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Document 62023CC0717

Schlussanträge des Generalanwalts M. Szpunar vom 23. Januar 2025.


ECLI identifier: ECLI:EU:C:2025:29

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 23. Januar 2025(1)

Rechtssache C717/23

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Beteiligte:

Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen,

M. M.

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs, Österreich)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2014/40/EU – Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, deren Verpackung verbotene Elemente aufweist – Begriff des Inverkehrbringens – Abgabe von Tabakerzeugnissen durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle – Verhängung einer Geldstrafe gegen den Großhändler “






I.      Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, sich zu der Frage zu äußern, wie der Begriff „in Verkehr bringen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 40 und Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40/EU(2) auszulegen ist.

2.        Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs scheint einige Hinweise auf die Reichweite der Definition zu geben, die diesem Begriff zukommen sollte. Ich schlage jedoch vor, diese Rechtsprechung auf der Grundlage einer umfassenderen Auslegung entsprechend dem Wortlaut, dem Zusammenhang und dem Ziel, das mit den Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 verfolgt wird, zu präzisieren.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Richtlinie 2014/40

3.        Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/40 heißt es: „Gemäß Artikel 114 Absatz 3 [AEUV] soll im Gesundheitsbereich bei Gesetzgebungsvorschlägen von einem hohen Schutzniveau ausgegangen werden, wobei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Tabakerzeugnisse sind keine gewöhnlichen Erzeugnisse, und angesichts der besonders schädlichen Wirkungen von Tabakerzeugnissen auf die menschliche Gesundheit sollte dem Gesundheitsschutz große Bedeutung beigemessen werden, insbesondere um die Verbreitung des Rauchens bei jungen Menschen zu senken.“

4.        Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für

b)      bestimmte Aspekte der Kennzeichnung und Verpackung von Tabakerzeugnissen, unter anderem die gesundheitsbezogenen Warnhinweise, die auf den Packungen und den Außenverpackungen von Tabakerzeugnissen erscheinen müssen, sowie die Rückverfolgbarkeit und die Sicherheitsmerkmale, die für Tabakerzeugnisse angewendet werden, um ihre Übereinstimmung mit dieser Richtlinie zu gewährleisten;

damit – ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen – das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse erleichtert wird und die Verpflichtungen der Union im Rahmen des [Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO)] zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Framework Convention on Tobacco Control, im Folgenden ,FCTC‘) eingehalten werden.“

5.        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

40.      ,in Verkehr bringen‘ die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten – unabhängig vom Ort ihrer Herstellung – für Verbraucher, die sich in der Union befinden, auch mittels Fernabsatz; [im] Fall von grenzüberschreitendem Fernabsatz gilt das Produkt als in dem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht, in dem sich der Verbraucher befindet;

41.      ,Verkaufsstelle‘ eine Verkaufsstelle, wo Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, auch von einer natürlichen Person.“

6.        Kapitel II („Kennzeichnung und Verpackung“) Art. 8 („Allgemeine Bestimmungen“) Abs. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die gesundheitsbezogenen Warnhinweise auf einer Packung und der Außenverpackung unablösbar aufgedruckt, unverwischbar und vollständig sichtbar sind und dass sie, wenn die Tabakerzeugnisse in Verkehr gebracht werden, nicht teilweise oder vollständig durch Steuerzeichen, Preisaufkleber, Sicherheitsmerkmale, Hüllen, Taschen, Schachteln oder sonstige Gegenstände verdeckt oder getrennt werden. Auf den Verpackungen von Tabakerzeugnissen mit Ausnahme von Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen in Beuteln dürfen die gesundheitsbezogenen Warnhinweise mittels Aufklebern aufgebracht werden, sofern diese nicht entfernt werden können. Die gesundheitsbezogenen Warnhinweise müssen beim Öffnen der Packung intakt bleiben, außer bei Packungen mit Klappdeckel (Flip-Top-Deckel), bei denen die Warnhinweise beim Öffnen der Packung getrennt werden, allerdings nur in einer Weise, die die grafische Integrität und die Sichtbarkeit des Textes, der Fotografien und der Angaben zur Raucherentwöhnung gewährleistet.“

7.        In Art. 13 („Erscheinungsbild der Erzeugnisse“) der Richtlinie 2014/40 heißt es:

„(1)      Die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst dürfen weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die

c)      sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen;

…“

8.        Art. 19 („Meldung neuartiger Tabakerzeugnisse“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten schreiben Herstellern und Importeuren von neuartigen Tabakerzeugnissen vor, bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten jedes derartige Erzeugnis zu melden, das sie in [diesen Mitgliedstaaten] in Verkehr zu bringen beabsichtigen. Diese Meldung muss in elektronischer Form sechs Monate vor dem beabsichtigten Inverkehrbringen erfolgen …

…“

9.        Art. 20 („Elektronische Zigaretten“) Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Hersteller und Importeure von elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern melden den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten jegliche derartige Erzeugnisse, die sie in Verkehr zu bringen beabsichtigen. Die Meldung muss in elektronischer Form sechs Monate vor dem beabsichtigten Inverkehrbringen erfolgen. …“

10.      In Art. 23 („Zusammenarbeit und Durchsetzung“) Abs. 2 und 3 der Richtlinie heißt es:

„(2)      Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, die dieser Richtlinie sowie den darin vorgesehenen Durchführungs- und delegierten Rechtsakten nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Tabakerzeugnisse oder verwandte Erzeugnisse nicht in Verkehr gebracht werden, wenn die in dieser Richtlinie festgelegten Meldepflichten nicht eingehalten werden.

