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Document 62021CJ0043

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 2. Juni 2022.
FCC Česká republika, s.r.o. gegen Ministerstvo životního prostředí u. a.
Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší správní soud.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2010/75/EU – Art. 3 Nr. 9 – Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Verfahren der Änderung einer Genehmigung – Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit – Begriff ‚wesentliche Änderung‘ der Anlage – Verlängerung der Betriebsdauer einer Deponie.
Rechtssache C-43/21.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2022:425

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

2. Juni 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2010/75/EU – Art. 3 Nr. 9 – Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung – Verfahren der Änderung einer Genehmigung – Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit – Begriff ‚wesentliche Änderung‘ der Anlage – Verlängerung der Betriebsdauer einer Deponie“

In der Rechtssache C‑43/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 20. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 2021, in dem Verfahren

FCC Česká republika, s.r.o.

gegen

Ministerstvo životního prostředí,

Městská část Ďáblice,

Spolek pro Ďáblice

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und J.‑C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu Matei,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Dvořáková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, P. Ondrůšek und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. Januar 2022

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. 2010, L 334, S. 17).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der FFC Česká republika, s.r.o. einerseits und dem Ministerstvo životního prostředí (Umweltministerium, Tschechische Republik), der Městská část Praha-Ďáblice (Stadtbezirk Praha-Ďáblice, Tschechische Republik) und dem Spolek pro Ďáblice andererseits über die Entscheidung vom 29. Dezember 2015, mit der die FFC Česká republika erteilte Genehmigung für den Betrieb der Deponie Praha-Ďáblice geändert wurde, um den Zeitraum der Ablagerung vom 31. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2017 zu verlängern.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 lautet:

„Um i[m] Einklang mit dem Verursacher- und Vorsorgeprinzip die Umweltverschmutzung durch Industrietätigkeiten zu vermeiden, zu vermindern und so weit wie möglich zu beseitigen, muss ein allgemeiner Rahmen für die Kontrolle der wichtigsten Industrietätigkeiten aufgestellt werden, der vorzugsweise Eingriffe an der Quelle vorsieht, eine umsichtige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen gewährleistet und, sofern erforderlich, der Wirtschaftslage und den lokalen Besonderheiten des Ortes, an dem die Industrietätigkeit erfolgt, Rechnung trägt.“

4

Im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 heißt es:

„Um die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung zu gewährleisten, sollte jede Anlage nur mit einer Genehmigung … betrieben werden.“

5

Der 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 sieht vor:

„Änderungen einer Anlage können zu einer höheren Umweltverschmutzung führen. Die Betreiber sollten alle geplanten Änderungen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können, der zuständigen Behörde mitteilen müssen. Wesentliche Änderungen von Anlagen, die erhebliche negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben können, sollten nicht ohne eine gemäß dieser Richtlinie erteilte Genehmigung erfolgen dürfen.“

6

Der 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/75 bestimmt:

„Gemäß dem Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten [(ABl. 2005, L 124, S. 4), genehmigt mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. 2005, L 124, S. 1)] ist eine effektive Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung notwendig, damit einerseits die Öffentlichkeit Meinungen und Bedenken äußern kann, die für die Entscheidung von Belang sein können, und andererseits die Entscheidungsträger diese Meinungen und Bedenken berücksichtigen können, so dass der Entscheidungsprozess nachvollziehbarer und transparenter wird und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die getroffenen Entscheidungen wächst. …“

7

Im Sinne von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 bezeichnet der Ausdruck „‚wesentliche Änderung‘ eine Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder eine Erweiterung der Anlage, Feuerungsanlage, Abfallverbrennungsanlage oder Abfallmitverbrennungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann“.

8

Art. 4 der Richtlinie 2010/75 schreibt den Mitgliedstaaten vor, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass keine Anlage, Feuerungsanlage, Abfallverbrennungsanlage oder Abfallmitverbrennungsanlage ohne eine Genehmigung betrieben wird.

