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Document EESC-2018-04568-AC

Stellungnahme - Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss - Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU (Initiativstellungnahme)

EESC-2018-04568-AC

DE

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

NAT/755

Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU

STELLUNGNAHME Europäischer Wirtschafts- und SozialausschussFörderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in der EU 
(Initiativstellungnahme)

Berichterstatter: Peter SCHMIDT

Beschluss des Plenums

12/07/2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

31/01/2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

20/02/2019

Plenartagung Nr.

541

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

183/7/5


1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1In seiner im Dezember 2017 verabschiedeten Stellungnahme „Eine umfassende Ernährungspolitik der EU“ sprach sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) dafür aus, in der EU einen stärker integrierten Ansatz für den Ernährungsbereich zu verfolgen. Eine gesunde und nachhaltige Ernährung bildet eine zentrale „Säule“ einer solchen Ernährungspolitik, da wir unsere Ernährung dringend so umstellen müssen, dass sie die Gesundheit sowohl der Ökosysteme als auch der Menschen sowie die Vitalität der ländlichen Gebiete stärkt, statt ihnen zu schaden.

1.2Die Zeit ist reif für einen beschleunigten Paradigmenwechsel, und hierfür gibt es aussagekräftige und zunehmende Belege. Der EWSA betont, dass es mit der Aktionsdekade der Vereinten Nationen für Ernährung, der Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, dem Pariser Klimaschutzübereinkommen und den neuen Vorschlägen zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik derzeit auch eine politische Dynamik dafür gibt. Darüber hinaus liegen immer mehr wissenschaftliche Belege dafür vor, dass die europäischen und die globalen Lebensmittelsysteme dringend umgestaltet werden müssen, z. B. in Berichten des IPCC, der EAT-Lancet-Kommission, des Ausschusses für Welternährungssicherheit und der InterAcademies Partnership 1 . Nicht zuletzt gibt es diesbezüglich eine starke Nachfrage seitens der Zivilgesellschaft (z. B. von der im Zuge der Arbeit der Internationalen Sachverständigengruppe für nachhaltige Lebensmittelsysteme IPES-Food gebildeten Koalition), die Unternehmen erkennen ihre Verantwortung für einen Beitrag zum Wandel (etwa hinsichtlich der Lebensmittelverschwendung, der Kreislaufwirtschaft, der Verringerung der Fettleibigkeit, des Schutzes der biologischen Vielfalt, der kulturellen Bereicherung usw.) an, und auch auf regionaler und kommunaler Ebene werden z. B. im Rahmen des Mailänder Pakts für städtische Lebensmittelpolitik, den „Projets Alimentaires Territoriaux“ in Frankreich und der Führungsrolle der C40-Weltstädte 2 Maßnahmen ergriffen.

1.3Der EWSA würdigt und unterstützt die von der Kommission ergriffenen Initiativen zur Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung, etwa die Aufnahme von Bestimmungen in den jüngsten Vorschlag für eine GAP-Reform, die darauf abzielt, „der Landwirtschaft der Union [zu] helfen, sich besser auf neue gesellschaftliche Erwartungen in den Bereichen Ernährung und Gesundheit einzustellen, einschließlich der Bereiche nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung, gesündere Lebensmittel, Lebensmittelabfälle und Tierschutz“ 3 . Allerdings fehlt es an einem koordinierten Ansatz für diese Initiativen.

1.4Die Bereiche Lebensmittel, Gesundheit, Umwelt und Gesellschaft sind auf solch komplexe Art und Weise miteinander verknüpft, dass sie eine umfassendere Herangehensweise an das Thema Ernährung erfordern, die sich nicht nur auf das Verbraucherverhalten bezieht. Im Interesse des Zusammenhalts und gemeinsamer Ziele fordert der EWSA die Entwicklung neuer Leitlinien für nachhaltige Ernährung, die den kulturellen und geografischen Unterschieden zwischen und innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Eine bloße Verringerung der Ressourcennutzung in der Produktion und eine Änderung der Inhaltsstoffe führen nicht zu einer besseren oder gesünderen Ernährung.

1.5Neue Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung würden den landwirtschaftlichen Betrieben, den Verarbeitungsbetrieben, dem Einzelhandel und der Gastronomie eine klarere Richtung vorgeben. Ein neuer „Rahmen“ für die Erzeugung, die Verarbeitung, den Vertrieb und den Verkauf gesünderer und nachhaltigerer Lebensmittel zu einem gerechteren Preis würde dem Agrar- und Lebensmittelsystem zugutekommen.

1.6Der EWSA fordert die Einsetzung einer Expertengruppe, die mit der Aufgabe betraut wird, innerhalb von zwei Jahren europaweite Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung zu formulieren. In diese Arbeit sollten auch relevante fachliche und wissenschaftliche Einrichtungen aus den Bereichen Ernährung, öffentliche Gesundheit, Lebensmittel, Umwelt- und Sozialwissenschaften einbezogen werden. Der EWSA ist bereit, sich an der Expertengruppe zu beteiligen und insbesondere über seine Temporäre Studiengruppe Nachhaltige Lebensmittelsysteme den Standpunkt der Zivilgesellschaft in deren Arbeiten einzubringen.

