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Document 62005CJ0017

    Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 3. Oktober 2006.
    B. F. Cadman gegen Health & Safety Executive.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) - Vereinigtes Königreich.
    Sozialpolitik - Artikel 141 EG - Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen - Dienstalter (Anciennität) als entgeltbestimmender Faktor - Objektive Rechtfertigung - Beweislast.
    Rechtssache C-17/05.

    Sammlung der Rechtsprechung 2006 I-09583

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:633

    Parteien
    Entscheidungsgründe
    Tenor

    Parteien

    In der Rechtssache C‑17/05

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 11. Januar 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2005, in dem Verfahren

    B. F. Cadman

    gegen

    Health & Safety Executive,

    Beteiligte:

    Equal Opportunities Commission,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas, des Richters R. Schintgen, der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues, J. Klučka, U. Lõhmus, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen,

    Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

    Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2006,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    – von Frau Cadman, vertreten durch T. Gill, Barrister, und E. Hawksworth, Solicitor,

    – der Equal Opportunities Commission, vertreten durch R. Allen, QC, und R. Crasnow, Barrister, sowie J. Hardwick und M. Robison, Solicitors,

    – der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Bethell und E. O’Neill als Bevollmächtigte im Beistand von N. Underhill, QC, und N. Paines, QC, sowie J. Eady, Barrister,

    – der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues als Bevollmächtigten,

    – von Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von N. Travers, BL,

    – der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M.-J. Jonczy und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2006

    folgendes

    Urteil

    Entscheidungsgründe

    1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 141 EG.

    2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Cadman und der Health & Safety Executive (Gesundheits- und Sicherheitsamt, im Folgenden: HSE) wegen Angleichung des Entgelts von Frau Cadman an das Entgelt ihrer männlichen Kollegen.

    Rechtlicher Rahmen

    Gemeinschaftsrecht

    3. Artikel 141 Absätze 1 und 2 EG bestimmt:

    „(1) Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

    (2) Unter ‚Entgelt‘ im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.

    Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bedeutet,

    a) dass das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit aufgrund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird,

    b) dass für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist.“

    4. Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) sieht vor:

    „Der in Artikel [141 EG] genannte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, im Folgenden als ‚Grundsatz des gleichen Entgelts‘ bezeichnet, bedeutet bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen.

    Insbesondere muss dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts ausgeschlossen werden.“

    5. Die Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (ABl. 1998, L 14, S. 6) findet nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 u. a. auf die Situationen Anwendung, die unter Artikel 141 EG und die Richtlinie 75/117 fallen.

    6. Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 97/80 sieht vor:

    „Im Sinne des in Absatz 1 genannten Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.“

    7. Nach Artikel 4 Absatz 1 der genannten Richtlinie „[ergreifen d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“

    8. Nach Artikel 2 der Richtlinie 98/52/EG des Rates vom 13. Juli 1998 zur Ausdehnung der Richtlinie 97/80 auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (ABl. L 205, S. 66) war die Richtlinie 97/80 im Vereinigten Königreich bis spätestens 22. Juli 2001 umzusetzen.

    9. Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung (ABl. L 269, S. 15, im Folgenden: Richtlinie 76/207) bestimmt:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    – ‚mittelbare Diskriminierung‘: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;

    …“

    10. Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 lautet:

    „Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:

    c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG;

    …“

    11. Die Mitgliedstaaten setzen nach Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/73 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 5. Oktober 2005 nachzukommen, oder stellen spätestens bis zu diesem Zeitpunkt sicher, dass die Sozialpartner im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Bestimmungen einführen.

    Nationales Recht

    12. Section 1 des Equal Pay Act 1970 (Gesetz von 1970 über gleiches Entgelt, im Folgenden: Equal Pay Act) bestimmt:

    „(1) Enthält ein Vertrag, aufgrund dessen eine Frau in einem Unternehmen in Großbritannien beschäftigt wird, keine Gleichbehandlungsklausel (unmittelbar oder durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder in sonstiger Weise), wird dieser Vertrag so behandelt, als enthielte er eine derartige Klausel.

