16.7.2021 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 286/146 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von Impfungen, Tests und der Genesung mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie (digitales grünes Zertifikat)“
(COM(2021) 130 final — 2021/0068 (COD))
(2021/C 286/25)
Berichterstatter: |
George VERNICOS |
Befassung |
Europäische Kommission, 21.4.2021 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union |
Zuständige Fachgruppe |
Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft |
Verabschiedung im Plenum |
27.4.2021 |
Plenartagung Nr. |
560 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
251/0/4 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Die COVID-19-Pandemie war ein außerordentlicher Schock für unsere Volkswirtschaften, Gesellschaften und unser Leben, und die Tourismusbranche ist in beispiellosem Ausmaß betroffen. Die aktuelle Krise hat gezeigt, wie wichtig der Fremdenverkehr für Europa ist, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch, was das Zusammenleben und die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft angeht. |
1.2. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass das digitale grüne Zertifikat Probleme für Reisende minimieren und das Reisen während der COVID-19-Pandemie erleichtern sollte. |
1.3. |
Nach Auffassung des EWSA ist klarzustellen, dass der Besitz eines digitalen grünen Zertifikats keine Voraussetzung für die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit ist und dass die vorgeschlagene Verordnung keine Impfpflicht und auch kein Recht auf eine Impfung begründet. Er ist jedoch der Ansicht, dass insbesondere sozial marginalisierte und benachteiligte Gruppen Zugang zu relevanten Informationen haben müssen und dass die Auswirkungen des grünen Zertifikats auf diese Gruppen sorgfältig beobachtet und bewertet werden müssen. |
1.4. |
Der EWSA betont, dass der Besitz des grünen Zertifikats nicht bedeuten darf, dass Reisende von anderen Risikominderungsmaßnahmen ausgenommen sind, sondern als vorübergehende Strategie für Länder betrachtet werden sollte, die einen ständigen Mechanismus für eine kontinuierliche Überprüfung nach Einführung des Zertifikats fordern. |
1.5. |
Der EWSA weist darauf hin, dass alle europäischen Länder zusammenarbeiten sollten, um so rasch wie möglich einheitliche Rahmenbedingungen sicherzustellen (wie Inhalt, Format, Grundsätze und technische Standards des Zertifikats), denn wir können es uns nicht leisten, dass auch diese touristische Sommersaison ausfällt. |
1.6. |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Reiseprotokolle klar und auf internationale Reisen auf dem Luft-, Land- und Seeweg anwendbar sein müssen. |
1.7. |
Da die personenbezogenen Daten auch sensible medizinische Daten umfassen, ist es nach Auffassung des EWSA entscheidend, dass alle Mitgliedstaaten über interoperable Systeme mit identisch strengen Datenschutzvorschriften verfügen. Das digitale grüne Zertifikat darf nicht die Einrichtung und Pflege einer zentralen Datenbank auf EU-Ebene erfordern. Der EWSA empfiehlt auch, dass das digitale grüne Zertifikat so gestaltet wird, dass nur der Reisende selbst sieht, welche der Voraussetzungen für eine Reise er erfüllt. |
1.8. |
