ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 099I

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

63. Jahrgang
26. März 2020


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II   Mitteilungen

 

MITTEILUNGEN DER ORGANE, EINRICHTUNGEN UND SONSTIGEN STELLEN DER EUROPÄISCHEN UNION

 

Europäische Kommission

2020/C 99 I/01

Mitteilung der Kommission—Leitlinien für die Mitgliedstaaten betreffend ausländische Direktinvestitionen, freien Kapitalverkehr aus Drittländern und Schutz der strategischen Vermögenswerte Europas im Vorfeld der Anwendung der Verordnung (EU) 2019/452 über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen

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DE

 


II Mitteilungen

MITTEILUNGEN DER ORGANE, EINRICHTUNGEN UND SONSTIGEN STELLEN DER EUROPÄISCHEN UNION

Europäische Kommission

26.3.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CI 99/1


MITTEILUNG DER KOMMISSION

Leitlinien für die Mitgliedstaaten betreffend ausländische Direktinvestitionen, freien Kapitalverkehr aus Drittländern und Schutz der strategischen Vermögenswerte Europas im Vorfeld der Anwendung der Verordnung (EU) 2019/452 über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen

(2020/C 99 I/01)

Die Europäische Union ist für ausländische Investitionen offen, was für Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und Innovation von entscheidender Bedeutung ist. Viele europäische Unternehmen sind vollständig in globale Lieferketten integriert, die weiterhin funktionsfähig sein müssen. Die EU möchte ein attraktives Ziel für ausländische Direktinvestitionen sein und wird dies bleiben.

Die durch die COVID-19-Krise herbeigeführte Notlage hat weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft der Europäischen Union. Im Rahmen der allgemeinen Antwort hat die Kommission auch die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen hervorgehoben.

Zu den möglichen Folgen des aktuellen wirtschaftlichen Schocks zählt ein erhöhtes potenzielles Risiko für strategisch wichtige Industriezweige, insbesondere für die Gesundheitsindustrie, aber keineswegs nur für sie. Die Widerstandsfähigkeit dieser Industriezweige und ihre Fähigkeit, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger der EU weiterhin zu erfüllen, sollten vordringliches Ziel der gemeinsamen Bemühungen sowohl auf Ebene der Europäischen Union als auch der Mitgliedstaaten sein.

Heute muss die Offenheit der EU für ausländische Investitionen jedoch mehr denn je durch geeignete Überprüfungsinstrumente ausgeglichen werden. Im Kontext der COVID-19-Krise könnte das Risiko steigen, dass Versuche unternommen werden, über ausländische Direktinvestitionen Kapazitäten im Gesundheitswesen (z. B. für die Herstellung von medizinischer Ausrüstung oder Schutzausrüstung) oder in verwandten Wirtschaftszweigen wie Forschungseinrichtungen (z. B. die Entwicklung von Impfstoffen) zu erwerben. Wachsamkeit ist geboten, um sicherzustellen, dass sich solche ausländischen Direktinvestitionen nicht nachteilig auf die Fähigkeit der EU auswirken, die Gesundheitsbedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu decken.

Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass die gemeinsame Nutzung solcher wertvollen Kapazitäten sowohl mit den Partnern innerhalb des Binnenmarkts als auch mit denjenigen, die sie in anderen Teilen der Welt benötigen, weitergeführt und ausgebaut werden muss. In diesem Zusammenhang hätte der Erwerb von Vermögenswerten im Bereich Gesundheit Auswirkungen auf die gesamte Europäische Union.

In ihrer Mitteilung vom 13. März 2020 (1) wies die Kommission darauf hin, dass die Mitgliedstaaten wachsam sein und alle auf Unionsebene und auf nationaler Ebene zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen müssen, um zu verhindern, dass die derzeitige Krise zu einem Verlust kritischer Anlagen und Technologien führt.

Der durch EU-Rechtsvorschriften vorgegebene Rahmen gewährleistet, dass berechtigte Ziele der öffentlichen Ordnung geschützt bleiben, wenn diese durch ausländische Investitionen gefährdet werden. Diese Regeln werden im Anhang dargelegt.

