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Document 62022CO0030

Beschluss des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 24. März 2023.
DV gegen Direktor na Teritorialno podelenie na Natsionalnia osiguritelen institut – Veliko Tarnovo.
Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Veliko Tarnovo.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Wanderarbeitnehmer – Arbeitslosigkeit – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft – Soziale Sicherheit – Art. 30 – Feststellung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Art. 65 Abs. 2 – Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die im Vereinigten Königreich eine Beschäftigung ausgeübt hat – Beendigung ihres Arbeitsvertrags nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs und dem Ende des in diesem Abkommen festgelegten Übergangszeitraums – Anspruch dieser Staatsangehörigen auf Arbeitslosengeld gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats nach ihrer Rückkehr in Letzteren.
Rechtssache C-30/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:259

 BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

24. März 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Wanderarbeitnehmer – Arbeitslosigkeit – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft – Soziale Sicherheit – Art. 30 – Feststellung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Art. 65 Abs. 2 – Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die im Vereinigten Königreich eine Beschäftigung ausgeübt hat – Beendigung ihres Arbeitsvertrags nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs und dem Ende des in diesem Abkommen festgelegten Übergangszeitraums – Anspruch dieser Staatsangehörigen auf Arbeitslosengeld gemäß den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats nach ihrer Rückkehr in Letzteren“

In der Rechtssache C‑30/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2022, in dem Verfahren

DV

gegen

Direktor na Teritorialno podelenie na Natsionalnia osiguritelen institut – Veliko Tarnovo

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und N. Wahl,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der bulgarischen Regierung, vertreten durch M. Georgieva, T. Mitova und E. Petranova als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und N. Nikolova als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 30 und 31 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen), das am 24. Januar 2020 in Brüssel (Belgien) und London (Vereinigtes Königreich) unterzeichnet wurde und am 1. Februar 2020 in Kraft trat, sowie von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DV und dem Direktor na Teritorialno podelenie na Natsionalnia osiguritelen institut – Veliko Tarnovo (Leiter der regionalen Abteilung des Nationalen Sozialversicherungsinstituts, Bulgarien) wegen dessen Weigerung, ihr finanzielle Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu gewähren, nachdem ihr Arbeitsverhältnis im Vereinigten Königreich am 29. März 2021 beendet worden war.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Austrittsabkommen

3

Das Austrittsabkommen wurde mit dem Beschluss (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 (ABl. 2020, L 29, S. 1) im Namen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genehmigt.

4

Der sechste Absatz der Präambel dieses Abkommens lautet:

„In der Erkenntnis, dass es notwendig ist, einen beiderseitigen Schutz für [Bürger der Europäischen Union] und … Staatsangehörige [des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Nordirlands] sowie ihre jeweiligen Familienangehörigen vorzusehen, wenn sie vor einem in diesem Abkommen festgesetzten Tag ihre Freizügigkeitsrechte ausgeübt haben, und zu gewährleisten, dass ihre Rechte nach diesem Abkommen durchsetzbar sind und auf dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung beruhen; ferner in der Erkenntnis, dass Rechte, die sich aus Sozialversicherungszeiten ergeben, geschützt werden sollten“.

5

In Art. 7 Abs. 1 dieses Abkommens heißt es:

„Für die Zwecke dieses Abkommens sind alle Bezugnahmen in Bestimmungen des aufgrund dieses Abkommens anwendbaren Unionsrechts auf Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden von Mitgliedstaaten auch als Bezugnahmen auf das Vereinigte Königreich und seine zuständigen Behörden zu verstehen, außer in Bezug auf

…“

6

Art. 10 Abs. 1 Buchst. a des Austrittsabkommens lautet:

„Dieser Teil gilt unbeschadet des Titels III für die folgenden Personen:

a)

Unionsbürger, die ihr Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich vor Ende des Übergangszeitraums im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt haben und danach weiter dort wohnen“.

7

Teil 2 Titel III („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) des Austrittsabkommens umfasst die Art. 30 bis 36 des Abkommens.

