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Document 52002DC0002

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Eine Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung gemäß Artikel 16 Buchstabe b) der Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen [SEC(2002) 50]

/* KOM/2002/0002 endg. */

52002DC0002

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Eine Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung gemäß Artikel 16 Buchstabe b) der Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen [SEC(2002) 50] /* KOM/2002/0002 endg. */


BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT - Eine Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung gemäß Artikel 16 Buchstabe b) der Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen [SEC(2002) 50]

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT - Eine Evaluierung der Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung gemäß Artikel 16 Buchstabe b) der Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen

(Text von Bedeutung für den EWR)

INHALTSVERZEICHNIS

ZUSAMMENFASSUNG

EINLEITUNG

1. Biotechnologie und Genomik

1.1. Biotechnologie und Genomik - Grenztechnologie des dritten Jahrtausends

1.2. Förderung von Wissen und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie

1.3. Gentechnologische Grundlagenforschung: Statistik über Patente und wissenschaftliche Veröffentlichungen

2. Wissenschaftliche Publikationen und Patente

2.1. Strategien zum Umgang mit geistigem Eigentum: veröffentlichen - patentieren - geheim halten

2.2. Erfindungsschutz und Wissensverbreitung - die beiden Ziele des Patentsystems

2.3. Die Bedeutung von Patenten für die Vermarktung öffentlich finanzierter Forschung

2.4. Konflikte zwischen "Veröffentlichungs-" und "Patentierungs-" Strategie

2.5. Verzögert Patentierung die wissenschaftliche Veröffentlichung-

3. Patentierung und Verzögerung wissenschaftlicher Publikationen - Ergebnisse einer Erhebung

3.1. Fragebogenerhebung - Zielgruppen und Antworten

3.2. Statistische Auswertung der Fragebögen

3.2.1. Verzögerungen bei der Veröffentlichung über patentfähige Gegenstände

3.2.2. Maßnahmen zur Verhinderung von Verzögerungen

3.2.3. Weitere Ergebnisse

3.2.4. Zusammenfassung der Kommentare von Teilnehmern

4. Massnahmen zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Veröffentlichung

4.1. Neuheitsschonfrist

4.1.1. Vor- und Nachteile der Neuheitsschonfrist - Ergebnisse einer EU-Anhörung

4.1.2. Experten pro und kontra Neuheitsschonfrist

4.1.3. Die Arbeit im Rahmen der WIPO (World Intellectual Property Organisation)

4.2. Provisorische Patentanmeldung

4.3. Unterstützung und Sensibilisierung der Forscher im öffentlichen Sektor

4.4. Rechtlicher Rahmen, Vorschriften und andere Maßnahmen für geistige Eigentumsrechte

5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

ZUSAMMENFASSUNG

Der vorliegende Bericht wird nach Maßgabe des Artikel 16 Buchstabe b) der Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vorgelegt. Danach übermittelt die Kommission "innerhalb von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einen Bericht, in dem die Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung evaluiert werden".

Der Europäische Rat von Stockholm hat die Biotechnologie und insbesondere die Gentechnik als neue Grenztechnologie bezeichnet. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Biotechnologie in den OECD-Staaten mehr als verdoppelt. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Biotechnologiepatente beim US-amerikanischen Patentamt United States Patent and Trademark Office und beim Europäischen Patentamt durchschnittlich um 13-15 % pro Jahr gestiegen, während es bei den Patenten insgesamt nur 5 % im Jahresdurchschnitt waren.

Forschungsinstitute, Hochschulen und kleine Biotech-Unternehmen, die den größten Beitrag zur Innovation in den Life Sciences liefern, würden sicherlich gerne Patente anmelden. Andererseits wollen sie aber ihre Forschungsergebnisse so schnell wie möglich in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und/oder bei Investoren vorstellen. Der Konflikt zwischen "Schutzstrategie" und "Veröffentlichungsstrategie" kann die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse verzögern und eine rasche Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse behindern und dadurch den wissenschaftlichen Fortschritt bremsen. Andererseits sorgt das Patentsystem für die Veröffentlichung von Ergebnissen, die sonst vielleicht geheim gehalten würden.

Eine Erhebung unter Forschern und Institutionen in Industrie und Wissenschaft sowie Personen, die mit dem Schutz geistiger Eigentumsrechte zu tun haben (Patentanwälte), wurde durchgeführt, um die Problematik der Verzögerung von Veröffentlichungen zu untersuchen. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse:

* Nur ein kleiner Anteil der Wissenschaftler und Organisationen stellt zur Zeit erhebliche Verzögerungen bei der Veröffentlichung von patentfähigen Forschungsergebnissen fest. Am niedrigsten ist der Anteil unter besonders Patenterfahrenen (10 %) und am höchsten unter denjenigen, die nur wenig Erfahrung mit dem Patentsystem haben (40 %).

* Der öffentliche Forschungssektor befürwortet nachdrücklich die Einführung einer Neuheitsschonfrist, während große Unternehmen dagegen sind. In kleinen und mittleren Unternehmen finden sich beide Positionen. Patentanwälte nehmen keine eindeutige Position ein, was die Unterschiedlichkeit ihrer Klienten widerspiegelt.

* Die Möglichkeit einer provisorischen Patentanmeldung wird sowohl bei der Industrie als auch im Wissenschaftssektor besonders hoch eingeschätzt, während sie bei Patentanwälten aus verständlichen Gründen geringe Priorität hat. Forscher aus dem Wissenschaftssektor halten Beratung und Unterstützung bei Patentanmeldungen für wichtig, während Industrie und Patentanwälte für Maßnahmen zur Sensibilisierung plädieren.

Die Erhebung bestätigt die Positionen von Wissenschaft und Industrie gegenüber der möglichen Einführung einer Neuheitsschonfrist, die schon auf der von der Europäischen Kommission durchgeführten Anhörung zur Neuheitsschonfrist im Oktober 1998 vorgebracht wurden und die sich auch in den jüngst veröffentlichten Stellungnahmen von Experten auf der Webseite des Europäischen Patentamtes (EPA) niederschlagen.

Obwohl eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt wurde, liegen keine genauen Zahlen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung einer Neuheitsschonfrist für die Industrie oder ihre praktische Bedeutung für den Wissenschaftssektor vor. In einigen Mitgliedstaaten der WIPO wurden verschiedene Konzepte einer "Neuheitsschonfrist" entwickelt (USA, Japan), die sehr genau auf ihre Ausgewogenheit zwischen den Interessen von Wissenschaft und Industrie hin untersucht werden sollten. Das amerikanische Konzept einer "Neuheitsschonfrist" in Verbindung mit dem "Ersterfindersystem" bewirkt ein Hoechstmaß an Rechtsunsicherheit und sollte nicht als Beispiel für die "beste Praxis" herangezogen werden. In Anbetracht der wachsenden Internationalisierung der Forschung sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor und ihrer Bedeutung für die Innovation sowie der Tatsache, dass der öffentliche Forschungssektor das Patentsystem inzwischen sehr viel mehr und mit größerer Erfahrung nutzt, sollte eine Definition und Harmonisierung des Konzepts der "Neuheitsschonfrist" angestrebt werden. Das Konzept wird auf globaler Ebene nur dann funktionieren, wenn es die Rechtssicherheit bietet, die das Hauptanliegen der Industrie ist. Das muss vom Ständigen Ausschuss für Patentrecht (SCP) der WIPO in den laufenden Beratungen über die mögliche Einführung einer Neuheitsschonfrist berücksichtigt werden.

Die Rahmenbedingungen müssen weiter optimiert werden, um Wissenschaftlern sowie kleinen und mittleren Unternehmen die Nutzung des Patentsystems zu erleichtern. Dazu gehört unter anderem:

* die Einführung einer provisorischen Patentanmeldung in allen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 Patentrechtsvertrag, der am 2. Juni 2000 in Genf verabschiedet wurde;

* Unterstützung und Beratung für Wissenschaftler und KMU über die richtige Anwendung des Patentsystems und die strategische Verwertung der geistigen Eigentumsrechte sowie die entsprechende Wissensvermittlung;

* ein einfaches und kostengünstiges Patentsystem, wie es durch das vorgeschlagene Gemeinschaftspatent gewährleistet wird.

