STELLUNGNAHME
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Ziele für die Wiederherstellung der Natur im Rahmen der EU-Biodiversitätsstrategie
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Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur
[COM(2022) 304 final – 2022/0195 (COD)]
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NAT/841
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Berichterstatter: Arnold PUECH D'ALISSAC
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Befassung
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Rat der Europäischen Union, 11/07/2022
Europäisches Parlament, 14/07/2022
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Rechtsgrundlage
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Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt
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Annahme in der Fachgruppe
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10/01/2023
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Verabschiedung auf der Plenartagung
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25/01/2023
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Plenartagung Nr.
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575
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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201/4/11
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament darin überein, dass der Ansatz und die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt nicht wirksam sind. Er begrüßt das übergeordnete Ziel der vorgeschlagenen Verordnung, die Anstrengungen für die Wiederherstellung der Natur zu verstärken, um dem Verlust an biologischer Vielfalt Einhalt zu gebieten und die biologische Vielfalt in Europa auf den Weg der Erholung zu bringen. Die Mitgliedsstaaten werden hiermit rechtlich bindenden Verpflichtungen unterliegen. Der EWSA stellt fest, dass der verfolgte Ansatz im Einklang mit den Beschlüssen der COP 15 in Montreal steht.
1.2Der EWSA hat jedoch eine Reihe von Anmerkungen und Bedenken zu dem Wortlaut der Ziele und der von der Kommission festgelegten Methode vorzubringen. Der absolut gravierendste Mangel besteht darin, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der notwendigerweise zu ergreifenden Maßnahmen auf die – zumeist privaten – Flächennutzer quasi keine Berücksichtigung finden. Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zur EU‑Biodiversitätsstrategie für 2030 darauf hingewiesen, „dass der Schutz der biologischen Vielfalt finanziell nicht den Land‑ und Forstwirten aufgebürdet werden darf. Vielmehr muss die Bereitstellung dieses „öffentlichen Werts und Guts“ zu einer attraktiven Einkommensmöglichkeit für sie werden. Nach Ansicht des Ausschusses „könnte im neuen Aufbauplan für die wirtschaftliche Erholung ein konkreter Schwerpunkt auf dieses Thema gelegt werden, indem Investitionen für personelle und materielle Ressourcen zur Gewährleistung der inhaltlichen Umsetzung der Strategie vorgesehen werden“. Dieser Empfehlung sind weder die Kommission noch die Mitgliedsstaaten gefolgt. Schon in früheren Stellungnahmen hat der EWSA u. a. die fatal hohe Unterfinanzierung der Natura-2000-Maßnahmen kritisiert. Der Ausschuss ist sich sehr sicher, dass auch der jetzt gewählte, neue Ansatz der Kommission zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht ausreichend Finanzmittel bereitgestellt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die finanziellen Einbußen zu kompensieren (und zusätzlich Biodiversitätsleistungen zu honorieren), die auf die Landnutzer zukommen werden, wenn sie ihre Landnutzungsform extensivieren, um mehr „Biodiversität“ vorweisen zu können. Der EWSA fordert daher die Einrichtung eines europäischen Fonds für Biodiversität und die Suche nach neuen Möglichkeiten, wie die verschiedenen EU‑Politikbereiche (GAP, Energie, Wohnungsbau, Verkehr usw.) dazu beitragen können, die verbindlichen Ziele der Verordnung zu erreichen.
1.3Hinsichtlich der finanziellen Aspekte fordert der EWSA, die unter die Verordnung fallenden landwirtschaftlichen Flächen, Waldflächen und Wasserläufe im Vorfeld insgesamt genau abzuschätzen. Darüber hinaus weist der EWSA die Kommission darauf hin, dass gezielt Mittel für die Entschädigung insbesondere von Landwirten und Forstbesitzern bereitgestellt werden müssen, die ihre Anbauflächen gegebenenfalls komplett verlieren.
