Brüssel, den 20.5.2020

COM(2020) 505 final

Empfehlung für eine

EMPFEHLUNG DES RATES

zum nationalen Reformprogramm Deutschlands 2020 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Deutschlands 2020


Empfehlung für eine

EMPFEHLUNG DES RATES

zum nationalen Reformprogramm Deutschlands 2020 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Deutschlands 2020

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken 1 , insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte 2 , insbesondere auf Artikel 6 Absatz 1,

auf Empfehlung der Europäischen Kommission,

unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments,

unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission die Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum an, mit der das Europäische Semester für die wirtschaftspolitische Koordinierung 2020 eingeleitet wurde. Dabei wurde der am 17. November 2017 vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte gebührend Rechnung getragen. Am 17. Dezember 2019 nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 auch den Warnmechanismus-Bericht an, in dem Deutschland als einer der Mitgliedstaaten genannt wurde, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei. Am selben Tag nahm die Kommission ferner eine Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets an.

(2)Der Länderbericht Deutschland 2020 3 wurde am 26. Februar 2020 veröffentlicht. Darin werden die Fortschritte Deutschlands bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Rates vom 9. Juli 2019 4 , bei der Umsetzung der Empfehlungen der Vorjahre und bei der Verwirklichung seiner nationalen Ziele im Rahmen der Strategie Europa 2020 bewertet. Im Länderbericht wurde außerdem eine eingehende Überprüfung nach Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 vorgenommen, deren Ergebnisse ebenfalls am 26. Februar 2020 veröffentlicht wurden. Die Kommission gelangte in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass in Deutschland makroökonomische Ungleichgewichte bestehen. Der hohe Leistungsbilanzüberschuss ist insbesondere auf die im Vergleich zu den Ersparnissen nach wie vor gedämpften Investitionen zurückzuführen und wirkt sich auch auf andere Länder aus.

(3)Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den COVID-19-Ausbruch offiziell zur weltweiten Pandemie. Diese hat eine öffentliche Gesundheitskrise mit weitreichenden Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Gesellschaften und Volkswirtschaften verursacht. Sie setzt die nationalen Gesundheitssysteme unter erheblichen Druck, unterbricht die globalen Lieferketten, verursacht Volatilität an den Finanzmärkten, führt zu Schocks bei der Verbrauchernachfrage und zieht eine Vielzahl von Branchen in Mitleidenschaft. Sie bedroht Arbeitsplätze und Einkommen der Menschen und die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Die Folgen des durch sie verursachten schweren wirtschaftlichen Schocks sind in der Europäischen Union bereits stark spürbar. Am 13. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung 5 angenommen, in der zu einer koordinierten wirtschaftlichen Reaktion unter Einbeziehung aller Akteure auf nationaler und auf Unionsebene aufgerufen wird.

(4)Mehrere Mitgliedstaaten haben den Notstand ausgerufen oder Notmaßnahmen eingeführt. Alle Notmaßnahmen müssen unbedingt verhältnismäßig, notwendig und zeitlich begrenzt sein und europäischen wie internationalen Standards entsprechen. Sie sollten demokratischer Kontrolle und einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen.

(5)Am 20. März 2020 hat die Kommission eine Mitteilung über die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts 6 angenommen. Die in Artikel 5 Absatz 1, Artikel 6 Absatz 3, Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 sowie in Artikel 3 Absatz 5 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 enthaltene Klausel erleichtert die Koordinierung der Haushaltspolitik in Zeiten eines schweren Konjunkturabschwungs. In ihrer Mitteilung legte die Kommission dem Rat dar, dass die Bedingungen für die Aktivierung der Klausel angesichts des schweren Konjunkturabschwungs, der infolge des Ausbruchs von COVID-19 zu erwarten ist, ihrer Auffassung nach erfüllt seien. Am 23. März 2020 schlossen sich die Finanzminister der Mitgliedstaaten dieser Einschätzung der Kommission an. Die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel ermöglicht eine vorübergehende Abweichung vom Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel, vorausgesetzt, die mittelfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wird dadurch nicht gefährdet. Für Mitgliedstaaten, die der korrektiven Komponente unterliegen, kann der Rat auf Empfehlung der Kommission zudem einen überarbeiteten haushaltspolitischen Kurs festlegen. Die Verfahren des Stabilitäts- und Wachstumspakts werden durch die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel nicht ausgesetzt. Sie ermöglicht den Mitgliedstaaten, von den normalerweise geltenden Haushaltsvorgaben abzuweichen, und versetzt Kommission und Rat in die Lage, im Rahmen des Pakts die nötigen politischen Koordinierungsmaßnahmen zu treffen.

