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Document 52002IE0361

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Die Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten: Konvergenzen und Divergenzen, Ergebnisse und Lehren"

OJ C 125, 27.5.2002, p. 79–86 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52002IE0361

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Die Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten: Konvergenzen und Divergenzen, Ergebnisse und Lehren"

Amtsblatt Nr. C 125 vom 27/05/2002 S. 0079 - 0086


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Die Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten: Konvergenzen und Divergenzen, Ergebnisse und Lehren"

(2002/C 125/17)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 30. und 31. Mai 2001 gemäß Artikel 23 Absatz 3 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 25. Februar 2002 an. Berichterstatter war Herr Nyberg.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 389. Plenartagung am 20. und 21. März 2002 (Sitzung vom 21. März) mit 90 gegen eine Stimme bei drei Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. In seiner Stellungnahme zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik(1) im Zuge der WWU(2) betonte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Notwendigkeit einer Koordinierung und empfahl dazu folgende Leitlinien:

- Wichtig ist erstens die Wahl der richtigen Grundrichtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen: expansiv oder restriktiv.

- Zweitens ist zu bedenken, wie sich die Maßnahmen auf die anderen Staaten des Euro-Währungsgebietes auswirken. Wenn sich die Volkswirtschaften in der gleichen Konjunkturlage befinden, muss die Koordinierung auf Maßnahmen zielen, die sich möglichst stark auf andere Länder auswirken. Ein Land aber, das gegenüber den anderen "aus dem Tritt" ist, sollte Maßnahmen wählen, die sich nur wenig auf andere Länder auswirken.

- Nach gemeinsamen Beratungen über den für jedes Land günstigsten Policy-Mix muss die konkrete Wahl von Maßnahmen jedem Mitgliedstaat selbst überlassen bleiben.

- Andere Wirkungen der Maßnahmen, z. B. auf das Steuerniveau, dürfen nur eine sekundäre Rolle spielen - primär muss es um die Wirkungen auf die aktuelle Konjunktur gehen.

- Wenn neben der gewünschten Wirkung auf die Konjunktur positive Effekte für andere Ziele erreicht werden können, sind solche Maßnahmen natürlich erstrebenswert.

1.2. Der Ausschuss hat nun die Erarbeitung einer ergänzenden Stellungnahme zur Fortführung der Debatte über die wirtschaftspolitische Koordinierung beschlossen. Er will sich darin mit der jeweiligen Wirtschaftspolitik der zwölf Euro-Staaten befassen und untersuchen, ob in der Praxis eine Konvergenz oder vielleicht eine Divergenz in bestimmten Politikbereichen festzustellen ist. Wie haben sich die gewählten Maßnahmen auf die Wirtschaftslage in den einzelnen Ländern ausgewirkt? Sind nach den ersten Jahren der WWU bereits positive Entwicklungen zu beobachten?

1.3. Diese Stellungnahme kann auch als Teil der jährlichen Untersuchungen des Ausschusses zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik gesehen werden. Darin geht es um die allgemeine Entwicklung der Wirtschaftslage in der EU und die grobe Richtung der Maßnahmen. Vorher hat sich noch keine Gelegenheit zu einer eingehenderen Betrachtung der einzelnen Länder ergeben.

1.4. Die Zahlenangaben in dieser Untersuchung stammen im Wesentlichen aus verschiedenen Veröffentlichungen der Europäischen Kommission, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen sowie Generaldirektion Beschäftigung und Sozialfragen(3).

2. Politische Ziele

2.1. Das währungspolitische Ziel wird von der Europäischen Zentralbank (EZB) gesetzt: die Inflationsrate ist mittelfristig unter 2 % zu halten. Die Maßnahmen der EZB, ihre Zinssätze und Offenmarktgeschäfte sind nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. Ausgangspunkt ist vielmehr die aktuelle Lage nach den währungspolitischen Schritten. Selbstverständlich ist eine niedrige Inflationsrate jedoch eines der Hauptziele aller Entscheidungsträger.

2.2. Für die öffentlichen Finanzen wird das Ziel angestrebt, die Defizitgrenze von 3 % des BIP zu sichern. Diese frühere "Zielmarke" ist jedoch zu dem Ziel geworden, mittelfristig einen "nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt" zu erreichen. Die wirtschaftspolitischen Beratungen in der Kommission und im Rat scheinen dies als ein Gesamtziel zu berücksichtigen.

2.3. Die Obergrenze von 60 % für die Staatsverschuldung, die noch aus den Maastricht-Kriterien stammt, ist nach wie vor ein gültiges Ziel, das aber aufgrund des Schuldenabbaus in den letzten Jahren als weniger wichtig angesehen wird. In den nächsten Jahren werden nur drei Mitgliedstaaten mit ihrer Verschuldung über dieser Grenze liegen. Diesem Ziel muss wieder mehr Interesse entgegengebracht werden, da die demographischen Veränderungen u. a. dazu zwingen, die Zinslast so gering wie möglich zu halten.

2.4. Die Erörterung der Wirtschaftslage und passender wirtschaftspolitischer Maßnahmen geht von den Vorgaben für die Ausgeglichenheit des Haushalts und für die Staatsverschuldung aus. Zunehmendes Interesse wird jedoch offenbar dem Ziel "Wirtschaftswachstum" entgegengebracht. Für dieses Ziel besteht keine Vorgabe. Es wird vielmehr als Resultante aus Wirtschaftslage und Wirtschaftspolitik gesehen. Wenn ein Land mit seinem Wachstum unter dem Durchschnitt liegt, bedeutet dies nicht unbedingt, dass seine Wirtschaftspolitik in Frage gestellt wird. Auch ohne ein explizites Ziel zu sein, wird dem Wirtschaftswachstum in den Wirtschaftsanalysen der Kommission zentrale Bedeutung beigemessen. Ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum muss daher eines der Hauptziele der Wirtschaftspolitik sein.