(3)      Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen fest und treffen die zur Anwendung dieser Sanktionen erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Verwaltungssanktionen finanzieller Art, die für vorsätzliche Verstöße verhängt werden, dürfen so gestaltet sein, dass sie den durch den Verstoß angestrebten wirtschaftlichen Vorteil aufheben.“

2.      Verordnung (EU) 2019/1020

11.      In den Erwägungsgründen 1, 14 und 43 der Verordnung (EU) 2019/1020(3) wird ausgeführt:

„(1)      Damit der freie Warenverkehr in der Union gewährleistet ist, muss sichergestellt werden, dass die Produkte den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entsprechen und damit Anforderungen erfüllen, die ein hohes Schutzniveau bei öffentlichen Interessen wie Gesundheit und Sicherheit im Allgemeinen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Verbraucher- und Umweltschutz, öffentliche Sicherheit und Schutz anderer durch diese Rechtsvorschriften geschützter öffentlicher Interessen gewährleisten. Damit diese Interessen gebührend geschützt und Bedingungen geschaffen werden, unter denen ein fairer Wettbewerb auf dem Unionsmarkt für Waren gelingen kann, ist die konsequente Durchsetzung dieser Anforderungen von wesentlicher Bedeutung. Daher sind Regeln erforderlich, die diese Durchsetzung sicherstellen, unabhängig davon, ob die Produkte offline oder online in Verkehr gebracht werden, und unabhängig davon, ob sie in der Union hergestellt wurden oder nicht.

(14)      Moderne Lieferketten umfassen eine große Vielfalt an Wirtschaftsakteuren, die alle der Durchsetzung der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterworfen sein sollten, wobei ihre jeweilige Rolle in der Lieferkette sowie das Ausmaß, in dem sie zu der Bereitstellung von Produkten auf dem Unionsmarkt beitragen, angemessen berücksichtigt werden sollten. Daher muss die Verordnung für alle Wirtschaftsakteure gelten, die direkt von den in Anhang I der vorliegenden Verordnung aufgeführten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union betroffen sind …

(43)      Die Marktüberwachungsbehörden handeln im Interesse der Wirtschaftsakteure, der Endnutzer und der Öffentlichkeit, um sicherzustellen, dass das in den einschlägigen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union für Produkte erfasste öffentliche Interesse mit Hilfe geeigneter Durchsetzungsmaßnahmen ständig gewahrt und geschützt wird und dass die Konformität mit diesen Rechtsvorschriften in der Lieferkette durch zweckmäßige Überprüfungen gewährleistet wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass Verwaltungsüberprüfungen alleine in vielen Fällen physische Überprüfungen und Laborprüfungen nicht ersetzen können, wenn die Konformität von Produkten mit den einschlägigen Harmonisierungsvorschriften der Union überprüft werden soll. Folglich sollten die Marktüberwachungsbehörden bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten ein hohes Maß an Transparenz walten lassen und der Öffentlichkeit alle Informationen zugänglich machen, die ihrer Ansicht nach relevant sind, um die Interessen der Endnutzer in der Union zu schützen.“

12.      Art. 1 („Gegenstand“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Ziel dieser Verordnung ist es, das Funktionieren des Binnenmarktes durch Stärkung der Marktüberwachung von Produkten, die unter die in Artikel 2 genannten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union fallen zu verbessern, sodass sichergestellt ist, dass nur konforme Produkte auf dem Unionsmarkt bereitgestellt werden, welche die Anforderungen an ein hohes Schutzniveau bei öffentlichen Interessen wie Gesundheit und Sicherheit im Allgemeinen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Verbraucher- und Umweltschutz sowie der öffentlichen Sicherheit und anderer durch diese Rechtsvorschriften geschützter öffentlicher Interessen erfüllen.“

13.      Art. 2 („Anwendungsbereich) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt insoweit für Produkte, die den in Anhang I angeführten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union (im Folgenden ,Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union‘) unterliegen, als es in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union keine speziellen Bestimmungen gibt, mit denen dasselbe Ziel verfolgt wird und bestimmte Aspekte der Marktüberwachung und der Durchsetzung konkreter geregelt werden.“