Der EWSA weist ebenfalls darauf hin, dass das digitale grüne Zertifikat auch Geschäfts- und Dienstreisen erleichtert. Dies darf nicht zu Diskriminierung am Arbeitsplatz führen oder zu Missbrauch, indem Geimpfte aus Drittstaaten auf Arbeitsplätzen mit schlechten Arbeitsbedingungen eingestellt werden. |
1.9. |
Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass das Zertifikat unentgeltlich ausgestellt und aktualisiert wird. |
1.10. |
Der EWSA betont, dass die Impfkampagne beschleunigt werden muss, indem die Impfstoffproduktion gefördert und für mehr Transparenz und Planbarkeit gesorgt wird, damit mittels eines koordinierten und einheitlichen Ansatzes eine angemessene Menge Impfstoff in der gesamten EU zur Verfügung steht. Zugleich sollten die Länder weiter in Aufklärungskampagnen über den Nutzen der Impfung investieren und so Desinformation bekämpfen. |
1.11. |
Nach Auffassung des EWSA sollte das digitale grüne Zertifikat auch auf der Grundlage von Selbsttests und Corona-Antikörper-Bluttests ausgestellt werden. |
1.12. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Regierungen der europäischen Staaten allen Bürgern einen unkomplizierten und kostenlosen Zugang zu Testmöglichkeiten gewähren sollten, um ungerechte Beschränkungen der Freizügigkeit für ungeimpfte Personen zu vermeiden. |
1.13. |
Der EWSA ist der Überzeugung, dass das Zertifikat in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden muss, sodass die Freizügigkeit in der EU noch während der COVID19-Pandemie vollständig wiederhergestellt wird. |
2. Hintergrund
2.1. |
Um eine gut abgestimmte, vorhersehbare und transparente Vorgehensweise bei Beschränkungen der Freizügigkeit als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie zu gewährleisten, hat der Rat am 13. Oktober 2020 die Empfehlung (EU) 2020/1475 (1) angenommen.
Allerdings wurde die Empfehlung praktisch kaum durchgesetzt, wohingegen einzelne Mitgliedstaaten verschiedene Beschränkungen beschlossen haben. |
2.2. |
Vor allem aber forderten die Mitglieder des Europäischen Rates in ihrer Erklärung nach den informellen Videokonferenzen vom 25. und 26. Februar 2021, die Arbeit an einem gemeinsamen Konzept für Impfbescheinigungen fortzusetzen. Die Kommission hat mit den Mitgliedstaaten im Rahmen des freiwilligen Netzes für elektronische Gesundheitsdienste, das die zuständigen nationalen Behörden verbindet, an der Interoperabilität dieser Bescheinigungen gearbeitet. Das Netz hat sich auch auf gemeinsame harmonisierte Datensätze für Impf-, Test- und Genesungszertifikate geeinigt und am 12. März 2021 einen Entwurf für einen Vertrauensrahmen vorgelegt. |
2.3. |
Auf der Grundlage der bislang geleisteten technischen Arbeit hat die Kommission am 17. März 2021 einen Vorschlag für eine Verordnung über ein digitales grünes Zertifikat vorgelegt, die den Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Gesundheitszertifikate bildet, mit denen COVID-19-Impfungen und -Tests sowie die Genesung von einer COVID-19-Infektion bescheinigt werden, um die Freizügigkeit in der EU zu erleichtern, (2021/0068 (COD)) sowie begleitend dazu einen Vorschlag in Bezug auf Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in der EU niederlassen oder aufhalten (2021/0071 (COD)).
