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Document 62020TO0024(01)

Beschluss des Gerichts (Sechste Kammer) vom 15. Dezember 2020.
Oriol Junqueras i Vies gegen Europäisches Parlament.
Nichtigkeitsklage – Institutionelles Recht – Mitglied des Parlaments – Vorrechte und Befreiungen – Vom Präsidenten des Europäischen Parlaments verkündete Feststellung des Freiwerdens des Sitzes eines Europaabgeordneten – Antrag auf Ergreifen einer dringlichen Initiative zur Bestätigung der Immunität eines Europaabgeordneten – Nicht anfechtbare Handlungen – Unzulässigkeit.
Rechtssache T-24/20.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2020:601

 BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)

15. Dezember 2020 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage – Institutionelles Recht – Mitglied des Parlaments – Vorrechte und Befreiungen – Vom Präsidenten des Europäischen Parlaments verkündete Feststellung des Freiwerdens des Sitzes eines Europaabgeordneten – Antrag auf Ergreifen einer dringlichen Initiative zur Bestätigung der Immunität eines Europaabgeordneten – Nicht anfechtbare Handlungen – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑24/20,

Oriol Junqueras i Vies, wohnhaft in Sant Joan de Vilatorrada (Spanien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Van den Eynde Adroer,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch F. Drexler, N. Görlitz und C. Burgos als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine auf Art. 263 AEUV gestützte Klage auf Nichtigerklärung erstens der Feststellung des Freiwerdens des Sitzes des Klägers ab dem 3. Januar 2020, die in der Plenarsitzung vom 13. Januar 2020 durch den Präsidenten des Parlaments verkündet worden ist, und zweitens der angeblichen Ablehnung durch Letzteren des am 20. Dezember 2019 von der Europaabgeordneten Riba i Giner in Vertretung des Klägers auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments gestellten Antrags, der Präsident möge dringend zur Bestätigung der Immunität des Klägers tätig werden,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer),

unter Mitwirkung der Präsidentin A. Marcoulli sowie der Richter S. Frimodt Nielsen und C. Iliopoulos (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Rechtlicher Rahmen

Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union

1

In Art. 9 des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Anhang des EU‑Vertrags und des AEU‑Vertrags (im Folgenden: Protokoll Nr. 7) heißt es:

„Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments

a)

steht seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu,

b)

können seine Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.

Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des … Parlaments.

Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis des … Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben.“

Wahlakt

2

Art. 7 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Parlaments im Anhang zum Beschluss 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 (ABl. 1976, L 278, S. 1) in der durch den Beschluss 2002/772/EG, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 geänderten Fassung (ABl. 2002, L 283, S. 1, im Folgenden: Wahlakt) sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedschaft im … Parlament ist unvereinbar mit der Eigenschaft als

Mitglied der Regierung eines Mitgliedstaats;

Mitglied der [Europäischen] Kommission …;

Richter, Generalanwalt oder Kanzler des Gerichtshofs [der Europäischen Union] oder des Gerichts …;

Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank;

Mitglied des [Europäischen] Rechnungshofs …;

[Europäischer] Bürgerbeauftragter …;

Mitglied des [Europäischen] Wirtschafts- und Sozialausschusses …;

Mitglied des Ausschusses der Regionen;

Mitglied von Ausschüssen und Gremien, die auf Grund der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft Mittel der Gemeinschaften verwalten oder eine dauernde unmittelbare Verwaltungsaufgabe wahrnehmen;

Mitglied des Verwaltungsrats oder des Direktoriums oder Bediensteter der Europäischen Investitionsbank;

im aktiven Dienst stehender Beamter oder Bediensteter der Organe der Europäischen [Union] oder der ihnen angegliederten Einrichtungen, Ämter, Agenturen und Gremien oder der Europäischen Zentralbank.

(2)   Ab der Wahl zum … Parlament im Jahr 2004 ist die Mitgliedschaft im … Parlament unvereinbar mit der Eigenschaft als Abgeordneter eines nationalen Parlaments.

(3)   Ferner kann jeder Mitgliedstaat nach Artikel [8] innerstaatlich geltende Unvereinbarkeiten ausweiten.

…“

3

Art. 8 des genannten Akts bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Akts bestimmt sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften.

Diese innerstaatlichen Vorschriften, die gegebenenfalls den Besonderheiten in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, dürfen das Verhältniswahlsystem insgesamt nicht in Frage stellen.“

4

In Art. 12 des Wahlakts heißt es:

„Das … Parlament prüft die Mandate seiner Mitglieder. Zu diesem Zweck nimmt [es] die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse zur Kenntnis und befindet über die Anfechtungen, die gegebenenfalls auf Grund der Vorschriften dieses Akts – mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird – vorgebracht werden könnten.“

5

Art. 13 des Wahlakts bestimmt:

„(1)   Ein Sitz wird frei, wenn das Mandat eines Mitglieds des … Parlaments im Falle seines Rücktritts oder seines Todes oder des Entzugs erlischt.

(2)   Vorbehaltlich der sonstigen Vorschriften dieses Akts legt jeder Mitgliedstaat für den Fall des Freiwerdens eines Sitzes die geeigneten Verfahren fest, um diesen Sitz für den Rest des in Artikel 3 genannten Fünfjahreszeitraums zu besetzen.

(3)   Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ausdrücklich der Entzug des Mandats eines Mitglieds des … Parlaments vorgesehen, so erlischt sein Mandat entsprechend diesen Rechtsvorschriften. Die zuständigen einzelstaatlichen Behörden setzen das … Parlament davon in Kenntnis.

(4)   Wird ein Sitz durch Rücktritt oder Tod frei, so setzt der Präsident des … Parlaments die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaates unverzüglich davon in Kenntnis.“

Geschäftsordnung des Parlaments (2019‑2024)

6

Art. 3 („Prüfung der Mandate“) der Geschäftsordnung des Parlaments (im Folgenden: Geschäftsordnung) sieht vor:

„1.   Im Anschluss an die allgemeinen Wahlen zum … Parlament fordert [sein] Präsident die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auf, [ihm] unverzüglich die Namen der gewählten Mitglieder mitzuteilen, damit sämtliche Mitglieder ihre Sitze im Parlament ab der Eröffnung der ersten Sitzung im Anschluss an die Wahlen einnehmen können.

3.   Auf der Grundlage eines Berichts seines zuständigen Ausschusses prüft das Parlament unverzüglich die Mandate und entscheidet über die Gültigkeit der Mandate jedes seiner neu gewählten Mitglieder sowie über etwaige Anfechtungen, die aufgrund der Bestimmungen des [Wahla]kts … geltend gemacht werden, mit Ausnahme derjenigen, die aufgrund dieses Akts ausschließlich unter die innerstaatlichen Vorschriften fallen, auf die sich der Akt bezieht.

6.   Der zuständige Ausschuss wacht darüber, dass alle Angaben, die die Wählbarkeit eines Mitglieds bzw. die Wählbarkeit oder die Rangfolge der Stellvertreter beeinflussen können, dem Parlament unverzüglich von den Behörden der Mitgliedstaaten oder der Union – unter Angabe des Zeitpunkts des Wirksamwerdens im Falle einer Benennung – übermittelt werden

Falls die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gegen ein Mitglied ein Verfahren eröffnen, das den Verlust des Mandats zur Folge haben könnte, ersucht der Präsident [des Parlaments] sie darum, ihn regelmäßig über den Stand des Verfahrens zu unterrichten[,] und befasst damit den zuständigen Ausschuss, auf dessen Vorschlag das Parlament Stellung nehmen kann.“

7

In Art. 4 („Dauer des Mandats“) der Geschäftsordnung heißt es:

„1.   Beginn und Ende des Mandats erfolgen nach Maßgabe der Artikel 5 und 13 des [Wahla]kts …

2.   Zurücktretende Mitglieder teilen dem Präsidenten [des Parlaments] ihren Rücktritt … mit …

Ist der zuständige Ausschuss der Auffassung, dass der Rücktritt mit dem [Wahla]kt … vereinbar ist, wird das Freiwerden eines Sitzes erklärt, und zwar mit Wirkung von dem Zeitpunkt, der von dem zurücktretenden Mitglied im Rücktrittsprotokoll angegeben wird, und der Präsident unterrichtet das Parlament hierüber.

Ist der zuständige Ausschuss der Auffassung, dass der Rücktritt nicht mit dem [Wahla]kt … vereinbar ist, schlägt er dem Parlament vor, das Freiwerden eines Sitzes nicht zu erklären.

4.   Geben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder der Union oder das betroffene Mitglied dem Präsidenten [des Parlaments] eine Ernennung oder eine Wahl in ein Amt bekannt, das mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des … Parlaments im Sinne von Artikel 7 Absätze 1 oder 2 des [Wahla]kts … unvereinbar ist, unterrichtet der Präsident [des Parlaments] hierüber das Parlament, welches das Freiwerden des Sitzes ab dem Zeitpunkt der Unvereinbarkeit feststellt.

Geben die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dem Präsidenten [des Parlaments] das Erlöschen des Mandats eines Mitglieds des … Parlaments entweder aufgrund zusätzlicher Unvereinbarkeiten mit dem Recht dieses Mitgliedstaats gemäß Artikel 7 Absatz 3 des [Wahla]kts … oder aufgrund eines Entzugs des Mandats gemäß Artikel 13 Absatz 3 dieses Akts bekannt, unterrichtet dieser das Parlament darüber, dass das Mandat dieses Mitglieds zu dem von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats mitgeteilten Zeitpunkt erloschen ist. Wird kein solcher Zeitpunkt mitgeteilt, gilt als Stichtag für das Erlöschen des Mandats der Zeitpunkt der Benachrichtigung durch den Mitgliedstaat.

7.   Stehen der Annahme oder Beendigung des Mandats offenbar Fehlerhaftigkeit oder Willensmängel entgegen, kann das Parlament das geprüfte Mandat für ungültig erklären oder sich weigern, das Freiwerden des Sitzes festzustellen.“

8

Art. 5 („Vorrechte und Befreiungen“) der Geschäftsordnung sieht vor:

„1.   Die Mitglieder genießen die Vorrechte und Befreiungen, die im Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union vorgesehen sind.