8

Art. 30 Abs. 1 bis 4 dieses Abkommens sieht vor:

„(1)   Dieser Titel gilt für die folgenden Personen:

a)

Unionsbürger, die am Ende des Übergangszeitraums den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs unterliegen, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen;

c)

Unionsbürger, die am Ende des Übergangszeitraums im Vereinigten Königreich wohnen und den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen;

e)

Personen, die nicht unter die Buchstaben a bis d fallen, bei denen es sich aber handelt um:

i)

Unionsbürger, die am Ende des Übergangszeitraums im Vereinigten Königreich eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben und die auf der Grundlage des Titels II der [Verordnung Nr. 883/2004] den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegen, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen …

(2)   Die in Absatz 1 genannten Personen sind erfasst, solange sie sich ohne Unterbrechung in einer der in dem genannten Absatz aufgeführten Situationen befinden, die gleichzeitig einen Mitgliedstaat und das Vereinigte Königreich betreffen.

(3)   Dieser Titel gilt auch für Personen, die nicht oder nicht mehr unter Absatz 1 Buchstaben a bis e, sondern unter Artikel 10 dieses Abkommens fallen, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

(4)   Die in Absatz 3 genannten Personen sind erfasst, solange sie weiterhin nach Artikel 13 dieses Abkommens ein Recht haben, sich im Aufnahmestaat aufzuhalten, oder das Recht nach Artikel 24 oder Artikel 25 dieses Abkommens haben, in ihrem Arbeitsstaat zu arbeiten.“

9

Art. 31 Abs. 1 Unterabs. 1 dieses Abkommens bestimmt:

„Auf die unter diesen Titel fallenden Personen finden die Vorschriften und Ziele des Artikels 48 AEUV, der [Verordnung Nr. 883/2004] und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2009, L 284, S. 1] Anwendung.“

10

Art. 32 Abs. 1 Buchst. a des Austrittsabkommens lautet:

„Die folgenden Vorschriften gelten für die folgenden Fälle in dem in diesem Artikel festgelegten Umfang, soweit sie Personen betreffen, die nicht oder nicht mehr unter Artikel 30 fallen:

a)

Für die Zwecke der Geltendmachung und Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten, einschließlich der sich nach der Verordnung [Nr. 883/2004] aus diesen Zeiten ergebenden Rechte und Pflichten, fallen die folgenden Personen unter diesen Titel:

i)

Unionsbürger …, die … vor Ende des Übergangszeitraums den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs unterlagen, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen;

Für die Zwecke der Zusammenrechnung von Zeiten werden die Zeiten, die vor und nach Ende des Übergangszeitraums zurückgelegt wurden, nach der [Verordnung Nr. 883/2004] berücksichtigt.“

11

Art. 126 des Austrittsabkommens lautet wie folgt:

„Es gibt einen Übergangs- oder Durchführungszeitraum, der am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens beginnt und am 31. Dezember 2020 endet.“

Verordnung Nr. 883/2004

12

Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 definiert für die Zwecke der Verordnung den Begriff „Wohnort“ als den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.

13

Titel III Kapitel 6 („Leistungen bei Arbeitslosigkeit“) dieser Verordnung enthält die Art. 61 bis 65a der Verordnung.

14

Art. 61 („Besondere Vorschriften für die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit“) der genannten Verordnung lautet wie folgt:

„(1)   Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, das Wiederaufleben oder die Dauer des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

Ist jedoch nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig, so werden die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht berücksichtigt, es sei denn, sie hätten als Versicherungszeiten gegolten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

(2)   Außer in den Fällen des Artikels 65 Absatz 5 Buchstabe a) gilt Absatz 1 des vorliegenden Artikels nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, folgende Zeiten zurückgelegt hat:

Versicherungszeiten, sofern diese Rechtsvorschriften Versicherungszeiten verlangen,

Beschäftigungszeiten, sofern diese Rechtsvorschriften Beschäftigungszeiten verlangen,

oder

Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, sofern diese Rechtsvorschriften Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit verlangen.“

15

Art. 65 Abs. 2 und 5 dieser Verordnung sieht vor:

„(2)   Eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, muss sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen. Unbeschadet des Artikels 64 kann sich eine vollarbeitslose Person zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats zur Verfügung stellen, in dem sie zuletzt eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat.

