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Document 62018CC0641

Schlussanträge des Generalanwalts M. Szpunar vom 14. Januar 2020.
LG u. a. gegen Rina SpA und Ente Registro Italiano Navale.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Genova.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 1 Abs. 1 – Begriffe ‚Zivil- und Handelssachen‘ und ‚verwaltungsrechtliche Angelegenheiten‘ – Geltungsbereich – Tätigkeiten der Schiffsklassifikations- und -zertifizierungsgesellschaften – Acta iure imperii und acta iure gestionis – Hoheitliche Befugnisse – Staatenimmunität.
Rechtssache C-641/18.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:3

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 14. Januar 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑641/18

LG

gegen

Rina SpA,

Ente Registro Italiano Navale

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Genova [Gericht von Genua, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Sachlicher Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Immunität – Tätigkeiten der mit der Klassifikation und Zertifizierung von Schiffen beauftragten Gesellschaften“

I. Einleitung

1.

Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ( 2 ) bestimmt in Anlehnung an den Wortlaut anderer Normen des internationalen Privatrechts der Union, dass sie „in Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden ist. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Rechtsprechung zur Bestimmung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung.

2.

Die Zweifel des vorlegenden Gerichts hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 44/2001 beruhen auf einer von den Beklagten des Ausgangsverfahrens erhobenen Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit. Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof im Wesentlichen, zu der Verknüpfung zwischen einem Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts und einer Norm des internationalen Privatrechts der Union Stellung zu nehmen.

3.

Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht namentlich wissen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Antwort auf die Vorlagefrage durch das Bestreben, das durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta) garantierte Recht auf Zugang zu den Gerichten sicherzustellen, beeinflusst werden kann. So gesehen spiegelt diese Frage die aktuelle Diskussion über den Einfluss der Menschenrechte auf das internationale Privatrecht wider.

4.

Die Vorlage zur Vorabentscheidung gibt dem Gerichtshof somit Gelegenheit, die Position des internationalen Privatrechts der Union innerhalb des internationalen Rechts im weiten Sinne zu bestimmen. In diesen Schlussanträgen schlage ich dem Gerichtshof vor, sowohl die Verordnung Nr. 44/2001 als auch das Völkergewohnheitsrecht so auszulegen, dass sein Urteil einen Beitrag zur Entwicklung des internationalen Rechts im Allgemeinen bildet.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Völkerrecht

5.

Das am 10. Dezember 1982 in Montego Bay geschlossene Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ( 3 ) (im Folgenden: Montego-Bay-Übereinkommen) bildet einen wesentlichen Teil des Seerechts. Es trat am 16. November 1994 in Kraft und wurde im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 98/392/EG ( 4 ) genehmigt.

6.

Nach Art. 90 des Montego-Bay-Übereinkommens hat jeder Staat das Recht, Schiffe, die seine Flagge führen, auf der Hohen See fahren zu lassen. Nach Art. 91 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens legt jeder Staat namentlich die Bedingungen fest, zu denen er Schiffen das Recht einräumt, seine Flagge zu führen, und stellt den Schiffen, denen er das Recht einräumt, seine Flagge zu führen, entsprechende Dokumente aus.

7.

Nach Art. 94 Abs. 1 übt jeder Staat seine Hoheitsgewalt und Kontrolle in verwaltungsmäßigen, technischen und sozialen Angelegenheiten über die seine Flagge führenden Schiffe wirksam aus, und nach Art. 94 Abs. 3 bis 5 des Übereinkommens ergreift der Staat für die seine Flagge führenden Schiffe die Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Sicherheit auf See erforderlich sind. Diese Maßnahmen müssen insbesondere sicherstellen, dass jedes Schiff vor der Eintragung in das Schiffsregister und danach in angemessenen Abständen von einem befähigten Schiffsbesichtiger besichtigt wird. Wenn ein Staat diese Maßnahmen ergreift, ist er verpflichtet, sich an die allgemein anerkannten internationalen Vorschriften, Verfahren und Gebräuche zu halten.

8.

Insoweit hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See ( 5 ) (im Folgenden: SOLAS-Übereinkommen), dem alle Mitgliedstaaten als Vertragsparteien beigetreten sind, hauptsächlich zum Ziel, die Mindestnormen für den Bau, die Ausrüstung und den Betrieb der Schiffe festzulegen, die mit ihrer Sicherheit vereinbar sind.

9.