1.4Auch wenn eine Wiederherstellung der Natur in Schutzgebieten aufgrund der Verschlechterung ihres Zustands erforderlich ist, können und müssen nicht alle wiederhergestellten Gebiete als Schutzgebiete ausgewiesen werden. Der EWSA „hält es für unerlässlich, dass einige Teile der Schutzgebiete einem strengen Schutz (mit einer eingriffsfreien Bewirtschaftung (non‑intervention management)) unterliegen sollten“, ist jedoch gleichzeitig der Ansicht, dass es umso mehr darauf ankommt, eine Nutzung zu gewährleisten, durch die die Biodiversität generell erhalten wird. In den meisten Gebieten muss eine Rehabilitierung der Ökosysteme angestrebt werden, ohne dass dies bestimmte und angepasste wirtschaftliche Tätigkeiten ausschließt. Die extensive Land- und Forstwirtschaft hat zu der hohen biologischen Vielfalt beigetragen, die heute geschützt werden muss. Diese extensiven land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsformen, die heute aufgrund ihrer ökonomisch geringen Tragfähigkeit immer stärker aufgegeben werden, sollten daher ebenfalls unterstützt werden. „Rehabilitierung“ (franz. „réhabilitation“, engl. „rehabilitation“) ist daher möglicherweise ein geeigneterer wissenschaftlicher und politischer Begriff, der auf die Gewährleistung eines Gleichgewichts zwischen Leben und Produzieren abzielt. Der EWSA empfiehlt daher, anstatt von „Wiederherstellung“ von „Rehabilitierung“ zu sprechen, zumal die Natur nichts Statisches ist, das sich wie ein kaputtes Haus oder Auto mittels „Wiederherstellung“ in einen ursprünglichen Zustand zurückversetzen lässt. So belegen zahlreiche Studien, dass Renaturierungsmaßnahmen (bspw. für Torfflächen) vielfach mit erheblichen Kosten verbunden sind, ohne dass eine vollumfängliche Wiederherstellung des „ursprünglichen Zustands“ tatsächlich möglich wäre. Dies führt zu einer semantischen Überlegung: Ziel der Verordnung sollte nicht die Wiederherstellung des natürlichen Zustands der Umwelt sein, sondern die Wiederherstellung ihrer Ökosystemleistungen und somit die Förderung einer nachhaltigen multifunktionalen Nutzung dieser Gebiete. Da der Mensch die Naturausstattung im Laufe der Jahre verändert hat, ist es aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg nicht möglich, die Natur in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Unter anderem aufgrund des fortschreitenden Klimawandels lassen sich die früheren Bedingungen einiger Ökosysteme nicht mehr vollständig wiederherstellen. Im Gegensatz hierzu kann das Ziel, die Nachhaltigkeit der Umwelt zu gewährleisten, sehr wohl erreicht werden, indem man sich auf die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme konzentriert. Der EWSA erwartet einen geeigneten politischen Rahmen; genau hier enttäuscht der Kommissionsvorschlag.
1.5Ein fester Zeitplan und strikte Grenzwerte sind für ein so schwer greifbares Thema wie die Natur nicht hundertprozentig geeignet. Den Mitgliedstaaten strenge Fristen vorzugeben, ist nur im Hinblick auf die zu schaffenden Verwaltungs- und Planungsbedingungen angemessen. Es bedarf jedoch eines flexiblen Ansatzes, um die genauen Anforderungen, Bedingungen, Chancen, Produktions- und Einkommensverhältnisse sowie den Ausgangspunkt des jeweiligen Naturgebiets zu berücksichtigen. In dem Verordnungsvorschlag bleibt die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Prioritätensetzung und Zuordnung der Wiederherstellungsmaßnahmen unklar, was die kosteneffiziente Erreichung qualitativ hochwertiger Ergebnisse gefährdet. Die Entscheidungsfindung auf Ebene der Mitgliedstaaten ist eindeutig ein berechtigter Grundsatz, da damit auch die Wahrung der Rechte der Grundeigentümer sowie die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sichergestellt werden.
1.6Das Kommissionsdokument enttäuscht, was die allgemeine Folgenabschätzung angeht, in deren Mittelpunkt insbesondere die Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Ernährungssysteme stehen sollten, weshalb der EWSA eine zusätzliche Folgenabschätzung fordert.
1.7Der EWSA empfiehlt, dass Randzonen landwirtschaftlicher Flächen, die zwar nicht bewirtschaftet werden, aber für die biologische Vielfalt ebenfalls von großem Interesse sind, für das 10 %-Ziel eingerechnet werden. Der EWSA betont, dass die vorgeschlagene Verordnung besonders ehrgeizige Ziele für die Landwirte vorsieht, und erinnert daran, dass alle artenfreundlichen natürlichen Lebensräume berücksichtigt werden müssen. Allerdings muss die gesamte Gesellschaft in die Verbesserung unserer Ökosysteme einbezogen werden. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen (gerechte Verteilung der Lasten und Kosten, aber auch des Nutzens) zwischen den verschiedenen Interessenträgern.
1.8Der EWSA unterstützt dieses Ziel, da dieses Bestreben für die Zukunft der EU von strategischer Bedeutung ist, und empfiehlt, die Ziele zu stärken, indem vor allem durch Formen extensiver Landwirtschaft die Wiederherstellung der aquatischen Umwelt – u. a. durch die Wiedervernässung von Torfmooren – gefördert wird. Dabei muss die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Land- und Forstwirtschaft sichergestellt werden.
1.9Der EWSA ist sich im Klaren, dass wir in Europa eine völlig neue Wasserpolitik benötigen. Der seit Jahrhunderten verfolgte Ansatz, für einen möglichst schnellen Wasserabfluss aus der Landschaft zu sorgen, hatte zahlreiche negative Folgen für die Biodiversität. Mittlerweile werden aber – u. a. infolge des Klimawandels – auch die negativen Auswirkungen auf die Forst- und Landwirtschaft (Trockenheit/Brände) und die ortsansässige Bevölkerung (Überschwemmungen) deutlich. Der EWSA betont daher, dass Wasser wieder in die Landschaft zurückkehren bzw. dort gehalten werden muss. Hierbei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass menschliche Eingriffe in vielen Situationen weiterhin von Nutzen sind, etwa die Pflege der Wasserläufe.
1.10Der EWSA empfiehlt, das Zubetonieren ländlicher Flächen auf Kosten der natürlichen Landschaft zu begrenzen. Er plädiert ferner für mehr Grünflächen in Städten und für die Entsiegelung städtischer Flächen, um die Auswirkungen des Klimawandels bis 2030 erfolgreich abzufedern.