2.5. In Studien über die Wirtschaftspolitik wird oftmals die Beschäftigung als Variable vernachlässigt, sowohl unter dem Blickwinkel, die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten, als auch unter dem Gesichtspunkt einer hohen Erwerbsquote(4). Ein hohes Wirtschaftswachstum ist aber nicht nur ein Ziel an sich, sondern auch eine Voraussetzung für die Senkung der Arbeitslosigkeit und eine hohe Erwerbsquote. Die Lohnpolitik und ihre möglichen Wirkungen auf Beschäftigung und Nachfrage sind nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. Starken Einfluss auf die Beschäftigung haben natürlich auch der Luxemburg- und der Cardiff-Prozess ebenso wie die Strukturfonds. Die Beschäftigung sollte als eines der primären Ziele der Wirtschaftspolitik im Vordergrund stehen. Die Staaten müssten in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und im Stabilitäts- und Wachstumspakt(5) auch danach beurteilt werden, inwieweit sie dieses Ziel erreichen.

2.6. Ein hohes Maß an sozialer Sicherheit, wie in den grundlegenden Artikeln der Europäischen Union betreffend die Stärkung des sozialen Zusammenhalts aufgeführt(6), wird selten als Ziel genannt. Es kann ebenfalls als letztendliches Ergebnis eines höheren Wirtschaftswachstums gesehen werden, das mit sämtlichen politischen Maßnahmen im Rahmen der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und des SWP angestrebt wird. Die Verteilung des Wohlstands wird bei der Analyse jedoch oft übergangen, ebenso wie andere Aspekte der sozialen Systeme. Solche Effekte der Wirtschaftspolitik fallen sehr stark in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, weswegen ein sozialpolitisches Ziel nicht Teil der Analyse des Ausschusses ist. Im Rahmen seiner Untersuchung wird der Ausschuss auch nicht, wie es oft geschieht, Länder an den Pranger stellen, die ihre Steuern ohne flankierende Reduzierungen auf der Ausgabenseite der Sozialsysteme senken.

2.7. In dieser Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik wird der Ausschuss die Inflationsrate - ein zentrales Ziel der Geld- und Kreditpolitik - nicht direkt berücksichtigen. Es geht stattdessen um die Wachstumsrate als ein Ziel, Ziele für die Arbeitslosen- und die Erwerbsquote und die soziale Sicherheit als ein Endresultat von Wachstum, Beschäftigung und anderen Zwischenzielen.

3. Nationale Wirtschaftspolitik 1999-2001 im Überblick

3.1. Für die Kommission ist die Einhaltung des SWP-Ziels nahezu ausgeglichener oder einen Überschuss aufweisender öffentlicher Haushalte von entscheidender Bedeutung. Als ein Grund wird genannt, dass die Mitgliedstaaten dadurch in Zukunft in der Lage seien, die automatischen Stabilisatoren auch im Falle einer Konjunkturabschwächung voll wirken zu lassen. Es wird jedoch nicht genau festgelegt, in welcher Situation von einer Konjunkturabschwächung gesprochen werden kann.

3.1.1. Der Policy-Mix auf nationaler Ebene muss nicht nur der Wirtschaftslage in dem betreffenden Land angepasst sein, sondern gleichzeitig zu einer angemessenen Ausrichtung der Fiskalpolitik im Euro-Gebiet beitragen.

3.2. Die Kommission(7) weist ganz richtig auf die Notwendigkeit hin, von einer Debatte, die nur die Disziplin im Rahmen des SWP im Blick hat, abzukommen und auch den Beitrag der öffentlichen Finanzen zu Wachstum und Beschäftigung zu berücksichtigen. Dieser Ansatz ist sehr begrüßenswert, doch lassen sich kaum Empfehlungen in diese Richtung finden. Wenn sie vorhanden sind, dann oft für Länder, wo sie Hand in Hand mit der Haushaltsstabilisierung gehen können.

3.3. Zwei Aspekte stehen nunmehr zu Recht im Mittelpunkt der Beratungen: die konjunkturstabilisierende Rolle der Haushaltspolitik und die Frage, innerhalb welcher Grenzen die automatischen Stabilisatoren wirken dürfen. Der nächste konjunkturpolitische Schritt - diskretionäre antizyklische Maßnahmen - wird in einigen Ländern unternommen, allerdings selten als "diskretionär" bezeichnet. Sie sind ein weiteres Beispiel für Maßnahmen, die Hand in Hand gehen. Wenn sie als Strukturreformen beschrieben werden können, können sie durchaus in den wirtschaftspolitischen Berichten der Kommission auftauchen.

3.3.1. Die Kommission hält in ihrem Bericht über die öffentlichen Finanzen fest, dass "das Haushaltsergebnis für 2000 besser [hätte] ausfallen sollen, da manche Regierungen die unerwartet hohe 'Wachstumsdividende' über Steuererleichterungen oder Ausgabensteigerungen zum Teil verschenkt haben"(8). Gleichzeitig könnte man aber auch fragen, wie die Wachstumsaussichten für 2001 ausgesehen hätten, wenn die Länder diese Gelegenheit nicht ergriffen hätten.

3.3.2. Im gleichen Tenor wird gesagt, dass automatische Stabilisatoren zum Einsatz kommen können, wenn das Risiko eines Abschwungs der wirtschaftlichen Entwicklung besteht, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass das Land das Ziel eines nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts erreicht hat. Dieses Problem stellt sich noch schlimmer dar, wenn man bedenkt, dass die Länder, die einen derartigen wirtschaftlichen Stimulus am dringendsten brauchen, gerade diejenigen sind, die dieses Ziel nicht erreicht haben.

3.4. Sorgen macht der Kommission zu Recht das prozyklische Verhalten. Es war häufig zu beobachten, insbesondere in den 90er Jahren. Es war die negative Kehrseite der Anwendung der Maastricht-Kriterien. Zur Zeit verfolgen einige Länder, die in einen Abschwung geraten sind, erneut eine Politik, die als prozyklisch bezeichnet werden kann, indem sie sich strikt an den SWP halten. Ihnen wird nicht widersprochen. Andererseits werden diejenigen, die den Abschwung als Anlass zu Besorgnis nehmen und entsprechend reagieren, kritisiert, weil sie den SWP nicht einhalten. Der Zielkonflikt müsste sich mit den Lehren aus den 90er Jahren lösen lassen. Die Verfolgung nur eines der Ziele darf nicht die Lösung sein. In den Generaldirektionen der Kommission wird den einzelnen Zielen unterschiedliches Gewicht beigemessen. Dies gilt es bei einer Gesamtbeurteilung der Politik zu beachten.

