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Document 62023CJ0511
Judgment of the Court (Second Chamber) of 30 January 2025.#Caronte & Tourist SpA v Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (AGCM).#Request for a preliminary ruling from the Tribunale Amministrativo Regionale per il Lazio.#Reference for a preliminary ruling – Competition – Article 102 TFEU – Abuse of dominant position – Empowering national competition authorities to enforce the rules on competition – Directive (EU) 2019/1 – Independence of national competition authorities – Article 4(5) – Setting priorities for the proceedings for the enforcement of Articles 101 and 102 TFEU – Fines on undertakings and associations of undertakings – Article 13 – Procedures for infringement of the rules of competition law – Compliance with a reasonable time limit – National legislation requiring the national authority to issue a statement of objections within a time limit of 90 days of knowledge of the essential elements of the infringement – Automatic annulment in its entirety of the decision of the national competition authority in the event of failure to comply with that time limit – Principle ne bis in idem – Revocation of the power to initiate new infringement proceedings in respect of the same facts – Principle of effectiveness – Rights of defence of undertakings.#Case C-511/23.
Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 30. Januar 2025.
Caronte & Tourist SpA gegen Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 102 AEUV – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Stärkung der nationalen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften – Richtlinie (EU) 2019/1 – Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden – Art. 4 Abs. 5 – Festsetzung der Prioritäten für die Verfahren über die Durchführung der Art. 101 und 102 AEUV – Geldbußen für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen – Art. 13 – Verfahren über Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln – Einhaltung einer angemessenen Frist – Nationale Regelung, nach der die nationale Behörde verpflichtet ist, die Beschwerdepunkte innerhalb von 90 Tagen ab Kenntnis der wesentlichen Umstände des Verstoßes mitzuteilen – Vollständige, automatische Nichtigerklärung des Bescheids der nationalen Wettbewerbsbehörde bei Nichteinhaltung der Frist – Grundsatz ne bis in idem – Verlust der Befugnis, wegen desselben Sachverhalts ein neues Verfahren einzuleiten – Effektivitätsgrundsatz – Verteidigungsrechte der Unternehmen.
Rechtssache C-511/23.
Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 30. Januar 2025.
Caronte & Tourist SpA gegen Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 102 AEUV – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Stärkung der nationalen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften – Richtlinie (EU) 2019/1 – Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden – Art. 4 Abs. 5 – Festsetzung der Prioritäten für die Verfahren über die Durchführung der Art. 101 und 102 AEUV – Geldbußen für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen – Art. 13 – Verfahren über Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln – Einhaltung einer angemessenen Frist – Nationale Regelung, nach der die nationale Behörde verpflichtet ist, die Beschwerdepunkte innerhalb von 90 Tagen ab Kenntnis der wesentlichen Umstände des Verstoßes mitzuteilen – Vollständige, automatische Nichtigerklärung des Bescheids der nationalen Wettbewerbsbehörde bei Nichteinhaltung der Frist – Grundsatz ne bis in idem – Verlust der Befugnis, wegen desselben Sachverhalts ein neues Verfahren einzuleiten – Effektivitätsgrundsatz – Verteidigungsrechte der Unternehmen.
Rechtssache C-511/23.
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2025:42
Vorläufige Fassung
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
30. Januar 2025(*)
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 102 AEUV – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Stärkung der nationalen Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften – Richtlinie (EU) 2019/1 – Unabhängigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden – Art. 4 Abs. 5 – Festsetzung der Prioritäten für die Verfahren über die Durchführung der Art. 101 und 102 AEUV – Geldbußen für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen – Art. 13 – Verfahren über Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln – Einhaltung einer angemessenen Frist – Nationale Regelung, nach der die nationale Behörde verpflichtet ist, die Beschwerdepunkte innerhalb von 90 Tagen ab Kenntnis der wesentlichen Umstände des Verstoßes mitzuteilen – Vollständige, automatische Nichtigerklärung des Bescheids der nationalen Wettbewerbsbehörde bei Nichteinhaltung der Frist – Grundsatz ne bis in idem – Verlust der Befugnis, wegen desselben Sachverhalts ein neues Verfahren einzuleiten – Effektivitätsgrundsatz – Verteidigungsrechte der Unternehmen “
In der Rechtssache C‑511/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 1. August 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 8. August 2023, in dem Verfahren
Caronte & Tourist SpA
gegen
Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato,
Beteiligte:
Unione nazionale consumatori – Comitato regionale della Sicilia,
Unione nazionale consumatori,
Assarmatori,
Confederazione Italiana Armatori,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, des Präsidenten der Ersten Kammer F. Biltgen, des Präsidenten der Vierten Kammer I. Jarukaitis, der Präsidentin der Fünften Kammer M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Caronte & Tourist SpA, vertreten durch D. Astorre, F. Cintioli, M. Siragusa und R. Tremolada, Avvocati,
– der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato, vertreten durch F. Sclafani, Avvocato dello Stato,
– der Unione nazionale consumatori – Comitato regionale della Sicilia, vertreten durch P. Intilisano, Avvocato,
– von Assarmatori, vertreten durch P. Molea und A. Police, Avvocati,
– der Confederazione Italiana Armatori, vertreten durch G. Morbidelli und R. Righi, Avvocati,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca und P. Gentili, Avvocati dello Stato,
– der griechischen Regierung, vertreten durch K. Boskovits als Bevollmächtigten,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch D. Csoknyai, Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
– der slowakischen Regierung, vertreten durch E. Drugda und S. Ondrášiková als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre, G. Conte und C. Sjödin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2024
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 102 AEUV.
2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Caronte & Tourist SpA und der Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Wettbewerbsbehörde, Italien) (im Folgenden: AGCM) wegen der Sanktionen, die Letztere wegen Missbrauch einer beherrschenden Stellung gegen Erstere verhängt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
AEU-Vertrag
3 Art. 102 AEUV bestimmt:
„Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen:
a) der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen;
…“
Richtlinie (EU) 2019/1
4 In den Erwägungsgründen 1, 2, 6, 8, 23 und 40 der Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ABl. 2019, L 11, S. 3) heißt es:
„(1) Die Artikel 101 und 102 [AEUV] sind der öffentlichen Ordnung zuzurechnen und sollten in der ganzen [Europäischen] Union wirksam angewendet werden, um zu gewährleisten, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird. Die wirksame Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV ist erforderlich, um fairere und offenere wettbewerbsorientierte Märkte in der Union zu schaffen, auf denen Unternehmen in einem leistungsorientierten Wettbewerb zueinander stehen und keine Markteintrittsschranken errichten, so dass Wohlstand und Arbeitsplätze entstehen können. Die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften schützt die Verbraucher und die im Binnenmarkt tätigen Unternehmen vor Geschäftspraktiken, die bewirken, dass die Preise von Waren und Dienstleistungen auf einem künstlich hohen Niveau verharren, und vergrößert das Angebot an innovativen Waren und Dienstleistungen für die Verbraucher und Unternehmen.