2.   Bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse hinsichtlich der Vorrechte und Befreiungen handelt das Parlament so, dass es seine Integrität als demokratische gesetzgebende Versammlung bewahrt und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sicherstellt. Die parlamentarische Immunität ist kein persönliches Vorrecht eines Mitglieds, sondern eine Garantie der Unabhängigkeit des Parlaments als Ganzes und seiner Mitglieder.

…“

9

Art. 7 („Schutz der Vorrechte und der Immunität“) der Geschäftsordnung bestimmt:

„1.   In Fällen, in denen geltend gemacht wird, dass eine Verletzung der Vorrechte oder der Immunität eines Mitglieds oder eines ehemaligen Mitglieds durch die Behörden eines Mitgliedstaats stattgefunden hat oder bevorsteht, kann ein Antrag auf einen Beschluss des Parlaments, ob eine Verletzung dieser Vorrechte oder der Immunität vorlag oder wahrscheinlich vorliegen wird, gemäß Artikel 9 Absatz 1 eingereicht werden.

2.   Ein solcher Antrag auf Schutz der Vorrechte und der Immunität kann insbesondere dann gestellt werden, wenn die Auffassung vertreten wird, die Umstände würden eine verwaltungsmäßige oder sonstige Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Mitglieder bei der An- oder Abreise zum bzw. vom Tagungsort des Parlaments oder eine verwaltungsmäßige oder sonstige Beschränkung einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung darstellen oder dass die Umstände in den Anwendungsbereich von Artikel 9 des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union fallen.

5.   In Fällen, in denen ein Beschluss gefasst wurde, die Vorrechte und die Immunität eines Mitglieds nicht zu schützen, kann das Mitglied durch die Vorlage neuen Beweismaterials gemäß Artikel 9 Absatz 1 ausnahmsweise einen Antrag auf Überprüfung des Beschlusses stellen. Der Antrag auf Überprüfung ist unzulässig, wenn gemäß Artikel 263 [AEUV] gegen den Beschluss Klage erhoben wurde oder wenn der Präsident [des Parlaments] die Auffassung vertritt, dass das neu vorgelegte Beweismaterial nicht hinreichend substantiiert ist, um eine Überprüfung zu rechtfertigen.“

10

In Art. 8 („Dringliche Maßnahmen des Präsidenten [des Parlaments] zur Bestätigung der Immunität“) der Geschäftsordnung heißt es:

„1.   In dringenden Fällen kann der Präsident [des Parlaments], falls ein Mitglied unter mutmaßlichem Verstoß gegen seine Vorrechte und seine Immunität festgenommen oder in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt wurde, nach Rücksprache mit dem Vorsitz und dem Berichterstatter des zuständigen Ausschusses von sich aus tätig werden, um die Vorrechte und die Immunität des betreffenden Mitglieds zu bestätigen. Der Präsident [des Parlaments] teilt dem Ausschuss seine Maßnahme mit und unterrichtet das Parlament.

2.   Macht der Präsident [des Parlaments] von den ihm durch Absatz 1 übertragenen Befugnissen Gebrauch, so wird der Ausschuss in seiner nächsten Sitzung über die Initiative des Präsidenten [des Parlaments] unterrichtet. Der Ausschuss kann einen Bericht an das Parlament ausarbeiten, falls er dies für erforderlich halt.“

11

Art. 9 („Immunitätsverfahren“) der Geschäftsordnung sieht vor:

„1.   Jeder an den Präsidenten [des Parlaments] gerichtete Antrag einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates, die Immunität eines Mitglieds aufzuheben, oder eines Mitglieds oder ehemaligen Mitglieds, Vorrechte und Immunität zu schützen, wird dem Parlament mitgeteilt und an den zuständigen Ausschuss überwiesen.

2.   Mit Zustimmung des betroffenen Mitglieds oder ehemaligen Mitglieds kann der Antrag von einem anderen Mitglied gestellt werden, das das betroffene Mitglied oder ehemalige Mitglied in sämtlichen Stadien des Verfahrens vertritt.

3.   Der Ausschuss prüft die Anträge auf Aufhebung der Immunität oder auf Schutz der Vorrechte und der Immunität unverzüglich, aber unter Berücksichtigung ihrer relativen Komplexität.

4.   Der Ausschuss unterbreitet einen Vorschlag für einen mit Gründen versehenen Beschluss, in dem die Annahme oder Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Immunität oder auf Schutz der Vorrechte und der Immunität empfohlen wird. Änderungsanträge sind nicht zulässig. Wird ein Vorschlag abgelehnt, gilt der gegenteilige Beschluss als angenommen.

5.   Der Ausschuss kann die betreffende Behörde um jede Information oder Auskunft ersuchen, die er für erforderlich hält, um sich eine Meinung darüber bilden zu können, ob die Immunität aufzuheben oder zu schützen ist.

6.   Das betreffende Mitglied erhält die Möglichkeit, gehört zu werden, und kann alle Schriftstücke vorlegen, die ihm in diesem Zusammenhang zweckmäßig erscheinen.

Der Vorsitz des Ausschusses lädt das Mitglied unter Angabe eines Datums und Zeitpunkts zur Anhörung. Das betreffende Mitglied kann auf das Anhörungsrecht verzichten.

7.   Wurde der Antrag auf Aufhebung oder Schutz der Immunität aufgrund von mehreren Anklagepunkten formuliert, kann jeder davon Gegenstand eines gesonderten Beschlusses sein. In Ausnahmefällen kann im Bericht des Ausschusses vorgeschlagen werden, dass die Aufhebung oder der Schutz der Immunität ausschließlich die Strafverfolgung betrifft, ohne dass gegen das Mitglied, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, Maßnahmen wie Festnahme, Haft oder sonstige Maßnahmen ergriffen werden können, die es an der Ausübung des Mandats hindern.

8.   Der Ausschuss kann eine mit Gründen versehene Stellungnahme zur Zuständigkeit der betreffenden Behörde und zur Zulässigkeit des Antrags abgeben, doch äußert er sich in keinem Fall zur Schuld oder Nichtschuld des Mitglieds bzw. zur Zweckmäßigkeit einer Strafverfolgung der dem Mitglied zugeschriebenen Äußerungen oder Tätigkeiten, selbst wenn der Ausschuss durch die Prüfung des Antrags umfassende Kenntnis von dem zugrunde liegenden Sachverhalt erlangt.

9.   Der Vorschlag des Ausschusses für einen Beschluss wird auf die Tagesordnung der unmittelbar auf seine Vorlage folgenden Sitzung gesetzt. Änderungsanträge zu einem derartigen Vorschlag sind nicht zulässig.

Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 173 [dieser Geschäftsordnung] darf ein Mitglied, dessen Vorrechte oder Immunität Gegenstand des Falls sind, in der Aussprache nicht das Wort ergreifen.

Über den in dem Bericht enthaltenen Vorschlag bzw. die Vorschläge für einen Beschluss wird in der ersten Abstimmungsstunde nach der Aussprache abgestimmt.

Nach Prüfung durch das Parlament findet eine gesonderte Abstimmung über jeden einzelnen in dem Bericht enthaltenen Vorschlag statt. Im Falle der Ablehnung eines Vorschlags gilt der gegenteilige Beschluss als angenommen.

10.   Der Präsident [des Parlaments] teilt den Beschluss des Parlaments unverzüglich dem betroffenen Mitglied und der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaates mit und ersucht darum, dass er über alle Entwicklungen und Gerichtsentscheidungen in dem betreffenden Verfahren unterrichtet wird. Sobald der Präsident [des Parlaments] diese Information erhält, unterrichtet er das Parlament, gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem zuständigen Ausschuss, auf dem Wege, der ihm am angemessensten erscheint.

11.   Der Ausschuss behandelt den Vorgang und die eingegangenen Unterlagen mit größter Vertraulichkeit. Die Prüfung von Anträgen im Zusammenhang mit Immunitätsverfahren durch den Ausschuss findet stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

12.   Das Parlament prüft nur solche Anträge auf Aufhebung der Immunität eines Mitglieds, die ihm von der Justiz oder den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten übermittelt wurden.

14.   Jede Anfrage einer zuständigen Behörde zum Geltungsbereich der Vorrechte oder Immunität der Mitglieder wird gemäß den vorstehenden Bestimmungen geprüft.“

12

In Art. 22 („Aufgaben des Präsidenten [des Parlaments]“) heißt es:

„1.   Der Präsident [des Parlaments] leitet im Einklang mit dieser Geschäftsordnung sämtliche Arbeiten des Parlaments und seiner Organe und besitzt alle Befugnisse, um bei den Beratungen des Parlaments den Vorsitz zu führen und deren ordnungsgemäßen Ablauf zu gewährleisten.

2.   Der Präsident [des Parlaments] eröffnet, unterbricht und schließt die Sitzungen; er entscheidet über die Zulässigkeit von Änderungsanträgen und anderen Texten, über die abgestimmt werden soll, sowie über die Zulässigkeit parlamentarischer Anfragen; er achtet auf die Einhaltung dieser Geschäftsordnung, wahrt die Ordnung, erteilt das Wort, erklärt die Aussprachen für geschlossen, lässt abstimmen und verkündet die Ergebnisse der Abstimmungen; er übermittelt den Ausschüssen die Mitteilungen, die ihre Tätigkeit betreffen.

3.   Der Präsident [des Parlaments] darf in einer Aussprache das Wort nur ergreifen, um den Stand der Sache festzustellen und die Aussprache zum Beratungsgegenstand zurückzuführen. Will er sich an der Aussprache beteiligen, gibt er den Vorsitz ab und kann ihn erst wieder übernehmen, wenn die Aussprache über den Gegenstand beendet ist.

…“

13

Art. 149 („Verfahren vor dem Gerichtshof“) der Geschäftsordnung lautet:

„…

3.   Der Präsident [des Parlaments] erhebt entsprechend der Empfehlung des für Rechtsfragen zuständigen Ausschusses die Klage im Namen des Parlaments.

4.   In Gerichtsverfahren reicht der Präsident [des Parlaments] nach Anhörung des für Rechtsfragen zuständigen Ausschusses im Namen des Parlaments eine Stellungnahme ein oder tritt dem Verfahren bei.

…“

14

Schließlich bestimmt Art. 236 („Anwendung der Geschäftsordnung“) der Geschäftsordnung:

„1.   Treten Zweifel bezüglich der Anwendung oder Auslegung dieser Geschäftsordnung auf, kann der Präsident [des Parlaments] die Angelegenheit zur Prüfung an den zuständigen Ausschuss überweisen.