1.7Der EWSA bekräftigt, wie wichtig Investitionen in Sensibilisierungsmaßnahmen für eine nachhaltige Ernährung von früher Kindheit an sind, damit junge Menschen den „Wert von Lebensmitteln“ schätzen lernen. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dabei benachteiligten Gruppen, insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen.

1.8Der EWSA weist darauf hin, dass ein gemeinsames europäisches Konzept für die Lebensmittelkennzeichnung, das den Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung Rechnung trägt, die Transparenz verbessern und den Einsatz unnötig billiger Rohstoffe (z. B. Transfettsäuren, Palmöl und überschüssiger Zucker) eindämmen würde, die weder gesund noch nachhaltig sind. Die Ausdehnung der Lebensmittelkennzeichnung auf Umwelt- und Sozialaspekte käme den Verbrauchern zugute. Sie würde dazu beitragen, dass diese sich eher für gesündere und nachhaltigere Optionen entscheiden.

1.9Durch Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung würde nicht nur der gewerbliche Sektor unterstützt, sondern es würden auch gemeinsame, eindeutige Kriterien für das öffentliche Beschaffungswesen festgelegt. In Europa müssen Lebensmittel in den Mittelpunkt eines umweltorientierten öffentlichen Beschaffungswesens (Green Public Procurement – GPP) gestellt werden. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA, die Überarbeitung der GPP-Kriterien der EU für Lebensmittel und Verpflegungsdienstleistungen dringend anzunehmen.

1.10Das Wettbewerbsrecht sollte kein Hindernis für die Entwicklung von Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung sein. Die Bestimmungen müssen so angepasst werden, dass die lokale Wirtschaft gefördert und nicht etwa die Nachhaltigkeit eingeschränkt wird. Im Hinblick auf eine bessere Aufteilung des Mehrwerts auf die einzelnen Interessenträger der Lebensmittelversorgungskette begrüßt der EWSA, dass die Verbände sämtlicher Branchen seit der Reform der GMO-Verordnung aus dem Jahr 2013 ihre Vereinbarungen der Europäischen Kommission zur Prüfung nach den Wettbewerbsregeln vorlegen können, um so die Nachhaltigkeitsstandards der Produkte zu verbessern. Mit nachhaltigeren Erzeugnissen im Sinne der Umwelt-, Tiergesundheits- und Qualitätsstandards könnten die Akteure der Lebensmittelversorgungskette bessere Preise erzielen. Vorabgespräche mit der Kommission wären für die Branchenverbände im Hinblick auf etwaige künftige Vorlagen hilfreich.

1.11Der EWSA betont, dass die gesamte Palette staatlicher Lenkungsmaßnahmen als politische Instrumente zur Einschränkung der Produktion und des Verzehrs ungesunder Lebensmittel sowie zur Förderung gesunder Ernährungsgewohnheiten angesehen werden sollte. Die externalisierten Kosten einer nicht nachhaltigen Ernährung sind versteckte Belastungen für die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt und müssen verringert bzw. internalisiert werden. Der EWSA fordert geeignete politische Strategien zur Umsetzung der Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung, wobei den sich daraus zusätzlich ergebenden Vorteilen für Landwirte und Unternehmen besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte.

1.12Europa setzt sich für das Recht der Verbraucher auf korrekte Informationen ein. Wenn wir wollen, dass sich die Menschen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung entscheiden, weil dies allgemein üblich und für sie am einfachsten ist, dann braucht Europa offene, auf Fakten beruhende Kriterien, die etwa im Rahmen gemeinsamer Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung festgelegt werden.

2.Einleitung

2.1In seiner im Dezember 2017 verabschiedeten Initiativstellungnahme „Beitrag der Zivilgesellschaft zur Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU“ (NAT/711) 4 fordert der EWSA die Ausarbeitung einer umfassenden Ernährungspolitik in der EU mit dem Ziel, eine gesunde Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen zu gewährleisten, die Landwirtschaft mit Ernährungs- und Ökosystemleistungen zu verknüpfen und Versorgungsketten sicherzustellen, mit denen die öffentliche Gesundheit aller Gesellschaftsschichten in der EU gewahrt wird. Um diese Ziele zu erreichen, müssen die politischen Maßnahmen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite aufeinander abgestimmt werden. Dies bedeutet, dass neben der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Lebensmitteln aus nachhaltiger Erzeugung auch gewährleistet werden muss, dass die Verbraucher besseren Zugang zu gesunden und wohlschmeckenden Lebensmitteln haben und sich bewusst häufiger für solche Produkte entscheiden. Ziel dieser Initiativstellungnahme ist es, eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise als eine der wichtigsten Säulen einer umfassenden EU-Ernährungspolitik zu thematisieren.

2.2Es gibt starke politische Impulse für eine Debatte über eine gesunde und nachhaltige Ernährung:

·Laut dem jüngsten SOFI-Bericht (Report on State of Food Insecurity in the World – Lagebericht zur Ernährungsunsicherheit in der Welt 5 ) ist weltweit seit mittlerweile drei Jahren in Folge ein Anstieg des Hungers zu verzeichnen. Die absolute Zahl unterernährter Menschen hat sich im Jahr 2017 auf fast 821 Millionen erhöht, während sie 2016 ca. 804 Millionen betrug. Adipositas bei Erwachsenen steigt gegenwärtig ebenfalls an. Mehr als einer von acht Erwachsenen bzw. mehr als 672 Millionen Erwachsene weltweit sind übergewichtig. Die globale Adipositas-Pandemie geht mit enormen wirtschaftlichen Kosten von fast 3 % des globalen Bruttosozialprodukts einher, was den Folgekosten für das Rauchen und die Auswirkungen bewaffneter Konflikte entspricht. Sogar in Europa ist die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig und 20 % sind fettleibig.

