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Document 62019CJ0472

Urteil des Gerichtshofs (Neunte Kammer) vom 11. Juni 2020.
Vert Marine SAS gegen Premier ministre und Ministre de l'Économie et des Finances.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Frankreich).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen – Richtlinie 2014/23/EU – Art. 38 Abs. 9 – System von Abhilfemaßnahmen, die die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit eines von einem Ausschlussgrund betroffenen Wirtschaftsteilnehmers belegen sollen – Nationale Regelung, die es den von einem zwingenden Ausschlussgrund betroffenen Wirtschaftsteilnehmern für fünf Jahre verbietet, an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen teilzunehmen – Ausschluss jeglicher Möglichkeit für diese Wirtschaftsteilnehmer, den Nachweis für getroffene Abhilfemaßnahmen zu erbringen.
Rechtssache C-472/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:468

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

11. Juni 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen – Richtlinie 2014/23/EU – Art. 38 Abs. 9 – System von Abhilfemaßnahmen, die die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit eines von einem Ausschlussgrund betroffenen Wirtschaftsteilnehmers belegen sollen – Nationale Regelung, die es den von einem zwingenden Ausschlussgrund betroffenen Wirtschaftsteilnehmern für fünf Jahre verbietet, an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen teilzunehmen – Ausschluss jeglicher Möglichkeit für diese Wirtschaftsteilnehmer, den Nachweis für getroffene Abhilfemaßnahmen zu erbringen“

In der Rechtssache C‑472/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 14. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2019, in dem Verfahren

Vert Marine SAS

gegen

Premier ministre,

Ministre de l’Économie et des Finances

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter) und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Vert Marine SAS, vertreten durch F. Dereux, avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch P. Dodeller, A.‑L. Desjonquères und C. Mosser als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou, D. Tsagkaraki und L. Kotroni als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J.‑F. Brakeland, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vert Marine SAS auf der einen und dem Premier ministre (Premierminister) sowie dem Ministre de l’Économie et des Finances (Minister für Wirtschaft und Finanzen, Frankreich) auf der anderen Seite wegen eines von dieser Gesellschaft gestellten Antrags auf Aufhebung einiger Bestimmungen des Dekrets Nr. 2016-86 vom 1. Februar 2016 über Konzessionsverträge (JORF vom 2. Februar 2016, Text Nr. 20).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der 71. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/23 lautet:

„Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Wirtschaftsteilnehmer Maßnahmen zur Rechtsbefolgung (Compliance) treffen können, um die Folgen etwaiger strafrechtlicher Verstöße oder eines Fehlverhaltens zu beheben und weiteres Fehlverhalten wirksam zu verhindern. Diese Maßnahmen könnten insbesondere personelle und organisatorische Maßnahmen sein, wie der Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen, geeignete Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen, die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Rechtsbefolgung oder die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen. Bieten derartige Maßnahmen ausreichende Garantien, sollte der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer nicht länger allein aus diesen Gründen ausgeschlossen werden. Wirtschaftsteilnehmer sollten beantragen können, dass ihre Maßnahmen zur Rechtsbefolgung im Hinblick auf ihre etwaige Zulassung zum Vergabeverfahren geprüft werden. Es sollte jedoch den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, die genauen verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen festzulegen, die in diesen Fällen gelten. Es sollte ihnen insbesondere freistehen, zu entscheiden, ob sie es den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern oder Auftraggebern gestatten, die einschlägigen Bewertungen vorzunehmen, oder ob sie andere Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene mit dieser Aufgabe befassen.“

4

Art. 38 Abs. 4, 9 und 10 dieser Richtlinie bestimmt:

„(4)   Öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber im Sinne des Artikel[s] 7 Absatz 1 Buchstabe a schließen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Konzessionsvergabeverfahren aus, wenn sie festgestellt haben, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer aus einem der nachfolgenden Gründe rechtskräftig verurteilt worden ist:

a)

Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Sinne des Artikels 2 des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates [vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. 2008, L 300, S. 42)];

b)