Nach Regel 3-1, Teil A-1, Kapitel II-1 dieses Übereinkommens müssen Schiffe in Übereinstimmung mit den baulichen, mechanischen und elektrischen Vorschriften einer von der Verwaltung – d. h., nach dem Wortlaut des Übereinkommens, von der Regierung des Staates, dessen Flagge das Schiff zu führen berechtigt ist – nach Regel XI/1 anerkannten Klassifikationsgesellschaft oder mit geltenden innerstaatlichen Normen der Verwaltung, die ein gleichwertiges Sicherheitsniveau gewährleisten, entworfen, gebaut und instandgehalten werden.

10.

Regel 6 Kapitel I des SOLAS-Übereinkommens bestimmt:

„a)

Soweit es sich um die Anwendung dieser Regeln und um die etwaige Befreiung davon handelt, erfolgt die Überprüfung und Besichtigung von Schiffen durch Bedienstete der Verwaltung. Die Verwaltung kann jedoch die Überprüfung und Besichtigung den für diesen Zweck ernannten Besichtigern oder den von ihr anerkannten Stellen übertragen.

b)

Eine Verwaltung, die zur Durchführung von Überprüfungen und Besichtigungen nach Buchstabe a Besichtiger ernennt oder Stellen anerkennt, ermächtigt jeden ernannten Besichtiger und jede anerkannte Stelle mindestens,

i)

die Reparatur eines Schiffes zu verlangen;

ii)

Überprüfungen und Besichtigungen durchzuführen, wenn sie von den zuständigen Behörden eines Hafenstaats darum ersucht werden.

Die Verwaltung teilt der Organisation die besonderen Verantwortlichkeiten und Bedingungen der den ernannten Besichtigern oder anerkannten Stellen übertragenen Befugnis mit.

c)

Stellt ein ernannter Besichtiger oder eine anerkannte Stelle fest, dass der Zustand des Schiffes oder seiner Ausrüstung nicht im Wesentlichen den Angaben des Zeugnisses entspricht oder so ist, dass das Schiff nicht geeignet ist, ohne Gefahr für das Schiff oder die an Bord befindlichen Personen in See zu gehen, so stellt der Besichtiger oder die Stelle sofort sicher, dass Abhilfemaßnahmen getroffen werden, und unterrichtet rechtzeitig die Verwaltung. Werden keine Abhilfemaßnahmen getroffen, so soll das betreffende Zeugnis eingezogen werden, und die Verwaltung wird sofort unterrichtet …

d)

In jedem Fall übernimmt die Verwaltung die volle Gewähr für die Vollständigkeit und Gründlichkeit der Überprüfung und Besichtigung und verpflichtet sich, für die erforderlichen Vorkehrungen zur Erfüllung dieser Pflicht zu sorgen.“

B.   Unionsrecht

11.

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet: „Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.“

12.

Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung sind „[v]orbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung … Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen“.

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefrage

13.

Das Schiff Al Salam Boccaccio ’98, das die Flagge der Republik Panama führte, erlitt 2006 im Roten Meer Schiffbruch, bei dem mehr als 1000 Menschen zu Schaden kamen. Familienangehörige der Opfer und überlebende Passagiere verklagten die Rina SpA und die Ente Registro Italiano Navale vor dem vorlegenden Gericht, dem Tribunale di Genova (Gericht von Genua, Italien).

14.

Die Kläger machten vor dem vorlegenden Gericht geltend, die von den Beklagten ausgeübten Tätigkeiten der Zertifizierung und Klassifikation sowie ihre Entscheidungen und Anweisungen hätten zur Instabilität des Schiffes und zu seiner unsicheren Navigation und damit zu seinem Untergang geführt. Die Kläger begehren Ersatz der durch den Schiffbruch erlittenen materiellen und immateriellen Schäden.

15.

Die Beklagten bestreiten die Ansprüche der Kläger, indem sie insbesondere die Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit erheben. Sie tragen vor, sie seien aufgrund von Tätigkeiten der Zertifizierung und Klassifikation verklagt worden, die sie als Beauftragte eines souveränen ausländischen Staates, der Republik Panama, erbracht hätten. Diese Tätigkeiten stellten eine Wahrnehmung der Hoheitsrechte des ausländischen Staates dar und seien von ihnen im Namen und im Interesse dieses Staates verrichtet worden.

16.

