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Freier Dienstleistungsverkehr

Diese Mitteilung soll den Wirtschaftsteilnehmern und Mitgliedstaaten die Auslegung der Kommission der Begriffe freier Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im besonderen Kontext der Versicherungsrichtlinien darlegen.

RECHTSAKT

Auslegungsmitteilung der Kommission zum freien Dienstleistungsverkehr und Allgemeininteresse im Versicherungswesen [Amtsblatt C 43 vom 16.2.2000]

ZUSAMMENFASSUNG

Hauptziel der Dritten Richtlinien des Rates Nr. 92/96/EWG (Lebensversicherung) und 92/49/EWG (Schadenversicherung) ist, dass alle in einem Mitgliedstaat zugelassenen Versicherungsunternehmen ihre Versicherungstätigkeiten überall in der Europäischen Union entweder im Rahmen des Niederlassungsrechts oder des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben können. Sie sehen eine alleinige Beaufsichtigung des Unternehmens durch seinen Herkunftsmitgliedstaat vor (home-country control). Die Kommission hat jedoch eine uneinheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts festgestellt, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts im Versicherungswesen beeinträchtigen kann.

Freier Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsrecht in den Versicherungsrichtlinien

Wird eine Tätigkeit im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs mit Präsenz des Leistungserbringers auf dem Gebiet des Mitgliedstaats der Dienstleistung ausgeübt, so unterscheidet sich der Begriff des Dienstleistungsverkehrs von dem der Niederlassung im Wesentlichen dadurch, dass der erstgenannte durch seinen vorübergehenden Charakter gekennzeichnet ist, während das Niederlassungsrecht von einer dauerhaften Einrichtung im Aufnahmeland ausgeht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der vorübergehende Charakter der Dienstleistung anhand ihrer Dauer, Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr und Kontinuität zu beurteilen.

Es gibt jedoch zwischen diesen beiden Begriffen eine Grauzone. Dabei handelt es sich vor allem um folgende Fälle:

  • den Einsatz von im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen selbständigen Personen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Kommission der Auffassung, dass die selbständige Person die drei folgenden Bedingungen gleichzeitig erfüllen muss, damit auf das Versicherungsunternehmen die für eine Zweigniederlassung geltende Regelung anstatt der für den freien Dienstleistungsverkehr geltenden Regelung Anwendung finden kann:- sie muss der Aufsicht und Leitung des Versicherungsunternehmens, das sie vertritt, unterstehen;- sie muss das Versicherungsunternehmen gegenüber Dritten verpflichten können;- sie muss ihre Tätigkeit auf Dauer ausüben.Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass ein Versicherungsunternehmen für den Abschluss von Versicherungsverträgen im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs eine im Land der Dienstleistung eröffnete Einrichtung mit der Ausübung von dem Abschluss des Versicherungsvertrags vor- und nachgelagerten unterstützenden Tätigkeiten beauftragen kann (Inanspruchnahme örtlicher Risikobewertungsdienste bzw. medizinischer Dienste, Entgegennahme der Schadenmeldungen für im Wege der Dienstleistungsfreiheit geschlossene Verträge);
  • elektronische Einrichtungen, mit deren Hilfe Versicherungstätigkeiten ausgeübt werden. "Elektronische Schalter" oder "elektronische Säulen", d. h. elektronische Einrichtungen, können unter das Niederlassungsrecht fallen, wenn sie die drei genannten Kriterien des Gerichtshofs erfüllen. Um mit einer Niederlassung gleichgestellt zu werden, müsste eine solche Einrichtung mit einer menschlichen oder elektronischen Geschäftsleitung ausgestattet sein.

Mit Fernkommunikationstechniken, insbesondere dem elektronischen Geschäftsverkehr, ausgeübte Versicherungstätigkeiten sind als im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausgeübte Versicherungstätigkeiten anzusehen. Zur Bestimmung des Ortes der Niederlassung des Unternehmens, mit dem der Versicherungsvertrag geschlossen wird, ist der Mitgliedstaat der Niederlassung des Versicherungsunternehmens zu berücksichtigen, das die fragliche Tätigkeit ausübt, und nicht der Standort des Internet-Servers. Im Aktionsplan für Finanzdienstleistungen hat die Kommission bereits darauf hingewiesen, dass sie beabsichtigt, ein Grünbuch zu verabschieden, um zu prüfen, ob die Bestimmungen der geltenden Richtlinien einen geeigneten rechtlichen Rahmen für die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs im Bereich der Finanzdienstleistungen bieten und gleichzeitig den Schutz der Verbraucherinteressen gewährleisten.