(6)Es sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen und zu kontrollieren, die Resilienz der nationalen Gesundheitssysteme zu stärken, die sozioökonomischen Folgen durch Unterstützung von Unternehmen und Haushalten abzumildern und mit Blick auf die Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit für angemessenen Gesundheitsschutz und angemessene Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen. Die Europäische Union sollte die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente in vollem Umfang nutzen, um die Bemühungen der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen zu unterstützen. Parallel dazu sollten die Mitgliedstaaten und die Europäische Union gemeinsam die Maßnahmen erarbeiten, die für eine Rückkehr zu normal funktionierenden Gesellschaften und Volkswirtschaften und zu nachhaltigem Wachstum nötig sind, wobei insbesondere auch dem ökologischen und dem digitalen Wandel Rechnung getragen und sämtliche Lehren aus der Krise gezogen werden sollten.

(7)Die COVID-19-Krise hat deutlich gemacht, wie flexibel der Binnenmarkt auf Ausnahmesituationen reagieren kann. Damit die wirtschaftliche Erholung rasch und reibungslos eingeleitet und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer wiederhergestellt werden können, müssen außergewöhnliche Maßnahmen, die das normale Funktionieren des Binnenmarkts verhindern, jedoch aufgehoben werden, sobald sie nicht mehr unerlässlich sind. Die aktuelle Krise hat gezeigt, dass im Gesundheitssektor Krisenvorsorgepläne benötigt werden, die insbesondere auch bessere Beschaffungsstrategien, diversifizierte Lieferketten und strategische Reserven an wesentlichen Gütern beinhalten. Für die Erarbeitung umfassenderer Krisenvorsorgepläne stellen diese Punkte zentrale Elemente dar.

(8)Die einschlägigen Rahmenvorschriften 7 wurden vom Unionsgesetzgeber bereits geändert, damit die Mitgliedstaaten alle nicht abgerufenen Mittel aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds dafür einsetzen können, die beispiellosen Folgen der COVID-19-Pandemie einzudämmen. Diese Änderungen werden größere Flexibilität sowie einfachere und straffere Verfahren ermöglichen. Um den Liquiditätsdruck zu verringern, können die Mitgliedstaaten im Rechnungsjahr 2020–2021 bei Mitteln aus dem Unionshaushalt außerdem einen Kofinanzierungssatz von 100 % in Anspruch nehmen. Deutschland wird ermutigt, diese Möglichkeiten auszuschöpfen, um die am stärksten betroffenen Personen und Wirtschaftszweige zu unterstützen.

(9)Einzelne Wirtschaftszweige und Regionen dürften aufgrund unterschiedlicher Spezialisierungsmuster in ungleichem Maße von den sozioökonomischen Folgen der Pandemie betroffen sein. Dies birgt die Gefahr, dass sich die ohnehin bestehenden Unterschiede in Deutschland vergrößern. Da gleichzeitig die Gefahr eines vorübergehenden wirtschaftlichen Auseinanderdriftens der Mitgliedstaaten besteht, sind in der derzeitigen Lage gezielte politische Maßnahmen erforderlich.

(10)Am 20. April 2020 hat Deutschland sein nationales Reformprogramm 2020 und am 30. April 2020 sein Stabilitätsprogramm 2020 vorgelegt. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

(11)Deutschland unterliegt derzeit der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie der Schuldenregel.

(12)In ihrem Stabilitätsprogramm 2020 geht die Bundesregierung für 2020 von einer Verschlechterung des Gesamtsaldos, d. h. einem Defizit von 7¼ % aus, während 2019 noch ein Überschuss von 1,4 % des BIP verzeichnet worden war. Die gesamtstaatliche Schuldenquote, die 2019 auf 59,8 % des BIP zurückgegangen war, dürfte sich dem Stabilitätsprogramm 2020 zufolge 2020 auf 75¼% des BIP erhöhen. Die Aussichten für die Gesamtwirtschaft und den Haushalt sind wegen der COVID-19-Pandemie mit großer Unsicherheit behaftet.