Die Kläger entgegnen auf die von den Beklagten erhobene Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit, dass das italienische Gericht gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 für die Entscheidung über ihre Anträge zuständig sei. Erstens sei diese Verordnung nur dann nicht anwendbar, wenn der Rechtsstreit, wie es in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung heiße, Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten betreffe. Zweitens erfasse die Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit nicht solche Tätigkeiten, für die technische Regeln gälten, bei deren Verrichtung kein Ermessen bestehe und die jedenfalls nichts mit den politischen Entscheidungen und den Befugnissen eines souveränen Staates zu tun hätten. Drittens handele es sich bei den Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung nicht um Handlungen, die im Hinblick auf Art. 47 der Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) und den 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/15/EG ( 6 ) in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen würden.

17.

Unter diesen Umständen hat das Tribunale di Genova (Gericht von Genua) mit Entscheidung vom 28. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 2018, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 – auch im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte, des Art. 6 Abs. 1 EMRK und des 16. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2009/15 – dahin auszulegen, dass sich ein Gericht eines Mitgliedstaats für die Entscheidung über eine auf Haftung für unerlaubte Handlung gestützte Klage auf Schadensersatz für durch den Schiffbruch einer Personenfähre verursachte Todesfälle und Personenschäden nicht mit der Begründung für unzuständig erklären kann, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässige privatrechtliche Organisationen und juristische Personen, die Tätigkeiten der Klassifikation und/oder Zertifizierung ausüben, von der Gerichtsbarkeit befreit sind, weil sie diese Tätigkeiten für einen Drittstaat ausüben?

18.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die französische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Verfahrensbeteiligten waren auch in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2019 vertreten.

IV. Untersuchung

19.

Die Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob es aufgrund der von den Beklagten erhobenen Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit darauf verzichten muss, im Ausgangsrechtsstreit eine Entscheidung zu fällen, oder ob es die Verordnung Nr. 44/2001 aufgrund des Sitzes der Beklagten im Gerichtsstaat und der in Art. 47 der Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 EMRK getroffenen Regelung für auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar erklären und seine Zuständigkeit für diesen Rechtsstreit auf Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung stützen muss.

20.

Zwar erweckt die Formulierung der Vorlagefrage a priori den Eindruck, als ob das vorlegende Gericht sich ausschließlich fragt, ob es aufgrund der von den Beklagten erhobenen Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit verpflichtet ist, die Ausübung seiner sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit abzulehnen. So gesehen würde die Vorlagefrage die sachliche Anwendbarkeit dieser Verordnung auf den vorliegenden Fall voraussetzen.

21.

Aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens ergibt sich jedoch, dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 betreffen. Seinen eigenen Worten nach möchte das Gericht wissen, ob der Begriff „verwaltungsrechtliche Angelegenheiten“ in Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung die von den Beklagten im Auftrag eines Drittstaats verrichteten streitigen Tätigkeiten umfasst oder nicht.

22.

Im Übrigen nimmt das vorlegende Gericht in der Vorlagefrage namentlich auf Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 Bezug. Damit spielt es zweifellos darauf an, dass die Beklagten im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des vorlegenden Gerichts, nämlich in Italien ansässig sind.

23.

Dies vorausgeschickt, ist der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 derselbe für alle in dieser Verordnung vorgesehenen Zuständigkeiten. Die mögliche Bedeutung dieses Umstands für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen beruht darauf, dass sich aus ihm eine Verbindung, ja sogar eine Nähe zwischen dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und dem Hoheitsgebiet des Gerichtsstaats und damit der Union ergibt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass diese Verbindung Auswirkungen auf das Recht auf Zugang zu den Gerichten im Hinblick auf die Immunität hat ( 7 ).

24.

Tatsächlich weist das vorlegende Gericht auf die von den Beklagten erhobene Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit hin, weil es wissen möchte, ob es aufgrund dieser Einrede die Ausübung seiner sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit ablehnen kann.

25.

Aufgrund dieser Erwägungen ist zunächst die Zulässigkeit der Vorlagefrage zu prüfen (Abschnitt A). Sodann ist im Interesse einer zweckdienlichen Beantwortung dieser Frage erstens zu untersuchen, wie sich der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität zu dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 verhält (Abschnitt B); zweitens ist zu prüfen, ob eine Schadensersatzklage gegen privatrechtliche Organisationen wegen ihrer Tätigkeiten der Klassifikation und/oder Zertifizierung in diesen Anwendungsbereich fällt (Abschnitt C); für den Fall der Bejahung dieser Frage ist drittens der Frage nachzugehen, ob ein innerstaatliches Gericht es aufgrund der von diesen Organisationen geltend gemachten Immunität ablehnen muss, die sich aus einer Bestimmung dieser Verordnung ergebende Zuständigkeit auszuüben (Abschnitt D) ( 8 ).

