nicht durch Wettbewerb verringert wurde. Aus den Unterlagen geht eindeutig hervor, daß die Vereinbarungen durchgeführt wurden und ihren beabsichtigten Zweck erfuellten. Klassische kartellartige Vereinbarungen dieser Art schränken naturgemäß den Wettbewerb im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ein.

4. Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten (13) Die Tatsache, daß die garantierte Mindestabsatzmenge sich lediglich auf Verkäufe auf dem deutschen Markt bezog, schließt die Anwendung von Artikel 85 EWG-Vertrag keineswegs aus. Aus der Beteiligung von Solvay in Brüssel folgt eindeutig, daß die Vereinbarung ein Teil von Solvays allgemeiner Politik zur Kontrolle des Marktes von kalzinierter Soda in der EG war. Mit der Vereinbarung zwischen Solvay und CFK wurde nicht nur die Einschränkung des Wettbewerbs in einem wichtigen Teil des Gemeinschaftsmarktes, sondern auch die Aufrechterhaltung starrer Marktstrukturen und die Trennung der nationalen Märkte bezweckt. Ferner ist nicht auszuschließen, daß die von Solvay unter der Garantiezusage abgenommenen Mengen von CFK auf anderen Märkten in der Gemeinschaft abgesetzt worden wären.

5. Schlußfolgerung (14) Die Kommission ist daher der Auffassung, daß Solvay und CFK gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen haben, indem sie seit etwa 1986 bis zum jetzigen Zeitpunkt vereinbart haben, daß Solvay CFK eine jährliche Mindestabsatzmenge auf dem deutschen Markt garantieren und die Fehlmengen aufkaufen würde.

B. Maßnahmen und Sanktionen 1. Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 (15) Stellt die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EWG-Vertrag fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 verpflichten, die Zuwiderhandlung abzustellen.

Im vorliegenden Fall wurden die Vereinbarungen unter Geheimhaltung durchgeführt, und ungeachtet der erdrückenden Beweiskraft der vorgefundenen Unterlagen bestreiten Solvay und CFK weiterhin, daß zwischen ihnen unzulässige Absprachen getroffen wurden. Es ist folglich ungewiß, ob sie Schritte unternommen haben, um die unzulässige Absprache zu beenden. Nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 sind Solvay und CFK deshalb zu verpflichten, die Zuwiderhandlung unverzueglich abzustellen.

Die Parteien müssen ausserdem verpflichtet werden, alle Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen gleicher Wirkung zu unterlassen.

2. Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 (16) Gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission durch Entscheidung Geldbussen in Höhe von eintausend bis zu einer Million Ecu oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 oder Artikel 86 des Vertrages verstossen. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbusse ist neben der Schwere des Verstosses auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.

a) Schwere des Verstosses (17) Im vorliegenden Fall handelt es sich nach Auffassung der Kommission um einen schwerwiegenden Verstoß. Marktaufteilungsvereinbarungen stellen naturgemäß erhebliche Wettbewerbseinschränkungen dar. Im vorliegenden Fall schränkten die Parteien den Wettbewerb untereinander durch eine Regelung ein, die eine Marktstabilität auf künstliche Weise herstellen sollte. Solvay ging auf die mengenmässigen Zielvorstellungen von CFK ein, ohne daß die betreffenden Mengen auf dem Verbrauchermarkt zu einem wettbewerbsfähigen Preis abgesetzt zu werden brauchten. Ausserdem wurden die Vereinbarungen unter erheblicher Geheimhaltung durchgeführt.

b) Dauer der Zuwiderhandlung (18) Angesichts der Weigerung der Unternehmen, irgendwelche Auskünfte zu erteilen, lässt sich nicht mit Genauigkeit ermitteln, wann die Garantievereinbarung getroffen wurde. Jedenfalls wurden die Vereinbarungen erstmals auf die Verkäufe von CFK für das Jahr 1987 angewandt. Bei der Festsetzung der Geldbussen ist deshalb davon auszugehen, daß die Vereinbarung irgendwann im Laufe des Jahres 1987 geschlossen wurde.

Bei der Festsetzung der Höhe der gegen jedes Unternehmen zu verhängenden Geldbusse berücksichtigt die Kommission die marktbeherrschende Stellung von Solvay als führender Hersteller in der Bundesrepublik Deutschland und in der Gemeinschaft. Solvay geht davon aus, daß es in dieser Eigenschaft in besonderem Masse für die Sicherung der "Marktstabilität" verantwortlich ist. CFK ist ein verhältnismässig kleiner Sodahersteller, war aber ein fügsamer Partner in dem unzulässigen Geschäft.