14.      In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.      ,Bereitstellung auf dem Markt‘ jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit;

2.      ,Inverkehrbringen‘ die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt;

…“

15.      Art. 16 („Marktüberwachungsmaßnahmen“) Abs. 3 der Verordnung 2019/1020 sieht vor:

„Für die Zwecke von Absatz 2 kann der Wirtschaftsakteur beispielsweise zur Ergreifung der folgenden Korrekturmaßnahmen aufgefordert werden:

c)      unverzügliche Rücknahme vom Markt oder unverzüglicher Rückruf des Produkts und Warnung der Öffentlichkeit vor dem von dem Produkt ausgehenden Risiko,

…“

B.      Österreichisches Recht

16.      Nach § 1 des Tabak- und Nichtraucherinnen- bzw. Nichtraucherschutzgesetzes vom 1. Juli 1995(4) (im Folgenden: Tabakgesetz) bezeichnet der Ausdruck „Inverkehrbringen“ für die Zwecke dieses Gesetzes „die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten – unabhängig vom Ort ihrer Herstellung – für Verbraucherinnen bzw. Verbraucher“.

17.      Nach § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes ist das Inverkehrbringen von „Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen, die den §§ 4 bis 10e oder [nach diesem Gesetz] erlassenen Verordnungen nicht entsprechen“, verboten.

18.      § 5d des Gesetzes bestimmt:

„(1)      Die Kennzeichnung der Packung und der Außenverpackung sowie das Tabakerzeugnis selbst dürfen weder Elemente noch Merkmale aufweisen, die

3.      sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen,

(3)      Unter die nach den Abs. 1 und 2 verbotenen Elemente und Merkmale fallen insbesondere Texte, Symbole, Namen, Markennamen, figurative und sonstige Zeichen.“

19.      § 14 Abs. 1 des Gesetzes bestimmt:

„Wer

1.      Tabakerzeugnisse oder verwandte Erzeugnisse entgegen § 2 in Verkehr bringt,

begeht, sofern die Tat nicht nach anderen Verwaltungsbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15 000 Euro zu bestrafen.

…“

III. Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Am 30. Mai 2022 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen, Österreich (im Folgenden: Verwaltungsbehörde), gegen M. M., einen Tabakgroßhändler, eine Geldstrafe in Höhe von 1 000 Euro, weil die Gesellschaft, deren Geschäftsführer M. M. ist, einer Trafik (Verkaufsstelle u. a. für Tabakwaren, im Folgenden: Verkaufsstelle) Zigaretten in einer Packung mit einer verbotenen Beschriftung geliefert habe. Die auf der Packung enthaltenen Angaben „perfekt abgerundet“ und „mit slow curing“ stellten nämlich Elemente dar, die sich auf den Geschmack bezögen. Nach Auffassung der Verwaltungsbehörde hat der Großhändler damit gegen § 14 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 1 und § 5d Abs. 1 Z 3 des Tabakgesetzes verstoßen.

21.      M. M. erhob gegen dieses Straferkenntnis Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, Österreich (im Folgenden: Landesverwaltungsgericht), das der Beschwerde mit Erkenntnis vom 1. September 2022 Folge gab, das Straferkenntnis der Verwaltungsbehörde vom 30. Mai 2022 aufhob und das Verwaltungsstrafverfahren einstellte.

22.      Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts war die Verwaltungsbehörde fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Inverkehrbringen durch die Lieferung der fraglichen Produkte an die Verkaufsstelle erfolgt sei. § 1 Z 2 des Tabakgesetzes übernehme nämlich die Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ aus Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40, so dass dieser Begriff als die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten – unabhängig vom Ort ihrer Herstellung – für Verbraucher verstanden werden müsse. Somit müsse ein Produkt als an Konsumenten „in Verkehr gebracht“ gelten, wenn es in Verkaufsstellen oder im Fernabsatz erhältlich sei, und die „Bereitstellung“ für Verbraucher meine das Vorhalten von Tabakerzeugnissen zur unmittelbaren Abgabe an den Verbraucher, also den letzten Schritt vor dem Verkauf an Konsumenten, der in der Regel in einer Trafik stattfinde. Das Landesverwaltungsgericht zog daraus den Schluss, dass M. M. die fraglichen Erzeugnisse nicht „in Verkehr gebracht“ habe, weil er diese an den Betreiber einer Verkaufsstelle geliefert habe, der ebenfalls Unternehmer und nicht Verbraucher sei.

23.      Die Verwaltungsbehörde erhob gegen diese Erkenntnis vom 1. September 2022 eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof, (Österreich). In der Folge trat der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (Österreich) anstelle der Verwaltungsbehörde in das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ein.