(13)In Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hat Deutschland im Rahmen eines koordinierten Unionsansatzes haushaltspolitische Maßnahmen beschlossen, um die Kapazitäten seines Gesundheitssystems zu erhöhen, die Pandemie einzudämmen und die besonders betroffenen Menschen und Wirtschaftszweige zu unterstützen. Laut Stabilitätsprogramm 2020 belaufen sich diese haushaltspolitischen Maßnahmen 2020 auf 7,2 % des BIP. Sie umfassen Liquiditätshilfen für Unternehmen, gezielte Unterstützung von Kleinunternehmen und Selbstständigen in Form von Darlehen und Krediten sowie eine Erleichterung des Bezugs von Kurzarbeitergeld, um Entlassungen zu vermeiden. Zusätzlich dazu hat Deutschland Maßnahmen angekündigt, die sich zwar nicht unmittelbar auf den Haushalt auswirken, aber zur Verbesserung der Liquidität von Unternehmen beitragen werden und im Stabilitätsprogramm 2020 mit 24,9 % des BIP veranschlagt werden. Hierbei handelt es sich um Darlehensgarantien, die größtenteils von der bundeseigenen Entwicklungsbank KfW sowie von dem in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie geschaffenen neuen Wirtschaftsstabilisierungsfonds bereitgestellt werden. Anders als beim Stabilitätsprogramm 2020 werden Steuerstundungen und die budgetären Ausgleichsmaßnahmen für die durch den Konjunktureinbruch bedingten Steuerausfälle in den Schätzungen der Kommission nicht als diskretionäre haushaltswirksame Maßnahmen betrachtet. Insgesamt stehen die von Deutschland ergriffenen Maßnahmen mit den Leitlinien der Kommissionsmitteilung über eine koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie in Einklang. Werden diese vollständig umgesetzt und die Haushaltspolitik danach, sobald die wirtschaftlichen Bedingungen dies zulassen, erneut auf die mittelfristige Erreichung einer vorsichtigen Haushaltslage ausgerichtet, wird dies mittelfristig zur Erhaltung tragfähiger öffentlicher Finanzen beitragen.

(14)Nach der Frühjahrsprognose 2020 der Kommission dürfte sich der gesamtstaatliche Haushaltssaldo Deutschlands unter der Annahme einer unveränderten Politik 2020 auf -7,0 % des BIP und 2021 auf -1,5 % des BIP belaufen. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird den Projektionen zufolge 2020 bei 75,6 % des BIP und 2021 bei 71,8 % des BIP liegen.

(15)Angesichts der für 2020 geplanten Überschreitung der Defizitobergrenze von 3 % des BIP hat die Kommission am 20. Mai 2020 einen Bericht nach Artikel 126 Absatz 3 des Vertrags veröffentlicht. Die darin enthaltene Analyse legt insgesamt nahe, dass das im Vertrag und in der Verordnung (EG) Nr. 1467/1997 festgelegte Defizitkriterium nicht erfüllt ist.

(16)Die erste Infektion wurde in Deutschland am 27. Januar 2020 festgestellt, im März 2020 stieg die Zahl der COVID-19-Fälle dann exponentiell an. Um die Verbreitung des Virus einzudämmen, verhängten die deutschen Behörden Ausgangsbeschränkungen: Alle nicht wesentlichen Einzelhandelsgeschäfte und sämtliche Restaurants, Vergnügungs- und Kultureinrichtungen, Sportstätten, Schulen und Universitäten wurden geschlossen. Jede öffentliche Zusammenkunft von mehr als zwei Personen wurde untersagt, und die Menschen wurden aufgefordert, ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum zu beschränken. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe wurde keinen grundsätzlichen Beschränkungen unterworfen. Größere Betriebe blieben jedoch wegen der Störungen im Außenhandel und der rückläufigen Nachfrage über mehrere Wochen geschlossen. Die Wirtschaftsaussichten verschlechterten sich deutlich, sodass die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose für 2020 von einem Rückgang des BIP um 6,5 % ausgeht. Selbst wenn die Ausweitung der Kurzarbeit den Unternehmen dabei hilft, ihre Mitarbeiter zu halten, scheint ein Anstieg der Arbeitslosigkeit unvermeidlich. Der Kommissionsprognose zufolge wird die Arbeitslosigkeit 2020 voraussichtlich auf 4 % ansteigen und 2021 dann auf 3,5 % zurückgehen.