(19) Die Zuwiderhandlung wurde überlegt begangen, und beide Parteien müssen von der offensichtlichen Unvereinbarkeit ihrer Vereinbarungen mit dem Gemeinschaftsrecht gewusst haben.

Gegen Solvay wurden von der Kommission bereits verschiedentlich erhebliche Geldbussen wegen unzulässiger Absprachen in der chemischen Industrie in den Entscheidungen Peroxides 85/74/EWG (1), Polypropylene 86/398/EWG (2) und PVC 89/190/EWG (3) festgesetzt. Seine Aktivitäten im Bereich Soda wurden von der Kommission in den Jahren 1980 bis 1982 untersucht. Obgleich sich die Kommission damals mehr im besonderen mit den Alleinbezugsvereinbarungen mit Abnehmern befasste, müssen die für das Sodageschäft verantwortlichen Stellen von der Notwendigkeit der Beachtung des Gemeinschaftsrechts gewusst haben - HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Solvay et Cie S.A. ("Solvay") und die Chemische Fabrik Kalk GmbH ("CFK") haben dadurch gegen Artikel 85 EWG-Vertrag verstossen, daß sie seit etwa 1987 bis zum jetzigen Zeitpunkt an einer Marktaufteilungsvereinbarung teilgenommen haben, aufgrund der Solvay CFK eine jährliche Mindestabsatzmenge an kalzinierter Soda auf dem deutschen Markt, die auf der Grundlage des Jahresabsatzes von CFK im Jahr 1986 berechnet war, garantierte und CFK einen Ausgleich durch Aufkauf etwaiger Fehlmengen bis zur garantierten Mindestabsatzmenge gewährte.

Artikel 2

Solvay und CFK stellen die Zuwiderhandlung - sofern nicht bereits geschehen - unverzueglich ein und unterlassen künftig jede Vereinbarung oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweise mit gleichem Zweck oder gleicher Wirkung.

Artikel 3

Wegen des in Artikel 1 genannten Verstosses werden folgende Geldbussen verhängt:

a) gegen Solvay et Cie, Brüssel, eine Geldbusse von 3 Millionen Ecu,

b) gegen Chemische Fabrik Kalk, Köln, eine Geldbusse von 1 Million Ecu.

Artikel 4

Die nach Artikel 3 festgesetzten Geldbussen sind binnen drei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung auf folgendes Bankkonto einzuzahlen:

Nr. 310-0933000-43,

Banque Bruxelles Lambert,

Agence européenne,

Rond-point Schuman 5,

B-1040 Bruxelles.

Nach Ablauf der Dreimonatsfrist sind automatisch Zinsen fällig zu dem Satz, der am ersten Arbeitstag des Monats, in dem diese Entscheidung erlassen wurde, vom Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit für seine Ecu-Transaktionen berechnet wird, zuzueglich 3,5 Vomhundertpunkte, d. h. 14 %.

Erfolgt die Zahlung in der Landeswährung des Mitgliedstaats, in dem die für die Zahlung benannte Bank gelegen ist, so ist der geltende Wechselkurs der Kurs vom Vortag der Zahlung.

Artikel 5

Diese Entscheidung ist an - Solvay et Cie S.A., 33 rü du Prince Albert, B-1050 Brüssel,

und - Chemische Fabrik Kalk GmbH, Kalker Hauptstrasse 22, D-5000 Köln 91,

gerichtet.

Gemäß Artikel 192 EWG-Vertrag ist diese Entscheidung ein vollstreckbarer Titel.

Brüssel, den 19. Dezember 1990 Für die Kommission Leon BRITTAN Vizepräsident

(1) ABl. Nr. 13 vom 21. 2. 1962, S. 204/62.

(2) ABl. Nr. 127 vom 20. 8. 1963, S. 2268/63.

(3) Siehe Seite 1 dieses Amtsblatts.

(1) Slg. 1975, S. 1663.

(1) ABl. Nr. L 35 vom 7. 2. 1985, S. 1.

(2) ABl. Nr. L 230 vom 18. 8. 1986, S. 1.

(3) ABl. Nr. L 74 vom 17. 3. 1989, S. 1.