Das geplante europäische Zertifikat steht im Einklang mit den Grundrechten, einschließlich der Achtung des Privatlebens und der Nichtdiskriminierung, und umfasst
|
2.4. |
Das Zertifikat kann EU-Bürgern und ihren Familienmitgliedern, Drittstaatsangehörigen, die sich in der EU aufhalten, sowie Besuchern, die das Recht haben, in andere Mitgliedstaaten zu reisen, ausgestellt werden. Es ist in allen EU-Mitgliedstaaten sowie den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen gültig. Die Schweiz kann sich ebenfalls für seine Einführung entscheiden. |
2.5. |
Für die Ausstellung werden die zuständigen nationalen Stellen in den EU-Mitgliedstaaten zuständig sein (Krankenhäuser, Testzentren oder Gesundheitsbehörden). Das Zertifikat enthält den Namen der Person, auf die es ausgestellt wird, deren Geburtsdatum, das Ausstellungsdatum, Informationen über den Impfstoff, den Test oder den Stand der Genesung sowie einen eindeutigen Identifikator. Zur Bestätigung der Echtheit des Zertifikats wird ein QR-Code erzeugt, der die Datensicherheit gewährleistet und Schutz vor Fälschungen bietet. |
2.6. |
Der Vorschlag verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, Beschränkungen der Freizügigkeit (soweit sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlich sind) für Reisende mit einem grünen Zertifikat aufzuheben, bietet ihnen jedoch zuverlässige, echte und einheitliche Dokumente, wenn sie dies tun. Insofern bleibt ganz eindeutig ein Ermessensspielraum, auch wenn im vorgeschlagenen Rahmen empfohlen wird, die Beschränkungen auf das absolut Notwendige zu reduzieren, und implizit davon ausgegangen wird, dass die Beschränkungen für Inhaber von Zertifikaten aufgehoben werden, insofern als die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission zu informieren, wenn sie an den Beschränkungen festhalten. |
2.7. |
Das vorgeschlagene System bietet Raum für Aktualisierungen auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Impfstoffen in Bezug auf die Verhinderung der Übertragung von SARS-CoV2 sowie die Dauer der Immunität nach einer Infektion. Nach dem gegenwärtigen Rahmen ist ein Zertifikat einer Genesung von einer COVID-19-Infektion höchstens 180 Tage gültig. Dem Vorschlag zufolge soll das digitale grüne Zertifikat ausgesetzt werden, sobald die Weltgesundheitsorganisation das Ende der durch COVID-19 verursachten gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite erklärt, kann jedoch im Falle künftiger Pandemien wieder aufgenommen werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen zur derzeitigen Krise in der Tourismusbranche
3.1. |
Die äußerst dynamische und vernetzte Tourismusbranche ist einer der wirtschaftlichen Motoren Europas, das 50 % des weltweiten Tourismus (2) ausmacht. In Ländern aller Entwicklungsstufen hängen viele Millionen Arbeitsplätze und Unternehmen von einem starken und florierenden Fremdenverkehr ab. Der Tourismus trägt direkt und indirekt fast 10 % zum BIP der EU bei. |
3.2. |
Die COVID-19-Pandemie war ein außerordentlicher Schock für unsere Volkswirtschaften, Gesellschaften und unser Leben. Um die Ausbreitung des Virus über nationale Grenzen hinweg einzudämmen, haben die Länder eine Kombination verschiedener Maßnahmen angewandt, die zum Teil negative Auswirkungen auf Reisen in die und innerhalb der Mitgliedstaaten hatten.
Der Tourismus ist in einem bislang beispiellosen Ausmaß betroffen: 2020 war das schlechteste Jahr in der Geschichte des Fremdenverkehrs. Europa verzeichnete 2020 einen Rückgang der Ankünfte um 69 %, im Januar 2021 lag der Rückgang bei 85 %. (3) |
3.3. |
Besonders schwierig ist die Lage in den EU-Ländern, die Hauptreiseziele sind, also Italien, Griechenland, Portugal, Malta, Zypern, Spanien und Frankreich. Schätzungen zufolge verzeichnet die EU-Tourismusindustrie, in der rund 13 Mio. Menschen (4) beschäftigt sind, infolge der COVID-19-Pandemie Einnahmeverluste in Höhe von rund einer Milliarde Euro monatlich. |
3.4. |
Die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der Wertschöpfung im Tourismus durch Umwegrentabilität generiert wird, zeigt, wie umfassend und eng der Zusammenhang zwischen dem Fremdenverkehr und anderen Branchen ist. (5) Der Rückgang der Touristenströme hat deshalb erhebliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaft generell. (6) |
3.5. |