A.   Zur Zulässigkeit

26.

Nach Auffassung der Beklagten ist das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig. Sie machen erstens geltend, dass das vorlegende Gericht seine Befugnis, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, nur dann hätte ausüben können, wenn es die Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit zurückgewiesen hätte. Jedenfalls bestehe kein Zusammenhang zwischen den Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, um deren Auslegung ersucht werde, und der im Ausgangsverfahren aufgrund des Völkergewohnheitsrechts erhobenen Einrede der Staatenimmunität. Zweitens betreffe das Vorabentscheidungsersuchen nicht die angebliche Unvereinbarkeit einer unionsrechtlichen Bestimmung mit einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts. Drittens schließlich sei diese Verordnung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur auf Rechtsstreitigkeiten wegen Haftung für Handlungen iure gestionis anwendbar, und für die sachliche Entscheidung über die Natur der streitigen Handlungen sei ausschließlich das vorlegende Gericht zuständig.

27.

Ich teile die Einwände der Beklagten gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens nicht.

28.

Was erstens ihr Vorbringen betrifft, dass das Tribunale di Genova (Gericht von Genua) selbst über die Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit hätte entscheiden müssen und dass kein Zusammenhang zwischen dieser Einrede und der Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 bestehe, scheint mir dieses Vorbringen auf der Annahme zu beruhen, dass dann, wenn einer auf diese Immunität gestützten Einrede stattgegeben wird, die Notwendigkeit entfällt, die Zuständigkeitsvorschriften des Unionsrechts, des Vertragsrechts oder des innerstaatlichen Rechts zu prüfen, um festzustellen, ob das angerufene Gericht den Rechtsstreit entscheiden kann oder nicht ( 9 ).

29.

Dies vorausgeschickt, hatte der Gerichtshof in der Rechtssache, die zu dem Urteil Lechouritou u. a. ( 10 ) geführt hat, zunächst über den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ( 11 ) und sodann über die Anwendbarkeit dieses Übereinkommens auf den Rechtsstreit zu entscheiden, bei dem eine Partei Immunität genoss. In Beantwortung der Frage nach dem Anwendungsbereich dieses Übereinkommens hat der Gerichtshof diese Frage nicht für unzulässig gehalten. In jener Rechtssache war die Qualifizierung der streitigen Handlungen als Handlungen iure imperii allerdings weniger streitig als bei den Handlungen, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht. Ebenso hat der Gerichtshof im Urteil Mahamdia ( 12 ) die Auslegung einer Zuständigkeitsvorschrift der Verordnung Nr. 44/2001 vorgenommen, obwohl das vorlegende Gericht nach den Worten des Gerichtshofs nur „angenommen“ hatte, dass sich der beklagte Staat angesichts des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits nicht auf seine Immunität berufen konnte.

30.

In der Tat besteht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts, und der Gerichtshof hat es nur in seltenen und außergewöhnlichen Fällen abgelehnt, diese zu beantworten, namentlich wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist ( 13 ). In der vorliegenden Rechtssache lässt sich ebenso wie in den erwähnten Rechtssachen nicht feststellen, dass es an einem tatsächlichen und direkten Zusammenhang zwischen den Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits fehlt.

31.

Was zweitens das Argument angeht, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil es nicht die angebliche Unvereinbarkeit zwischen dem Unionsrecht und dem innerstaatlichen Recht betreffe, genügt der Hinweis darauf, dass dieses Vorbringen die Natur der Vorlage verkennt. Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens beurteilt der Gerichtshof weder die Auslegung des nationalen Rechts noch dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ( 14 ).

32.

Schließlich nimmt die an dritter Stelle geäußerte Auffassung, dass die Verordnung Nr. 44/2001 auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar sei, die Antwort auf die Vorlagefrage vorweg. Wie die Diskussion zwischen den Parteien zeigt, ist jedoch keineswegs klar, ob die Tätigkeiten der Klassifikation und der Zertifizierung Handlungen iure imperii darstellen, so dass sie nicht von dem Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 erfasst werden. Und obwohl allein das vorlegende Gericht für die Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zuständig ist, kann der Gerichtshof in seiner Antwort auf eine Vorlagefrage aufgrund der ihm übertragenen Aufgabe Klarstellungen vornehmen, um dieses Gericht bei seiner Auslegung zu unterstützen.