…“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

15

Der Kläger, Herr Oriol Junqueras i Vies, war zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Ley 19/2017 del Parlamento de Cataluña, reguladora del referéndum de autodeterminación (Gesetz 19/2017 des Parlaments von Katalonien über das Referendum über die Selbstbestimmung) vom 6. September 2017 (DOGC Nr. 7449A vom 6. September 2017, S. 1) und der Ley 20/2017 del Parlamento de Cataluña, de transitoriedad jurídica y fundacional de la República (Gesetz 20/2017 des Parlaments von Katalonien über den Rechtsübergang und die Gründung der Republik) vom 8. September 2017 (DOGC Nr. 7451A vom 8. September 2017, S. 1) sowie zu dem Zeitpunkt, als das Referendum über die Selbstbestimmung am 1. Oktober 2017 gemäß dem erstgenannten Gesetz durchgeführt wurde, dessen Bestimmungen in der Zwischenzeit durch eine Entscheidung des Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht, Spanien) außer Vollzug gesetzt worden waren, Vizepräsident des Gobierno autonómico de Cataluña (Autonome Regierung von Katalonien, Spanien).

16

Nach dem Erlass der in der vorstehenden Rn. 15 genannten Gesetze und der Durchführung dieses Referendums über die Selbstbestimmung leiteten das Ministerio Fiscal (Staatsanwaltschaft, Spanien), der Abogado del Estado (Vertreter des öffentlichen Interesses, Spanien) und der Partido político VOX (politische Partei VOX) ein Strafverfahren gegen mehrere Personen, u. a. gegen den Kläger, ein und vertraten dabei die Auffassung, dass die fraglichen Personen sich an einem Abspaltungsprozess beteiligt und in diesem Zusammenhang Taten begangen hätten, die drei Straftatbestände erfüllten, nämlich erstens „Rebellion“ oder „Aufruhr“, zweitens „Unruhestiftung“ und drittens „Veruntreuung von Geldern“.

17

Der Kläger wurde während des Ermittlungsverfahrens gemäß einer am 2. November 2017 auf der Grundlage von Art. 503 der Ley de Enjuiciamiento Criminal (Strafprozessordnung, Spanien) erlassenen Entscheidung in Untersuchungshaft genommen.

18

Als sich das genannte Strafverfahren im Stadium des Hauptverfahrens befand, kandidierte der Kläger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, die am 26. Mai 2019 stattfanden. Bei diesen Wahlen wurde er ins Parlament gewählt, wie sich aus der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse ergibt, die von der Junta Electoral Central (Zentrale Wahlkommission, Spanien) mit Entscheidung vom 13. Juni 2019 über die „Bekanntgabe der bei den Wahlen zum … Parlament vom 26. Mai 2019 gewählten Abgeordneten“ (BOE Nr. 142 vom 14. Juni 2019, S. 62477) gemäß Art. 224 Abs. 1 der Ley orgánica 5/1985, de Régimen Electoral General (Gesetz 5/1985 über die allgemeine Regelung für Wahlen) vom 19. Juni 1985 (BOE Nr. 147 vom 20. Juni 1985, S. 19110, im Folgenden: spanisches Wahlgesetz) bekannt gegeben wurde. In dieser Entscheidung wies die Wahlkommission außerdem gemäß der genannten Bestimmung die Sitze des Königreichs Spanien im Parlament den gewählten Personen zu, zu denen auch der Kläger gehörte.

19

Mit Beschluss vom 14. Juni 2019 wies das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) einen Antrag des Klägers auf Erteilung einer außerordentlichen Erlaubnis ab, die Haftanstalt unter polizeilicher Aufsicht verlassen zu dürfen, um bei der Zentralen Wahlkommission vorstellig werden und vor ihr, wie in Art. 224 Abs. 2 des spanischen Wahlgesetzes vorgeschrieben, den Eid bzw. das Gelöbnis zur Achtung der spanischen Verfassung leisten zu können.

20

Am 20. Juni 2019 erließ die Zentrale Wahlkommission eine Entscheidung, in der sie feststellte, dass der Kläger den fraglichen Eid bzw. das fragliche Gelöbnis nicht geleistet habe, erklärte gemäß Art. 224 Abs. 2 des spanischen Wahlgesetzes den ihm zugewiesenen Sitz als Europaabgeordneter für frei geworden und setzte alle etwaigen ihm aufgrund seines Amtes zustehenden Befugnisse aus.

21

Der Kläger focht beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) den in der vorstehenden Rn. 19 genannten Beschluss an, wobei er sich auf die in Art. 9 des Protokolls Nr. 7 vorgesehenen Immunitäten berief.

22

Am 1. Juli 2019 beschloss das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof), das Verfahren über den in der vorstehenden Rn. 21 genannten Rechtsbehelf auszusetzen und dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Rechtssache C‑502/19, Junqueras Vies).

23

Am 2. Juli 2019 eröffnete der Präsident des Parlaments die erste Sitzung der sich aus den Wahlen zum Parlament vom 26. Mai 2019 ergebenden Legislaturperiode. Der Kläger nahm nicht daran teil.

24

Am 4. Juli 2019 beantragte die Europaabgeordnete Riba i Giner in Vertretung des Klägers beim Präsidenten des Parlaments, auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung dringend Maßnahmen zur Bestätigung der Immunität des Klägers zu ergreifen. Am 22. August 2019 lehnte der Präsident diesen Antrag ab.

25

Mit Urteil vom 14. Oktober 2019 verhängte das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) in dem u. a. gegen den Kläger betriebenen Strafverfahren gegen diesen eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren und erkannte ihm außerdem für die Dauer von 13 Jahren die Fähigkeit ab, öffentliche Ämter zu bekleiden, was zum endgültigen Verlust all seiner Ämter und öffentlichen Funktionen einschließlich seiner Wahlmandate führte und es ihm unmöglich machte, neue zu erlangen oder auszuüben (im Folgenden: Urteil des Tribunal Supremo vom 14. Oktober 2019).

26

Der Gerichtshof entschied mit Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), dass eine Person, deren Wahl ins Parlament amtlich bekannt gegeben worden ist, als sie sich im Rahmen eines Verfahrens wegen schwerer Straftaten in Untersuchungshaft befand, der aber nicht gestattet wurde, bestimmten Anforderungen nachzukommen, die nach dem innerstaatlichen Recht nach einer solchen Bekanntgabe vorgesehen sind, und sich zum Parlament zu begeben, um an dessen erster Sitzung teilzunehmen, Immunität nach Art. 9 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 genießt. Der Gerichtshof stellte klar, dass es diese Immunität verlangt, die gegen die betreffende Person verhängte Untersuchungshaft aufzuheben, um es ihr zu ermöglichen, sich zum Parlament zu begeben und dort die vorgeschriebenen Formalitäten zu erfüllen. Ferner stellte der Gerichtshof fest, dass das zuständige nationale Gericht, wenn es der Auffassung ist, dass die genannte Maßnahme aufrechtzuerhalten sei, nachdem diese Person die Eigenschaft als Mitglied des Parlaments erworben hat, unverzüglich auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 dieses Protokolls die Aufhebung der fraglichen Immunität beim Parlament beantragen muss. Schließlich entschied der Gerichtshof, dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere des in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV genannten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zu beurteilen, welche Wirkungen den Immunitäten, die die betroffene Person in etwaigen anderen Verfahren genießt, zukommen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 87 und 90 bis 93).

27

Am 20. Dezember 2019 beantragte die Europaabgeordnete Riba i Giner in Vertretung des Klägers erneut beim Präsidenten des Parlaments, auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung dringend Maßnahmen zur Bestätigung der Immunität des Klägers zu ergreifen (im Folgenden: Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019).

28

Mit Entscheidung vom 3. Januar 2020 erklärte die Zentrale Wahlkommission den Kläger, da dieser durch das Urteil des Tribunal Supremo vom 14. Oktober 2019 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, für nicht wählbar (im Folgenden: Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020). Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof), wobei er die Aussetzung des Vollzugs der genannten Entscheidung beantragte.

29

Mit Beschluss vom 9. Januar 2020 befand das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) über die Wirkungen des Urteils vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), im Hinblick auf das Strafverfahren gegen den Kläger (im Folgenden: Beschluss des Tribunal Supremo vom 9. Januar 2020). Es vertrat im Wesentlichen die Ansicht, dass infolge dieses Urteils insbesondere deshalb kein Antrag auf Aufhebung der Immunität, die dem Kläger in seiner Eigenschaft als Europaabgeordneter zugestanden habe, beim Parlament habe gestellt werden müssen, weil das gegen ihn gerichtete Strafverfahren, als die Wahl des Klägers bekannt gegeben worden sei, zu seinem Abschluss gelangt sei und das Gericht mit der Beratung begonnen habe. Da der Kläger die Eigenschaft als Europaabgeordneter zu einem Zeitpunkt erlangt habe, als sich das Strafverfahren bereits im Hauptverfahren befunden habe, könne er sich nicht auf Immunität berufen, um die Fortsetzung dieses Verfahrens zu verhindern. Im Tenor dieses Beschlusses entschied das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) insbesondere, dass weder ein Anlass dafür bestehe, dem Kläger zu gestatten, sich zum Sitz des Parlaments zu begeben, noch dafür, dass er freigelassen werde, oder dafür, das Urteil des Tribunal Supremo vom 14. Oktober 2019 für nichtig zu erklären bzw. eine Aufhebung der Immunität beim Parlament zu beantragen. Außerdem entschied das Tribunal Supremo, der Zentralen Wahlkommission und dem Parlament den genannten Beschluss zuzuleiten. Im Übrigen entschied dieses Gericht am selben Tag des Weiteren, den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 im Wege des ordentlichen Verfahrens zu prüfen, und gab den vom Kläger in diesem Rahmen gestellten Anträgen nicht statt, Maßnahmen wegen äußerster Eilbedürftigkeit zu erlassen.

30

Am 10. und am 13. Januar 2020 ergänzte Frau Riba i Giner im Namen des Klägers ihren Antrag vom 20. Dezember 2019 (vgl. oben, Rn. 27) wobei sie beim Präsidenten des Parlaments u. a. beantragte, die Feststellung zu verweigern, dass der Sitz des Klägers frei geworden sei, und zusätzliche Unterlagen vorlegte.