9

Art. 10 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2010/75 bestimmt:

„Dieses Kapitel gilt für die Tätigkeiten, die in Anhang I aufgelistet sind und bei denen gegebenenfalls die in dem genannten Anhang festgelegten Kapazitätsschwellen erreicht werden.“

10

Art. 12 („Genehmigungsantrag“) der Richtlinie 2010/75 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit ein Genehmigungsantrag eine Beschreibung von Folgendem enthält:

a)

Anlage sowie Art und Umfang ihrer Tätigkeiten;

b)

Roh- und Hilfsstoffe, sonstige Stoffe und Energie, die in der Anlage verwendet oder erzeugt werden;

c)

Quellen der Emissionen aus der Anlage;

d)

Zustand des Anlagengeländes;

e)

gegebenenfalls einen Bericht über den Ausgangszustand gemäß Artikel 22 Absatz 2;

f)

Art und Menge der vorhersehbaren Emissionen aus der Anlage in jedes einzelne Umweltmedium sowie Feststellung von erheblichen Auswirkungen der Emissionen auf die Umwelt;

g)

vorgesehene Technologie und sonstige Techniken zur Vermeidung der Emissionen aus der Anlage oder, sofern dies nicht möglich ist, Verminderung derselben;

h)

Maßnahmen zur Vermeidung, zur Vorbereitung, zur Wiederverwendung, zum Recycling und zur Verwertung der von der Anlage erzeugten Abfälle;

i)

sonstige vorgesehene Maßnahmen zur Erfüllung der Vorschriften bezüglich der allgemeinen Prinzipien der Grundpflichten der Betreiber gemäß Artikel 11;

j)

vorgesehene Maßnahmen zur Überwachung der Emissionen in die Umwelt;

k)

die wichtigsten vom Antragsteller geprüften Alternativen zu den vorgeschlagenen Technologien, Techniken und Maßnahmen in einer Übersicht.

Der Genehmigungsantrag muss ferner eine nichttechnische Zusammenfassung der in Unterabsatz 1 genannten Angaben enthalten.

(2)   Wenn Angaben gemäß den Anforderungen der Richtlinie 85/337/EWG oder ein Sicherheitsbericht gemäß der Richtlinie 96/82/EG oder sonstige Informationen in Erfüllung anderer Rechtsvorschriften eine der Anforderungen von Absatz 1 erfüllen, können sie in den Antrag aufgenommen oder diesem beigefügt werden.“

11

In Art. 14 („Genehmigungsauflagen“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/75 heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Genehmigung alle Maßnahmen umfasst, die zur Erfüllung der in den Artikeln 11 und 18 genannten Genehmigungsvoraussetzungen notwendig sind.

Diese Maßnahmen umfassen mindestens Folgendes:

a)

Emissionsgrenzwerte für die Schadstoffe der Liste in Anhang II und für sonstige Schadstoffe, die von der betreffenden Anlage unter Berücksichtigung der Art der Schadstoffe und der Gefahr einer Verlagerung der Verschmutzung von einem Medium auf ein anderes in relevanter Menge emittiert werden können;

b)

angemessene Auflagen zum Schutz des Bodens und des Grundwassers sowie Maßnahmen zur Überwachung und Behandlung der von der Anlage erzeugten Abfälle;

c)

angemessene Anforderungen für die Überwachung der Emissionen, in denen Folgendes festgelegt ist:

i)

die Messmethodik, die Messhäufigkeit und das Bewertungsverfahren; und

ii)

die Vorgabe, dass in den Fällen, in denen Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe b angewendet wird, die Ergebnisse der genannten Emissionsüberwachung für die gleichen Zeiträume und Referenzbedingungen verfügbar sein müssen wie für die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte;

d)

eine Verpflichtung, der zuständigen Behörde regelmäßig – mindestens jährlich – Folgendes vorzulegen:

i)

Informationen auf der Grundlage der Ergebnisse der in Buchstabe c genannten Emissionsüberwachung und sonstige erforderliche Daten, die der zuständigen Behörde die Prüfung der Einhaltung der Genehmigungsauflagen ermöglichen; und

ii)

in den Fällen, in denen Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe b angewendet wird, eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Emissionsüberwachung, die einen Vergleich mit den mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerten ermöglicht;

e)

angemessene Anforderungen für die regelmäßige Wartung und für die Überwachung der Maßnahmen zur Vermeidung der Verschmutzung von Boden und Grundwasser gemäß Buchstabe b sowie angemessene Anforderungen für die wiederkehrende Überwachung von Boden und Grundwasser auf die relevanten gefährlichen Stoffe, die wahrscheinlich vor Ort anzutreffen sind, unter Berücksichtigung möglicher Boden- und Grundwasserverschmutzungen auf dem Gelände der Anlage;

f)

Maßnahmen im Hinblick auf von den normalen Betriebsbedingungen abweichende Bedingungen, wie das An- und Abfahren, das unbeabsichtigte Austreten von Stoffen, Störungen, kurzzeitiges Abfahren sowie die endgültige Stilllegung des Betriebs;

g)

Vorkehrungen zur weitestgehenden Verminderung der weiträumigen oder grenzüberschreitenden Umweltverschmutzung;

h)

Bedingungen für die Überprüfung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte oder einen Verweis auf die geltenden anderweitig genannten Anforderungen.