    (2) Eine Gleichbehandlungsklausel ist eine Bestimmung, die sich auf die Bedingungen (seien sie entgeltbezogen oder nicht) eines Vertrages bezieht, aufgrund dessen eine Frau beschäftigt wird (Vertrag der Frau), und bewirkt, dass

    (b) im Fall der Beschäftigung einer Frau mit einer Tätigkeit, die als mit der Tätigkeit eines Mannes mit der gleichen Beschäftigung gleichwertig eingestuft wird,

    (i) eine Bestimmung des Vertrages der Frau, die durch die Einstufung der Tätigkeit bestimmt wird (abgesehen von der Gleichbehandlungsklausel), die für die Frau weniger günstig ist oder wird als eine gleichartige Bestimmung in dem Vertrag, aufgrund dessen dieser Mann beschäftigt ist, als dahin geändert behandelt wird, dass sie nicht weniger günstig ist, und

    (ii) der Vertrag der Frau, wenn er (abgesehen von der Gleichbehandlungsklausel) zu irgendeinem Zeitpunkt eine Bestimmung nicht enthält, die einer diesem Mann günstigen Bestimmung in dem Vertrag, aufgrund dessen er beschäftigt ist, entspricht und die durch die Einstufung der Tätigkeit bestimmt wird, so behandelt wird, als enthielte er eine solche Bestimmung.

    (3) Die Gleichbehandlungsklausel gilt nicht bei einer Abweichung zwischen dem Vertrag der Frau und dem des Mannes, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass die Abweichung auf einem sachlichen Faktor beruht, der nicht der Unterschied im Geschlecht ist, und dieser Faktor

    (a) muss bei einer Gleichbehandlungsklausel nach Subsection (2) (a) oder (b) oben ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Fall der Frau und dem des Mannes sein;

    …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    13. Frau Cadman ist bei der HSE beschäftigt. Seit sie in dieser Einrichtung tätig ist, änderte sich das Entgeltsystem mehrmals. Bis 1992 beruhte dieses System auf indizierten Entgeltzuwächsen, d. h., jedem Bediensteten wurde jährlich eine Erhöhung seines Entgelts gewährt, bis er die höchste Stufe seiner Entgeltgruppe erreicht hatte. 1992 führte die HSE ein leistungsbezogenes Element ein, das es ermöglichte, den jährlichen Steigerungsbetrag anzupassen, um die individuellen Leistungen des Angestellten widerzuspiegeln. Nach diesem System konnten die leistungsstärksten Bediensteten die höchste Stufe schneller erreichen. Nach Inkrafttreten einer Langzeit-Entgeltvereinbarung im Jahr 1995 erfolgten die jährlichen Entgelterhöhungen nach der Zuteilung von „equity shares“ genannten Anteilsrechten entsprechend der Leistung des Bediensteten. Diese Änderung hatte zur Folge, dass sich die zwischen Bediensteten derselben Entgeltgruppe mit höherem und geringerem Dienstalter bestehenden Entgeltunterschiede langsamer verringerten. Schließlich wurde im Jahr 2000 das System erneut geändert, um in den Stufen weiter unten stehenden Bediensteten höhere jährliche Steigerungen zu gewähren und somit ein schnelleres Aufrücken zu erleichtern.

    14. Im Juni 2001 erhob Frau Cadman beim Employment Tribunal eine auf den Equal Pay Act gestützte Klage. Zum Zeitpunkt ihrer Klageerhebung bekleidete sie seit nahezu fünf Jahren als Inspektorin der Entgeltgruppe 2 einen Dienstposten mit Leitungsfunktionen. Als Vergleichspersonen nannte sie vier männliche Kollegen, sämtlich ebenfalls Inspektoren der Entgeltgruppe 2.

    15. Diese vier Personen erhielten, obwohl sie derselben Gruppe wie Frau Cadman angehörten, ein deutlich höheres Entgelt als Frau Cadman. Deren Jahresgehalt betrug im Steuerjahr 2000/01 35 129 GBP, während sich die von den genannten Vergleichspersonen bezogenen Beträge auf 39 125 GBP, 43 345 GBP, 43 119 GBP und 44 183 GBP beliefen.

    16. Es steht fest, dass die vier männlichen Vergleichspersonen zu dem Zeitpunkt, als die Klage beim Employment Tribunal anhängig gemacht wurde, ein höheres Dienstalter als die Klägerin hatten, das sie zum Teil auf untergeordneten Dienstposten erworben hatten.

