31973D0196

73/196/EWG: Entscheidung der Kommission vom 14. Juni 1973 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG- Vertrags (IV/14.111 - Du Pont de Nemours Deutschland) (Nur der deutsche Text ist verbindlich)

Amtsblatt Nr. L 194 vom 16/07/1973 S. 0027 - 0029


ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION vom 14. Juni 1973 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/14.111 - Du Pont de Nemours Deutschland) (Nur der deutsche Text ist verbindlich.) (73/194/EWG)

DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN -

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 85,

gestützt auf die Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 (1), insbesondere auf Artikel 2,

im Hinblick auf die vorsorgliche Anmeldung, welche die Gesellschaft deutschen Rechts "Adox Fotowerke Dr. C. Schleußner GmbH", Frankfurt am Main (Deutschland) am 31. Januar 1963 gemäß der Verordnung Nr. 17 für die Musterverträge für den Vertrieb ihrer fotografischen Erzeugnisse eingereicht hat, die sie auf dem deutschen Inlandsmarkt anwandte,

im Hinblick auf die Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts der Anmeldung gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 122 vom 24. November 1972,

im Hinblick auf die vom Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen am 27. März 1973 gemäß Artikel 10 der Verordnung Nr. 17 abgegebene Stellungnahme,

in Erwägung nachstehender Gründe:

I

Die 1963 von der Adox Fotowerke Dr. C. Schleußner GmbH eingereichte vorsorgliche Anmeldung betraf die Verträge, die diese Gesellschaft seit 1958 regelmässig in Deutschland mit allen Fachhändlern der Großhandels- und der Einzelhandelsstufe abschloß, welche die verschiedenen Gruppen von Erzeugnissen vertreiben wollten, die sie damals herstellte (Filme, Papiere und fotooptische Produkte ; fotochemische Erzeugnisse ; röntgenstrahlenempfindliches Material ; Zubehör usw.).

In diesen Musterverträgen, die für die Dauer eines Jahres mit der Möglichkeit der stillschweigenden Verlängerung abgeschlossen wurden, verpflichteten sich die deutschen Fachhändler, sich streng an die von Adox für die betreffende Erzeugnisgruppe festgelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen zu halten. Für den Fall von Verstössen gegen diese Verpflichtung waren Einstellung der Lieferungen, Streichung der Jahresumsatzprämie und Zahlung einer Vertragsstrafe vorgesehen. Insbesondere hatten sich die Fachhändler darin ausdrücklich verpflichtet, die vom Hersteller vorgeschriebenen Preise und Vertriebswege zu beachten und ihren Abnehmern die gleiche Verpflichtung aufzuerlegen. Ihrerseits verpflichtete sich Adox zu der nach deutschem Recht vorgesehenen lückenlosen Anwendung ihres Preisbindungssystems.

In ihren verschiedenen 1963 in Kraft befindlichen Fassungen enthielten die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Adox insbesondere folgende Bestimmungen: a) die Verpflichtung für die Großhändler und die Einzelhändler, sich ohne Rücksicht auf die Herkunft der Erzeugnisse genau an die vom Hersteller für jede Abnehmergruppe festgesetzten Wiederverkaufspreise zu halten und weder mittelbar noch unmittelbar irgendwelche Rabatte zu gewähren,

b) die Verpflichtung für die Großhändler, nur in Deutschland ansässige Einzelhändler zu beliefern, die den branchenüblichen Kundendienst leisten konnten und sich ihrerseits verpflichteten, die vom Hersteller vorgeschriebenen Preise und Vertriebswege einzuhalten,

c) die Verpflichtung für die Einzelhändler, unter Ausschluß aller anderen Wiederverkäufer nur an Verbraucher zu liefern und ohne Genehmigung des Herstellers keine Verkäufe ins Ausland zu tätigen.

Im November 1969 hat die Anmelderin, deren Firma inzwischen in "Du Pont Fotowerke Adox GmbH" geändert worden war, von sich aus ihre auf dem deutschen Markt bestehende Preisbindung aufgegeben. Ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden geändert, insbesondere wurde das ihren deutschen Abnehmern auferlegte Exportverbot aufgehoben. Im Februar 1971 hat sie auf Veranlassung der Kommission auch das den Großhändlern auferlegte Verbot, an andere Großhändler zu verkaufen, und das den Einzelhändlern auferlegte Verbot, an andere Einzelhändler zu verkaufen, aufgehoben. (1)ABl. Nr. 13 vom 21.2.1962, S. 204/62.

Die so geänderten allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten derzeit für die Erzeugnisse, welche vom "Geschäftsbereich Fotoprodukte" der Du Pont de Nemours (Deutschland) GmbH geliefert werden, von der die Du Pont Fotowerke Adox GmbH im Juli 1971 übernommen worden ist. Diese Erzeugnisse umfassen keine fotooptischen Produkte mehr ; deren Herstellung war 1965 von der letzteren Gesellschaft eingestellt worden.

Der Kommission sind auf die Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts der Anmeldung keine Bemerkungen Dritter mitgeteilt worden.

II

Nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 kann ein Negativattest erteilt werden, wenn die Kommission feststellt, daß nach den ihr bekannten Tatsachen für sie kein Anlaß besteht, auf Grund von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag gegen die betreffenden Muster-Vertriebsverträge und allgemeinen Geschäftsbedingungen einzuschreiten.

Sowohl diese Muster-Vertriebsverträge als auch diese allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche notwendigerweise jeweils Gegenstand eines Übereinkommens zwischen dem Lieferanten und seinem jeweiligen Abnehmer sind, sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen im Sinne von Artikel 85.

