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Document 62019CC0724

Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 20. Mai 2021.
Strafverfahren gegen HP.
Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäische Ermittlungsanordnung – Richtlinie 2014/41/EU – Art. 2 Buchst. c Ziff. i – Begriff ,Anordnungsbehörde‘“ – Art. 6 – Voraussetzungen für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung – Art. 9 Abs. 1 und 3 – Anerkennung einer Europäischen Ermittlungsanordnung – Europäische Ermittlungsanordnung zur Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr, die von einem Staatsanwalt erlassen wird, der durch den nationalen Rechtsakt, mit dem die Richtlinie 2014/41 umgesetzt wird, als „Anordnungsbehörde“ bestimmt ist – Ausschließliche Zuständigkeit des Richters für die Anordnung der in der Ermittlungsanordnung angegebenen Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall.
Rechtssache C-724/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:414

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 20. Mai 2021 ( 1 )

Rechtssache C-724/19

Spetsializirana prokuratura

gegen

HP

(Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad [Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien])

„Vorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäische Ermittlungsanordnung – Richtlinie 2014/41/EU – Art. 2 Buchst. c – Anordnungsbehörde – Art. 6 Abs. 2 – Bedingungen für den Erlass – Staatsanwalt, der als anordnende Justizbehörde handelt – Anordnung, die in einem vergleichbaren nationalen Verfahren dem Richter vorbehalten ist“

1.

Ist die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Strafsachen (im Folgenden: EEA), mit der sie die Verkehrs- und Standortdaten zu elektronischen Kommunikationen anfordert, zuständig, wenn eine solche Beweiserhebung nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats nur von einem Richter oder einem Gericht angeordnet werden kann?

2.

Dies ist zusammengefasst die Frage, die in diesem Vorabentscheidungsverfahren gestellt wird. Im Rahmen ihrer Beantwortung hat der Gerichtshof Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum Begriff der „Anordnungsbehörde“ für den Erlass einer EEA im Sinne der Richtlinie 2014/41/EU ( 2 ) in Bezug auf die Staatsanwaltschaft zu vertiefen.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht. Richtlinie 2014/41

3.

Nach dem 30. Erwägungsgrund sollten „[d]ie Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Rahmen dieser Richtlinie über die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs … nicht auf den Inhalt des Telekommunikationsverkehrs beschränkt sein, sondern könnten sich auch auf die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit diesem Telekommunikationsverkehr erstrecken und es den zuständigen Behörden erlauben, eine EEA zu erlassen, um Telekommunikationsdaten zu erlangen, die mit einem geringeren Eingriff in die Privatsphäre verbunden sind. Eine EEA, die erlassen wurde, um historische Verkehrs- und Standortdaten zum Telekommunikationsverkehr zu erlangen, sollte im Rahmen der allgemeinen Regelung zur Vollstreckung einer EEA behandelt werden und kann gemäß dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats als invasive Ermittlungsmaßnahme betrachtet werden.“

4.

Nach dem 32. Erwägungsgrund sollte „[i]n einer EEA, mit der um die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs ersucht wird, … die Anordnungsbehörde der Vollstreckungsbehörde ausreichende Informationen wie Angaben zu der strafbaren Handlung, die Gegenstand der Ermittlungen ist, übermitteln, damit die Vollstreckungsbehörde beurteilen kann, ob die Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall genehmigt würde“.

5.

Art. 1 („Die Europäische Ermittlungsanordnung und die Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung“) lautet:

„(1)   Eine Europäische Ermittlungsanordnung (im Folgenden ‚EEA‘) ist eine gerichtliche Entscheidung, die von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats (‚Anordnungsstaat‘) zur Durchführung einer oder mehrerer spezifischer Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat (‚Vollstreckungsstaat‘) zur Erlangung von Beweisen gemäß dieser Richtlinie erlassen oder validiert wird.

Die Europäische Ermittlungsanordnung kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jede EEA nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß dieser Richtlinie.

(3)   Der Erlass einer EEA kann von einer verdächtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt im Rahmen der geltenden Verteidigungsrechte im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht beantragt werden.

(4)   Diese Richtlinie berührt nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der Rechtsgrundsätze, die in Artikel 6 EUV verankert sind, einschließlich der Verteidigungsrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren geführt wird; die Verpflichtungen der Justizbehörden in dieser Hinsicht bleiben unberührt.“

6.

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

c)

‚Anordnungsbehörde‘

i)

einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist, oder

ii)

jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Zudem wird die EEA vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert, nachdem dieser bzw. dieses überprüft hat, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer EEA nach dieser Richtlinie, insbesondere die Voraussetzungen des Artikels 6 Absatz 1, eingehalten sind. Ist die EEA von einer Justizbehörde validiert worden, so kann auch diese Behörde als Anordnungsbehörde für die Zwecke der Übermittlung einer EEA betrachtet werden;

…“.