(2) Für die öffentliche Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV sorgen die nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und die [Europäische] Kommission parallel zueinander im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates [vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1)]. Die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Kommission bilden zusammen ein Netz von Behörden, die bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union eng zusammenarbeiten (im Folgenden ‚Europäisches Wettbewerbsnetz‘).
…
(6) … Ein leistungsorientierter Wettbewerb zwischen Unternehmen wird verhindert, wenn es Schutzzonen für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen gibt, da beispielsweise entsprechende Beweismittel nicht erhoben werden können oder Unternehmen die Möglichkeit haben, sich Geldbußen zu entziehen. …
…
(8) Für einen wirklich gemeinsamen Raum der Wettbewerbsrechtsdurchsetzung in der Union, der einheitlichere Wettbewerbsbedingungen für die im Binnenmarkt tätigen Unternehmen und einheitlichere Bedingungen für die Verbraucher schafft, sind bei der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV und der Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts parallel zu … diesen Artikeln … grundlegende Garantien im Hinblick auf die Unabhängigkeit, hinreichende finanzielle, personelle, technische und technologische Ressourcen sowie Mindestbefugnisse im Bereich der Durchsetzung und der Verhängung von Geldbußen erforderlich, damit die Arbeit der für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden ihre volle Wirkung entfalten kann.
…
(23) Die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden sollten die Möglichkeit haben, bei der Auswahl der Fälle, in denen sie Verfahren zur Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV einleiten, Schwerpunkte zu setzen, um ihre Ressourcen effizient zu nutzen und sich darauf konzentrieren zu können, wettbewerbswidriges Verhalten, das den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälscht, zu verhindern und abzustellen. …
…
(40) Um eine wirksame und einheitliche Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV zu gewährleisten, sollten die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden befugt sein, für Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder 102 AEUV … wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu verhängen …“
5 Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt in Abs. 1:
„In dieser Richtlinie sind bestimmte Vorschriften festgelegt, mit denen gewährleistet werden soll, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden über die Garantien im Hinblick auf die Unabhängigkeit, über die Ressourcen und die Befugnisse im Bereich der Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und der Verhängung von Geldbußen verfügen, die sie benötigen, um die Artikel 101 und 102 AEUV wirksam anzuwenden, so dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird und den Verbrauchern und Unternehmen keine Nachteile entstehen durch nationale Gesetze und Maßnahmen, die die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die nationalen Wettbewerbsbehörden verhindern.“
6 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt in Abs. 1:
„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Begriff
…
5. ‚Europäisches Wettbewerbsnetz‘ das aus den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission bestehende Behördennetz, das ein Forum für Diskussion und Zusammenarbeit im Hinblick auf die Anwendung und Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV bildet;
…“
7 Art. 3 („Garantien“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt:
„(1) Verfahren, die Zuwiderhandlungen gegen Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV betreffen, einschließlich der Ausübung der in dieser Richtlinie genannten Befugnisse durch die nationalen Wettbewerbsbehörden, müssen die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einhalten.
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei der Ausübung der Befugnisse nach Absatz 1 angemessene Garantien gelten, damit die Verteidigungsrechte der Unternehmen gewahrt sind, darunter das Recht auf rechtliches Gehör und das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
(3) … Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden eine Mitteilung der Beschwerdepunkte veranlassen, bevor sie eine Entscheidung gemäß Artikel 10 treffen.“
8 Art. 4 („Unabhängigkeit“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt in Abs. 5:
„Die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden sind befugt, bei der Erfüllung der in Artikel 5 Absatz 2 dieser Richtlinie genannten Aufgaben im Zusammenhang mit der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV eigene Prioritäten zu setzen. Insofern die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden zur Prüfung förmlicher Beschwerden verpflichtet sind, können diese Behörden derartige Beschwerden mit der Begründung abweisen, dass sie deren Durchsetzung nicht als Priorität betrachten. Dies gilt unbeschadet der Befugnis der für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden, Beschwerden aus anderen im nationalen Recht festgelegten Gründen abzuweisen.“
9 Art. 5 („Ressourcen“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen mindestens sicher, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden über eine ausreichende Zahl qualifizierter Mitarbeiter und ausreichende finanzielle, technische und technologische Ressourcen verfügen, die sie für die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben und für die wirksame Ausübung ihrer Befugnisse im Zusammenhang mit der Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV nach Absatz 2 dieses Artikels benötigen.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 müssen die nationalen Wettbewerbsbehörden mindestens in der Lage sein, Untersuchungen im Hinblick auf die Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV durchzuführen, Entscheidungen zur Anwendung dieser Artikel auf der Grundlage des Artikels 5 der Verordnung [Nr. 1/2003] zu erlassen und im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes eng zusammenzuarbeiten, um die wirksame und einheitliche Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV zu gewährleisten. …
…“
10 Art. 13 („Geldbußen für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt in Abs. 1:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die für Wettbewerb zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden entweder durch Entscheidung in den von ihnen selbst geführten Durchsetzungsverfahren wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verhängen können, oder die Möglichkeit haben, die Verhängung derartiger Geldbußen in nichtstrafrechtlichen Gerichtsverfahren zu beantragen, wenn die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 101 oder Artikel 102 AEUV verstoßen.“
11 Art. 29 („Bestimmungen zu Verjährungsfristen für die Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern“) der Richtlinie 2019/1 bestimmt in Abs. 1:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verjährungsfristen für die Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern durch die nationalen Wettbewerbsbehörden nach den Artikeln 13 und 16 für die Dauer von Durchsetzungsverfahren vor nationalen Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten oder vor der Kommission, die sich auf eine Zuwiderhandlung betreffend dieselbe nach Artikel 101 und 102 AEUV verbotene Vereinbarung, denselben nach Artikel 101 und 102 AEUV verbotenen Beschluss einer Unternehmensvereinigung, dieselbe danach verbotene aufeinander abgestimmte Verhaltensweise oder dasselbe danach verbotene sonstige Verhalten beziehen, gehemmt bzw. unterbrochen werden.