31

In der Plenarsitzung vom 13. Januar 2013 gab der Präsident des Parlaments bekannt, dass das Parlament im Nachgang des Urteils vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), von der Wahl des Klägers zum Mitglied des Parlaments mit Wirkung vom 2. Juli 2019 Kenntnis nehme. Außerdem teilte er mit, dass das Parlament nach der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 und im Anschluss an den Beschluss des Tribunal Supremo vom 9. Januar 2020 das Freiwerden des Sitzes des Klägers ab dem 3. Januar 2020 feststelle (im Folgenden: Feststellung vom 13. Januar 2020).

Verfahren und Anträge der Parteien

32

Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 17. Januar 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

33

Ferner hat der Kläger mit gesonderten Schriftsätzen, die am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, zum einen einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, der unter der Rechtssachennummer T‑24/20 R in das Register eingetragen worden ist, eingereicht und zum anderen einen Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens gemäß den Art. 151 bis 155 der Verfahrensordnung des Gerichts gestellt.

34

Mit Beschluss vom 3. März 2020, Junqueras i Vies/Parlament (T‑24/20 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:78), hat der Vizepräsident des Gerichts den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten. Gegen diesen Beschluss wurde am 13. Mai 2020 ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt, das unter der Rechtssachennummer C‑201/20 P(R) in das Register eingetragen worden ist.

35

Am 4. Februar 2020 hat das Parlament mitgeteilt, dass es zum Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens keine Stellungnahme abgebe.

36

Am 13. Februar 2020 hat die Sechste Kammer des Gerichts beschlossen, dem Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren stattzugeben. Dieser Beschluss ist den Parteien am selben Tag zugestellt worden.

37

Mit gesondertem Schriftsatz, der am 2. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Parlament eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung erhoben.

38

Mit am 18. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger seine Stellungnahme zu dieser Einrede der Unzulässigkeit eingereicht.

39

Der Kläger beantragt,

die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen;

im Wesentlichen die Feststellung vom 13. Januar 2020 und die Zurückweisung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 für nichtig zu erklären;

dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

40

Der Kläger beantragt ferner, im Wege prozessleitender Maßnahmen im Wesentlichen das Parlament und seinen Präsidenten aufzufordern, erstens das Original oder eine beglaubigte Abschrift der Akten, die die Feststellung vom 13. Januar 2020 und den Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 betreffen (einschließlich etwaiger Rechtsgutachten und Unterlagen aller Art), vorzulegen oder, sollte es solche Akten nicht geben, zu bescheinigen, dass keine derartigen Akten existierten, und zweitens Belege für die Zustellungen der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 und des Beschlusses des Tribunal Supremo vom 9. Januar 2020 vorzulegen.

41

Das Parlament beantragt,

die Klage als unzulässig abzuweisen;

dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

42

Mit Schriftsatz, der am 25. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Königreich Spanien beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments zugelassen zu werden.

43

Mit Schreiben vom 21. Juli 2020 hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen in Anwendung des Art. 89 Abs. 3 Buchst. a der Verfahrensordnung Fragen an die Parteien gerichtet, die diese am 31. August 2020, mithin fristgerecht, beantwortet haben.

44

In seiner Antwort vom 31. August 2020 auf die schriftlichen Fragen des Gerichts beantragt der Kläger hilfsweise, die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorzubehalten.

45

Mit Beschluss vom 8. Oktober 2020, Junqueras i Vies/Parlament (C‑201/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:818), hat die Vizepräsidentin des Gerichtshofs das Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 3. März 2020, Junqueras i Vies/Parlament (T‑24/20 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:78), zurückgewiesen und dem Rechtsmittelführer im Wesentlichen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt.

Rechtliche Würdigung

46

Gemäß Art. 130 Abs. 1 und 7 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit vorab entscheiden. Nachdem das Parlament beantragt hat, über die Unzulässigkeit zu entscheiden, beschließt das Gericht, da es sich aufgrund der Aktenlage für hinreichend informiert hält, im vorliegenden Fall ohne Fortsetzung des Verfahrens über den Antrag zu entscheiden.

47

Das Parlament tritt der Zulässigkeit der Klage mit der Begründung entgegen, dass die Feststellung vom 13. Januar 2020 und die angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 keine beschwerenden Maßnahmen darstellten, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein könnten.

48

Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Handlungen der Organe, die – unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form – dazu bestimmt sind, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren können, als anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV anzusehen (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, und vom 26. Januar 2010, Internationaler Hilfsfonds/Kommission, C‑362/08 P, EU:C:2010:40, Rn. 51; vgl. auch Urteil vom 25. Oktober 2017, Rumänien/Kommission, C‑599/15 P, EU:C:2017:801, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Um festzustellen, ob die angefochtene Handlung solche Wirkungen erzeugt, ist auf ihr Wesen abzustellen und sind ihre Wirkungen anhand objektiver Kriterien wie z. B. des Inhalts der Handlung zu beurteilen, wobei gegebenenfalls der Zusammenhang ihres Erlasses und die Befugnisse des die Handlung vornehmenden Unionsorgans zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 20. Februar 2018, Belgien/Kommission, C‑16/16 P, EU:C:2018:79, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Nach der Rechtsprechung sind nicht nur vorbereitende Maßnahmen von der in Art. 263 AEUV vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle ausgenommen, sondern alle Handlungen, die keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugen, wie Bestätigungs- und reine Durchführungshandlungen, bloße Empfehlungen und Stellungnahmen sowie grundsätzlich Dienstanweisungen (vgl. Beschluss vom 14. Mai 2012, Sepracor Pharmaceuticals/Kommission, C‑477/11 P, EU:C:2012:292, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung). Darüber hinaus können Handlungen mit rein informativem Charakter weder die Interessen des Adressaten beeinträchtigen noch dessen Rechtsstellung gegenüber derjenigen vor Annahme dieser Handlungen ändern (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2012, Sina Bank/Rat, T‑15/11, EU:T:2012:661, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Aus der Rechtsprechung ergibt sich ferner, dass nicht jede Antwort eines Unionsorgans auf einen an dieses gerichteten Antrag eine Entscheidung im Sinne des Art. 263 Abs. 4 AEUV darstellt, gegen die die Nichtigkeitsklage eröffnet ist (Beschlüsse vom 27. Januar 1993, Miethke/Parlament, C‑25/92, EU:C:1993:32, Rn. 10, vom 11. Dezember 1998, Scottish Soft Fruit Growers/Kommission, T‑22/98, EU:T:1998:286, Rn. 34, und vom 5. September 2012, Farage/Parlament und Buzek, T‑564/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:403, Rn. 27).

52

Schließlich folgt aus der Rechtsprechung, dass eine ablehnende Entscheidung eines Unionsorgans nach der Art des Antrags zu beurteilen ist, der durch sie beschieden wird (Urteile vom 8. März 1972, Nordgetreide/Kommission, 42/71, EU:C:1972:16, Rn. 5, vom 24. November 1992, Buckl u. a./Kommission, C‑15/91 und C‑108/91, EU:C:1992:454, Rn. 22, und vom 9. Oktober 2018, Multiconnect/Kommission, T‑884/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:665, Rn. 45). Insbesondere ist eine Weigerung eine im Wege der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung, wenn die Handlung, deren Vornahme das Unionsorgan ablehnt, nach dieser Vorschrift hätte angefochten werden können (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1996, Salt Union/Kommission, T‑330/94, EU:T:1996:154, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob erstens die Feststellung vom 13. Januar 2020 und zweitens die angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 anfechtbare Handlungen darstellen.

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der Feststellung vom 13. Januar 2020

54

Das Parlament macht geltend, die Feststellung vom 13. Januar 2020 sei keine verbindliche Rechtswirkungen erzeugende Handlung, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein könne, und begründet dies im Wesentlichen damit, dass sich das Freiwerden des Sitzes des Klägers ausschließlich aus einer nach Art. 6 Abs. 2 des spanischen Wahlgesetzes getroffenen Entscheidung der spanischen Behörden ergebe, die das Parlament gemäß Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts und nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung habe zur Kenntnis nehmen müssen.

55

Der Kläger beantragt, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, soweit sie sich auf die Klage gegen die Feststellung vom 13. Januar 2020 beziehe. Er ist nämlich der Auffassung, dass die Feststellung vom 13. Januar 2020„eindeutige“ Rechtswirkungen erzeuge. Insbesondere habe sie verhindert, dass er als Europaabgeordneter anerkannt werde, und ihm damit die Möglichkeit genommen, dass das Parlament sich weigern könne, seine Immunität aufzuheben. Außerdem macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass sich das Parlament nach Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts und gemäß Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung hätte weigern müssen, das Freiwerden seines Sitzes festzustellen. Hierzu trägt der Kläger vor, das Parlament habe zum einen die Nichtbeachtung der innerstaatlichen Verfahren sowie des Urteils vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) und zum anderen dessen Verstoß gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen Art. 9 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 sowie gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, beurteilen können.

56

Erstens handelt das Parlament gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV und Art. 13 Abs. 2 EUV innerhalb der Grenzen der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse.

57

Nach Art. 13 Abs. 1 des Wahlakts wird ein Sitz frei, wenn das Mandat eines Mitglieds des Europäischen Parlaments im Falle seines Rücktritts oder seines Todes oder des Entzugs erlischt. Im Hinblick auf den letztgenannten Fall bestimmt Art. 13 Abs. 3 dieses Akts, dass, wenn in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats ausdrücklich der Entzug des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments vorgesehen ist, sein Mandat entsprechend diesen Rechtsvorschriften erlischt und die zuständigen einzelstaatlichen Behörden das Parlament davon in Kenntnis setzen.

58

Außerdem geht aus Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung hervor, dass der Präsident des Parlaments, wenn ihm die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten das Erlöschen des Mandats eines Mitglieds des Europäischen Parlaments entweder aufgrund zusätzlicher Unvereinbarkeiten mit dem Recht eines Mitgliedstaats gemäß Art. 7 Abs. 3 des Wahlakts oder aufgrund eines Entzugs des Mandats gemäß Art. 13 Abs. 3 dieses Akts bekannt geben, das Organ darüber unterrichtet, dass das Mandat dieses Mitglieds zu dem von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats mitgeteilten Zeitpunkt erloschen ist.