7.

Art. 6 („Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“) bestimmt:

„(1)   Die Anordnungsbehörde darf nur dann eine EEA erlassen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der Erlass der EEA ist für die Zwecke der Verfahren nach Artikel 4 unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person notwendig und verhältnismäßig und

b)

die in der EEA angegebene(n) Ermittlungsmaßnahme(n) hätte(n) in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden können.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Bedingungen werden von der Anordnungsbehörde in jedem einzelnen Fall geprüft.

(3)   Hat eine Vollstreckungsbehörde Grund zu der Annahme, dass die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so kann sie die Anordnungsbehörde zu der Frage konsultieren, wie wichtig die Durchführung der EEA ist. Nach dieser Konsultation kann die Anordnungsbehörde entscheiden, die EEA zurückzuziehen.“

8.

In Art. 9 („Anerkennung und Vollstreckung“) heißt es:

„(1)   Die Vollstreckungsbehörde erkennt eine nach dieser Richtlinie übermittelte EEA ohne jede weitere Formalität an und gewährleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitäten, als wäre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer Behörde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden, es sei denn, die Vollstreckungsbehörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung oder einen der Gründe für den Aufschub der Vollstreckung nach dieser Richtlinie geltend zu machen.

(2)   Die Vollstreckungsbehörde hält die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, soweit in dieser Richtlinie nichts anderes bestimmt ist und sofern die angegebenen Formvorschriften und Verfahren nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsstaats stehen.

(3)   Erhält eine Vollstreckungsbehörde eine EEA, die nicht von einer Anordnungsbehörde im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c erlassen worden ist, so gibt sie die EEA an den Anordnungsstaat zurück.

…“

B.   Nationales Recht

1. Zakon za Evropeyskata zapoved za razsledvane (Gesetz über die Europäische Ermittlungsanordnung, im Folgenden: ZEZR)

9.

Nach Art. 5 Abs. 1 ist in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens der Staatsanwalt und im eigentlichen gerichtlichen Verfahren das zuständige Gericht die für den Erlass einer EEA zuständige Behörde.

2. Nakazatelno protsesualen kodeks (Strafprozessordnung, im Folgenden: NPK)

10.

Art. 159a („Übermittlung von Daten durch Unternehmen, die öffentliche elektronische Kommunikationsnetze und/oder -dienste bereitstellen“) bestimmt:

„(1)   Auf Verlangen des Gerichts im gerichtlichen Verfahren oder aufgrund begründeter Anordnung eines Richters des erstinstanzlichen Gerichts, die im vorgerichtlichen Verfahren auf Antrag des die Ermittlungen leitenden Staatsanwalts erlassen wurde, übermitteln Unternehmen, die öffentliche elektronische Kommunikationsnetze und/oder -dienste bereitstellen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit angefallenen Daten, die notwendig sind zur:

1. Verfolgung und Identifizierung der Verbindungsquelle;

2. Identifizierung der Verbindungsrichtung;

3. Identifizierung von Datum, Uhrzeit und Verbindungsdauer;

4. Identifizierung der Verbindungsart;

5. Identifizierung des elektronischen Endkommunikationsgeräts des Nutzers oder dessen, was als solches angegeben wird;

6. Feststellung der Kennung der verwendeten Zellen.

(2)   Die Daten gemäß Abs. 1 werden erhoben, wenn dies zur Ermittlung von schweren vorsätzlichen Straftaten erforderlich ist.

(3)   Der Antrag des die Ermittlungen leitenden Staatsanwalts gemäß Abs. 1 ist zu begründen und muss Folgendes enthalten:

1. Angaben über die Straftat, für deren Ermittlung die Verwendung von Verkehrsdaten erforderlich ist;

2. Beschreibung der Umstände, auf die der Antrag gestützt ist;

3. Angaben über die Personen, in Bezug auf die Verkehrsdaten verlangt werden;

4. den Zeitraum, den die Auskunft umfassen soll;

5. die Ermittlungsbehörde, an die die Daten zu übermitteln sind.

(4)   In der Anordnung nach Abs. 1 bezeichnet das Gericht:

1. die Daten, über die Auskunft zu erteilen ist;

2. den Zeitraum, den die Auskunft umfassen soll;

3. die Ermittlungsbehörde, an die die Daten zu übermitteln sind.

(5)   Der Zeitraum, für den Auskunft verlangt und die Übermittlung der Daten nach Abs. 1 angeordnet wird, darf sechs Monate nicht überschreiten.

…“

II. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

11.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen HP wegen Finanzierung terroristischer Handlungen erließ die Staatsanwaltschaft vier inhaltsgleiche EEA zur Erlangung von Verkehrs- und Standortdaten elektronischer Kommunikationen ( 3 ).

12.