(17)Um die Folgen für die Wirtschaft abzudämpfen, hat die Bundesregierung rasch reagiert und weitreichende Maßnahmen beschlossen. So werden bis zu 50 Mrd. EUR als Soforthilfe (direkte Zuschüsse) für Kleinunternehmen, Selbstständige und Freiberufler bereitgestellt. Über den neu geschaffenen Wirtschaftsstabilisierungsfond und die öffentliche Entwicklungsbank KfW hat die Bundesregierung den Gewährleistungsrahmen auf 822 Mrd. EUR (24 % des BIP) angehoben und dadurch das Kreditvolumen und die Kreditmöglichkeiten für Unternehmen unterschiedlicher Größe erhöht, da nunmehr bis zu 80-90 % (in einigen Fällen sogar bis zu 100 %) des Kreditrisikos der ausleihenden Bank abgedeckt sind. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds kann auch Großunternehmen unterstützen und diesen vorübergehend zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung stellen. Um die Liquidität der Unternehmen zu erhöhen, wurden bei Steuerstundungen, Steuervorauszahlungen und Vollstreckungsmaßnahmen Anpassungen beschlossen. Auch die Insolvenzvorschriften wurden geändert, um auf diese Weise technische Insolvenzverfahren zu vermeiden. Die Maßnahmen des Bundes werden durch Förderprogramme der Länder ergänzt. Bei der Gestaltung und Umsetzung dieser Maßnahmen muss der Belastbarkeit des Bankensektors Rechnung getragen werden. Die COVID-19-Krise dürfte den ohnehin schon wenig rentablen deutschen Bankensektor weiter belasten. Um die Rentabilität zu erhöhen und Mittel für Investitionen in Informationstechnologien und organische Kapitalschöpfung freizusetzen, scheint eine weitere Kostensenkung bei den deutschen Banken angezeigt. Auch eine weitere Konsolidierung wäre in dieser Hinsicht hilfreich.

(18)Die noch zu Jahresbeginn robuste Lage am Arbeitsmarkt hat sich infolge der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen verschlechtert. Um sowohl die Auswirkungen auf die Beschäftigung als auch die sozialen Folgen der Krise abzufedern, hat die Bundesregierung über das Instrument der Kurzarbeit erhebliche Unterstützung bereitgestellt. Sie hat die Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld herabgesetzt, die Regelung rückwirkend auf Leiharbeiterinnen und -arbeiter ausgeweitet und den Leistungsumfang erhöht. Dies trägt dazu bei, Arbeitsplätze zu erhalten und die Einkommen der Haushalte zu sichern. Arbeitgeber werden finanziell entlastet, da die Sozialversicherungsabgaben für die entgangene Arbeitszeit erstattet werden. Auch der erleichterte Zugang zur Grundsicherung durch das „Sozialschutzpaket“ (auf der Grundlage des SGB II) dämpft Verdienstausfälle ab. Familien mit geringem Einkommen werden durch erleichterten Zugang zu Kinderzuschlägen und Grundsicherung unterstützt. Zusätzlich dazu sind Mieter mit Verdienstausfällen vorübergehend vor Räumungen geschützt. Auch wenn Deutschland laut sozialpolitischem Scoreboard bei der europäischen Säule sozialer Rechte gut abschneidet, können Lücken in der sozialen Sicherung, wenn sie nicht geschlossen werden, das Einkommen vulnerabler Gruppen in der gegenwärtigen Krise verringern.

(19)Bei der Bewältigung der gesundheitlichen Konsequenzen ist Deutschland sein Gesundheitssystem mit universellem Krankenversicherungsschutz und Zugang zu einer Gesundheitsversorgung hoher Qualität zugutegekommen; auch die Test- und Intensivpflegekapazitäten konnten rasch ausgeweitet werden. Doch verdeutlicht die aktuelle COVID-19-Krise, dass die Resilienz des Gesundheitssystems kontinuierlich gestärkt werden muss. Der Mangel an Pflegepersonal und die geringe Attraktivität des Pflegeberufs stellen nach wie vor ein Problem dar. Obwohl die Zahl der praktizierenden Krankenschwestern und -pfleger pro Kopf vergleichsweise hoch ist, melden Krankenhäuser eine zunehmende Zahl unbesetzter Stellen. Auch die Koordinierung zwischen Gesundheitsdienstleistern in der primären Gesundheitsversorgung und der stationären Pflege und zwischen Gesundheits- und Sozialpflege könnte verbessert und durch digitale Hilfsmittel unterstützt werden. Der Ausbau der Infrastruktur für elektronische Gesundheitsdienste wird beschleunigt, doch liegt die Nutzung von Online-Gesundheits- und -pflegediensten, die Zahl der elektronischen Verschreibungen und der elektronische Austausch medizinischer Daten nach wie vor deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Im März 2020 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 hauptsächlich für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte abmildern helfen soll. Dennoch wird die langfristige Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen sichergestellt werden müssen, damit die Versorgung in allen Bereichen aufrechterhalten werden kann, denn die Verschiebung nicht lebensnotwendiger Operationen und Behandlungen schmälert die Einnahmen von Institutionen im Gesundheitssektor und verfügbare Mittel werden prioritär für den Erwerb von Tests und Schutzausrüstungen eingesetzt. Dank seiner Stärke als Forschungsstandort verfügt Deutschland über das Potenzial, zur Bewältigung der COVID-19-Krise gezielte Forschungsarbeiten durchzuführen und Innovationen hervorzubringen, einschließlich der Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika und der Bildung eines Forschungsnetzes, das die Medizinforschung an deutschen Hochschulen bündelt und stärkt und die CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) unterstützt.