…“
12 Nach Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1 waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, die erforderlich waren, um der Richtlinie bis zum 4. Februar 2021 nachzukommen. Diese trat nach ihrem Art. 36 am 3. Februar 2019 in Kraft.
Italienisches Recht
Gesetz Nr. 287/90
13 Art. 1 („Anwendungsbereich und Verhältnis zum [Unionsrecht]“) der Legge n. 287 – Norme per la tutela della concorrenza e del mercato (Gesetz Nr. 287 – Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs und des Marktes) vom 10. Oktober 1990 (GURI Nr. 240 vom 13. Oktober 1990, S. 3) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 287/90) bestimmt in Abs. 4:
„Die Auslegung der in diesem Titel enthaltenen Vorschriften erfolgt nach den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts der [Union].“
14 Art. 3 („Missbrauch einer beherrschenden Stellung“) des Gesetzes Nr. 287/90 bestimmt in Abs. 1:
„Die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem nationalen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten; darüber hinaus ist es verboten,
a) unmittelbar oder mittelbar ungerechtfertigt nachteilige Einkaufs- oder Verkaufspreise oder sonstige Vertragsbedingungen aufzuerlegen;
…“
15 Art. 31 („Sanktionen“) des Gesetzes Nr. 287/90 bestimmt in Abs. 1:
„In Bezug auf Geldbußen, die wegen Verstößen gegen dieses Gesetz verhängt werden, sind, soweit anwendbar, die Bestimmungen von Kapitel I Abschnitte I und II der [Legge n. 689 – Modifiche al sistema penale (Gesetz Nr. 689 – Änderungen des Strafrechtssystems) vom 24. November 1981 in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 689/81)] zu beachten.“
Gesetz Nr. 689/81
16 Das Gesetz Nr. 689/81 regelt allgemein verwaltungsrechtliche Geldbußen. Sein Art. 14 („Mitteilung der Beschwerdepunkte und Zustellung“) bestimmt:
„Der Verstoß ist, soweit möglich, sowohl gegenüber dem Zuwiderhandelnden als auch gegenüber der Person, die gesamtschuldnerisch für die Zahlung des für den Verstoß geschuldeten Betrags haftet, unverzüglich zu beanstanden.
Erfolgt keine unverzügliche Beanstandung gegenüber allen oder gegenüber einem Teil der im vorstehenden Absatz genannten Personen, so sind die Umstände des Verstoßes den betroffenen Personen, die ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik haben, innerhalb von 90 Tagen und den Personen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben, innerhalb von 360 Tagen nach Feststellung [des Verstoßes] bekannt zu geben.
Werden der zuständigen Behörde die Unterlagen über den Verstoß durch eine Entscheidung der Justizbehörde übermittelt, so laufen die im vorstehenden Absatz genannten Fristen ab dem Datum des Eingangs [dieser Unterlagen].
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
17 Caronte & Tourist erbringt Fährdienste in der Straße von Messina (Italien). Am 24. März 2018 ging bei der AGCM die Meldung eines Verbrauchers ein, der sich über die überhöhten Preise von Caronte & Tourist beschwerte und die Einleitung einer Untersuchung forderte. Die AGCM wandte sich am 23. April 2019 mit einem Auskunftsersuchen an die Hafenbehörde von Messina. Die Hafenbehörde antwortete auf eine Mahnung vom 19. November 2019 hin am 26. November 2019.
18 Am 4. August 2020 übermittelte die AGCM Caronte & Tourist einen Bescheid über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln.
19 Mit Bescheid vom 11. April 2022 stellte die AGCM gemäß Art. 3 des Gesetzes Nr. 287/90 fest, dass Caronte & Tourist durch überhöhte Preise für die Fährdienste für Fahrzeuge in der Straße von Messina ihre beherrschende Stellung missbraucht habe. Entsprechend ordnete sie an, dass Caronte & Tourist die zur Last gelegte Verhaltensweise einzustellen habe, und verhängte gegen Caronte & Tourist im Hinblick auf die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung eine Geldbuße in Höhe von 3 719 370 Euro.
20 Caronte & Tourist erhob gegen den Bescheid der AGCM vom 11. April 2022 beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien), dem vorlegenden Gericht, Klage. Sie macht insbesondere geltend, dass in dem Verfahren, in dem der Bescheid ergangen sei, die kontradiktorische Phase der Ermittlungen zu spät eingeleitet worden sei.
21 Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass auf Verfahren der AGCM in Wettbewerbssachen nach der jüngsten Rechtsprechung des Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 Anwendung finde, wonach die AGCM verpflichtet sei, innerhalb von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie Kenntnis von den wesentlichen Umständen der Zuwiderhandlung habe (im Folgenden: in Rede stehende Frist), durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte die kontradiktorische Phase der Ermittlungen einzuleiten. Sonst verliere sie ihre Sanktionsbefugnisse.
22 Der genaue Beginn der in Rede stehenden Frist unterliege einer gerichtlichen Überprüfung, bei der das Verwaltungsgericht im Rahmen einer Ex‑Post-Betrachtung zu prüfen habe, ab welchem Zeitpunkt die AGCM über genügend Informationen verfügt habe, um verpflichtet zu sein, die Beschwerdepunkte mitzuteilen und damit die kontradiktorische Phase der Ermittlungen einzuleiten. Eine Überschreitung dieser Frist führe stets dazu, dass die Entscheidung, die die AGCM in dem Verfahren über die Zuwiderhandlung erlasse, in vollem Umfang für nichtig erklärt werde. Außerdem dürfe die AGCM nach dem Grundsatz ne bis in idem wegen derselben Verhaltensweise kein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung mehr einleiten, und zwar auch dann, wenn das betreffende Unternehmen die Verhaltensweise nie abgestellt habe.
23 Die in Rede stehende Frist beeinträchtige die AGCM in ihrer Autonomie. Sie verpflichte die AGCM nämlich, die bei ihr anhängigen Sachen in rein chronologischer Reihenfolge zu bearbeiten, ohne die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigen zu können. Bei einer allzu frühen Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen stehe wegen der hohen Komplexität der Tätigkeit der AGCM, insbesondere bei Ermittlungen, die die Verhaltensweisen großer Wirtschaftsteilnehmer beträfen, in stärkerem Maße zu befürchten, dass es der AGCM nicht gelinge, genügend erforderliche Beweise für die zu Last gelegte Zuwiderhandlung zusammenzutragen.