24.      Für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob das – mit dem österreichischen Recht inhaltlich übereinstimmende – unionsrechtliche Verbot des Inverkehrbringens eines Tabakerzeugnisses, dessen Packung gegen die Vorschriften über das Erscheinungsbild verstößt, bereits die Abgabe dieses Produkts von einem Großhändler an den Betreiber einer Verkaufsstelle erfasst oder erst die Abgabe durch die Verkaufsstelle an einen Verbraucher. Entscheidend sei insoweit die Auslegung des in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 verwendeten Begriffs „in Verkehr gebracht“. Die vorgenannte Richtlinie enthalte jedoch keine Definition des Begriffs „Bereitstellung von Produkten“, der wiederum einen zentralen Bestandteil des Begriffs „in Verkehr bringen“ gemäß Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie bilde.

25.      Erstens schließt nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die deutsche(5) Sprachfassung von Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 eine Auslegung des Begriffs „in Verkehr bringen“ nicht aus, nach welcher bereits die Bereitstellung eines Erzeugnisses an eine Verkaufsstelle erfasst sei. Die englische(6) und die französische(7) Sprachfassung gäben keine Hinweise für diese Auslegungsfrage.

26.      Zweitens stellt das vorlegende Gericht fest, dass der Gerichtshof in Bezug auf Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 in seinem Urteil Pro Rauchfrei II(8) entschieden habe, dass nach dem üblichen Sinn des Wortes „Bereitstellung“ in dieser Bestimmung ein Tabakerzeugnis dann als „in den Verkehr gebracht“ anzusehen sei, wenn die Verbraucher sich dieses beschaffen könnten. Das sei erst dann der Fall, wenn das Erzeugnis zum Verkauf bereitstehe, auch wenn es noch nicht gekauft und bezahlt sei. Daraus folge für den vorliegenden Fall, dass die Abgabe des besagten Erzeugnisses von einem Großhändler an eine Verkaufsstelle kein „in Verkehr bringen“ darstelle.

27.      Auf Grund der faktischen Unterschiede zwischen dem dem Urteil Pro Rauchfrei II(9) zugrunde liegenden Sachverhalt und dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens fragt sich das vorlegende Gericht, ob die vom Gerichtshof in dem vorgenannten Urteil vorgenommene Auslegung so zu verstehen ist, dass ein „in Verkehr bringen“ von Tabakerzeugnissen stets, also unabhängig von der in Rede stehenden Vorschrift der Richtlinie 2014/40, voraussetzt, dass das Tabakerzeugnis unmittelbar einem Verbraucher (etwa durch Verkauf) bereitgestellt wird, und dass diese Bereitstellung nicht bereits in einem früheren Stadium der Lieferkette vorliegen kann.

28.      Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil nicht die Erwägungen von Generalanwalt Tanchev in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Pro Rauchfrei(10) übernommen habe, wonach der Großhandel ausdrücklich vom Begriff des Inverkehrbringens ausgeschlossen sei. Allerdings deutet eine systematische Betrachtung der Richtlinie 2014/40 nach Auffassung des vorlegenden Gerichts im Gegenteil darauf hin, dass der in Art. 2 Nr. 40 dieser Richtlinie allgemein beschriebene Begriff „in Verkehr bringen“ je nach der einschlägigen Vorschrift der Richtlinie und je nach konkreter Konstellation verschiedene am Handel mit Tabakerzeugnissen beteiligte Wirtschaftsteilnehmer erfassen könne. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 2 der vorgenannten Richtlinie, dafür Sorge zu tragen, dass Tabakerzeugnisse, die dieser Richtlinie nicht entsprechen, nicht „in Verkehr gebracht“ werden, könnte daher in einem Fall Hersteller, Importeure oder Großhändler erfassen, und in einem anderen erst die Betreiber von Verkaufsstellen.

29.      Drittens verweist das vorlegende Gericht auf das deutsche Recht. Auch der deutsche Gesetzgeber sei von einem solchen Verständnis des Begriffs „in Verkehr bringen“, der je nach der in Rede stehenden Vorschrift der Richtlinie 2014/40 alle oder nur einzelne der am Handel mit Tabakerzeugnissen beteiligten Wirtschaftsteilnehmer erfasse, ausgegangen. Das deutsche Recht übernehme zwar grundsätzlich die Begriffsbestimmungen des Art. 2 der Richtlinie 2014/40, es gelte danach jedoch die Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ mit der Maßgabe, dass die Bereitstellung von Tabakerzeugnissen jede Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Gemeinschaftsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit umfasse. Damit habe der deutsche Gesetzgeber an die Begriffsbestimmung des „Inverkehrbringens“ aus Art. 2 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008(11) angeknüpft, um einen Gleichklang der materiellen Vorschriften und der Marktüberwachungsmaßnahmen sicherzustellen.