Bestechung im Sinne des Artikels 3 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union [(ABl. 1997, C 195, S. 1)] beteiligt sind, und im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates [vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor (ABl. 2003, L 192, S. 54)] sowie Bestechung im Sinne des für den öffentlichen Auftraggeber oder den Auftraggeber und den Wirtschaftsteilnehmer geltenden nationalen Rechts;

c)

Betrug im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen … der Europäischen Gemeinschaften [(ABl. 1995, C 316, S. 48)];

d)

terroristische Straftaten oder Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten im Sinne der Artikel 1 und 3 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates [vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. 2002, L 164, S. 3)] oder Anstiftung, Beihilfe und Versuch im Sinne des Artikels 4 jenes Rahmenbeschlusses;

e)

Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (ABl. 2005, L 309, S. 15)];

f)

Kinderarbeit und andere Formen des Menschenhandels im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (ABl. 2011, L 101, S. 1)].

(9)   Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in den Absätzen 4 und 7 genannten Situationen befindet, kann Nachweise dafür erbringen, dass die Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen. Werden die Nachweise für ausreichend befunden, so wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen.

Zu diesem Zweck weist der Wirtschaftsteilnehmer nach, dass er einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden. Die von den Wirtschaftsteilnehmern ergriffenen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Schwere und besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens bewertet. Werden die Maßnahmen als unzureichend befunden, so erhält der Wirtschaftsteilnehmer eine Begründung dieser Entscheidung.

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurde, ist während des Ausschlusszeitraumes, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, nicht berechtigt, in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist, von der in diesem Absatz gewährten Möglichkeit Gebrauch zu machen.

(10)   Die Mitgliedstaaten legen durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsvorschriften und unter Beachtung des Unionsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels fest. Sie legen insbesondere den höchstzulässigen Zeitraum des Ausschlusses für den Fall fest, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Maßnahmen gemäß Absatz 9 zum Nachweis seiner Zuverlässigkeit ergreift. Wurde kein Ausschlusszeitraum durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung festgelegt, so darf dieser Zeitraum in den in Absatz 4 genannten Fällen fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung und in den in Absatz 7 genannten Fällen drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis nicht überschreiten.“

5

Art. 51 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 18. April 2016 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf die vorliegende Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

(2)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.“

Französisches Recht

6

Art. 39 der Ordonnance no 2016-65, du 29 janvier 2016, relative aux contrats de concession (Regierungsverordnung Nr. 2016‑65 vom 29. Januar 2016 über die Konzessionsverträge) (JORF vom 30. Januar 2016, Text Nr. 66) bestimmte:

„Von dem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ausgeschlossen sind:

1. Personen, die wegen eines der in den Art. 222‑34 bis 222‑40, 313‑1, 313‑3, 314‑1, 324‑1, 324‑5, 324‑6, 421‑1 bis 421‑2‑4, 421‑5, 432‑10, 432‑11, 432‑12 bis 432‑16, 433‑1, 433‑2, 434‑9, 434‑9‑1, 435‑3, 435‑4, 435‑9, 435‑10, 441‑1 bis 441‑7, 441‑9, 445‑1 bis 445‑2‑1 oder 450‑1 des Code pénal [(Strafgesetzbuch)], den Art. 1741 bis 1743, 1746 und 1747 des Code général des impôts [(Allgemeines Steuergesetzbuch)] und, bei Konzessionsverträgen, die keine Konzessionsverträge im Bereich Verteidigung und Sicherheit sind, den Art. 225‑4‑1 und 225‑4‑7 des Code pénal genannten Delikten oder wegen Verheimlichung solcher Delikte sowie gleichwertigen im Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union vorgesehenen Delikten rechtskräftig verurteilt worden sind. …

Der Ausschluss vom Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen nach Abs. 1 gilt für fünf Jahre ab Verkündung der Verurteilung;

…“

7

Art. 19 des Dekrets Nr. 2016-86 bestimmte:

„I. –   Der Bewerber legt zur Stützung seiner Bewerbung eine eidesstattliche Erklärung vor, in der er bestätigt,

1. dass er nicht nach den Art. 39, 40 und 42 der vorgenannten Ordonnance vom 29. Januar 2016 von der Teilnahme am Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ausgeschlossen ist;

2. dass die Angaben und Unterlagen über seine Befähigung und Eignung, die gemäß Art. 45 der vorgenannten Verordnung vom 29. Januar und unter den in den Art. 20 und 21 festgelegten Bedingungen verlangt werden, zutreffend sind.