24 Außerdem sei das betroffene Unternehmen nach dem nationalen Recht, wie es vom Consiglio di Stato (Staatsrat) ausgelegt werde, nicht verpflichtet, nachzuweisen, dass ihm durch die Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen nach Ablauf der in Rede stehenden Frist ein Schaden entstanden sei, so dass bereits die Überschreitung dieser Frist eine unwiderlegliche Vermutung der Verletzung seiner Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens begründe.
25 Jedenfalls sei die Anwendung einer Frist, deren Beginn vom Einzelfall abhänge, nicht mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, auf dessen Beachtung die Unternehmen, deren Verhaltensweisen sanktioniert werde, Anspruch hätten.
26 Das vorlegende Gericht fragt sich deshalb, ob die Anwendung der in Rede stehenden Frist auf Ermittlungsverfahren betreffend Zuwiderhandlungen, die in einem Missbrauch einer beherrschenden Stellung bestehen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
27 Das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 102 AEUV unter Berücksichtigung der Grundsätze des Wettbewerbsschutzes und der Effektivität des Verwaltungshandelns dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegensteht, die sich aus der Anwendung von Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 – wie von der Rechtsprechung ausgelegt – ergibt, wonach die AGCM verpflichtet ist, ein Untersuchungsverfahren zur Überprüfung des Vorliegens eines Missbrauchs einer beherrschenden Stellung innerhalb einer Ausschlussfrist von 90 Tagen einzuleiten, wobei die Frist ab dem Zeitpunkt läuft, zu dem die Behörde Kenntnis von den wesentlichen Merkmalen des Verstoßes erlangt, die möglicherweise nur bei der ersten Meldung des Verstoßes vorliegen?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit
28 Caronte & Tourist und Assarmatori halten das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig. Als Zuwiderhandlung werde Caronte & Tourist nicht ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV, sondern einzig und allein ein Verstoß gegen Art. 3 des Gesetzes Nr. 287/90, der auf nationaler Ebene den Missbrauch einer beherrschenden Stellung verbiete, zur Last gelegt. Die AGCM habe sich damit dafür entschieden, ausschließlich das nationale Wettbewerbsrecht anzuwenden. Außerdem werde mit der Vorlagefrage um die Auslegung von Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 ersucht. Diese Bestimmung des nationalen Rechts falle unter die Verfahrensautonomie, über die die Mitgliedstaaten verfügten, und weise keinen Bezug zum materiellen Wettbewerbsrecht auf.
29 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dieser in Fällen, in denen gegen einen Wirtschaftsteilnehmer ausschließlich auf der Grundlage des nationalen Wettbewerbsrechts Sanktionen wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung verhängt wurden, dennoch über ein Vorabentscheidungsersuchen betreffend die Auslegung von Art. 102 AEUV entscheiden, wenn diese unionsrechtliche Vorschrift durch das nationale Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden ist. Sollen sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richten, besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 24 und 26 bis 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
30 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Auslegung der in Titel I des Gesetzes Nr. 287/90 enthaltenen Vorschriften nach dessen Art. 1 Abs. 4 nach den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts der Union erfolgt. In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass Art. 3 des Gesetzes Nr. 287/90 im Großen und Ganzen denselben Regelungsgehalt hat wie Art. 102 AEUV.
31 Demnach richten sich die Bestimmungen des Titels I des Gesetzes Nr. 287/90 – zu denen Art. 3 gehört – zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, insbesondere nach Art. 102 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2007, ETI u. a., C‑280/06, EU:C:2007:775, Rn. 23).
32 Dass sich die Bedenken, die das vorlegende Gericht hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hat, nicht auf die materiellen Vorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts, wie sie in Titel I des Gesetzes Nr. 287/90 enthalten sind, sondern auf die Verfahrensvorschrift von Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 beziehen, ist für die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens nicht von Belang.
33 Denn, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, ist Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 nach der Rechtsprechung des Consiglio di Stato (Staatsrat) gemäß Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 287/90 auf verwaltungsrechtliche Geldbußen, die wegen eines Verstoßes gegen dieses Gesetz verhängt werden, anwendbar. Im Übrigen ist eine Vorschrift des nationalen Rechts, die unter die Verfahrensautonomie eines Mitgliedstaats fällt, der Anwendung des Unionsrechts nicht entzogen. Bei der Ausübung der Befugnis zum Erlass einer solchen Vorschrift haben die Mitgliedstaaten nämlich die entsprechenden Anforderungen des Unionsrechts zu beachten.
34 Das Vorabentscheidungsersuchen ist mithin zulässig.
Beantwortung der Vorlagefragen
35 Im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren und, soweit erforderlich, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2024, Direktor na Glavna direktsia „Natsionalna politsia“ pri MVR – Sofia, C‑118/22, EU:C:2024:97, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Zum einen dürfen die Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, während der Frist für deren Umsetzung nach ständiger Rechtsprechung keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden (Urteil vom 25. Januar 2022, VYSOČINA WIND, C‑181/20, EU:C:2022:51, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Da alle Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Unionsrechts zu gewährleisten, gilt das in der vorstehenden Randnummer genannte Verbot auch für die nationalen Gerichte. Diese müssen es daher ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie so weit wie möglich unterlassen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2024, Agencia Estatal de la Administración Tributaria [Ausschluss öffentlicher Forderungen von der Entschuldung], C‑687/22, EU:C:2024:287, Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Im vorliegenden Fall erging der Bescheid der AGCM, mit dem in dem Verfahren über eine Zuwiderhandlung, das gegen Caronte & Tourist durchgeführt wurde, die kontradiktorische Phase der Ermittlungen eingeleitet wurde, am 4. August 2020, also während der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1. Denn diese trat nach ihrem Art. 34 Abs. 1 und ihrem Art. 36 am 3. Februar 2019 in Kraft, und die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, ihr bis zum 4. Februar 2021 nachzukommen.
39 Wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit ihren Erwägungsgründen 1, 6 und 8 ergibt, gewährt die Richtlinie 2019/1 für die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV durch die nationalen Wettbewerbsbehörden aber bestimmte grundlegende Garantien, damit die wirksame Durchführung der genannten Bestimmungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden ihre volle Wirkung entfalten kann, insbesondere mit dem Ziel, faire und offene wettbewerbsorientierte Märkte zu gewährleisten, Verbraucher und Unternehmen vor wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu schützen und um zu verhindern, dass solche Verhaltensweisen nicht geahndet werden.
40 Nach den oben in den Rn. 36 und 37 dargestellten Grundsätzen wird das vorlegende Gericht somit bei der Prüfung der Frage, ob die AGCM die kontradiktorische Phase der Ermittlungen im Hinblick auf die in Rede stehende Frist zu spät eingeleitet hat, die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie 2019/1 zu berücksichtigen haben, so dass bei der Beantwortung der Vorlagefrage auch dieser Unionsrechtsakt zu berücksichtigen ist.
41 Zum anderen ergibt sich aus der Vorlageentscheidung nicht nur, dass für Verfahren über Zuwiderhandlungen, die unter das Gesetz Nr. 287/90, fallen, die in Rede stehende Frist gilt, sondern auch, dass deren Nichteinhaltung dazu führt, dass die abschließende Entscheidung der AGCM in vollem Umfang für nichtig erklärt wird und die AGCM ihre Befugnis verliert, wegen desselben Sachverhalts ein neues Verfahren einzuleiten.
42 Um dem vorlegenden Gericht eine in jeder Hinsicht sachdienliche Antwort zu geben, ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Richtlinie 2019/1 und Art. 102 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bei einem Verfahren zur Feststellung einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise, das von einer nationalen Wettbewerbsbehörde durchgeführt wird, Letztere zum einen verpflichtet, in einer Frist von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie Kenntnis von den wesentlichen, möglicherweise nur bei der ersten Meldung vorliegenden Umständen der Zuwiderhandlung hat, durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte an das betroffene Unternehmen die kontradiktorische Phase der Ermittlungen einzuleiten, und zum anderen die Nichteinhaltung dieser Frist dadurch ahndet, dass die Entscheidung der Behörde, mit der das Verfahren über die Zuwiderhandlung abgeschlossen wird, in vollem Umfang für nichtig erklärt wird und die Behörde die Befugnis verliert, wegen derselben Verhaltensweise ein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung einzuleiten.
43 Sofern die Verfahrensfristen für die Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden nicht in spezifischen Vorschriften des Unionsrechts geregelt sind, ist es Sache der Mitgliedstaaten, insoweit nationale Verfahrensvorschriften zu erlassen und anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 43 bis 45).
44 Auch wenn sie für den Erlass und die Anwendung dieser Vorschriften zuständig sind, müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit aber das Unionsrecht beachten. Sie dürfen dessen Verwirklichung wegen des Effektivitätsgrundsatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, und müssen speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts dafür sorgen, dass die Vorschriften, die sie erlassen oder anwenden, die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV nicht beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
45 Die Festlegung angemessener Verfahrensfristen für die Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Solche Verfahrensfristen werden nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit nämlich sowohl im Interesse der betroffenen Unternehmen als auch im Interesse der nationalen Wettbewerbsbehörden festgelegt. Sie sind nicht geeignet, die Durchsetzung des Unionsrechts praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 48).
46 Daher müssen die nationalen Rechtsvorschriften, mit denen die Verfahrensfristen für die Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden festgelegt werden, unter Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit darauf abzielen, dass die Sachen in angemessener Frist bearbeitet werden, ohne dass dies dazu führt, dass die wirksame Umsetzung der Art. 101 und 102 AEUV und der Richtlinie 2019/1 in das nationale Recht beeinträchtigt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 49).
47 Bei der Beurteilung der Frage, ob eine nationale Fristenregelung ein solches Gleichgewicht herstellt, sind insbesondere die Dauer der betreffenden Frist und sämtliche Modalitäten ihrer Anwendung zu würdigen, etwa der Zeitpunkt, zu dem die Frist zu laufen beginnt, die Art und Weise, wie die Frist in Lauf gesetzt wird, und die Art und Weise, wie der Ablauf der Frist gehemmt oder unterbrochen wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 50, und vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 30).
48 Es sind auch die besonderen Umstände in Wettbewerbssachen zu berücksichtigen, insbesondere, dass diese grundsätzlich eine komplexe Analyse der zugrunde liegenden Tatsachen und wirtschaftlichen Zusammenhänge erfordern (Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 51).
49 Im Übrigen ist es bei der Festlegung eines angemessenen zeitlichen Rahmens von Verfahren, die von den nationalen Wettbewerbsbehörden durchgeführt werden, um wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zu ahnden, aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, dass die Mitgliedstaaten eine Fristenregelung schaffen, die so klar, bestimmt und vorhersehbar ist, dass alle Betroffenen den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau erkennen und sich darauf einstellen können (vgl. entsprechend Urteile vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 49, vom 3. Juni 2021, Jumbocarry Trading, C‑39/20, EU:C:2021:435, Rn. 48, und vom 7. März 2024, Die Länderbahn u. a., C‑582/22, EU:C:2024:213, Rn. 66).
50 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Verfahren, die von der Kommission wegen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV durchgeführt werden, dass der Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer in solchen Verfahren grundsätzlich in jedem Verfahrensabschnitt zu beachten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 199 und 230, und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, EU:C:2006:592, Rn. 37 bis 39).
51 Aus vergleichbaren Gründen können die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Verfahrensfristen im Bereich der Feststellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden nicht nur allgemeine Regeln der Verjährung für das Verfahren über die Zuwiderhandlung als Ganzes vorsehen, sondern gegebenenfalls auch Fristen für den Ablauf bestimmter Abschnitte dieses Verfahrens wie den Abschnitt vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte an das betroffene Unternehmen, sofern die betreffenden Fristen den oben in den Rn. 46 bis 49 genannten Anforderungen entsprechen.
52 Insoweit ist zu beachten, dass die Angemessenheit der Dauer des Verfahrensabschnitts vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte an das betroffene Unternehmen anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2013, HGA u. a./Kommission, C‑630/11 P bis C‑633/11 P, EU:C:2013:387, Rn. 82). Insbesondere muss eine diesen Verfahrensabschnitt begrenzende Verfahrensfrist so lang sein, dass dieser im Hinblick auf seinen Inhalt ordnungsgemäß ablaufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Oktober 2015, BBVA, C‑8/14, EU:C:2015:731, Rn. 29, und vom 9. September 2020, Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides [Ablehnung eines Folgeantrags – Rechtsbehelfsfrist], C‑651/19, EU:C:2020:681, Rn. 57).
53 Bei Verfahren über Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV, die von der Kommission durchgeführt werden, soll es der Abschnitt der Vorermittlungen, der sich bis zur Mitteilung der Beschwerdepunkte erstreckt, der Kommission nicht nur ermöglichen, alle relevanten Elemente zusammenzutragen, durch die das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften bestätigt oder nicht bestätigt wird, sondern auch, eine Position zur Ausrichtung und zum weiteren Gang des Verfahrens einzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 182, und vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 113).
54 Die Komplexität eines Verfahrens in Wettbewerbssachen ist zwar geeignet, eine lange Dauer des Verfahrensabschnitts der Vorermittlungen zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 62, und vom 17. November 2022, Irish Wind Farmers’ Association u. a./Kommission, C‑578/21 P, EU:C:2022:898, Rn. 88). Die Kommission darf einen Zustand der Untätigkeit in diesem Verfahrensabschnitt aber nicht fortbestehen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. März 1997, Guérin automobiles/Kommission, C‑282/95 P, EU:C:1997:159, Rn. 36, und vom 13. Juni 2013, HGA u. a./Kommission, C‑630/11 P bis C‑633/11 P, EU:C:2013:387, Rn. 81).
55 Die Wahrung der Verteidigungsrechte ist ein elementarer Grundsatz des Unionsrechts, der in unionsrechtlichen Verwaltungsverfahren streng zu beachten ist. In einem Verfahren betreffend eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln wird dies hauptsächlich durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährleistet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Oktober 2017, Global Steel Wire u. a./Kommission, C‑457/16 P und C‑459/16 P bis C‑461/16 P, EU:C:2017:819, Rn. 139 und 140, vom 13. September 2018, UBS Europe u. a., C‑358/16, EU:C:2018:715, Rn. 60, und vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 56). Dies wird bestätigt durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2019/1, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden eine Mitteilung der Beschwerdepunkte veranlassen, bevor sie eine Entscheidung über die Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV treffen.
56 Die oben in den Rn. 53 bis 55 angestellten Erwägungen gelten deshalb auch für Verwaltungsverfahren, die auf nationaler Ebene durch eine nationale Wettbewerbsbehörde durchgeführt werden, um Zuwiderhandlungen gegen Art. 102 AEUV zu ahnden.
57 Um ihre Verpflichtung zur Durchführung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln wirksam erfüllen zu können, müssen die nationalen Wettbewerbsbehörden aber in der Lage sein, den Beschwerden, mit denen sie befasst werden, unterschiedliche Priorität beizumessen, wobei sie über ein weites Ermessen verfügen (vgl. entsprechend Urteile vom 14. Dezember 2000, Masterfoods und HB, C‑344/98, EU:C:2000:689, Rn. 46, und vom 19. September 2013, EFIM/Kommission, C‑56/12 P, EU:C:2013:575, Rn. 72 und 83).
58 Die Zuerkennung eines solchen weiten Ermessens ist auch in Anbetracht der Richtlinie 2019/1 gerechtfertigt, deren Art. 5 Abs. 1 und 2 im Wesentlichen vorsieht, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden über ausreichende Ressourcen verfügen müssen, um Untersuchungen im Hinblick auf die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV durchführen, im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie zusammenarbeiten und Entscheidungen über die Abstellung und Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV erlassen zu können.
59 Um in der Lage zu sein, diese Aufgaben unter Wahrung ihrer operativen Unabhängigkeit zu erfüllen, müssen die nationalen Wettbewerbsbehörden nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2019/1 befugt sein, eigene Prioritäten zu setzen. Wie sich aus dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, dient diese Befugnis dazu, dass die nationalen Behörden ihre Ressourcen effizient nutzen und sich darauf konzentrieren können, wettbewerbswidriges Verhalten im Binnenmarkt zu verhindern und abzustellen.
60 Es ergibt sich sowohl aus dem Sinn und Zweck des Verfahrensabschnitts vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte eines Verfahrens betreffend eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln als auch aus dem weiten Ermessen, über das eine nationale Wettbewerbsbehörde bei der Setzung der Prioritäten für ihre Verfahren zur Durchführung von Art. 102 AEUV verfügen muss, dass die betreffende Behörde in diesem Verfahrensabschnitt nicht nur dazu in der Lage sein muss, sämtliche Vorermittlungen und die oft komplexen Beurteilungen tatsächlicher und rechtlicher Art durchzuführen, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, ob die Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen gerechtfertigt ist, sondern auch dazu, nach der Priorität, die sie einem laufenden Verfahren in Ausübung ihrer operationellen Unabhängigkeit geben will, den geeigneten Zeitpunkt der etwaigen Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen zu bestimmen.
61 Eine nationale Wettbewerbsbehörde muss in einem bestimmten Verfahren die Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen deshalb vorübergehend aufschieben können, obwohl sie die wesentlichen Umstände der zur Last gelegten Zuwiderhandlung bereits festgestellt hat. Dies steht in Einklang mit dem Ziel, die betreffende Behörde in die Lage zu versetzen, alle Verfahren über Zuwiderhandlungen, die bei ihr anhängig sind, angemessen zu bearbeiten, und kann auch zu einer effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen und zur Förderung einer angemessenen Zusammenarbeit im Europäischen Wettbewerbsnetz beitragen. Allerdings darf ein solcher vorübergehender Aufschub der Einleitung der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen nicht dazu führen, dass bei einem Verfahren über eine Zuwiderhandlung die angemessene Dauer des Verfahrensabschnitts vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte überschritten wird.
62 Im Übrigen hat ein Mitgliedstaat bei der Ausübung seiner Verfahrensautonomie nicht nur die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln und der Verfolgung und Ahndung der Zuwiderhandlungen gegen diese Regeln, sondern auch die Wahrung der Grundrechte, insbesondere der Verteidigungsrechte der Unternehmen, gegen die Verfahren über eine Zuwiderhandlung durchgeführt werden, zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Dezember 2010, VEBIC, C‑439/08, EU:C:2010:739, Rn. 63, und vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 98).
63 Nach Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2019/1 müssen bei der Ausübung der Befugnisse, die den nationalen Wettbewerbsbehörden nach der Richtlinie zuzuerkennen sind, angemessene Garantien gelten, damit die Verteidigungsrechte der Unternehmen gewahrt sind, darunter das Recht auf rechtliches Gehör.
64 Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine überlange Dauer des Verfahrensabschnitts vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Auswirkungen auf die künftigen Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen haben kann, insbesondere dadurch, dass deren Verteidigungsrechte in der kontradiktorischen Phase der Ermittlungen des Verfahrens wegen einer Zuwiderhandlung, das gegen sie durchgeführt wird, beeinträchtigt werden. Denn je mehr Zeit zwischen Vorermittlungen und der Mitteilung der Beschwerdepunkte vergeht, desto wahrscheinlicher wird es, dass etwaige Entlastungsbeweise in Bezug auf die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte gerügte Zuwiderhandlung nicht mehr oder nur noch schwer erhoben werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, EU:C:2006:592, Rn. 49).