59

Aus der Systematik der vorstehend in den Rn. 56 bis 58 angeführten Bestimmungen ergibt sich, dass das Parlament über keine Zuständigkeit zur Überprüfung der Entscheidung der Behörden eines Mitgliedstaats, durch die in Anwendung des einzelstaatlichen Rechts der Entzug des Mandats eines Europaabgeordneten oder das Vorliegen einer zusätzlichen Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 7 Abs. 3 des Wahlakts festgestellt wird, und zur Überprüfung der daraus folgenden Entscheidung über das Freiwerden des Sitzes verfügt, da das Organ von den nationalen Behörden lediglich über dieses Freiwerden unterrichtet wird. Dies entspricht im Übrigen – auf den ersten Blick – den Feststellungen des Gerichtshofs in den Rn. 62 und 73 des Beschlusses vom 8. Oktober 2020, Junqueras i Vies/Parlament (C‑201/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:818).

60

Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Art. 8 und 12 des Wahlakts und von Art. 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung gestützt (vgl. oben, Rn. 3, 4 und 6). Werden diesen Bestimmungen in ihrer Gesamtheit betrachtet, ergibt sich nämlich, dass das Parlament, da die Mitgliedstaaten grundsätzlich dafür zuständig bleiben, das Wahlverfahren zu regeln, über keine Zuständigkeit verfügt, um die Rechtmäßigkeit der amtlichen Bekanntgabe der Wahlergebnisse durch die Mitgliedstaaten in Frage zu stellen, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu prüfen (Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 69) oder über Anfechtungen bezüglich die Gültigkeit der Mandate neu gewählter Europaabgeordneter zu befinden, wenn sie auf diejenigen innerstaatlichen Vorschriften gestützt werden, auf die im Wahlakt verwiesen wird (vgl. Art. 12 des genannten Akts und Art. 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung). In Anbetracht des Verweises auf innerstaatliche Rechtsvorschriften in Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts ist daher davon auszugehen, dass das Parlament auch nicht über die Zuständigkeit verfügt, über Anfechtungen in Bezug auf das Freiwerden des Sitzes eines Europaabgeordneten zu befinden, wenn dieses Freiwerden auf dem in diesen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehenen Verlust des Wahlmandats beruht (vgl. entsprechend Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, C‑208/03 P, EU:C:2005:429, Rn. 51).

61

Zweitens hat der Gerichtshof im Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P, EU:C:2005:429), für Recht erkannt, dass Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der ursprünglichen Fassung des Akts von 1976, nunmehr Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts, klar zum Ausdruck bringt, dass dem Parlament keinerlei Wertungsspielraum zukommt, weil in dem in dieser Bestimmung geregelten besonderen Fall die Rolle des Parlaments nicht darin besteht, das Freiwerden des Sitzes eines Europaabgeordneten festzustellen, sondern darin, die durch die nationalen Behörden bereits getroffene Feststellung dieses Freiwerdens lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem hat der Gerichtshof klargestellt, dass das Parlament in den übrigen Fällen, wie z. B. bei Rücktritt oder Tod eines Mitglieds, eine aktivere Rolle spielt, da es dann selbst das Freiwerden des Sitzes feststellt und den betroffenen Mitgliedstaat hierüber unterrichtet (Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, C‑208/03 P, EU:C:2005:429, Rn. 50).

62

Im Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P, EU:C:2005:429), hat der Gerichtshof somit das Urteil vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament (T‑353/00, EU:T:2003:112), bestätigt, in dem das Gericht in den Rn. 90 bis 97 im Wesentlichen entschieden hatte, dass die Kenntnisnahme des in Anwendung innerstaatlicher Vorschriften erfolgten Freiwerdens des Sitzes eines Europaabgeordneten durch das Parlament auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der ursprünglichen Fassung des Akts von 1976 deshalb keine anfechtbare Handlung war, weil sie nicht dazu bestimmt gewesen war, eigene Rechtswirkungen zu erzeugen.

63

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts den Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der ursprünglichen Fassung des Akts von 1976 ersetzt hat, der vorsah, dass, „[wenn] das Freiwerden seine Ursache in den in einem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften [hat], … dieser Mitgliedstaat [das Parlament] hierüber [unterrichtet], [das] davon Kenntnis nimmt“.

64

Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts hat diese Bestimmung indessen nur verdeutlicht, ohne sie inhaltlich zu ändern. So stellt Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts zum einen klar, dass das Mandat eines Europaabgeordneten entsprechend innerstaatlicher Rechtsvorschriften, in denen der Entzug dieses Mandats ausdrücklich vorgesehen ist, erlischt, und streicht zum anderen die Bezugnahme auf die „Kenntnisnahme“ des von den nationalen Behörden bekannt gegebenen Freiwerdens durch das Parlament, wenn dieses Freiwerden unter die in diesem Artikel genannte Fallkonstellation fällt.

65

Die in der vorstehenden Rn. 64 genannten Änderungen bestätigen, dass das Parlament, wenn das Freiwerden des Sitzes eines Europaabgeordneten auf einen in Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften ausgesprochen Mandatsentzug zurückzuführen ist, nach wie vor nicht befugt ist, die Entscheidung der nationalen Behörden, durch die dieses Freiwerden festgestellt wird, zu überprüfen oder sich zu weigern, sie zu berücksichtigen (vgl. die oben Rn. 61 angeführte Rechtsprechung).

66

Die vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P, EU:C:2005:429, Rn. 50), vertretene und im Urteil vom 30. April 2009, Italien und Donnici/Parlament (C‑393/07 und C‑9/08, EU:C:2009:275, Rn. 55), im Wesentlichen bestätigte Auslegung von Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der ursprünglichen Fassung des Akts von 1976 bleibt demnach auf Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts anwendbar.

67

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Kläger zu Unrecht geltend macht, dass das Parlament angesichts des Urteils vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), und der Nichtbeachtung dieses Urteils durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) habe feststellen können, dass sein Sitz nicht frei sei.

68

Im Übrigen kann den Verfahrensakten im vorliegenden Fall nicht entnommen werden, dass das Parlament eine Überprüfung der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 und des Beschlusses des Tribunal Supremo vom 9. Januar 2020, die dem Freiwerden des Sitzes des Klägers zugrunde liegen, vorgenommen hätte. Obwohl der Präsident des Parlaments in der Plenarsitzung vom 13. Januar 2020 verkündet hat, dass das Parlament das Freiwerden des Sitzes des Klägers „feststell[e]“, ist mithin davon auszugehen, dass er sich im Wesentlichen darauf beschränkt hat, das Organ, wie in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung vorgesehen, über dieses Freiwerden zu unterrichten.

69

Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall diejenigen Maßnahmen, mit denen verbindliche rechtliche Wirkungen erzeugt wurden, die zur Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Klägers geeignet waren, die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 und der Beschluss des Tribunal Supremo vom 9. Januar 2020 sind, die ihrerseits die Folgerungen aus dem Urteil des Tribunal Supremo vom 14. Oktober 2019 ziehen, durch das der Kläger zu einer dreizehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war und mit dem ihm für die Dauer von 13 Jahren die Fähigkeit aberkannt worden war, öffentliche Ämter zu bekleiden, was zum endgültigen Verlust all seiner Ämter geführt hatte.

70

Aus der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 3. Januar 2020 geht nämlich hervor, dass die durch eine rechtskräftige Entscheidung erfolgte Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von Rechts wegen zu einem Verlust seines Abgeordnetenmandats führte, da er in Übereinstimmung mit der in dieser Entscheidung angeführten Verfassungsrechtsprechung unter die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 des spanischen Wahlgesetzes vorgesehene Unwählbarkeitsklausel fiel.

71

Somit hat der Präsident des Parlaments in der Plenarsitzung vom 13. Januar 2020 das Organ lediglich über eine bereits bestehende und ausschließlich aus den oben in Rn. 69 angeführten Entscheidungen der spanischen Behörden resultierende Rechtslage informiert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament, C‑208/03 P, EU:C:2005:429, Rn. 49).

72

Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch eine Handlung mit rein informativem Charakter weder die Interessen eines Adressaten beeinträchtigen noch dessen Rechtsstellung gegenüber derjenigen vor Annahme dieser Handlung ändern (vgl. Beschlüsse vom 4. Oktober 2007, Finnland/Kommission, C‑457/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:582, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Juni 2019, Durand u. a./Parlament, T‑702/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:408, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 8. Juli 2020, Neda Industrial Group/Rat, T‑490/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:318, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Aus alledem ist der Schluss zu ziehen, dass die Feststellung vom 13. Januar 2020 eine Handlung mit rein informativem Charakter ist, deren Rechtswirkungen sich nicht von denjenigen unterscheiden, die sich aus den oben in Rn. 69 angeführten Entscheidungen ergeben, und dass sie daher nicht im Wege einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV angefochten werden kann.

74

Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen des Klägers entkräftet.

Zum Vorbringen betreffend die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung bei Entzug des Mandats eines Europaabgeordneten

75

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, dass die dem Parlament durch Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung verliehene Befugnis, bei Vorliegen einer Fehlerhaftigkeit die Feststellung des Freiwerdens des Sitzes eines Mitglieds zu verweigern, auch für die in Art. 4 Abs. 4 der Geschäftsordnung genannten Fälle des Entzugs und der Unvereinbarkeit gelte. Das Parlament hätte somit gemäß Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Feststellung des Freiwerdens seines Sitzes verweigern müssen, weil es den Verstoß gegen das Unionsrecht und das Nichtaussetzen der innerstaatlichen Verfahren durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) unmittelbar hätte beurteilen können.

76

Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung ermöglicht dem Parlament u. a., die Feststellung des Freiwerdens eines seiner Sitze zu verweigern, wenn „[der] Beendigung des Mandats [des fraglichen Mitglieds] offenbar Fehlerhaftigkeit oder Willensmängel entgegen[stehen]“.

77

Der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass eine Bestimmung der Geschäftsordnung nach dem Grundsatz der Normenhierarchie keine Abweichung von den Vorschriften des Wahlakts erlauben und dem Parlament oder seinem Präsidenten keine umfassenderen als die ihnen nach diesem Akt zustehenden Befugnisse verleihen kann (Urteil vom 30. April 2009, Italien und Donnici/Parlament, C‑393/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:275, Rn. 48; vgl. auch Beschluss vom 13. Januar 2009, Occhetto und Parlament/Donnici, C‑512/07 P[R] und C‑15/08 P[R], EU:C:2009:3, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78

Im vorliegenden Fall wurde dem Parlament oder seinem Präsidenten durch den Wahlakt keine Befugnis eingeräumt, den Entzug des Mandats eines Europaabgeordneten nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu überprüfen oder zu verhindern, dass dieser Entzug in Übereinstimmung mit diesen Rechtsvorschriften wirksam wird (vgl. oben Rn. 56 bis 66).