(20)Um die wirtschaftliche Erholung zu begünstigen, wird es wichtig sein, durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzuziehen und private Investitionen zu fördern. Die öffentlichen und privaten Investitionen sind 2019 weiter robust gestiegen, blieben aber nach wie vor hinter dem Investitionsbedarf zurück. Auf kommunaler Ebene, wo der Investitionsrückstand mit 4 % des BIP noch immer hoch ist, liegen die öffentlichen Investitionen unter der Ersatzquote und werden noch immer durch Kapazitäts- und Planungsengpässe gebremst. Bereits geplante Investitionen in grüne Technologien und Energien, wie Projekte für Gebäudesanierungen und erneuerbare Energien, können vorgezogen werden. Trotz jüngster Initiativen stellen die Erreichung der kurz- und mittelfristigen Dekarbonisierungsziele und die für 2050 angestrebte Klimaneutralität nach wie vor eine Herausforderung dar. Gleiches gilt auch für Umwelt- und Energieeffizienzziele, da insbesondere die COVID-19-bedingt niedrigen Ölpreise keinen Anreiz für klima- und umweltfreundliches Verhalten bieten. Der Umbau Deutschlands zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird über einen längeren Zeitraum hinweg erhebliche private und öffentliche Investitionen u. a. in erneuerbare Energien, Elektrizitätsinfrastruktur, Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Verkehr erfordern. Darüber hinaus hat der Bundesrechnungshof kritisiert, die Kosteneffizienz bliebe bei der Energiewende unbeachtet. Um die Vorteile eines voll integrierten, nachhaltigen Energiesystems mit kohärenten Preissignalen voll ausschöpfen zu können, sind größere Anstrengungen und anhaltende Investitionen in Energienetze erforderlich. Saubere Mobilität lässt sich durch angemessene Regulierungsmaßnahmen und kräftigere und schnellere Investitionen in eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur und in saubere Mobilitätslösungen fördern. Damit die Wirtschaft nach Überwindung der Krise nachhaltiger und wettbewerbsfähiger ist, müssen zusätzliche Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) getätigt werden. Die Gesamtausgaben für Bildung und Forschung lagen 2018 nach wie vor bei 9,1 % des BIP und damit unter dem nationalen Zielwert von 10 % des BIP. Private FuE-Investitionen sind zunehmend in Großunternehmen konzentriert. Trotz politischer Maßnahmen ist das Wohnungsangebot deutlich hinter dem für den Zeitraum 2017 bis 2021 gesetzten jährlichen Ziel von 375 000 Wohnungsneubauten zurückgeblieben. Maßnahmen zur Förderung von Investitionen in Wohnungsneubauten würden diesem Missverhältnis entgegenwirken und Wohnraum bezahlbarer machen. Die Programmplanung des Fonds für einen gerechten Übergang für den Zeitraum 2021-2027 könnte Deutschland dabei helfen, insbesondere in den in Anhang D des Länderberichts genannten Regionen einige der mit dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft verbundenen Herausforderungen anzugehen, und so diesen Fonds optimal zu nutzen.