(5)   

a)

Der in Absatz 2 Sätze 1 und 2 genannte Arbeitslose erhält Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt.

…“

Bulgarisches Recht

16

Art. 54a Abs. 1 des Kodeks za sotsialno osiguriavane (Sozialversicherungsgesetzbuch) (DV Nr. 77 vom 16. September 2021, im Folgenden: KSO) bestimmt:

„Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit haben die Personen, für die die Versicherungsbeiträge für den Fonds ‚Arbeitslosigkeit‘ für mindestens zwölf der letzten 18 Monate vor Beendigung der Versicherung einbezahlt oder geschuldet wurden und die

1.   bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet sind;

2.   keinen Anspruch auf Rente aufgrund von Versicherungszeiten und Alter in der Republik Bulgarien oder auf Altersrente in einem anderen Staat erworben haben oder die keine Rente aufgrund von Versicherungszeiten und Alter in verminderter Höhe gemäß Art. 68a oder Berufsrente gemäß Art. 168 beziehen;

3.   keine nach diesem Gesetzbuch oder nach den Rechtsvorschriften eines anderen Staates versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausüben, hiervon ausgenommen sind die Personen nach Art. 114a Abs. 1 des Kodeks na truda [(bulgarisches Arbeitsgesetzbuch)].“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

DV ist bulgarische Staatsangehörige. Vom 1. Dezember 2014 bis 29. März 2021 war sie im Vereinigten Königreich bei verschiedenen Arbeitgebern im Bereich Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen beschäftigt.

18

Am 2. April 2021 machte die arbeitslose DV in Bulgarien einen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Bulgarien nach dem KSO geltend. Zur Unterstützung ihres Antrags legte DV bestimmte Dokumente vor, darunter eine Wohnorterklärung für die Zwecke der Anwendung von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004. Darüber hinaus fand zwischen dem Vereinigten Königreich und Bulgarien ein elektronischer Informationsaustausch zur Situation von DV statt.

19

Mit Bescheid vom 18. August 2021 lehnte der bulgarische Träger der Arbeitslosenversicherung diesen Antrag mit der Begründung ab, dass auf die Versicherungszeiten, die DV bis zum 29. März 2021 im Vereinigten Königreich zurückgelegt habe, keine Zeiten gefolgt seien, in denen in Bulgarien eine Sozialversicherung bestanden habe. Nach Ansicht des Trägers war Art. 30 des Austrittsabkommens nicht anwendbar, da DV durch ihre Rückkehr nach Bulgarien die grenzüberschreitende Situation, in der sie sich zum Zeitpunkt des Endes des in Art. 126 des Austrittsabkommens festgelegten Übergangszeitraums (im Folgenden: Übergangszeitraum), d. h. am 31. Dezember 2020, befunden habe, unterbrochen habe und ihre Situation daher nicht mehr gleichzeitig einen Mitgliedstaat und das Vereinigte Königreich betroffen habe. Was Art. 32 des Abkommens angehe, der die Zusammenrechnung der vor und nach dem Ende des Übergangszeitraums zurückgelegten Versicherungszeiten betreffe, habe DV in Bulgarien keine Erwerbstätigkeit ausgeübt, bei deren Beendigung hätte festgestellt werden können, ob sie die im bulgarischem Recht aufgestellten Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit erfülle.

20

Am 27. September 2021 wurde die von DV gegen diesen Bescheid eingelegte Beschwerde vom Beklagten des Ausgangsverfahrens zurückgewiesen. Daraufhin erhob DV beim vorlegenden Gericht, dem Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien), eine Klage gegen diese ablehnende Entscheidung.