EINLEITUNG

Die Richtlinie Nr. 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen [1] wurde am 6. Juli 1998 vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen. Gemäß Artikel 16 Buchstabe b) übermittelt die Kommission "innerhalb von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einen Bericht, in dem die Auswirkungen des Unterbleibens oder der Verzögerung von Veröffentlichungen, deren Gegenstand patentfähig sein könnte, auf die gentechnologische Grundlagenforschung evaluiert werden".

[1] ABl. L213 vom 30.7.98.

Dieser Bericht wurde von der Generaldirektion Binnenmarkt und der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission in Abstimmung mit anderen zuständigen Dienststellen der Kommission gemeinsam erarbeitet.

Der Bericht befasst sich mit folgenden Fragen:

* Gibt es Verzögerungen bei der wissenschaftlichen Veröffentlichung gentechnischer Forschungsergebnisse über Gegenstände, die patentfähig sein könnten-

* Wie können sich solche erheblichen Verzögerungen auf die gentechnologische Grundlagenforschung auswirken-

* Welche Maßnahmen, insbesondere politische Initiativen auf Gemeinschaftsebene oder in den Mitgliedstaaten, bieten sich gegen möglicherweise erhebliche negative Auswirkungen an-

Die Biotechnologie und vor allem die Genomik gilt als Grenztechnologie der wissensbasierten Gesellschaft mit einem enormen Potential für die Bereiche Gesundheit, Ernährung und Umwelt. Abschnitt 1 enthält Daten zur wachsenden Zahl von Patentanmeldungen und Veröffentlichungen in der EU und vergleicht sie mit entsprechenden Zahlen aus den USA. In Abschnitt 2 geht es um die Bedeutung von Patenten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen für Forschung und Innovation. Abschnitt 3 enthält Ergebnisse einer in der EU durchgeführten Fragebogenerhebung zur Patentierung und zur Verzögerung von Veröffentlichungen. Befragt wurden Forscher und Institutionen aus Industrie und Wissenschaft, die in der gentechnischen Grundlagenforschung arbeiten, sowie eine Reihe industrieller, privater und wissenschaftlicher Einrichtungen, die mit der Patentierung der Ergebnisse solcher Forschung zu tun haben. In Abschnitt 4 ist die laufende Diskussion über Vor- und Nachteile einer Neuheitsschonfrist zusammengefasst, und es werden Alternativen und mögliche politische Maßnahmen zur Vermeidung und/oder Minimierung von Verzögerungen bei der Veröffentlichung patentfähiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse diskutiert.

1. Biotechnologie und Genomik

1.1. Biotechnologie und Genomik - Grenztechnologie des dritten Jahrtausends

In den letzten Jahrzehnten haben die Erkenntnisse des Menschen auf dem Gebiet der Biologie, der Molekularstruktur, des genetischen Kodes und der Ökologie aller Lebewesen grundlegende Fortschritte gemacht. Das neue Wissen der Life Sciences hat eine Reihe technischer Innovationen angeregt, die sich unter dem Oberbegriff Biotechnologie zusammenfassen lassen. Dazu gehören Verfahren wie die Gentechnik, Klonen, Biokatalyse, Gentests, Gentherapie und monoklonale Antikörper, mit denen auf viele Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Umwelt reagiert werden kann. Beispiele sind neue Arzneimittel für die Behandlung bisher unheilbarer Krankheiten und erneuerbare Energiequellen wie die Biomassefermentation ("Biotreibstoff").

Der Europäische Rat von Stockholm [2] hat die Biotechnologie als Grenztechnologie bezeichnet. Forschung, unternehmerische Initiative und ein rechtlicher Rahmen, der die Innovation fördert, werden als die wichtigsten Faktoren genannt, die es Unternehmen in der EU ermöglichen, diese neuen Technologien zu integrieren und ihr Potenzial voll auszuschöpfen.

[2] Europäischer Rat von Stockholm, 23./24. März 2001; Schlussfolgerungen der Präsidentschaft unter http://ue.eu.int/en/Info/eurocouncil/index.htm

1.2. Förderung von Wissen und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie

Die Wissensgrundlage in der Biotechnologie, die sich in schnellem Tempo entwickelt, ist durch starke wissenschaftliche Rivalität und harten industriellen Wettbewerb auf globaler Ebene gekennzeichnet. So hat sich etwa die Geschwindigkeit der Genomsequenzierung Jahr für Jahr verdoppelt bei gleichzeitig rückläufigen Kosten. Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt in der Gentechnik hängt weitgehend von der schnellen Verbreitung wissenschaftlicher Daten und dem einfachen Zugriff auf diese Daten ab. Das gilt insbesondere für die rohen Genomdaten. Darauf haben unter anderen der britische Premierminister Blair und der (damalige) amerikanische Präsident Clinton in einer Stellungnahme vom 14. März 2000 hingewiesen:

"Um das Potential der (Humangenom-)Forschung voll auszuschöpfen, müssen die rohen Basisdaten zum Humangenom Wissenschaftlern überall uneingeschränkt zugänglich gemacht werden. Durch den ungehinderten Zugang zu diesen Informationen werden Entdeckungen möglich gemacht, die Krankheiten zurückdrängen, die Gesundheit weltweit verbessern und die Lebensqualität der gesamten Menschheit anheben können."

Weiter stellen Blair und Clinton fest, dass "der Schutz des geistigen Eigentums an genbasierten Erfindungen auch einen wichtigen Beitrag zur weiteren Entwicklung wichtiger neuer Gesundheitsprodukte leisten wird". Die rasche Verbreitung neuer Erkenntnisse durch wissenschaftliche Publikationen bei gleichzeitigem starken und wirksamen Schutz der geistigen Eigentumsrechte zur Förderung der Entwicklung neuer Technologien und Produkte ist somit ein ganz wichtiges Thema.

1.3. Gentechnologische Grundlagenforschung: Statistik über Patente und wissenschaftliche Veröffentlichungen

Die wachsende Bedeutung der Biotechnologie und insbesondere der Gentechnik lässt sich an der Zunahme der Patente und Publikationen ablesen. Bei Biotechnologiepatenten [3] verzeichnete das amerikanische Patentamt United States Patent and Trademark Office (USPTO) im Zeitraum 1990-1999 jährliche Zuwachsraten von um die 15 % und das Europäische Patentamt (EPA) etwa 13 %, während die Zuwachsrate aller Patente insgesamt sowohl beim USTPO als auch beim EPA nur etwa 5 % betrug. Für die Gentechnik weist die Statistik des USTPO [4] zwischen 1985 und 1997 eine durchschnittliche Zuwachsrate von etwa 30 % pro Jahr aus mit Durchschnittswerten in den letzten Jahren von um die 60 %.

[3] Quellen: OECD, USPTO, EPA.

[4] Technology Profiling Report: Genetic Engineering 1977-1997, USPTO, August 1998.

Die EU liegt bei der Patentierung biotechnologischer Erfindungen weit hinter den USA. Aus Tabelle 1 geht hervor, dass der Anteil der Biotechnologiepatente sowohl an den im Jahr 2000 beim USPTO erteilten Patenten als auch an den 1997 beim EPA angemeldeten Patenten von Anmeldern aus EU-Staaten niedriger ist als von Anmeldern aus den USA. Staatliche Organisationen und öffentliche Forschungseinrichtungen gehören zu den führenden Patentinhabern im Gentechniksektor in den USA. Zwischen 1977 und 1997 führten das US Department of Health and Human Services und die Universität Kalifornien die Liste der Biotechnologiepatente in den USA an, gefolgt von der in Kalifornien ansässigen Gesellschaft Genentech.

>PLATZ FÜR EINE TABELLE>

Tabelle 1: Anteil der Biotechnologiepatente von Anmeldern aus den USA, der EU und Japan beim USPTO und beim EPA.

Von 1986 bis 1997 hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Bereich Biotechnologie von 1574 auf 3261 erhöht und damit mehr als verdoppelt. Die EU-Staaten hatten den größten Anteil mit 34 %. Auf die USA entfielen 23,9 %. Trotzdem wurden amerikanische Veröffentlichungen im Durchschnitt häufiger zitiert als Publikationen aus der EU [5].

[5] Quelle: OECD, gestützt auf Daten der Swedish Business Development Agency NUTEK.