Die vier EEA wurden von der bulgarischen Staatsanwaltschaft ohne Mitwirkung oder Validierung durch einen Richter oder ein Gericht erlassen und an die zuständigen Behörden in Deutschland, Österreich, Belgien und Schweden übermittelt.

13.

Die EEA wurden außer in Belgien von den Staatsanwaltschaften der Empfangsmitgliedstaaten ohne vorherige Genehmigung oder Validierung durch einen Richter oder ein Gericht vollstreckt.

14.

Aufgrund der erhobenen Beweise, darunter auch der Antworten auf die vier EEA, wurde gegen HP und fünf weitere Personen Anklage wegen Finanzierung terroristischer Handlungen sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zur Finanzierung derartiger Handlungen erhoben.

15.

Das Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien), das die aufgrund der EEA erhobenen Beweise prüfen muss, zweifelt an ihrer Rechtmäßigkeit, denn diese Beweise hätten in Bulgarien nach nationalem Recht nur aufgrund einer gerichtlichen Genehmigung erlangt werden können.

16.

Vor diesem Hintergrund hat es dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Ist mit Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 sowie mit dem Äquivalenzgrundsatz eine nationale Rechtsvorschrift vereinbar, wonach in der vorgerichtlichen Phase des Strafverfahrens der Staatsanwalt die für den Erlass einer EEA betreffend die Übermittlung von Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit dem Telekommunikationsverkehr zuständige Behörde ist, während in gleich gelagerten innerstaatlichen Fällen der Richter die hierfür zuständige Behörde ist?

2.

Ersetzt die Anerkennung einer solchen EEA durch die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats (Staatsanwalt oder Ermittlungsrichter) die richterliche Anordnung, die nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats erforderlich ist?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

17.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 1. Oktober 2019 beim Gerichtshof eingegangen.

18.

HP, die deutsche und die ungarische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

19.

Der Gerichtshof hat entschieden, anstelle einer mündlichen Verhandlung die Parteien und die Beteiligten zu den möglichen Auswirkungen der Urteile vom 8. Dezember 2020 ( 4 ) und vom 2. März 2021 ( 5 ) anzuhören.

20.

Auf Wunsch des Gerichtshofs beziehen sich diese Schlussanträge nur auf die erste Vorlagefrage.

IV. Vorbringen der Parteien

21.

HP macht geltend, Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 ZEZR sei nicht mit Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 vereinbar, da es nach der Richtlinie nicht zulässig sei, die Zuständigkeit des Richters für die Anordnung von Maßnahmen, wie sie im Vorlagebeschluss geschildert seien, auszuschließen. Außerdem müssten solche Maßnahmen nach bulgarischem Recht vom zuständigen Gericht angeordnet werden. Nach bulgarischem Recht sei die Art und Weise, in der die Informationen über die Verkehrsdaten im Ausgangsverfahren erlangt worden seien, deshalb rechtswidrig.

22.

Die deutsche Regierung meint, dass sich die Vorlagefrage nicht nach Art. 2 Buchst. c, sondern nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 beantworte. Ungeachtet dessen, dass Art. 2 Buchst. c das Auseinanderfallen der Anordnungskompetenz für die jeweilige Ermittlungsmaßnahme selbst und der Anordnungskompetenz für die EEA zulasse, sei es nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b nicht zulässig, an die Anordnung einer grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahme geringere Anforderungen zu stellen als nach dem nationalen Recht in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall gälten.

23.

Bestehe also nach dem im Anordnungsmitgliedstaat geltenden Recht ein Richtervorbehalt für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen, sei dieser Vorbehalt auch dann zu beachten, wenn die betreffende Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat zu vollstrecken sei.

24.

Die ungarische Regierung führt aus, die Antwort auf die erste Frage hänge mit der Einhaltung der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 geregelten Bedingungen für den Erlass zusammen. Die gegenseitige Anerkennung, auf der die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen beruhe, setze voraus, dass die Entscheidung des Anordnungsmitgliedstaats von einem Gericht oder einer sachlich und örtlich zuständigen Behörde erlassen worden sei.

25.

Eine der Bedingungen für den Erlass einer EEA sei daher im Kontext der Richtlinie 2014/41, dass die Maßnahme, auf die sich die EEA beziehe, von der Behörde geprüft worden sei, die auf innerstaatlicher Ebene für ihren Erlass zuständig wäre. Anderenfalls wären die Garantien, die für die in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Ermittlungsmaßnahmen verlangt würden, niedriger als die, die für ähnliche Maßnahmen gälten, die im Anordnungsstaat vollstreckt werden sollten.

26.

Nach Ansicht der Kommission betreffen die Zweifel des vorlegenden Gerichts zwei unterschiedliche Aspekte: die für den Erlass einer EEA zuständige Behörde (Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41) und die Bedingungen für den Erlass der EEA (Art. 6 der Richtlinie).