Derzeit liegt die Zuständigkeit für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen bei den Mitgliedstaaten. Bei der Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen sollten die Auswirkungen auf die gesamte Europäische Union berücksichtigt werden, insbesondere um sicherzustellen, dass die EU-Industrie weiterhin über kritische Kapazitäten verfügt – und zwar weit über den Gesundheitssektor hinaus. Die Risiken für die strategischen Kapazitäten der EU im weiteren Sinne können durch Volatilität oder Unterbewertung der europäischen Aktienmärkte noch verschärft werden. Strategische Vermögenswerte sind von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit Europas und Teil des Rückgrats der EU-Wirtschaft und damit auch eine Voraussetzung dafür, dass sich diese rasch erholen kann.

Daher fordert die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten auf,

ihre Überprüfungsmechanismen für ausländische Direktinvestitionen bereits jetzt in vollem Umfang zu nutzen, um die Risiken für kritische Gesundheitsinfrastrukturen, die Versorgung mit kritischen Ressourcen und andere kritische Sektoren wie im EU-Rechtsrahmen vorgesehen vollständig zu berücksichtigen;

falls sie derzeit nicht über Überprüfungsmechanismen verfügen oder ihre Überprüfungsmechanismen nicht alle einschlägigen Transaktionen abdecken, einen umfassenden Überprüfungsmechanismus einzurichten und in der Zwischenzeit alle anderen verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen, um in Fällen aktiv zu werden, in denen der Erwerb oder die Kontrolle eines bestimmten Unternehmens bzw. einer bestimmten Infrastruktur oder Technologie ein Risiko für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in der EU mit sich bringen könnte.

In den Leitlinien werden auch die Arten von Maßnahmen angesprochen, mit denen der Kapitalverkehr beschränkt werden kann, sofern dies gerechtfertigt ist.


(1)  Die koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, COM(2020) 112 final.


ANHANG

1.   Anwendungsbereich der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen

Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen deckt ausländische Direktinvestitionen aus Drittstaaten ab, also Investitionen, „durch die dauerhafte und direkte Verbindungen zwischen Investoren aus Drittstaaten – einschließlich staatlicher Stellen – und Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausüben, geschaffen oder aufrechterhalten werden“. (1) Die Verordnung gilt für alle Wirtschaftszweige und es gibt keine Schwellenwerte. Ob die Überprüfung einer Transaktion notwendig ist, kann in der Tat vom Wert dieser Transaktion unabhängig sein. So können beispielsweise kleine Start-up-Unternehmen zwar einen relativ geringen Wert haben, aber etwa in Bezug auf Forschung oder Technologie von strategischer Bedeutung sein.

Nach der Verordnung sind die Mitgliedstaaten befugt, im Rahmen des Anwendungsbereichs Investitionen aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung zu überprüfen und Maßnahmen zur Bekämpfung spezifischer Risiken zu ergreifen.

Die Verantwortung für die Überprüfung und erforderlichenfalls den Erlass von Maßnahmen, mit denen eine Investition im Anwendungsbereich der Verordnung aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung verhindert oder an Bedingungen geknüpft wird, liegt letztendlich bei den Mitgliedstaaten. Die Kommission kann Stellungnahmen mit Empfehlungen für spezifische Maßnahmen an den Mitgliedstaat richten, in dem die Investition getätigt wird, insbesondere wenn das Risiko besteht, dass die Investition Projekte und Programme von Unionsinteresse beeinträchtigt.

Die Kommission appelliert nachdrücklich an die Mitgliedstaaten, besonders darauf zu achten, dass die derzeitige Gesundheitskrise nicht zu einem Ausverkauf der europäischen Akteure in Industrie und Gewerbe, einschließlich der KMU, führt. Die Kommission wird die Entwicklungen vor Ort, wenn dies angebracht ist, auch im Austausch mit den Mitgliedstaaten, aufmerksam verfolgen.