Die angeführten Statistiken zeigen, dass Europa (gemessen an der Veröffentlichungsrate) insgesamt eine Wissenschaftsbasis von hoher Qualität hat, dass aber die technologische und wirtschaftliche Verwertung (gemessen an den Patenten) schwach ist. Dieses "europäische Paradox", das auch andere Bereiche kennzeichnet und auf eine Schwäche im Innovationssystem der EU hinweist, ist an anderer Stelle eingehend analysiert und diskutiert worden [6].

[6] Europäische Kommission, Zweiter Bericht über Wissenschafts- und Technologieindikatoren, Dezember 1997.

2. Wissenschaftliche Publikationen und Patente

2.1. Strategien zum Umgang mit geistigem Eigentum: veröffentlichen - patentieren - geheim halten

Die Art des Umgangs mit dem durch öffentliche und private Forschung entstehenden geistigen Eigentum kann sich ganz erheblich auf den wissenschaftlichen Fortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auswirken. Im Wesentlichen gibt es drei Strategien:

* Die Ergebnisse veröffentlichen und dadurch das "Copyright" oder andere "Urheberrechte" an dem veröffentlichten Gegenstand erhalten, wobei die Erfindung selbst meistens ungeschützt bleibt (Ansatz des öffentlichen Sektors). Öffentliche Forschungseinrichtungen und der Wissenschaftssektor verfolgen weitgehend diese Strategie der raschen Veröffentlichung. Die Liste seiner Veröffentlichungen bestimmt normalerweise die Reputation eines Wissenschaftlers, die Qualität seiner Arbeit und den Karriereverlauf.

* Die Ergebnisse patentieren lassen oder eine andere Form gewerblicher Eigentumsrechte erwerben. Als Gegenleistung für eine bestimmte Schutzfrist in einem Land oder mehreren Ländern stimmt der Erfinder der Veröffentlichung von Einzelheiten seiner Erfindung zu, normalerweise nach einer Frist von 18 Monaten. Auf diese Weise können Dritte die patentierte Erfindung verbessern oder alternative Lösungen entwickeln und dadurch den Stand der Technik vorantreiben. Diese Strategie verfolgen vor allem Unternehmen, um Investitionen in die weitere Forschung und Entwicklung oder die Vermarktung der patentierten Erfindung zu schützen. Zunehmend wird sie auch von öffentlichen Forschungseinrichtungen zur Verwertung ihrer Forschungsergebnisse durch Lizenzen oder Spinoffs angewandt.

* Die "Geheimhaltungsstrategie", d. h. die Ergebnisse geheim halten und damit ihre Verwertung und Verbreitung stark einschränken. Sie wird häufig dann angewandt, wenn die Ergebnisse durch das Geltendmachen geistiger Eigentumsrechte nicht oder nicht ausreichend geschützt werden können. Diese Strategie verfolgen vor allem Unternehmen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und zu sichern.

2.2. Erfindungsschutz und Wissensverbreitung - die beiden Ziele des Patentsystems

Das Patentsystem gewährt einen Schutz für Erfindungen, die ein starkes wirtschaftliches Potential für die Industrie darstellen und zugleich wichtig für den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sind. Die vorgeschriebene Offenlegung der Patentanmeldung (in den EU-Mitgliedstaaten nach 18 Monaten) sichert die Verbreitung von Informationen über wichtige technologische Erfindungen insbesondere der Industrie, die sonst möglicherweise geheim gehalten würden. Die Veröffentlichungsfrist wird in Anbetracht der Konsequenzen der alternativen "Geheimhaltungsstrategie", die ein Erscheinen der Veröffentlichung verhindern würde, für akzeptabel gehalten. Die Patentierung kann zwar zu einer Verzögerung der Veröffentlichung führen, aber sie verhindert, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung unter Verschluss bleiben.

2.3. Die Bedeutung von Patenten für die Vermarktung öffentlich finanzierter Forschung

Seit den 1970er Jahren wendet der öffentliche Forschungssektor die "Patentstrategie" an, um die Vermarktung seiner Forschungsergebnisse durch Vertragsforschung, Lizenzvergabe und Spinoff-Unternehmen zu unterstützen. Öffentliche Maßnahmen vor allem in den USA und inzwischen auch in den europäischen Mitgliedstaaten unterstützen die Vermarktung öffentlich finanzierter Forschungsergebnisse durch günstige rechtliche Rahmenbedingungen und eine geeignete Infrastruktur. Beispielsweise können Partner in Forschungs- und Entwicklungsprojekten (FTE), die durch mehrjährige Rahmenprogramme der Europäischen Gemeinschaften gefördert werden, in Ausnahmefällen wegen des hohen Marktrisikos und der für eine (erfolgreiche) Vermarktung erforderlichen hohen Investitionen exklusive Verwertungsrechte an ihren Forschungsergebnissen geltend machen. Die Forschungspartner in solchen öffentlich finanzierten Programmen sind aber auch verpflichtet, ihre Forschungsergebnisse zu schützen und/oder zu verwerten. Ähnliches gilt für die nationalen FTE-Programme der meisten EU-Staaten.

In den USA haben politische Maßnahmen Anfang der 1980er Jahre dazu geführt, dass an allen wichtigen Hochschulen, Krankenhäusern und großen Forschungseinrichtungen Technologielizenzbüros entstanden sind, die sich in einem nationalen Verband, der Association of University Technology Managers (AUTM), zusammengeschlossen haben. Der enorme Erfolg dieser Maßnahmen in den USA lässt sich am letzten Jahresbericht der AUTM [7] ablesen, der Angaben zu den Einnahmen aus Lizenzgebühren und zu Spinoff-Unternehmen öffentlicher Forschungseinrichtungen in den USA im Jahr 1999 enthält:

[7] AUTM Licensing Survey, FY 1999 Survey Summary, http://www.autm.net/surveys/99/survey99A.pdf

* 1999 wurden 5545 US-Patentanmeldungen eingereicht und 3914 neue Lizenzen und Optionen erteilt.

* 344 neue Unternehmen entstanden auf der Grundlage von Erfindungen, die an Universitäten gemacht wurden.

* Der Anteil der Life Sciences an den gesamten Lizenzeinnahmen in Höhe von US$ 862 Millionen betrug 86 % - das entspricht etwa dem Anteil der Life Sciences am Fünften Forschungsrahmenprogramm der EU.

Die Verwertung von patentierten Erfindungen, die das Ergebnis öffentlich finanzierter Forschung sind, kann somit eine erhebliche Wirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung haben. Da die wissenschaftliche Forschung und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie für die "wissensbasierte Gesellschaft" und die Entwicklung neuer Technologien eine wichtige Rolle spielen, dürfte diese Wirkung in Zukunft noch stärker werden. Das gilt insbesondere für die Biotechnologie und die Gentechnik.

2.4. Konflikte zwischen "Veröffentlichungs-" und "Patentierungs-" Strategie

Die Strategien der Industrie für den Umgang mit geistigem Eigentum richten sich stärker auf den wirksamen Schutz und weniger auf die rasche Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die vor der im europäischen Patentsystem vorgesehenen "eingebauten" 18-Monatsfrist möglich ist. Wichtig kann eine frühzeitige Offenbarung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse für junge Biotechnologie-Unternehmen sein, die Investoren anziehen wollen.

Insbesondere für Forscher aus dem öffentlichen Sektor, die verpflichtet sind, ihre Ergebnisse der wissenschaftlichen Welt rasch zu offenbaren, kann ein Konflikt zwischen der Strategie einer "schnellen Veröffentlichung" und der "Patentschutzstrategie" entstehen. In den meisten nationalen Patentsystemen, die strenge Anforderungen an die Neuheit einer Erfindung stellen und die auf dem "Erstanmelderprinzip" basieren und keine Neuheitsschonfrist vorsehen, kann sich die wissenschaftliche Veröffentlichung durch diesen Konflikt verzögern. Ein solcher Konflikt kann z. B. aus folgenden Gründen entstehen:

* Vor Einreichung der Patentanmeldung darf keine Veröffentlichung erfolgen.

* Die Patentanmeldung kann sich verzögern, weil die Finanzierung der Anmeldung noch nicht gesichert ist.

* Unerfahrenheit des Erfinders in patentrechtlichen Fragen und/oder fehlende Infrastrukturen zur Beratung und Unterstützung von Forschern im öffentlichen Sektor für die Erlangung von Patentschutz können die Patentanmeldung und damit die wissenschaftliche Veröffentlichung verzögern.