1.11Der EWSA unterstützt die Einführung eines Schutzmechanismus im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik im Hinblick auf die Ziele der Wiederherstellung der Meeresumwelt. Auch befürwortet er die Schaffung finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene, um die Suche nach innovativen Lösungen und die Verbesserung der Kenntnisse über einschlägige Ökosysteme anzuregen.
1.12 Der EWSA betont, dass die wirtschaftliche und soziale Perspektive im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Natur uneingeschränkt anerkannt werden muss. Die Anerkennung und Gewährleistung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit ist eine Voraussetzung für die Akzeptanz der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften und für ihre erfolgreiche Umsetzung, da die Ergebnisse weitgehend von der Motivation, Zustimmung und künftigen Einbeziehung von Grundbesitzern und anderen Akteuren vor Ort abhängen werden. Die Rechte der Grundbesitzer müssen unbedingt geachtet werden, und zwar durch offene Kommunikation, aktive Beteiligung und einen vollständigen finanziellen Ausgleich aller möglichen wirtschaftlichen Verluste. In diesem Zusammenhang hebt der EWSA das Potenzial von Ansätzen hervor, die auf freiwilligen Maßnahmen und wirtschaftlichen Anreizen beruhen.
1.13Der EWSA empfiehlt eine Unterstützung der EU für die Entstehung und den weiteren Ausbau vor- und nachgelagerter Bereiche der Forstwirtschaft, wodurch die Agroforstwirtschaft wirtschaftlich aufgewertet würde.
1.14Der EWSA warnt vor eventuellen negativen Auswirkungen auf den Generationswechsel in der Landwirtschaft und bekräftigt seine Empfehlung, die Attraktivität von Dörfern und ländlichen Gebieten zu steigern, indem die Möglichkeiten für die Erhaltung wirtschaftlich tragfähiger Lebensgrundlagen ausgehend von einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen gesichert werden.
2.Einleitung
2.1Vor dem generellen Hintergrund der wissenschaftlich belegten Auswirkungen des Klimawandels auf die Zukunft unserer Gesellschaften hat die Europäische Kommission durch die Vorlage einer Biodiversitätsstrategie mit ehrgeizigen Zielen für alle Mitgliedstaaten bis 2030 und 2050 ihr Engagement zum Ausdruck gebracht. Ferner hat die Kommission am 22. Juni 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur angenommen. Bisher bildeten insbesondere die Habitat- und die Vogelschutzrichtlinie sowie die Aichi-Ziele den Rahmen für den Schutz und die Wiederherstellung der Natur in der EU. Nun hat sich die Kommission für einen neuen verbindlichen Regelungsrahmen entschlossen, um eine wirksame Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen.
2.2Aus Arbeiten der Europäischen Umweltagentur geht hervor, dass sich 81 % der geschützten Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand befinden. Nur bei 9 % der Gebiete hat sich der Zustand verbessert. Darüber hinaus befinden sich 84 % der Torfmoore, die für die Aufnahme und Speicherung von Kohlenstoff und die Wasserfilterung von entscheidender Bedeutung sind, in einem schlechten Erhaltungszustand, und in den letzten zehn Jahren sind die Bestände von 71 % der Süßwasserfischarten und 60 % der Amphibien zurückgegangen. Mehr als die Hälfte des globalen BIP hängt jedoch von der Natur und den von ihr erbrachten Leistungen ab, und weltweit sind mehr als 75 % der Nahrungsmittelpflanzenarten auf Bestäuber angewiesen.
2.3Der EU-Legislativvorschlag fällt in die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen unter der Federführung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Diese große weltweite Bewegung zielt darauf ab, Wiederherstellungsprojekte zu beschleunigen und die Welt auf Kurs für eine nachhaltige Zukunft zu bringen. Die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme ist entscheidend für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, insbesondere der Nachhaltigkeitsziele zum Klimawandel, zur Armutsbekämpfung und zur Ernährungssicherheit.
2.4Ursprünglich hatte die Kommission auf eine Biodiversitätsstrategie bis 2030 mit freiwilligen Zielen gesetzt, schwenkte dann aber rasch auf eine entschlossenere Strategie um und legte für die Mitgliedstaaten verbindliche Legislativvorschläge vor. Ebenso wie die internationale Gemeinschaft musste die Kommission schnell auf den nachweisbaren Rückgang der biologischen Vielfalt und auf die Folgen reagieren, die auch in den jüngsten Berichten des Weltklimarats (IPCC) hervorgehoben wurden. So hat sich die Kommission mitten in den internationalen Verhandlungen im Rahmen der Biodiversitätskonvention dazu entschlossen, eine Führungsrolle zu übernehmen, um Europa auf Kurs für eine Wiederherstellung aller Ökosysteme bis 2050 zu bringen.
2.5So sollen mit dem Vorschlag rechtsverbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten vorgegeben werden. Übergeordnetes Ziel ist es, einen Beitrag zur dauerhaften, langfristigen und nachhaltigen Erholung der biologischen Vielfalt und Widerstandsfähigkeit der Natur in allen Land- und Meeresgebieten der Union zu leisten. Im Hinblick darauf müssen die Mitgliedstaaten unverzüglich wirksame und gebietsbezogene Wiederherstellungsmaßnahmen einleiten, die zusammen bis 2030 mindestens 20 % der Land- und Meeresgebiete der Union und bis 2050 alle Ökosysteme abdecken werden, die der Wiederherstellung bedürfen.
