EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 12.5.2022
COM(2022) 217 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Ein Aktionsplan für Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine zur Erleichterung der Agrarexporte der Ukraine und ihres bilateralen Handels mit der EU
1.Einleitung
Der Angriffskrieg Russlands beeinträchtigt massiv die ukrainische Wirtschaft. Von drastischen Einschränkungen sind vor allem die Ausfuhren betroffen, da die ukrainischen Schwarzmeerhäfen, auf die vor dem Krieg 90 % der Ausfuhren von Getreide und Ölsaaten entfielen, durch die russische Marine blockiert werden.
Bereits jetzt hat die unprovozierte und ungerechtfertigte Invasion Russlands erhebliche Auswirkungen auf die globalen Nahrungsmittelmärkte und wird die weltweite Ernährungssicherheit weiter gefährden. Ohne rasche Maßnahmen wird die weltweite Getreideversorgung auch im nächsten Jahr in Mitleidenschaft gezogen. Unter normalen Umständen exportiert die Ukraine 75 % ihrer Getreideproduktion und erwirtschaftet damit rund 20 % ihrer nationalen jährlichen Ausfuhrerlöse. Jeweils rund ein Drittel der Ausfuhren geht nach Europa, China und Afrika.
Die EU ist entschlossen, die Wirtschaft und die wirtschaftliche Erholung der Ukraine zu unterstützen und zur Stabilisierung der Nahrungsmittelweltmärkte sowie zur Verbesserung der weltweiten Ernährungssicherheit beizutragen. Daher ist es eine gemeinsame Herausforderung, die Ukraine in die Lage zu versetzen, die von ihr gewünschten Waren auszuführen, die lokale Produktion weiter zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Anbindung an Europa sowohl für Ausfuhren als auch für Einfuhren erheblich verbessert wird. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission jüngst vorgeschlagen, alle im Rahmen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine noch ausstehenden Zölle auf Einfuhren aus der Ukraine vorübergehend abzuschaffen und alle handelspolitischen Schutzmaßnahmen gegenüber ukrainischem Stahl auszusetzen
.
Insbesondere im Hinblick auf die weltweite Ernährungssicherheit ist es dringend geboten und wichtig, die Ukraine in die Lage zu versetzen, die derzeit im Land gelagerten landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf die Weltmärkte zu exportieren. Wir müssen der Ukraine helfen, dafür zu sorgen, dass die kommenden Ernten sicher gelagert und neue Kulturen eingesät werden können.
Damit die landwirtschaftlichen Erzeugnisse in die EU und auf die Weltmärkte gelangen und um sicherzustellen, dass die Ukraine besonders dringend benötigte Güter einführen kann (wie humanitäre Hilfe, Nahrungsmittel, Futtermittel, Düngemittel, Kraftstoffe), müssen für die Verkehrsverbindungen zwischen der EU und der Ukraine für alle Verkehrsträger dringend alternative Logistikrouten eingerichtet und der Zugang der Ukraine zu den Schwarzmeerrouten wiederhergestellt werden. Dies erfordert eine Hochskalierung und einen Ausbau der entsprechenden Frachtdienste entlang der Logistikrouten von der Ukraine bis zu den Seehäfen der EU, von wo aus Waren weiterversandt oder wo diese möglicherweise auch gelagert werden könnten. Dies ist nicht nur für Landwirte in der Ukraine, sondern auch für die Verbraucher in der EU und darüber hinaus von entscheidender Bedeutung.
In dieser Mitteilung werden die wichtigsten Engpässe aufgezeigt, die von den EU-Mitgliedstaaten, den ukrainischen Behörden sowie Interessenträgern aus der EU und der Ukraine gemeldet wurden. Im Rahmen der Solidarität der EU mit der Ukraine legt die Europäische Kommission nun einen Aktionsplan mit kurz-, mittel- und längerfristigen Maßnahmen zur Bewältigung dieser Probleme vor. Die Kommission wird mit den Mitgliedstaaten, den ukrainischen Behörden, Verkehrsunternehmen, Ausrüstungslieferanten und allen anderen einschlägigen Interessenträgern auf beiden Seiten zusammenarbeiten, um alternative und optimierte Logistikrouten einzurichten: die neuen „Solidaritätskorridore EU-Ukraine“. Diese Korridore werden insbesondere den Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus der Ukraine erleichtern, aber auch unseren bilateralen Warenhandel und den Zugang der Ukraine zu internationalen Märkten und globalen Lieferketten erleichtern, damit sichergestellt wird, dass dringend benötigtes Getreide auf den Weltmarkt gelangt.