    17. Das Employment Tribunal entschied, dass die sich auf das Entgelt beziehenden Klauseln des Arbeitsvertrags von Frau Cadman nach Section 1 des Equal Pay Act so abzuändern seien, dass sie nicht ungünstiger seien als die entsprechenden Klauseln der Arbeitsverträge der vier Vergleichspersonen.

    18. Die HSE legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Employment Appeal Tribunal ein. Dieses Gericht entschied erstens, dass es in Anbetracht des Urteils vom 17. Oktober 1989 in der Rechtssache 109/88 (Danfoss, Slg. 1989, 3199, Randnr. 25) keiner besonderen Rechtfertigung für eine Ungleichheit des Entgelts bei Anwendung des Dienstalterkriteriums bedürfe. Zweitens sei, selbst wenn eine derartige Rechtfertigung erforderlich sein sollte, dem Employment Tribunal bei deren Beurteilung ein Rechtsfehler unterlaufen.

    19. Mit Rechtsmittelschrift vom 4. November 2003 legte Frau Cadman gegen die Entscheidung des Employment Appeal Tribunal ein Rechtsmittel zum vorlegenden Gericht ein.

    20. Der Court of Appeal legt dar, dass sich die Entgeltunterschiede, auf die Frau Cadman ihre Klage stütze, aus der Struktur des Entgeltsystems erklärten, da die HSE ein System mit Erhöhungen anwende, die auf die eine oder andere Weise das Dienstalter berücksichtigten und honorierten.

    21. Da Frauen in der Entgeltgruppe 2 und allgemein im relevanten Teil der Belegschaft der HSE im Durchschnitt ein geringeres Dienstalter als Männer aufwiesen, habe der Rückgriff auf das Dienstalterkriterium für die Festsetzung des Entgelts Frauen gegenüber nachteilige Auswirkungen.

    22. Die Equal Opportunities Commission (Kommission für Chancengleichheit) habe Beweise, die von allen Parteien akzeptiert worden seien, dafür vorgelegt, dass im Vereinigten Königreich und in der gesamten Europäischen Union Arbeitnehmerinnen im Ganzen gesehen ein geringeres Dienstalter aufwiesen als Arbeitnehmer. Der Rückgriff auf das Dienstalterkriterium für die Festlegung des Entgelts spiele eine wichtige Rolle für das Fortbestehen der, wenn auch langsam kleiner werdenden, Gehaltsdiskrepanzen zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

    23. Das vorlegende Gericht fragt sich insoweit, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofes sich von der Feststellung im oben zitierten Urteil Danfoss entfernt habe, nach der „der Arbeitgeber die Anwendung des Kriteriums der Anciennität nicht besonders zu rechtfertigen [braucht]“. Jüngere Urteile, u. a. die Urteile vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C‑184/89 (Nimz, Slg. 1991, I‑297), vom 2. Oktober 1997 in der Rechtssache C‑1/95 (Gerster, Slg. 1997, I‑5253) und vom 17. Juni 1998 in der Rechtssache C‑243/95 (Hill und Stapleton, Slg. 1998, I‑3739) deuteten auf eine gewisse Kehrtwende in der Rechtsprechung des Gerichtshofes hin. Hierzu weist der Court of Appeal darauf hin, dass ihn die Argumentation der HSE nicht überzeuge, wonach die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofes die Tragweite des zitierten Urteils Danfoss nur insofern verändert habe, als es um Teilzeitbeschäftigte gehe, und dass somit das Kriterium des Dienstalters niemals einer objektiven Rechtfertigung bedürfe, außer wenn es um derartige Arbeitnehmer gehe.

    24. Im Übrigen schließt sich das vorlegende Gericht der Auffassung des Employment Appeal Tribunal an, nach der der Rechtsstreit, wenn die Frage nach der Tragweite des Urteils Danfoss in einem für Frau Cadman positiven Sinn beantwortet werden sollte, an einen anderen Spruchkörper des Employment Tribunal zur Prüfung der Frage der Rechtfertigung zurückverwiesen werden müsse.