65 Angemessene Verfahrensfristen dienen somit insbesondere dazu, die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte der Unternehmen zu gewährleisten, gegen die ein Verfahren über eine Zuwiderhandlung durchgeführt wird. Damit die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln nicht beeinträchtigt wird, muss eine nationale Regelung, mit der für die Verhängung von Sanktionen durch die nationalen Wettbewerbsbehörden Verfahrensfristen festgelegt werden, aber den Besonderheiten der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln und den Zielen von deren Umsetzung durch die betreffenden Personen Rechnung tragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 52).
66 Im vorliegenden Fall hat die AGCM die kontradiktorische Phase der Ermittlungen der Vorlageentscheidung zufolge in einer starren Frist von 90 Tagen ab Feststellung der wesentlichen Umstände der zur Last gelegten Zuwiderhandlung durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte einzuleiten. Die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Frist hat zum einen zur Folge, dass die Entscheidung, mit der die AGCM das Verfahren über die Zuwiderhandlung abschließt, in vollem Umfang für nichtig erklärt wird, und zwar sowohl, soweit sie sich auf die Einstellung der wettbewerbswidrigen Verhaltensweise bezieht, als auch, soweit sie sich auf die gegen das betroffene Unternehmen verhängten Sanktionen bezieht. Zum anderen ist die AGCM nach dem Grundsatz ne bis in idem für immer daran gehindert, wegen derselben wettbewerbswidrigen Verhaltensweise ein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung einzuleiten. Wie sich aus den Akten ergibt, die dem Gerichtshof vorliegen, dienen die betreffenden Vorschriften dazu, in dem Verfahren über eine Zuwiderhandlung, das gegen ein Unternehmen durchgeführt wird, dessen Verteidigungsrechte zu wahren, indem es rechtzeitig über die Beschwerdepunkte unterrichtet wird, die ihm zur Last gelegt werden.
67 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 107 bis 109 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, besteht bei Anwendung der in Rede stehenden Frist die Gefahr, dass die AGCM sämtliche Verfahren über eine Zuwiderhandlung, die bei ihr anhängig sind, undifferenziert behandeln muss, indem sie nicht die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, sondern rein chronologisch vorgeht, so dass sie daran gehindert ist, für ihre Verfahren zur Durchführung der Art. 101 und 102 AEUV Prioritäten festzulegen und die Sachen dementsprechend zu bearbeiten. Die AGCM könnte so gezwungen sein, Ermittlungsverfahren auf unsicherer Tatsachen- und Rechtsgrundlage einzuleiten oder vornehmlich bestimmte Arten von Akten zu bearbeiten, die nach den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln über das Stadium der Vorermittlungen hinaus bearbeitet werden können, gegebenenfalls zulasten besonders komplexer Sachen, die den freien Wettbewerb im Binnenmarkt besonders stark beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung der operativen Unabhängigkeit der AGCM ist insbesondere in Fällen wahrscheinlich, in denen der Beginn der Frist – dessen Modalitäten im Übrigen sowohl für die AGCM als auch für das betroffene Unternehmen wenig klar, bestimmt und vorhersehbar zu sein scheinen – mit der ersten Meldung der zur Last gelegten Zuwiderhandlung bei der AGCM zusammenfällt, so dass die AGCM verpflichtet ist, den Fall sofort zu bearbeiten.
68 Außerdem kann die AGCM wegen der Folgen der Überschreitung der in Rede stehenden Frist an der uneingeschränkten Zusammenarbeit im Europäischen Wettbewerbsnetz gehindert sein, das die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Kommission nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2019/1 in Verbindung mit deren zweitem Erwägungsgrund bilden, um bei der Anwendung und Durchsetzung der Art. 101 und 102 AEUV eng zusammenzuarbeiten.
69 Denn, wie die AGCM und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht geltend machen, kann es sich – insbesondere bei Beschwerden oder Anträgen auf Kronzeugenbehandlung, die an mehrere nationale Wettbewerbsbehörden gerichtet sind – als notwendig erweisen, dass sich die nationalen Wettbewerbsbehörden im Europäischen Wettbewerbsnetz untereinander und mit der Kommission abstimmen, damit gewährleistet ist, dass die Sachen im Europäischen Wettbewerbsnetz optimal unter den verschiedenen nationalen Behörden aufgeteilt werden, und verhindert wird, dass Verfahren, die denselben Sachverhalt betreffen, parallel durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall ist aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten aber nicht ersichtlich, dass die AGCM die Möglichkeit hätte, die in Rede stehende Frist zu hemmen oder zu unterbrechen.
70 Insoweit ist auch zu beachten, dass die Verjährungsfristen für die Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern durch die nationalen Wettbewerbsbehörden für die Dauer von Durchsetzungsverfahren vor nationalen Wettbewerbsbehörden anderer Mitgliedstaaten oder vor der Kommission, die sich auf eine Zuwiderhandlung betreffend dieselbe wettbewerbswidrige Verhaltensweise beziehen, gehemmt bzw. unterbrochen werden müssen (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2019/1).
71 Abgesehen davon ist zum einen festzustellen, dass die Verteidigungsrechte der Unternehmen, gegen die ein Verfahren über eine Zuwiderhandlung durchgeführt wird, jedenfalls nicht allein wegen der Überschreitung der in Rede stehenden Frist verletzt werden können.
72 Denn, wie der Generalanwalt in Nr. 131 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist es zwar wichtig, zu verhindern, dass in einem Verfahren über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln die Verteidigungsrechte eines Unternehmens in der Phase der Vorermittlungen unwiederbringlich verletzt werden. Das betroffene Unternehmen bleibt aber jedenfalls in der Lage, seine Verteidigungsrechte wirksam auszuüben, sofern gewährleistet ist, dass die nationale Wettbewerbsbehörde keine Entscheidung gegen es erlassen kann, ohne eine kontradiktorische Phase der Ermittlungen durchgeführt zu haben, in der das Unternehmen seine Verteidigungsrechte hat uneingeschränkt geltend machen können.
73 Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Verjährungsregelung, die aus ihr selbst innewohnenden Gründen systemisch der Verhängung effektiver und abschreckender Sanktionen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union entgegensteht, geeignet ist, die Anwendung der Wettbewerbsregeln praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Er hat deshalb angenommen, dass eine nationale Regelung, mit der eine Verjährungsfrist eingeführt wird, deren Anwendung wegen der hohen Komplexität von Wettbewerbssachen eine systemische Gefahr der Nichtahndung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union schaffen könnte, nicht mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 53 und 56).