2.Engpässe
Derzeit warten Tausende von Waggons auf der ukrainischen Seite der Grenze zu benachbarten Mitgliedstaaten auf ihre Abfertigung. Noch mehr Getreide ist derzeit in Silos gelagert und steht zur Ausfuhr bereit. Derzeit beträgt die durchschnittliche Wartezeit für Güterwaggons 16 Tage, an einigen Grenzübergängen zwischen der EU und der Ukraine bis zu 30 Tage. Auch die Wartezeiten für Lastkraftwagen an den einschlägigen Grenzübergangsstellen sind zu lang. Aufgrund dieser logistischen Hindernisse mussten die ukrainischen Behörden in bestimmte Richtungen die Ausfuhr einschränken.
Die Kommission hat in enger Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten, den Behörden der Ukraine und Industrievertretern aus Verkehr und Landwirtschaft mehrere Faktoren ermittelt, die bei der dringend erforderlichen Umleitung ukrainischer Aus- und Einfuhren zu Engpässen führen können:
-Die Ukraine verwendet eine Spurweite von 1520 mm
(Breitspur), während die EU-Standardspurweite (UIC-Spurweite) 1435 mm beträgt. Dies bedeutet, dass ukrainische Waggons in den meisten EU-Mitgliedstaaten nicht eingesetzt werden können, weshalb Güter von Breitspur-Waggons auf Waggons in der EU-Standardspurweite umgeladen werden müssen. Dieser Güterumschlag muss an Logistikeinrichtungen auf beiden Seiten der Grenze in der Nähe von Grenzübergängen
erfolgen – entweder durch Austausch der Drehgestelle der Waggons oder durch das Umladen von Gütern von Breitspur-Waggons auf Waggons mit EU-Standardspurweite.
-Die derzeitige Umschlagkapazität reicht bei weitem nicht aus und ist nicht auf den Umschlag großer Frachtmengen ausgelegt. Zudem kostet der Umschlag Zeit und erfordert spezielle Maschinen, die an den Umschlagstellen möglicherweise nicht in ausreichend großer Zahl vorhanden sind oder deren Kapazität mit dem plötzlichen Nachfrageanstieg nicht mithalten kann.
-Während die ukrainischen Seehäfen von Russland blockiert werden, können die ukrainischen Binnenhäfen an der Donau auch von bestimmten Seeschiffen angelaufen werden. Derzeit können sie jedoch nur einen relativ geringen Teil des gesamten Ausfuhrbedarfs decken und sind zudem im nördlichen Schwarzmeer einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Die Schienen- und Straßenverbindungen ab Odessa bergen ebenfalls Risiken.
-Der Güterkraftverkehr ist schwierig – die Gründe hierfür sind die fehlende Verfügbarkeit von Fahrzeugen, Beschränkungen der Verkehrsrechte sowie sonstige Vorschriften, die den grenzüberschreitenden Verkehr von Fahrzeugen behindern, administrative Fragen hinsichtlich der Ausstellung und Gültigkeit von Dokumenten und fehlende Lkw-Fahrer sowohl in der Ukraine als auch in der EU. Die Wartezeiten für Lastkraftwagen an den Grenzen überschreiten häufig 12 Stunden.
-Rückmeldungen von Interessenträgern lassen darauf schließen, dass es aufgrund von Grenzkontrollen (Pflanzengesundheits- und Veterinärkontrollen sowie Zollabfertigung) nach wie vor zu unnötigen und kostspieligen Verzögerungen bei der Abfertigung kommt.
3.Ein Aktionsplan für die Solidaritätskorridore zwischen der EU und der Ukraine
Die Europäische Kommission kann zwar die Handelsvereinbarungen zwischen EU-Wirtschaftsbeteiligten und ukrainischen Getreideverkäufern nicht ersetzen, sie kann aber dazu beitragen, die Koordinierung zwischen den Interessenträgern und den zuständigen Behörden zu erleichtern. Das vorhandene Logistikpotenzial muss mit kurzfristigen Maßnahmen ausgeschöpft werden, während mit zusätzlichen mittel- und langfristige Maßnahmen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden sollten, dass die Ukraine nach dem Krieg den Handel wieder aufnehmen und das Land wieder aufbauen kann.