2.6Die Bestimmungen greifen die Ziele der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie (WRR), der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Verordnung über invasive gebietsfremde Arten auf und stehen mit diesen in Verbindung, ebenso wie mit den Zielen der GAP, den Zielen der EU-Initiative für Bestäuber und der neuen EU-Waldstrategie für 2030.
2.7Diese Vorlage, die direkt im Rahmen einzelstaatlicher Maßnahmen berücksichtigt werden soll, steht für einen neuartigen Ansatz, da damit sowohl klima- als auch biodiversitätsbezogene Herausforderungen angegangen werden. Zwar wird die Politik schon seit Langem vor den Auswirkungen der Klimaerwärmung gewarnt, doch heben Wissenschaftler erst seit Kurzem den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klimaänderungen und den gravierenden Folgen für die biologische Vielfalt hervor. Auf recht neuartige Weise ermutigt die Kommission zu einer ganzheitlichen Berücksichtigung der Herausforderungen und geht damit über die bisherige „Silopolitik“ hinaus.
3.Analyse des Vorschlags für eine Verordnung
3.1Der Vorschlag wirft eine Reihe tiefgründiger Fragen und Bedenken auf, sowohl hinsichtlich der Wahl der Ziele, die innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens erreicht werden sollen, als auch hinsichtlich der Begriffsbestimmungen und Indikatoren. So entsprechen einige Maßnahmen z. B. Konzepten aus dem Recht der Natur. Zum besseren Verständnis sollte daher im Verordnungsentwurf hierauf Bezug genommen werden. Darüber hinaus sollte für bestimmte Inhalte klargestellt werden, inwieweit die Subsidiarität der Mitgliedstaaten gewahrt wird. Insbesondere in Bezug auf Artikel 10, der Indikatoren für die Wiederherstellung von Waldökosystemen enthält, ist darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit für die Forstwirtschaft im Wesentlichen bei den Mitgliedstaaten liegt.
3.2Die Formulierung einer Stellungnahme zu einem Verordnungsvorschlag, der auf die Wiederherstellung der Ökosysteme in den Mitgliedstaaten abzielt, ohne genau zu wissen, welche Herausforderungen und Anstrengungen auf die Mitgliedstaaten zukommen werden, ist nicht einfach. Der Legislativvorschlag sieht die Erstellung und Umsetzung „nationaler Wiederherstellungspläne“ vor, die auf der Grundlage der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse der einzelnen Mitgliedstaaten ausgearbeitet werden.
3.3Die in der vorgeschlagenen Verordnung gewählten Begriffe sind von größter Bedeutung, da damit eine einheitliche Grundlage für die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der gesetzten Ziele festgelegt wird. Begriffe wie „guter Zustand“, „einen günstigen Zustand aufweisendes Bezugsgebiet“ und „ausreichende Qualität und Quantität des Lebensraums einer Art“ sollten zwar auf anerkannten wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen beruhen, ihre praktische Anwendung kann jedoch problematisch sein. Hinter diesen wissenschaftlichen Begriffsbestimmungen stehen nämlich politische Erwägungen. Wie soll das „einen günstigen Zustand aufweisende Bezugsgebiet“ ausgewählt werden? Wer bestimmt die „ausreichende Qualität und Quantität des Lebensraums einer Art“? Da es keinen vorherigen Bezugsrahmen gibt, sind die Ziele weniger klar, was die Formulierung einer fundierten Stellungnahme erschwert. Der EWSA betont, dass es bei der Quantifizierung nach Artikel 11 des Verordnungsentwurfs richtig ist, sowohl die Biodiversitätsverluste eines bestimmten vergangenen Zeitraums (die Kommission schlägt ohne Angabe weiterer Gründe 70 Jahre vor) als auch die voraussichtlichen zukünftigen Veränderungen der Umweltbedingungen in Betracht zu ziehen. Es muss vermieden werden, dass nationale Unterschiede bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen unter den Landwirten in der EU führen. Darüber hinaus wird mit dem Vorschlag eine kontinuierliche Verbesserung der Ökosysteme angestrebt, deren Erfolg nach 2030 alle drei Jahre bewertet werden soll. Wie soll jedoch mit Ökosystemen umgegangen werden, deren Wiederherstellung vielleicht mehr oder weniger Zeit benötigt? Es ist fraglich, ob innerhalb dieser kurzen Berichtszeiträume signifikante Verbesserungen gemessen werden können. Müssen die Mitgliedstaaten negative Folgen befürchten, nur weil die Natur etwas länger braucht, um sich wieder auszubreiten?
3.4Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Die Ausrichtung von Wiederherstellungsmaßnahmen auf Schutzgebiete gewährleistet nicht nur den langfristigen Nutzen von Wiederherstellungsmaßnahmen, sondern trägt auch dazu bei, ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das sehr weit gefasste und strikte Verschlechterungsverbot für Lebensräume, die sich auch außerhalb des Schutzgebietsnetzes befinden, unausgewogen und unverhältnismäßig ist.