3.4.1. Die Entwicklung im Laufe von 2001 mit einer geringeren Wachstumsrate hat die Probleme noch verschärft. Laut Kommission weisen einige Staaten Inflationsrisiken auf, einige haben keinen ausgeglichenen Haushalt, und die übrigen konnten ihre automatischen Stabilisatoren wirken lassen. Abgesehen von zwei Ländern, bewegen sich die möglichen Effekte der automatischen Stabilisatoren bei nur 0,1 bis 0,2 Prozent des BIP. Einige Staaten haben diskretionäre Maßnahmen eingeleitet. Die Niederlande bauen ihren Überschuss ab, was in dieser Situation auch angebracht erscheint. Finnland, Luxemburg und Irland bauen ihre sehr hohen Überschüsse ab. Das könnte man als relativen Stimulus betrachten und ist für die Kommission wahrscheinlich nicht akzeptabel. Es sind allerdings kleine Länder, die die Gesamtinflationsrate nicht sehr stark beeinflussen. Dieser wirtschaftliche Stimulus könnte für Länder wünschenswert sein, die größere Probleme mit der Wachstumsrate haben. So nimmt in Deutschland das Defizit zu, vor allem wegen der Steuersenkungen. Deutschland kommt dicht an die Defizit-Obergrenze von 3 % heran; dies erklärt sich aus den ständig nach unten korrigierten Wachstumsprognosen.

3.5. Die Kommission versucht in ausgeklügelter Weise, sowohl den wirtschafts- als auch den geldpolitischen Puls zu fühlen, und bemüht sich auch festzustellen, ob die Wirtschafts- und Geldpolitik während der ersten beiden Jahre der WWU neutral, expansiv oder restriktiv gewesen ist. Die Wirtschaftspolitik habe sich offenbar in den ersten Jahren der WWU neutral verhalten, tendiere jetzt aber zum Lockerlassen. Die monetären Rahmenbedingungen begannen gemäßigt expansiv und tendieren jetzt eher zur Straffung. Was einzelne Euro-Staaten anbelangt, ist nur in Finnland im Jahr 2000 eine wirtschaftliche Versteifung festzustellen. Griechenland lockerte die geldpolitischen Bedingungen etwas. In den meisten anderen Ländern, die bereits ziemlich restriktive monetäre Bedingungen aufwiesen, war eine weitere Verschärfung festzustellen. In Irland führten die geldpolitischen Bedingungen zu steigender Inflation.

3.5.1. Im Jahr 2001 stellt sich die Lage wesentlich differenzierter dar. Finnland, die Niederlande, Deutschland und Irland lockern ihre Fiskalpolitik. Eine Straffung der monetären Rahmenbedingungen ist ebenso häufig zu beobachten wie Änderungen in Richtung auf eine Lockerung. Wenn dies im Hinblick auf die Kapazitätsauslastung betrachtet wird, so bestanden 2001 gemäß den Berechnungen der Kommission vom Frühjahr nur in Deutschland noch in nennenswertem Maße ungenutzte Kapazitäten. Die Lage hat sich u. a. infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 mit einer geringeren Nachfrage und mehr ungenutzten Kapazitäten in den meisten Ländern sowie als Reaktion darauf z. B. Zinssenkungen geändert.

4. Wirtschaftliche Wirkung

4.1. Gesamtwirtschaftliche Wirkung

4.1.1. Die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum ist vielschichtig. Eine Beurteilung anhand einer einzelnen, wenn auch dominanten Maßnahme, ist nicht zulässig. Es muss das gesamte Maßnahmenpaket in seiner Zusammensetzung und Wechselwirkung analysiert und bewertet werden. Eine abschließende Beurteilung ist erst möglich, wenn auch der Zeitpunkt des Wirkens der Maßnahmen in die Analyse einbezogen wird. Die Kommission hat sich bemüht, ausgehend von solchen Überlegungen Berechnungen anzustellen. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass Änderungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte schneller Wirkung zeigen als Maßnahmen auf der Steuerseite.

4.1.2. Maßnahmen, die auf der Nachfrageseite der Wirtschaft ansetzen, werden schneller Änderungen hervorrufen, als solche, die auf die Angebotsseite zielen. Da Steuersenkungen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite Auswirkungen haben, erklärt dies teilweise das langsamere Ansprechen auf Steueränderungen.

4.1.3. All diese Gesichtspunkte sind in die Betrachtung einzubeziehen, um eine gut ausbalancierte Wirtschaftspolitik zu finden. Eine Steuersenkung z. B. bringt eventuell nicht die gewünschte Reaktion bei der Erwerbsquote. Ähnlich hat eine Verringerung der Gebühren für Jugendfürsorge oder eine verbesserte Verfügbarkeit von Jugendfürsorgeeinrichtungen möglicherweise nicht so große Wirkungen wie erwartet. Werden beide Maßnahmen jedoch kombiniert, erzielen sie möglicherweise eine größere Wirkung als die Summe ihrer jeweiligen Einzeleffekte.

4.1.4. Ein weiterer Gesichtspunkt, der die Gestaltung und Dimensionierung der Wirtschaftspolitik erschwert, ist der Unterschied zwischen dem allgemeinen Haushalt der öffentlichen Hand, also aller Regierungsebenen, und dem Haushalt der Zentralregierung. Regierung und Parlament haben eine unmittelbare Kontrolle normalerweise nur über den Haushalt der Zentralregierung. In einigen Staaten wurden Vereinbarungen zur Angleichung der Haushalte anderer Ebenen an den Haushalt der Zentralregierung geschlossen. In föderalen Staaten ist dieses Problem natürlich noch komplizierter. Für die EZB und die Kommission geht es um die allgemeinen Haushalte.

4.1.5. Es wird oft gesagt, dass die Bürde für die Wirtschaftspolitik schwerer wird, wenn die Geldpolitik festgelegt ist. Unterschiede der Wirtschaftslage müssen nun einzig mit wirtschaftspolitischen Mitteln angegangen werden. Andererseits traten vor der gemeinsamen Geldpolitik der WWU jedoch mehr Nebenwirkungen bei einer wirtschaftspolitischen Maßnahme auf. Deren Wirkungen konnten nämlich nicht nur durch Handel und höhere Inflation verpuffen, sondern auch durch höhere Zinssätze und durch volatile Wechselkurse. Daher ist es sicher richtig zu sagen, dass die gemeinsame Geldpolitik nicht nur mehr Spielräume für die Wirtschaftspolitik schafft, sondern auch deren Wirksamkeit erhöht.