Angesichts der vorübergehenden Seeblockade im nördlichen Schwarzmeer und der eingestellten Zivilluftfahrt in der Ukraine müssen hauptsächlich über den Land- und Binnenschiffsverkehr neue Lieferrouten für ukrainische Aus- und Einfuhren organisiert werden. Die nahe bei der Ukraine liegenden Mitgliedstaaten stellen beträchtliche Ressourcen bereit und bemühen sich darum, reibungslose Ausfuhren aus der Ukraine in die EU und darüber hinaus zu ermöglichen. Die Kommission erkennt die Bemühungen dieser EU-Mitgliedstaaten an vorderster Front an und beabsichtigt, die von ihnen ergriffenen einschlägigen Maßnahmen weiterhin zu unterstützen.
Jetzt kommt es darauf an, die vorhandene Infrastruktur und Ausrüstung zu mobilisieren und bestmöglich zu nutzen, die Kapazitäten so weit wie möglich auszubauen und die Anzahl der Routen zu erhöhen und zu diversifizieren, die für die Aufrechterhaltung des Handels genutzt werden können. Auch Investitionen in neue Infrastrukturen und Ausrüstungen sowie die Modernisierung bestehender Infrastrukturen sind notwendig, erfordern jedoch häufig mittel- und langfristige Zeithorizonte.
Kurzfristige Maßnahmen
3.1Zusätzliche Güterwaggons, Schiffe und Lastkraftwagen
Benötigt wird eine große Anzahl von Waggons mit EU-Standardspurweite, um der anhaltenden Nachfrage in der Logistikkette bis zu den relevanten Exportmärkten gerecht zu werden. Dies könnte teilweise durch eine möglichst effiziente Nutzung der Fahrzeuge (z. B. durch Minimierung der Fahrzeit sowie der Lade-/Entladezeit in Umschlagzentren und in Häfen) erreicht werden, doch ein erheblicher Engpass bleibt natürlich nach wie vor die unzureichende Verfügbarkeit von Waggons mit EU-Standardspurweite.
Dringend benötigt werden Getreide-Kippwagen und intermodale Waggons sowie Container und Tankcontainer (für Flüssigkeiten, z. B. Sonnenblumenöl). Für den Verkehr auf der Donau sind mehr Lastkähne und Küstenmotorschiffe erforderlich. Die größere Verfügbarkeit intermodaler Güterwaggons in der EU ermöglicht einen relativ schnellen Ausbau des Einsatzes (mobiler) Containerkräne an Grenzübergängen. Daher ist es dringend erforderlich, die Option einer verstärkten Verwendung von Containern für den Transport von Getreide sowie deren Verfügbarkeit sowohl in der Ukraine als auch in der EU zu prüfen.
Um einen Überblick über die Nachfrage nach und das Angebot an Fahrzeugen, Lastkähnen/Küstenmotorschiffen und anderen in Frage kommenden Fahrzeugen und Ausrüstungen zu bekommen, wird die Kommission eine Plattform einrichten, mit der sich Nachfrage und Angebot abgleichen lassen („Matchmaking-Plattform“). Auf Seiten der Ukraine sind die Ministerien, die Zollbehörden und der neu eingerichtete Koordinierungsrat für Logistik in der Landwirtschaft sowie die ukrainischen Akteure am besten in der Lage, die Nachfrage nach Verkehrsdienstleistungen einzuschätzen. In der EU wird neben der Einbeziehung der einschlägigen Interessenträger der Branche (z. B. Transportunternehmen, Umschlagunternehmen, Schienengüterverkehrskorridore, Häfen) jeder Mitgliedstaat aufgefordert, eine eigens für die Solidaritätskorridore eingerichtete Kontaktstelle (einzige Anlaufstelle) zu benennen, die mit den nationalen Akteuren der Logistikkette zusammenarbeitet und eine rasche Lösung aller logistischen Probleme, die sich im Zusammenhang mit Fragen in der Zuständigkeit ihrer jeweiligen Behörden ergeben, sicherstellen soll. Die Kommission wird die Einrichtung der Plattform leiten und zwischen den verschiedenen Akteuren vermitteln, um die Organisation der Transportabwicklung erheblich zu verbessern. Die Beratungsmission der EU in der Ukraine (EUAM Ukraine) wird die ukrainischen Behörden weiterhin beraten.