74 Außerdem ist zu beachten, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt sein müssen, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen (Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1 in Verbindung mit deren 40. Erwägungsgrund).
75 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 137 bis 139 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, könnten die Folgen, die die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Frist nach der nationalen Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, hat, aber eine systemische Gefahr der Nichtahndung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union schaffen. Denn die betreffende nationale Regelung könnte so dazu führen, dass bei einer erheblichen Zahl erwiesener Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln keine wirksamen und abschreckenden Sanktionen verhängt werden. Und, da die AGCM kein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung einleiten kann, um solche Sanktionen zu verhängen, könnten sich die Unternehmen veranlasst sehen, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen fortzuführen, wodurch die wirksame Durchführung des Wettbewerbsrechts der Union durch die nationalen Wettbewerbsbehörden stark beeinträchtigt würde.
76 Nach den oben in den Rn. 67 bis 69 und 75 angestellten Erwägungen kann die Anwendung der in Rede stehenden Frist auf die Tätigkeit der AGCM die operative Unabhängigkeit dieser Behörde beeinträchtigen und eine systemische Gefahr der Nichtahndung von Zuwiderhandlungen gegen Art. 102 AEUV schaffen. Die nationalen Rechtsvorschriften, die die in Rede stehende Frist vorsehen, sind mithin geeignet, die Erreichung des in der Richtlinie 2019/1 vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden.
77 Auch wäre eine Auslegung des nationalen Rechts dahin, dass die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Frist durch die AGCM lediglich zur Folge hätte, dass die AGCM nicht mehr befugt wäre, Sanktionen zu verhängen, so dass die AGCM nach wie vor gegenüber einem Unternehmen die Einstellung einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise anordnen könnte, nicht geeignet, eine solche Gefahr der Nichtahndung auszuschließen und eine wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu gewährleisten. Solche Beschränkungen der Tätigkeit einer nationalen Wettbewerbsbehörde ließen sich nämlich weder mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1 vereinbaren, eine Regelung über wirksame und abschreckende Sanktionen zu erlassen und deren Durchführung zu gewährleisten, noch mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach sich eine nationale Wettbewerbsbehörde in Fällen, in denen das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV erwiesen ist, nur unter ganz besonderen Umständen – etwa, wenn das betroffene Unternehmen an einem nationalen Kronzeugenprogramm teilgenommen hat und seine Zusammenarbeit für die Aufdeckung und wirksame Ahndung der wettbewerbswidrigen Verhaltensweise von entscheidender Bedeutung war – darauf beschränken kann, die Zuwiderhandlung festzustellen, ohne gegen das betroffene Unternehmen eine Geldbuße zu verhängen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 2022, Nordzucker u. a., C‑151/20, EU:C:2022:203, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 18. Januar 2024, Lietuvos notarų rūmai u. a., C‑128/21, EU:C:2024:49, Rn. 108).
78 Soweit die Anwendung der in Rede stehenden Frist im Ausgangsverfahren die Folge einer bestimmten Auslegung des nationalen Rechts durch ein höheres Gericht ist, wie das vorlegende Gericht ausführt, ist noch darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts zur Gewährleistung der Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen (Urteile vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Oktober 2023, Z. [Recht auf den Erhalt einer Zweitausfertigung des Kreditvertrags], C‑326/22, EU:C:2023:775, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
79 Die nationalen Gerichte müssen das nationale Recht bei seiner Anwendung daher unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts auslegen, um deren volle Wirksamkeit zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihnen verfolgten Zweck steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. September 2022, Vicente [Verfahren zur Vollstreckung von Anwaltshonoraren], C‑335/21, EU:C:2022:720, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 Damit die volle Wirksamkeit des Unionsrecht gewährleistet ist, hat das vorlegende Gericht sein nationales Recht – insbesondere Art. 31 des Gesetzes Nr. 287/90 und Art. 14 des Gesetzes Nr. 689/81 – daher soweit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen. Es ist wegen des Erfordernisses einer unionsrechtskonformen Auslegung verpflichtet, eine gefestigte Rechtsprechung, die auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Bestimmung des Unionsrechts nicht vereinbar ist, gegebenenfalls abzuändern und hierzu jede von einem höheren oder gar obersten Gericht vorgenommene Auslegung, die für es nach seinem nationalen Recht verbindlich wäre, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen, wenn diese Auslegung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 78 die dort angeführte Rechtsprechung, vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 58, und vom 13. Juni 2024, DG de la Función Pública, Generalitat de Catalunya und Departamento de Justicia de la Generalitat de Catalunya, C‑331/22 und C‑332/22, EU:C:2024:496, Rn. 108 und 110).
81 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 5 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2019/1 und Art. 102 AEUV im Licht des Effektivitätsgrundsatzes dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die bei einem Verfahren zur Feststellung einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise, das von einer nationalen Wettbewerbsbehörde durchgeführt wird, Letztere zum einen verpflichtet, in einer Frist von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie Kenntnis von den wesentlichen, möglicherweise nur bei der ersten Meldung vorliegenden Umständen der Zuwiderhandlung hat, durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte an das betroffene Unternehmen die kontradiktorische Phase der Ermittlungen einzuleiten, und zum anderen die Nichteinhaltung dieser Frist dadurch ahndet, dass die Entscheidung der Behörde, mit der das Verfahren über die Zuwiderhandlung abgeschlossen wird, in vollem Umfang für nichtig erklärt wird und die Behörde die Befugnis verliert, wegen derselben Verhaltensweise ein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung einzuleiten.
Kosten
82 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 5 und Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts und Art. 102 AEUV
sind im Licht des Effektivitätsgrundsatzes wie folgt auszulegen:
Sie stehen einer nationalen Regelung entgegen, die bei einem Verfahren zur Feststellung einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise, das von einer nationalen Wettbewerbsbehörde durchgeführt wird, Letztere zum einen verpflichtet, in einer Frist von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie Kenntnis von den wesentlichen, möglicherweise nur bei der ersten Meldung vorliegenden Umständen der Zuwiderhandlung hat, durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte an das betroffene Unternehmen die kontradiktorische Phase der Ermittlungen einzuleiten, und zum anderen die Nichteinhaltung dieser Frist dadurch ahndet, dass die Entscheidung der Behörde, mit der das Verfahren über die Zuwiderhandlung abgeschlossen wird, in vollem Umfang für nichtig erklärt wird und die Behörde die Befugnis verliert, wegen derselben Verhaltensweise ein neues Verfahren über eine Zuwiderhandlung einzuleiten.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Italienisch.