4.2. Wachstum und Wirtschaftsleistung

4.2.1. Die Beurteilung der Wirkung einer wirtschaftspolitischen Maßnahme ist heikel, denn sie wird durch zwei Faktoren bestimmt: die jeweiligen politischen Maßnahmen und die Wirtschaftslage, vor allem das Wachstum, was seinerseits teilweise vom Vertrauen der Verbraucher und der Unternehmen abhängt. Dies ist kein großes Problem, wenn die Prognose für das Wirtschaftswachstum für das kommende Jahr sich als richtig erweist. Dann ist es im Vorhinein möglich, nach der Beurteilung der Auswirkungen dieser Wachstumsrate eine expansive, neutrale oder restriktive Wirtschaftspolitik zu beschließen. In den Jahren 1999 und 2000 neigten die Regierungen zu einer Unterschätzung des Wirtschaftswachstums. In einer Situation, in der die Wirtschaftsleistung anhand der Verbesserungen des Haushaltsausgleichs und der Verringerung der Staatsschulden beurteilt wird, stehen die Regierungen dann in einem günstigeren Licht da, als sie ihren Maßnahmen nach verdient hätten. In einem Jahr wie 2001, wenn die Wachstumsrate in den meisten Ländern nach unten korrigiert werden muss, kann sich die Wirtschaftspolitik als angemessen erweisen oder sich als zu restriktiv herausstellen.

4.2.2. Außerdem hängt die Wachstumsrate sehr stark von der aktuellen Politik ab. Eine Politik, die die Kaufkraft schwächt, verringert den Konsum und damit letztlich das Wachstum. Solche Interdependenzen machen die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen wirklich sehr schwierig.

4.2.2.1. Die Kommission bemüht sich sehr, die Wirkungen des Wachstums und die Wirkung der politischen Maßnahmen auseinander zu halten. Dass die allgemeine Verringerung der Defizite rascher als erwartet eintrat, war in erster Linie das Ergebnis eines unerwartet hohen Wachstums. Darüber hinaus sind die Folgen geringerer öffentlicher Zinszahlungen und die Effekte der automatischen Stabilisatoren getrennt von den Auswirkungen diskretionärer Maßnahmen zu sehen. Dann ergibt sich als Effekt der diskretionären Maßnahmen nur ein Wert von 0,1 % des BIP. Enorm werden die Beurteilungsprobleme bei dem Versuch, die Wirkung jeder Maßnahme für sich zu bewerten. So entsprach zum Beispiel die Senkung der Sozialbeiträge in Spanien nur 0,1 % des BIP. Wie soll die Wirkung dieser Änderung auf das BIP für sich bewertet werden, wenn sie zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Maßnahmen erfolgte?

4.2.3. Zudem lassen die Zahlen unterschiedliche politische Schlussfolgerungen zu. Die Kommission meint, dass die drei Länder mit einem anhaltend hohen Defizit ihre Position in den wachstumsstarken Jahren nicht verbessert haben. Sie bemerkt jedoch nicht ausdrücklich, dass dieselben Länder mit die niedrigsten Wachstumsraten aufwiesen und sich damit in einer Situation befanden, in der Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur als gerechtfertigt gelten können. Wenn sie in diesen Jahren die Möglichkeiten zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft nicht genutzt hätten, stuenden sie heute wirtschaftlich schlechter da, wären aber andererseits in einer besseren Position, dagegen etwas zu tun. Es erschwert die Beurteilung, wenn man sowohl die Art der Maßnahmen als auch den Zeitpunkt ihrer Anwendung betrachten muss.

4.2.4. Die meisten Länder haben ihre Staatsverschuldung in den letzten Jahren verringert. Angesichts der hohen Wachstumsraten war das jedoch keine besondere Leistung. Nehmen wir das Beispiel Belgiens, das 2000 eine Verringerung um 5,5 Prozentpunkte erreichte. Davon können 4,5 Prozentpunkte darauf zurückgeführt werden, dass sich der Wert der Verschuldung als Anteil am BIP bei einem höheren Wachstum rein rechnerisch ändert. Es liegen keine Zahlen darüber vor, inwieweit die Verringerung der Staatsverschuldung in den Euro-Staaten tatsächlich durch wirkliche Zahlungen zur Schuldentilgung bewirkt wurde. Die Kommission macht nähere Angaben zur Verringerung der Schuldenquote Spaniens im Jahr 2000, bei der 2,5 von 2,7 Prozentpunkten auf die Wachstumsrate zurückzuführen seien. Die Kommission sollte solche Angaben für alle Länder vorlegen.

4.3. Automatische Stabilisatoren

4.3.1. Wenn das Haushaltsdefizit geringer als 3 % des BIP ist (oder besser: wenn der Haushaltsausgleich erreicht ist), stellt sich die Frage, ob ein ungehindertes Funktionieren der automatischen Stabilisatoren zugelassen werden kann. Wieviel Konjunkturstabilisierung ist denn von den automatischen Stabilisatoren überhaupt zu erwarten? Können sie verbessert werden?

4.3.2. Allgemein wird die Ansicht vertreten, dass automatische Stabilisatoren(9) die größte Wirkung entfalten, wenn das strukturelle Problem (Schock) auf der Nachfrageseite besteht. Manche progressiven Steuern und Leistungen bei Arbeitslosigkeit haben zum Beispiel sowohl in einem Wirtschaftsabschwung als auch in einem Aufschwung glättende Effekte und wirken den Auswirkungen auf die persönlichen Einkommen entgegen. Sie wirken am besten bei Schocks, die den Konsum betreffen, und kaum bei Schocks, die mit Investitionen oder der Auslandsnachfrage zu tun haben. Angebotsseitige Schocks sollen in entgegengesetzten Richtungen auf Inflation und Output wirken. Ein höherer Ölpreis führt z. B. zu steigender Inflation und geringerem Output. Ein automatischer Stabilisator, der in diesem Fall restriktiv und expansiv zugleich wirken soll, ist kaum zu finden.