27.

Sie weist darauf hin, dass die Voraussetzung der Zuständigkeit „in dem betreffenden Fall“ (Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41) bedeute, dass die Anordnungsbehörde im Ausgangsstrafverfahren eine institutionelle Rolle haben müsse. Das Unionsrecht stelle jedoch nicht klar, ob diese Behörde für das gesamte Verfahren zuständig sein müsse oder ob es ausreiche, dass sich ihre Mitwirkung auf die konkrete Ermittlungsmaßnahme erstrecke: Die Richtlinie 2014/41 lasse den Mitgliedstaaten insoweit Spielraum.

28.

Daher sei die Vorlagefrage anhand von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 zu beantworten. Danach setze, wenn die Maßnahme auf nationaler Ebene (wie in Bulgarien) die Mitwirkung eines Richters erfordere, ihre Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund einer EEA voraus, dass der Erlass dieser EEA ebenfalls einem Gericht vorbehalten sei.

V. Würdigung

A.   Einleitende Überlegungen

29.

Der Gerichtshof hat kürzlich zwei Urteile erlassen (das vom 8. Dezember 2020 ( 6 ) und das Urteil Prokuratuur), zu deren Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren die Parteien und die am Vorabentscheidungsverfahren Beteiligten angehört worden sind.

30.

Auch wenn sich die Fragen des vorlegenden Gerichts hier nicht unmittelbar auf das beziehen, was in diesen beiden Urteilen erörtert wurde, ist der Gerichtshof durch nichts daran gehindert, diesem Gericht auf der Grundlage der Akten und der ihm vorgelegten Erklärungen Hinweise zu nicht im Vorabentscheidungsersuchen behandelten Gesichtspunkten zu geben, wenn er dies für die Verbesserung seiner Zusammenarbeit mit dem Gericht für angemessen hält.

31.

Im Urteil vom 8. Dezember 2020 wurden die Zweifel, ob die Staatsanwaltschaft für die Anordnung einer EEA auch dann zuständig ist, wenn sie nicht den Status uneingeschränkter Unabhängigkeit von der Exekutive genießt, ausgeräumt ( 7 ).

32.

Daher stößt, wie auch immer die institutionelle Stellung der bulgarischen Staatsanwaltschaft im innerstaatlichen Recht sein mag, deren allgemeine Befugnis zum Erlass von EEA in der Richtlinie 2014/41 auf keine Hindernisse.

33.

Das Urteil Prokuratuur ist, auch wenn es nicht unmittelbar eine EEA betrifft, sondern eine rein nationale Ermittlungsmaßnahme ohne grenzüberschreitende Dimension (mit der die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten bestimmter elektronischer Kommunikationen anordnete), für den vorliegenden Fall von größerer Relevanz.

34.

In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 2002/58/EG ( 8 ) im Licht der Art. 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen ist, dass sie „einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Staatsanwaltschaft, deren Aufgabe darin besteht, das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu leiten und gegebenenfalls in einem späteren Verfahren die öffentliche Klage zu vertreten, dafür zuständig ist, einer Behörde für strafrechtliche Ermittlungen Zugang zu Verkehrs- und Standortdaten zu gewähren“.

35.

Insoweit hat der Gerichtshof u. a. Folgendes ausgeführt:

„[E]s [ist] unabdingbar, dass der Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den gespeicherten Daten einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterworfen wird und dass dessen oder deren Entscheidung auf einen mit Gründen versehenen, von den zuständigen nationalen Behörden insbesondere im Rahmen von Verfahren zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung von Straftaten gestellten Antrag ergeht.“ ( 9 )

„Diese vorherige Kontrolle setzt, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 105 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, u. a. voraus, dass das mit ihr betraute Gericht oder die mit ihr betraute Stelle über alle Befugnisse verfügt und alle Garantien aufweist, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass die verschiedenen einander gegenüberstehenden Interessen und Rechte in Einklang gebracht werden. Im Fall strafrechtlicher Ermittlungen verlangt eine solche Kontrolle, dass dieses Gericht oder diese Stelle in der Lage ist, für einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen, die sich aus den Erfordernissen der Ermittlungen im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung ergeben, und den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten der Personen, auf deren Daten zugegriffen wird, zu sorgen.“ ( 10 )

„Im strafrechtlichen Bereich impliziert das Erfordernis der Unabhängigkeit, wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 126 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, insbesondere, dass die mit der vorherigen Kontrolle betraute Behörde zum einen nicht an der Durchführung des fraglichen Ermittlungsverfahrens beteiligt ist und zum anderen eine Position der Neutralität gegenüber den Beteiligten am Strafverfahren hat.“ ( 11 )