30.      Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts wird durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 des deutschen Tabakerzeugnisgesetzes somit sichergestellt, dass der Begriff des „Inverkehrbringens“ nicht nur die unmittelbare Abgabe von Tabakerzeugnissen an den Verbraucher erfasse, sondern jede Abgabe auf jeder Stufe der Lieferkette der Tabakerzeugnisse. Daran anknüpfend bestimme § 3 Abs. 1 des deutschen Tabakerzeugnisgesetzes, dass die Wirtschaftsteilnehmer und Inhaber erster Verkaufsstellen im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit gleichermaßen verpflichtet seien, sicherzustellen, dass nur Erzeugnisse in den Verkehr gebracht würden, die den Anforderungen dieses Gesetzes genügten.

31.      Vergleichbare Regelungen fehlten hingegen im österreichischen Recht, welches sich auf die Umsetzung durch weitgehend wortidente Übernahme der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 in § 1 Z 2 des Tabakgesetzes und des Verbots des Inverkehrbringens des Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 in § 2 Abs. 1 Z 1 des Tabakgesetzes beschränke.

32.      Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 23 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 40 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c der [Richtlinie 2014/40] so auszulegen, dass das Verbot, ein Tabakerzeugnis in Verkehr zu bringen, dessen Packung Elemente bzw. Merkmale aufweist, die sich auf den Geschmack beziehen, bereits die Abgabe dieses Tabakerzeugnisses durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle oder erst den Verkauf bei einer Verkaufsstelle an Verbraucher erfasst?

33.      M. M., die österreichische, die belgische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der belgischen Regierung haben diese Beteiligten in der Sitzung vom 23. Oktober 2024 mündlich verhandelt.

IV.    Würdigung

34.      Mit der einzigen von ihm gestellten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 in Verbindung mit Art. 2 Nr. 40 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Tabakerzeugnisse, deren Packung gegen die Vorschriften dieser Richtlinie über das Erscheinungsbild verstößt, nicht in Verkehr gebracht werden, auch auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle oder nur auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher gilt.

35.      Bevor ich mit der Prüfung dieser Vorlagefrage beginne, halte ich es für notwendig, einige einleitende Bemerkungen zu ihrem Gegenstand zu machen.

36.      Die Parteien des Rechtsstreits haben sich nämlich im Wesentlichen auf die Auslegung von Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 konzentriert, in dem der Begriff „in Verkehr bringen“ im Sinne dieser Richtlinie abstrakt definiert wird. Ich bin jedoch der Ansicht, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Auslegung der Definition des Begriffs „in Verkehr bringen“ in abstracto geht, sondern um die Auslegung einer materiell-rechtlichen Bestimmung der vorgenannten Richtlinie, die diesen Begriff anwendet.

37.      Meines Erachtens geht es in der vorliegenden Rechtssache eher um die Reichweite der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen, die der Richtlinie 2014/40 nicht entsprechen, nicht zuzulassen, wobei der Gerichtshof in diesem Zusammenhang entscheiden muss, ob eine solche Verpflichtung bedeutet, nur die Stufe des Verkaufs dieser Erzeugnisse durch eine Verkaufsstelle an den Verbraucher zu kontrollieren, oder ob sie auch die Überwachung früherer Stufen der Lieferkette, wie – im vorliegenden Fall – des Großhandels voraussetzt.

38.      Ich werde mich daher in meiner Prüfung auf die Auslegung von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 konzentrieren, soweit er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Tabakerzeugnisse, die dieser Richtlinie nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden.

39.      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(12).

40.      Ich werde daher eine wörtliche (A), systematische (B) und teleologische (C) Auslegung von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 vornehmen, um festzustellen, ob die Abgabe von Tabakerzeugnissen durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle unter die Verpflichtung der Mitgliedstaaten fällt, sicherzustellen, dass keine Erzeugnisse in Verkehr gebracht werden, die dieser Richtlinie nicht entsprechen.

A.      Wörtliche Auslegung

41.      Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 sieht eine allgemeine Überwachungspflicht für die Mitgliedstaaten vor, mit der sichergestellt werden soll, dass keine Produkte in Verkehr gebracht werden, die der Richtlinie nicht entsprechen.

42.      Die Parteien stimmen insoweit überein, als sie zur Bestimmung der Bedeutung des Begriffs „in Verkehr bringen“ im Zusammenhang mit einer solchen Überwachungspflicht auf Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 Bezug nehmen.

43.      So argumentiert die Kommission, dass der Wortlaut von Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 klar sei und festlege, dass ein Inverkehrbringen nur dann stattfinde, wenn die Verbraucher direkten Zugriff auf die betreffenden Produkte hätten. Jede Auslegung dieses Begriffs, die die Abgabe von Produkten durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle einschließe, widerspreche dem Wortlaut dieser Bestimmung.

44.      Ich schließe mich dieser Auslegung an. Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 enthält eine allgemeine Definition des Begriffs „in Verkehr bringen“, die voraussetzt, dass die Verbraucher Zugriff auf die betreffenden Produkte haben.