79

Jede Auslegung von Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung, nach der dem Parlament eine solche Befugnis zuerkannt würde, liefe demnach dem Wahlakt zuwider und verstieße gegen den oben in Rn. 77 genannten Grundsatz der Normenhierarchie.

80

Jedenfalls ist zum einen festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich den Fall erfasst, in dem sich das Freiwerden des Sitzes aus dem Entzug des europäischen Abgeordnetenmandats nach nationalem Recht ergibt.

81

Zum anderen lässt sich dem Art. 4 der Geschäftsordnung entnehmen, dass dem Parlament oder seinem Präsidenten je nachdem, auf welchen Gründen das Freiwerden des Sitzes des Mitglieds beruht, unterschiedliche Befugnisse zustehen. Insbesondere geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass das Parlament bei Rücktritt eines Mitglieds das Freiwerden des Sitzes „erklärt“ (Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung) und im Fall der Ernennung oder der Wahl eines Mitglieds in eines der in Art. 7 Abs. 1 und 2 der Geschäftsordnung aufgeführten Ämter, die mit der Ausübung eines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments unvereinbar sind, das Freiwerden des Sitzes „feststellt“ (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1 der Geschäftsordnung), wohingegen es dann, wenn das Freiwerden des Sitzes aus der Anwendung des nationalen Rechts resultiert, nämlich bei „Entzug“ oder „zusätzlicher Unvereinbarkeit“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 des Wahlakts, keine aktive Rolle spielt (Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung). Im letztgenannten Fall wird das Parlament nämlich von seinem Präsidenten lediglich darüber unterrichtet, dass das Mandat des Mitglieds erloschen ist (vgl. oben, Rn. 58).

82

Mithin ergibt sich entgegen dem Vorbringen des Klägers aus einer wörtlichen, teleologischen und systematischen Auslegung von Art. 4 der Geschäftsordnung, dass das Parlament das Freiwerden des Sitzes eines Mitglieds nur dann überprüfen oder sich gemäß Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung weigern kann, dieses Freiwerden festzustellen, wenn ihm zuvor die Befugnis zustand, sich an dem dieses Freiwerdenden betreffenden Verfahren zu beteiligen, d. h. nur in den Fällen, in denen es den Rücktritt eines Mitglieds auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung „erklärt“ oder das Freiwerden des Sitzes des Mitglieds auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 1 der Geschäftsordnung „feststellt“ (vgl. oben, Rn. 81).

83

Darüber hinaus ist festzustellen, dass das Begehren des Klägers dahin ging, dass das Parlament einen Verstoß gegen das Unionsrecht und die Nichteinhaltung der innerstaatlichen Verfahren durch das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) feststellen sollte (vgl. oben, Rn. 55 und 75), was über die Überprüfung einer Fehlerhaftigkeit in Bezug auf das Freiwerden des Sitzes oder des Vorliegens von Willensmängeln hinausginge (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 8. Oktober 2020, Junqueras i Vies/Parlament, C‑201/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:818, Rn. 72 und 73).

84

Im Übrigen fällt die Überprüfung, ob die nationalen Behörden die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren und das Unionsrecht eingehalten haben, nicht in die Zuständigkeit des Parlaments, sondern in die der spanischen Gerichte und gegebenenfalls in die Zuständigkeit des Gerichtshofs, wenn dieser mit einer Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV befasst wird (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament, T‑353/00, EU:T:2003:112, Rn. 91).

85

Nach alledem kann der Kläger nicht geltend machen, der Präsident des Parlaments hätte sich auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung weigern können und müssen, das Freiwerden seines Sitzes „festzustellen“.

86

Das Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

Zum Vorbringen, die Zulässigkeit der Klage sei im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu beurteilen

87

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, dass die Zulässigkeit der vorliegenden Klage im Licht der in Art. 39 Abs. 1 und 2 sowie in Art. 41 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerten Grundrechte zu beurteilen sei.

88

Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV werden durch die Bestimmungen der Charta die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert. Ebenso heißt es in Art. 51 Abs. 2 der Charta, dass diese den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert (vgl. Beschluss vom 8. Oktober 2020, Junqueras i Vies/Parlament, C‑201/20 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2020:818, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89

Im Übrigen wird die gerichtliche Kontrolle der Wahrung der Unionsrechtsordnung, wie sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV ergibt, durch den Gerichtshof der Europäischen Union und die Gerichte der Mitgliedstaaten gewährleistet. Zu diesem Zweck hat der AEU‑Vertrag mit seinen Art. 263 und 277 AEUV einerseits und mit seinem Art. 267 AEUV andererseits ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Rechtmäßigkeitskontrolle der Unionshandlungen gewährleisten soll, mit der der Unionsrichter betraut wird (Urteil vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C‑274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 57).

90

Ferner ist nach der oben in Rn. 48 angeführten ständigen Rechtsprechung die Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV gegen alle Handlungen der Organe gegeben, die – unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form – dazu bestimmt sind, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren.

91

Daraus folgt, dass die Bestimmungen der Charta nicht darauf abzielen – und der Kläger hat dies im Übrigen auch nicht vorgetragen –, das in den Verträgen vorgesehene Rechtsschutzsystem und insbesondere die Bestimmungen über die Zulässigkeit direkter Klagen vor den Unionsgerichten zu ändern (vgl. entsprechend Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 97).

92

Demzufolge ist der Vortrag des Klägers ebenso zurückzuweisen wie sein ins Leere gehendes Vorbringen, die in den Urteilen vom 7. Juli 2005, Le Pen/Parlament (C‑208/03 P, EU:C:2005:429), und vom 30. April 2009, Italien und Donnici/Parlament (C‑393/07 und C‑9/08, EU:C:2009:275), gewählte Lösung sei nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, da diese Urteile vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Charta ergangen seien.

93

Schließlich ist für den Fall, dass der Kläger geltend machen möchte, dass der angebliche Verstoß des Parlaments gegen das aktive und passive Wahlrecht sowie gegen das Recht auf eine gute Verwaltung, die jeweils in den Art. 39 bzw. 41 der Charta verankert seien, zur Zulässigkeit der Klage gegen die Feststellung vom 13. Januar 2020 führe, festzustellen, dass ein derartiger etwaiger Verstoß die Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der genannten Feststellung betrifft und daher für die Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage gänzlich unerheblich ist. Ein solches Vorbringen müsste demzufolge jedenfalls als ins Leere gehend zurückgewiesen werden.

Zu dem Vorbringen, die Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der Feststellung vom 13. Januar 2020 stehe in Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019

94

Der Kläger macht geltend, die Klage gegen die Feststellung vom 13. Januar 2020 sei deswegen zulässig, weil diese Feststellung mit der angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 in Zusammenhang stehe und die genannte Feststellung somit Wirkungen entfalte, die sich von denjenigen unterschieden, die sich aus der bloßen Umsetzung einer Rechtslage ergäben, die das nationale Recht vorsehe.

95

Zunächst sind, wie das Parlament zu Recht geltend macht, die Verfahren, die zur Feststellung vom 13. Januar 2020 und zur angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 geführt haben, voneinander zu unterscheiden und voneinander unabhängig. Im Übrigen werden diese Verfahren durch unterschiedliche Vorschriften geregelt, nämlich das erste durch Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts sowie durch Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung und das zweite durch Art. 8 der Geschäftsordnung.

96

Des Weiteren ergibt sich aus den Rn. 56 bis 70 des vorliegenden Beschlusses, dass das Freiwerden des Sitzes des Klägers, das von den spanischen Behörden dem Präsidenten des Parlaments gemäß Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts bekannt gegeben wurde, aus der Anwendung der spanischen Rechtsvorschriften resultiert.

97

Außerdem kann eine Bestimmung der Geschäftsordnung keine Abweichung von den Vorschriften des Wahlakts ermöglichen (vgl. oben, Rn. 77). Daher konnte im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Präsident des Parlaments mit dem Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung befasst war, dem Parlament oder seinem Präsidenten keine Zuständigkeit dafür verleihen, zu verhindern, dass das aus der Anwendung spanischer Rechtsvorschriften resultierende Freiwerden des Sitzes des Klägers seine Wirkungen zeitige.

98

Schließlich macht das Parlament jedenfalls zu Recht geltend, dass die Zulässigkeit des auf die Nichtigerklärung der Feststellung vom 13. Januar 2020 gerichteten Antrags nicht davon abhängen kann, dass im Rahmen derselben Klage auch die Rechtmäßigkeit einer anderen Entscheidung angefochten wurde.

99

Das Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

100

Nach alledem ist der gegen die Feststellung vom 13. Januar 2020 gerichtete Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019

101

Das Parlament beantragt, den Antrag auf Nichtigerklärung, soweit er sich gegen die Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 richte, als unzulässig zurückzuweisen. Hierzu macht es im Wesentlichen geltend, dass dieser Antrag gegen eine nicht existierende Handlung gerichtet sei. Jedenfalls erzeuge die angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 keine verbindlichen Rechtswirkungen und sei daher keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV.

102

Der Kläger beantragt, die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, soweit sie sich auf den Antrag beziehe, der die angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 betreffe. Er macht im Wesentlichen geltend, dass diese Handlung tatsächlich vorgenommen worden sei und eine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV darstelle, weil sie qualifizierte nachteilige Auswirkungen auf seine Rechtsstellung gehabt habe. Insbesondere habe sich der Präsident des Parlaments, indem er den Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 abgelehnt habe, geweigert, die Eigenschaft des Klägers als Europaabgeordneter anzuerkennen, und ihn folglich daran gehindert, zum einen seine entsprechenden Funktionen wahrzunehmen und zum anderen diese Eigenschaft vor den spanischen Gerichten geltend zu machen.