21

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser ablehnenden Entscheidung daran geknüpft bzw. richtet sich danach, ob unter Berücksichtigung von Art. 31 Abs. 1 des Austrittsabkommens die Regeln der Art. 61 bis 65 der Verordnung Nr. 883/2004 und die diese Regeln konkretisierenden Bestimmungen der Verordnung Nr. 987/2009 auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation anwendbar sind oder ob – für die alleinigen Zwecke der Zusammenrechnung der betreffenden Zeiträume – Art. 32 des Abkommens anwendbar ist.

22

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Situation von DV nicht dem in Art. 30 Abs. 1 Buchst. c des Austrittsabkommens vorgesehenen Fall entspreche, den der Beklagte des Ausgangsverfahrens für einschlägig halte, sondern dem in Art. 30 Abs. 1 Buchst. a vorgesehenen Fall, der für Unionsbürger gelte, die am Ende des Übergangszeitraums den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs unterlägen.

23

Zur Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 1 des Austrittsabkommens und damit der Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 führt das vorlegende Gericht aus, dass nach Ansicht des Beklagten des Ausgangsverfahrens die Situation von DV nicht unter die in Art. 30 Abs. 1 dieses Abkommens genannten Konstellationen falle, da deren Anwendung von Art. 30 Abs. 2 des Abkommens abhänge. Danach seien die in Art. 30 Abs. 1 genannten Personen „solange“ erfasst, wie sie sich ohne Unterbrechung in einer der dort genannten Situationen befänden, die gleichzeitig einen Mitgliedstaat und das Vereinigte Königreich beträfen. Mit der Beendigung der Beschäftigung von DV im Vereinigten Königreich am 29. März 2021 habe aber die Situation, in der sie sich befunden habe, geendet.

24

In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob der Begriff „solange“ dahin auszulegen sei, dass die in Art. 30 Abs. 1 genannten Personen nur so lange unter eine der in dieser Bestimmung genannten Situationen fielen, wie sie sich in dieser Situation befänden, oder ob er unter Berücksichtigung des Sinnes der Bestimmungen des Austrittsabkommens und des mit dem Abkommen verfolgten Zwecks so auszulegen sei, dass die betreffenden Personen weiterhin unter diese Bestimmung fielen, wenn sie sich während des gesamten Übergangszeitraums in dieser Situation befunden hätten, so dass eine nach diesem Zeitraum eingetretene Änderung der Situation keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung habe.

25

Hilfsweise überlegt das Gericht, ob Art. 30 Abs. 3 des Austrittsabkommens auf das Ausgangsverfahren anwendbar sei, da die Situation von DV in Art. 10 Abs. 1 Buchst. a des Abkommens, auf den Art. 30 Abs. 3 verweise, geregelt sei. In diesem Zusammenhang fragt es sich weiter, ob die in Art. 30 Abs. 4 des Abkommens vorgesehene Einschränkung die Anwendung von Art. 30 Abs. 3 auf DV ausschließe, da sie seit dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses kein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich mehr habe, oder ob diese Einschränkung auf das Bestehen eines nach Ablauf des Übergangszeitraums ausgeübten Aufenthalts- oder Arbeitsrechts abstelle, ohne dass es darauf ankomme, wann dieses Recht nach diesem Zeitraum geendet habe.

26

Unter diesen Umständen hat der Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die Bestimmung von Art. 30 Abs. 2 des Austrittsabkommens in Verbindung mit dessen Art. 30 Abs. 1 Buchst. a dahin auszulegen, dass die in der zweiten Bestimmung genannten Personen von Art. 31 Abs. 1 des Abkommens persönlich erfasst sind, wenn sie im gesamten Übergangszeitraum ohne Unterbrechung Staatsangehörige eines Mitgliedstaats waren und gleichzeitig den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs unterlagen, oder ist sie dahin auszulegen, dass die Personen nach Art. 30 Abs. 1 Buchst. a des Abkommens nur solange von Art. 31 Abs. 1 erfasst sind, als sie am Ende des Übergangszeitraums und/oder nach dessen Ende als Beschäftigte im Vereinigten Königreich tätig sind?