In Bezug auf die Tourismusbranche sind auch die sozialen Folgen zu berücksichtigen. Der Fremdenverkehr trägt zur Entwicklung des ländlichen Raums bei, bietet eine zusätzliche Einnahmequelle und ermöglicht so eine ausgewogene territoriale Entwicklung unserer Gesellschaften. Er ist seit Langem auch eine Triebkraft für den Schutz des natürlichen und kulturellen Erbes und seine Bewahrung für künftige Generationen. |
3.6. |
In ihrem Ausblick geht die Welttourismusorganisation von einer möglichen Erholung des internationalen Reiseverkehrs in der zweiten Hälfte dieses Jahres aus. Dies beruht auf einer Reihe von Faktoren, insbesondere einer weitgehenden Aufhebung der Reisebeschränkungen, dem Erfolg der Impfprogramme und der Einführung harmonisierter Protokolle wie des von der Europäischen Kommission geplanten digitalen grünen Zertifikats. |
4. Besondere Bemerkungen zum Vorschlag für eine Verordnung über das digitale grüne Zertifikat
4.1. |
Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission zur Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten im Rahmen des Netzes für elektronische Gesundheitsdienste zur Sicherstellung der Interoperabilität der Impfbescheinigungen. Ziel ist eine allseits anwendbare und nicht unnötig komplexe Lösung, die Beschränkung des Datensatzes für das Impfzertifikat auf das absolute Mindestmaß an sensiblen Daten des Zertifikatsinhabers sowie die Entwicklung eines eindeutigen Identifikators. Würde die EU nicht tätig, würden die Mitgliedstaaten wahrscheinlich unterschiedliche, nicht koordinierte und komplizierte Systeme einführen. |
4.2. |
Der EWSA weist darauf hin, dass ein grünes Zertifikat ein ausgezeichneter gemeinsamer Standard wäre, um die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, dass jedoch nicht davon auszugehen ist, dass es die Wiederherstellung der Freizügigkeit wesentlich beschleunigen würde. Die Freizügigkeit wird auch künftig nationalen Beschränkungen unterliegen, die nur von der Fähigkeit der einzelnen Staaten und der Kapazität des jeweiligen Gesundheitswesens bestimmt werden. Deshalb sind nach dem Ermessen der Mitgliedstaaten weiterhin Maßnahmen für grenzüberschreitend Reisende möglich (etwa Quarantäne oder Selbstisolierung sowie zusätzliche oder mehrfache Tests vor und/oder nach der Ankunft), auch wenn im vorgeschlagenen Rahmen empfohlen wird, dass sich die Staaten mit den absolut notwendigen Beschränkungen begnügen sollen. |
4.3. |
Der EWSA betont, dass der Besitz des grünen Zertifikats nicht bedeuten darf, dass Reisende von anderen Risikominderungsmaßnahmen ausgenommen sind, sondern als vorübergehende Strategie für Länder betrachtet werden sollte, in denen die epidemiologischen Bedingungen eine Lockerung der Reisebeschränkungen erlauben, zugleich jedoch nach wie vor Maßnahmen nötig sind, um das Reisen sicherer zu machen. Noch ist nicht sicher, ob Impfungen die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Krankheit wirksam verringern bzw. vor bestimmten Mutanten schützen, und auch über das Ausmaß und die Dauer der Immunität gegen eine SARS-CoV-2-Infektion durch Antikörper besteht noch keine Klarheit. Zudem stellen sich noch Fragen bezüglich der Zuverlässigkeit der Tests. Der EWSA empfiehlt deshalb nachdrücklich begleitende Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Reisenden und Arbeitnehmer, vor allem in geschlossenen Räumen sowie bei größeren Menschenansammlungen. |
4.4. |
Der EWSA weist darauf hin, dass wirksame und rasche Maßnahmen nötig sind, etwa eine engere Koordinierung der Reiseprotokolle zwischen den Ländern, um einen sicheren Neustart des Tourismus zu ermöglichen, denn wir können es uns nicht leisten, dass auch diese Sommersaison ausfällt. Die Pandemie ist ein globales Problem und kann nur mit einem globalen Konzept und globalem Vertrauen gelöst werden — individuelle Lösungen einzelner Länder werden nicht funktionieren. |
4.5. |
Der EWSA betont, dass das grüne Zertifikat nur dann wirksam ist, wenn seine vollständige Interoperabilität, Sicherheit und Zuverlässigkeit sichergestellt sind. Deshalb sollten alle europäischen Länder zusammenarbeiten, um so rasch wie möglich einheitliche Rahmenbedingungen sicherzustellen (etwa Inhalt, Format, Grundsätze und technische Standards des Zertifikats). Dazu gehören auch gemeinsame Standards dafür, wie lange (und welche) Tests und Impfstoffe gültig sind und wann Menschen als genesen gelten können.