Die Kommission erinnert die Mitgliedstaaten auch an die gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb eines integrierten Markts wie dem europäischen und ruft sie dazu auf, sich um Beratung und Koordinierung zu bemühen, wenn ausländische Direktinvestitionen jetzt oder in der Zukunft – tatsächlich oder potenziell – Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben könnten.

2.   Welche Rolle spielt die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen im Fall einer gesundheitlichen Notlage?

Nach der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen können die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass ein ausländischer Investor ein Unternehmen erwirbt oder unter seine Kontrolle bringt, wenn der Erwerb des Unternehmens oder die Kontrolle darüber eine Bedrohung der Sicherheit der Mitgliedstaaten oder der öffentlichen Ordnung zur Folge hätte. Das gilt auch für eine Situation, in der solche Bedrohungen mit einer gesundheitlichen Notlage zusammenhängen.

Bei der Ermittlung, ob eine ausländische Direktinvestition möglicherweise die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung beeinträchtigt, können die Mitgliedstaaten und die Kommission „alle einschlägigen Faktoren berücksichtigen, einschließlich der Auswirkungen auf kritische Infrastrukturen, Technologien, insbesondere Schlüsseltechnologien, und für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung grundlegende Ressourcen, deren Störung, Ausfall, Verlust oder Vernichtung beträchtliche Folgen in einem Mitgliedstaat oder der Union hätte“. (2)

In der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen werden kritische Gesundheitsinfrastrukturen und die Versorgung mit kritischen Ressourcen ausdrücklich als Faktoren genannt, die bei der Überprüfung einer ausländischen Investition zu berücksichtigen sind.

Im europäischen Binnenmarkt machen die Risiken, die eine Investition mit sich bringt, nicht notwendigerweise an den Grenzen des Mitgliedstaates Halt, in dem die Investition getätigt wird. Aus diesem Grund sieht die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen nicht nur für die Kommission die Möglichkeit vor, zu einer bestimmten Investition Stellung zu nehmen; Mitgliedstaaten, in denen die Investition nicht getätigt wird, können ebenfalls Informationen anfordern und Kommentare übermitteln.

Die Überprüfung einer ausländischen Direktinvestition führt nicht notwendigerweise dazu, dass die geplante Durchführung der Investition untersagt wird. Es gibt Umstände, in denen Maßnahmen zur Risikominderung ausreichend sein können (beispielsweise die Einführung von Voraussetzungen zur Gewährleistung der Versorgung mit Arzneimitteln bzw. Medizinprodukten). Aufgrund des Unionsinteresse kann es zwingend geboten sein, dass solche Lieferverpflichtungen über den voraussichtlichen Bedarf des Aufnahmemitgliedstaats hinausgehen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen außerhalb von Überprüfungsmechanismen eingreifen können, indem sie zum Beispiel bei einem nationalen Notstand, etwa einer Pandemie, die Verpflichtung zur Vergabe von Lizenzen für patentierte Arzneimittel einführen.

Schließlich unterliegt ein Erwerb durch ausländische Akteure, der wahrscheinlich Auswirkungen auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse hat, einer verschärften Kontrolle durch die Kommission, deren Stellungnahmen von den Mitgliedstaaten umfassend zu berücksichtigen sind. Dies wäre beispielsweise bei ausländischen Investitionen in EU-Unternehmen der Fall, die Fördermittel im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizont 2020“ erhalten haben. Besonderes Augenmerk gilt daher allen Projekten im Rahmen von Horizont 2020, die den Gesundheitssektor betreffen, einschließlich künftiger Projekte zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. (3)