(2)   Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe a können die Emissionsgrenzwerte durch äquivalente Parameter bzw. äquivalente technische Maßnahmen, die ein gleichwertiges Umweltschutzniveau gewährleisten, erweitert oder ersetzt werden.

…“

12

Art. 20 („Änderungen der Anlagen durch Betreiber“) der Richtlinie 2010/75 sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Betreiber der zuständigen Behörde beabsichtigte Änderungen der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder eine Erweiterung der Anlage, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können, mitteilt. Gegebenenfalls aktualisiert die zuständige Behörde die Genehmigung.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass keine vom Betreiber geplante, wesentliche Änderung ohne eine zuvor nach dieser Richtlinie erteilte Genehmigung durchgeführt wird.

Der Genehmigungsantrag und die Entscheidung der zuständigen Behörde umfassen diejenigen Anlagenteile und in Art. 12 genannten Einzelheiten, die von der wesentlichen Änderung betroffen sein können.

(3)   Jede Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder Erweiterung einer Anlage gilt als wesentlich, wenn die Änderung oder Erweiterung für sich genommen die Kapazitätsschwellenwerte in Anhang I erreicht.“

13

Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2010/75 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit erhält, sich an folgenden Verfahren zu beteiligen:

b)

Erteilung einer Genehmigung für wesentliche Änderungen;

…“

14

Art. 25 („Zugang zu Gerichten“) der Richtlinie 2010/75 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen gemäß Artikel 24 anzufechten, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Sie haben ein ausreichendes Interesse;

b)

sie machen eine Rechtsverletzung geltend, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert.

(2)   Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.

(3)   Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weitreichenden Zugang zu Gerichten zu gewähren.

Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a.

Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die – im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b – verletzt werden können.

(4)   Die Absätze 1, 2 und 3 schließen die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lassen das Erfordernis einer Ausschöpfung der verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.

Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt.

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Öffentlichkeit praktische Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich gemacht werden.“

Tschechisches Recht

Gesetz über die integrierte Vermeidung

15

Der Zákon č. 76/2002 Sb., o integrované prevenci a omezování znečištění, o integrovaném registru znečišťování a o změně některých zákonů (Gesetz Nr. 76/2002 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, über das integrierte Register der Umweltverschmutzung und zur Änderung bestimmter Gesetze) (Gesetz über die integrierte Vermeidung) in seiner zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung, das die Richtlinie 2010/75 in tschechisches Recht umsetzt, definiert in § 2 Buchst. i eine wesentliche Änderung wie folgt:

„die Änderung der Nutzung, der Betriebsart oder des Umfangs einer Anlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann; als wesentliche Änderung gilt stets:

1. die Änderung der Nutzung, der Betriebsart oder des Umfangs einer Anlage, wenn sie für sich genommen die in Anhang Nr. 1 dieses Gesetzes genannten Schwellenwerte erreicht.“

16

Nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes über die integrierte Vermeidung sind Beteiligte des Verfahrens zur Erteilung einer integrierten Genehmigung stets:

„a)

der Betreiber der Anlage,

b)

der Eigentümer der Anlage, wenn er nicht Betreiber der Anlage ist,

c)

die Gemeinde, in deren Gebiet sich die Anlage befindet oder befinden wird,

e)

Bürgervereinigungen, gemeinnützige Gesellschaften, Arbeitgeberverbände oder Wirtschaftskammern, deren Tätigkeit in der Förderung und dem Schutz beruflicher oder öffentlicher Interessen nach besonderen Rechtsvorschriften besteht, weiterhin die Gemeinden oder Regionen, in deren Gebiet diese Anlage Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, sofern sie sich innerhalb von acht Tagen nach der Veröffentlichung einer Kurzbeschreibung mit einem Antrag nach § 8 schriftlich bei der Behörde als Beteiligte angemeldet haben“.