    25. Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1. Hat der Arbeitgeber nach Artikel 141 EG die Anwendung des Kriteriums des Dienstalters als entgeltbestimmenden Faktor besonders zu rechtfertigen, wenn sie unterschiedliche Wirkung für die relevanten männlichen und weiblichen Arbeitnehmer hat? Falls die Antwort von den Umständen abhängt, welches sind diese Umstände?

    2. Würde die Antwort auf die vorstehende Frage anders lauten, wenn der Arbeitgeber das Kriterium des Dienstalters auf einer individuellen Basis auf die Arbeitnehmer anwendet, so dass eine Beurteilung der Frage erfolgt, inwieweit ein höheres Dienstalter ein höheres Entgeltniveau rechtfertigt?

    3. Ist ein relevanter Unterschied zu machen zwischen der Anwendung des Kriteriums des Dienstalters im Fall von Teilzeitbeschäftigten und der Anwendung dieses Kriteriums im Fall von Vollzeitbeschäftigten?

    Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

    26. Mit seinen ersten beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen Artikel 141 EG eine Verpflichtung des Arbeitgebers bewirkt, den Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters (Anciennität) als entgeltbestimmenden Faktor zu rechtfertigen, wenn die Anwendung dieses Faktors Ungleichheiten bei der Vergütung zwischen zu vergleichenden männlichen und weiblichen Arbeitnehmern nach sich zieht.

    Zu der allgemeinen Regelung des Artikels 141 Absatz 1 EG

    27. Artikel 141 Absatz 1 EG stellt den Grundsatz auf, dass für gleiche oder gleichwertige Arbeit unabhängig davon, ob sie von einem Mann oder von einer Frau verrichtet wird, gleiches Entgelt gewährt werden muss (Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C‑320/00, Lawrence u. a., Slg. 2002, I‑7325, Randnr. 11).

    28. Wie der Gerichtshof bereits im Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne, Slg. 1976, 455, Randnr. 12) für Recht erkannt hat, gehört dieser Grundsatz, der spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes ist, wonach gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden dürfen, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist objektiv gerechtfertigt, zu den Grundlagen der Gemeinschaft (vgl. auch Urteil vom 26. Juni 2001 in der Rechtssache C‑381/99, Brunnhofer, Slg. 2001, I‑4961, Randnr. 28, und Urteil Lawrence, Randnr. 12).

    29. Außerdem ist an die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 75/117 niedergelegte allgemeine Regel zu erinnern, die im Wesentlichen die konkrete Anwendung des in Artikel 141 Absatz 1 EG aufgestellten Grundsatzes des gleichen Entgelts erleichtern soll, ohne dessen Inhalt oder Reichweite zu berühren (vgl. Urteil vom 31. März 1981 in der Rechtssache 96/80, Jenkins, Slg. 1981, 911, Randnr. 22). Diese Regel sieht bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und ‑bedingungen vor (vgl. Urteil vom 1. Juli 1986 in der Rechtssache 237/85, Rummler, Slg. 1986, 2101, Randnr. 11).

    30. In den Geltungsbereich von Artikel 141 Absatz 1 EG fallen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Diskriminierungen (vgl. in diesem Sinne Urteile Jenkins, Randnrn. 14 und 15, und vom 27. Mai 2004 in der Rechtssache C‑285/02, Elsner-Lakeberg, Slg. 2004, I‑5861, Randnr. 12).

    31. Aus einer gefestigten Rechtsprechung ergibt sich, dass Artikel 141 EG ebenso wie zuvor Artikel 119 EWG-Vertrag (später Artikel 119 EG-Vertrag [die Artikel 117 bis 120 des EG-Vertrags sind durch Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden]) dahin auszulegen ist, dass es Sache des Arbeitgebers ist, sobald ein Anschein von Diskriminierung vorliegt, zu beweisen, dass die fragliche Praxis durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteile Danfoss, Randnrn. 22 und 23, vom 27. Juni 1990 in der Rechtssache C‑33/89, Kowalska, Slg. 1990, I‑2591, Randnr. 16, Hill und Stapleton, Randnr. 43, und vom 23. Oktober 2003 in den Rechtssachen C‑4/02 und C‑5/02, Schönheit und Becker, Slg. 2003, I‑12575, Randnr. 71).