·Die Vereinten Nationen haben ein Aktionsjahrzehnt für Ernährung ausgerufen und damit deutlich gemacht, dass die Lebensmittelsysteme mit Blick auf eine gesündere und ausgewogenere Ernährung neu gestaltet werden müssen. Die Hochrangige Sachverständigengruppe des Ausschusses für Welternährungssicherheit (HLPE) hat diese Notwendigkeit in ihrem Bericht vom September 2017 6 erneut bekräftigt. Die FAO und die Weltgesundheitsorganisation arbeiten derzeit an der neuen Definition einer gesunden und nachhaltigen Ernährung und planen eine internationale Konsultation für März 2019, um den multidimensionalen Charakter einer nachhaltigen Ernährung zu untersuchen.

·Die Ernährung spielt eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung der nachhaltigen Entwicklung und der Agenda 2030 insgesamt. Insbesondere gilt es sicherzustellen, dass alle Menschen ganzjährig Zugang zu sicheren und nahrhaften Lebensmitteln in ausreichender Menge haben, bis 2030 alle Formen der Mangelernährung beseitigt werden (Ziel 2), alle Menschen aller Altersstufen ein gesundes Leben führen können und ihr Wohlbefinden gefördert wird (Ziel 3). Die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung bietet somit eine Gelegenheit, die Verbrauchs- und Produktionsmuster nachhaltiger und gesünder zu gestalten.

·Die Verwirklichung der Ziele des Pariser Übereinkommens über den Klimawandel erfordert außerdem einen tiefgreifenden Wandel des Lebensmittelsystems, wobei in dem im Oktober 2018 angenommenen Sonderbericht des IPCC die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen wissenschaftlich belegt wird 7 .

·Auf EU-Ebene kann die GAP-Reform zum Anlass genommen werden, eine nachhaltigere Produktion und eine gesunde Ernährung zu fördern, wenn nährstoffreiche Erzeugnisse wie Obst, Gemüse und Milchprodukte für die Unionsbürgerinnen und -bürger leicht zugänglich gemacht werden.

·Der Ausschuss der Regionen hat vor kurzem eine Stellungnahme zum Thema „Lokale und regionale Anreize zur Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung“ 8 verabschiedet.

·Die Internationale Sachverständigengruppe für nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES Food) wird in Kürze ihren Bericht über eine „Gemeinsame Lebensmittelpolitik“ in der EU vorlegen, der auch konkrete Empfehlungen zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährung umfassen wird.

2.3Stadtverwaltungen (und Gebietskörperschaften) spielen eine immer wichtigere Rolle als Schlüsselakteure, wenn es um die Förderung nachhaltigerer Lebensmittelsysteme geht. Durch integrierte, bereichsübergreifende Maßnahmen bringen die Städte verschiedene Interessenträger zusammen, um eine Lebensmittelpolitik zu gestalten, die sowohl Lösungen für dringliche Ernährungsfragen wie Ernährungsunsicherheit und Übergewicht als auch für umfassendere Probleme in den Bereichen Umweltschutz, soziale Ungleichheit und Armut bietet. Mit dem Mailänder Pakt für städtische Lebensmittelpolitik, dem über 180 Städte weltweit beigetreten sind und der für 450 Millionen Einwohner gilt 9 , wurde diesbezüglich ein wichtiger Meilenstein gesetzt.

2.4Neben den politischen Impulsen besteht auch eine zunehmende wissenschaftliche und gesellschaftliche Dringlichkeit zur Bewältigung dieses Problems, wie in Abschnitt 3 näher erläutert wird.

3.Auswirkungen einer ungesunden und nicht nachhaltigen Ernährung

3.1Die Wahl der Ernährung hat viele – sowohl positive als auch schädliche – Auswirkungen. Die Europäerinnen und Europäer müssen bei der Verringerung der schädlichen Auswirkungen der Ernährung und der Nutzung der positiven Aspekte unterstützt werden. Das herkömmliche Konzept, nur eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln anzustreben, ist nicht mehr angemessen. Es ist zu berücksichtigen, wie Lebensmittel erzeugt und konsumiert werden und wie sie sich langfristig sowie unmittelbar auswirken. Die Ernährungsweise der europäischen Verbraucher hat unbeabsichtigte Folgen auf die Umweltverschmutzung (z. B. Einwegkunststoffverpackungen), das Klima, die Gesundheit, die biologische Vielfalt und weitere Bereiche. Diese Auswirkungen gefährden die Zukunft und erfordern Änderungen unseres Ernährungs- und Konsumverhaltens. Lebensmittelversorgungsketten – vom Landwirt bis zum Restaurant – müssen verschiedene politische Signale erhalten. Die Wissenschaft hat begonnen, eine angemessene Ernährung für das 21. Jahrhundert zu definieren: eine nachhaltige Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen. Jetzt muss die Politik diese Herausforderung angehen.

3.2Auswirkungen der Ernährung auf die öffentliche Gesundheit

Fehlernährung ist in Europa die Hauptursache für vorzeitige Todesfälle und vermeidbare Erkrankungen. Gesundheitsfragen liegen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten; die Europäische Kommission fördert in diesem Bereich hauptsächlich den Daten- und Informationsaustausch. Dennoch hat die EU Möglichkeiten, das Verständnis der Verbraucher dafür zu verbessern, wie wichtig eine nachhaltige Ernährung für ihre Gesundheit ist. Jedes Jahr sterben in der EU 550 000 Menschen im arbeitsfähigen Alter vorzeitig an nichtübertragbaren Krankheiten. Diese haben damit weltweit übertragbare Krankheiten als Ursache vorzeitiger Todesfälle überholt. Nichtübertragbare Krankheiten 10 verursachen mittlerweile die meisten Gesundheitsausgaben in den EU-Mitgliedstaaten und kosten nach Angaben der OECD die EU‑Volkswirtschaften jährlich 115 Milliarden EUR bzw. 0,8 % des BIP. Eine erhebliche Gefahr für die künftige öffentliche Gesundheit ist die Verbreitung antimikrobieller Resistenzen (AMR) 11 . Auch wenn die Kommission und WHO-Europa angemessene und umfangreiche Maßnahmen zur Bekämpfung von AMR ergriffen haben, muss mehr getan werden, um den Einsatz antimikrobieller Wirkstoffe in den landwirtschaftlichen Betrieben der EU zu verringern und die Einfuhr von Fleisch aus Drittländern zu verhindern, in denen Antibiotika prophylaktisch eingesetzt werden.

3.3Gesellschaftliche Auswirkungen der Ernährung

Die Ernährung ist sowohl ein wichtiger Indikator als auch ein entscheidender Faktor für soziale Ungleichheiten. In Europa ernähren sich Menschen mit geringem Einkommen schlechter und leiden stärker und früher an ernährungsbedingten Gesundheitsproblemen. Gebiete mit niedrigem Einkommen verfügen über eine geringere Kaufkraft als reichere Gebiete. Menschen mit niedrigem Einkommen ernähren sich einseitiger und verzehren weniger Obst und Gemüse. Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt sowie stark verarbeitete Lebensmittel stehen häufiger auf ihrem Speiseplan, und zwar schlicht deshalb, weil sie billiger sind.

3.4Kulturelle und psychologische Auswirkungen der Ernährung

Europa ist berühmt für seine vielfältigen und reichen kulinarischen Traditionen. Die EU hat zwar durch die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.), die geschützte geografische Angabe (g.g.A.) und die garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.) 12 viel zum Schutz von Spezialitäten und regionaltypischen Lebensmitteln beigetragen, doch kommt die Integration im Lebensmittelbereich nur schleppend voran, da die Verarbeitungsbetriebe die Produktion steigern, um Kosten zu senken und neue Märkte zu erschließen. Europa muss weitere Anstrengungen für den Wiederaufbau und die Diversifizierung unserer Esskulturen unternehmen – nicht, um sie nach außen hermetisch abzuriegeln, sondern um Vielfalt zu schaffen und sie so resilient zu machen. Durch eine vielfältigere Ernährung wird die Palette an Nährstoffen und Geschmacksrichtungen erweitert.

3.5Ökologische Auswirkungen der Ernährung

Die Erzeugung und der Konsum von Lebensmitteln haben erhebliche ökologische Auswirkungen auf den weltweiten Ressourcenverbrauch – in der EU sind sie jedoch weitaus geringer. Das Agrar- und Lebensmittelsystem hat beträchtliche Auswirkungen auf die Umwelt (z. B. Treibhausgasemissionen, biologische Vielfalt, Wasser, Böden). Europa kann die Auswirkungen von Lebensmittelsystemen, in denen diese unnötig verarbeitet werden, verringern, indem es eine Ernährung auf der Grundlage einfacher Nährstoffe anstatt einer kalorienreichen Ernährung fördert. Werden Lebensmittel anders angebaut, verarbeitet und konsumiert, können Lebensmittelsysteme auch gesundheitsfördernd wirken und die Resilienz stärken 13 14 . Dies bedeutet ganz ohne Zweifel, dass Rinder mit weniger Getreide gefüttert werden und die Verbraucher weniger Fleisch essen müssen. Dies würde sich sowohl auf das Klima als auch die Gesundheit vorteilhaft auswirken 15 . Wir müssen nachhaltigere Bewirtschaftungssysteme fördern und beispielsweise den positiven Umweltauswirkungen von Grünland (mehr Artenvielfalt, Kohlenstoffbindung) Rechnung tragen. Dies würde auch die Verbraucher zu einer gesunden, ausgewogenen und nachhaltigen Ernährung ermutigen.

3.6Ökonomische Auswirkungen der Ernährung

550 Millionen Europäerinnen und Europäer werden Jahr für Jahr mit Lebensmitteln versorgt, doch jetzt muss das System nachhaltiger werden. Das Subventionierungssystem der Gemeinsamen Agrarpolitik – die einen großen Anteil am EU-Haushalt ausmacht – wird von vielen Ökonomen kritisch gesehen. Das Gegenargument lautet, dass die Subventionen die Existenz der Landwirte in Europa sichern. Die Kosten für die Landwirte sind gestiegen, aber ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung ist gering. Das meiste Geld wird in der Lebensmittelbranche nicht von den landwirtschaftlichen Betrieben, sondern von anderen Akteuren verdient. Die Lebensmittelbranche ist einer der größten Wirtschaftszweige in der EU. So zählt die EU‑Lebensmittelbranche 4,2 Millionen Beschäftigte und erwirtschaftet einen Umsatz von 1 098 Milliarden Pfund 16 . Die Verbraucher profitieren von dem langfristigen Rückgang der Lebensmittelausgaben im Vergleich zu den restlichen Haushaltsausgaben. Dieser Kostenrückgang spiegelt aber nicht unbedingt die Gesamtkosten wider. Aus einer im Jahr 2017 durchgeführten Studie über das britische Lebensmittelsystem geht hervor, dass die Verbraucher im Vereinigten Königreich jährlich 120 Milliarden Pfund nur für Lebensmittel ausgeben. Dies verursacht Zusatzkosten in gleicher Höhe bei anderen „Haushaltslinien“ der Realwirtschaft, darunter 30 Milliarden Pfund für Bodendegradation und 40 Milliarden Pfund für Gesundheit 17 . Studien wie diese verdeutlichen die Notwendigkeit, für Kostenwahrheit zu sorgen, wofür auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen plädiert 18 .

4.Maßnahmen und Instrumente zur Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung

4.1Eine bessere Ernährung und gesündere Ernährungsgewohnheiten müssen in Europa dringend gefördert werden, und es sollte weiter geprüft werden, wie die Versorgung im Rahmen besserer Lebensmittelsysteme gestärkt werden kann 19 . Ein Übergang zu Lebensmittelsystemen, die nährstoffreiche Lebensmittel für eine gesunde Ernährung liefern, würde politische Veränderungen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite erfordern. Auf der Angebotsseite hängt die Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit von Lebensmitteln, die gesündere Ernährungsgewohnheiten fördern, entscheidend von den Faktoren Produktion, Verarbeitung (z. B. durch Neuformulierung), Vertrieb und Bereitstellung für die Verbraucher ab. Auf der Nachfrageseite sollten die Verbraucher durch politische Maßnahmen in die Lage versetzt werden, sich für eine gesündere Ernährung zu entscheiden, z. B. durch Unterricht in den Schulen und Sensibilisierungskampagnen, Ernährungsleitlinien, Kennzeichnung, Vergabe öffentlicher Aufträge usw. Die Strategien und Maßnahmen zur Steigerung des Angebots an bzw. der Nachfrage nach nährstoffreichen Lebensmitteln beeinflussen und bedingen sich wechselseitig. Daher sollte ein umfassender, bereichsübergreifender Ansatz auf mehreren Ebenen angenommen werden – unter Einbeziehung aller relevanten Institutionen, der Zivilgesellschaft sowie aller Akteure des Lebensmittelsystems.

4.2Ein Teil des Problems besteht zudem darin, dass die Lebensmittelindustrie ihre Entscheidungen bislang oftmals auf der Grundlage kurzfristiger wirtschaftlicher Gründe getroffen hat, wodurch die Produktion und Verarbeitung mitunter in die falsche Richtung hin zum Anbau und zur Verwendung ungesunder Zutaten (z. B. Palmöl, Transfettsäuren, überschüssiger Zucker und überschüssiges Salz) gelenkt wurde. Ein nachhaltiger Ansatz bedeutet, dass nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden. Ein solcher Ansatz muss unbedingt eine langfristige Perspektive haben und die Voraussetzungen für kürzere und territoriale Lebensmittelversorgungsketten schaffen. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, einen neuen „Rahmen“ für die Lebensmittelindustrie, darunter KMU, zu fördern, damit sie gesündere und nachhaltigere Lebensmittel erzeugt, verarbeitet, vertreibt und verkauft. So sollten die EU den Herstellern die Bewerbung – ggf. auch schrittweise eingeführter – neuer Zusammensetzungen erleichtern, was mit den geltenden Rechtsvorschriften nicht möglich ist. Was die GAP anbelangt, so sollten für die Landwirte Anreize geschaffen werden, die eher gesundheitsförderlichen Rohstoffe vor Ort zu erzeugen. Der EWSA dringt außerdem auf eine rasche Einführung eines EU-weiten rechtlich verankerten Grenzwertes für industriell hergestellte Transfettsäuren in Lebensmitteln.

4.3Es gibt bereits mehrere politische Maßnahmen und Initiativen der EU zur Förderung einer gesunden Ernährung, beispielsweise Initiativen der Kommission wie die Europäische Aktionsplattform für Ernährung, körperliche Bewegung und Gesundheit, ordnungspolitische Maßnahmen zur Information der Verbraucher über Lebensmittel sowie nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, das 2017 veröffentlichte Weißbuch zur Adipositas, den EU‑Aktionsplan zu Adipositas im Kindesalter 2001-2020, einige Bestimmungen in dem neuen GAP-Vorschlag, das Schulobst-, ‑gemüse- und ‑milchprogramm der EU usw. Allerdings fehlt es an einem koordinierten Ansatz. Neue EU-Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung würden für die erforderliche Kohärenz sorgen und einen Rahmen mit mehreren Kriterien für die Mitgliedstaaten schaffen, anhand dessen sie ihre nationalen Leitlinien entwickeln können, wie unten weiter ausgeführt wird.

5.Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung

5.1Da immer mehr Fakten die Auswirkungen der Ernährung auf die Gesundheit, die Umwelt und die Wirtschaft belegen, nimmt das Interesse an der Entwicklung sogenannter „Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung“ zu. Fast alle Nationalstaaten verfügen über offizielle nährwert- oder lebensmittelbasierte Ernährungsleitlinien. Davon bekannt sind etwa die Empfehlungen, weniger Salz zu essen sowie mehrere „Portionen“ Obst- und Gemüse und bestimmte Mengen an Fisch zu verzehren. Angesichts der soliden Belege für die ökologischen Folgen erscheint es logisch, nunmehr umfassendere Kriterien in Ernährungsempfehlungen aufzunehmen – daher auch die zunehmenden Forderungen nach „Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung“ 20 .

5.2Die EU-Mitgliedstaaten erarbeiten bereits verschiedene Formen von Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung. 21 Davon wurden einige von nationalen Fachgremien für Gesundheit und Ernährung 22 , 23 , andere in Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Agenturen 24 und einige weitere von der Zivilgesellschaft und der Industrie 25 konzipiert. Diese Vielfalt hat sich in der Probephase als nützlich erwiesen, doch jetzt ist ein klarer, kohärenter, gemeinsamer Rahmen erforderlich, wenn die Verbraucher auf dem Binnenmarkt davon profitieren sollen. Bei der Umsetzung der Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung und der entsprechenden Maßnahmen muss eine wirksame Kontrolle gewährleistet sein.

5.3Es sollte eine Sachverständigengruppe eingerichtet und mit der Aufgabe betraut werden, europaweite Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung zu formulieren. Hierin sollten auch relevante fachliche und wissenschaftliche Einrichtungen aus den Bereichen Ernährung, öffentliche Gesundheit, Lebensmittel, Umwelt- und Sozialwissenschaften einbezogen werden. Die Sachverständigengruppe würde innerhalb von zwei Jahren Leitlinien formulieren, die den Verbrauchern klare Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährung an die Hand geben und sich dabei auf die Forschungsarbeiten und Daten der Gemeinsamen Forschungsstelle, von Food 2030, des Ständigen Agrarforschungsausschusses und anderer stützen. Diese Leitlinien stünden den Mitgliedstaaten zur Verwendung auf nationaler Ebene zur Verfügung, z. B. im Gesundheitswesen und in öffentlichen Einrichtungen, und auf EU-Ebene als Beitrag zur Entwicklung eines klareren, integrierten Rahmens für die Lebensmittelversorgungskette. Die Leitlinien würden dazu beitragen, umfassende Zielsetzungen der EU wie z. B. die Unterstützung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, des Pariser Klimaschutzübereinkommens sowie anderer Nachhaltigkeitsverpflichtungen und -programme wie Food 2030 zu erreichen 26 . Die Sachverständigengruppe sollte zentrale Gremien wie den Dachverband europäischer Gesellschaften für Ernährung (FENS), IPES-Food, den Europäischen Verband für öffentliche Gesundheit (EUPHA) und den Europäischen Dachverband für Ökologie (European Ecological Federation) einbinden, Beiträge aus wissenschaftlichen Quellen wie z. B. jene des Ständigen Agrarforschungsausschusses (CPRA) berücksichtigen und Unterstützung von der GD Landwirtschaft, der GD Umwelt, der GD Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, der Europäischen Umweltagentur und dem Ständigen Agrarforschungsausschuss (CPRA) erhalten. Der EWSA ist bereit, sich an der Expertengruppe zu beteiligen und insbesondere über seine Temporäre Studiengruppe Nachhaltige Lebensmittelsysteme den Standpunkt der Zivilgesellschaft in deren Arbeiten einzubringen.

6.Systeme zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel

6.1Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung sollten auch die Grundlage für eine weiter gefasste Lebensmittelkennzeichnung bilden, welche verständlich wäre und die Transparenz verbessern und den Einsatz unnötig billiger Rohstoffe (z. B. Transfettsäuren, Palmöl und überschüssiger Zucker) eindämmen würde, die weder gesund noch nachhaltig sind. Die Erweiterung der Lebensmittelkennzeichnung, einschließlich der EU-Gütezeichen (g.g.A., g.U. und g.t.S.), um ökologische, gesellschaftliche sowie gesundheitliche und ernährungsphysiologische Aspekte würde den Verbrauchern zugutekommen.

6.2Bislang lag der Schwerpunkt der politischen Maßnahmen auf dem Nährwert und anderen gesundheitsbezogenen Angaben, doch weist der EWSA darauf hin, dass zunehmend Besorgnis über das Fehlen von Verbraucherinformationen und -bildung über die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Lebensmitteln geäußert wird. Die Einführung eines klaren Systems zur Kennzeichnung des Ursprungs, der Herstellungsverfahren und des Nährwerts von Lebensmitteln würde den Verbrauchern die Wahl erleichtern. Auch die Rückverfolgbarkeit ist sowohl für die Lebensmittelerzeuger als auch für die Verbraucher von großer Bedeutung, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten 27 . Daher bekräftigt der EWSA seine Forderung nach der Entwicklung eines neuen intelligenten Systems zur Kennzeichnung nachhaltiger Lebensmittel, das auf EU-Ebene harmonisiert werden sollte 28 . Dieses System sollte auch auf den neuen Rückverfolgbarkeits- und Zertifizierungsverfahren basieren und wird in den künftigen Arbeiten der Temporären Studiengruppe des EWSA „Nachhaltige Lebensmittelsysteme“ eingehender geprüft werden. Technologien wie Apps für Mobilgeräte sowie Warenauszeichnungen im Einzelhandel, die alle erforderlichen Informationen und eine lückenlose Rückverfolgbarkeit bieten, sollten künftig in den Fokus gerückt werden.

7.Öffentliches Auftragswesen

7.1Durch die Vergabe öffentlicher Aufträge wären die lokalen Behörden in der Lage, die Leitlinien für eine nachhaltige Ernährung schrittweise in diversen öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Schulen und Krankenhäusern, anzuwenden. Die Herstellung, der Verkauf und der Verzehr gesunder, lokaler und saisonaler Lebensmittel, die Nachhaltigkeit gewährleisten, würde zur Erreichung des Ziels 12.7 – eine nachhaltige öffentliche Auftragsvergabe – der Agenda 2030 beitragen. In den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge sollten lokale Erzeuger bevorzugt werden, um eine gesunde Ernährung und die Entwicklung der lokalen Wirtschaft zu fördern.

7.2Es gibt bereits einige Initiativen zur Förderung der Beschaffung nachhaltiger Lebensmittel, die das wachsende Interesse an diesem Thema und das zunehmende Engagement der Zivilgesellschaft und der lokalen Behörden verdeutlichen. So unterstützt die Organisation ICLEI – Lokale Gebietskörperschaften für Nachhaltigkeit derzeit eine Initiative für eine verpflichtende schrittweise Umstellung auf die Beschaffung nachhaltiger Lebensmittel in allen europäischen Schulen und Kindergärten, wobei zunächst angestrebt wird, dass bis 2022 20 % der Lebensmittel aus ökologischem Anbau stammen sollen.

7.3Der EWSA würdigt die Überarbeitung der EU-Kriterien für die umweltgerechte Vergabe öffentlicher Aufträge (GPP) für Lebensmittel und Verpflegungsdienstleistungen, die derzeit von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission vorgenommen wird. Der EWSA fordert, eindeutige und ambitioniertere Kriterien für nachhaltige Lebensmittel in die GPP aufzunehmen und rechtliche Hemmnisse zu beseitigen, vor allem im Hinblick auf die Wettbewerbsregeln.

8.Wettbewerbsregeln

8.1Das Wettbewerbsrecht wird mitunter als Hindernis für die Erzeugung und den Vertrieb nachhaltiger und gesunder Lebensmittel dargestellt. Konsultationen mit der GD Wettbewerb der Kommission sollten sowohl die Klarstellung als auch die Anpassung an die bestehenden Vorschriften fördern, damit die europäischen Lebensmittelversorgungsketten bessere Bedingungen schaffen und ihren Übergang zur Nachhaltigkeit beschleunigen.

8.2Nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 29 sind den Wettbewerb beschränkende Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren unabhängigen Marktteilnehmern verboten. Hierbei geht es insbesondere um Preisabsprachen. Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV sind Vereinbarungen von dem Verbot nach Artikel 101 Absatz 1 ausgenommen, wenn sie objektive wirtschaftliche Vorteile schaffen, die stärker ins Gewicht fallen als die negativen Auswirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung, z. B. durch einen Beitrag zur Verbesserung der Erzeugung oder den Vertrieb von Waren, und die Verbraucher angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligen 30 .

8.3Für anerkannte Branchenverbände kann eine Ausnahme von Artikel 101 Absatz 1 AEUV gelten, falls sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Gemäß Artikel 210 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 (GMO-Verordnung) können Branchenverbände ihre Vereinbarungen der Kommission vorlegen, und wenn diese nicht innerhalb von zwei Monaten nach vollständiger Vorlage befindet, dass eine Vereinbarung mit den Unionsvorschriften unvereinbar ist, kommt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht zur Anwendung. Die Vereinbarungen dürfen weder zur Festsetzung von Preisen bzw. Quoten noch zur Marktaufteilung führen noch andere Wettbewerbsverzerrungen verursachen. Unter Nutzung der Möglichkeiten der GMO-Verordnung könnten die Branchenverbände Vereinbarungen für höhere Nachhaltigkeitsstandards abschließen.

9.Information und Sensibilisierung

9.1Der EWSA bekräftigt seinen Vorschlag, eine europaweite Informations- und Sensibilisierungskampagne über den „Wert von Lebensmitteln“ auf den Weg zu bringen. Dies ist mit Blick auf eine langfristige Änderung des Verbraucherverhaltens erforderlich. 31

9.2Verstärkte Investitionen in die Ernährungserziehung in den Schulen sowie in der Berufsausbildung sind ebenfalls notwendig.

9.3Der EWSA fordert erneut EU-weite visuelle Werbekampagnen für gesündere Lebensmittel und Ernährungsgewohnheiten 32 – in Anlehnung an die an Kinder gerichteten, positiven sozialen Werbekampagnen einiger Fernsehsender, in denen beispielsweise eine ausgewogenere Ernährung propagiert wird. Wirksamere Kontrollen sollten für die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren, Transfettsäuren, freien Zuckern und/oder Salz (HFZS-Lebensmittel) eingeführt werden, nicht nur zur Hauptsendezeit für Kinder, sondern auch über die sozialen Medien und andere kommerzielle Kanäle, die die Lebensmittelvorlieben von Kindern prägen 33 , 34 .

Brüssel, den 20. Februar 2019

Luca JAHIER
Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

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(1)     http://www.interacademies.org/48945/Global-food-systems-are-failing-humanity-and-speeding-up-climate-change .
(2)     https://www.c40.org/ .
(3)     COM(2017) 713 final .
(4) ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18 .
(5)    State of Food Insecurity in the world (SOFI) report 2018: http://www.fao.org/state-of-food-security-nutrition/en/ .
(6)    HLPE, 2017. Ernährung und Lebensmittelsysteme.
(7)     http://www.ipcc.ch/news_and_events/pr_181008_P48_spm.shtml .
(8)    Kurzdarstellung der Stellungnahme zum Thema Lokale und regionale Anreize zur Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung .
(9)     http://www.milanurbanfoodpolicypact.org/ .
(10)    Europäische Kommission (2018). Nichtübertragbare Krankheiten https://ec.europa.eu/health/non_communicable_diseases/overview_en .
(11)    Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, Zusammenfassung der jüngsten Daten über die Antibiotikaresistenz in der Europäischen Union (2017). https://ecdc.europa.eu/sites/portal/files/documents/EAAD%20EARS-Net%20summary.pdf .
(12)      Europäische Kommission, geographische Angaben und traditionelle Spezialitäten
http://ec.europa.eu/agriculture/quality/schemes/index_en.htm .
(13)    Berners-Lee M, et al (2018) Current global food production is sufficient to meet human nutritional needs in 2050 provided there is radical societal adaptation, Elementa, 6, 1, 52: http://doi.org/10.1525/elementa.310 .
(14)    Ritchie H, D Reay & P Higgins (2017). Beyond Calories: A Holistic Assessment of the Global Food System, Frontiers in Sustainable Food Systems, 2, 57, doi: 10.3389/fsufs.2018.00057.
(15)    Siehe etwa den Bericht des World Resource Institute aus dem Jahr 2018 Creating a Sustainable Future. ( https://www.wri.org/publication/creating-sustainable-food-future ) sowie jenen der EAT-Lancet-Kommission Healthy Diets from Sustainable Food Systems (2019). Food in the Anthropocene  https://eatforum.org/initiatives/eat-lancet/ .
(16)    FDE (2018). Jahresbericht 2018. https://www.fooddrinkeurope.eu/uploads/publications_documents/FoodDrinkEurope_Annual_Report_INTERACTIVE.pdf .
(17)    Sustainable Food Trust (2017). The Hidden Cost of Food. Bristol.http://sustainablefoodtrust.org/wp-content/uploads/2013/04/HCOF-Report-online-version.pdf.
(18)    UNEP (2017). TEEB for Agriculture and Food Interim Report. Nairobi: UN Environment Programme. http://teebweb.org/agrifood/home/teeb-for-agriculture-food-interim-report/ .
(19)       ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18 .
(20)    Gonzalez-Fischer C, T Garnett (2016). Plates, pyramids, planet: Developments in national healthy and sustainable dietary guidelines: a state of play assessment. Rome and Oxford: FAO and Food Climate Research Network.
(21)    Siehe den Überblick in Lang T., Mason P. (2017). Sustainable diet policy development: implications of multi-criteria and other approaches, 2008–2017, Proceedings of the Nutrition Society, doi: 10.1017/S0029665117004074.
(22)    Health Council of the Netherlands (2011) Guidelines for a Healthy Diet: the Ecological Perspective. Contract No.: publication no. 2011/08E The Hague: Health Council of the Netherlands.
(23)    Voedingscentrum (2016). Netherland Nutrition Centre guidelines Wheel of Five (Appendix 13 on sustainability issues). Den Haag: Voedingscentrum.
(24)    National Food Administration, Environment Agency (2008) Environmentally Effective Food Choices: Proposal notified to the EU. Stockholm: National Food Administration.
(25)    Rat für Nachhaltige Entwicklung: Der Nachhaltige Warenkorb - Einfach besser einkaufen (2014). Berlin: Rat für Nachhaltige Entwicklung https://www.nachhaltigkeitsrat.de/projekte/der-nachhaltige-warenkorb/ /.
(26)     http://ec.europa.eu/research/bioeconomy/index.cfm?pg=policy&lib=food2030 .
(27)     ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 64 .
(28)       ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18 .
(29)

    ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 1 .

(30)    COM(2018) 706 final https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1548067422942&uri=CELEX:52018DC0706 .
(31)      Siehe Fußnote 12.
(32)     ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 64 .
(33)    WHO Region for Europe (2018). Maßnahmen zur Einschränkung von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel. Copenhagen: WHO Europe http://www.euro.who.int/en/health-topics/disease-prevention/nutrition/news/news/2018/10/policies-to-limit-marketing-of-unhealthy-foods-to-children-fall-short-of-protecting-their-health-and-rights .
(34)    Food Active & Children’s Food Campaign (2018). Junk Food Marketing to Children: a study of parents’ perceptions. London. http://www.foodactive.org.uk/wp-content/uploads/2018/06/Junk-Food-Marketing-to-Children-a-study-of-parents-perceptions.pdf .
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