3.   Worauf sollten sich Investoren im Hinblick auf die Überprüfung von Investitionen bereits jetzt einstellen?

Nationale Überprüfungsmechanismen gelten bereits in 14 Mitgliedstaaten. (4) Die Kommission appelliert an diese Mitgliedstaaten, ihre bisherigen Überprüfungsmechanismen im Einklang mit der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen und anderen im EU-Recht festgelegten Vorschriften in vollem Umfang zu nutzen. Die Kommission appelliert außerdem an die Mitgliedstaaten, die derzeit über keine Überprüfungsmechanismen verfügen oder deren Überprüfungsmechanismen nicht alle einschlägigen Transaktionen abdecken, einen vollwertigen Überprüfungsmechanismus einzurichten und in der Zwischenzeit zu überdenken, welche Möglichkeiten ihnen bei vollständiger Einhaltung des Unionsrechts und internationaler Verpflichtungen offenstehen, um in Fällen aktiv zu werden, in denen der Erwerb oder die Kontrolle eines bestimmten Unternehmens bzw. einer bestimmten Infrastruktur oder Technologie ein Risiko für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in der EU mit sich bringen könnte.

Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Verordnung in einem Fall, in dem eine ausländische Investition keiner nationalen Überprüfung unterzogen wird, vorsieht, dass die Mitgliedstaaten und die Kommission innerhalb von 15 Monaten nach Abschluss der ausländischen Investition Kommentare und Stellungnahmen abgeben können. Dies kann dazu führen, dass von dem Mitgliedstaat, in dem die Investition getätigt wurde, Maßnahmen, unter anderem Maßnahmen zur Risikominderung, ergriffen werden. In der Praxis könnte eine gegenwärtig (also im März 2020) abgeschlossene ausländische Investition ab dem 11. Oktober 2020 (Zeitpunkt der vollständigen Anwendung der Verordnung) bis Juni 2021 (15 Monate nach Abschluss der Investition) Gegenstand nachträglicher Kommentare der Mitgliedstaaten oder Stellungnahmen der Kommission sein.

Investitionen, die keine ausländischen Direktinvestitionen darstellen, d. h. Portfolioinvestitionen, können von den Mitgliedstaaten unter Einhaltung der Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr geprüft werden. Portfolioinvestitionen, die dem Investor keinen wirksamen Einfluss auf die Verwaltung und die Kontrolle eines Unternehmens verleihen, dürften in der Regel in Bezug auf die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung weniger problematisch als ausländische Direktinvestitionen sein. Wenn sie allerdings einen Erwerb zumindest qualifizierter Beteiligungen darstellen, der dem Anteilseigner oder verbundenen Anteilseignern nach dem nationalen Gesellschaftsrecht bestimmte Rechte verleiht (z. B. 5 %), sind sie unter Umständen für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung relevant.

Abgesehen von der Überprüfung von Investitionen können die Mitgliedstaaten Sonderrechte an bestimmten Unternehmen („goldene Aktien“) behalten. In manchen Fällen können solche Rechte es dem Staat ermöglichen, bestimmte Arten von Investitionen in die betreffenden Unternehmen zu blockieren oder zu begrenzen. Solche Maßnahmen sind unternehmensspezifisch, und ihr Umfang hängt von den Befugnissen ab, die dem Staat durch die goldene Aktie übertragen werden. Wie andere Beschränkungen des Kapitalverkehrs müssen sie zur Erreichung eines berechtigten Ziels der öffentlichen Ordnung erforderlich sein und dazu in einem angemessenen Verhältnis stehen (siehe nächster Abschnitt).

4.   Was sind die Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen des Kapitalverkehrs?

Artikel 63 AEUV sieht den freien Kapitalverkehr nicht nur innerhalb der EU, sondern auch mit Drittstaaten vor, und jede Beschränkung muss geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein, um berechtigte Ziele der öffentlichen Ordnung zu erreichen. Diese Ziele werden im Vertrag oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofs als zwingende Gründe des Allgemeininteresses definiert. Solche Ziele sollten nicht rein wirtschaftlicher Natur sein. (5) Die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Gesundheit können als Gründe geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. (6)