17

§ 19a des Gesetzes über die integrierte Vermeidung regelt das Verfahren zur Änderung einer integrierten Genehmigung. Handelt es sich nicht um eine wesentliche Änderung, nehmen gemäß § 19a Abs. 4 des Gesetzes über die integrierte Vermeidung an dem Verfahren zur Änderung der integrierten Genehmigung nur die Beteiligten nach § 7 Abs. 1 Buchst. a und b dieses Gesetzes teil, d. h. der Betreiber und der Eigentümer der Anlage. Über die Erteilung und die Änderungen von integrierten Genehmigungen entscheiden die regionalen Ämter, in Prag der Magistrát hlavního města Prahy (Verwaltung der Hauptstadt Prag). Über die gegen diese Entscheidungen eingelegten Verwaltungsbeschwerden entscheidet das Umweltministerium, d. h. die Beschwerdebehörde.

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung

18

Der Zákon č. 100/2001 Sb., o posuzování vlivů na životní prostředí (Gesetz Nr. 100/2001 über die Umweltverträglichkeitsprüfung) in seiner zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung setzt die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1) um.

19

Nach § 3 des Gesetzes Nr. 100/2001 bezeichnet im Sinne dieses Gesetzes der Ausdruck:

„…

c)

betroffenes Gebiet ein Gebiet, dessen Umwelt und Bevölkerung durch die Umsetzung oder Konzeption eines Projekts erheblich beeinträchtigt werden könnten,

d)

betroffene Gebietskörperschaft eine Gebietskörperschaft, deren Verwaltungsbezirk zumindest teilweise aus dem betroffenen Gebiet besteht,

i)

betroffene Öffentlichkeit

2.

eine juristische Person des Privatrechts, deren Geschäftstätigkeit nach dem konstitutiven Rechtsakt den Schutz der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit zum Ziel hat und deren Haupttätigkeit keine unternehmerische oder andere berufliche Tätigkeit ist, die mindestens drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Informationen über das nachgelagerte Verfahren nach § 9b Abs. 1, gegebenenfalls vor dem Zeitpunkt der Entscheidung nach § 7 Abs. 6, gegründet wurde oder die durch die Unterschriften von mindestens 200 Personen unterstützt wird“.

20

§ 9c dieses Gesetzes lautet:

„Wenn sie sich bei der Behörde, die das Verfahren führt, durch schriftliche Mitteilung innerhalb von 30 Tagen nach der Veröffentlichung der Information nach § 9b Abs. 1 anmeldet, wird ebenfalls zur Beteiligten des nachgelagerten Verfahrens:

a)

eine betroffene Gebietskörperschaft oder

b)

die betroffene Öffentlichkeit im Sinne von § 3 Buchst. i Nr. 2.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

21

FCC Česká republika betreibt aufgrund einer 2007 nach dem Gesetz über die integrierte Vermeidung erteilten Genehmigung eine Deponie im Stadtbezirk von Praha-Ďáblice. Diese mehrfach geänderte Genehmigung wurde u. a. zweimal geändert, um den Zeitraum der Deponierung zu verlängern. Ende 2015 beantragte FCC Česká republika bei der Verwaltung der Stadt Prag, d. h. bei der zuständigen Behörde, zum dritten Mal eine Verschiebung des für das Betriebsende vorgesehenen und auf den 31. Dezember 2015 festgelegten Datums. Mit Entscheidung vom 29. Dezember 2015 gab die Verwaltungsbehörde dem Antrag statt und verschob das Enddatum der Deponierung auf den 31. Dezember 2017.

22

Der Stadtbezirk Praha-Ďáblice und der Spolek pro Ďáblice, eine Umweltschutzvereinigung, legten gegen diese Entscheidung eine Verwaltungsbeschwerde beim Umweltministerium ein, die von diesem mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen wurde, dass die Beschwerdeführer nicht Beteiligte des Verfahrens zur Änderung der integrierten Genehmigung seien.

23

Die Beschwerdeführer fochten die ablehnende Entscheidung des Umweltministeriums vor dem Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik) an, der die Entscheidung mit der Begründung aufhob, die Verlängerung der Genehmigung der Deponierung sei eine „wesentliche Änderung“ im Sinne von § 2 Buchst. i des Gesetzes über die integrierte Vermeidung, die gemäß der Richtlinie 2010/75 einen Anspruch auf Beteiligung der Öffentlichkeit begründe.