3.5Im Rahmen des Mechanismus, mit dem die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Wiederherstellungsmaßnahmen und der Verwirklichung der Ziele zur Rechenschaft gezogen werden sollen, wird kaum klargestellt, wie die Umsetzung der Ziele überwacht werden soll. Diese mangelnde Klarheit gibt Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Frage, ob bezüglich der in den verschiedenen Mitgliedstaaten, in den verschiedenen Sektoren und durch verschiedene Gruppen von Menschen ergriffenen Maßnahmen gleiche Maßstäbe angelegt werden. Natürlich birgt die Wahl einer Verordnung echte Vorteile mit Blick auf die Erzielung einheitlicher Anstrengungen in den Mitgliedstaaten und die Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Allerdings lässt dies den Mitgliedstaaten nicht genügend Spielraum, um ausgehend von ihren nationalen Bedürfnissen und Gegebenheiten über die Wiederherstellung zu entscheiden. Obwohl die Ziele mit einem Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus einhergehen müssen, sollte jeglicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand so gering wie möglich gehalten werden. Die bestehenden nationalen und europäischen Mechanismen für die kontinuierliche Bewertung und Berichterstattung über die Fortschritte sollten so weit wie möglich genutzt werden.
4.Implikationen für die Land- und Forstwirtschaft in der EU
4.1Die allgemeinen Ziele zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme
Der EWSA stellt fest, dass die meisten Wiederherstellungsziele private landwirtschaftliche Flächen betreffen. Eine erfolgreiche Umsetzung der Ziele ist daher nur möglich, wenn sie auf die volle Akzeptanz der Landwirtinnen und Landwirte bauen kann. Weitere rechtliche Auflagen hinsichtlich der Bewirtschaftung, die möglicherweise erforderlich sind, um die biologische Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen zu erhöhen, können jedoch eine zusätzliche Belastung für die bereits stark regulierten landwirtschaftlichen Tätigkeiten bedeuten. Der EWSA unterstreicht, dass der Schutz der biologischen Vielfalt finanziell nicht den Land- und Forstwirten aufgebürdet werden darf. Vielmehr muss die Bereitstellung dieses „öffentlichen Werts und Guts“ zu einer attraktiven Einkommensmöglichkeit für sie werden. Der Erfolg der Wiederherstellungsziele hängt unweigerlich davon ab, ob sie entschlossen und dauerhaft von den Männern und Frauen mitgetragen werden können, die ihre Arbeit in den Dienst der Lebensmittelversorgung Europas stellen. Genau hier enttäuscht der Kommissionsvorschlag, der diese zentrale wirtschaftliche Frage ebenso ausklammert wie es die früheren Biodiversitätsstrategien und -aktionsprogramme der Kommission getan haben. So dürfte ein Scheitern auch dieser Verordnung vorprogrammiert sein.
4.2Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung)
Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele zu ehrgeizig sein. Der EWSA weist darauf hin, dass die Fortsetzung der produktiven Nutzung wiederhergestellter und wiedervernässter Torfmoore auf alternative Weise wirtschaftliche Lebensfähigkeit erfordert. Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig.
4.3Das Ziel der Wiederherstellung der natürlichen Vernetzung von Flüssen (Artikel 7)
Ungünstige Veränderungen unseres Klimas und Probleme bei der Wasserbewirtschaftung führen zu einer zunehmenden Verschlechterung des Zustands der Umwelt. Wasser hat nicht nur eine Bedeutung und einen Wert für die Natur, sondern ist auch ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit und damit für Sicherheit. Mal muss überschüssiges Wasser abgeleitet, mal muss es zurückgehalten werden, um die natürlichen Kreisläufe zu unterstützen. Der EWSA teilt die Auffassung, dass zur Wiederherstellung der natürlichen Verbindungen der Flüsse und der natürlichen Funktionen der damit verbundenen Überschwemmungsgebiete die Barrieren, die Verbindungen von Oberflächengewässern in der Länge und der Breite verhindern, unter strenger technischer Überwachung umgebaut werden können. Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit jedoch auf das Überschwemmungsrisiko, das mit der Beseitigung wasserbaulicher Anlagen einhergehen kann. Zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ist Wasser erforderlich, weshalb strategische Eingriffe eine Gelegenheit bieten können, den Wasserhaushalt zu steuern und Wasser in Gebiete zu lenken, in denen es benötigt wird. Das Wasser muss in den Landschaften erhalten bleiben und ein zu schneller Abfluss verhindert werden. Der Sommer 2022 hat deutlich gezeigt, welchem Dürrerisiko wir in Europa ausgesetzt sind. Der EWSA empfiehlt einen diesbezüglichen Dialog unter Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft. Der EWSA empfiehlt ferner, den Mitgliedstaaten Anreize für die Umsetzung grüner Infrastrukturprojekte zu geben, die dazu beitragen können, den Hochwasserschutz, die Erhaltung empfindlicher und für die biologische Vielfalt auf europäischer Ebene wichtiger Gebiete sowie die wirtschaftliche und touristische Entwicklung miteinander zu verbinden. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA daran, dass Hochwasser z. B. der Donau oder der Elbe zu erheblichen Schäden geführt haben.
4.4Das Ziel, den Rückgang der Bestäuber umzukehren
Der EWSA kann diese für die Ernährungssicherheit sehr wichtige Maßnahme nur unterstützen. Allerdings weist der EWSA darauf hin, dass in der vorgeschlagenen Verordnung keinerlei Maßnahmen zu den verfügbaren Nahrungsressourcen für Bestäuber vorgesehen sind. Die langfristige Lebensfähigkeit dieser Arten kann nur dann gesichert werden, wenn ausreichend Honigpflanzen vorhanden sind, um eine dauerhafte Ernährung der Bestäuber zu gewährleisten. Nistplätze und eine schadstofffreie Umwelt sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung.