II. –   Der Bewerber legt sämtliche Unterlagen vor, die belegen, dass er nicht nach den Art. 39, 40 und 42 der vorgenannten Ordonnance vom 29. Januar 2016 von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ausgeschlossen ist.

…“

8

Art. 23 dieses Dekrets sah vor:

„I. –   Vor der Prüfung der Bewerbungen stellt die konzessionserteilende Stelle fest, dass Schriftstücke oder Informationen, deren Vorlage gemäß den Art. 19, 20 und 21 vorgeschrieben war, von den betreffenden Bewerbern verlangen können, ihre Bewerbungsunterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu vervollständigen. Dabei setzt sie die anderen Bewerber von der Anwendung dieser Bestimmung in Kenntnis.

II. –   … Die unzulässigen Bewerbungen werden ebenfalls abgelehnt. Unzulässig ist die Bewerbung eines Bewerbers, der gemäß den Art. 39, 40, 42 und 44 der vorgenannten Ordonnance [Nr. 2016‑65] nicht am Vergabeverfahren teilnehmen darf oder der nicht über die nach Art. 45 dieser Ordonnance erforderlichen Befähigung oder Eignung verfügt.“

9

Sämtliche vorgenannten Bestimmungen der Ordonnance Nr. 2016‑65 und des Dekrets Nr. 2016‑86 wurden am 1. April 2019 aufgehoben und im Wesentlichen in Art. L. 3123‑1 bzw. den Art. R. 3123‑1 bis R. 3123‑21 des Code de la commande publique (Gesetzbuch über das öffentliche Auftragswesen) übernommen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10

Vert Marine, eine auf das delegierte Management von Sport- und Freizeiteinrichtungen spezialisierte Gesellschaft, deren Haupttätigkeit auf der Durchführung von mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften geschlossenen Konzessionsverträgen beruht, wandte sich beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) gegen die stillschweigende Ablehnung ihres Antrags auf Aufhebung der Art. 19 und 23 des Dekrets Nr. 2016‑86 durch den Premierminister.

11

Hierzu macht sie insbesondere geltend, dass diese Bestimmungen nicht mit Art. 38 der Richtlinie 2014/23 vereinbar seien, da sie den im Anschluss an eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer schweren Straftat im Sinne von Art. 39 Abs. 1 der Ordonnance Nr. 2016‑65 kraft Gesetzes von der Teilnahme an den Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmern nicht die Möglichkeit einräumten, nachzuweisen, dass sie Abhilfemaßnahmen ergriffen hätten, die trotz des Vorliegens dieser Verurteilung die Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit ermöglichten. Aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte geht hervor, dass die Straftaten im Sinne von Art. 39 Abs. 1 der Ordonnance Nr. 2016‑65 im Wesentlichen den Straftaten im Sinne von Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23 entsprechen.

12

In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23 einer nationalen Regelung entgegensteht, die einem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit vorenthält, einen solchen Nachweis zu erbringen, wenn dieser kraft Gesetzes von der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ausgeschlossen wurde, nachdem er wegen besonders schwerwiegender Delikte rechtskräftig verurteilt worden sei, die der nationale Gesetzgeber habe ahnden wollen, um das öffentliche Auftragswesen zu entkriminalisieren und die Vorbildfunktion der Bewerber sicherzustellen.

13

Darüber hinaus fragt es sich, ob für den Fall, dass die Prüfung der Geeignetheit der vom Wirtschaftsteilnehmer ergriffenen Abhilfemaßnahmen den Gerichten übertragen werden darf, mehrere im nationalen Recht vorgesehene gerichtliche Maßnahmen, nämlich die Aufhebung, die gerichtliche Rehabilitierung und die Nichterwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters, als dem in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 aufgestellten System der Abhilfemaßnahmen genügend angesehen werden können.