Das Verfahren der Mitteilung über die Eröffnung einer Zweigniederlassung oder die Absicht, Tätigkeiten im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs auszuüben, dient der gegenseitigen Unterrichtung der Aufsichtsbehörden. Es ist daher weder als dem Verbraucherschutz dienende Maßnahme noch als Maßnahme anzusehen, die eine Voraussetzung für die Rechtsgültigkeit der ohne vorherige Einhaltung dieses Verfahrens abgeschlossenen Versicherungsverträge darstellt.

Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat können gemäß den Dritten Versicherungsrichtlinien im Mitgliedstaat der Zweigniederlassung oder der Dienstleistung Werbung machen; dabei haben sie etwaige für Form und Inhalt dieser Werbung geltende Bestimmungen einzuhalten. Keine Form der Werbung (Brief, elektronische Datenübermittlung usw.) setzt voraus, dass das Mitteilungsverfahren eingehalten wurde.

Das Allgemeininteresse in den Dritten Versicherungsrichtlinien - Anwendbarkeit der Regeln des Allgemeininteresses

Ein Mitgliedstaat kann sich auf den Begriff des Allgemeininteresses berufen, um die Einhaltung seiner einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gegenüber einem Versicherungsunternehmen durchzusetzen, das beabsichtigt, Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet entweder im Rahmen des Niederlassungsrechts oder des freien Dienstleistungsverkehrs auszuüben. Der Begriff des Allgemeininteresses ist jedoch in den Versicherungsrichtlinien nicht enthalten, die sich darauf beschränken, auf die Anforderungen des Gerichtshofes hinzuweisen.

Versicherungsnehmen haben die Rechtsvorschriften des Aufnahmelands einzuhalten, auch wenn diese für das Unternehmen eine Beschränkung darstellen. Um im Allgemeininteresse gerechtfertigt zu sein, muss diese Beschränkung:

  • einem nicht harmonisierten Bereich zuzuordnen sein;
  • nicht diskriminierend sein;
  • unabdingbar im Allgemeininteresse gerechtfertigt sein;
  • objektiv notwendig sein;
  • nicht bereits durch die Vorschriften des Herkunftslands zum Schutz des Allgemeininteresses abgedeckt sein;
  • in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.

Anwendung des Grundsatzes des "Allgemeininteresses"

Die vorherige Mitteilung der Versicherungsbedingungen ist außer in den Fällen, in denen sie in den Richtlinien der Gemeinschaft vorgesehen ist, (z. B. Krankenversicherungen, die an die Stelle der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Sozialversicherung treten) ausdrücklich untersagt. Im Fall der Lebensversicherung können die Mitgliedstaaten die Übermittlung der für die Berechnung der Tarife verwendeten technischen Grundlagen verlangen.

Kapitalisierungsgeschäfte von Versicherungsunternehmen können überall in der Gemeinschaft getätigt werden, also auch in einem Mitgliedstaat, in dem solche Geschäfte von den inländischen Lebensversicherungsunternehmen nicht getätigt werden können, weil sie beispielsweise als Bankgeschäfte angesehen werden und daher den Kreditinstituten vorbehalten sind. Das Versicherungsunternehmen muss sich jedoch an die im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Bestimmungen zum Schutz des Allgemeininteresses halten (Besteuerung, Werbung ...).

Im Fall der obligatorischen Bonus/Malus-Systeme (Koeffizienten für die Anhebung bzw. Senkung der Prämie bei der Berechnung der Prämien für die Kfz-Haftpflicht) ist die Kommission der Ansicht, dass diese, soweit es sich bei diesen Systemen um Tarifierungsmechanismen handelt, den Bestimmungen der Dritten Richtlinie (92/49/EWG) zuwiderlaufen. Nach Auffassung der Kommission können Mitgliedstaaten die Aufrechterhaltung des obligatorischen Charakters dieser Systeme nicht mit dem Allgemeininteresse rechtfertigen, da sie sich auf Bestimmungen beziehen, die auf Gemeinschaftsebene bereits geregelt worden sind.