103

Zum einen kann den Verfahrensakten im vorliegenden Fall nicht entnommen werden, dass der Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 ausdrücklich vom Präsidenten des Parlaments abgelehnt worden wäre. Überdies räumt der Kläger ein, dass die einzige Reaktion des Präsidenten des Parlaments im Hinblick auf diesen Antrag darin bestanden habe, dass „Zeit verstrichen und [dieser] Antrag mit der [Feststellung vom 13. Januar 2020] abgelehnt“ worden sei.

104

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass das bloße Schweigen eines Organs grundsätzlich nicht mit einer stillschweigenden Ablehnung gleichgesetzt werden kann, außer wenn diese Folge ausdrücklich in einer Bestimmung des Unionsrechts vorgesehen ist. Ohne ausschließen zu wollen, dass dieser Grundsatz unter spezifischen Umständen möglicherweise keine Anwendung findet, so dass dem Schweigen oder der Untätigkeit eines Organs ausnahmsweise die Bedeutung einer stillschweigenden ablehnenden Entscheidung beigemessen werden kann, ist davon auszugehen, dass das Ausbleiben einer ausdrücklichen Antwort auf den Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 keine stillschweigende Ablehnung dieses Antrags darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 2004, Kommission/Greencore, C‑123/03 P, EU:C:2004:783, Rn. 45). Im vorliegenden Fall ist nämlich weder eine Frist vorgegeben, nach deren Ablauf davon auszugehen wäre, dass eine stillschweigende Entscheidung auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung ergangen ist, noch liegen außergewöhnliche Umstände vor, die den Schluss zuließen, dass eine solche Entscheidung existiert.

105

Insbesondere wurde der Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 entgegen dem, was der Kläger im Wesentlichen vorträgt, nicht stillschweigend durch die Feststellung vom 13. Januar 2020 abgelehnt; diese erfolgte auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 3 des Wahlakts und von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Geschäftsordnung (vgl. oben, Rn. 95) und nimmt weder ausdrücklich noch stillschweigend auf den Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 Bezug.

106

Der Antrag auf Nichtigerklärung der angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 ist daher als unzulässig zurückzuweisen, weil er gegen eine nicht existierende Handlung gerichtet ist.

107

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass selbst unter der Annahme, dass die Feststellung vom 13. Januar 2020 als stillschweigende Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 ausgelegt werden könnte, die Klage gegen diese stillschweigende Ablehnung jedenfalls unzulässig wäre, da sie nicht gegen eine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV gerichtet wäre.

108

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 kein Antrag auf Schutz der Immunität eines Mitglieds im Sinne von Art. 7 und 9 der Geschäftsordnung (im Folgenden: Antrag auf Schutz der Immunität) ist, sondern ein gemäß Art. 8 der Geschäftsordnung an den Präsidenten des Parlaments gerichteter Antrag, dringend zur Bestätigung der Immunität, die dem Kläger in seiner Eigenschaft als Europaabgeordneter zugestanden habe, tätig zu werden.

109

Aus Art. 8 Abs. 1 der Geschäftsordnung ergibt sich zum einen, dass sich der Präsident des Parlaments von Amts wegen mit der Frage befasst, ob er tätig werden soll, um die Vorrechte sowie die Immunität eines Mitglieds zu bestätigen, das unter mutmaßlichem Verstoß gegen seine Vorrechte und seine Immunität festgenommen worden oder in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt worden ist, wobei in dieser Vorschrift nicht vorgesehen ist, dass ein Mitglied den Präsidenten des Parlaments mit einem entsprechenden Antrag befassen kann. Zum anderen „kann“ der Präsident des Parlaments nach dem Wortlaut dieser Bestimmung in dringenden Fällen von sich aus tätig werden, um die Immunität eines Mitglieds zu bestätigen.

110

Mithin ist dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu entnehmen, dass der Präsident des Parlaments keineswegs verpflichtet ist, zur Bestätigung der Immunität eines Mitglieds tätig zu werden, und dass er insoweit selbst dann, wenn dieses Mitglied unter mutmaßlichem Verstoß gegen seine Vorrechte und seine Immunität festgenommen oder in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt worden sein sollte, über ein Ermessen verfügt.

111

Dieses Ermessen wird dadurch bestätigt, dass den Europaabgeordneten im Verfahren gemäß Art. 8 der Geschäftsordnung keine Verfahrensrechte zustehen, während sie im Rahmen des in den Art. 7 und 9 der Geschäftsordnung geregelten Verfahrens ausdrücklich über solche Rechte verfügen. Hierzu ist festzustellen, dass der Präsident des Parlaments nach Art. 9 Abs. 1 der Geschäftsordnung einen von einem Mitglied oder ehemaligen Mitglied an ihn gerichteten Antrag auf Schutz der Immunität zwingend zu prüfen und folglich dem Parlament mitzuteilen und an den zuständigen parlamentarischen Ausschuss zu überweisen hat. Darüber hinaus steht dem betreffenden Mitglied gemäß Art. 9 Abs. 6 der Geschäftsordnung das Recht zu, gehört zu werden und alle Schriftstücke vorlegen zu können, die ihm in diesem Zusammenhang zweckmäßig erscheinen. Außerdem hat ihm der Präsident nach Art. 9 Abs. 10 der Geschäftsordnung unverzüglich den Beschluss des Organs mitzuteilen. Art. 7 Abs. 5 der Geschäftsordnung bestimmt schließlich, dass in Fällen, in denen ein Beschluss gefasst wurde, die Vorrechte und die Immunität eines Mitglieds nicht zu schützen, das Mitglied durch die Vorlage neuen Beweismaterials gemäß Art. 9 Abs. 1 der Geschäftsordnung ausnahmsweise einen Antrag auf Überprüfung des Beschlusses stellen kann.

112

Entgegen dem, was der Kläger im Wesentlichen vorträgt, steht der Umstand, dass ihm nach Art. 41 der Charta Verfahrensrechte zustünden, der Feststellung in Rn. 111 des vorliegenden Beschlusses nicht entgegen, wonach Art. 8 der Geschäftsordnung den Europaabgeordneten keine solchen Rechte verleiht.

113

Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass das dem Präsidenten des Parlaments durch Art. 8 der Geschäftsordnung eingeräumte Ermessen das Recht des Klägers ausschließt, vom Präsidenten zu verlangen, dass dieser dringend zur Bestätigung der Immunität des Klägers tätig werde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. November 2016, Petraitis/Kommission, C‑137/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:904, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, Urteil vom 9. September 2015, SV Capital/ABE, T‑660/14, EU:T:2015:608, Rn. 47 und 48, sowie Beschluss vom 23. Januar 2019, MLPS/Kommission, T‑304/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:34, Rn. 16).

114

Daraus folgt, dass eine angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 nicht als eine Handlung angesehen werden könnte, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren können. Folglich würde eine solche Ablehnung keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV darstellen.

115

Demzufolge ist die Argumentation des Klägers zurückzuweisen, mit der dargetan werden soll, dass der Präsident verpflichtet gewesen sei, dringend im Sinne von Art. 8 der Geschäftsordnung tätig zu werden und in diesem Rahmen verschiedene Maßnahmen gegenüber den spanischen Behörden zu erlassen.

116

Erstens ist das Vorbringen des Klägers zurückzuweisen, wonach sich im Wesentlichen aus dem Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115) ergebe, dass zum einen der Präsident des Parlaments verpflichtet gewesen sei, im Sinne von Art. 8 der Geschäftsordnung tätig zu werden, um die Immunität des Klägers, die dieser nach Art. 9 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 genieße, zu schützen, und dass eine solche Initiative zum anderen für die nationalen Behörden bindend gewesen wäre. Hierzu genügt die Feststellung, dass der Gerichtshof den Art. 8 der Geschäftsordnung im vorgenannten Urteil weder ausgelegt noch überhaupt erwähnt hat und sich darauf beschränkt hat, auf die Verpflichtungen hinzuweisen, die den nationalen Behörden insbesondere gemäß Art. 9 des Protokolls Nr. 7 oblagen (vgl. oben, Rn. 26).

117

Zweitens sind die Ausführungen des Klägers zurückzuweisen, die im Wesentlichen darin bestehen, vorzutragen, dass die unter mutmaßlichem Verstoß gegen ihre Vorrechte und ihre Immunität festgenommenen oder in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkten Europaabgeordneten vom Präsidenten des Parlaments verlangen könnten, dass er auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung tätig werde, weil dieser Artikel ihnen ein subjektives Recht darauf gewähre, dass das Parlament die ihnen nach den Art. 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 zustehenden Immunitäten verteidige.

118

Insoweit genügt der Hinweis, dass den Europaabgeordneten durch die Art. 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 subjektive Rechte verliehen werden und nicht durch die Bestimmungen der Geschäftsordnung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T‑345/05, EU:T:2008:440, Rn. 28, und vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23, Rn. 58).

119

Außerdem ist das Vorbringen des Klägers, die in den Art. 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 genannten Immunitäten seien Bestandteil des in Art. 39 der Charta verankerten aktiven und passiven Wahlrechts, dessen Verletzung dem Präsidenten des Parlaments gegenüber gemäß Art. 51 der Charta geltend gemacht werden könne und dessen Beachtung das Gericht im Einklang mit dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta einfordern müsse, als ins Leere gehend zurückzuweisen. Dieses Vorbringen betrifft nämlich die materielle Rechtmäßigkeit der angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 und ist für Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage unerheblich.

120

Drittens ist das Vorbringen des Klägers zurückzuweisen, wonach sich eine Initiative des Präsidenten des Parlaments auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung dahin gehend auswirke, dass die spanischen Behörden die Feststellung treffen müssten, zur Beachtung der den Europaabgeordneten zuerkannten Immunität sowie der Integrität des Parlaments und des Unionsrechts und insbesondere zur Wahrung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet zu sein.

121

Zunächst ergibt sich die Verpflichtung der spanischen Behörden zur Beachtung der den Europaabgeordneten nach Art. 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 zustehenden Immunitäten unmittelbar aus der Erlangung ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Europäischen Parlaments (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 81) und nicht aus einer Initiative, die zu ergreifen sich der Präsident gegebenenfalls auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung entschließt.

122

Sodann verwendet der Art. 8 der Geschäftsordnung den Begriff „Initiative“ und nicht den Begriff „Beschluss“, wobei der letztgenannte Begriff in Art. 9 der Geschäftsordnung verwendet wird, der das nach einem Antrag auf Schutz der Immunität oder nach einem Antrag auf Aufhebung der Immunität eröffnete Verfahren regelt. Somit bestätigt bereits der Wortlaut von Art. 8 der Geschäftsordnung den nicht zwingenden Charakter der vom Präsidenten des Parlaments gegebenenfalls gegenüber den nationalen Behörden als deren Adressaten ergriffenen dringlichen Initiative.