Aktionen:
1) Die Kommission fordert die Marktteilnehmer in der EU auf, dringend die erforderlichen Ausrüstungen, Fahrzeuge, Lastkähne und Schiffe zur Verfügung zu stellen. Die einschlägigen Industrieverbände sollten unverzüglich ihre Mitglieder in dieser Hinsicht mobilisieren.
2) Die Kommission wird eng mit den Mitgliedstaaten, den ukrainischen Behörden und den Interessenträgern der Industrie zusammenarbeiten, um eine Matchmaking-Plattform einzurichten, mit der sich der Austausch zwischen den Akteuren der Logistikkette erleichtern und damit der Frachtfluss optimieren lassen.
3) Die Kommission fordert jeden Mitgliedstaat auf, eine eigens für die Solidaritätskorridore eingerichtete Kontaktstelle zu benennen, bei der Interessenträger Probleme entlang der Logistikkette melden könnten.
3.2Kapazität der Verkehrsnetze und Umschlagterminals
Angesichts der in mehreren Mitgliedstaaten vielfach überlasteten Güterverkehrsstrecken kommt es mit Blick auf die großen Gütermengen, die zusätzlich abgefertigt werden müssen, auf die Planung und effektive Nutzung der Schienenverkehrsinfrastruktur an. Während ukrainische Händler derzeit das Hauptaugenmerk ihrer Anstrengungen auf Lieferungen über Rumänien und Polen richten, sollte die Nutzung alternativer Frachtstrecken, Umschlag- und Containerkapazitäten sowie der Kapazitäten von Seehäfen in anderen Mitgliedstaaten mit möglicherweise freien Kapazitäten, wie z. B. in den baltischen Staaten oder in Bulgarien, aktiv ins Auge gefasst werden.
Angesichts der Dringlichkeit ist es auch gerechtfertigt, dass für den Export eingesetzten ukrainischen Güterzügen im europäischen Verkehrsnetz vorübergehend Vorrang eingeräumt wird. Dies kann nur funktionieren, wenn von den Umschlagzentren zu EU-Häfen ausreichend Zugtrassen zur Verfügung gestellt werden.
Die derzeitige Umschlagkapazität (u. a. durch den Austausch von Rädern oder Drehgestellen von Eisenbahnwaggons) ist bei weitem unzureichend und nicht für den Umschlag großer Frachtmengen geeignet. Der Umschlag ist zeitaufwändig und erfordert spezielle Maschinen, die an den Umschlagstellen nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind. Mobile Getreideladegeräte können den Umschlag erheblich beschleunigen, doch werden diese Geräte in der EU kaum hergestellt. Daher sollte die Möglichkeit geprüft werden, vorhandene Geräte – z. B. durch befristete Mietverträge – an die Grenzterminals zwischen der EU und der Ukraine zu überstellen.
Das Beladen von EU-Standardwaggons kann auf beiden Seiten der Grenze erfolgen, da die verschiedenen Spurweiten an einigen Punkten (bis zu 60 km) in das ukrainische Hoheitsgebiet hineinreichen und umgekehrt. Die Eigentümer der Waggons in der EU waren jedoch bisher zögerlich, ihre Fahrzeuge in die Ukraine einreisen zu lassen. Die Ukraine hat ein Regierungsdekret erlassen, um die Kosten der Schäden durch verloren gegangene Waggons und Lastkähne finanziell zu decken. Allerdings könnten zusätzliche Garantien erforderlich sein, um sicherzustellen, dass EU-Wirtschaftsteilnehmer ermutigt werden, den Betrieb ihrer Fahrzeuge aufrechtzuerhalten. Zu prüfen ist, ob ein von der EU in Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten (z. B. den nationalen Exportkreditagenturen) oder ein von internationalen Finanzinstitutionen einzurichtendes zusätzliches Instrument erforderlich wäre, um weitere Garantien für die Nutzung der Umschlagkapazitäten auf beiden Seiten der Grenze anbieten zu können.
Andere Optionen – wie der Transport auf der Straße – sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden. Dazu müssen einige aktuell geltende Beschränkungen im Zusammenhang mit Transitgenehmigungen, Fahrtenschreiberkarten, Führerscheinen, Befähigungsnachweisen oder anderen Vorschriften, die dem Einsatz ukrainischer Lastkraftwagen und Fahrer in der EU im Wege stehen, überdacht werden. Zudem sollten angemessene Vereinfachungen, auch Garantien, in Betracht gezogen werden, um den Einsatz von EU-Lastkraftwagen in der Ukraine zu erleichtern. Am 6. April 2022 hat die Kommission eine Empfehlung an den Rat zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen über den Straßengüterverkehr mit der Ukraine angenommen, das über seine ursprüngliche Laufzeit hinaus so lange gelten könnte, wie der militärische Angriff Russlands gegen die Ukraine schwerwiegende Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur und den Verkehrsbetrieb hat. Ziel der Empfehlung ist es, Verkehrsunternehmen aus der EU und der Ukraine bestimmte Zugangsrechte in Bezug auf den Transit und bilaterale Beförderungen zwischen den jeweiligen Gebieten zu gewähren.