4.5Die landwirtschaftlichen Ziele (Artikel 9 der Verordnung)
Der EWSA äußert Bedenken hinsichtlich des Ziels, dass 10 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt aufweisen soll. Besonders problematisch ist, dass diese Flächen gemäß Anhang IV nicht produktiv landwirtschaftlich genutzt werden dürfen (einschließlich Beweidung und Futtererzeugung). Es darf nicht vergessen werden, dass eine große biologische Vielfalt in vielen Gebieten überhaupt erst durch Kultivierung (insbesondere z. B. die Beweidung auf Almen, Heuwiesen oder Streuwiesen) ermöglicht wird. Daher ist es übertrieben, eine Bewirtschaftung in diesen Gebieten von vornherein auszuschließen. Diese Bedingung sollte gestrichen werden. Überdies wurde uns zu Beginn des Jahres 2022 erneut vor Augen geführt, wie wichtig die Nahrungsmittelsouveränität ist, um für die verschiedensten künftigen Unwägbarkeiten gerüstet zu sein. Durch das Erreichen des 10 %-Ziels bezüglich der landwirtschaftlich genutzten Fläche würde zwar die für die Produktivität der Landwirtschaft wichtige biologische Vielfalt verbessert, doch hätte dies ebenfalls erhebliche Ertragseinbußen zur Folge. Daher sollte sich das 10 %-Ziel nicht starr auf landwirtschaftliche Parzellen, sondern auch auf deren unmittelbare Umgebung beziehen. So sind beispielsweise die Randflächen von Straßen und landwirtschaftlichen Wegen von großem Interesse für die Artenvielfalt. Hier könnten bestäuberfreundliche Blühstreifen angelegt werden, die auch anderen Nützlingen zugutekommen. Solche Landschaftselemente können ihre Wirkung zudem nur dann voll entfalten, wenn sie im Verbund angelegt werden. So geht aus Studien hervor, dass es sinnvoller ist, mehrere Blühstreifen im Verbund anzulegen als eine große Blumeninsel. Schließlich weist der EWSA auch darauf hin, dass allen natürlichen Lebensräumen die gleiche Aufmerksamkeit zuteilwerden muss, damit alle Arten, die in unterschiedlichen Umgebungen leben, davon profitieren können. So haben Hecken oder Randflächen z. B. für den Kiebitz oder die Lerche so gut wie keinerlei Nutzen. Die Maßnahmen zur Erhaltung müssen sich daher auf die gesamte Fläche bzw. alle Arten der Flächennutzung über die land- und forstwirtschaftlichen Flächen hinaus und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Gesellschaften beziehen.
4.6Die Ziele für die Wälder (Artikel 10 der Verordnung)
Die Wiederherstellung geschädigter Waldökosysteme ist ein wichtiges Anliegen im Hinblick auf die Anpassung unserer Gesellschaft an den Klimawandel und den Beitrag wirtschaftlicher Tätigkeiten zu den Biodiversitätszielen. Die in dem Verordnungsvorschlag formulierten allgemeinen Ziele sind bereits Teil eines globalen, weltweit verfolgten Ansatzes. Der EWSA begrüßt die politischen Bestrebungen der Kommission, die Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung ihrer Waldökosysteme zu bewegen, betont jedoch, dass aufgrund der heterogenen Bedingungen der Wälder in Europa die Möglichkeit der Anpassung der Wiederherstellungsmaßnahmen an die örtlichen Bedingungen gegeben sein muss, sofern dies zu keiner Verzerrung des Wettbewerbs der europäischen Waldbesitzer untereinander führt. Der EWSA weist zudem darauf hin, dass diese Wiederherstellung im Rahmen des landschaftlichen Kontextes der betreffenden geografischen Gebiete unter Berücksichtigung der aktuellen klimatischen Extremereignisse in Europa (Feuer, extreme Großbrände, etc.) erfolgen muss. Die verschiedenen Nutzungsformen der Flächen einer Landschaft sind miteinander verbunden und müssen deshalb sowohl ökologischen als auch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen genügen. Beispielsweise können Wiederaufforstungsmaßnahmen zulasten landwirtschaftlicher Flächen zu wirtschaftlichen Verlusten für die lokalen Gemeinschaften führen und sich als nicht nachhaltig erweisen, während die Anpflanzung heimischer Baumarten im Rahmen eines agroforstwirtschaftlichen Ansatzes unter Umständen sinnvoller ist und lokalen Rückhalt schaffen könnte. Daher ist es wichtig, den Mitgliedstaaten Ansätze nahezulegen, die es ermöglichen, den Schutz der natürlichen Ressourcen und die wirtschaftliche Entwicklung miteinander in Einklang zu bringen. Das forstwirtschaftliche Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn eine dauerhafte Unterstützung für die Entstehung und den weiteren Ausbau vor- und nachgelagerter Bereiche der Forstwirtschaft bereitgestellt wird, wodurch auch die Agroforstwirtschaft wirtschaftlich aufgewertet würde.