4.3.3. Große Unterschiede zwischen Ländern bestehen auch hinsichtlich der Empfindlichkeit des Staatshaushalts für Konjunkturschwankungen. Eine Volkswirtschaft, in der der öffentliche Sektor über die automatischen Stabilisatoren stark von Änderungen der Konjunktur getroffen wird, hat auch die Möglichkeit, mit ihren wirtschaftspolitischen Änderungen mehr zu erreichen. Sensitivität besteht in beiden Richtungen - vom Konjunkturzyklus und von den politischen Maßnahmen. Diese Länder sind oft durch hoch entwickelte Systeme der sozialen Sicherheit gekennzeichnet.

4.3.4. Dies führt zu der Aussage, dass es unmöglich ist, einen allgemein gültigen Standpunkt zur Verwendung automatischer Stabilisatoren einzunehmen. Die Kommission hat Berechnungen angestellt, um geeignete Zielvorgaben für die Höhe des Haushaltsdefizits bzw. -überschusses zu finden, die im Konjunkturverlauf anzustreben sind; sie sind von Land zu Land unterschiedlich. Je unstetiger die Wirtschaft ist, desto höher der Überschuss, der erzielt werden muss. Nach der Festlegung solcher Mindestwerte wurden neue Zielhöhen festgelegt, die ein ungehindertes Funktionieren automatischer Stabilisatoren ermöglichen sollen.

4.4. Investitionen

4.4.1. Viele Arten öffentlicher Ausgaben können sich auf Wachstum und Beschäftigung gleichermaßen günstig auswirken. Dies trifft für "traditionelle" Ausgaben zu, wie z. B. für Bildung, Gesundheit, Regionaltransfers und Sozialpolitik. Ihre Quantität und Qualität legen den Grundstein für eine moderne, wachsende Wirtschaft. Trotz ihrer Bedeutung liegt das Hauptaugenmerk auf Forschung und privaten sowie öffentlichen Investitionen. In den Schlussfolgerungen von Lissabon und später auch in Stockholm wurde der politische Wille bekräftigt, in diesen Politikbereichen mehr zu tun. In der kurzen Zeit seitdem sind weder die Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung bereits deutlich zu sehen, noch konnten alle geeigneten Maßnahmen überhaupt ergriffen werden. Die Suche nach sachdienlichen Indikatoren für diese Maßnahmen ist ein erster Schritt, der noch nicht vollendet ist.

4.4.2. Unter den Euro-Staaten bestehen große Unterschiede bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung und den Investitionen. Trotz dieser Unterschiede ist kaum zu bestreiten, dass sämtliche Länder eine Politik verfolgen sollten, die zu einer Erhöhung des BIP-Anteils dieser Ausgaben führt. Obwohl sich die Wirkung kürzlich eingeleiteter Maßnahmen noch nicht abschätzen lässt, liefern bisherige Erfahrungen klare Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von Maßnahmen in diesen Bereichen. Die hohen Ausgaben für Informationstechnik (Schulung, Netze, Anwendung) und Forschung in diesem Bereich z. B. in den USA und den nordischen Staaten gehen mit höheren Wachstumsraten und Beschäftigungsniveaus einher.

4.4.3. Ein statistisches Dilemma besteht darin, dass Statistiken über Investitionen nur solche in Sachanlagen berücksichtigen. Statistiken müssen so weiterentwickelt werden, dass sie auch für Investitionen in Humankapital aussagekräftig sind. Hier stellt sich ein großes Bemessungsproblem, da dann eine Trennlinie zwischen "normalen" Bildungsausgaben und Ausgaben für Bildung und Ausbildung, die die Produktionskraft erhöhen, gefunden werden muss. Eine Möglichkeit bestuende darin, alle von den Unternehmen geleisteten Kosten für Bildung und Ausbildung (auch wenn sie zum Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert sein können) als Investitionen in das Humankapital zu betrachten.

4.4.4. Der Großteil der Investitionen kommt von Privaten, und diese sind die Hauptfaktoren für Wachstum. Aber bei den öffentlichen Sachinvestitionen, die für das Wachstum und ergänzend zu den privaten Investitionen ebenfalls wichtig sind, ergibt sich hinsichtlich des Aufbaus des SWP ein Konflikt. Ein Land mit, gemessen am BIP, hohen öffentlichen Investitionsaufwendungen, was empfehlenswert ist, wird es schwerer haben, einen Haushaltsausgleich zu erreichen, da es sich bei anderen öffentlichen Ausgaben stärker zurückhalten muss, um die "zusätzlichen" öffentlichen Investitionsausgaben auszugleichen, sofern diese nicht außerbudgetär finanziert werden und damit nicht in die Beurteilung des SWP fallen. In einem solchen Fall können die WWU-Konvergenzkriterien die öffentlichen Investitionen reduzieren. In den neunziger Jahren machten Kürzungen der öffentlichen Sachinvestitionen ein Drittel der Senkung der öffentlichen Haushaltsdefizite aus, so dass sich ihr Anteil am BIP von 2,9 % (1991) auf nur noch 2,3 % (1999)(10) verringerte. Dies ist wirtschaftlich umso widersinniger, als solche Ausgaben die Wachstumsrate erhöhen und es im Endeffekt leichter machen würden, die SWP-Ziele zu erfuellen.

4.5. Änderungen der Steuersysteme

4.5.1. Die positiven Effekte von Forschung und Investitionen werden kaum in Frage gestellt, doch über die Folgen von Änderungen der Steuersysteme für Wachstum und Beschäftigung herrscht nicht immer allgemeine Einigkeit. Die Besteuerung beeinflusst die Bereitschaft zu arbeiten, zu sparen und zu investieren. Ausschlaggebend für die Wirkung ist dabei nicht nur die Höhe der Steuern, sondern auch ihre Zusammensetzung. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt, aber die Ergebnisse waren bisher, wie die Kommission festhält, gemischt. Generell lässt sich sagen, dass es lange dauert - mehrere Jahre -, bis sich Wirkungen einstellen, und dass die Änderungen schon ziemlich tiefgreifend sein müssen, um unser Verhalten überhaupt zu beeinflussen.

4.5.2. Darüber hinaus müssen Änderungen der Steuersysteme in einem breiteren Kontext gesehen werden, in dem auch die Leistungssysteme mitberücksichtigt werden. Die Wechselwirkung von Steuern und Leistungen ist als ein Ganzes zu sehen, wenn man die Wirkung auf Beschäftigung und Wachstum feststellen will. Außerdem muss das Bemühen, durch Änderungen der Steuer- und Leistungssysteme für mehr Beschäftigung zu sorgen, von einem Umschalten von passiven zu aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen begleitet sein, um eine Erhöhung der Erwerbsquote zu ermöglichen.