Eine öffentliche Forschungspolitik, die sowohl die rasche Verbreitung unterstützt, um den wissenschaftlichen Fortschritt zu fördern, als auch die Patentierung, um die Verwertung der Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung zu fördern, muss Rahmenbedingungen schaffen, die den Forschern einen Interessenkonflikt ersparen, indem sie z. B. eine rasche Veröffentlichung bei gleichzeitigem Schutz der Ergebnisse ermöglichen.

2.5. Verzögert Patentierung die wissenschaftliche Veröffentlichung-

Die Patentierung biotechnologischer Erfindungen war in Europa schon vor Annahme der Richtlinie Nr. 98/44/EG möglich. Durch diese Richtlinie wurde vor allem mehr Rechtssicherheit für Biotechnologiepatente erreicht. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass sie keinen wesentlichen Einfluss darauf hat, ob die Entscheidung der Unternehmen zugunsten der Schutz- oder der Veröffentlichungsstrategie ausfällt. Der Schutz der wissenschaftlichen Ergebnisse gentechnischer Grundlagenforschung im öffentlichen Forschungssektor und ihre Verwertung durch Vertragsforschung, Lizenzvergabe an die Industrie oder Spinoff-Gründungen soll aber ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie werden. Dadurch können die Veröffentlichungsstrategien öffentlicher Forschungseinrichtungen mit den kommerziellen Interessen ihrer industriellen Forschungspartner oder Lizenznehmer kollidieren. Durch Verzögerungen bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, die Gegenstand einer Patentanmeldung nach Maßgabe der Richtlinie Nr. 98/44/EG sein könnten, wird die rasche Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse behindert und der Fortschritt in Wissenschaft und Technologie gebremst.

3. Patentierung und Verzögerung wissenschaftlicher Publikationen - Ergebnisse einer Erhebung

Um festzustellen, ob die Patentierung der Ergebnisse gentechnischer Grundlagenforschung tatsächlich die wissenschaftliche Veröffentlichung verzögert, haben die Dienststellen der Kommission eine Erhebung unter Wissenschaftlern, Unternehmen und Instituten durchgeführt, die in der gentechnischen Grundlagenforschung arbeiten. Vor allem sollte festgestellt werden, ob es zu solchen Verzögerungen kommt und wenn ja, ob sie geringfügig oder erheblich sind und wie sie minimiert werden können.

3.1. Fragebogenerhebung - Zielgruppen und Antworten

Die Erhebung wurde anhand eines Fragebogens durchgeführt, der sich an zwei Zielgruppen richtete. Die Befragten der ersten (größeren) Gruppe, die im Bereich der Genforschung arbeiten, wurden von der GD Forschung kontaktiert. Die Befragten der zweiten Gruppe, die für die Anmeldung und Betreuung von Patenten zuständig sind, wurden von der GD Binnenmarkt kontaktiert. Dazu mussten die Fragen für die beiden Gruppen in etwas unterschiedlicher Form formuliert werden. Beispiele für den QRES-Fragebogen der GD Forschung und den QPAT-Fragebogen der GD Binnenmarkt sind in Anhang I zu diesem Bericht enthalten. Beide Gruppen sollten die gleichen Fragen zu eventuell auftretenden Verzögerungen bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse, die Gegenstand von Patentanmeldungen waren, und zur Häufigkeit solcher Verzögerungen beantworten. Außerdem wurden beide zu möglichen Maßnahmen gegen derartige Verzögerungen befragt.

Den QRES-Fragebogen erhielten etwa 1500 Forscher aus Wissenschaft und Industrie, die im Bereich Gentechnik arbeiten. Die erforderlichen Daten stammen aus der FTE-Projekt-Datenbank des 4. und 5. mehrjährigen EU-Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung; sie wurden durch gezielte Anfragen nach Vorschlägen zur Gentechnik und/oder durch Schlüsselwortsuche im Titel geeigneter Projekte auf diesem Gebiet ermittelt. Etwa 240 Antworten gingen ein, was einer Antwortquote von etwa 16 % entspricht. 191 dieser Antworten kamen von Einzelpersonen und von privaten oder öffentlichen Einrichtungen, die angaben, das Patentsystem zur Zeit zu nutzen und/oder in Zukunft nutzen zu wollen. Die Daten dieser 191 Antworten und die QPAT-Daten von 11 Teilnehmern aus der Großindustrie wurden für eine statistische Auswertung herangezogen. 48 (24 %) dieser Antworten kamen von der Industrie (Großunternehmen, KMU und Startups) und die anderen 154 (76 %) aus der Wissenschaft (öffentliche Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Krankenhäuser). Die Hälfte der ausgewerteten Fragebögen war persönlich und die andere Hälfte auf Institutsebene beantwortet worden.

Der QPAT-Fragebogen wurde an etwa 150 Personen, Unternehmen und Einrichtungen geschickt, die in einer Datenbank zu geistigen Eigentumsrechten (IPR) verzeichnet waren. 34 Antworten gingen ein, davon 30 von Befragten, die das Patentsystem genutzt hatten und in die Auswertung einbezogen werden konnten. Das entspricht einer Antwortrate von 20 %. 13 Antworten (43 %) kamen von Patent- oder IPR-Abteilungen großer Unternehmen, 11 (37 %) von unabhängigen Patentbüros, Patentanwälten oder deren Verbänden, 4 (13 %) von Einrichtungen, die den Wissenschaftssektor (öffentliche Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen) in IPR-Angelegenheiten beraten, und jeweils 1 Antwort (7 %) von einem Erfinderverband und einer öffentlichen Einrichtung, die sich mit den ethischen Aspekten von Biotechnologiepatenten befasst. Fast alle Fragebögen wurden auf Institutsebene und nur 2 persönlich beantwortet.

3.2. Statistische Auswertung der Fragebögen

3.2.1. Verzögerungen bei der Veröffentlichung über patentfähige Gegenstände

Gefragt wurde, ob es zu Verzögerungen bei der wissenschaftlichen Veröffentlichung von Ergebnissen, die Gegenstand einer Patentanmeldung waren (sein könnten), gekommen war (kommen könnte) (Frage 3a und 3b im QRES-Fragebogen, Frage 2d und 2e im QPAT). Die Antwortmöglichkeiten lauteten: "keine Verzögerung", "geringe Verzögerung", "erhebliche Verzögerung" und "nicht relevant/weiß nicht". Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Antworten (in Prozent aller Antworten) für drei Gruppen: "Industrie", "Wissenschaftler mit Patenterfahrung" und "Wissenschaftler ohne Patenterfahrung".

>VERWEIS AUF EIN SCHAUBILD>

Abb. 1: Tatsächliche (und vermutete) Verzögerungen bei der Veröffentlichung

Legende zu Abb. 1:

no opinion weiß nicht

considerable delay erhebliche Verzögerung

marginal delay geringe Verzögerung

no delay keine Verzögerung

% of responses % der Antworten

Academics / no past patenting Wissenschaftler ohne Patenterfahrung

Academics / past patenting Wissenschaftler mit Patenterfahrung

Industry Industrie

Den in Abbildung 1 dargestellten Ergebnissen ist zu entnehmen, dass die patenterfahrenen Wissenschaftler und Unternehmen zu etwa 80-90 % keine oder nur geringfügige Verzögerungen festgestellt hatten. Unter den Wissenschaftlern, die das Patentsystem bis dahin noch nicht genutzt hatten, war der Anteil, der vermutete Verzögerungen angab, sehr viel höher (40 %) als unter Wissenschaftlern und Unternehmen, die bereits Erfahrung mit dem Patentsystem hatten (20 % bzw. 8 %).

3.2.2. Maßnahmen zur Verhinderung von Verzögerungen

Die Teilnehmer, die Verzögerungen erfahren (oder vermutet) hatten, sollten angeben, welche Bedeutung sie Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Verzögerungen beimessen (Frage 3c im QRES, Frage 2f im QPAT). Antwortmöglichkeiten:

1. Änderung in der IPR-Strategie/Politik des Unternehmens/der Hochschule

2. Einführung einer Neuheitsschonfrist

3. Unterstützung und Beratung beim Patentantrag

4. Einführung einer "provisorischen Patentanmeldung" (s. Abschnitt 4.2)

5. Maßnahmen zur Sensibilisierung

6. andere

Die Teilnehmer sollten diese Maßnahmen nach ihrer Wichtigkeit einstufen. Da die Antworten der einzelnen Gruppen (Industrie, Wissenschaft) ganz unterschiedlich waren, wurden sie getrennt ausgewertet.