45.      Ich bin jedoch ebenso wie die belgische und die niederländische Regierung der Auffassung, dass der bloße Verweis auf die Definition des Begriffs „in Verkehr bringen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 keine eindeutige Aussage darüber zulässt, ob die in Art. 23 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Überwachungspflicht der Mitgliedstaaten eine Kontrolle auch auf der Stufe der Abgabe der betreffenden Produkte durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle voraussetzt.

46.      Wie die Kommission im Übrigen selbst hervorhebt, erlegt Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 den Mitgliedstaaten nämlich eine Verpflichtung hinsichtlich des Ergebnisses auf, nämlich dass Produkte, die dieser Richtlinie nicht entsprechen, den Verbrauchern nicht zur Verfügung gestellt werden. Somit ermöglicht der Begriff „in Verkehr bringen“, wie er in Art. 2 Nr. 40 dieser Richtlinie definiert ist, lediglich die Bestimmung des nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie zu erreichenden Ergebnisses. Er lässt hingegen nicht erkennen, ob ein solches Ergebnis voraussetzt, dass der Mitgliedstaat seine Überwachungspflicht auch auf der Stufe des Großhandels oder nur auf der Stufe der Abgabe der betreffenden Produkte durch eine Verkaufsstelle an den Verbraucher wahrnimmt.

47.      Auch der Verweis des Gerichtshofs im Urteil Pro Rauchfrei II(13) auf die Definition von „in Verkehr bringen“ ist nicht geeignet, die Reichweite der in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 enthaltenen Verpflichtung zu präzisieren. So ging es dem Gerichtshof in der diesem Urteil zugrundeliegenden Rechtssache darum, festzustellen, ob Tabakerzeugnisse, die über einen Automaten verkauft werden, in dem die Erzeugnisse nicht sichtbar sind, „in Verkehr gebracht“ werden im Sinne von Art. 8 Abs. 3 dieser Richtlinie, der vorsieht, dass beim Inverkehrbringen die auf den betreffenden Erzeugnissen befindlichen gesundheitsbezogenen Warnhinweise nicht verdeckt werden dürfen. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass gemäß dem üblichen Sinn des Wortes „Bereitstellung“ ein Tabakerzeugnis dann als „in den Verkehr gebracht“ anzusehen ist, wenn die Verbraucher sich dieses beschaffen können. Wenn also ein Tabakerzeugnis zum Verkauf bereitsteht, so ist es auch dann als in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn es noch nicht gekauft und bezahlt wurde.

48.      Insoweit stellt das Urteil Pro Rauchfrei II(14) den Begriff „in Verkehr bringen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie 2014/40 in einem Sinne klar, der der wörtlichen Auslegung entspricht, wonach das Inverkehrbringen voraussetzt, dass die Verbraucher direkten Zugriff auf die betreffenden Produkte haben.

49.      Auch diese Lösung hebt jedoch nur das Ergebnis hervor, das die Staaten nach Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 erreichen müssen, nämlich dass die Verbraucher sich keine Produkte beschaffen können, die dieser Richtlinie nicht entsprechen. Sie lässt jedoch nicht erkennen, ob die Mitgliedstaaten zur Erreichung dieses Ergebnisses verpflichtet sind, eine Kontrolle nur auf der Stufe des Verkaufs durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher oder auch auf vorgelagerten Stufen der Lieferkette durchzuführen.

50.      Der Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 selbst ist insoweit nicht eindeutig. So gibt diese Bestimmung, wie alle Parteien feststellen, das zu erreichende Ergebnis vor. Die Frage, wie die Mitgliedstaaten dieses Ziel zu erreichen haben, d. h. mittels einer einzigen Kontrolle auf der letzten Stufe der Lieferkette oder auch mittels einer vorgelagerten Kontrolle, wird durch diese Bestimmung hingegen nicht geregelt.

51.      Da sich somit aus dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 nicht eindeutig ergibt, ob die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass ein Tabakerzeugnis, das dieser Richtlinie nicht entspricht, nicht „in Verkehr gebracht“ wird, eine Kontrolle auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle umfasst, halte ich es für notwendig, den Wortlaut der Definition dieses Begriffs im Licht des Zusammenhangs dieser Bestimmung und der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele zu untersuchen.

B.      Systematische Auslegung

52.      Einerseits gehört Art. 23 („Zusammenarbeit und Durchsetzung“) der Richtlinie 2014/40 zu den Schlussbestimmungen der Richtlinie, und in Art. 23 Abs. 2 heißt es: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, die dieser Richtlinie … nicht entsprechen, nicht in Verkehr gebracht werden.“

53.      Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie 2014/40 sieht wiederum eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vor, Sanktionen für Verstöße gegen die nationalen Umsetzungsvorschriften festzulegen.