5.Implikationen für die städtischen Gebiete der EU
5.1Das Anliegen, der Natur in den Städten wieder mehr Raum zu geben, ist ein grundlegendes Ziel, das vom EWSA unterstützt wird. Es besteht kein Zweifel daran, wie wichtig die Begrünung unserer europäischen Städte zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger und für eine dauerhafte Wahrung der biologischen Vielfalt ist. Die Hitzewellen, die Europa im Juli 2022 heimgesucht haben, machen deutlich, dass Bäume eine wesentliche Rolle spielen, um die Temperaturen in den Städten zu senken. So ermöglichen Bäume einen Rückgang der Oberflächentemperatur um bis zu 12 °C.
5.2Außerdem werden heute riesige Flächen in Europa von Städten eingenommen, die einer freien Bewegung der Arten im Wege stehen und ihre Lebensräume einschränken. Den Mitgliedstaaten sollte unbedingt nahegelegt werden, Maßnahmen zu ergreifen, um die Denaturierung natürlicher Räume zu verhindern. Entsprechende Maßnahmen dürfen dabei nicht auf Programmen beruhen, die einen Tausch von Flächen vorsehen.
5.3Schließlich sollte das Ziel der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in den Städten durch den Aufbau grüner Infrastruktur als integraler Bestandteil der Entwicklung von Lebensräumen verstärkt werden. Parks, Grünstreifen oder Gründächer und Pflanzenwände verbessern das städtische Klima ohne hohe Kosten zu verursachen. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auf seine in der Stellungnahme NAT/607 abgegebenen Empfehlungen.
6.Implikationen für die Meeresumwelt der EU
6.1Die Ziele zur Wiederherstellung der Meeresumwelt sind entscheidend für die Erhaltung der biologischen Vielfalt, zumal die Meere zahlreiche Arten und Ökosysteme beheimaten und im Zusammenhang mit dem Klimawandel strategisch wichtig sind. Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Ziele zur Wiederherstellung dieser Umweltbereiche, in denen menschliche Tätigkeiten nachweislich zu einer Störung der Ökosysteme geführt haben. Neben dem Artenschutz und der Wiederherstellung von Lebensräumen müssen auch Maßnahmen für eine verantwortungsvolle Fischerei und zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen werden. Der EWSA unterstützt die Einführung eines Schutzmechanismus im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik im Hinblick auf den Umgang mit negativen Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Wenn die Ziele für die Meeresumwelt erreicht werden sollen, müssen sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Bewirtschaftung der Fischereiressourcen einigen. Angesichts der Bedeutung der Maßnahmen zugunsten der Meeresumwelt sollte die Kommission jedoch eingreifen können, um dafür zu sorgen, dass die Schutz- und Wiederherstellungsziele auch tatsächlich verwirklicht werden.
6.2Ferner unterstreicht der EWSA die wichtige Rolle der Meeresumwelt für die Bekämpfung des Klimawandels. Die Erhaltung der Kapazitäten der Meere zur Kohlenstoffbindung ist für unsere Zukunft von strategischer Bedeutung. Daher muss die EU finanzielle Unterstützung für Innovation und Forschung bereitstellen, um die Suche nach innovativen Lösungen und die Verbesserung des Wissensstands über diese Ökosysteme zu fördern. Beispielsweise belegen einschlägige Arbeiten die Bedeutung flacher Küstengewässer als wichtige Lebensräume für viele Fischarten, deren Nachwuchs in diesen Gewässern heranwächst, um dann als ausgewachsene Fische in andere Gebiete weiterzuziehen. Gerade diese Bereiche werden jedoch häufig durch die bauliche Erschließung von Küstengebieten (Häfen, Deiche usw.) beeinträchtigt, sodass neue Lösungen gefunden werden müssen. So wurden im Rahmen eines Versuchsprojekts in der Bucht von Toulon und im alten Hafen von La Seyne-sur-Mer künstliche Riffe und Wasserpflanzen unter Wasser befestigt. Das allgemeine ökologische Anliegen dieser Maßnahme besteht darin, die ökologischen Funktionen der Küstenumwelt neu zu beleben.
7.Finanzielle Aspekte im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Natur
7.1Der EWSA würdigt den herausragenden politischen Willen, den die Kommission mit dieser ehrgeizigen und für die EU neuartigen Verordnung zeigt. Er macht jedoch darauf aufmerksam, dass politischer Wille schnell an seine Grenzen stößt, wenn er nicht mit einer den Ambitionen entsprechenden Bereitstellung finanzieller Mittel einhergeht. Die Arbeiten der Kommission zur näheren Bestimmung der potenziellen Kosten für die Wiederherstellung der Ökosysteme geben eine erste Vorstellung von den Anstrengungen, die den Mitgliedstaaten abverlangt werden. In diesem Zusammenhang stellen sich jedoch einige Fragen. So soll das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Erhalt der biologischen Vielfalt bei 1:8 liegen, allerdings wird nicht darauf eingegangen, welche wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Auswirkungen sich durch die Verwirklichung der Ziele ergeben. Welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen werden die eingeleiteten Wiederherstellungsmaßnahmen haben? Der EWSA fordert, dass im Vorfeld genau abgeschätzt werden sollte, welche landwirtschaftlichen Flächen, Waldflächen und Wasserläufe insgesamt unter die Verordnung fallen werden. Ferner verweist der EWSA erneut auf seine Bemerkungen aus der Stellungnahme NAT/786, in der gefordert wird, dass der Finanzbedarf den Herausforderungen entsprechend gedeckt werden muss. So werden beispielsweise über das Natura-2000-Netz, das in Europa eine einzigartige Gelegenheit bietet, die Qualität bemerkenswerter natürlicher Lebensräume zu verbessern, nur 20 % der für die Maßnahmen zugesagten und erforderlichen Mittel bereitgestellt. Der EWSA legt besonderes Augenmerk auf die von der Kommission angekündigten finanziellen Verpflichtungen. Er weist erneut darauf hin, dass Mittel bereitgestellt werden müssen, die den Erwartungen entsprechen, da die Einführung weiterer EU-Rechtsvorschriften sonst zu keinerlei Ergebnis führen wird.