24

FCC Česká republika legte gegen das Urteil des Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) ein Rechtsmittel beim Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik), dem vorlegenden Gericht, ein. Sie machte geltend, unter Berücksichtigung der vom Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs könne die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung um zwei Jahre nicht als „wesentliche Änderung“ im Sinne von § 2 Buchst. i des Gesetzes über die integrierte Vermeidung eingestuft werden, da sie keine Arbeiten oder Eingriffe zur Folge habe, die die physische Lage des Ortes veränderten.

25

Die Verlängerung der Genehmigung habe weder die Größe der Deponie noch ihre Gesamtkapazität zur Lagerung von Abfällen verändert. Gerade um die Deponie bis zur genehmigten Kapazität auszufüllen, habe FCC Česká republika einen Antrag auf Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung gestellt. Selbst wenn die Verlängerung der Genehmigung Auswirkungen auf die Umwelt haben sollte, handelt es sich schließlich nach Ansicht von FCC Česká republika nicht um eine „wesentliche Änderung“ im Sinne von § 2 Buchst. i des Gesetzes über die integrierte Vermeidung.

26

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich der Gerichtshof bisher noch nicht zur Auslegung des Begriffs „wesentliche Änderung“ im Sinne der Richtlinie 2010/75 geäußert habe.

27

Auch wenn im Ausgangsverfahren weder der maximal zulässige Umfang noch die Gesamtkapazität der Deponie verändert worden seien, habe die Verlängerung der Ablagerung doch zur Folge, dass Abfälle über zwei weitere Jahre in die Deponie gebracht würden. Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass die Richtlinie 2010/75 nach ihrem zwölften Erwägungsgrund und ihrem Art. 1 zum Ziel habe, ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt sicherzustellen. Dieses Gericht sieht daher kein Hindernis dafür, dass die Verlängerung des Betriebs einer Anlage eine „wesentliche Änderung“ darstellen könne, da diese Verlängerung negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben könne, wie es Art. 3 Nr. 9 dieser Richtlinie verlange.

28

Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 dahin auszulegen, dass unter einer „wesentlichen Änderung“ einer Anlage auch eine Verlängerung des Zeitraums der Deponierung von Abfällen in einer Deponie ohne gleichzeitige Änderung ihres maximal zulässigen Umfangs oder ihrer möglichen Gesamtkapazität zu verstehen ist?

Zur Vorlagefrage

29

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 dahin auszulegen ist, dass die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung von Abfällen, ohne dass der genehmigte maximale Umfang der Anlage oder deren Gesamtkapazität geändert wird, eine „wesentliche Änderung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

30

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Deponien, die für die Aufnahme von mehr als 10 Tonnen Abfällen pro Tag oder einer Kapazität von mehr als 25000 Tonnen bestimmt sind, zu den in Anhang I der Richtlinie 2010/75 aufgeführten Tätigkeiten gehören, die nach ihrem Art. 10 in den Geltungsbereich von Kapitel II der Richtlinie fallen und daher gemäß Art. 4 der Richtlinie 2010/75 genehmigungspflichtig sind. Das Gleiche gilt gemäß Art. 20 Abs. 2 dieser Richtlinie für jede „wesentliche Änderung“ der Anlage.

31

Ist eine Genehmigung erforderlich, verpflichtet Art. 24 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2010/75 die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit erhält, sich an dem Verfahren zur Erteilung dieser Genehmigung zu beteiligen, während Art. 25 dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass die Mitglieder dieser Öffentlichkeit das Recht auf Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht u. a. gegen diese Genehmigung haben, sofern sie ein ausreichendes Interesse haben.

32

Nach Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 ist eine „wesentliche Änderung“ der Anlage „eine Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder eine Erweiterung der Anlage, Feuerungsanlage, Abfallverbrennungsanlage oder Abfallmitverbrennungsanlage, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann“.

33

Aus diesem Wortlaut von Art. 3 Nr. 9 geht hervor, dass eine Änderung unter zwei Voraussetzungen als „wesentlich“ einzustufen ist. Dabei bezieht sich die erste auf den Inhalt der Änderung, die zweite auf ihre möglichen Folgen.