4.5.3. Die ganze Problematik der Überalterung der Bevölkerung kann in dieser Stellungnahme nicht erörtert werden. Eine wichtige Konsequenz ist jedoch, dass sie eine Verringerung der Schulden umso dringender macht. In einigen Staaten lässt sich feststellen, dass es dadurch schwieriger wurde, eine Umstellung auf eher antizyklische Maßnahmen zu erreichen.

4.5.4. In den Jahren vor der dritten Phase der WWU wurde sehr deutlich eine straffe Wirtschaftspolitik betrieben. Die restriktive Politik wird weiter verfolgt, aber mit weniger Vehemenz, da angesichts beinahe ausgeglichener Haushalte die Notwendigkeit als geringer angesehen wird und die Reformen erste Früchte tragen. In den meisten Staaten haben die Änderungen sowohl Ausgaben- als auch Steuersenkungen umfasst, d. h. sie haben die relative Größe des öffentlichen Sektors reduziert. In einigen Ländern wurden die steuerlichen Änderungen in Form von Änderungen des Steuererhebungssystems oder der Steuerbemessungsgrundlagen durchgeführt, so dass das Steueraufkommen ohne Anhebung der Steuersätze erhöht wurde. Dies führte zu einer höheren Steuergerechtigkeit.

4.6. Beschäftigung

4.6.1. Um statistische Daten zu Beschäftigungstrends zu finden, muss man Veröffentlichungen wie "Beschäftigung in Europa" zur Hand nehmen. Dies ist für sich schon ein Zeichen, dass die Einbeziehung der Beschäftigung in die Schlussfolgerungen der Gipfeltreffen noch nicht bis in alle Dienststellen der Kommission gedrungen ist. Beschäftigungseffekte werden bei einer Bewertung der Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten nicht wirklich berücksichtigt.

4.6.2. In Spanien, Belgien und Irland ging die Arbeitslosigkeit im Zweijahreszeitraum 1999-2000 jährlich um mehr als einen Prozentpunkt zurück. Belgien und Irland gelang dies sogar, ohne eine besonders hohe Arbeitslosenquote als Ausgangsbasis zu haben. Acht der zwölf Staaten verpassten das mögliche Ziel eines Rückgangs von jährlich einem Prozentpunkt, während drei (Österreich, Luxemburg und Portugal) es nur halbwegs erreichten, aber sie hatten bereits die niedrigsten Arbeitslosenquoten(11).

4.6.3. Betrachtet man dagegen die Erwerbsquote, ist die stärkste Zunahme in den Niederlanden, Irland, Luxemburg und Spanien festzustellen. Den geringsten Zuwachs weisen Österreich, Deutschland und Frankreich auf. Es besteht kein klarer Zusammenhang zwischen den Veränderungen der Erwerbsquote während dieser Jahre und der Ausgangsbasis für diese Quote. Es muss nach mehr Faktoren Ausschau gehalten werden, um die Leistungsunterschiede zu erklären.

4.6.4. Die bemerkenswertesten Fortschritte machte in diesem Zeitraum Spanien, allerdings ausgehend von einer sehr hohen Arbeitslosigkeit und einer niedrigen Erwerbsquote. Österreich steht am schlechtesten da, wobei jedoch zu bedenken ist, dass es von einer niedrigen Arbeitslosigkeit und einer hohen Erwerbsquote ausging(12). Für die unterschiedlichen Trends gibt es sicher verschiedene Erklärungen, doch scheint bei diesen Aspekten der Arbeitsmärkte eine Konvergenz zu bestehen.

4.6.5. Für diese Unterschiede ist natürlich die Wachstumsrate der natürlichste Grund. Zu erkennen ist auch eine starke Korrelation zwischen hohen Wachstumsraten und einer günstigen Entwicklung der Beschäftigung.

4.6.6. Aber die bisweilen widersprüchlichen Entwicklungen auf den einzelstaatlichen Arbeitsmärkten erfordern eine tiefergehende Untersuchung der Gründe für eine gute oder schlechte Leistung der Arbeitsmärkte. Ein Teil der Erklärung ist in den diskretionären wirtschaftspolitischen Maßnahmen der zwölf Länder zu suchen. Eine von der Studiengruppe erstellte Arbeitsunterlage, in der die Wirtschaftspolitik der einzelnen Euro-Staaten beschrieben wird, macht deutlich, dass diese von Land zu Land anders sind.

5. Inkohärente Empfehlungen

5.1. Bei Betrachtung nicht nur der Grundzüge der Wirtschaftspolitik, sondern auch anderer Politikbereiche stehen die Empfehlungen für 2001 für einige Länder nicht im Einklang mit der expansiven Politik, die die niedrigeren Wachstumsraten rechtfertigen würden. In ihrer allgemeinen Beurteilung der Wirtschaftslage (monetär und konjunkturbedingt) geben hauptsächlich die Länder, in denen Überhitzung und Inflationsdruck festzustellen sind, der Kommission Anlass zur Sorge. Bei Ländern mit einer unzureichenden Nachfrage für die Entwicklung eines annehmbaren Wirtschaftswachstums hegt sie dagegen keine offen ausgesprochenen Bedenken. Das gleiche gilt für die meisten Regierungen. Man kann allgemein sagen, dass die Wirtschaftspolitik die gemeinsame Währungspolitik in Zeiten hohen Wachstums unterstützt, dass in Phasen niedrigen Wachstums aber die Gefahr von Konflikten zwischen beiden besteht. Dies ist Grund zu großer Sorge hinsichtlich der derzeitigen Wirtschaftslage und den entsprechenden wirtschaftspolitischen Empfehlungen.