Der EWSA weist darauf hin, dass die Reiseprotokolle klar und auf internationale Reisen auf dem Luft-, Land- und Seeweg anwendbar sein müssen. Es sei darauf verwiesen, dass die Anwendung des grünen Zertifikats in der gemeinsamen Verantwortung der Grenzbehörden und der Verkehrsunternehmen liegt. |
4.6. |
Nach Auffassung des EWSA ist das grüne Zertifikat so einfach wie möglich gestaltet und wird als Paket umgesetzt. Es beruht auf dem Vertrauen zwischen den beteiligten Ländern und erfordert zudem ein kontinuierliches Verfahren für eine ständige Evaluierung nach seiner Einführung. |
4.7. |
Der EWSA betont, dass dem System folgende Prinzipien zugrunde liegen müssen: a) Das grüne Zertifikat sollte so ausgelegt sein, dass nur noch ein von den nationalen Behörden und der WHO als hinnehmbar bewertetes Restrisiko besteht. b) Die Einschränkungen des internationalen Reiseverkehrs sollten der epidemiologischen Situation im Herkunfts- sowie im Zielland entsprechen. c) Gegebenenfalls steht den zuständigen Stellen nach wie vor das Instrument der Quarantäne zur Verfügung. d) Die am System beteiligten Länder erkennen Tests an, die von den zuständigen Stellen anderer beteiligter Länder zugelassen wurden. e) Die Verfahren sollten möglichst unkompliziert sein, und der Umfang der Informationen, die erfasst und grenzüberschreitend übermittelt werden, sollte auf ein Minimum beschränkt sein. f) Das System sollte interoperabel sein und auf einer gemeinsamen Nomenklatur beruhen sowie ein gemeinsames Format für die Informationsübermittlung verwenden. g) Das System sollte nach dem Grundsatz des „eingebauten Datenschutzes“ funktionieren, bei dem die Betroffenen von Anfang an über Inhalte, Art und Weise der Erfassung, Zweck der Erfassung und Dauer der Speicherung eines Teils oder aller Daten unterrichtet sind. |
4.8. |
Die Impfkampagne und die Regeln für Impfstoffe und Bescheinigungen liegen nach wie vor in der ausschließlichen Zuständigkeit und Verantwortung der nationalen Regierungen. In keinem Mitgliedstaat besteht eine Impfpflicht (außer in besonderen Fällen wie in Italien beim Pflegepersonal), und es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass eine solche in den kommenden Monaten eingeführt wird.
Allerdings ist ein universeller und gerechter Zugang zu sicheren und wirksamen COVID-19-Impfstoffen von grundlegender Bedeutung, um Leben zu retten, das öffentliche Gesundheitswesen zu schützen und den Wiederaufbau der Wirtschaft zu ermöglichen. Der EWSA betont, dass die Impfkampagne beschleunigt werden muss, indem die Impfstoffproduktion gefördert und für mehr Transparenz und Planbarkeit gesorgt wird, damit mittels eines koordinierten und einheitlichen Ansatzes eine angemessene Menge Impfstoff in der gesamten EU zur Verfügung steht. Dies ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das digitale grüne Zertifikat funktioniert und die Gleichbehandlung der Bürger gesichert ist. |
4.9. |
Die europäischen Regierungen sollten die Mittel für den Wiederaufbau nach der Pandemie für Impfprogramme nutzen, die sich an jene Teile der Bevölkerung richten, die sonst schwer zu erreichen sind, etwa Menschen im ländlichen Raum oder in weniger wohlhabenden Gebieten, die weit entfernt von Krankenhäusern oder Kliniken liegen. Darüber hinaus sollte jede Diskriminierung ethnischer Minderheiten vermieden werden.