7.2Der EWSA weist mahnend auf das Risiko eines ausbleibenden Generationenwechsels in der Landwirtschaft hin. Die Festlegung von Zielen, die mit der Lebenswirklichkeit der Betriebe unvereinbar sind, wird zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten für diesen Wirtschaftszweig führen, in dem die Weiterführung der Betriebe ohnehin schon schwerfällt. Die Kommission muss den finanziellen Auswirkungen für diese Betriebe besondere Aufmerksamkeit widmen, um deren langfristige Überlebensfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Entwicklung von Verfahren begleiten, die dem Klimaschutz Rechnung tragen.
Brüssel, den 25. Januar 2023
Christa Schweng
Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
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NB: Anhang I auf den folgenden Seiten
ANHANG I
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Die folgenden abgelehnten Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:
Ziffer 3.4 – Änderungsantrag 11
Ändern:
Stellungnahme der Fachgruppe
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Änderung
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Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Die Ausrichtung von Wiederherstellungsmaßnahmen auf Schutzgebiete gewährleistet nicht nur den langfristigen Nutzen von Wiederherstellungsmaßnahmen, sondern trägt auch dazu bei, ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das sehr weit gefasste und strikte Verschlechterungsverbot für Lebensräume, die sich auch außerhalb des Schutzgebietsnetzes befinden, unausgewogen und unverhältnismäßig ist.
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Der EWSA ist der Ansicht, dass Gebiete innerhalb des bestehenden Schutzgebietsnetzes, insbesondere Natura-2000-Gebiete, bei der Wiederherstellung Vorrang erhalten müssen, um das Potenzial dieser Gebiete voll auszuschöpfen. Hierdurch wird das Ziel, einen guten Zustand der in Anhang I der Habitat-Richtlinie aufgeführten Lebensräume zu erreichen, am besten gefördert. Ein besonderes Augenmerk auf die NATURA-2000-Gebiete kann die Umsetzung der bereits 1992 beschlossenen FFH-Richtlinie gewährleisten, sie kann auch dazu beitragen, ggf. kollidierenden Interessen im Zusammenhang mit der Landnutzung zu vorzubeugen.
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Abstimmungsergebnis
Ja-Stimmen
91
Nein-Stimmen
108
Enthaltungen
18
Ziffer 4.2 – Änderungsantrag 12
Ändern:
Stellungnahme der Fachgruppe
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Änderung
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Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung)
Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele zu ehrgeizig sein. Der EWSA weist darauf hin, dass die Fortsetzung der produktiven Nutzung wiederhergestellter und wiedervernässter Torfmoore auf alternative Weise wirtschaftliche Lebensfähigkeit erfordert. Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig.
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Das Ziel der Wiedervernässung entwässerter Torfmoorflächen (Artikel 9 der Verordnung)
Dieses Ziel wird nicht unerhebliche Auswirkungen auf gewerbliche Tätigkeiten haben, und es betrifft insbesondere bestimmte Regionen einiger Mitgliedstaaten. Für diese Regionen könnte das vorgeschlagene Ziel im Hinblick auf die Abwägung der verschiedenen Ziele besondere Auswirkungen haben. Dem EWSA ist die besondere Bedeutung der Torfflächen für die Biodiversität und den Klimaschutz bewusst und betrachtet die Zielsetzungen der Kommission (Wiederherstellungsmaßnahmen auf 70 % der trockengelegten Torfmoorflächen, davon Wiedervernässung von 50 % bis 2050[3]) als Kompromiss zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen. Mit Blick auf den für die Umsetzung dieses Ziels vorgesehenen Zeitplan ist anzumerken, dass eine in mehr als 620 Renaturierungsprojekten in Feuchtgebieten durchgeführte wissenschaftliche Studie von 2012 ergeben hat, dass mit solchen Projekten selbst nach hundert Jahren nur durchschnittlich zwischen 65 und 70 % der ursprünglichen Artenvielfalt und der verschiedenen hydrologischen und ökologischen Funktionen (Wasserfilterung, Kohlenstoffspeicherung) eines vergleichbaren nicht geschädigten Referenzökosystems wiederhergestellt werden können. Dies wirft Fragen in Bezug auf die im Zeitplan der Kommission vorgesehene Frist für die Umsetzung und das Umweltziel an sich auf. Auch wenn Torfmoore nur 3 % der Landfläche ausmachen, speichern sie jedoch ein Drittel des im Boden gebundenen Kohlendioxids. Mithin sind sie für die Bekämpfung des Klimawandels strategisch extrem wichtig.
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Abstimmungsergebnis
Ja-Stimmen
99
Nein-Stimmen
104
Enthaltungen
18
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