Die von den Fachhändlern mit der Fotowerke Dr. C. Schleußner GmbH, der Du Pont Fotowerke Adox GmbH oder der Du Pont de Nemours (Deutschland) GmbH abgeschlossenen Muster-Vertriebsverträge enthalten keine andere Verpflichtung mehr als die von den Fachhändlern übernommene Pflicht zur Einhaltung der allgemeinen Geschäftsbedingungen des Herstellers.

In ihrer jetzigen Fassung enthalten die "Allgemeinen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für photochemisches Material" und die "Allgemeinen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen für Maschinen und Ersatzteile" des "Geschäftsbereichs Fotoprodukte" der Du Pont de Nemours (Deutschland) GmbH gleichartige Bestimmungen u.a. über Auftragserteilung, Preisstellung, Versand, Eigentumsvorbehalt, Zahlungsbedingungen, Beanstandungen, Gerichtsstand.

Die Geschäftsbedingungen für fotochemisches Material enthalten ausserdem die Verpflichtung für die Abnehmer, den brancheueblichen Kundendienst zu leisten und nur originalverpackte Artikel zu liefern, und in den Geschäftsbedingungen für Maschinen und Ersatzteile wird zusätzlich die Dauer der Gewährleistung in bezug auf Herstellungsmängel in allen Fällen auf 6 Monate festgesetzt.

Keine der vorerwähnten Bestimmungen stellt eine unmittelbare oder mittelbare Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag gegenüber den Wiederverkäufern oder gegenüber den Verbrauchern dar. Insbesondere dürfen die Wiederverkäufer, gleichgültig ob es sich um Groß- oder Einzelhändler handelt, jeden Abnehmer - auch ausserhalb Deutschlands - mit den Erzeugnissen zu Preisen beliefern, die sie frei bestimmen können.

Die der Kommission bekannten Tatsachen erlauben folglich nicht die Feststellung, daß die betreffenden Musterverträge und Geschäftsbedingungen derzeit im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Es fehlt daher an einer der Voraussetzungen für die Anwendung dieses Absatzes, so daß das Negativattest erteilt werden kann.

III

In ihren bis zum Februar 1971 gültigen Fassungen fielen die betreffenden Musterverträge und Geschäftsbedingungen unter Artikel 85 Absatz 1, da sie wettbewerbsbeschränkende Bestimmungen enthielten, die geeignet waren, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, insbesondere: a) das den Groß- und Einzelhändlern auferlegte Verbot, ohne Genehmigung des Herstellers zu exportieren (Exportverbot);

b) in dem Masse, wie Exporte im EWG-Raum davon betroffen wurden, das Verbot des Weiterverkaufs auf der gleichen Verteilungsstufe (Querlieferungsverbot);

c) in dem Masse, wie Wiedereinfuhren aus anderen EWG-Mitgliedstaaten nach Deutschland davon betroffen wurden, die Verpflichtung zur Einhaltung der vom Hersteller eingeführten Preisbindung (Reimportpreisbindung).

Von diesen Klauseln, die als einzige unter das in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochene Verbot fielen und die nicht in den Genuß der Bestimmungen von Artikel 85 Absatz 3 kommen konnten, bestand schließlich im Februar 1971 keine mehr.

Die betreffenden Vereinbarungen erfuellen demnach die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17. Es handelt sich nämlich um Vereinbarungen, die bei Inkrafttreten der Verordnung Nr. 17 (13. März 1962) bestanden und vor dem in Artikel 5 Absatz 1 dieser Verordnung bezeichneten Zeitpunkt angemeldet wurden und bei denen die Voraussetzungen von Artikel 85 Absatz 3 des EWG-Vertrags nicht erfuellt waren, die aber von der Du Pont Fotowerke Adox GmbH derart abgeändert wurden, daß sie nicht mehr unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 fallen. Folglich gilt bezueglich der Fassungen dieser Vereinbarungen, wie sie vor den Änderungen lauteten, das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 nur für den Zeitraum, den die Kommission festsetzt.

In dieser Hinsicht ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß die vorgenannte Gesellschaft von den vorerwähnten drei wettbewerbsbeschränkenden Klauseln zwei von sich aus und die dritte sofort nach der diesbezueglichen Aufforderung der Kommission aufgehoben hat. Diese Umstände reichen aus, um die Nichtanwendung des Verbots des Artikels 85 Absatz 1 für den gesamten Zeitraum vor den Änderungen zu rechtfertigen -

HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Für die Kommission besteht nach den ihr bekannten Tatsachen kein Anlaß, gegen die Musterverträge und die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die derzeit von der Du Pont de Nemours (Deutschland) GmbH für den Vertrieb der Erzeugnisse ihres "Geschäftsbereichs Fotoprodukte" angewendet werden, auf Grund von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einzuschreiten.

Artikel 2

Das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 gilt nicht für die Fassungen der Musterverträge und allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche von der Adox Fotowerke Dr. C. Schleußner GmbH und danach von der Du Pont Fotowerke Adox GmbH während des Zeitraums zwischen dem 13. März 1962 und Februar 1971 angewendet wurden.

Artikel 3

Diese Entscheidung ist an die Du Pont de Nemours (Deutschland) GmbH, Frankfurt am Main (Deutschland), Hochstrasse 43, gerichtet.

Brüssel, den 14. Juni 1973

Für die Kommission

Der Präsident

François-Xavier ORTOLI