Die EU sollte weiter in Aufklärungskampagnen über den Nutzen der Impfung investieren. Dies würde zur Bekämpfung von Desinformation beitragen, die die Menschen von der Impfung abhält. |
4.10. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Regierungen der europäischen Staaten allen Bürgern, insbesondere unter Berücksichtigung einer möglichen Stadt-Land-Kluft, einen unkomplizierten und kostenlosen Zugang zu Testmöglichkeiten (und die rasche Mitteilung der Testergebnisse) gewähren sollten, um ungerechte Beschränkungen der Freizügigkeit für ungeimpfte Personen zu vermeiden. |
4.11. |
Nach Auffassung des EWSA ist klarzustellen, dass der Besitz eines digitalen grünen Zertifikats keine Voraussetzung für die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit ist und dass die vorgeschlagene Verordnung keine Impfpflicht und auch kein Recht auf eine Impfung begründet. Der EWSA weist darauf hin, dass jede Art von Immunitätszertifikat ethische Fragen im Hinblick auf Respekt, individuelle Rechte und Interessen, Verantwortung für die öffentliche Gesundheit und soziale Gerechtigkeit aufwirft. Diese Auswirkungen, insbesondere auf sozial marginalisierte und benachteiligte Gruppen, müssen sorgfältig beobachtet und bewertet werden. |
4.12. |
Der EWSA weist darauf hin, dass das digitale grüne Zertifikat der so dringend nötigen Erholung der Reise- und Tourismusbranche dient. Es ist zudem sehr wichtig für Geschäfts- und Dienstreisen sowie jede andere Form sozialer Zusammenkünfte, was die Wirtschaft und kulturelle und soziale Veranstaltungen ankurbeln und positive Auswirkungen auf die (mentale und körperliche) Gesundheit der Menschen allgemein haben wird. Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass das Zertifikat unentgeltlich ausgestellt und aktualisiert wird, wie in Artikel 3 Absatz 3 vorgesehen. Das Zertifikat sollte mit einem QR-Code versehen sein, der die Sicherheit und Echtheit gewährleistet, und in der Amtssprache bzw. den Amtssprachen des ausstellenden Mitgliedstaats sowie in Englisch abgefasst sein. Das Zertifikat muss in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden, damit die Freizügigkeit in der EU noch während der COVID-19-Pandemie vollständig wiederhergestellt werden kann. |
4.13. |
Der EWSA weist darauf hin, dass das digitale grüne Zertifikat nicht nur für touristische Zwecke verwendet werden soll. Es soll auch Geschäfts- und Dienstreisen in Europa ermöglichen, kann jedoch einzelne Arbeitnehmer benachteiligen. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, Vorkehrungen zu treffen, damit dies nicht zu Diskriminierung am Arbeitsplatz führt und die Beschäftigungsfähigkeit beeinträchtigt. Darüber hinaus warnt der EWSA davor, dass die Verordnung missbraucht werden könnte, indem Geimpfte aus Drittstaaten auf Arbeitsplätzen mit schlechten Arbeitsbedingungen eingestellt werden. |
4.14. |
Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten ferner auf, die digitale Infrastruktur für einen Vertrauensrahmen zu schaffen, der die sichere Ausstellung und Überprüfung der Zertifikate ermöglicht, und die Mitgliedstaaten bei der technischen Umsetzung zu unterstützen, wobei weitestgehende Interoperabilität mit den international etablierten technischen Systemen gewährleisten werden muss. |
4.15. |
Der EWSA betont, dass ein sehr hohes Datenschutzniveau sichergestellt und die Grundsätze der Datenminimierung gewahrt werden sollten, da die personenbezogenen Daten sensible medizinische Daten enthalten.