„Bei einer Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren leitet und gegebenenfalls die öffentliche Klage vertritt, ist dies nicht der Fall. Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft besteht nämlich nicht darin, über eine Rechtssache in voller Unabhängigkeit zu entscheiden, sondern darin, sie gegebenenfalls als Beteiligte am Strafprozess dem zuständigen Gericht zu unterbreiten.“ ( 12 )

„Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft gemäß den Regeln über ihre Zuständigkeiten und ihren Status verpflichtet ist, die belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu prüfen sowie die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens zu gewährleisten, wobei sie nur an das Gesetz und die eigene Überzeugung gebunden ist, reicht nicht aus, um ihr die Stellung eines Dritten im Verhältnis zu den einander gegenüberstehenden Interessen in dem in Rn. 52 des vorliegenden Urteils beschriebenen Sinn zu verleihen.“ ( 13 )

36.

Zusammenfassend verneint der Gerichtshof, dass die Staatsanwaltschaft die Eigenschaft eines unabhängigen Dritten hat, wenn sie einerseits strafrechtliche Ermittlungsaufgaben wahrnimmt und andererseits in einem späteren Verfahren die öffentliche Klage vertritt. Daher kann ihr nicht die Zuständigkeit für die Genehmigung des Zugangs zu Verkehrs- und Standortdaten, die sich im Besitz von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste befinden, eingeräumt werden.

37.

Bei der Auslegung der Richtlinie 2014/41 darf das Urteil Prokuratuur nicht außer Acht gelassen werden.

38.

Im 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/41 wurde anerkannt, dass die Überwachung des elektronischen Kommunikationsverkehrs einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt. Genau aus diesem Grund machen verschiedene Mitgliedstaaten diese Ermittlungsmaßnahme unter Ausschluss anderer Behörden wie z. B. der Staatsanwaltschaft von der vorherigen Genehmigung eines Richters oder eines Gerichts abhängig.

39.

Wie ich weiter unten ausführlicher darlegen werde, darf die Anordnungsbehörde gemäß Art. 6 der Richtlinie 2014/41 nur dann eine EEA erlassen, wenn die darin angegebenen Ermittlungsmaßnahmen in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätten angeordnet werden können.

40.

Zu dieser Voraussetzung kommt nunmehr diejenige hinzu, die sich aus dem Urteil Prokuratuur für die Fälle ergibt, in denen kumulativ: a) die eine EEA erlassende Behörden zu einer Staatsanwaltschaft gehören, die die weiter oben genannte doppelte Voraussetzung erfüllt (Zuständigkeit für die Ermittlungen und spätere Vertretung der öffentlichen Klage), und b) die EEA eine Maßnahme zur Überwachung der elektronischen Kommunikation beinhaltet, die so intensiv ist wie die, die in dem genannten Urteil untersucht worden ist.

41.

In diesen Fällen kann die EEA selbst dann nicht von der Staatsanwaltschaft erlassen werden, wenn es ihr nach dem Recht ihres Mitgliedstaats gestattet ist, die Maßnahme zur Überwachung der elektronischen Kommunikation von sich aus ohne vorherige gerichtliche Kontrolle im eigentlichen Sinne anzuordnen.

B.   Würdigung

42.

Das vorlegende Gericht ersucht um Auslegung des Begriffs „Zuständigkeit“, der in beiden Ziffern des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 verwendet wird.

43.

In diesem Buchstaben wird die „Anordnungsbehörde“ für den Erlass einer EEA in zweifacher Hinsicht definiert:

Nach Ziff. i bezieht sich der Begriff auf „einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist“ ( 14 ).

In Ziff. ii wird der Begriff erweitert und „jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist“ ( 15 ), darunter gefasst.

44.

Das vorlegende Gericht führt dazu aus:

Hätte der Begriff „Zuständigkeit“ in beiden Ziffern dieselbe Bedeutung, würde die Richtlinie die Bestimmung der für den Erlass einer EEA zuständigen nationalen Behörde vollständig dem nationalen Recht zuweisen.

Aufgrund dieser Zuweisung werde in Bulgarien durch Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 ZEZR eine allgemeine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für den Erlass von EEA unabhängig von ihrem Gegenstand begründet.

Da nach bulgarischem Recht die Erhebung bestimmter Beweise in innerstaatlichen Strafverfahren nur durch einen Richter angeordnet werden könne, verstoße das ZEZR möglicherweise gegen den Äquivalenzgrundsatz und den Gleichbehandlungsgrundsatz: In bestimmten rein innerstaatlichen Fällen sei dem Bürger eine gerichtliche Mitwirkung garantiert, die ihm verwehrt wäre, wenn die Beweise aufgrund einer EEA erhoben würden.

45.

Ich kann akzeptieren, dass der Begriff „Zuständigkeit“ in beiden Ziffern des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 grundsätzlich dieselbe Tragweite hat. Beide betreffen die einer Behörde eingeräumte Berechtigung, die ihr gesetzlich zugewiesenen Befugnisse in einem Strafverfahren auszuüben.

46.

Die Ziff. i und ii des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 unterscheidet in Wirklichkeit (bzw. unmittelbar) nicht die Zuständigkeit„in dem [spezifischen] betreffenden Fall“, sondern die Behörde, die sie im jeweiligen Fall wahrnimmt.

47.

Der eigentliche Unterschied zwischen diesen Ziffern liegt darin, dass jeweils Kategorien von „Anordnungsbehörden“ geregelt sind, die nicht übereinstimmen: auf der einen Seite die Justizbehörden (Ziff. i) und auf der anderen die Nichtjustizbehörden (Ziff. ii) ( 16 ), die alle für die Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben in Strafverfahren zuständig sind:

Ziff. i bezeichnet als „Anordnungsbehörde“ für den Erlass einer EEA die „Justizbehörden“, die in Ausübung ihrer Befugnisse im Rahmen eines konkreten Strafverfahrens tätig werden.

Nach Ziff. ii hat „jede andere Behörde, die in dem betreffenden Fall zuständig ist“, die Eigenschaft einer „Anordnungsbehörde“ für den Erlass einer EEA. Bei dieser anderen Behörde handelt es sich natürlich nicht um eine Justizbehörde, und eine von ihr erlassene EEA kann nur dann an den Vollstreckungsstaat übermittelt werden, wenn sie ein Richter, ein Gericht oder ein Staatsanwalt validiert hat.

48.

Die „andere Behörde“ im Sinne von Ziff. ii muss nach nationalem Recht „in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren“ und „für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln“ zuständig sein, d. h., in einem Strafverfahren Zuständigkeiten wahrnehmen können, die bestimmten Verwaltungsbehörden vorbehalten sind (wie z. B. Polizeibehörden), sofern dies in der jeweiligen Rechtsordnung vorgesehen ist.

49.

In den Ziff. i und ii des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 wird mithin der Begriff der Zuständigkeit in einem einheitlichen Sinne verwendet (als Befugnisse, die einer öffentlichen Einrichtung zugewiesen sind), um sogleich eine Linie zwischen den eigenen Zuständigkeiten der verschiedenen in der jeweiligen Ziffer geregelten Behörden zu ziehen. Je nachdem, um welche Zuständigkeiten es sich dabei handelt, gelten für die Anordnung einer EEA unterschiedliche Voraussetzungen.

50.

Es steht außer Zweifel, dass ein Staatsanwalt, der in einem bestimmten Strafverfahren zuständig ist, gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 „Anordnungsbehörde“ für jede EEA sein kann.

51.

Genauso kann gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. ii „Anordnungsbehörde“ eine Nichtjustizbehörde sein, die, wie ich bereits ausgeführt habe, nach dem innerstaatlichen Recht Ermittlungsaufgaben in Strafverfahren wahrnimmt oder befugt ist, die Erhebung von Beweismitteln anzuordnen.

52.

Die Eigenschaft als „Anhörungsbehörde“ reicht allerdings für sich allein nicht dafür aus, dass Stellen, die diese Eigenschaft aufweisen, eine konkrete EEA erlassen und an den Vollstreckungsstaat übermitteln können. Auch hier ist wieder zwischen den Justizbehörden und den Nichtjustizbehörden, auf die sich Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 bezieht, zu unterscheiden.

53.

Wie ich bei anderer Gelegenheit ( 17 ) ausgeführt habe, wird „den Mitgliedstaaten zwar die Befugnis zuerkannt …, die [(Nichtjustiz‑)]Behörden zu benennen, die zur Ermittlung in Strafverfahren und zur Anordnung der Erhebung von Beweismitteln befugt sind, jedoch weist Art. 2 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 den dergestalt benannten Behörden nur die Aufgabe zu, eine EEA auszustellen, die ‚vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde … validiert‘ wird. Und diese Validierung muss ausdrücklich durch ein Gericht, einen Richter oder einen Staatsanwalt erfolgen.“ ( 18 )

54.

Mit anderen Worten kann das nationale Recht einer Nichtjustizbehörde, die zur Anordnung der Erhebung von Beweismitteln befugt ist, die allgemeine Eigenschaft einer „Anordnungsbehörde“ für eine EEA zuweisen. Eine von ihr erlassene EEA kann jedoch erst dann an den Vollstreckungsmitgliedstaat übermittelt werden, wenn sie von einer Justizbehörde validiert worden ist.

55.

Für Justizbehörden – sei es ein Richter oder ein Staatsanwalt – schreibt die Richtlinie 2014/41 keine Validierung des Beschlusses über die Ausstellung der einzelnen konkreten EEA vor, sondern knüpft die EEA an zwei Bedingungen, deren Erfüllung der Richter bzw. der Staatsanwalt, der sie erlassen will, selbst prüfen muss.