2.

Ist die Bestimmung von Art. 30 Abs. 2 des Abkommens in Verbindung mit dessen Art. 30 Abs. 1 Buchst. c dahin auszulegen, dass die in der zweiten Bestimmung genannten Personen von Art. 31 Abs. 1 des Abkommens erfasst sind, wenn sie als Unionsbürger im gesamten Übergangszeitraum ohne Unterbrechung im Vereinigten Königreich gewohnt haben und gleichzeitig im gesamten Übergangszeitraum bis zu dessen Ende den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats unterlagen, oder ist sie dahin auszulegen, dass die Personen nach Art. 30 Abs. 1 Buchst. c nicht von Art. 31 Abs. 1 erfasst sind, wenn sie ihren Wohnsitz im Vereinigten Königreich nach Ende des Übergangszeitraums aufgegeben haben?

3.

Falls die Auslegung der Bestimmungen von Art. 30 Abs. 2 des Abkommens in Verbindung mit dessen Art. 30 Abs. 1 Buchst. a und c ergibt, dass diese Vorschriften auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar sind, weil ein Unionsbürger seinen Wohnsitz im Vereinigten Königreich nach Ende des Übergangszeitraums aufgegeben hat, sind dann die Bestimmungen von Art. 30 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 des Abkommens dahin auszulegen, dass die im Aufnahmestaat oder im Arbeitsstaat wohnenden oder arbeitenden Personen nicht mehr von der Bestimmung des Art. 31 Abs. 1 erfasst sind, wenn ihre Rechtsverhältnisse als beschäftigte Personen (Arbeitnehmer) beendet wurden und sie infolgedessen ihr Aufenthaltsrecht verloren und den Arbeitsstaat bzw. den Aufnahmestaat nach Ende des Übergangszeitraums verlassen haben, oder sind sie dahin auszulegen, dass die von Art. 30 Abs. 4 bestimmte Einschränkung das Aufenthalts- und das Beschäftigungsrecht betrifft, die nach Ende des Übergangszeitraums ausgeübt wurden, ohne dass es darauf ankommt, wann die Rechte beendet wurden, wenn sie nach Ende des Übergangszeitraums noch bestanden?

Verfahren vor dem Gerichtshof

27

Erstens hat das vorlegende Gericht beantragt, die Vorlage zur Vorabentscheidung dem in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Zur Begründung seines Antrags führt das Gericht aus, dass DV seit dem Ende ihrer Beschäftigung im Vereinigten Königreich kein Einkommen mehr beziehe und dass sie sich gegebenenfalls in der Notwendigkeit sehen werde, ihren Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Vereinigten Königreich innerhalb der Fristen und unter den Voraussetzungen geltend zu machen, die dieser Staat festgelegt habe.

28

Mit Entscheidung vom 25. Februar 2022 hat der Präsident des Gerichtshofs diesen Antrag nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts mit der Begründung zurückgewiesen, dass zum einen nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs weder das bloße Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst raschen Klärung des Umfangs der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, so bedeutend und legitim es auch sein mag, noch der wirtschaftliche oder sozial sensible Charakter der Ausgangsrechtssache erfordern, dass diese im Sinne von Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung rasch erledigt wird (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. Februar 2019, M.V. u. a., C‑760/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:170, Rn. 18 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und das zum anderen, was die etwaige Notwendigkeit für DV, ihren Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Vereinigten Königreich geltend zu machen, angeht, das vorlegende Gericht weder angegeben hatte, welche Frist hierfür nach dem Recht dieses Staates vorgesehen wäre, noch die Gründe dargelegt hatte, aus denen DV an der Geltendmachung dieses Anspruchs gehindert wäre, solange der Gerichtshof über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht entschieden hat.

29

Zweitens hat der Gerichtshof am 30. September 2022 ein Auskunftsersuchen an das vorlegende Gericht gerichtet, um zu erfahren, welcher Staat während des Zeitraums der Beschäftigung von DV im Vereinigten Königreich zwischen dem 1. Dezember 2014 und dem 29. März 2021 ihr Wohnstaat im Sinne von Art. 1 Buchst. j und Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 war.