Aktionen:
4) Die Kommission fordert eine Priorisierung der ukrainischen Agrarexporte über Güterverkehrskorridore, in denen die bestverfügbaren Kapazitäten eingesetzt werden. Zur Identifizierung, wo solche Kapazitäten vorhanden sind, sollte auf die im Rahmen von Aktion 2 eingerichtete Matchmaking-Plattform zurückgegriffen werden, die kontinuierlich bereitsteht.
5) Die Kommission fordert die Infrastrukturbetreiber auf, die erforderlichen Bahntrassen zwischen Umschlagzentren und EU-Häfen zur Verfügung zu stellen.
6) Die Kommission wird über die Matchmaking-Plattform mit den Mitgliedstaaten und der Industrie zusammenarbeiten, um die wichtigsten Umschlagzentren bzw. Zentren zur Änderung der Spurweite an den Grenzen zwischen der EU und der Ukraine und darüber hinaus zu ermitteln, und um die optimalen Umschlagmengen für Massengut- und Containertransporte auf Tagesbasis festzulegen.
7) Die Kommission fordert die Marktteilnehmer auf, dringend mobile Getreideladegeräte herzustellen und/oder solche Geräte an die entsprechenden Umschlagorte auszuleihen bzw. zu verkaufen. Die Kommission wird die Ermittlung bestehender Verfügbarkeiten und die Vernetzung interessierter Behörden und Unternehmen mit den Herstellern solcher Maschinen über die Matchmaking-Plattform unterstützen.
8) Mit Hilfe der Matchmaking-Plattform wird die Kommission eine an EU-Häfen gerichtete Aufforderung zur Interessenbekundung veröffentlichen, um festzustellen, welche Häfen für Anlieferungen über Schiene und Straße in Frage kommen und um zu prüfen, wie diesen Transporten in den Häfen Vorrang eingeräumt werden kann.
9) Die Kommission wird weiter prüfen, ob zusätzliche Garantien erforderlich sind, und in Erwägung ziehen, mit den nationalen Exportkreditagenturen der EU-Mitgliedstaaten, internationalen Finanzinstitutionen (z. B. Weltbank/EIB/EBWE) und anderen Geldgebern zusammenzuarbeiten, damit zusätzliche Garantien zur Unterstützung von Schienengüterverkehrs- und Binnenschifffahrtsunternehmen sowie von Waggon- und Lkw-Eignern bereitgestellt werden.
10) Die Kommission wird bestrebt sein, rasch ein Abkommen über den Straßengüterverkehr mit der Ukraine zu schließen, sobald der Rat das Mandat erteilt hat.
11) Die Kommission wird die Entwicklungen bei der Ausgabe von Fahrtenschreiberkarten überwachen und kann zusätzliche Leitlinien ausarbeiten, die online zur Verfügung gestellt werden. Das Netz der nationalen Verkehrskontaktstellen wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Kommission beabsichtigt ferner, vor dem Hintergrund der Invasion der Ukraine durch Russland einen Legislativvorschlag für eine Verordnung zur Festlegung konkreter und vorübergehender Maßnahmen in Bezug auf Fahrerdokumente anzunehmen.
3.3Zollabfertigung und sonstige Kontrollen
Auch wenn wir die Logistik erleichtern wollen, müssen alle Sendungen immer noch Zollverfahren durchlaufen, die langwierig sind und bis zur Zollfreigabe mehrere Tage dauern können. Daher erscheint es dringend notwendig, festzulegen, welche Zollverfahren nicht wesentlich sind und vereinfacht werden könnten, und zu prüfen, wo zusätzliche Kapazitäten erforderlich wären.