Im Falle des versuchten aggressiven Kaufs strategischer Vermögenswerte durch ausländische Investoren (z. B. in der Absicht, die Versorgung des EU-Marktes mit einer bestimmten Ware/Dienstleistung zu beschränken) besteht die wichtigste Ausnahme in der „öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ im Sinne des Artikels 65 AEUV. Dies könnte beispielsweise restriktive Maßnahmen rechtfertigen, die zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit (etwa im Energiebereich) erforderlich sind, oder die Bereitstellung wesentlicher öffentlicher Versorgungsleistungen, wenn weniger restriktive Maßnahmen (z. B. Regulierungsmaßnahmen, mit denen allen in bestimmten Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt werden) nicht ausreichen, um einer tatsächlichen und hinreichend schweren Bedrohung eines Grundinteresses der Gesellschaft zu begegnen. Restriktive Maßnahmen können auch ergriffen werden, um Gefahren für die Finanzstabilität entgegenzuwirken. (7)

Darüber hinaus hat der Gerichtshof der Europäischen Union die öffentliche Gesundheit als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt. (8) Zu den vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Zusammenhang mit anderen im Vertrag verankerten Freiheiten, die in Notsituationen möglicherweise relevant sein könnten, gehören auch der Schutz der Verbraucher, die Aufrechterhaltung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit und die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele.

Darüber hinaus sieht der Vertrag Schutzmaßnahmen für den Fall ernster oder drohender ernster Störungen des Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion (Artikel 66 AEUV) und für Schwierigkeiten oder drohende Schwierigkeiten für die Zahlungsbilanz von Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets (Artikel 143/144 AEUV) vor.

Bei ausländischen Investitionen aus Drittstaaten in Unternehmen, deren Bewertungen auf den Kapitalmärkten weit unter ihrem tatsächlichen oder inneren Wert liegen, könnte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, Beschränkungen einzuführen – unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen dieser Investitionen auf den Schutz der oben genannten öffentlichen Interessen (z. B. der Frage, ob sie zu einer übermäßigen Abhängigkeit von ausländischen Investoren bei der Bereitstellung wesentlicher Versorgungsgüter oder Dienstleistungen führen können). Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen sollten auch ihre potenziell nachteiligen Auswirkungen auf Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt berücksichtigt und möglicherweise abgemildert werden.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass bei der Analyse der Begründung und der Verhältnismäßigkeit für Beschränkungen des Kapitalverkehrs in Drittstaaten und aus diesen ein anderer rechtlicher Kontext gilt als für Beschränkungen des Kapitalverkehrs innerhalb der EU. (9) Folglich können nach dem Vertrag im Falle von Beschränkungen für Transaktionen mit Drittstaatenbeteiligung zusätzliche Rechtfertigungsgründe akzeptabel sein. Die zulässigen Rechtfertigungsgründe können auch weiter ausgelegt werden.


(1)  Siehe Erwägungsgrund 9 der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen.

(2)  Siehe Erwägungsgrund 13 der Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen.

(3)  47,5 Mio. EUR über eine direkte Aufforderung im Rahmen von Horizont 2020 für Forschungsprojekte, mit denen der Wissenstand mit Blick auf eine klinische Reaktion sowie eine Reaktion im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf die COVID-19-Epidemie vorangebracht werden soll, sowie 45 Mio. EUR im Rahmen der öffentlich-privaten Partnerschaft der Initiative „Innovative Arzneimittel“.

(4)  Eine vollständige Liste der nationalen Überprüfungsmechanismen und Links zu den nationalen Rechtsvorschriften finden sich unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/157946.htm.

(5)  Rechtssache C563/17, Associação Peço a Palavra, Rn. 70.

(6)  Siehe Rechtssachen C-54/99, Église de Scientologie, Rn. 17, C-503/99, Kommission gegen Belgien, Rn. 47, C-463/00, Kommission gegen Spanien, Rn. 72.

(7)  Siehe die Erklärung der Kommission vom 29. Juni 2015 zu den Kapitalverkehrskontrollen der griechischen Regierung, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/STATEMENT_15_5271.

(8)  Rechtssache C-531/06, Kommission gegen Italien, Rn. 51.

(9)  Rechtssache C-446/04, Test Claimants in the FII Group Litigation, Rn. 171.