54.      Ich verstehe daher Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 so, dass er den Mitgliedstaaten eine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt, mit der sichergestellt werden soll, dass keine Produkte für die Verbraucher bereitgestellt werden, die der Richtlinie nicht entsprechen, und Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie so, dass er diese allgemeine Überwachungspflicht mittels der Einführung eines Sanktionssystems für Verstöße gegen die Vorschriften der Richtlinie konkretisiert.

55.      Die Einführung dieses Sanktionssystems ist jedoch nicht auf Verstöße gegen Bestimmungen der Richtlinie 2014/40 auf der Stufe der Abgabe von nicht konformen Tabakerzeugnissen durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher beschränkt. Wie die Kommission ausführt, beziehen sich diese Sanktionen vielmehr auf alle Bestimmungen dieser Richtlinie, unabhängig von der Stufe der Lieferkette, auf die sie Anwendung finden.

56.      Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass die den Mitgliedstaaten in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 auferlegte Überwachungspflicht ebenfalls keiner solchen Beschränkung unterliegen sollte.

57.      Andererseits ist in einem breiteren, von der Kommission hervorgehobenen Kontext zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2014/40 in gewissem Maße durch die Verordnung 2019/1020 ergänzt wird, die Marktüberwachungsmaßnahmen vorsieht, mit denen sichergestellt werden soll, dass die betreffenden Produkte den materiellen Harmonisierungsrechtsvorschriften entsprechen.

58.      Die Verordnung 2019/1020 gilt nämlich für Produkte, die den in Anhang I der Verordnung angeführten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen, zu denen auch die Richtlinie 2014/40 gehört. Insoweit zielt die Verordnung darauf ab, die Marktüberwachung von Produkten, die unter diese Richtlinie fallen, zu verbessern, sodass nur Produkte die dieser Richtlinie entsprechen, in Verkehr gebracht werden.

59.      Mit anderen Worten: Die Verordnung 2019/1020 zielt darauf ab, die Wirksamkeit der in der Richtlinie 2014/40 vorgesehenen Mechanismen zu erhöhen, wenn es um die Einhaltung der Bestimmungen dieser Richtlinie bei Tabakerzeugnissen geht.

60.      Zu diesem Zweck verpflichtet die Verordnung 2019/1020 die Mitgliedstaaten unter anderem, den Markt zu überwachen und im Falle der Nichtkonformität eines Produkts eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, darunter die Anweisung an den betreffenden Wirtschaftsakteur, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Nichtkonformität zu beenden. Diese Verordnung beschränkt die Überwachungspflicht, die die bereits in der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Überwachungspflicht verschärft, also nicht nur auf die Stufe der Abgabe des Produkts durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher, sondern ergänzt diese Regelung durch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, konkrete Maßnahmen zu ergreifen.

61.      Wie die Kommission selbst ausführt, soll auf diese Weise die lückenlose Durchsetzung der Richtlinie 2014/40 in der gesamten Lieferkette für Tabakerzeugnisse sichergestellt werden, wobei es im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung 2019/1020 heißt, dass „von den Wirtschaftsakteuren in der gesamten Lieferkette erwartet werden [sollte], dass sie … in vollem im Einklang mit den geltenden rechtlichen Anforderungen handeln, wenn sie Produkte in Verkehr bringen …“

62.      Ein solcher Mechanismus scheint mir zu bestätigen, dass die in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Überwachungspflicht so auszulegen ist, dass sie dieselbe Reichweite hat wie die in der Verordnung 2019/1020 enthaltene.

63.      Aus diesen Gründen ergibt eine systematische Auslegung meines Erachtens, dass die in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Überwachungspflicht der Mitgliedstaaten bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Überwachungspflicht nicht nur auf der Stufe der Abgabe der betreffenden Produkte durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher, sondern auch auf der Stufe des Großhandels wahrnehmen müssen.

64.      Eine solche Auslegung wird meiner Ansicht nach im Übrigen durch die teleologische Auslegung dieser Bestimmung bestätigt.

C.      Teleologische Auslegung

65.      Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, wird mit der Richtlinie 2014/40, wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, ein zweifaches Ziel verfolgt, nämlich, ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, besonders für junge Menschen, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu erleichtern(15).

66.      Das Ziel, einen hohen Schutz der Gesundheit zu gewährleisten, wird in den Erwägungsgründen 8, 13, 18, 21, 36, 54 und 59 der Richtlinie 2014/40 bekräftigt.

67.      In Anbetracht dieses Ziels halte ich es für erforderlich, die den Mitgliedstaaten in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 auferlegte allgemeine Überwachungspflicht dahin auszulegen, dass die Kontrolle nicht nur auf der Stufe des Verkaufs des betreffenden Produkts durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher, sondern bei jedem Vorgang stattfinden muss, der notwendigerweise dazu führt, dass das Produkt letztlich für die Verbraucher bereitgestellt wird.