In den EU-Rechtsvorschriften ist weder für die Einfuhr von Getreide in die EU noch für den Transit von Getreide durch die EU eine Veterinär- oder Pflanzengesundheitsbescheinigung vorgeschrieben. Im Rahmen eines nationalen Kontrollprogramms können die Mitgliedstaaten Proben entnehmen, um die Einhaltung der EU-Anforderungen sowohl bei der Einfuhr als auch auf dem nationalen Markt zu überprüfen. Diese Kontrollen müssen jedoch risikoabhängig, verhältnismäßig und nichtdiskriminierend sein. Derzeit können solche Kontrollen leider mehrere Tage in Anspruch nehmen und sich von einem Grenzübergang zum anderen und von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. Verspätungen behindern nicht nur eine zügige Abfertigung, sondern bringen auch zusätzliche Kosten für Händler und Verkehrsunternehmen mit sich.
Darüber hinaus sind nicht alle Grenzübergangsstellen rund um die Uhr mit dem Personal besetzt, das für die Abfertigung der eingehenden Waggons benötigt wird. Die Verfahren ließen sich durch eine Aufstockung der Kapazitäten für die Kontroll- und Inspektionsverfahren und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei deren Anwendung bzw. Nichtanwendung durch ein besseres Verständnis der geltenden Vorschriften deutlich beschleunigen. Also kommt es auch darauf an, dass die Mitgliedstaaten für eine angemessene Personalausstattung sorgen, sodass alle einschlägigen Grenzübergangsstellen rund um die Uhr besetzt sind und so alle bestehenden Kontrollen beschleunigt werden können. Auch sollten Kontrollen und Inspektionen an anderen Orten als der Grenze (z. B. in Seehäfen oder am Bestimmungsort) durchgeführt werden.
Der gleiche Ansatz ist in Häfen zu verfolgen, in denen Verwaltungs-, Grenz- und Zollkontrollen oder Zollabfertigungen zügig durchgeführt werden sollten, um den Umlauf der Fahrzeuge im Hafengebiet möglichst kurz zu halten.
Die Kommission spricht sich für eine weitere Vereinfachung der Verfahren für die Ausstellung der erforderlichen Ausfuhrbescheinigungen in der Ukraine aus. Eine Straffung dieser Verfahren würde dazu beitragen, dass weniger Verzögerungen beim Transport von Getreide aus der Ukraine auflaufen.
Die Beratende Mission der EU in der Ukraine (EUAM Ukraine) und die Mission der EU zur Unterstützung des Grenzschutzes in der Republik Moldau und in der Ukraine (EUBAM) können im Einklang mit ihren jeweiligen Mandaten die ukrainischen Grenz- und Zollbehörden unterstützen, um die Einfuhr von Waren in die EU zu erleichtern.
In ihren Leitlinien für das Außengrenzenmanagement zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Grenzen zwischen der EU und der Ukraine empfahl die Kommission ferner, für den Fall, dass die Einrichtung einer Grenzübergangsstelle dies zulässt und eine ausreichende Anzahl von Grenz- und Zollbeamten von den Mitgliedstaaten entsandt werden kann, die Benennung von „Nothilfekorridoren“ für Lastkraftwagen zu fördern, um die kontinuierliche Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten.
12) Die Kommission wird unter Einbeziehung der nationalen Behörden und der Matchmaking-Plattform Engpässe ermitteln, die durch EU- oder nationale Zertifizierungsverfahren oder sonstige Verfahren verursacht werden, und die Zollbehörden der Mitgliedstaaten auffordern, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise die Verlagerung von Kontrollen weg von der Grenze.
13) Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, risikoabhängige und die Verhältnismäßigkeit wahrende Kontrollen und Probenahmen durchzuführen. Sie ersucht die Mitgliedstaaten, größtmögliche Flexibilität anzuwenden oder sogar nicht wesentliche Anforderungen, die sich aus nationalen Rechtsvorschriften ergeben, vorübergehend aufzuheben und Verwaltungsverfahren zu erleichtern, um den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten.
14) Die Mitgliedstaaten sollten an den Grenzen für eine angemessene Kapazität und Präsenz von Grenzkontrollen, Zollbeamten sowie Pflanzenschutz- und Veterinärinspektoren sorgen, um die Kontrollverfahren zu beschleunigen.
15) Die Kommission wird regelmäßige Sitzungen einberufen, um aufkommende Fragen zu erörtern und für einen koordinierten Ansatz zwischen den Mitgliedstaaten zu sorgen. Außerdem sollten regelmäßige Treffen mit den ukrainischen Behörden stattfinden, um die Lage weiterzuverfolgen und etwaige Engpässe zu beseitigen. Die Kommission wird zudem Sitzungen mit der Industrie einberufen, um sicherzustellen, dass keine amtlichen Bescheinigungen beantragt werden müssen, wenn dies von den zuständigen Behörden am Bestimmungsort nicht verlangt wird.