56.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 sieht unter der Überschrift „Bedingungen für den Erlass und die Übermittlung einer EEA“ vor, dass die Anordnungsbehörde nur dann eine EEA erlassen darf, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:

Erstens muss sie „notwendig und verhältnismäßig“ ( 19 ) sein und unter Berücksichtigung der Rechte der verdächtigen oder beschuldigten Person ergehen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a).

Zweitens muss sie eine Maßnahme zum Gegenstand haben, die „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen angeordnet werden“ kann (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b).

57.

Diese zweite Bedingung ist hier von besonderem Interesse. Die Richtlinie 2014/41 führt einen gewissen Gleichlauf ein, indem sie den Erlass einer EEA den Bedingungen unterstellt, die nach nationalem Recht für den Erlass einer entsprechenden Maßnahme gelten.

58.

Diese Bedingungen betreffen meines Erachtens die Regeln zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit und zur Ausgestaltung des Verfahrens, wie sie im nationalen Recht vorgesehen sind, aber auch und vor allem die Zuständigkeit, die das nationale Recht für die Anordnung einer Maßnahme, die der entspricht, die durch die EEA vollstreckt werden soll, auf interner Ebene vorsieht.

59.

Wenn der Anordnungsstaat im Rahmen der für einen vergleichbaren innerstaatlichen Fall geltenden Bedingungen vorsieht, dass nur ein Richter oder ein Gericht für die Anordnung einer bestimmten Ermittlungsmaßnahme zuständig ist, kann sie nur dann Gegenstand einer EEA sein, wenn die EEA von einem Richter oder einem Gericht erlassen wird ( 20 ).

60.

In diesem Sinne umreißt Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41 die Tragweite der „Zuständigkeit“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie.

61.

Aus der Zusammenschau beider Bestimmungen ergibt sich, dass die Justizbehörde (Richter oder Staatsanwalt), die im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 „in dem betreffenden Fall zuständig ist“, diejenige ist, die nach nationalem Recht befugt ist, in einer rein innerstaatlichen Angelegenheit dieselbe Maßnahme anzuordnen, die Gegenstand der EEA ist, um deren Erlass es geht.

62.

Mit anderen Worten entspricht die Zuständigkeit für den Erlass einer EEA genau derjenigen, die nach innerstaatlichem Recht für den Erlass einer nach Inhalt und Tragweite vergleichbaren Anordnung in einem rein internen Verfahren erforderlich ist.

63.

Die „Zuständigkeit“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 teilt sich mithin in a) die Zuständigkeit für die Mitwirkung an einem Strafverfahren auf der einen und b) die Zuständigkeit für die Anordnung einer bestimmten Maßnahme in diesem Verfahren auf der anderen Seite auf.

64.

So unterschiedlich die Regelungen des Europäischen Haftbefehls (im Folgenden: EHB) ( 21 ) und der EEA auch sein mögen: Auch das letztere Instrument erlaubt es der Staatsanwaltschaft nicht, im grenzüberschreitenden Bereich etwas zu tun, was ihr auf innerstaatlicher Ebene verwehrt ist ( 22 ).

65.

In der vorliegenden Rechtssache betrafen die von der bulgarischen Staatsanwaltschaft erlassenen EEA Maßnahmen, die in einem rein internen Fall nach nationalem Recht nur von einem Richter oder einem Gericht angeordnet werden dürfen. Wie bereits dargestellt, ging es konkret um vier EEA zur Übermittlung von Verkehrs- und Standortdaten zu bestimmten elektronischen Kommunikationen.

66.

Das bulgarische Recht, das unter diesen Umständen die Entscheidung, von einem Telefonanbieter den Zugang zu den Verkehrs- und Standortdaten der elektronischen Kommunikationen zu verlangen, einem Richter (und nicht der Staatsanwaltschaft) vorbehält, steht in vollem Einklang mit dem Unionsrecht.

67.

Das Urteil Prokuratuur bestätigt erforderlichenfalls, dass diese Regelung, was die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dieser spezifischen Ermittlungsmaßnahme betrifft, angemessen ist.

68.

Zusammenfassend kann die bulgarische Staatsanwaltschaft keine EEA erlassen und an einen anderen Mitgliedstaat übermitteln, um Beweise zu erlangen, deren Erhebung in Bulgarien einem Gericht vorbehalten wäre. Ihr fehlt es insoweit an der „Zuständigkeit“, die gemäß Art. 2 Buchst. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie eine Bedingung für ihre Anerkennung als „Anordnungsbehörde“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt.

VI. Ergebnis

69.

Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Buchst. c Ziff. i in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen ist dahin auszulegen, dass die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats keine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen kann, um Verkehrs- und Standortdaten elektronischer Kommunikationen zu erlangen, wenn nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats in einem vergleichbaren internen Fall die ausschließliche Zuständigkeit für die Anordnung einer solchen Beweiserhebung einem Richter oder einem Gericht vorbehalten ist.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. 2014, L 130, S. 1).

( 3 ) Das vorlegende Gericht stellt klar, dass es sich um Verkehrs- und Standortdaten handelt, die gemäß „dem 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/41 … und nach Art. 159a Abs. 1 NPK“ beantragt wurden.

( 4 ) Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C-584/19, EU:C:2020:1002).

( 5 ) Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation) (C-746/18, EU:C:2021:152, im Folgenden: Urteil Prokuratuur).

( 6 ) Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C-584/19, EU:C:2020:1002).

( 7 ) Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C-584/19, EU:C:2020:1002, Rn. 75 und Tenor): „Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41/EU … sind dahin auszulegen, dass unter die Begriffe ‚Justizbehörde‘ und ‚Anordnungsbehörde‘ im Sinne dieser Bestimmungen der Staatsanwalt eines Mitgliedstaats oder ganz allgemein die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats fällt, unabhängig davon, ob zwischen diesem Staatsanwalt oder dieser Staatsanwaltschaft und der Exekutive dieses Mitgliedstaats möglicherweise ein rechtliches Unterordnungsverhältnis besteht und dieser Staatsanwalt oder diese Staatsanwaltschaft der Gefahr ausgesetzt ist, im Rahmen des Erlasses einer Europäischen Ermittlungsanordnung unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.“

( 8 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung.

( 9 ) Urteil Prokuratuur (Rn. 51).

( 10 ) Ebd. (Rn. 52).

( 11 ) Ebd. (Rn. 54).

( 12 ) Ebd. (Rn. 55).

( 13 ) Ebd. (Rn. 56).

( 14 ) Hervorhebung nur hier.

( 15 ) Hervorhebung nur hier.

( 16 ) Wie in den Schlussanträgen in der Rechtssache Staatsanwaltschaft Wien (Gefälschte Überweisungsaufträge) (C‑584/19, EU:C:2020:587, im Folgenden: Schlussanträge Staatsanwaltschaft Wien, Nr. 32, Fn. 16) verwende ich aus Vereinfachungsgründen die Bezeichnungen „Justiz-/justiziell“ und „Nichtjustiz-/nicht justiziell“, denn sie entsprechen der Natur der unter die jeweilige Kategorie fallenden Stellen.

( 17 ) Schlussanträge in der Rechtssache Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (C‑66/20, EU:C:2021:200).

( 18 ) Ebd. (Nr. 75). Hervorhebung nur hier.

( 19 ) Die „Notwendigkeit“ und die „Verhältnismäßigkeit“ sind im Hinblick auf die Ziele der in Art. 4 der Richtlinie 2014/41 angeführten Verfahren zu beurteilen. Hierzu gehören „Strafverfahren, die eine Justizbehörde wegen einer nach dem nationalen Recht des Anordnungsstaats strafbaren Handlung eingeleitet hat oder mit denen sie befasst werden kann“ (Art. 4 Buchst. a).

( 20 ) Außerdem wird im 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/41 eingeräumt, dass aus der Perspektive des Vollstreckungsstaats die Überwachung der elektronischen Kommunikation „gemäß dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats als invasive Ermittlungsmaßnahme betrachtet werden“ kann.

( 21 ) Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung.

( 22 ) Mit den Unterschieden zwischen den rechtlichen Regelungen der EHB und der EEA habe ich mich in den Schlussanträgen Staatsanwaltschaft Wien (Nrn. 46 bis 65) befasst. Ich habe die Ansicht vertreten, dass die Staatsanwaltschaft „[als Voraussetzung für den Erlass eines EHB] nicht einen polizeilichen Haftbefehl bestätigen [kann], dessen Bedingungen und Wirkungen über jene der Festsetzungen hinausgehen, die sie selbst anordnen kann“ (Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen OG und PI [Staatsanwaltschaften Lübeck und Zwickau], C‑508/18 und C‑82/19 PPU, EU:C:2019:337, Nr. 54). Es wäre in der Tat widersinnig, „wenn sie nicht die weniger einschneidende Maßnahme (die Ausstellung eines kurzzeitig wirkenden nationalen Haftbefehls), wohl aber die einschneidendere Maßnahme (die Ausstellung eines EHB, der zu einer weitaus längeren Freiheitsentziehung führen kann) treffen könnte“ (ebd., Nr. 76). Nicht weniger widersinnig wäre es meines Erachtens, wenn die Staatsanwaltschaft von sich aus in einem anderen Mitgliedstaat eine Beweiserhebung verlangen könnte, für die sie in ihrem eigenen Staat die Genehmigung eines Gerichts einholen müsste.

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