Im Interesse des Verbraucherschutzes verlangen einige Mitgliedstaaten, dass die Sprache des Versicherungsvertrags die Landessprache sein muss. Nach Ansicht der Kommission ist der Verbraucherschutz jedoch bei industriellen und gewerblichen Großrisiken als Argument nicht stichhaltig. Im Falle der Massenrisiken und der Individuallebensversicherungen sind die Verträge mit internationaler Dimension zu berücksichtigen.

Berufsständische Verhaltensregeln, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelten, finden grundsätzlich auch auf ausländische Versicherer Anwendung und ein Verstoß gegen diese Regeln hat wirtschaftliche Sanktionen zur Folge. Darüber hinaus weist die Kommission darauf hin, dass bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen die Wettbewerbsregeln gemäß den Artikeln 81 ff. eingehalten werden müssen.

Technische Höchstzinssätze bei Lebensversicherungen werden vom Herkunftsmitgliedstaat eines Versicherungsunternehmens festgelegt. Da der Aufnahmemitgliedstaat keine Aufsichtsbefugnisse über ein in seinem Herkunftsmitgliedstaat zugelassenes Versicherungsunternehmen hat, kann er weder die Beachtung seiner eigenen Aufsichtsregeln erzwingen noch deren Einhaltung mit Hilfe einer materiellen Kontrolle der Tarife überprüfen.

Rechtsvorschriften, die die Aufnahme von Standard- oder Mindestbedingungen in Versicherungsverträgen vorsehen, zielen darauf ab, die schwächere Vertragspartei zu schützen und bei den Vertragsbeziehungen für ein ausgewogenes Verhältnis zu sorgen. Nach Ansicht der Kommission sollte eine solche Klausel nur dann vorgeschrieben sein, wenn sie objektiv notwendig ist.

Im Falle der obligatorischen Selbstbeteiligung in Versicherungsverträgen sollte es den Unternehmen freistehen, zu beurteilen, ob es sinnvoll ist, in den von ihnen angebotenen Verträgen eine Selbstbeteiligungsklausel vorzusehen oder nicht. Da die Unternehmen von ihrem Herkunftsland zugelassen sind, sollte es ihnen freistehen, im Aufnahmemitgliedstaat Versicherungsverträge mit oder ohne Selbstbeteiligung (auf welche deutlich hinzuweisen ist) zu vermarkten, ohne hierzu durch zwingende nationale Vorschriften verpflichtet zu sein.

Eine Rückkaufsklausel in Lebensversicherungsverträgen ist durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt, da sie den Verbrauchern eine gewisse Flexibilität einräumt und ihnen die Möglichkeit gibt, über ihre Ersparnisse zu verfügen. Die Kommission fragt sich jedoch, ob es nicht andere Mittel gibt, wie eine Verpflichtung, den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss umfassend zu informieren, die geeignet wären, die wirtschaftlichen Interessen der Versicherungsnehmer zu schützen.

Wenn der Aufnahmemitgliedstaat für die Einhaltung seiner Bestimmungen über die indirekte Besteuerung von Versicherungsverträgen, die im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs abgeschlossen wurden, und die Erhebung dieser Steuern Modalitäten für die Praxis festlegt und die Bestellung eines Steuervertreters des Versicherers verlangt, müssen die praktischen Anwendungsbestimmungen den vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit entsprechen.

Schließlich hat der Gerichtshof bereits das Recht anerkannt, die Praxis des "cold calling" als Vermarktungsmethode zu verbieten, um die Verbraucher zu schützen.

Rechtsmittel

Falls ein Wirtschaftsteilnehmer mit einer nationalen Vorschrift konfrontiert ist, die eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, kann er den Rechtsweg einschlagen oder eine Beschwerde bei der Kommission einreichen.

Letzte Änderung: 06.07.2005

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