    32. Die vorgebrachte Rechtfertigung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnr. 37).

    Zum Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters (Anciennität)

    33. Der Gerichtshof hat in den Randnummern 24 und 25 des Urteils Danfoss nach dem Hinweis darauf, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass die Anwendung des Kriteriums des Dienstalters zu einer Benachteiligung der weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den männlichen Arbeitnehmern führen kann, festgestellt, dass der Arbeitgeber die Anwendung dieses Kriteriums nicht besonders zu rechtfertigen braucht.

    34. Damit hat der Gerichtshof anerkannt, dass es ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik ist, u. a. die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten.

    35. In der Regel ist der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters geeignet, um dieses Ziel zu erreichen. Das Dienstalter geht nämlich mit der Berufserfahrung einher, und diese befähigt den Arbeitnehmer im Allgemeinen, seine Arbeit besser zu verrichten.

    36. Daher steht es dem Arbeitgeber frei, das Dienstalter bei der Vergütung zu berücksichtigen, ohne dass er dessen Bedeutung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben darlegen muss.

    37. Zugleich hat der Gerichtshof im Urteil Danfoss jedoch nicht ausgeschlossen, dass es Situationen geben kann, in denen der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters vom Arbeitgeber im Einzelnen gerechtfertigt werden muss.

    38. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer Anhaltspunkte liefert, die geeignet sind, ernstliche Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass im vorliegenden Fall der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters zur Erreichung des genannten Zieles geeignet ist. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, zu beweisen, dass das, was in der Regel gilt, nämlich dass das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht und dass diese den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, auch in Bezug auf den fraglichen Arbeitsplatz zutrifft.

    39. Hinzuzufügen ist, dass dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, die Rechtfertigung des Rückgriffs auf ein bestimmtes Kriterium nicht individuell auf die Situation der betreffenden Arbeitnehmer einzugehen braucht. Daher muss, wenn das mit dem Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters verfolgte Ziel in der Anerkennung der Berufserfahrung liegt, im Rahmen eines solchen Systems nicht bewiesen werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten. Demgegenüber ist die Art der zu verrichtenden Arbeit objektiv zu berücksichtigen (Urteil Rummler, Randnr. 13).

    40. Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 141 EG in dem Fall, dass der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters als entgeltbestimmenden Faktor Entgeltunterschiede bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit für die in den Vergleich einzubeziehenden männlichen und weiblichen Arbeitnehmer nach sich zieht, wie folgt auszulegen ist:

    – Da der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters in der Regel zur Erreichung des legitimen Zieles geeignet ist, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, hat der Arbeitgeber nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des genannten Zieles in Bezug auf einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet ist, es sei denn, der Arbeitnehmer liefert Anhaltspunkte, die geeignet sind, ernstliche Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen;

    – wird zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, braucht nicht nachgewiesen zu werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten.

    Zur dritten Vorlagefrage

    41. Angesichts der Antwort auf die erste und die zweite Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.

    Zu den zeitlichen Wirkungen des Urteils

    42. Die Regierung des Vereinigten Königreichs und Irland sind der Auffassung, dass, wenn der Gerichtshof beabsichtigen sollte, von den Grundsätzen abzuweichen, die er im Urteil Danfoss aufgestellt habe, Erwägungen der Rechtssicherheit eine Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des zu erlassenden Urteils verlangten.

    43. Da das vorliegende Urteil lediglich eine Klarstellung der Rechtsprechung auf diesem Gebiet enthält, sind seine zeitlichen Wirkungen nicht zu beschränken.

    Kosten

    44. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Tenor

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

    Artikel 141 EG ist in dem Fall, dass der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters als entgeltbestimmenden Faktor Entgeltunterschiede bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit für die in den Vergleich einzubeziehenden männlichen und weiblichen Arbeitnehmer nach sich zieht, wie folgt auszulegen:

    – Da der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters in der Regel zur Erreichung des legitimen Zieles geeignet ist, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, hat der Arbeitgeber nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des genannten Zieles in Bezug auf einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet ist, es sei denn, der Arbeitnehmer liefert Anhaltspunkte, die geeignet sind, ernstliche Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen;

    – wird zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, braucht nicht nachgewiesen zu werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten.

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