Insbesondere darf der Rahmen für das digitale grüne Zertifikat nicht die Einrichtung und Pflege einer Datenbank auf EU-Ebene vorschreiben, sondern muss die dezentrale Überprüfung interoperabler Zertifikate mit Digitalsignatur ermöglichen. Die Regierungen müssen auch sicherstellen, dass die personenbezogenen Daten sicher aufbewahrt und nicht weitergegeben oder für andere Zwecke missbraucht werden. Darüber hinaus dürfen die betreffenden Daten nur für die Zwecke des digitalen grünen Zertifikats verarbeitet werden, und die zuständigen Stellen müssen dafür sorgen, dass die Daten danach gelöscht werden. Sollte das grüne Zertifikat für Reisen zwischen Ländern genutzt werden, müssen alle Mitgliedstaaten über interoperable Systeme mit identisch strengen Datenschutzvorschriften verfügen und die für die Verarbeitung der Daten Verantwortlichen verpflichten, die nationalen Datenschutzbehörden vor jeglicher Verarbeitung von Daten zu konsultieren. Der EWSA empfiehlt, Datenschutzexperten auf europäischer und nationaler Ebene einzubeziehen, um eine angemessene Umsetzung sicherzustellen. |
4.16. |
Der EWSA warnt auch davor, dass das digitale grüne Zertifikat sensible medizinische Daten über den Status eines Reisenden im Hinblick auf Impfung, Antikörper oder Tests offenlegen könnte. Der EWSA empfiehlt deshalb, dass das digitale grüne Zertifikat so gestaltet wird, dass die Informationen nur für den Reisenden selbst sichtbar sind, für jeden Dritten hingegen nur ersichtlich ist, dass der Reisende die Voraussetzungen erfüllt. |
4.17. |
Nach Auffassung des EWSA sollte das digitale grüne Zertifikat auch auf der Grundlage von Selbsttests und Corona-Antikörper-Bluttests ausgestellt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass der Corona-Antikörper-Bluttest genauso zuverlässig ist wie das Genesungszertifikat. |
4.18. |
Nach Auffassung des EWSA bedarf es einer Klärung in Bezug auf die Impfstoffe, die zurzeit Gegenstand einer fortlaufenden Überprüfung durch die EMA sind. Diese Frage ist besonders wichtig für die EU-Länder, die diese Impfstoffe bereits einsetzen. |
Brüssel, den 27. April 2021
Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Christa SCHWENG
(1) ABl. L 337 vom 14.10.2020, S. 3.
(2) Die größte Zahl der Ankünfte wurde im Zeitraum 2014–2018 in Europa verzeichnet, auf das über alle Jahre gerechnet mehr als 50 % der Auslandsreisen weltweit entfielen. Bei Reisen nach Europa wurde im Zeitraum 2014–2018 ein Zuwachs um 24,3 % verzeichnet.
(3) UNWT März 2021.
(4) Eurostat.
(5) Die Bedeutung der indirekten Verluste aufgrund der branchenübergreifenden Verflechtung der Tourismusindustrie wird auch von der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (Unctad) herausgestellt. Die BIP-Verluste sind demnach etwa zwei- bis dreimal höher als die unmittelbaren Einbußen bei den Einnahmen aus dem Tourismus. Dem Unctad-Bericht zufolge könnten sich die direkten und indirekten Verluste im internationalen Tourismus aufgrund der COVID-19-Pandemie auf 4 % des weltweiten BIP belaufen, wobei die Folgen von Land zu Land je nach Abhängigkeit vom Reiseverkehr und Tourismus verschieden sind.
(6) Daten des OECD-Wirtschaftsausblicks vom Dezember 2020 und des World Travel & Tourism Council.