14

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist die Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die im Hinblick auf das Ziel der Entkriminalisierung des öffentlichen Auftragswesens einem Wirtschaftsteilnehmer, der wegen eines besonders schwerwiegenden Delikts rechtskräftig verurteilt wurde und deshalb für fünf Jahre mit einem Verbot der Teilnahme an Konzessionsvergabeverfahren belegt wurde, die Möglichkeit verwehren, Nachweise dafür zu erbringen, dass die von ihm ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um trotz des Vorliegens dieses Ausschlussgrundes dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber seine Zuverlässigkeit nachzuweisen?

2.

Wenn die Richtlinie 2014/23 es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Beurteilung einer Maßnahme der Wirtschaftsteilnehmer zur Rechtsbefolgung anderen Behörden als dem betreffenden Auftraggeber zu überlassen, erlaubt diese Möglichkeit es auch, Gerichte mit dieser Maßnahme zu befassen? Falls ja, können die im französischen Recht vorgesehenen Möglichkeiten der Aufhebung, der gerichtlichen Rehabilitierung und der Nichterwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters Maßnahmen zur Rechtsbefolgung im Sinne der Richtlinie gleichgesetzt werden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

15

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einem Wirtschaftsteilnehmer, der wegen einer Straftat im Sinne von Art. 38 Abs. 4 dieser Richtlinie rechtskräftig verurteilt und deshalb kraft Gesetzes mit einem Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen belegt ist, die Möglichkeit verwehrt, den Nachweis zu erbringen, dass er Abhilfemaßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, die Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu belegen.

16

Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/23 jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der u. a. in Abs. 4 dieses Artikels genannten Situationen befindet, den Nachweis dafür erbringen kann, dass seine Maßnahmen ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen, und dass, wenn diese Nachweise für ausreichend angesehen werden, der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Verfahren ausgeschlossen wird. Somit führt diese Bestimmung einen Mechanismus von Abhilfemaßnahmen („self-cleaning“) ein (vgl. entsprechend zu Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG [ABl. 2014, L 94, S. 65], der Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 entspricht, Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17

Aus dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/23 ergibt sich, dass diese Bestimmung den Wirtschaftsteilnehmern dadurch, dass sie vorsieht, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer den Nachweis der getroffenen Abhilfemaßnahmen erbringen kann, ein Recht verleiht, das die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie unter Einhaltung der darin festgelegten Bedingungen gewährleisten müssen.

18

Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23 sieht jedoch vor, dass einem Wirtschaftsteilnehmer, der durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurde, die Möglichkeit des Nachweises der getroffenen Abhilfemaßnahmen nicht gewährt wird, und zwar während des gesamten Ausschlusszeitraums, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, und in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist. Nur in diesem Fall kann ein Wirtschaftsteilnehmer somit nicht in den Genuss des Rechts aus Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/23 kommen.

19

Insoweit kann ein Ausschluss, der nach einer nationalen Regelung wie Art. 39 Abs. 1 der Ordonnance Nr. 2016-65 automatisch für jeden Wirtschaftsteilnehmer vorgesehen ist, der wegen einer Straftat im Sinne von Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23 rechtskräftig verurteilt wurde, nicht einem Ausschluss durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung im Sinne von Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23 gleichgesetzt werden.

20

Dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23 ist nämlich eindeutig zu entnehmen, dass sich der Ausschluss unmittelbar aus einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung gegen einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ergeben muss und insbesondere nicht allein daraus, dass durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung eine Verurteilung aus einem der in Art. 38 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23 aufgezählten Gründe ergangen ist.

21

Folglich ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, außer in dem in Unterabs. 3 dieser Bestimmung genannten Fall, den Nachweis ergriffener Abhilfemaßnahmen erbringen kann, um trotz des Vorliegens eines der in Art. 38 Abs. 4 und 7 der Richtlinie 2014/23 genannten Ausschlussgründe, wie beispielsweise einer durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung verkündeten Verurteilung aus einem der in Art. 38 Abs. 4 Buchst. a bis f der Richtlinie 2014/23 genannten Gründe, seine Zuverlässigkeit zu belegen.