(21)Ist die Mobilität eingeschränkt, sind eine moderne digitale Infrastruktur und digitale Dienstleistungen von zentraler Bedeutung. Investitionen in die digitale Infrastruktur und in digitale öffentliche Dienstleistungen können die wirtschaftliche Erholung fördern und dazu beitragen, dass Deutschland bei der flächendeckenden Versorgung mit Netzen sehr hoher Kapazität seinen nach wie vor großen Abstand zu anderen Ländern verkleinert. Der Prozentsatz dieser Anschlüsse lag in Deutschland 2019 bei 32,7 % gegenüber einem EU-Durchschnitt von 44 %, während der Anteil der Glasfaseranschlüsse bei 10,5 % und damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 33,5 % lag. Die COVID-19-Krise hat die Bedeutung digitaler Dienstleistungen vor Augen geführt. Konnektivitätslücken können ein wesentliches Hindernis für Investitionen in die Digitalisierung darstellen, was insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gilt, die nach wie vor nur langsam auf digitale Technologien umstellen. Bei den digitalen öffentlichen Diensten schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten trotz einer Verbesserung bei den Unternehmensdienstleistungen nach wie vor schlecht ab. Die Zahl der Online-Interaktionen zwischen Behörden und dem breiten Publikum ist äußerst gering. Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes kommt nur langsam voran, und die bis Ende 2022 angestrebte Digitalisierung aller 575 Verwaltungsleistungen wird eine Herausforderung sein. Das Gesetz sollte von allen beteiligten öffentlichen Stellen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene umgesetzt werden, um deutlichere Verbesserungen bei der digitalen öffentlichen Verwaltung herbeizuführen.

(22)Verwaltungs- und Bürokratieaufwand sollten bei der Umsetzung der Fördermaßnahmen und darüber hinaus gering gehalten werden. Würde der Bürokratieaufwand bei der Beantragung von Förderleistungen auf ein Minimum begrenzt, dürfte dies dafür sorgen, dass kleinere Unternehmen in gleichem Maße von den Intermediären unterstützt werden wie größere. Bürokratie über die Fördermaßnahmen hinaus auch in anderen Bereichen auf breiterer Front abzubauen, beispielsweise durch flexiblere Verfahren in nicht wesentlichen Bereichen, könnte KMU zusätzlich entlasten.

(23)Schon vor der COVID-19-Krise hat der technologische Fortschritt den Arbeitsmarkt verändert und eine Aufstockung der Mittel für die allgemeine und die berufliche Bildung, auch für Umschulungen und Weiterqualifizierungen erfordert. Dies ist durch die COVID-19-Krise nun noch dringlicher geworden, was insbesondere für Beschäftige in Branchen gilt, die noch über einen längeren Zeitraum die Abstandsregeln werden einhalten müssen oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Der plötzliche Übergang zu einer stärker digitalisierten Gesellschaft und die „Schule zu Hause“ können insbesondere für vulnerable Schülerinnen und Schüler und Studierende, die zu Hause keinen Zugang zu digitalen Lösungen haben und dort keine Unterstützung erfahren, eine besondere Herausforderung darstellen. Dies betrifft auch Studierende mit Behinderungen. Es muss insbesondere darauf geachtet werden, dass alle Schülerinnen und Schüler sowie alle Studierenden das im Lehrplan festgelegte Grundlagenwissen erwerben, und dass die Monate der Unterbrechung nicht zu einem lebenslangen Nachteil werden. Die ohnehin vorhandenen Unterschiede beim Grundlagenwissen, die mit sozioökonomischer Herkunft und Migrationshintergründen zusammenhängen, drohen sich zu verschärfen. Die Krise hat offenbart, wie wichtig die Weiterentwicklung des Bildungssystems für die Förderung einer intelligenten und inklusiven wirtschaftlichen Erholung und für die planmäßige Fortsetzung des ökologischen und digitalen Wandels ist.

(24)Während die vorliegenden Empfehlungen in erster Linie auf die Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der Pandemie und die Förderung der wirtschaftlichen Erholung abzielen, ging es bei den vom Rat am 9. Juli 2019 angenommenen länderspezifischen Empfehlungen 2019 auch um Reformen, die für die Bewältigung mittel- bis langfristiger struktureller Herausforderungen von wesentlicher Bedeutung sind. Diese sind nach wie vor relevant, weswegen ihre Einhaltung im nächstjährigen Semesterzyklus weiter verfolgt werden wird. Dies gilt auch für Empfehlungen zu investitionsbezogenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Letztere sollten bei der strategischen Planung kohäsionspolitischer Mittel nach 2020 berücksichtigt werden, also auch bei Maßnahmen zur Abfederung der Krise und bei Exit-Strategien.