>VERWEIS AUF EIN SCHAUBILD>

Abb. 2: Bedeutung verschiedener Maßnahmen zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Veröffentlichung: Antworten von Industrie und Wissenschaft im Vergleich

Legende zu Abb. 2:

industry Industrie

academia Wissenschaft

IP strategy change andere IPR-Strategie

grace period Neuheitsschonfrist

support measures Unterstützung

prov. application provisorische Anmeldung

awareness Sensibilisierung

Abb. 2 zeigt, welche Bedeutung den einzelnen Maßnahmen von den Teilnehmern aus Industrie und Wissenschaft durchschnittlich beigemessen wird (auf einer Skala von 1 gering bis 5 hoch). Zusätzlich wurde einzelne Gruppen und die Unterschiede zwischen den Gruppen analysiert. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Industrie:

* Für die gesamte Industrie, unabhängig von der Unternehmensgröße und davon, ob die Antworten auf Unternehmensebene oder von Wissenschaftlern und Patentanwälten in der Industrie gegeben wurden, sind provisorische Patentanmeldungen (PPA) die wichtigste Maßnahme zur Vermeidung von Verzögerungen bei der wissenschaftlichen Veröffentlichung patentfähiger Ergebnisse. Trotzdem wird auf der Skala von 1 bis 5 nur ein Wert von 3,68 erreicht.

* Großunternehmen sind strikt gegen eine "Neuheitsschonfrist" (1,7). Sie befürworten provisorische Patentanmeldungen (4,3) und Maßnahmen zur Sensibilisierung (3,9).

* In der Industrie besteht ein sehr viel größerer Konsens über PPA als über die Neuheitsschonfrist, die von einigen KMU und Startups befürwortet wird.

Forscher und Forschungseinrichtungen im Wissenschaftsbereich:

* In der Wissenschaft wird die Neuheitsschonfrist als wichtigste Maßnahme zur Verringerung von Verzögerungen wissenschaftlicher Veröffentlichungen eindeutig bevorzugt.

* Unterstützung und Beratung bei Patentanmeldungen wird als zweitwichtigste Maßnahme angesehen, um Verzögerungen bei der Veröffentlichung zu vermeiden, unmittelbar gefolgt von "provisorischen Patentanmeldungen". (Die Bewertung der PPA entspricht der Beurteilung durch die Industrie!)

* Maßnahmen zur Sensibilisierung werden von den Wissenschaftlern als unwichtigste Maßnahme eingestuft. Nach Auffassung der Industrie, für die diese Maßnahme an zweiter Stelle steht, sind sich die Wissenschaftler der Bedeutung dieses Aspekts nicht hinreichend bewusst.

Die Ansichten unabhängiger Patentanwälte spiegeln die unterschiedlichen Auffassungen ihrer Klienten wider:

Obwohl nur wenige unabhängige Patentanwälte geantwortet haben und sie deshalb nicht in die statistische Analyse aufgenommen wurden, ist ein Blick auf diese Antworten hilfreich. Da die meisten Großunternehmen ihre eigenen Patent- und IPR-Abteilungen haben, sind es normalerweise KMU, der Wissenschaftssektor (Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen, öffentliche Forschungsinstitute, Hochschulen), Startups und Einzelpersonen, die unabhängige Patentanwälte in Anspruch nehmen. Die Antworten lassen keine einheitliche Meinung über die Vorteile der Neuheitsschonfrist oder der provisorischen Patentanmeldung erkennen. Patentsensibilisierung, Unterstützung und Beratung bei Patentanträgen und die Überprüfung der IPR-Strategie/Politik sind nach Auffassung der Patentanwälte, die unterschiedliche Antragsteller in Patentfragen beraten, wichtiger als die Neuheitsschonfrist oder die provisorische Patentanmeldung.

3.2.3. Weitere Ergebnisse

Patentanmeldungen von Wissenschaft und Industrie:

Die 49 wissenschaftlichen Einrichtungen, die Angaben zu ihren Patentanmeldungen in den Jahren 1996-2000 gemacht haben, meldeten in diesem Zeitraum durchschnittlich 57 Patente an (insgesamt 2779), 50 % von ihnen weniger als 10 Patente. Während auf eine große Forschungseinrichtung in diesem Zeitraum 900 Patente entfielen, hatte ein einziges Großunternehmen 5320 Patente angemeldet.

Die Angaben im Fragebogen bestätigen, dass große Unternehmen die meisten Biotechnologiepatente anmelden. Der Statistik des USPTO über Gentechnikpatente im Zeitraum 1984 bis 1997 ist zu entnehmen, dass etwa 91 % aller Patente von US-Amerikanern auf US-Unternehmen entfielen und nur 9 % auf Behörden und Einzelpersonen. Trotzdem gehören große öffentliche Forschungseinrichtungen zu den führenden Patentanmeldern, wie in Abschnitt 1.3 ausgeführt wurde.

Das Patentsystem fördert die Veröffentlichung der Ergebnisse:

Etwa 25 % der Antworten aus der Industrie und 8 % der Antworten von Wissenschaftlern bejahten die Frage: "Konnten Sie nach der Änderung der Rechtsvorschriften wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlichen (durch wissenschaftliche Veröffentlichungen und/oder Patentanmeldungen), die ohne Patentschutz geheim gehalten worden wären-" Überwiegend war dies in der Großindustrie und bei großen öffentlichen Forschungseinrichtungen der Fall, was darauf hinweist, dass das Patentsystem in einigen Fällen die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen tatsächlich erleichtert hat.

Partnerschaften bei der Patentanmeldung:

Patentinhaber wurden gefragt, ob sie Patente in Zusammenarbeit mit anderen Partnern angemeldet hatten und ob in dem Fall die wichtigsten Partner aus Wissenschaft, Industrie oder beiden Bereichen kamen. Danach melden etwa ¾ der Großunternehmen (76,5 %) Patente in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und/oder Industrie an. Der Anteil der wissenschaftlichen Einrichtungen, die mit Dritten zusammenarbeiten, ist kaum niedriger (73,4 %). KMU und Startups melden Patente allein an (50 %) oder in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern (40 %). Erfindungen in KMU und Startups werden demnach unternehmensintern oder in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern gemacht und sehr viel weniger mit der Großindustrie. Daran wird die Bedeutung des wissenschaftlichen Sektors für KMU und Startups insbesondere im Hinblick auf den Wissenstransfer und/oder die Entwicklung neuer Kenntnisse deutlich.

3.2.4. Zusammenfassung der Kommentare von Teilnehmern

Mit den Fragebögen gingen viele schriftliche Kommentare ein. Die meisten betrafen die oben behandelten Fragen, aber auch andere wichtige Aspekte wurden angesprochen. Immer wieder genannt wurden:

* die Notwendigkeit eines kostengünstigen europäischen Patentsystems;

* die internationale Harmonisierung des Patentrechts;

* der Bedarf an Infrastrukturen zur Beratung und Unterstützung an Hochschulen sowie Verbesserungen bei der Ausbildung von Wissenschaftlern im Patentrecht.

Andere wichtige Aspekte waren:

* der Bedarf an Information über europäische Regelungen und Gesetze, z. B. auf einer zentralen europäischen Webseite,

* keine Notwendigkeit provisorischer Patentanmeldungen in Europa, da eine preisgünstige oder kostenlose Anmeldung etwa im Vereinigten Königreich oder in Schweden bereits möglich ist.

Eine Lösung für das Problem der Verzögerung von Veröffentlichungen wird auch in der wachsenden Erfahrung mit dem Patentsystem gesehen, weil die Anforderungen an die Genauigkeit in einer Patentanmeldung, der sog. "Konzeptnachweis", geringer sind als an eine erfolgreiche wissenschaftliche Publikation. Deshalb sollten Wissenschaftler, die sich mit beiden Verfahren auskennen, die Patentanmeldung schon vor der wissenschaftlichen Veröffentlichung vorbereiten, um Verzögerungen durch das Patentverfahren zu vermeiden.

4. Massnahmen zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Veröffentlichung

4.1. Neuheitsschonfrist

4.1.1. Vor- und Nachteile der Neuheitsschonfrist - Ergebnisse einer EU-Anhörung

Die Neuheitsschonfrist wird vom Wissenschaftssektor als wichtigste Maßnahme zur Vermeidung von Verzögerungen bei der Veröffentlichung bezeichnet, während große Unternehmen strikt gegen die Einführung einer solchen Frist in die nationalen Patentvorschriften oder das EU-Patentsystem sind.

Ähnliche Positionen wurden auf einer Anhörung über die Neuheitsschonfrist vertreten, die die Europäische Kommission im Oktober 1998 mit 150 Teilnehmern veranstaltet hat. Die Argumente der Beteiligten sind in einem Kurzbericht über die Sitzung zusammengefasst [8]. Die Befürworter der Neuheitsschonfrist weisen darauf hin, dass im derzeitigen System jede unbeabsichtigte Offenbarung den Gesamtverlust der geistigen Eigentumsrechte nach sich zieht. Dabei müssen Forscher und kleine Unternehmen die Erfindung unter Umständen ihren potentiellen künftigen Partnern (Industrie, Geldgeber usw.) offenbaren, um die Entwicklung überhaupt weiterführen zu können. Große Unternehmen argumentieren dagegen, dass eine Neuheitsschonfrist zu Rechtsunsicherheit führen würde, was die Industrie davon abhalten könnte, in Bereiche zu investieren, in denen ungewiss ist, ob geistige Eigentumsrechte angemeldet werden. In der Diskussion wurden auch andere Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen, insbesondere eine provisorische Patentanmeldung oder eine Erweiterung der Ausnahmen vom Prinzip der absoluten Neuheit, die zur Zeit nur bei "offensichtlichem Missbrauch" und einer "Offenbarung auf internationalen Ausstellungen" gelten. Auch auf die Notwendigkeit einer internationalen Harmonisierung wurde hingewiesen.

[8] http://europa.eu.int/comm/internal_market/fr/intprop/430.htm

4.1.2. Experten pro und kontra Neuheitsschonfrist

Die Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation zur Reform des Patentsystems in Europa (Paris, 24./25. Juni 1999) beauftragte das EPA mit der Prüfung, unter welchen Bedingungen die Wirkungen einer vor der Anmeldung erfolgten Offenbarung im Europäischen Patentrecht berücksichtigt werden können. Das EPA hat bei seiner Prüfung berücksichtigt,

* dass öffentliche Forschungseinrichtungen, Hochschulen und manche Unternehmen möglicherweise gerne Patente anmelden würden, auch wenn sie gleichzeitig zu einer gewissen Offenbarung verpflichtet sind;

* dass durch Kommunikationsmittel wie das Internet das Risiko einer unbeabsichtigten Offenbarung von Forschungsergebnissen wächst;

* dass in Europa und anderen Ländern jede unbeabsichtigte Offenbarung den Erfinder um den Patentschutz für seine Erfindung bringt.

Das EPA bat die beiden Experten Jan Galama und Prof. Dr. Joseph Straus [9], eine Stellungnahme für bzw. gegen die sogenannte Neuheitsschonfrist abzugeben, die den Erfinder davor schützen soll, dass die Offenbarung seiner Erfindung vor Einreichung einer Patentanmeldung neuheitsschädlich wirkt. Die beiden Stellungnahmen können auf der EPO-Webseite9 eingesehen werden. Damit soll die laufende Debatte über diese kontroverse Frage angeregt und die Grundlage für eine breite öffentliche Abstimmung auf europäischer und nationaler Ebene geschaffen werden. Nachstehend sind die Argumente der beiden Stellungnahmen zusammengefasst (Kasten 1 und 2).

[9] Beide Stellungnahmen unter http://www.european-patent-office.org/news/headlns/2000_07_25_e.htm

Kasten 1: Gegen eine Neuheitsschonfrist - Zusammenfassung der Stellungnahme von Jan Galama

Jan Galama geht davon aus, dass die Einführung einer Neuheitsschonfrist in das europäische Patentrecht schädlich wäre und nicht unterstützt werden sollte, weil dadurch die Rechtssicherheit für Dritte verringert würde und der einzelne Forscher sich fälschlich in Sicherheit wiegen würde. Die weltweite Hochgeschwindigkeitskommunikation über das Internet, die wachsende wirtschaftliche Bedeutung von Patenten und der globale Wettbewerb verlangen ein eindeutiges Patentsystem, auf das sich jeder verlassen kann und können muss. Für einzelne Erfinder würde eine Neuheitsschonfrist insofern ein großes Risiko darstellen, als Dritte aus einer frühzeitigen Offenbarung Zwischenbenutzungsrechte ableiten könnten. Dadurch würden die Rechte des Erfinders vor allem in stark wettbewerbsorientierten Bereichen wie Informationstechnologie und Biotechnologie eingeschränkt. Wenn Wissenschaftler wirtschaftlich mithalten wollen, müssen sie bereit sein, alte Gewohnheiten wie eine frühzeitige Veröffentlichung aufzugeben.

* Die Einführung einer allgemeinen Neuheitsschonfrist durch eine Änderung des EPÜ würde die europäischen Erfinder benachteiligen, weil es keine Garantie auf Gegenseitigkeit in anderen Ländern gäbe.

* Bei Einführung einer Neuheitsschonfrist im Rahmen eines internationalen Abkommens ohne grundlegende Harmonisierung des Patentrechts würde immer noch das Problem bestehen, das in den Verhandlungen über das "alte" Patentrechtsabkommen Anfang der 1990er Jahre aufgetreten ist, dass nämlich die Amerikaner den Begriff Neuheitsschonfrist wegen der Besonderheiten des amerikanischen Ersterfindersystems anders verstehen als die Europäer. Insbesondere die Frage der Vorbenutzungsrechte und Europas Beharren darauf, dass eine Offenbarung während der Neuheitsschonfrist nicht so verstanden werden darf, dass damit ein Prioritätsdatum geschaffen wird, dürften mit der amerikanischen Position unvereinbar sein.

* Die Einführung einer Neuheitsschonfrist im Rahmen einer breiten internationalen Harmonisierung des Patentrechts ist insofern hypothetisch, als die USA keine Bereitschaft erkennen lassen, das Ersterfindersystem aufzugeben. Und selbst wenn sie es täten, würden vermutlich in jeder Verhandlung Elemente dieses Systems auftauchen, was die Integrität des eindeutigen und gut funktionierenden Erstanmeldersystems gefährden könnte.

* Galama schließt, dass selbst bei Bereitschaft der USA zur Aufgabe des Ersterfindersystems dies kein ausreichender Grund wäre, eine Neuheitsschonfrist zu beschließen in Anbetracht der damit verbundenen Ungewissheiten und zu erwartenden Missverständnisse.

Jan E. Galama, Corporate Intellectual Property, Philips International B.V., Eindhoven

Kasten 2: Für eine Neuheitsschonfrist - Zusammenfassung der Stellungnahme von Professor Straus

Professor Straus hält die Einführung einer allgemeinen Neuheitsschonfrist in das europäische Patentrecht für wünschenswert, da eine solche Frist in irgendeiner Form bereits im Patentrecht von weltweit 38 Staaten verankert ist, darunter Estland, Rumänien und Slowenien, die sich voraussichtlich 2002 dem EPA anschließen werden. Das Fehlen einer solchen Regelung im europäischen Patentrecht könnte sich nachteilig auf die Wirtschaft auswirken und die Verlagerung von Investitionen und technologischer Entwicklung aus Europa in Länder nach sich ziehen, in denen eine frühzeitige Offenbarung nicht notwendigerweise patentschädlich ist.

* Das Vereinigte Königreich und Deutschland hatten früher eine Neuheitsschonfrist in ihrem Patentrecht, was keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Auch in Kanada und Japan gibt es damit keine Probleme. Dort wird diese Regelung vor allem als "Sicherheitsnetz" angewandt.

* Auch das geltende europäische Patentrecht kann keine absolute Rechtssicherheit gewährleisten. Im Patentverfahren müssen mündliche Offenbarungen und öffentliche Anwendungen bei der Ermittlung des Stands der Technik berücksichtigt werden. Durch die zunehmende Verbreitung des Internet wird die Situation noch erschwert. Rechtssicherheit ist ein relatives Konzept, das nicht von der Existenz oder Nichtexistenz einer Neuheitsschonfrist abhängt.

* Dritte haben es immer mit einem gewissen Maß an Rechtsunsicherheit zu tun. Schließlich werden Patentanmeldungen erst bis zu 18 Monate nach dem Prioritätstag offen gelegt, und selbst dann steht bis zur Erteilung des Patents nicht eindeutig fest, welche Ausschließlichkeitsrechte beansprucht werden.

* Zu berücksichtigen ist die wachsende Bedeutung von wissenschaftlichen Einrichtungen und Forschungsinstituten als Patentanmelder und Begründer von innovationsrelevantem Wissen. Die frühzeitige Veröffentlichung von Forschungsergebnissen muss erleichtert werden. Die Offenbarung parallel zu oder erst nach der Patentanmeldung ist nicht ausreichend, da es nicht immer möglich ist, eine Patentanmeldung in einem frühen Stadium einzureichen. Auf jeden Fall steht das absolute Verbot der Anmeldung bereits offenbarter Erfindungen in keinem Verhältnis zu einer unbeabsichtigten Offenbarung auf Seiten des Erfinders. Nicht nur die Erfinder haben darunter zu leiden, wenn einer nützlichen Erfindung der Patentschutz versagt wird, sondern die Gesellschaft insgesamt. Statistiken aus Japan, den USA und Deutschland machen deutlich, dass eine frühzeitige Offenbarung für Wissenschaftseinrichtungen/Forschungsinstitute und unabhängige Erfinder besonders wichtig ist. Die Erfordernisse dieses Sektors sollten in Europa mehr Gehör finden. Statistiken aus Japan, wo die Neuheitsschonfrist beantragt werden muss, zeigen, welche Bedeutung ihr auch große Unternehmen beimessen: 47 % der Patentanmeldungen mit Antrag auf Neuheitsschonfrist stammten 1999 von Großunternehmen.

* Die provisorische Anmeldung ist kein ausreichender Ersatz, weil sie unbeabsichtigte Offenbarungen überhaupt nicht betrifft und außerdem das Risiko beinhaltet, dass sich die ursprüngliche Offenbarung als Grundlage für eine spätere Anmeldung als unzureichend erweist.

Prof. Dr. Joseph Straus, Max-Planck Institut für Ausländisches und Internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht, München

4.1.3. Die Arbeit im Rahmen der WIPO (World Intellectual Property Organisation)

Im Ständigen Ausschuss für Patentrecht (SCP) bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO wird über die weltweite Harmonisierung des substanziellen Patentrechts beraten. Dabei geht es um grundlegende Fragen wie Neuheit, erfinderische Tätigkeit oder mangelnde Erfindungshöhe sowie industrielle Anmeldung oder Eignung. Debattiert wurde auch über den Vorschlag für einen Artikel zur Einführung einer Neuheitsschonfrist in die nationalen Rechtsvorschriften. Bisher ist noch keine Entscheidung hierüber gefallen. Die Regelungen ähneln sehr dem Vorschlag von 1991 (erster Entwurf für ein Abkommen über die Harmonisierung des Patentrechts, der nicht realisiert wurde).

Die wichtigsten Grundsätze:

* Einführung einer Neuheitsschonfrist für jede Offenbarung der Erfindung (durch den Erfinder, einen Dritten oder ein nationales Patentamt) innerhalb von 12 Monaten vor dem Anmeldetag bzw. dem Prioritätstag.

* Der Erfinder kann diese Neuheitsschonfrist jederzeit beantragen.

* Der Erfinder muss nachweisen, dass die Offenbarung weniger als 12 Monate vor dem Anmeldetag (bzw. vor dem Prioritätstag bei Beanspruchung der Priorität) erfolgt ist.

Über die grundsätzliche Einführung einer solchen Neuheitsschonfrist und ihren Inhalt wird auf den nächsten Sitzungen des SCP weiter beraten.

4.2. Provisorische Patentanmeldung

Der Patentrechtsvertrag (Patent Law Treaty, PLT) [10] wurde am 2. Juni 2000 in Genf verabschiedet. Er soll die formalen Anforderungen des Patentrechts harmonisieren. Eine der wichtigsten Regelungen sieht vor, dass ein Anmeldetag registriert werden kann, ohne dass die formalen Anforderungen an eine Patentanmeldung erfuellt werden müssen. Das betrifft insbesondere die für Patentanmeldungen vorgeschriebene Einreichung einer Beschreibung und der Ansprüche in einer der vom Patentamt akzeptierten Sprachen.

[10] http://www.wipo.int/treaties/ip/plt/treaty.html

Der neue Artikel 5 Patentrechtsvertrag sieht vor, dass ein Anmeldedatum registriert werden kann, wenn die schriftlich oder in anderer Form (auch elektronisch) eingereichte Anmeldung folgendes enthält [11]:

[11] Die Europäische Gemeinschaft könnte nach der Einführung eines effektiven europäischen Patentsystems dem Patentrechtsvertrag beitreten.

* einen ausdrücklichen oder impliziten Hinweis darauf, dass es sich bei den vorgelegten Unterlagen um eine Anmeldung handeln soll;

* Hinweise, die auf die Identität des Anmelders schließen lassen oder es möglich machen, dass das Patentamt Kontakt zu ihm aufnehmen kann;

* einen Teil, bei dem es sich eindeutig um eine Beschreibung handelt (jede Vertragspartei kann die Einreichung einer Zeichnung an Stelle dieser Beschreibung zulassen). Dieser Teil muss nicht in einer der beim Patentamt zugelassenen Sprachen abgefasst sein.

Die Bedeutung einer solchen Regelung liegt darin, dass ein Anmeldedatum registriert wird und der Anmelder seine Erfindung von diesem Tag an neuheitsunschädlich veröffentlichen darf.

Diese Regelung, die es in den USA bereits gibt, ist neu im europäischen Patentrecht. Das Europäische Patentübereinkommen wurde geändert, um diese neuen Voraussetzungen für den Anmeldetag zu berücksichtigen (Diplomatische Konferenz, München, 20.-29. November 2000) [12].

[12] Diese Vorschrift tritt zwei Jahre nach der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde durch den 15. Vertragsstaat in Kraft.

4.3. Unterstützung und Sensibilisierung der Forscher im öffentlichen Sektor

Viele kleine Unternehmen und öffentliche Forschungseinrichtungen verfügen weder über die personelle noch die finanzielle Ausstattung für die Verwaltung ihrer geistigen Eigentumsrechte.

Für Forscher im öffentlichen Wissenschaftsbereich sind die komplizierten Vorschriften für Arbeitnehmererfindungen (Rechtsinanspruchsnahme, "Professorenprivileg", Zugriffsrecht auf geistiges Eigentum in öffentlich geförderter Forschungskooperation usw.) ein Hindernis für die Anmeldung ihrer Forschungsergebnisse zum Schutz ihrer geistigen Eigentumsrechte. Während große Forschungseinrichtungen über die erforderlichen Mittel verfügen, um eine eigene IPR-Politik führen und eine Infrastruktur zur Unterstützung ihrer Wissenschaftler vorhalten zu können, fehlt dies an den Hochschulen weitgehend. Solche Infrastrukturen sollten nach Möglichkeit u. a. folgendes vorsehen:

* Beratung über die Bewertung des geistigen Eigentums und die beste Schutzstrategie;

* Rechtsberatung zu Arbeitnehmererfindungen, Eigentums- und Schutzrechten;

* fachliche und finanzielle Unterstützung bei der Einreichung von Patentanmeldungen;

* Unterstützung bei der Verwertung der geistigen Eigentumsrechte (Lizenzen, Startups).

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten unterstützen oder initiieren eine Reihe von Aktivitäten zur Patentsensibilisierung oder direkten Unterstützung für Forscher bei der Vorbereitung, Einreichung und Finanzierung von Patentanmeldungen und der Verwertung von Patentrechten. Dazu gehören der von der GD Unternehmen finanzierte IPR-Helpdesk [13] und die von der gleichen Generaldirektion geplante "Patentakademie", ein Netzwerk von Technologielizenzbüros europäischer Forschungseinrichtungen für den Erfahrungsaustausch über die beste Praxis und den Schutz und die Verwertung der Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung. Außerdem unterstützt die Europäische Kommission nationale Patentämter bei der Gründung von Initiativen und Einrichtungen, die Hochschulen und KMU im Patentverfahren zu Seite stehen.

[13] http://www.ipr-helpdesk.org

4.4. Rechtlicher Rahmen, Vorschriften und andere Maßnahmen für geistige Eigentumsrechte

Eine Reihe anderer Faktoren kann zu Verzögerungen bei der Veröffentlichung patentfähiger Gegenstände beitragen:

* Ohne ein einfaches und kostengünstiges Gemeinschaftspatent kann es zu Verzögerungen kommen, weil es schwierig ist, die finanziellen Mittel für eine Patentanmeldung aufzubringen. Vor allem in KMU werden manche Erfindungen wegen der hohen Kosten für den Patentschutz nicht angemeldet und stattdessen geheim gehalten.

* Vorschriften für die Rechtsinanspruchnahme und die Verwertung beispielsweise von Arbeitnehmererfindungen sowie mangelnde Kenntnis der Rechtsvorschriften insbesondere in KMU und Hochschulen können den Entscheidungsprozess in Bezug auf eine Patentanmeldung erschweren und verlängern und damit die Veröffentlichung hinauszögern.

* Im Rahmen einer Forschungszusammenarbeit zwischen Hochschule und Industrie gemachte Erfindungen können verzögert werden, weil vorher keine klaren Vereinbarungen darüber getroffen worden sind, wie die dabei entstehenden geistigen Eigentumsrechte am besten verwaltet werden und in welcher Weise den unterschiedlichen Interessen und Strategien der Partner Rechnung getragen werden soll. Den Partnern im Wissenschaftsbereich mangelt es gelegentlich an Kenntnissen und/oder einer Politik auf dem Gebiet der IPR sowie am notwendigen Verhandlungsgeschick, um ihre Ziele in den Kooperationsvereinbarungen durchzusetzen. Die Unternehmen ihrerseits bedenken nicht immer, wie wichtig eine rasche Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse für ihre Partner im Hochschulbereich sein kann.

Während über einige dieser politischen Aspekte zur Zeit von der Europäischen Union oder in den Mitgliedstaaten beraten wird (Gemeinschaftspatent [14], Arbeitnehmererfindungsgesetz [15] in Deutschland usw.), müssen andere Fragen noch genauer geprüft und mögliche politische Maßnahmen dazu festgelegt werden.

[14] Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, KOM/2000/0412 endg., ABl. C 337 E vom 28.11.2000, S. 278.

[15] Ein Gesetzentwurf (14/5975 vom 09.052001: http://dip.bundestag.de/btd/14/059/1405975.pdf) wurde im Deutschen Bundestag eingebracht. Damit soll das "Professorenprivileg" abgeschafft werden, das Hochschullehrern das uneingeschränkte Eigentum und die Rechte an Erfindungen sichert, die sie während ihrer Arbeit gemacht haben; Hochschulen sollen die Möglichkeit haben, Infrastrukturen für die Vergabe von Universitätslizenzen und den Technologietransfer aufzubauen.

5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

* Der Patentschutz für Ergebnisse der Genforschung erleichtert normalerweise die Veröffentlichung und verhindert Geheimhaltungsstrategien. Unterlagen werden nach der Patentanmeldung oder spätestens durch die Veröffentlichung der Patentanmeldung (spätestens 18 Monate nach dem Anmeldungstag) offen gelegt.

* Der öffentliche Forschungssektor ist zu einem der wichtigsten Nutzer des Patentsystems geworden. Der Konflikt zwischen der wissenschaftlichen "Veröffentlichungs- und Verbreitungsstrategie" und der "Schutz- und Verwertungsstrategie" kann Verzögerungen bei der Veröffentlichung patentfähiger wissenschaftlicher Ergebnisse verursachen.

* Eine Erhebung unter Forschern und Forschungseinrichtungen in der EU sowohl in der Industrie als auch im Wissenschaftssektor hat ergeben, dass es zu Verzögerungen bei der Veröffentlichung kommt, die aber mit zunehmender Patenterfahrung seltener werden. Bei Patenterfahrenen traten in weniger als 20 % aller Fälle erhebliche Verzögerungen auf (20 % an Hochschulen und 8 % in der Industrie).

* Fast die Hälfte der befragten Forscher aus der Wissenschaft, die noch keine Erfahrung mit dem Patentsystem haben, es aber in Zukunft nutzen möchten, rechnet mit erheblichen Verzögerungen. Hier sind Maßnahmen zur Sensibilisierung und Unterstützung notwendig, um solche (unrichtigen) Einschätzungen zu korrigieren und den Forschern zu helfen, sich mit dem Patentsystem besser vertraut zu machen. Das sollte sowohl auf der regionalen und der nationalen als auch auf der europäischen Ebene erfolgen.

* Die Erhebung hat gezeigt, dass der wissenschaftliche Sektor eindeutig für eine Neuheitsschonfrist plädiert, um jede Verzögerung bei der Veröffentlichung patentfähiger Forschungsergebnisse zu vermeiden und/oder zu minimieren. Die Großindustrie ist strikt gegen eine Neuheitsschonfrist. Sie befürwortet die Einführung einer provisorischen Patentanmeldung (PPA) in das europäische Recht. Mittlere Unternehmen und unabhängige Patentanwälte vertreten keine einheitliche Meinung zu den Vorteilen einer Neuheitsschonfrist. Vor allem Patentanwälte weisen auf die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sensibilisierung, Beratung und Unterstützung hin. Die Bedeutung von PPA wird von der Industrie und der Wissenschaft etwa gleich eingestuft.

* Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Anforderungen an die Genauigkeit in einer Patentanmeldung, der sog. "Konzeptnachweis", geringer sind als an eine erfolgreiche wissenschaftliche Publikation. Deshalb sollten Wissenschaftler, die sich mit beiden Verfahren auskennen, die Patentanmeldung schon vor der wissenschaftlichen Veröffentlichung vorbereiten, um Verzögerungen durch das Patentverfahren zu vermeiden.

* Obwohl eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt wurde, liegen keine genauen Zahlen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung einer Neuheitsschonfrist für die Industrie oder ihre praktische Bedeutung für den Wissenschaftssektor vor. In einigen Mitgliedstaaten der WIPO wurden verschiedene Konzepte einer Neuheitsschonfrist entwickelt (USA, Japan), die sehr genau auf ihre Ausgewogenheit zwischen den Interessen von Wissenschaft und Industrie hin untersucht werden sollten. Das amerikanische Konzept einer Neuheitsschonfrist in Verbindung mit dem Ersterfindersystem bewirkt ein Hoechstmaß an Rechtsunsicherheit und sollte nicht als Beispiel für die beste Praxis herangezogen werden.

* In Anbetracht der wachsenden Internationalisierung der (öffentlichen und privaten) Forschung vor allem auf dem Gebiet der Gentechnik und der Tatsache, dass der öffentliche Forschungssektor das Patentsystem inzwischen sehr viel mehr und mit größerer Erfahrung nutzt, sollte eine Definition und Harmonisierung des Konzepts der Neuheitsschonfrist angestrebt werden. Doch dieses Konzept wird auf globaler Ebene nur dann funktionieren und effektiv sein, wenn es die Rechtssicherheit gewährt, die das Hauptanliegen der Industrie ist. Das muss vom Ständigen Ausschusses für Patentrecht (SCP) der WIPO in den laufenden Beratungen über die mögliche Einführung einer Neuheitsschonfrist berücksichtigt werden.

* 1991 debattierte die WIPO über die Einführung eines Artikels in den ersten Entwurf für einen "Vertrag über die Harmonisierung des Patentrechts" zur Einführung einer Neuheitsschonfrist in nationale Gesetze. Dies wurde mit dem Argument abgelehnt, dass eine Neuheitsschonfrist der Information und Sensibilisierung der Wissenschaftler hinsichtlich der richtigen Anwendung des Patentsystems entgegenwirken würde. Dieses Argument gilt längst nicht mehr.

* Die Rahmenbedingungen müssen weiter optimiert werden, um Wissenschaftlern sowie kleinen und mittleren Unternehmen die Nutzung des Patentsystems zu erleichtern. Dazu gehören unter anderem:

- die Einführung einer provisorischen Patentanmeldung in allen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 Patentrechtsvertrag, der am 2. Juni 2000 in Genf verabschiedet wurde;

- Unterstützung und Beratung für Wissenschaftler und KMU über die richtige Anwendung des Patentsystems und die strategische Verwertung der geistigen Eigentumsrechte sowie die entsprechende Wissensvermittlung;

- ein einfaches und kostengünstiges Patentsystem, wie es durch das vorgeschlagene Gemeinschaftspatent gewährleistet wird.

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