22

Diese Auslegung wird durch das mit Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 verfolgte Ziel gestützt. Diese Vorschrift soll nämlich, indem sie vorsieht, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer den Nachweis für getroffene Abhilfemaßnahmen erbringen können muss, die Bedeutung unterstreichen, die der Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers beigemessen wird (vgl. entsprechend Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung), und damit, wie die griechische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, eine objektive Bewertung der Wirtschaftsteilnehmer garantieren und einen wirksamen Wettbewerb sicherstellen. Dieses Ziel würde jedoch beeinträchtigt, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, über den in Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23 vorgesehenen Fall hinaus das Recht der Wirtschaftsteilnehmer einzuschränken, den Nachweis für getroffene Abhilfemaßnahmen zu erbringen.

23

Diese Auslegung wird auch nicht durch die Tatsache in Frage gestellt, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 38 Abs. 10 der Richtlinie 2014/23 die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels festlegen müssen und insoweit über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen (vgl. entsprechend Urteil vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung)

24

Der Ausdruck „Bedingungen für die Anwendung“ setzt nämlich voraus, dass das Bestehen des durch Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/23 verliehenen Rechts sowie die Möglichkeit seiner Ausübung von den Mitgliedstaaten garantiert werden; andernfalls wären die Mitgliedstaaten, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, in der Lage, dieses Recht bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung auszuhöhlen. Diese Auslegung wird im Übrigen durch den 71. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/23 bestätigt, aus dem hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten nur befugt sind, die verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts festzulegen.

25

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einem Wirtschaftsteilnehmer, der wegen einer Straftat im Sinne von Art. 38 Abs. 4 dieser Richtlinie rechtskräftig verurteilt und deshalb kraft Gesetzes mit einem Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen belegt ist, die Möglichkeit verwehrt, den Nachweis zu erbringen, dass er Abhilfemaßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, die Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu belegen.

Zur zweiten Frage

26

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen ist, dass er es nicht verbietet, Gerichte mit der Prüfung der Angemessenheit der vom Wirtschaftsteilnehmer getroffenen Abhilfemaßnahmen zu befassen, und falls ja, ob Art. 38 Abs. 9 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es den Gerichten erlaubt, eine Person von einem kraft Gesetzes eintretenden Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung zu befreien, ein solches Verbot aufzuheben oder eine Erwähnung der Verurteilung im Strafregister auszuschließen.

27

In Bezug auf den ersten Teil der zweiten Frage ist festzustellen, dass aus dem Wortlaut der drei Unterabsätze des Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 nicht hervorgeht, welche Behörde mit der Beurteilung der Angemessenheit der vom Wirtschaftsteilnehmer geltend gemachten Abhilfemaßnahmen betraut ist. Unter diesen Umständen ist es Sache der Mitgliedstaaten, bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung dieser Bestimmung nach Art. 38 Abs. 10 der Richtlinie in ihren nationalen Rechtsvorschriften in der Weise anzugeben, welche Behörde zu dieser Beurteilung ermächtigt ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer das ihm durch Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 1 dieser Richtlinie verliehene Recht wirksam ausüben kann.

28

Diese Auslegung wird durch den 71. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/23 bestätigt, wonach es den Mitgliedstaaten im Rahmen der Festlegung der verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen für die Anwendung von Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 freistehen sollte, zu entscheiden, ob sie es den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern oder Auftraggebern gestatten, die Angemessenheit der vom Wirtschaftsteilnehmer angeführten Abhilfemaßnahmen zu bewerten, oder ob sie andere Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene mit dieser Aufgabe befassen.