30

Am 11. Oktober 2022 hat das Gericht auf diese Anfrage geantwortet, dass während des gesamten Zeitraums der Wohnstaat von DV das Vereinigte Königreich gewesen sei, wie sich sowohl aus dem elektronischen Informationsaustausch zwischen diesem Staat und der Republik Bulgarien als auch aus der Wohnorterklärung ergeben habe, die DV für die Zwecke der Anwendung von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 vorgelegt habe.

Zu den Vorlagefragen

31

Nach Art. 99 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

32

Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

33

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof gegebenenfalls nicht nur die ihm vorgelegten Fragen umzuformulieren, sondern auch unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 12. Januar 2023, RegioJet, C‑57/21, EU:C:2023:6, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Im vorliegenden Fall betreffen die vorgelegten Fragen allein die Auslegung der Art. 30 und 31 des Austrittsabkommens und zielen darauf ab, deren Anwendbarkeit auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu klären, in der eine Person, die mehrere Jahre lang im Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs gearbeitet hat, nach dem Ende des Übergangszeitraums nach Bulgarien zurückkehrt und in diesem Mitgliedstaat Leistungen bei Arbeitslosigkeit beantragt.

35

In dieser Hinsicht ergibt sich aus dem sechsten Absatz der Präambel des Austrittsabkommens, dass es notwendig ist, für Unionsbürger und britische Staatsangehörige, die vor einem in diesem Abkommen festgelegten Zeitpunkt ihre Freizügigkeitsrechte ausgeübt haben, insbesondere diejenigen, die sich aus Sozialversicherungszeiten ergeben, einen beiderseitigen Schutz vorzusehen.

36

Darüber hinaus ist in Art. 7 Abs. 1 des Austrittsabkommens festgelegt, dass für die Zwecke dieses Abkommens alle Bezugnahmen in Bestimmungen des aufgrund des Abkommens anwendbaren Unionsrechts auf Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden von Mitgliedstaaten vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen auch als Bezugnahmen auf das Vereinigte Königreich und seine zuständigen Behörden zu verstehen sind.

37

Daraus folgt, dass der Zweck des Austrittsabkommens nicht darin besteht, vom Unionsrecht unabhängige Rechte zu schaffen, sondern darin, die Rechte zu schützen, die vor dem Ende des Übergangszeitraums nach dem Unionsrecht ausgeübt wurden, indem die in diesem Abkommen genannten Bestimmungen des Unionsrechts für auf die in dem Abkommen definierten Situationen anwendbar erklärt werden, die die Staatsangehörigen, die Rechtsvorschriften oder das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs betreffen.

38

Insbesondere sieht Art. 31 des Austrittsabkommens, der zu Teil 2 Titel III („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) dieses Abkommens gehört, in Abs. 1 vor, dass die Vorschriften und Ziele u. a. der Verordnung Nr. 883/2004 auf die unter diesen Titel fallenden Personen Anwendung finden.

39

Folglich ist vor der Prüfung, ob die Bestimmungen des Austrittsabkommens auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende angewandt werden können, zu klären, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004, auf die sich DV beruft, unabhängig vom Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union oder von der Tatsache, dass sie ihre Beschäftigung in diesem Staat und nicht in einem Mitgliedstaat der Union ausgeübt hatte, auf sie anwendbar gewesen wären. Wäre dies nämlich nicht der Fall, fehlte es in Bezug auf den Zeitraum der Beschäftigung von DV im Vereinigten Königreich an einem nach dieser Verordnung erworbenen Recht, das durch das Austrittsabkommen geschützt werden soll.

40

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung zum einen hervor, dass der bulgarische Träger der Arbeitslosenversicherung die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit an DV mit der Begründung abgelehnt hat, dass DV, nachdem sie im Vereinigten Königreich Versicherungszeiten aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet dieses Staates zurückgelegt habe, nach Bulgarien zurückgekehrt sei, wo sie solche Leistungen beantragt habe, ohne im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats eine Erwerbstätigkeit ausgeübt oder Versicherungszeiten zurückgelegt zu haben. Zum anderen ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass nach Art. 31 Abs. 1 des Austrittsabkommens die Rechtmäßigkeit dieser ablehnenden Entscheidung davon abhänge, ob die Bestimmungen von Art. 61 bis 65a der Verordnung Nr. 883/2004 auf einen solchen Sachverhalt anwendbar seien.

41

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Art. 61 dieser Verordnung u. a. – in Abs. 1 – vorsieht, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich, die Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, berücksichtigt, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Aus Art. 61 Abs. 2 geht jedoch hervor, dass Art. 61 Abs. 1 außer in den Fällen des Art. 65 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung nur unter der Voraussetzung gilt, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, Versicherungszeiten zurückgelegt hat, sofern diese Rechtsvorschriften solche Zeiten verlangen.

42

Da sich aus Art. 54a Abs. 1 KSO ergibt, dass die bulgarischen Rechtsvorschriften den Erwerb des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig machen, und da DV nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien keine Versicherungszeiten zurückgelegt hat, könnte sie nur dann Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach der Verordnung Nr. 883/2004 durch Zusammenrechnung der in einem anderen Staat, hier dem Vereinigten Königreich, zurückgelegten Versicherungszeiten haben, wenn ihre Situation der in Art. 65 Abs. 5 Buchst. a in Verbindung mit Art. 65 Abs. 2 dieser Verordnung genannten entspräche.

43

Art. 65 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 883/2004 sieht insoweit vor, dass eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen muss. Eine solche Person erhält nach Art. 65 Abs. 5 Buchst. a Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für sie während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Diese Leistungen werden von dem Träger des Wohnorts gewährt.

44

Aus der in den Rn. 29 und 30 des vorliegenden Beschlusses zitierten Antwort auf das Auskunftsersuchen, die das vorlegende Gericht, das im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV allein für die Beurteilung des Sachverhalts des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2022, Fossil [Gibraltar], C‑705/20, EU:C:2022:680, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung), gegeben hat, geht klar hervor, dass DV während des gesamten Zeitraums, in dem sie ihre Beschäftigung im Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs ausübte, im Sinne von Art. 1 Buchst. j und Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 in diesem Staat wohnte, der in diesem Zeitraum der zuständige Staat im Sinne der letztgenannten Bestimmung war. Erst nach Beendigung dieser Beschäftigung kehrte DV nach Bulgarien zurück, um bei der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu beantragen.

45

Folglich ist die in Rn. 39 des vorliegenden Beschlusses aufgeworfene Vorfrage dahin zu beantworten, dass Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 so auszulegen ist, dass er nicht auf eine Situation anwendbar ist, in der eine Person Leistungen bei Arbeitslosigkeit bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats beantragt, in dem sie keine Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat und in dessen Hoheitsgebiet sie nach dem Ende einer Versicherungszeit, einer Beschäftigungszeit oder einer Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit zurückkehrt, die sie in einem anderen Staat zurückgelegt hat, in dem sie im Sinne dieser Bestimmung während dieses gesamten Zeitraums gewohnt hat.

46

Angesichts der Antwort auf diese Vorfrage erübrigt sich eine Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts.

Kosten

47

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 geänderten Fassung,

 

ist dahin auszulegen, dass

 

er nicht auf eine Situation anwendbar ist, in der eine Person Leistungen bei Arbeitslosigkeit bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats beantragt, in dem sie keine Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat und in dessen Hoheitsgebiet sie nach dem Ende einer Versicherungszeit, einer Beschäftigungszeit oder einer Zeit der selbständigen Erwerbstätigkeit zurückkehrt, die sie in einem anderen Staat zurückgelegt hat, in dem sie im Sinne dieser Bestimmung während dieses gesamten Zeitraums gewohnt hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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