123

Hierzu hat das Parlament auf eine Frage des Gerichts erklärt, dass die Maßnahmen, die sein Präsident auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung ergreifen könne, verschiedene Formen annehmen könnten, wie etwa ein Schreiben, mit dem der Präsident die nationalen Behörden auf die Situation des betreffenden Mitglieds aufmerksam mache, oder ein Telefonat in diesem Sinne.

124

Schließlich ist für den Fall, dass sich der Präsident des Parlaments entschließen sollte, auf diese Weise von sich aus tätig zu werden, in keiner Bestimmung des Protokolls Nr. 7, des Wahlakts oder der Geschäftsordnung vorgesehen, dass die nationalen Behörden verpflichtet wären, dieser Initiative Folge zu leisten, wobei insoweit auf alle Fälle ausgeschlossen ist, dass allein auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung irgendeine Pflicht zulasten der Mitgliedstaaten begründet werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23, Rn. 137).

125

Daraus folgt, dass die Initiativen, die der Präsident des Parlaments auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung ergreifen kann, bloße Stellungnahmen ohne verbindliche Wirkung gegenüber den nationalen Behörden darstellen, an die sie gerichtet sind (vgl. die oben in Rn. 50 angeführte Rechtsprechung).

126

In Anbetracht des Vorstehenden ist auch das Vorbringen des Klägers zurückzuweisen, womit dieser im Wesentlichen vorträgt, dass sich aus dem Urteil vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament (T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23), ergebe, dass die nationalen Behörden, wenn kein Antrag auf Aufhebung der Immunität des betreffenden Mitglieds vorliege, durch eine auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung ergriffene Initiative des Präsidenten des Parlaments gebunden seien, da Letztere die Immunität gemäß Art. 9 des Protokolls Nr. 7 schützen solle.

127

Jedenfalls ist das Urteil vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament (T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23), im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Zum einen ging es in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, um einen gemäß Art. 9 der Geschäftsordnung an das Parlament gerichteten Antrag auf Schutz der Immunität und nicht um einen Antrag, der darauf gerichtet war, dass der Präsident des Parlaments dringend auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung von sich aus tätig werde. Zum anderen hat das Gericht im vorgenannten Urteil nur entschieden, dass ein Antrag auf Schutz der Immunität gegenstandslos wird, wenn ein Antrag auf Aufhebung der Immunität gestellt worden ist (Urteil vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23, Rn. 57).

128

Viertens ist im Hinblick auf die oben in den Rn. 109 bis 125 dargelegten Gründe das Vorbringen des Klägers zurückzuweisen, womit dieser im Wesentlichen geltend macht, Art. 3 Abs. 6, Art. 22, Art. 149 und Art. 236 Abs. 1 der Geschäftsordnung sowie Art. 51 der Charta erlegten dem Präsidenten des Parlaments die Pflicht auf, gegenüber dem Parlament sämtliche aus der Eigenschaft als Europaabgeordneter folgenden Rechte des Klägers anzuerkennen und zu schützen, so dass eine Initiative im Sinne von Art. 8 der Geschäftsordnung verbindliche Rechtswirkungen erzeuge.

129

Im Übrigen ist zum einen festzustellen, dass Art. 3 Abs. 6, Art. 22, Art. 149 und Art. 236 Abs. 1 der Geschäftsordnung keine Regelungen enthalten, die dazu bestimmt wären, die den Europaabgeordneten nach Art. 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 zustehenden Vorrechte und Befreiungen zu gewährleisten.

130

Zum anderen kann Art. 51 der Charta – der die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union dazu verpflichtet, die durch die Charta garantierten Rechte entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Beachtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden, zu achten – den vom Präsidenten des Parlaments auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung ergriffenen Initiativen, wobei diese Initiativen es weder bezwecken noch bewirken, dass Verpflichtungen zulasten der Mitgliedstaaten begründet werden, keine verbindliche Rechtswirkung verleihen (vgl. oben, Rn. 121 bis 125).

131

Fünftens macht der Kläger geltend, die Klage gegen die angebliche Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 sei im Wesentlichen im Einklang mit dem Urteil vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament (T‑345/05, EU:T:2008:440), zulässig, da der Gerichtshof im Urteil vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), entschieden habe, dass sich der Inhalt der Immunität nach Art. 9 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 allein anhand des Unionsrechts bestimme.

132

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament (T‑345/05, EU:T:2008:440), ergangen ist, ging es um einen Beschluss des Parlaments, die Immunität eines Europaabgeordneten aufzuheben. Dieser Beschluss entfaltet insofern verbindliche Rechtswirkungen, als er dem betroffenen Europaabgeordneten automatisch seine Immunität entzieht und es den nationalen Behörden demzufolge erlaubt, Gerichtsverfahren gegen ihn einzuleiten oder fortzuführen (Urteil vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T‑345/05, EU:T:2008:440, Rn. 29 und 30). Ein solcher Beschluss unterscheidet sich also von einer Initiative im Sinne von Art. 8 der Geschäftsordnung, die keinerlei direkte Auswirkungen auf etwaige gegen einen Europaabgeordneten eingeleitete nationale Gerichtsverfahren hat.

133

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 91 des Urteils vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies (C‑502/19, EU:C:2019:1115), entschieden hat, dass das zuständige nationale Gericht nach Art. 9 Abs. 3 des Protokolls Nr. 7, wenn es der Auffassung ist, dass die gegen eine Person, die die Eigenschaft als Europaabgeordneter erworben hat, angeordnete Untersuchungshaft aufrechtzuerhalten ist, unverzüglich die Aufhebung der durch Art. 9 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 gewährten Immunität beim Parlament beantragen muss (vgl. oben, Rn. 26).

134

Ergreift der Präsident des Parlaments eine Initiative zur Bestätigung der Immunität eines Europaabgeordneten, so entbindet diese Initiative die nationalen Behörden somit nicht von ihrer sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 des Protokolls Nr. 7 ergebenden Verpflichtung, beim Parlament die Aufhebung dieser Immunität zu beantragen (vgl. oben, Rn. 26).

135

Das Vorbringen des Klägers ist daher zurückzuweisen.

136

Sechstens ist das Vorbringen des Klägers als ins Leere gehend zurückzuweisen, dass der Präsident des Parlaments im vorliegenden Fall nicht entschieden habe, ob er eine Initiative im Sinne von Art. 8 der Geschäftsordnung ergreifen werde, sondern sich insoweit nur mit der Begründung für unzuständig erklärt habe, dass der Kläger nicht die Eigenschaft eines Mitglieds des Europäischen Parlaments gehabt habe, wodurch er sich mithin geweigert habe, ihm diese Eigenschaft zuzuerkennen. Dieses Vorbringen richtet sich nämlich gegen die Begründung, mit der der Präsident des Parlaments den Antrag von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019 abgelehnt haben soll, und kann daher für die Zulässigkeit der gegen diese angebliche Ablehnung gerichteten Klage nicht von Belang sein.

137

Nach alledem ist davon auszugehen, dass dann, wenn der Präsident des Parlaments den Antrag vom 20. Dezember 2019 abgelehnt haben sollte, diese Handlung keine verbindlichen Rechtswirkungen gezeitigt hätte, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung hätten berühren können. Demzufolge läge hierin keine Handlung, die im Sinne von Art. 263 AEUV mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann.

138

Folglich ist der vom Parlament erhobenen Einrede der Unzulässigkeit stattzugeben und die Klage demzufolge vorab als unzulässig abzuweisen, ohne dass über den Antrag des Klägers auf Erlass prozessleitender Maßnahmen entschieden zu werden braucht (vgl. oben, Rn. 40).

Zum Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung als Streithelfer

139

Nach Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung wird die Streithilfe gegenstandslos, wenn die Klage für unzulässig erklärt wird. Erhebt die beklagte Partei nach Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit oder der Unzuständigkeit, so wird gemäß Art. 144 Abs. 3 der Verfahrensordnung über den Antrag auf Zulassung zur Streithilfe erst entschieden, nachdem die Einrede zurückgewiesen wurde oder die Entscheidung darüber dem Endurteil vorbehalten wurde.

140

Da die Klage im vorliegenden Fall insgesamt als unzulässig abgewiesen wird, braucht über den Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung zur Streithilfe nicht entschieden zu werden.

Kosten

141

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

142

Da der Kläger mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Parlaments seine eigenen Kosten sowie die dem Parlament vor dem Gericht im Rahmen der vorliegenden Rechtssache und im Rahmen der Rechtssache T‑24/20 R entstandenen Kosten aufzuerlegen.

143

Schließlich trägt nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung das Königreich Spanien seine eigenen im Zusammenhang mit dem Streithilfeantrag entstandenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

beschlossen:

 

1.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

 

2.

Der Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung zur Streithilfe ist erledigt.

 

3.

Herr Oriol Junqueras i Vies trägt die Kosten, einschließlich der im Rahmen der Rechtssache T‑24/20 R entstandenen Kosten.

 

4.

Das Königreich Spanien trägt die im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Zulassung zur Streithilfe entstandenen Kosten.

 

Luxemburg, den 15. Dezember 2020

Der Kanzler

E. Coulon

Die Vorsitzende

A. Marcoulli

Inhaltsverzeichnis

 

Rechtlicher Rahmen

 

Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union

 

Wahlakt

 

Geschäftsordnung des Parlaments (2019‑2024)

 

Vorgeschichte des Rechtsstreits

 

Verfahren und Anträge der Parteien

 

Rechtliche Würdigung

 

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der Feststellung vom 13. Januar 2020

 

Zum Vorbringen betreffend die Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 7 der Geschäftsordnung bei Entzug des Mandats eines Europaabgeordneten

 

Zum Vorbringen, die Zulässigkeit der Klage sei im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu beurteilen

 

Zu dem Vorbringen, die Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der Feststellung vom 13. Januar 2020 stehe in Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019

 

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung der angeblichen Ablehnung des Antrags von Frau Riba i Giner vom 20. Dezember 2019

 

Zum Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung als Streithelfer

 

Kosten


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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