29

Diesem Erwägungsgrund ist zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der mit der Bewertung der Angemessenheit von Abhilfemaßnahmen betrauten Behörden einen weiten Ermessensspielraum einräumen wollte. Insoweit ergibt sich aus der Wendung „andere Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene“, dass die Mitgliedstaaten mit dieser Bewertungsaufgabe jede andere Behörde als den öffentlichen Auftraggeber oder Auftraggeber betrauen können.

30

Dies gilt umso mehr, als, wie die französische und die griechische Regierung sowie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, die Gerichte naturgemäß in der Lage sind, die Geeignetheit der Abhilfemaßnahmen völlig objektiv und unabhängig zu beurteilen und zu diesem Zweck die in Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/23 genannten Beweise gemäß den in den Sätzen 2 und 3 dieser Vorschrift vorgesehenen Anforderungen zu prüfen.

31

Allerdings müssen, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, wenn ein Mitgliedstaat die Gerichte mit einer solchen Bewertungsaufgabe befassen will, die zu diesem Zweck geschaffene nationale Regelung alle in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 aufgestellten Anforderungen erfüllen und das anzuwendende Verfahren mit den durch das Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen vorgegebenen Fristen vereinbar sein. Anderenfalls würde, insbesondere wenn das Gericht nicht ermächtigt sein sollte, eine eingehende Bewertung der in Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/23 geforderten Nachweise vorzunehmen, oder nicht in der Lage wäre, vor Abschluss des Vergabeverfahrens ein rechtskräftiges Urteil zu erlassen, das in Art. 38 Unterabs. 1 dieser Richtlinie zugunsten des Wirtschaftsteilnehmers begründete Recht ausgehöhlt.

32

Zum zweiten Teil der zweiten Frage ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht seine Sache ist, sich in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht zu äußern. Dagegen ist der Gerichtshof befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht zu beurteilen (Urteil vom 25. Oktober 2018, Sciotto, C‑331/17, EU:C:2018:859, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob gerichtliche Verfahren wie die der Aufhebung, der gerichtlichen Rehabilitierung und der Nichterwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters tatsächlich den festgelegten Bedingungen und dem Ziel entsprechen, das mit dem in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 eingeführten System der Abhilfemaßnahmen verfolgt wird.

34

Insbesondere ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob diese Verfahren es zum einen den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern ermöglichen, den zuständigen Gerichten den Nachweis für die in Art. 38 Abs. 9 Unterabs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/23 genannten Abhilfemaßnahmen zu erbringen, und zum anderen diesen Gerichten erlauben, die Geeignetheit dieser Maßnahmen in der in Satz 2 dieser Bestimmung vorgesehenen Weise zu bewerten und, sofern sie der Auffassung sind, dass die Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers durch die Wirkung der betreffenden Maßnahmen wiederhergestellt sei, über die Aufhebung, die Rehabilitierung oder die Nichterwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters zu befinden.

35

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dann, wenn über die Aufhebung, die Rehabilitierung oder die Nichterwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters befunden werden könnte, ohne dass das zuständige Gericht verpflichtet wäre, die Angemessenheit der ergriffenen Abhilfemaßnahmen zu bewerten, und die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer somit an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen teilnehmen könnten, ohne den Nachweis solcher Maßnahmen zu erbringen, wie Vert Marine und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend machen, nicht davon ausgegangen werden könnte, dass solche Gerichtsverfahren dem verfolgten Ziel und den durch das in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 eingerichtete System der Abhilfemaßnahmen aufgestellten Voraussetzungen entsprechen, da sie zum einen dem öffentlichen Auftraggeber keine Garantie dafür böten, dass die Zuverlässigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers wiederhergestellt ist, und zum anderen möglicherweise unzuverlässigen Wirtschaftsteilnehmern die Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen ermöglichen würden.

36

Außerdem muss sich das vorlegende Gericht vergewissern, dass die im nationalen Recht vorgesehenen gerichtlichen Verfahren gewährleisten können, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der sich an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen beteiligen will, die getroffenen Abhilfemaßnahmen rechtzeitig nachweisen kann. Das in Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 vorgesehene Recht würde nämlich ausgehöhlt, wenn der Wirtschaftsteilnehmer von diesen Verfahren nicht vor Abschluss des Vergabeverfahrens in sachdienlicher Weise Gebrauch machen könnte.