5.2. Es wird selten erwogen, welche Wirkung die Politik eines Staates auf die anderen Länder hat, sondern nur deren allgemeine Bedeutung für das Euro-Gebiet. Und es scheint sich mehr um eine mathematische Zusammenstellung zu handeln, bei der die einzelstaatlichen Werte für Inflation usw. zusammengezählt werden, als um eine wirtschaftliche Berechnung der tatsächlichen Beziehungen der zwölf Volkswirtschaften untereinander. Dies ist gut am Beispiel Irlands darzulegen. Die Empfehlung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) an Irland, eine weniger expansive Politik zu verfolgen, lässt sich durchaus begründen, wenn man nur die irische Wirtschaft für sich betrachtet. Die von dieser zu starken Expansion ausgehenden Wirkungen auf das Euro-Gebiet sind jedoch vernachlässigbar. Die irische Volkswirtschaft ist so klein, dass sie das Inflationsziel in kaum erkennbarer Weise beeinträchtigt. Irland treibt vorwiegend mit Ländern außerhalb des Euro-Gebiets Handel (z. B. mit dem Vereinigten Königreich), so dass auch die Handelswirkungen auf seine Euro-Partner vernachlässigbar sind.

5.3. In Jahren hohen Wachstums lassen sich gute Ergebnisse für die Arbeitlosen- und die Erwerbsquote leicht erzielen, da sie Hand in Hand mit den Wachstumsraten gehen. Bei einem niedrigen Wachstum ist das wesentlich komplizierter. Bei Raten unter 3 % nimmt die Beschäftigung nicht automatisch zu, und wenn der Haushaltsausgleich nach wie vor im Mittelpunkt steht, besteht eindeutig die Gefahr, dass die eingeschlagene Politik zu höherer Arbeitslosigkeit führen kann. Daher müssen Wachstumsraten und Beschäftigungsentwicklung ebenfalls im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Debatten stehen. Die aktuellen wirtschaftlichen Signale sind jetzt so deutlich, dass diese Veränderung ihren Niederschlag auch in den Papieren der Kommission und den Beschlüssen des Rates finden muss.

5.4. Da Teile der SWP-Ziele im Vertrag festgelegt sind, haben aus ihnen abgeleitete Empfehlungen größeres Gewicht als Ziele, die lediglich auf Ratstagungen angenommen wurden. Dieser Unterschied in der Rechtsgrundlage sollte auf die eigentlichen wirtschaftspolitischen Empfehlungen keine derartigen Auswirkungen haben. Wirtschaftspolitische Empfehlungen sollten stärker auf wirtschaftliche Argumente als auf politische Überlegungen gestützt werden.

6. Ein neuer Rahmen für die Ziele

6.1. Die Berichte der Kommission und die Beschlüsse des Rates vermitteln klar den Eindruck, dass Preisstabilität, Haushaltsausgleich und Schuldenabbau die Hauptziele sind. Als eine allgemeine Lehre aus den ersten Jahren des Euro hält der Ausschuss das Bemühen um die Erfuellung des im SWP genannten Zielkatalogs für wichtig, um die Grundlage für einen Policy-Mix zu schaffen, der allen wirtschaftspolitischen Zielen Rechnung trägt.

6.2. Die vom Wachstum für diese Ziele ausgehenden Wirkungen werden sorgfältig berechnet. Unbeachtet bleibt jedoch die Wirkung der Wirtschaftspolitik auf Wachstum und Beschäftigung. Das ist denn wohl auch der Hauptgrund dafür, dass unsere Empfehlungen oft eher eine expansive Richtung nehmen. Ein verringerter Haushaltsüberschuss oder ein höheres Defizit können durchaus empfehlenswert sein, wenn die Überlegungen sowohl dem fiskalischen Aspekt als auch Wachstum und Beschäftigung gelten. Ein in Gipfelschlussfolgerungen genanntes mittelfristiges Ziel von mindestens 3 % Wachstum könnte daher auch in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt festgeschrieben werden.

6.3. In Lissabon wurde ein langfristiges beschäftigungspolitisches Ziel gesteckt: Senkung der Arbeitslosigkeit, so dass Vollbeschäftigung erreicht wird. Für die Erwerbsquote wurden die langfristigen Ziele auf 70 % für Männer und 60 % für Frauen festgesetzt. Diese langfristigen Ziele sollten im SWP als mittelfristige Zielsetzungen enthalten sein, um dadurch Maßnahmen zu stimulieren, die der Erreichung der langfristigen Ziele dienen.

6.4. Nach einigen Jahren des praktischen Umgangs mit dem SWP ist es nun an der Zeit, die bisherigen Erfahrungen zu bewerten und diese Ausgangsbasis für die Wirtschaftspolitik in den Euro-Staaten zu verfeinern. Neben den obigen Vorschlägen möchte der Ausschuss einige Grundsätze hervorheben, nach denen die jährlichen Leitlinien flexibel zu halten sind.

- Die Ziele sind als mittelfristige Ziele zu sehen, so dass das Ergebnis in jedem einzelnen Jahr für sich beurteilt werden sollte.

- Konjunkturpolitische Überlegungen sind stets zu berücksichtigen.

- Kurzfristige Einschätzungen für jeden Mitgliedstaat müssen immer unter dem Aspekt gesehen werden, wie nahe er den langfristigen Zielen kommt.

- Sie sollten darüber hinaus in Beziehung zur demographischen Entwicklung im jeweiligen Mitgliedstaat gesetzt werden.

7. Schlussbemerkungen

7.1. Allgemein ist zu bemerken, dass eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik dringend erforderlich ist, einschließlich einer Intensivierung des makroökonomischen Dialogs, und dass darüber hinaus eine größere Flexibilität bei den Politikempfehlungen im SWP-Prozess nötig ist. Der Ausschuss möchte aber auch auf einige gute nationale Beispiele hinweisen, die die Anforderungen an Haushaltsausgleich, Verringerung der Schulden, Inflationsrate und die Wachstums- und Beschäftigungsziele gleichzeitig erfuellen. Die Suche nach einer kohärenten Politik muss auch Ziele für die Reform der Rentensysteme als Reaktion auf die Überalterung der Bevölkerung und für die Finanzierung öffentlicher Investitionen in den vom Lissaboner Gipfel genannten Kernbereichen umfassen.

7.2. Dabei kann es natürlich sein, dass Maßnahmen zur Aufrechterhaltung einer hohen Wachstumsrate möglicherweise wirkungsvoller für die Schuldenverringerung sind als Maßnahmen, die der tatsächlichen Rückzahlung der Schulden durch Erwirtschaftung hoher Haushaltsüberschüsse dienen. Eine Politik zur Erreichung hoher Wachstumsraten ist daher die beste Schuldenabbaupolitik.