68.      Eine Beschränkung der von den Mitgliedstaaten durchgeführten Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften der Richtlinie 2014/40 auf die letzte Stufe der Lieferkette für Tabakerzeugnisse würde meines Erachtens die Wirksamkeit der Überwachungspflicht, die die Richtlinie den Mitgliedstaaten auferlegt, beeinträchtigen.

69.      Eine solche Auslegung würde nämlich bedeuten, dass nach der Richtlinie 2014/40 nur der Betreiber der Verkaufsstelle für das Inverkehrbringen von Produkten, die dieser Richtlinie nicht entsprechen, verantwortlich wäre, obwohl er über eine große Anzahl der in dieser Richtlinie vorgesehenen Anforderungen an die Zusammensetzung oder Verpackung dieser Produkte keine Kontrolle hat. Das würde in meinen Augen ein nicht zu vernachlässigendes Risiko bergen, dass nicht konforme und damit gesundheitsschädliche Produkte für die Verbraucher bereitgestellt werden könnten.

70.      Die von mir vorgeschlagene Auslegung, wonach die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass keine Produkte, die der Richtlinie 2014/40 nicht entsprechen, in Verkehr gebracht werden, eine Kontrolle auf den verschiedenen Stufen der Lieferkette voraussetzt, ermöglicht es hingegen, das Ziel der Gewährleistung eines hohen Schutzes der Gesundheit zu erreichen, indem sichergestellt wird, dass die Mitgliedstaaten bei jedem Vorgang, der notwendigerweise dazu führt, dass das Produkt letztlich für die Verbraucher bereitgestellt wird, die Einhaltung der Vorschriften der Richtlinie 2014/40 überprüfen.

71.      Auch das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts ist meines Erachtens ein Grund, sich dem Standpunkt der Kommission nicht anzuschließen, wonach die in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 vorgesehene Überwachungspflicht den Mitgliedstaaten lediglich auferlege, den Verkauf durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher zu kontrollieren, und es den Mitgliedstaaten überlassen bleibe, nach ihrem Ermessen nationale Maßnahmen früher in der Lieferkette zu ergreifen, um sicherzustellen, dass nicht konforme Produkte nicht für den Verbraucher bereitgestellt werden.

72.      Eine solche Auslegung würde nämlich die Gefahr uneinheitlicher Regelungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten und unterschiedlicher Verpflichtungen für andere Akteure in der Lieferkette als Betreiber von Verkaufsstellen je nach den von den Mitgliedstaaten erlassenen nationalen Maßnahmen mit sich bringen.

73.      Ich bin daher der Ansicht, dass die teleologische Auslegung von Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40 dazu führt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Tabakerzeugnisse, deren Packung gegen die Vorschriften dieser Richtlinie über das Erscheinungsbild dieser Erzeugnisse verstößt, nicht in Verkehr gebracht werden, nicht nur auf der Stufe des Verkaufs dieser Erzeugnisse durch die Verkaufsstelle an den Verbraucher, sondern auch auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle wahrgenommen werden muss.

V.      Ergebnis

74.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs (Österreich) wie folgt zu beantworten:

Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG in Verbindung mit Art. 2 Nr. 40 der Richtlinie

ist dahin auszulegen, dass

die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass Tabakerzeugnisse, deren Packung gegen die Vorschriften dieser Richtlinie über das Erscheinungsbild dieser Erzeugnisse verstößt, nicht in Verkehr gebracht werden, nicht nur auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch eine Verkaufsstelle an Verbraucher, sondern auch auf der Stufe der Abgabe dieser Erzeugnisse durch einen Großhändler an eine Verkaufsstelle gilt.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. 2014, L 127, S. 1).


3      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011 (ABl. 2019, L 169, S. 1).


4      BGBl. I Nr. 431/1995, in der Fassung des BGBl. I Nr. 66/2019.


5      „die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten … für Verbraucher“. Hervorhebung nur hier.


6      „to make products … available to consumers“.


7      „le fait de mettre des produits … à la disposition des consommateurs“.


8      Urteil vom 9. März 2023 (C‑356/22, EU:C:2023:174, Rn. 20).


9      Urteil vom 9. März 2023 (C‑356/22, EU:C:2023:174).


10      C‑370/20, EU:C:2021:627.


11      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten (ABl. 2008, L 218, S. 30). Art. 2 Nr. 2 dieser Verordnung wurde in Art. 3 Nr. 2 der Verordnung 2019/1020 übernommen.


12      Urteile vom 30. Januar 2019, Planta Tabak (C‑220/17, EU:C:2019:76, Rn. 60), und vom 26. September 2018, Baumgartner (C‑513/17, EU:C:2018:772, Rn. 23).


13      Urteil vom 9. März 2023 (C‑356/22, EU:C:2023:174).


14      Urteil vom 9. März 2023 (C‑356/22, EU:C:2023:174).


15      Urteil vom 4. Mai 2016, Polen/Parlament und Rat (C‑358/14, EU:C:2016:323, Rn. 80).

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