3.4Lagerung von Waren im Gebiet der EU
Oberste Priorität ist zwar der Transport der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu den Seehäfen, doch sollte dies nicht die Nutzung der in der EU verfügbaren Lagerkapazitäten ausschließen, um so auf ukrainischer Seite freie Kapazitäten zu schaffen. Dadurch könnte ein Puffer geschaffen werden – vorzugsweise in der Nähe von Grenzübergängen und Bahnhöfen entlang der in der EU verfügbaren Breitspurstrecken sowie in den Seehäfen der EU – und Fahrzeuge könnten effizienter eingesetzt werden. Hierzu ist eine Kartierung der Speicherkapazität erforderlich. Eine solche Bewertung der Lagerkapazität in EU-Häfen wäre nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig (für die Ernte Sommer-Herbst 2022) sinnvoll, da eine bestimmte Anzahl von Einrichtungen zur Lagerung von Getreide in der Ukraine möglicherweise nicht zugänglich oder sogar zerstört ist.
Aktion:
16) Die Kommission wird die in der EU verfügbaren Lagerkapazitäten bewerten und sich mit den Mitgliedstaaten abstimmen, um mehr Kapazitäten für die vorübergehende Lagerung ukrainischer Ausfuhren zu sichern.
Mittel- und langfristige Maßnahmen
3.5Erhöhung der Infrastrukturkapazität in den neuen Exportkorridoren
Abgesehen von der Dringlichkeit, alternative Routen zu finden, um das kritische Problem der Getreideausfuhren zu bewältigen, sollten so bald wie möglich mittelfristige Maßnahmen ergriffen werden, um die Infrastruktur (z. B. Güterumschlag und multimodale Terminals sowie die erforderliche Schienen-Straßen-Anbindung in den betreffenden Häfen) in der EU und im Hoheitsgebiet der Ukraine und der Republik Moldau zu verbessern und die Anbindung an die EU auszubauen.
Die Kommission wird die derzeitigen Lücken weiterhin bewerten und zusätzliche Engpässe ermitteln. So sind beispielsweise einige Grenzübergangsstellen mit Doppelspurweite seit langem nicht in Betrieb, oder die Kapazität wurde in den letzten Jahren heruntergefahren. Eine Ausweitung des Betriebs würde jedoch eine dringende Sanierung dieser Strecken auf dem Gebiet der EU erfordern. Die aus dem Kohäsionsfonds und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (im Rahmen der Interreg-Programme) finanzierten Programme für den Zeitraum 2021-2027 könnten in Verbindung mit den Finanzierungsinstrumenten für das auswärtige Handeln der Union durch geeignete Vergabeverfahren zu den damit verbundenen Arbeiten beitragen. Eine weitere Priorität ist die Steigerung der Kapazität der vorhandenen Einrichtungen zur Änderung der Spurweite für Waggons sowie der Verkehrsinfrastruktur an Grenzübergängen, die ebenfalls durch die vorstehend genannten Instrumente unterstützt werden kann.
Aktion:
17) Die Kommission wird Leitlinien zu den verfügbaren Finanzmitteln und zu den am besten geeigneten Vergabeverfahren zur Verfügung stellen, um den (Wieder-)Aufbau oder die Stärkung von Infrastrukturen zu unterstützen, bei denen sich durch ein schnelles Tätigwerden rasch Ergebnisse vorweisen lassen.
3.6Neue Infrastrukturverbindungen
Im Rahmen des Wiederaufbaus der Ukraine müssen neue Infrastrukturverbindungen geschaffen werden, die weit über das hinausgehen, was bisher im Rahmen des Wirtschafts- und Investitionsplans für die Ukraine vorgesehen war. Die Bewertung des künftigen Bedarfs sollte sich auf Folgendes konzentrieren:
·Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindungen (Straße-Straße, Straße-Schiene und Schiene-Schiene) zwischen der EU und der Ukraine sowie Optimierung und Modernisierung der Verkehrsströme in Bezug auf Infrastrukturkapazität, Interoperabilität und Effizienz der Grenzübergangsdienste, einschließlich der Wiedereröffnung zusätzlicher Grenzübergangsstellen. Die erforderlichen Investitionen können durch die Fazilität „Connecting Europe“ (CEF) unterstützt werden.
·Entwicklung neuer Kernnetzkorridore des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V), die die EU mit der Ukraine und der Republik Moldau verbinden;
·Verbesserung der Anbindung und Schiffbarkeit des Rhein-Donau-Korridors zur Gewährleistung eines effizienteren Verkehrs durch eine verstärkte Koordinierung zwischen Häfen und Flussbehörden in der EU, der Ukraine und der Republik Moldau.
Mit Hilfe der Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ können Projekte zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen der EU und der Ukraine unterstützt werden. Finanzierungsmöglichkeiten bestehen insbesondere bei Eisenbahnverbindungen, Schiene-Straße- und Schiene-Schiene-Terminals (einschließlich solcher zur Änderung der Spurweite) und Projekten zur Erleichterung des Verkehrsflusses in den Grenzkontrollgebieten an den Außengrenzen der Union. Auch Projekte zur Verbesserung der Schiffbarkeit auf der Donau können über die Fazilität „Connecting Europe“ unterstützt werden. Projekte mit doppeltem Verwendungszweck für Straßen und Flughäfen sind auch im Rahmen der spezifischen CEF-Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für die „Militärische Mobilität“ förderfähig. Neben der Fazilität „Connecting Europe“ wird derzeit eine Bewertung der sonstigen EU-Finanzierungsfazilitäten durchgeführt, die zur Deckung des Bedarfs mobilisiert werden könnten. In diesem Zusammenhang wird derzeit geprüft, ob bestimmte Grenzübergangsstellen auf ukrainischem Hoheitsgebiet an der EU-Grenze (z. B. zwei an der Grenze zu Rumänien und eine an der Grenze zur Slowakei) mit EU-Mitteln mit dem Ziel der Kapazitätssteigerung und der Frachtabfertigung modernisiert und ausgebaut werden können. In Zukunft könnten weitere Grenzübergangsstellen ins Auge gefasst werden.
Aktionen
18) Im Rahmen der laufenden Überarbeitung des TEN-V wird die Kommission die Ausweitung der TEN-V-Korridore in die Ukraine prüfen, um durch den Ausbau von Schienenstrecken in der EU-Standardspurweite in der Ukraine und in Moldau eine bessere Anbindung an die EU zu ermöglichen.
19) Um den Weg zu ebnen, wird die Kommission schnellstmöglich einen Beschluss annehmen, um nach Ermächtigung durch den Rat ein Abkommen auf hoher Ebene mit der Ukraine über die Überarbeitung der TEN-V-Karten zu schließen.
20) Mit einer CEF-Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen lässt sich die Unterstützung vor allem auf Projekte lenken, deren Ziel es ist, die Interoperabilität und Konnektivität der Verkehrsnetze der Union mit der Ukraine zu verbessern.
4.Schlussfolgerungen
Angesichts des hohen Maßes an Unsicherheit und Instabilität, die so lange bestehen werden, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine anhält, werden Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Resilienz unerlässlich sein, um die Transportrouten und Lieferketten zwischen der EU und der Ukraine funktionsfähig zu halten.
Kurzfristig ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Ukraine weiterhin vollständig in die globalen Lieferketten und die Agrarmärkte integriert bleibt.
Zur Bewältigung der zunehmenden weltweiten Ernährungsunsicherheit infolge der Invasion der Ukraine durch Russland und ihrer verheerenden Folgen, kommt es darauf an, mehr landwirtschaftliche Erzeugnisse auf den Weltmarkt zu bringen. Um die bisher über ukrainische Seehäfen verbrachten Mengen so weit wie möglich aufzufangen, muss die Kapazität aller Verkehrsträger maximal ausgelastet werden.
Die Einrichtung von Solidaritätskorridoren zwischen der EU und der Ukraine sowie die weiteren oben beschriebenen Maßnahmen zielen darauf ab, diese Notphase für ukrainische Ausfuhren zu überbrücken, werden aber auch eine wichtige Rolle spielen, um den Bedarf der Ukraine an der Einfuhr wesentlicher Güter zu decken. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen wird die Kommission mit den Mitgliedstaaten, den ukrainischen Behörden, Verkehrsunternehmen aus der EU und der Ukraine, Infrastrukturbetreibern, Eigentümern von Waggons, Schiffen und Fahrzeugen, internationalen Finanzinstitutionen und sonstigen einschlägigen Interessenträgern in der gesamten Region zusammenarbeiten.