7.3. Einige Beispiele lassen sich als Strukturreformen einordnen, die langfristige Auswirkungen haben, während andere recht antizyklische Maßnahmen sind. In Griechenland scheint die Bekämpfung der Steuerhinterziehung, z. B. mit einer negativen Einkommenssteuer, Erfolg gehabt zu haben. Die Steuersenkungen in Deutschland sowohl bei der Einkommens- als auch der Körperschaftssteuer sind gute Beispiele für antizyklische Maßnahmen, auch wenn dies nicht ihr Hauptzweck war. In Belgien haben die Ausgabendeckelung und die Abkommen mit den Regionen und lokalen Gebietskörperschaften eine große Wirkung auf den Haushaltsausgleich gehabt. Das Rezept der Niederlande für die Verteilung der Wachstumseffekte auf den Staatshaushalt zwischen Steuerreduzierungen und einer Verringerung der Staatsschulden ist ein interessanter Untersuchungsgegenstand. Obwohl vielleicht sinnvoll aus einer Verteilungsperspektive, kann es als Stabilitätsmaßnahme für den Konjunkturzyklus doch fragwürdig sein. Die Haushaltspolitik Finnlands erscheint gut gewählt, um die nötige restriktive Politik trotz drastischer Änderungen der Einnahmen und Ausgaben in einer Situation lockerer monetärer Bedingungen und hohen Wachstums beizubehalten.

7.3.1. Einige Staaten haben Änderungen im Steuersystem eingeführt, um die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und die Steuerbemessungsgrundlagen zu vergrößern. Diese Maßnahmen haben sich nicht nur als wirkungsvoll erwiesen, sondern deuten auch auf eine Konvergenz im Aufbau der Steuersysteme hin. Änderungen solcher Art sind eine erfreuliche, fortsetzungswürdige Entwicklung.

7.3.2. Einige Staaten haben Senkungen verschiedener Steuersätze eingeführt. Wegen der hohen Wachstumsraten haben sie nicht zu geringeren Steuereinnahmen geführt. Das Steueraufkommen ist vielmehr weiter gestiegen. Bei niedrigeren Wachstumsraten werden solche Zunahmen schwerlich andauern, sondern wahrscheinlich in Einnahmerückgänge umschlagen. Der Nachfrageeffekt dieser gesenkten Steuersätze hat sich möglicherweise bereits eingestellt, aber die gewünschten angebotsseitigen Wirkungen benötigen länger, um sich bemerkbar zu machen. Sie können ungünstigerweise in einer wirtschaftlichen Lage auftreten, in der die Nachfrageseite unterstützt werden sollte. Dies macht deutlich, wie schwierig die Wahl des richtigen Zeitpunkts für Steueränderungen ist.

7.3.3. Neben der wahrscheinlichen Konvergenz der Steuerbemessungsgrundlagen und der Schließung von Schlupflöchern für Steuerhinterziehung besteht jetzt offenbar auch ein Trend zur tatsächlichen Verlagerung von Steuern auf Arbeit und Einkommen zu anderen Steuern. Sowohl im Aufbau der Steuersysteme als auch in den Steuersätzen zeigt sich eine schwache, aber deutliche Tendenz zu einer Konvergenz der Steuersysteme.

7.4. Einige Länder haben Ausgabendeckelungen in der einen oder anderen Form eingeführt. Sie können einige Probleme lösen, indem sie z. B. dazu beitragen, die Neigung, öffentliche Ausgaben automatisch zu erhöhen, sobald mehr öffentliche Mittel zur Verfügung stehen, im Zaum zu halten. Das System kann als "wahl-beständig" gelten, da die Deckelungen oft vorher und im Konsens beschlossen werden. Andererseits können sie andere mögliche Probleme verursachen, indem Änderungen z. B. immer auf der Einnahmenseite ansetzen, wenn antizyklische Maßnahmen erforderlich sind, da die Ausgabenseite mehrere Jahre im Voraus festgelegt ist. Diese Lösung ist außerdem weniger flexibel, wenn sich Grunddaten hinter den Deckelungen verändern.

7.5. Dies ist eine Auswahl der "guten Beispiele", die zu finden sind - einige davon sind für ein bestimmtes Land spezifisch, andere gelten eher generell. Zu betonen ist allerdings, dass sie zwar in einem Land erfolgreich waren, aber nicht notwendigerweise in allen übrigen genauso wirksam sein müssen. Die Wirtschaftslage kann sich in einem Land so sehr von der in anderen unterscheiden, dass eine Politik, die hüben wirksam ist, drüben erfolglos oder unerwünscht ist. Daher gilt, dass die Beispiele für wirtschaftspolitische Maßnahmen, die in dieser Stellungnahme behandelt werden, und die Bemerkungen bezüglich ihrer Anwendung in einem oder mehreren Ländern eine Diskussionsgrundlage für alle Euro-Staaten darstellen können, dass ihr tatsächlicher Einsatz aber von der jeweiligen Situation in jedem Land abhängt.

Brüssel, den 21. März 2002.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Göke Frerichs

(1) In dieser Stellungnahme geht es um diejenigen Aspkekte der Wirtschaftspolitik, die unter den Begriff "Haushaltspolitik" (Einnahme- und Ausgabeseite der öffentlichen Haushalte) fallen.

(2) ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 60.

(3) Europäische Wirtschaft, Berichte und Studien, Nr. 3/2001, und Beschäftigung in Europa.

(4) Erwerbsquote = Anteil der Erwerbspersonen (Beschäftigte und Arbeitslose) an der Gesamtbevölkerung.

(5) Im Folgenden abgekürzt als SWP.

(6) EU-Vertrag, Artikel 2.

(7) KOM(2001) 355 endg., S. 3.

(8) Öffentliche Finanzen in der WWU - 2001, Seite 2 (Europäische Wirtschaft, Berichte und Studien, Nr. 3/2001).

(9) Eine Beurteilung der automatischen Stabilisatoren findet sich in der Stellungnahme des WSA im ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 60.

(10) Bruttoanlageinvestitionen des Staates EU15, Eurostat.

(11) Ein besonderer Fall ist Luxemburg, wo eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in starkem Maße auch auf die Nachbarländer ausstrahlt.

(12) Ein besonderer Fall ist Luxemburg, wo eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in starkem Maße auch auf die Nachbarländer ausstrahlt.

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