34

Die beiden Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Eine Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder eine Erweiterung der Anlage ist nämlich nicht „wesentlich“ im Sinne von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75, wenn sie keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann. Umgekehrt genügt es nicht, dass eine Änderung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann, um „wesentlich“ im Sinne dieser Richtlinie zu sein. Wäre dies der Fall, hätte der Unionsgesetzgeber nicht klargestellt, dass eine wesentliche Änderung in einer Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder in einer Erweiterung einer Anlage besteht.

35

Die erste Voraussetzung, die sich auf den Inhalt der wesentlichen Änderung bezieht, definiert Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 alternativ als „eine Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise oder eine Erweiterung der Anlage“.

36

Hierzu ist erstens festzustellen, dass die bloße Verlängerung der Dauer der Ablagerung von Abfällen als solche weder den Umfang der Anlage noch die in der ursprünglichen Genehmigung vorgesehene Lagerkapazität verändert und somit keine „Erweiterung“ der Anlage darstellt. Das vorlegende Gericht hat im Übrigen klargestellt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung der Abfälle ohne gleichzeitige Änderung des genehmigten maximalen Umfangs der Deponie oder ihrer Gesamtkapazität vorgesehen sei.

37

Hinzuzufügen ist, dass diese Bestimmung die „wesentliche Änderung“ als eine „Änderung … der Anlage“ definiert. Dieser Formulierung kommt umso mehr Bedeutung zu, als die Richtlinie 2010/75 „industrielle Tätigkeiten, die eine Umweltverschmutzung verursachen“, regeln soll, wie dies u. a. der Definition ihres Geltungsbereichs in ihrem Art. 2 sowie der Überschrift von Anhang I der Richtlinie zu entnehmen ist, der die Tätigkeiten aufzählt, die gemäß ihrem Kapitel II genehmigungspflichtig sind. Allein die Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung stellt jedoch keine Änderung der Anlage, sei es ihrer Beschaffenheit oder ihrer Funktionsweise, dar.

38

Zweitens ändert, wie die Generalanwältin in Nr. 35 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung auch nicht die Funktionsweise oder die Beschaffenheit der Deponie.

39

Diese Auslegung wird durch den Kontext von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 bestätigt.

40

Hierzu ist festzustellen, dass die Dauer des Betriebs in keiner Bestimmung der Richtlinie 2010/75 als ein Merkmal der Funktionsweise der Anlage genannt wird, das in der Genehmigung zwingend enthalten sein muss.

41

Da die Richtlinie 2010/75 nicht vorschreibt, dass die ursprüngliche Genehmigung die Dauer des Betriebs vorsieht, kann sie nicht dahin ausgelegt werden, dass sie verlangt, dass die bloße Verlängerung des Betriebs einer neuen Genehmigung bedarf.

42

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung von Abfällen weder eine Änderung der Beschaffenheit oder der Funktionsweise noch eine Erweiterung der Anlage im Sinne von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 darstellt. Folglich erfüllt eine solche Verlängerung nicht die erste der beiden in den Rn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils genannten kumulativen Voraussetzungen, die für die Einstufung als „wesentliche Änderung“ erfüllt sein müssen.

43

Daher braucht nicht geprüft zu werden, ob die zweite Voraussetzung einer „wesentlichen Änderung“, nämlich, dass diese Änderung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben kann, erfüllt ist.

44

Daraus folgt, dass die in Rede stehende Verlängerung keine wesentliche Änderung im Sinne von Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 darstellt. Mithin verpflichtet Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht, dem Betreiber einer Deponie aufzuerlegen, eine neue Genehmigung zu beantragen, wenn er lediglich beabsichtigt, die Ablagerung der Abfälle innerhalb der Grenzen der bereits genehmigten Gesamtlagerkapazität zu verlängern.

45

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75 dahin auszulegen ist, dass die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung von Abfällen, ohne dass der genehmigte maximale Umfang der Anlage oder deren Gesamtkapazität geändert wird, keine „wesentliche Änderung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

Kosten

46

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 3 Nr. 9 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) ist dahin auszulegen, dass die bloße Verlängerung des Zeitraums der Ablagerung von Abfällen, ohne dass der genehmigte maximale Umfang der Anlage oder deren Gesamtkapazität geändert wird, keine „wesentliche Änderung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Tschechisch.

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