37

Sowohl Vert Marine als auch die Kommission machen in ihren schriftlichen Erklärungen jedoch geltend, dass die gerichtliche Rehabilitierung, abgesehen davon, dass sie die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung nicht erfülle, erst nach Ablauf einer bestimmten, zwischen zwei und fünf Jahren variierenden Frist beantragt werden könne, was es den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern nicht ermögliche, vor Ablauf dieser Frist in den Genuss der Rehabilitierung zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diesen Punkt zu prüfen, wie es auch zu prüfen haben wird, ob die in den Verfahren der Aufhebung und des Ausschlusses der Erwähnung der Verurteilung in Teil 2 des Strafregisters vorgesehenen Fristen mit den Fristen für Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen vereinbar sind.

38

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen ist, dass er es nicht verbietet, Gerichte mit der Prüfung der Geeignetheit der von einem Wirtschaftsteilnehmer getroffenen Abhilfemaßnahmen zu befassen, sofern die zu diesem Zweck eingeführte nationale Regelung alle in Art. 38 Abs. 9 dieser Richtlinie aufgestellten Anforderungen erfüllt und das anzuwendende Verfahren mit den Fristen des Verfahrens zur Vergabe von Konzessionsverträgen vereinbar ist. Im Übrigen ist Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die es den Gerichten erlaubt, eine Person von einem kraft Gesetzes eintretenden Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung zu befreien, ein solches Verbot aufzuheben oder eine Erwähnung der Verurteilung im Strafregister auszuschließen, nicht entgegensteht, sofern diese gerichtlichen Verfahren den in dieser Regelung aufgestellten Bedingungen und dem mit ihr verfolgten Ziel entsprechen und es insbesondere erlauben, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen teilnehmen möchte, das ihn betreffende Verbot allein im Hinblick auf die Geeignetheit der von diesem Wirtschaftsteilnehmer geltend gemachten und vom zuständigen Gericht im Einklang mit den in dieser Vorschrift vorgesehenen Anforderungen bewerteten Abhilfemaßnahmen rechtzeitig aufzuheben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einem Wirtschaftsteilnehmer, der wegen einer Straftat im Sinne von Art. 38 Abs. 4 dieser Richtlinie rechtskräftig verurteilt und deshalb kraft Gesetzes mit einem Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen belegt ist, die Möglichkeit verwehrt, den Nachweis zu erbringen, dass er Abhilfemaßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, die Wiederherstellung seiner Zuverlässigkeit zu belegen.

 

2.

Art. 38 Abs. 9 und 10 der Richtlinie 2014/23 ist dahin auszulegen, dass er es nicht verbietet, Gerichte mit der Prüfung der Geeignetheit der von einem Wirtschaftsteilnehmer getroffenen Abhilfemaßnahmen zu befassen, sofern die zu diesem Zweck eingeführte nationale Regelung alle in Art. 38 Abs. 9 dieser Richtlinie aufgestellten Anforderungen erfüllt und das anzuwendende Verfahren mit den Fristen des Verfahrens zur Vergabe von Konzessionsverträgen vereinbar ist. Im Übrigen ist Art. 38 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die es den Gerichten erlaubt, eine Person von einem kraft Gesetzes eintretenden Verbot der Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung zu befreien, ein solches Verbot aufzuheben oder eine Erwähnung der Verurteilung im Strafregister auszuschließen, nicht entgegensteht, sofern diese gerichtlichen Verfahren den in dieser Regelung aufgestellten Bedingungen und dem mit ihr verfolgten Ziel entsprechen und es insbesondere erlauben, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen teilnehmen möchte, das ihn betreffende Verbot allein im Hinblick auf die Geeignetheit der von diesem Wirtschaftsteilnehmer geltend gemachten und vom zuständigen Gericht im Einklang mit den in dieser Vorschrift vorgesehenen Anforderungen bewerteten Abhilfemaßnahmen rechtzeitig aufzuheben, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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