(25)Das Europäische Semester bildet den Rahmen für eine kontinuierliche wirtschafts- und beschäftigungspolitische Koordinierung innerhalb der Union, die zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen kann. Die Mitgliedstaaten haben in ihren nationalen Reformprogrammen 2020 eine Bilanz der Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gezogen. Indem Deutschland die nachstehenden Empfehlungen vollständig umsetzt, wird es zu Fortschritten bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und zu den gemeinsamen Anstrengungen im Hinblick auf die Sicherstellung wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit in der Europäischen Union beitragen.

(26)Eine enge Koordinierung zwischen den Volkswirtschaften in der Wirtschafts- und Währungsunion ist für eine rasche Erholung von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie von entscheidender Bedeutung. Als Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, sollte Deutschland auch unter Berücksichtigung der politischen Leitlinien der Euro-Gruppe sicherstellen, dass seine Politik weiterhin mit den Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet in Einklang steht und mit der Politik der anderen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets abgestimmt wird.

(27)Im Rahmen des Europäischen Semesters 2020 hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Deutschlands umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2020 veröffentlicht. Sie hat auch das Stabilitätsprogramm 2020 und das Nationale Reformprogramm 2020 sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der in den Vorjahren an Deutschland gerichteten Empfehlungen bewertet. Dabei hat sie nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Deutschland berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt durch auf Unionsebene entwickelte Vorgaben für künftige nationale Entscheidungen zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit Unionsvorschriften und -leitlinien bewertet.

(28)Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Stabilitätsprogramm 2020 geprüft; seine Stellungnahme hierzu 8 spiegelt sich insbesondere in der nachstehenden Empfehlung 1 wider.

(29)Vor dem Hintergrund der eingehenden Überprüfung durch die Kommission und dieser Bewertung hat der Rat das nationale Reformprogramm 2020 und das Stabilitätsprogramm 2020 geprüft. In den vorliegenden Empfehlungen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Bekämpfung der Pandemie und die Förderung der wirtschaftlichen Erholung den ersten notwendigen Schritt für die Korrektur von Ungleichgewichten darstellen. Die Empfehlungen, die sich direkt auf die von der Kommission nach Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 festgestellten makroökonomischen Ungleichgewichte beziehen, spiegeln sich in Empfehlung 2 wider —

EMPFIEHLT, dass Deutschland 2020 und 2021

1.im Einklang mit der allgemeinen Ausweichklausel alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen, die Wirtschaft zu stützen und ihre Erholung zu fördern; sobald die wirtschaftlichen Bedingungen dies zulassen, seine Haushaltspolitik darauf abstellt, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Investitionen erhöht; ausreichende Mittel mobilisiert und die Resilienz des Gesundheitssystems u. a. durch den Einsatz elektronischer Gesundheitsdienste stärkt.

2.durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzieht und private Investitionen unterstützt, um die wirtschaftliche Erholung zu fördern; schwerpunktmäßig in den ökologischen und digitalen Wandel investiert, insbesondere in nachhaltigen Verkehr, saubere, effiziente und integrierte Energiesysteme, digitale Infrastruktur und Kompetenzen, Wohnbau, Bildung sowie Forschung und Innovation; die digitalen Verwaltungsleistungen auf allen Ebenen verbessert und die Digitalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen fördert; den Verwaltungs- und Bürokratieaufwand für Unternehmen verringert. 

Geschehen zu Brüssel am

   Im Namen des Rates

   Der Präsident

(1)    ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.
(2)    ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25.
(3)    SWD(2020) 504 final.
(4)    ABl. C 301 vom 5.9.2019, S. 117.
(5)    COM(2020) 112 final.
(6)    COM(2020) 123 final.
(7)    Verordnung (EU) 2020/460 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. März 2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 508/2014 im Hinblick auf besondere Maßnahmen zur Mobilisierung von Investitionen in die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten und in andere Sektoren von deren Volkswirtschaften zur Bewältigung des COVID-19-Ausbruchs (Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise) (ABl. L 99 vom 31.3.2020, S. 5) und Verordnung (EU) 2020/558 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1301/2013 und (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Einführung einer außerordentlichen Flexibilität beim Einsatz der europäischen Struktur- und Investitionsfonds als Reaktion auf den COVID-19-Ausbruch (ABl. L 130 vom 24.4.2020, S. 1).
(8)    Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates.