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Document 62023TO1059
Order of the General Court (Ninth Chamber) of 4 October 2024.#Vossko GmbH & Co. KG v European Commission.#Case T-1059/23.
Beschluss des Gerichts (Neunte Kammer) vom 4. Oktober 2024.
Vossko GmbH & Co. KG gegen Europäische Kommission.
Nichtigkeitsklage – Handelspolitik – Art. XXVIII des GATT – Abkommen zwischen der Union und Brasilien – Änderung der Zugeständnisse für Zollkontingente infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union – Gegartes Geflügelfleisch – Durchführungsverordnung der Kommission – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Keine individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit.
Rechtssache T-1059/23.
Beschluss des Gerichts (Neunte Kammer) vom 4. Oktober 2024.
Vossko GmbH & Co. KG gegen Europäische Kommission.
Nichtigkeitsklage – Handelspolitik – Art. XXVIII des GATT – Abkommen zwischen der Union und Brasilien – Änderung der Zugeständnisse für Zollkontingente infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union – Gegartes Geflügelfleisch – Durchführungsverordnung der Kommission – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Keine individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit.
Rechtssache T-1059/23.
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2024:689
BESCHLUSS DES GERICHTS (Neunte Kammer)
4. Oktober 2024(*)
„ Nichtigkeitsklage – Handelspolitik – Art. XXVIII des GATT – Abkommen zwischen der Union und Brasilien – Änderung der Zugeständnisse für Zollkontingente infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union – Gegartes Geflügelfleisch – Durchführungsverordnung der Kommission – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Keine individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit “
In der Rechtssache T‑1059/23,
Vossko GmbH & Co. KG mit Sitz in Ostbevern (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwälte L. Harings und F. Jacobs,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis, R. Vidal Puig und R. Pethke als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot sowie der Richterinnen R. Frendo und T. Perišin (Berichterstatterin),
Kanzler: V. Di Bucci,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens
folgenden
Beschluss
1 Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die Vossko GmbH & Co. KG, die Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) 2023/1629 der Kommission vom 9. August 2023 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/761 in Bezug auf die Mengen, die nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Föderativen Republik Brasilien im Rahmen bestimmter Zollkontingente im Zuckersektor und im Geflügelsektor eingeführt werden dürfen (ABl. 2023, L 202, S. 1, im Folgenden: angefochtene Verordnung).
Vorgeschichte des Rechtsstreits
2 Die Klägerin ist eine auf die Verarbeitung von Fleisch und Soja spezialisierte Gesellschaft mit Sitz in Deutschland. Sie stellt Tiefkühlprodukte aus Hähnchenfleisch, Putenfleisch, Schweinefleisch und Rindfleisch sowie vegetarische und vegane Produkte her. Sie besitzt u. a. ein Werk in Brasilien, das auf die Produktion von Tiefkühlprodukten aus gegartem Hähnchenfleisch spezialisiert ist, die sie anschließend in die Europäische Union einführt, um sie dort zu vermarkten.
3 Am 17. Dezember 2013 wurde die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 671) erlassen.
4 Die Verordnung Nr. 1308/2013 enthält Vorschriften für die Verwaltung von Zollkontingenten und die besondere Behandlung von Drittlandseinfuhren. Darüber hinaus wurde der Kommission die Befugnis übertragen, entsprechende delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte zu erlassen, um eine reibungslose Verwaltung der Zollkontingente sicherzustellen.
5 Am 17. Dezember 2019 erließ die Kommission die Delegierte Verordnung (EU) 2020/760 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 1308/2013 hinsichtlich der Vorschriften für die Verwaltung von Einfuhr- und Ausfuhrzollkontingenten, für die eine Lizenzregelung gilt, sowie zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Leistung von Sicherheiten im Rahmen der Verwaltung von Zollkontingenten (ABl. 2020, L 185, S. 1).
6 Mit der Delegierten Verordnung 2020/760 werden die Zugangsanforderungen festgelegt, die ein Marktteilnehmer für die Einreichung eines Lizenzantrags im Rahmen eines Zollkontingents erfüllen muss.
7 Am selben Tag erließ die Kommission auch die Durchführungsverordnung (EU) 2020/761 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 1306/2013, Nr. 1308/2013 und (EU) Nr. 510/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf das Verwaltungssystem für Zollkontingente mit Lizenzen (ABl. 2020, L 185, S. 24).
8 Die Durchführungsverordnung 2020/761 enthält Vorschriften für die Verwaltung von Ein- und Ausfuhrzollkontingenten für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die im Rahmen einer Regelung über Ein- und Ausfuhrlizenzen verwaltet werden, die auf Anträge durch die zuständigen nationalen Behörden ausgestellt werden.
9 Die Mengen an gegartem Hähnchenfleisch, die aus Brasilien in die Union eingeführt werden dürfen, unterliegen einer Kontingentierungsregelung. Die Union und die Föderative Republik Brasilien haben nämlich ein Abkommen nach Art. XXVIII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) 1994 geschlossen, mit dem u. a. die in die Union eingeführten Mengen verschiedener landwirtschaftlicher Erzeugnisse beschränkt werden, darunter unter der laufenden Nummer 09.4214 „Zubereitungen aus Geflügelfleisch, außer Truthühnerfleisch“, die manchmal unter derselben laufenden Nummer auch mit „Hühnerfleisch, gegart“ bezeichnet werden. Als die Union 28 Mitgliedstaaten umfasste, wurde die Menge in Bezug auf das Zollkontingent für „Hühnerfleisch, gegart“ aus Brasilien auf 79 477 Tonnen festgesetzt.
10 Am 29. März 2017 teilte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland mit, dass es gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten beabsichtigt. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 teilten die Union und das Vereinigte Königreich den anderen Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) mit, dass sie anstreben, dass das Vereinigte Königreich beim Austritt aus der Union seine derzeitigen Verpflichtungen als Mitgliedstaat der Union in seiner neuen, separaten Liste der Zugeständnisse und Verpflichtungen in Bezug auf den Handel mit Waren so weit wie möglich nachbildet. Nach den WTO-Regeln hat eine solche Aufteilung von Zollkontingenten, die Bestandteil der Liste der Zugeständnisse und Verpflichtungen der Union sind, nach Art. XXVIII des GATT 1994 zu erfolgen.
11 Zur Aufteilung der Zollkontingente und in Erwartung des Abschlusses eines neuen Abkommens zwischen der 27 Mitgliedstaaten umfassenden Union und der Föderativen Republik Brasilien wurde folgende Methode angewandt: In einem ersten Schritt wurde für jedes einzelne Zollkontingent der Nutzungsanteil des Vereinigten Königreichs ermittelt. Dieser als Prozentsatz ausgedrückte Anteil war der Anteil des Vereinigten Königreichs an den Gesamteinfuhren der Union im Rahmen des fraglichen Zollkontingents in einem repräsentativen Dreijahreszeitraum. Dieser Anteil wurde dann auf die in der Liste vorgesehene Gesamtmenge des Zollkontingents angewendet, um den Anteil des Vereinigten Königreichs an einem bestimmten Zollkontingent zu ermitteln. Der Unionsanteil war dann der verbleibende Anteil des betreffenden Zollkontingents.
12 So wurde mit dem Erlass der Verordnung (EU) 2019/216 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Januar 2019 über die Aufteilung der Zollkontingente in der WTO-Liste der Union nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 32/2000 des Rates (ABl. 2019, L 38, S. 1) vorläufig entschieden, dass der Anteil der 27 Mitgliedstaaten umfassenden Union an der Nutzung des Zollkontingents für „Hühnerfleisch, gegart“ aus Brasilien auf 66,3 % des Gesamtkontingents, d. h. 52 665 Tonnen, festzusetzen sei, wobei die verbleibenden 33,7 % den Anteil des Vereinigten Königreichs an der Nutzung des fraglichen Zollkontingents vor seinem Austritt aus der Union darstellten.
13 Am 25. Mai 2023 erließ der Rat den Beschluss (EU) 2023/1056 über den Abschluss – im Namen der Union – des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Föderativen Republik Brasilien nach Artikel XXVIII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) 1994 über die Änderung der Zugeständnisse für alle in der EU-Liste CLXXV aufgeführten Zollkontingente infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (ABl. 2023, L 142, S. 1). Mit diesem Beschluss genehmigte der Rat auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 4 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 218 Abs. 6 Buchst. a Ziff. v AEUV im Namen der Union das am 1. Februar 2023 in Brüssel unterzeichnete und am 26. Mai 2023 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Föderativen Republik Brasilien nach Artikel XXVIII des GATT 1994 über die Änderung der Zugeständnisse für alle in der EU-Liste CLXXV aufgeführten Zollkontingente infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (ABl. 2023, L 142, S. 3, im Folgenden: Änderungsabkommen).
14 Nach Abschluss des Änderungsabkommens erließ die Kommission am 9. August 2023 die angefochtene Verordnung.
15 Wie im Änderungsabkommen vorgesehen, wird in der angefochtenen Verordnung in Bezug auf das Zollkontingent für „Hühnerfleisch, gegart“ aus Brasilien nunmehr eine Menge von 37 453 Tonnen festgesetzt.
Anträge der Parteien
16 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
17 Die Kommission beantragt in ihrer Einrede der Unzulässigkeit,
– die Klage als unzulässig abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
18 Gemäß Art. 130 Abs. 1 und 7 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit vorab entscheiden. Im vorliegenden Fall hat die Kommission beantragt, über die Unzulässigkeit zu entscheiden, und das Gericht, das sich durch die Aktenstücke für hinreichend unterrichtet hält, beschließt, ohne Fortsetzung des Verfahrens über diesen Antrag zu entscheiden.
19 Die Kommission stützt ihre Einrede der Unzulässigkeit auf zwei Einwände gegen die Klagebefugnis der Klägerin, mit denen sie erstens geltend macht, dass die angefochtene Verordnung ihre Wirkungen gegenüber der Klägerin nur über Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV entfalte, und zweitens, dass diese Verordnung die Klägerin nicht im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV individuell betreffe.
20 Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen und bringt vor, die angefochtene Verordnung stelle ihr gegenüber einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter dar, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, und folglich ihre unmittelbare Betroffenheit ausreiche, um ihre Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV zu begründen. Im Übrigen sei sie jedenfalls im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV unmittelbar und individuell von der angefochtenen Verordnung betroffen.
21 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 Abs. 4 AEUV jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen nach den Abs. 1 und 2 dieses Artikels gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben kann.
22 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die angefochtene Verordnung nicht an die Klägerin gerichtet ist. Daraus folgt, dass sie keine Klage auf der Grundlage von Art. 263 Abs. 4 erste Variante AEUV erheben kann.
23 Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die Klägerin ihre Klagebefugnis auf Art. 263 Abs. 4 zweite oder dritte Variante AEUV stützen kann, d. h. ob sie von der angefochtenen Verordnung unmittelbar und individuell betroffen ist oder ob diese Verordnung einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter darstellt, der sie unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.
Zur Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV
Qualifizierung der angefochtenen Verordnung als Rechtsakt mit Verordnungscharakter
24 Wie die Kommission einräumt, handelt es sich bei der angefochtenen Verordnung um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 AEUV. So hat sie allgemeine Geltung, da sie auf objektiv bestimmte Tatbestände anwendbar ist und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen erzeugt. Die angefochtene Verordnung ist auch kein Gesetzgebungsakt, da sie weder nach dem ordentlichen noch nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren im Sinne von Art. 289 Abs. 1 bis 3 AEUV angenommen wurde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 7. Dezember 2022, Sunrise Medical und Sunrise Medical Logistics/Kommission, T‑721/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:791, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Verordnung ist nämlich ein Rechtsakt der Kommission, der in Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse auf der Grundlage von Art. 187 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 1308/2013 erlassen wurde.
Nichtvorliegen von Durchführungsmaßnahmen
25 Die Kommission trägt vor, die angefochtene Verordnung erfordere den Erlass von Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV, um rechtliche Wirkung gegenüber der Klägerin zu entfalten. Die mit der angefochtenen Verordnung neu festgesetzten Zollkontingente als solche entfalteten keine Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin, denn die Verordnung sehe lediglich eine Festsetzung des globalen jährlichen Einfuhrzollkontingents vor. Überdies erlaubten die Regelungen von Art. 9 Abs. 8 und 9 der Delegierten Verordnung 2020/760 eine Abweichung von den Referenzmengen. Zollkontingente würden dann von den nationalen Behörden vergeben. Die Anträge auf Erteilung von Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen würden von den nationalen Behörden zugelassen. Die Tatsache, dass diese Behörden bei der Erteilung solcher Lizenzen nur einen geringen Ermessensspielraum hätten, sei für die Existenz von Durchführungsmaßnahmen nicht relevant. Die Antragsteller könnten die Lizenzen vor den nationalen Gerichten anfechten und dort die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verordnung geltend machen. Schließlich könnte oder müsste ein mitgliedstaatliches Gericht bei einer Frage der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen.
26 Die Klägerin macht geltend, sie sei klagebefugt, da die angefochtene Verordnung keine Durchführungsmaßnahmen mit einem eigenständigen Regelungsgehalt nach sich ziehe, die im Wege nationalstaatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten angegriffen werden könnten.
27 Erstens setze die angefochtene Verordnung das Zollkontingent 09.4214 für gegartes Geflügelfleisch mit einem Fleischanteil von über 57 % auf 37 453 Tonnen fest. Aufgrund der in Art. 9 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2020/760 vorgesehenen Beschränkung der Lizenzerteilung auf maximal 15 % der insgesamt zur Verfügung stehenden Menge, könne die Klägerin daher nur die Einfuhr von insgesamt 5 617 Tonnen beantragen. Diese mengenmäßige Beschränkung stelle eine endgültige Regelung dar, die ihre Rechtsposition unmittelbar beeinflusse und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe, die im Wege nationalstaatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten angegriffen werden könnten. Die Anwendung der angefochtenen Verordnung auf nationaler Ebene erfolge automatisch, da die Verordnung den nationalen Behörden keinerlei Ermessensspielraum lasse.
28 Zweitens stehe der Klägerin keine Möglichkeit nationalen Rechtsschutzes, mit der sie die Gültigkeit der angefochtenen Verordnung inzident beanstanden könnte, zur Verfügung, da eine Klage gegen die Erteilung einer Einfuhrlizenz an der Klagebefugnis scheitern würde. Für eine inzidente Beanstandung der Gültigkeit der angefochtenen Verordnung müsste sie einen mit den gesetzlichen Regelungen nicht im Einklang stehenden Antrag auf Erteilung einer Einfuhrlizenz stellen, um einen ablehnenden Bescheid zu erhalten, den sie vor den nationalen Gerichten angreifen könnte. Durch diesen Rechtsschutzmangel werde ihr in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vorgesehener Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ernsthaft untergraben.
29 Zunächst ist der Begriff „Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die … keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV vor dem Hintergrund des Ziels dieser Vorschrift zu sehen, das, wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt, darin besteht, zu verhindern, dass ein Einzelner gezwungen ist, gegen das Recht zu verstoßen, um Zugang zu den Gerichten zu erlangen. Wenn sich daher ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter auf die Rechtsstellung einer natürlichen oder einer juristischen Person unmittelbar auswirkt, ohne dass Durchführungsmaßnahmen erforderlich sind, bestünde die Gefahr, dass diese Person, wenn sie vor dem Unionsrichter keinen unmittelbaren Rechtsbehelf einlegen könnte, um die Rechtmäßigkeit dieses Rechtsakts mit Verordnungscharakter anfechten zu können, keinen wirksamen Rechtsschutz hätte. In Ermangelung von Durchführungsmaßnahmen könnte nämlich eine natürliche oder juristische Person, obwohl sie von dem fraglichen Rechtsakt unmittelbar betroffen ist, eine gerichtliche Überprüfung desselben erst, nachdem sie gegen die Bestimmungen dieses Rechtsakts verstoßen hat, erwirken, indem sie im Rahmen der gegen sie vor den nationalen Gerichten eingeleiteten Verfahren die Rechtswidrigkeit dieser Bestimmungen geltend macht (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Hingegen ist die gerichtliche Kontrolle der Beachtung des Unionsrechts, wenn ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, unabhängig davon gewährleistet, ob die genannten Maßnahmen von der Union oder den Mitgliedstaaten erlassen wurden. Natürliche oder juristische Personen, die aufgrund der in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter der Union nicht unmittelbar vor den Unionsgerichten anfechten können, sind durch die Möglichkeit, die Durchführungsmaßnahmen anzufechten, die dieser Rechtsakt nach sich zieht, davor geschützt, dass ein derartiger Rechtsakt ihnen gegenüber angewendet wird (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Obliegt die Durchführung eines solchen Rechtsakts den Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, können natürliche oder juristische Personen unter den in Art. 263 Abs. 4 AEUV festgelegten Voraussetzungen vor den Unionsgerichten unmittelbar gegen die Durchführungsmaßnahmen klagen und sich zur Begründung dieser Klage nach Art. 277 AEUV auf die Rechtswidrigkeit des fraglichen Basisrechtsakts berufen. Obliegt diese Durchführung den Mitgliedstaaten, können diese Personen die Ungültigkeit des betreffenden Basisrechtsakts der Union vor den nationalen Gerichten geltend machen und diese veranlassen, sich gemäß Art. 267 AEUV mit Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu wenden (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist für die Beurteilung, ob ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, auf die Stellung der Person abzustellen, die sich auf ihre Klageberechtigung nach Art. 263 Abs. 4 letzter Satzteil AEUV beruft. Die Frage, ob der fragliche Rechtsakt Durchführungsmaßnahmen im Hinblick auf andere Personen nach sich zieht, spielt deshalb keine Rolle (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Im Licht dieser Klarstellungen ist zu prüfen, ob die angefochtene Verordnung Durchführungsmaßnahmen im Hinblick auf die Klägerin nach sich zieht.
34 Mit der angefochtenen Verordnung werden Anhang IV über Zollkontingente im Zuckersektor und Anhang XII über Zollkontingente im Geflügelsektor der Durchführungsverordnung 2020/761 gemäß dem Änderungsabkommen geändert. Bei Anhang XII über Zollkontingente im Geflügelsektor wird mit der angefochtenen Verordnung das Zollkontingent im Geflügelsektor unter der laufenden Nummer 09.4214 (Zubereitungen aus Geflügelfleisch, außer Truthühnerfleisch) auf 37 453 Tonnen herabgesetzt.
35 Mit der Durchführungsverordnung 2020/761 werden nach ihrem Art. 1 gemeinsame Vorschriften für die Verwaltung von Ein- und Ausfuhrzollkontingenten für landwirtschaftliche Erzeugnisse festgelegt, die im Rahmen einer Regelung über Ein- und Ausfuhrlizenzen verwaltet werden. Diese Lizenzen werden Marktteilnehmern auf Antrag von den zuständigen nationalen Behörden gemäß der Durchführungsverordnung 2020/761 erteilt.
36 Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2020/760 müssen Marktteilnehmer, die im Rahmen eines Zollkontingents eine Einfuhr- oder Ausfuhrlizenz beantragen, in der Union niedergelassen und in ein Mehrwertsteuerregister eingetragen sein. Sie reichen ihren Lizenzantrag bei der Lizenzen erteilenden Behörde des Mitgliedstaats ihrer Niederlassung und ihrer MwSt.‑Registrierung ein.
37 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 3 der Delegierten Verordnung 2020/760 sieht vor, dass die Referenzmenge eines Marktteilnehmers 15 % der Menge, die im jeweiligen Zollkontingentszeitraum für das Zollkontingent verfügbar ist, nicht übersteigen darf.
38 Im Übrigen setzt die Kommission gemäß Art. 9 Abs. 8 der Delegierten Verordnung 2020/760 das Erfordernis der Referenzmenge aus, wenn am Ende des neunten Monats eines Zollkontingentszeitraums die im Rahmen eines Zollkontingents beantragten Mengen unter der Menge liegen, die im Rahmen dieses Zollkontingents für diesen Zollkontingentszeitraum verfügbar ist.
39 Darüber hinaus kann die Kommission nach Art. 9 Abs. 9 der Delegierten Verordnung 2020/760 das Erfordernis der Referenzmenge für jedes Zollkontingent gemäß Anhang I der Durchführungsverordnung 2020/761 aussetzen, wenn unvorhersehbare und außergewöhnliche Umstände eine Nichtausschöpfung dieses Zollkontingents zu verursachen drohen.
40 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verordnung ihre Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin nur über die Rechtsakte entfaltet, die von den nationalen Behörden infolge der eingereichten Lizenzanträge auf der Grundlage der Durchführungsverordnung 2020/761 und der Delegierten Verordnung 2020/760 erlassen werden. Die Entscheidungen der nationalen Behörden über die Erteilung solcher Lizenzen, mit denen gegenüber den betreffenden Marktteilnehmern die einschlägigen Zollkontingente angewandt werden, und die Entscheidungen über die vollständige oder teilweise Ablehnung solcher Lizenzen sind daher Durchführungsmaßnahmen im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV (vgl. entsprechend Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 40).
41 Folglich kann die angefochtene Verordnung nicht als Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV qualifiziert werden.
42 Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen der Klägerin, die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen erfolgten automatisch, nicht in Frage gestellt. Nach ständiger Rechtsprechung ist der geltend gemachte fehlende Ermessensspielraum der nationalen Behörden nämlich nur bei der Prüfung der Voraussetzungen der unmittelbaren Betroffenheit des Klägers relevant. Dagegen ist die Frage, ob die angefochtene Verordnung den mit den Durchführungsmaßnahmen betrauten nationalen Behörden einen Ermessensspielraum lässt, für die Feststellung, ob die Verordnung im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht, irrelevant (vgl. Beschluss vom 7. Dezember 2022, Sunrise Medical und Sunrise Medical Logistics/Kommission, T‑721/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:791, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43 Was das auf einen Verstoß gegen den in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gestützte Vorbringen der Klägerin angeht, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass diese Vorschrift nicht darauf abzielt, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen bei den Unionsgerichten zu ändern, wie auch aus den Erläuterungen zu diesem Artikel hervorgeht, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta für deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Somit sind die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen im Licht des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auszulegen, ohne dass dies den Wegfall der in diesem Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen zur Folge hätte (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
45 Die gerichtliche Kontrolle der Wahrung der Rechtsordnung der Union wird jedoch, wie sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV ergibt, nicht nur durch den Gerichtshof, sondern auch durch die Gerichte der Mitgliedstaaten gewährleistet. Der AEU‑Vertrag hat nämlich mit seinen Art. 263 und 277 einerseits und mit seinem Art. 267 andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen gewährleisten soll, mit der die Unionsgerichte betraut werden (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass den Betroffenen im Rahmen eines nationalen Verfahrens das Recht zusteht, die Rechtmäßigkeit nationaler Entscheidungen oder jeder anderen nationalen Handlung, mit der eine Handlung der Union mit allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anzufechten und sich dabei auf die Ungültigkeit der Handlung der Union zu berufen (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zur Beurteilung der Gültigkeit in gleicher Weise wie die Nichtigkeitsklage eine Form der Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Insoweit ist daran zu erinnern, dass ein nationales Gericht, wenn es der Auffassung ist, dass einer oder mehrere der von den Parteien für die Ungültigkeit einer Handlung der Union vorgebrachten oder gegebenenfalls von Amts wegen geprüften Gründe durchgreifen, das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit vorlegen muss, da allein der Gerichtshof befugt ist, die Ungültigkeit einer Handlung der Union festzustellen (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 In Bezug auf Personen, die die Voraussetzungen von Art. 263 Abs. 4 AEUV für eine Klageerhebung beim Unionsgericht nicht erfüllen, ist es somit Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet werden kann (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Diese Pflicht der Mitgliedstaaten wurde durch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bestätigt, wonach diese „die erforderlichen Rechtsbehelfe [schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“. Eine solche Pflicht ergibt sich auch aus Art. 47 der Charta in Bezug auf Maßnahmen der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Im vorliegenden Fall lässt nichts in den Akten die Annahme zu, dass die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die nationalen Maßnahmen zur Durchführung der angefochtenen Verordnung hätte. Aus diesen Maßnahmen ergibt sich nämlich nicht, dass es der Klägerin unmöglich wäre, einen Antrag zu stellen, der die im Rahmen des durch die Delegierte Verordnung 2020/760 vorgeschriebenen Zollkontingents verfügbare Menge gegebenenfalls überschreitet.
52 In der Folge kann die Klägerin im Fall eines ablehnenden Bescheids die Gültigkeit der nationalen Durchführungsmaßnahme vor einem nationalen Gericht in Frage stellen und im Rahmen dieses Verfahrens die Rechtswidrigkeit des Basisrechtsakts geltend machen und das Gericht veranlassen, sich gegebenenfalls gemäß Art. 267 AEUV mit Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof zu wenden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 18. Dezember 2020, Micreos Food Safety/Kommission, T‑568/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:647, Rn. 177).
53 Dementsprechend und im Licht der oben in den Rn. 43 bis 50 angeführten Rechtsprechung ist das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie einen Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes rügt, zurückzuweisen.
54 Nach alledem ist festzustellen, dass die angefochtene Verordnung Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.
55 Folglich ist die Klägerin nur dann zur Klage gegen die angefochtene Verordnung befugt, wenn diese sie im Sinne von Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV unmittelbar und individuell betrifft.
Zur Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV
56 Die Kommission macht geltend, die Klägerin sei von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen. Sie sei von dieser Verordnung nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Importeur von Waren betroffen, ebenso wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer, der sich tatsächlich oder potenziell in der gleichen Lage befinde. Die angefochtene Verordnung berühre die Klägerin nicht wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände.
57 Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie erstens wegen der spürbaren Beeinträchtigung ihrer Marktstellung, zweitens wegen der Verletzung ihrer Verfahrensrechte und drittens wegen der Verletzung ihrer Grundrechte von der angefochtenen Verordnung individuell betroffen sei.
58 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen der unmittelbaren und der individuellen Betroffenheit nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV kumulativ sind (vgl. Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 75 und 76 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist zunächst zu prüfen, ob die zweite Voraussetzung, die individuelle Betroffenheit der Klägerin, erfüllt ist.
60 Nach ständiger Rechtsprechung kann eine natürliche oder juristische Person nur dann als von einem Rechtsakt, dessen Adressat sie nicht ist, individuell betroffen angesehen werden, wenn dieser Rechtsakt sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert, wie es der Adressat einer Entscheidung wäre (Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238; vgl. auch Urteil vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C‑384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeutet folglich keineswegs, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern diese Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (vgl. Urteil vom 16. Mai 2019, Pebagua/Kommission, C‑204/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:425, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
62 Eine Partei kann nicht behaupten, von einer Vorschrift individuell betroffen zu sein, die auf objektiv bestimmte Tatbestände anwendbar ist und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen erzeugt (vgl. Urteil vom 16. Mai 2019, Pebagua/Kommission, C‑204/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:425, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63 Ebenso ist der Umstand, dass sich eine Rechtsnorm auf die verschiedenen in ihren Anwendungsbereich fallenden Rechtssubjekte unterschiedlich auswirken kann, nicht geeignet, diese aus dem Kreis aller übrigen betroffenen Personen herauszuheben, sofern die Anwendung dieser Norm nach einem objektiv festgelegten Tatbestand erfolgt (vgl. Beschluss vom 24. Februar 2022, Thomas und Julien/Rat, T‑442/21, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:93, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
64 Der Umstand, dass eine Vorschrift ihrer Natur und ihrer Tragweite nach eine generelle Norm ist, da sie für sämtliche betroffenen Personen gilt, schließt jedoch nicht aus, dass sie einige von ihnen individuell betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, Sahlstedt u. a./Kommission, C‑362/06 P, EU:C:2009:243, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
65 Wenn ein Rechtsakt eine Gruppe von Personen berührt, deren Identität zum Zeitpunkt seines Erlasses aufgrund von Kriterien, die den Mitgliedern der Gruppe eigen waren, feststand oder feststellbar war, können diese Personen nämlich von dem Rechtsakt individuell betroffen sein, sofern sie zu einem beschränkten Kreis von Personen gehören. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsakt in Rechte eingreift, die diese Personen vor seinem Erlass erworben haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C‑132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
66 Im Licht dieser Grundsätze ist die Stichhaltigkeit des Vorbringens der Klägerin zu ihrer individuellen Betroffenheit durch die angefochtene Verordnung zu prüfen.
Vorbringen der Klägerin zur spürbaren Beeinträchtigung ihrer Marktstellung
67 Die Klägerin macht geltend, ihre individuelle Betroffenheit ergebe sich zum einen daraus, dass es einen begrenzten oder geschlossenen Kreis von Personen oder Unternehmen gebe, die von der angefochtenen Verordnung betroffen seien, und zum anderen daraus, dass sie als größter Importeur von gegartem brasilianischem Geflügelfleisch ein „Sonderopfer“ erbringe.
68 Nach der Rechtsprechung könne das Unionsgericht bei der Prüfung, ob ein Kläger von einem Rechtsakt individuell betroffen sei, u. a. berücksichtigen, ob die Marktstellung des Klägers durch diesen Rechtsakt spürbar beeinträchtigt werde.
69 Im vorliegenden Fall befinde sich die Klägerin in einer einzigartigen Situation, die sie von anderen Marktteilnehmern unterscheide, da sie innerhalb der Union der größte Importeur von gegartem brasilianischem Geflügelfleisch sei. Der Erlass der angefochtenen Verordnung nach Abschluss des Änderungsabkommens führe zu einer Reduzierung der Menge des Zollkontingents 09.4214 von 52 665 Tonnen auf 37 453 Tonnen, was für sie eine wirtschaftliche Belastung von 1,54 Mio. Euro pro Jahr zur Folge habe.
70 Im Übrigen sei sie durch den Erlass der angefochtenen Verordnung gezwungen, tiefgreifende Änderungen an ihrer Unternehmens- und Finanzstruktur sowie an ihrem Geschäftsmodell vorzunehmen, wodurch ihre umfangreichen Investitionen, die sie an ihrem brasilianischen Produktionsstandort getätigt habe, erheblich gefährdet würden. Sie sei gezwungen, einen Teil ihres Personals in der Produktion abzubauen, und nicht mehr in der Lage, Produkte zu den gewohnten Marktpreisen anzubieten.
71 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der angefochtenen Verordnung in Verbindung mit der Durchführungsverordnung 2020/761 und der Delegierten Verordnung 2020/760 anhand objektiver und abstrakter Kriterien festgelegt und nicht auf einen begrenzten Kreis von Personen beschränkt ist. Sie hat allgemeine Geltung und betrifft ab ihrem Inkrafttreten und für die Zukunft eine unbestimmte Anzahl von abstrakt beschriebenen Wirtschaftsteilnehmern.
72 Insbesondere sieht die Delegierte Verordnung 2020/760, wie die Kommission geltend macht, ohne dass die Klägerin dem entgegentritt, objektive und abstrakt definierte Bedingungen und Zugangsanforderungen vor, die ein Marktteilnehmer erfüllen muss, um einen Antrag im Rahmen des Zollkontingents 09.4214 zu stellen. In Art. 3 Abs. 1 der Delegierten Verordnung 2020/760 heißt es nämlich:
„Marktteilnehmer, die im Rahmen eines Zollkontingents eine Einfuhr- oder Ausfuhrlizenz beantragen, müssen in der Union niedergelassen und in ein Mehrwertsteuerregister eingetragen sein. Sie reichen ihren Lizenzantrag bei der Lizenzen erteilenden Behörde des Mitgliedstaats ihrer Niederlassung und ihrer MwSt.‑Registrierung … ein.“
73 Im Übrigen ergibt sich aus der Delegierten Verordnung 2020/760 in Verbindung mit der Durchführungsverordnung 2020/761, dass das Kontingent von insgesamt 37 453 Tonnen pro Jahr für alle abstrakt definierten Marktteilnehmer zur Anwendung kommt, einschließlich jener, die erst in Zukunft das Zollkontingent 09.4214 nutzen werden oder ihre Nutzung ausweiten oder verringern sollten.
74 Folglich hat die angefochtene Verordnung allgemeine Geltung, da sie auf objektiv bestimmte Tatbestände anwendbar ist und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen erzeugt.
75 Zweitens bestreitet die Klägerin nicht, dass es andere Wirtschaftsteilnehmer gibt, die von der Änderung des Zollkontingents 09.4214 betroffen sind. Sie macht lediglich geltend, dass sie unter den Importeuren auf dem Unionsmarkt eine einzigartige Stellung einnehme und ihr dadurch aufgrund der Änderung der Zollkontingente für gegartes Hühnerfleisch aus Brasilien ein besonders schwerer wirtschaftlicher Schaden entstehe.
76 Hierzu ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung einzelne Wirtschaftsteilnehmer nicht bereits deshalb von einem Rechtsakt individuell betroffen sind, weil dieser sie wirtschaftlich stärker berührt als die anderen Wirtschaftsteilnehmer desselben Sektors (vgl. Beschluss vom 3. Dezember 2008, RSA Security Ireland/Kommission, T‑227/06, EU:T:2008:547, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
77 Der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeutet im Übrigen keineswegs, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern diese Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (vgl. Urteil vom 28. April 2015, T & L Sugars und Sidul Açúcares/Kommission, C‑456/13 P, EU:C:2015:284, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
78 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass, auch wenn die angefochtene Verordnung Wirtschaftsteilnehmer wie die Klägerin betreffen kann, die auf die Verarbeitung bestimmter Geflügelfleischzubereitungen spezialisiert sind, nichts in den Akten den Schluss zulässt, dass die Klägerin im Verhältnis zu anderen betroffenen Wirtschaftsteilnehmern individuell betroffen wäre wie ein Adressat. Vielmehr betrifft die angefochtene Verordnung, wie sich aus den Rn. 71 bis 74 des vorliegenden Beschlusses ergibt, allgemein einen abstrakt definierten Kreis von Personen. Selbst wenn dieser abstrakt definierte Kreis von Personen die Klägerin faktisch in seine Wirkungen einbeziehen und ihr der behauptete wirtschaftliche Schaden entstehen sollte, ist sie im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern nicht individuell betroffen im Sinne der oben in Rn. 60 angeführten Rechtsprechung.
79 Ebenso wenig genügt der Umstand – wenn man davon ausgeht, dass er zutrifft –, dass die Klägerin innerhalb der Union der größte Importeur von gegartem brasilianischem Geflügelfleisch ist, um sie zu individualisieren, solange es andere Wirtschaftsteilnehmer gibt, die „Hühnerfleisch, gegart“ aus Brasilien in die Union einführen, und die Zahl und die Identität dieser Wirtschaftsteilnehmer nicht angegeben sind oder sich die Gruppe der Wirtschaftsteilnehmer nach dem Inkrafttreten des Änderungsabkommens auch noch ändern kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2011, Enviro Tech Europe und Enviro Tech International/Kommission, T‑291/04, EU:T:2011:760, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 Zwar hat der Gerichtshof in dem von der Klägerin angeführten Urteil vom 16. Mai 1991, Extramet Industrie/Rat (C‑358/89, EU:C:1991:214, Rn. 17), die individuelle Betroffenheit eines Importeurs anerkannt, der nachgewiesen hatte, dass er erstens der größte Importeur des Erzeugnisses, das Gegenstand der Antidumpingmaßnahme war, und zugleich Endverbraucher dieses Erzeugnisses war, dass zweitens seine wirtschaftlichen Tätigkeiten sehr weitgehend von den Einfuhren des Erzeugnisses abhingen und dass drittens seine Tätigkeiten von der streitigen Verordnung schwer getroffen waren, da nur wenige Produzenten das Erzeugnis herstellten und der Kläger Schwierigkeiten hatte, es sich bei dem einzigen Hersteller der Union zu beschaffen, der zudem noch sein Hauptmitbewerber für das Verarbeitungserzeugnis war.
81 Es ist jedoch erstens darauf hinzuweisen, dass die oben in Rn. 80 angeführte Rechtsprechung im Antidumpingbereich entwickelt wurde, während sich die vorliegende Rechtssache in einen anderen Kontext einfügt, der die Änderung bestimmter Zollkontingente nach dem Änderungsabkommen zwischen der Union und der Föderativen Republik Brasilien betrifft.
82 Zweitens gibt es, wie die Kommission ausführt, ohne dass dies von der Klägerin bestritten wird, im vorliegenden Fall 15 Marktteilnehmer, die im Rahmen des Zollkontingents mit der laufenden Nummer 09.4214 Geflügelfleisch aus Brasilien einführen. Selbst wenn es zutrifft, dass die Klägerin derzeit der größte Importeur im Rahmen dieses Zollkontingents ist, ist der Umfang ihrer Einfuhren an sich kein ausreichender Faktor, um sie von anderen Marktteilnehmern zu unterscheiden. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass die Klägerin im letzten Zollkontingentszeitraum, der am 30. Juni 2023 endete, Einfuhrlizenzen für mehr als 7 000 Tonnen erhalten hat, während drei andere Marktteilnehmer Einfuhrlizenzen für mehr als 5 000 Tonnen und zwei andere Marktteilnehmer Einfuhrlizenzen für mehr als 3 000 Tonnen erhalten haben.
83 Daraus folgt, dass die Klägerin von der angefochtenen Verordnung nur in ihrer objektiven Eigenschaft als Importeur von Waren betroffen ist, wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer, der sich tatsächlich oder potenziell in der gleichen Lage befindet. Daher berührt die angefochtene Verordnung die Klägerin nicht wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände.
84 Im Übrigen hat es der Gerichtshof im Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17), abgelehnt, dass die Eigenschaft als Importeur von Clementinen geeignet sein soll, die Klägerin zu individualisieren, indem er entschieden hat, dass sie durch die in Rede stehende Entscheidung in ihrer Eigenschaft als Importeur von Clementinen betroffen wurde, also im Hinblick auf eine kaufmännische Tätigkeit, die jederzeit durch jedermann ausgeübt werden konnte und daher nicht geeignet war, die Klägerin gegenüber der in Rede stehenden Entscheidung in gleicher Weise zu individualisieren wie den Adressaten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238 und 239).
85 Schließlich unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache, in der das von der Klägerin angeführte Urteil vom 17. Januar 1985, Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (11/82, EU:C:1985:18, Rn. 30 bis 32), ergangen ist. In diesem Urteil hat der Gerichtshof eine Klage gegen eine Maßnahme mit allgemeiner Geltung für zulässig erklärt, die von Unternehmen, die Rechte erworben hatten, erhoben wurde, weil die fragliche Maßnahme die Erfüllung von bereits geschlossenen Verträgen beeinträchtigte, die unter der Geltung dieser Maßnahme zu erfüllen waren.
86 Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber nicht ausgeführt, geschweige denn nachgewiesen, dass sie durch bereits geschlossene Verträge über die Lieferung der betreffenden Waren, die der Kommission bereits vor Erlass der angefochtenen Verordnung bekannt gewesen seien, individualisiert worden wäre. Folglich kann diese Rechtsprechung nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden.
87 Unter diesen Umständen genügt das Vorbringen der Klägerin in Bezug auf eine spürbare Beeinträchtigung ihrer Marktstellung nicht, um sie im Sinne der oben in Rn. 60 angeführten Rechtsprechung zu individualisieren und aus dem Kreis anderer Wirtschaftsteilnehmer herauszuheben.
Vorbringen der Klägerin zur Verletzung ihrer Verfahrensrechte
88 In der Klageschrift macht die Klägerin geltend, sie sei von der angefochtenen Verordnung individuell betroffen, weil sie nach Art. 2 Buchst. b der Verordnung 2019/216 ein Recht auf Verfahrensbeteiligung gehabt habe und die Kommission ihre Interessen bei der Aushandlung der Zollkontingente hätte berücksichtigen müssen.
89 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die Tatsache, dass sich eine Person an dem Verfahren beteiligt, das zum Erlass einer Unionshandlung führt, nur dann geeignet ist, diese Person hinsichtlich der fraglichen Handlung zu individualisieren, wenn die Unionsregelung Verfahrensgarantien für sie vorsieht (vgl. Beschluss vom 5. Mai 2009, WWF‑UK/Rat, C‑355/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:286, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
90 Im Übrigen kann nach der Rechtsprechung eine natürliche oder juristische Person, die im Rahmen des Verfahrens zum Erlass einer Unionshandlung über Verfahrensrechte verfügt – welche Verfahrensgarantie auch immer vorliegen mag –, nicht grundsätzlich die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit dieser Handlung anfechten. Der genaue Umfang des Anfechtungsrechts eines Einzelnen gegenüber einer Unionshandlung hängt nämlich von seiner durch das Unionsrecht bestimmten rechtlichen Stellung zum Schutz der so anerkannten legitimen Interessen ab (vgl. Urteil vom 28. Februar 2019, Rat/Growth Energy und Renewable Fuels Association, C‑465/16 P, EU:C:2019:155, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung).
91 Im vorliegenden Fall verpflichtet keine der Bestimmungen des anwendbaren rechtlichen Rahmens die Kommission, ein Verfahren durchzuführen, in dessen Rahmen die Klägerin ein Recht auf Anhörung hätte.
92 Mit der Kommission ist nämlich festzustellen, dass keinerlei Rechte auf Verfahrensbeteiligung bestehen, die zu einer individuellen Betroffenheit führen könnten. Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich ein solches Recht aus Art. 2 Buchst. b der Verordnung 2019/216. Wie aus ihrem sechsten Erwägungsgrund hervorgeht, betraf die Verordnung 2019/216 aber die Situation, in der zum Zeitpunkt des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union noch keine Übereinkunft mit dem betreffenden WTO-Mitglied über die jeweiligen Zollkontingente geschlossen war, während die angefochtene Verordnung gerade nach dem Abschluss einer solchen Übereinkunft erlassen wurde. Somit war Art. 2 Buchst. b der Verordnung 2019/216 nicht auf das Verfahren zum Erlass der angefochtenen Verordnung anwendbar.
93 Darüber hinaus wird der Kommission mit Art. 2 Buchst. b der Verordnung 2019/216 lediglich die Befugnis übertragen, einen delegierten Rechtsakt zur Änderung des Anhangs zu erlassen, um „relevanten Informationen, die ihr entweder im Rahmen der Verhandlungen nach Artikel XXVIII des GATT 1994 oder durch andere Quellen mit Interesse an einem bestimmten Zollkontingent zur Kenntnis gelangen“, Rechnung zu tragen. Wie die Kommission ausführt, beinhaltet diese Befugnis keine rechtliche Verpflichtung für sie, sich aktiv um solche Informationen zu bemühen oder die Informationen, die sie erhält, vor dem Abschluss einer internationalen Übereinkunft zu berücksichtigen.
94 Folglich ist das Vorbringen der Klägerin zu einer Verletzung ihrer Verfahrensrechte zurückzuweisen.
Vorbringen der Klägerin zur Verletzung ihrer Grundrechte
– Verletzung der unternehmerischen Freiheit und des Eigentumsrechts
95 Die Klägerin macht geltend, sie sei wegen der Verletzung ihrer in Art. 16 der Charta anerkannten unternehmerischen Freiheit und ihres in Art. 17 der Charta verankerten Eigentumsrechts individuell betroffen.
96 Hierzu ist festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerin, die angefochtene Verordnung verletze ihre Grundrechte, für sich allein nicht genügt, um die Zulässigkeit ihrer Klage herbeizuführen, denn sonst würden die Anforderungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV ausgehöhlt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. März 2021, Carvalho u. a./Parlament und Rat, C‑565/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:252, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
97 Folglich genügt das Vorbringen der Klägerin zur Verletzung ihrer unternehmerischen Freiheit und ihres Eigentumsrechts nicht, um sie im Sinne der oben in Rn. 60 angeführten Rechtsprechung zu individualisieren und aus dem Kreis anderer Wirtschaftsteilnehmer herauszuheben.
– Verletzung des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz
98 Die Klägerin beruft sich zur Stützung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage auf die Garantien des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta.
99 Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erlaubt es dem Gericht jedoch nicht, die in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannte Voraussetzung der Klagebefugnis wegfallen zu lassen (vgl. Beschluss vom 11. August 2023, Flynn/EZB, T‑675/22, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:477, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
100 Wie sich aus der in den Rn. 44 bis 53 des vorliegenden Beschlusses vorgenommenen Analyse ergibt, wird der Klägerin der gerichtliche Rechtsschutz nicht verwehrt.
101 Wie oben in Rn. 52 ausgeführt, steht es der Klägerin nämlich frei, gegen etwaige Handlungen nationaler Behörden vor den nationalen Gerichten Klage zu erheben, was es ihnen ermöglicht, dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.
102 Daher ist das Vorbringen der Klägerin zur Verletzung ihres Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zurückzuweisen.
103 Unter diesen Umständen ist die Klägerin von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen. Daher ist festzustellen, dass sie nicht nach Art. 263 Abs. 4 zweite Variante AEUV klagebefugt ist, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob sie von dieser Verordnung unmittelbar betroffen ist.
104 Nach alledem ist der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit stattzugeben und die Klage daher als unzulässig abzuweisen.
105 Hat der Beklagte nach Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben, so wird gemäß Art. 144 Abs. 3 der Verfahrensordnung über den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe erst entschieden, nachdem die Einrede zurückgewiesen wurde oder die Entscheidung darüber dem Endurteil vorbehalten wurde. Außerdem wird die Streithilfe gemäß Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung u. a. dann gegenstandslos, wenn die Klage für unzulässig erklärt wird. Unter diesen Umständen hat sich der Antrag des Rates der Europäischen Union vom 24. November 2023 auf Zulassung zur Streithilfe erledigt.
Kosten
106 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission aufzuerlegen.
107 Im Übrigen trägt nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung der Rat als Antragsteller seine eigenen im Zusammenhang mit dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten. Da keine Stellungnahmen zum Antrag auf Zulassung zur Streithilfe abgegeben worden sind, sind der Klägerin und der Kommission insoweit keine Kosten entstanden.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Der Antrag des Rates der Europäischen Union auf Zulassung zur Streithilfe hat sich erledigt.
3. Die Vossko GmbH & Co. KG trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.
4. Der Rat trägt seine eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe.
Luxemburg, den 4. Oktober 2024
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Der Kanzler |
Der Präsident |
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V. Di Bucci |
L. Truchot |
* Verfahrenssprache: Deutsch.