33.

Somit ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

B.   Zur Verknüpfung zwischen dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität und dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001

1. Der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität

34.

Die Immunität stellt ein Prozesshindernis dar, durch das vermieden wird, dass die Gerichte eines Staates über die Haftung eines anderen Staates entscheiden. Sie beruht auf dem völkerrechtlichen Grundsatz par in parem non habet imperium, ein Gleicher hat unter Gleichen keine Befehlsgewalt ( 15 ).

35.

Der Gerichtshof hat diese Auslegung der Staatenimmunität im Urteil Mahamdia ( 16 ) bestätigt. Ferner hat er allgemein klargestellt, dass die Staatenimmunität beim gegenwärtigen Stand der internationalen Praxis nicht absolut gilt und dann ausgeschlossen sein kann, wenn sich der gerichtliche Rechtsbehelf auf acta iure gestionis bezieht, die nicht unter die hoheitlichen Befugnisse fallen ( 17 ). Auf diese Weise hat er stillschweigend anerkannt, dass die Theorie der relativen Immunität an die Stelle der Theorie der absoluten Immunität tritt, die besagt, dass einem Staat unabhängig von der Natur der Handlungen, wegen deren seine Haftung geltend gemacht wird, Immunität zukommt.

36.

Insoweit muss ich klarstellen, dass die von den Beklagten des Ausgangsrechtsstreits geltend gemachte Staatenimmunität nicht auf die staatliche Natur der Person, die sich darauf beruft, gestützt wird, sondern auf die Natur der tatsächlich von dieser Person verrichteten Aufgaben (funktionelle Immunität oder Immunität ratione materiae). Es kann allerdings gesagt werden, dass die Staatenimmunität, die mit der Ausübung hoheitlicher Rechte zusammenhängt, bei Anerkennung einer relativen Immunität, die auf der Unterscheidung zwischen Handlungen iure imperii und Handlungen iure gestionis beruht, grundsätzlich funktionellen Charakter hat.

37.

Zwar wird die auf dieser Unterscheidung beruhende relative Immunität im Völkerrecht offensichtlich allgemein anerkannt ( 18 ), die Bestimmung des genauen Umfangs dieser Immunität ist jedoch aufgrund der unklaren Natur dieser Unterscheidung schwierig. Diese Schwierigkeit verstärkt sich, wenn man zum einen ein vermehrtes privatrechtliches Auftreten des modernen Staates und zum anderen die Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben auf wirtschaftliche Marktteilnehmer berücksichtigt, was Zweifel daran wecken kann, dass sie Privatpersonen rein kaufmännisch gegenübertreten.

38.

Diese Schwierigkeit erklärt auch, weshalb den Kodifizierungen des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität kein großer Erfolg beschieden war. Das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität ( 19 ) (im Folgenden: Übereinkommen von Basel) wurde nur von einigen europäischen Staaten unterzeichnet, und das Übereinkommen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens ( 20 ) (im Folgenden: Übereinkommen von New York) ist noch nicht einmal in Kraft getreten. Die Bestimmungen dieses Übereinkommens werden bisweilen als Ausdruck der Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts angesehen ( 21 ). Auch wenn dieses Übereinkommen als Grundlage für die Ermittlung der allgemeinen Tendenzen des Immunitätsrechts dienen kann, bildet es kaum eine Quelle für verbindliche und spezielle Informationen, insbesondere was diejenigen Bestimmungen angeht, gegen die schon während seiner Ausarbeitung Einwände erhoben wurden ( 22 ). Dies war namentlich bei den genauen Kriterien für die Unterscheidung zwischen Transaktionen iure imperii und Transaktionen iure gestionis der Fall ( 23 ).

39.

Jedenfalls unterliegt der Grundsatz der Staatenimmunität mangels einer internationalen Kodifizierung nach wie vor weitgehend dem Völkergewohnheitsrecht.

2. Der Einfluss des Völkergewohnheitsrechts auf den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001

40.

Gemäß Art. 3 Abs. 5 EUV leistet die Union einen Beitrag zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts. Folglich ist sie beim Erlass eines Rechtsakts verpflichtet, das gesamte Völkerrecht einschließlich des die Organe der Union bindenden Völkergewohnheitsrechts zu beachten ( 24 ). Deshalb hat der Gerichtshof entschieden, dass die Auslegung der Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts und die Festlegung seines Anwendungsbereichs im Licht der einschlägigen Vorschriften des Völkerrechts zu erfolgen haben ( 25 ).

41.

Nichts hindert jedoch den Gesetzgeber, Zuständigkeitsvorschriften zu erlassen, die sachlich auf Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, bei denen sich eine Partei auf die Befreiung von der Gerichtsbarkeit berufen kann ( 26 ), denn das Völkergewohnheitsrecht verlangt nur, dass gegen eine solche Prozesspartei kein Gerichtsverfahren gegen ihren Willen durchgeführt wird ( 27 ).

42.

Folglich darf die Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 im Licht des Völkergewohnheitsrechts nicht dazu führen, dass sich der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht auf Rechtsstreitigkeiten erstreckt, bei denen sich eine Partei auf die Befreiung von der Gerichtsbarkeit berufen kann. Außerdem ist die Frage, ob diese Verordnung sachlich auf einen Rechtsstreit anwendbar ist, von vornherein von der Frage zu unterscheiden, ob die sich aus dieser Verordnung ergebende Zuständigkeit in diesem Rechtsstreit ausgeübt werden kann.

43.

Zwar legt das Urteil Mahamdia ( 28 ) zunächst den Gedanken nahe, dass der Unionsgesetzgeber gleichwohl die Lösung gewählt hat, wonach der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ mit dem negativen Bereich der Immunität zusammenfällt ( 29 ). In diesem Urteil hat er zunächst eine Unterscheidung zwischen der Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 in einem gegebenen Rechtsstreit und dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung im Hinblick auf diesen Rechtsstreit getroffen und sodann offenbar ausgeführt, dass die Fragen, ob die Staatenimmunität der Anwendung dieser Verordnung entgegensteht und ob diese sachlich anwendbar ist, aufgrund der einmaligen Prüfung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens beantwortet werden können.

44.

Ich verstehe dieses Urteil allerdings erstens so, dass bei Rechtsstreitigkeiten, die a priori unter die Verordnung Nr. 44/2001 fallen – was unbestreitbar für Rechtsstreitigkeiten über privatrechtliche Verträge wie Arbeitsverträge gilt ( 30 ) –, sobald feststeht, dass die Immunität der Anwendung dieser Verordnung nicht entgegensteht, diese a fortiori in dem betreffenden Rechtsstreit anzuwenden ist.

45.

Zweitens würde die Auffassung, dass der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 mit dem negativen Bereich der Immunität zusammenfällt, die in dieser Verordnung getroffene wesentliche Unterscheidung zwischen Rechtsstreitigkeiten, die Zivil- und Handelssachen betreffen, und solchen, die keine Zivil- und Handelssachen betreffen, in Frage stellen. Um diesen Gedanken zu veranschaulichen: Auch wenn streitig ist, ob sich eine Gebietskörperschaft auf die Staatenimmunität berufen kann, geht sie doch einer Verwaltungstätigkeit nach ( 31 ). In diesem Rahmen kann sie hoheitliche Befugnisse ausüben. Muss man deshalb annehmen, dass alle Handlungen der Gebietskörperschaften aufgrund des Umstands, dass sie keine Staatenimmunität besitzen können, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen?

46.

Drittens geht es bei der umstrittenen Frage des Rechts der Staatenimmunität darum, ob die Qualifizierung der streitigen Handlungen nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts oder anhand der im Völkerrecht entwickelten Lösungen vorzunehmen ist ( 32 ). Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage muss bei der Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 die Unterscheidung zwischen Rechtsstreitigkeiten, die Zivil- und Handelssachen betreffen, und solchen, die keine Zivil- und Handelssachen betreffen, anhand der vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung herausgearbeiteten autonomen Kriterien des Unionsrechts vorgenommen werden. Folglich ist eine Handlung, die im Licht des Immunitätsrechts in Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii) vorgenommen wird, nicht zwingend eine Handlung, die nach diesen autonomen Kriterien des Unionsrechts in Ausübung hoheitlicher Rechte vorgenommen wird.

47.

Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, dass sich der Unionsgesetzgeber vom Völkergewohnheitsrecht hätte leiten lassen können, um daraus allgemeine Lehren für die Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis zu ziehen. Er hat jedoch das Konzept der Immunität nicht benutzt, um die Tragweite der Vorschriften über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug und besonders den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 genau zu definieren.

48.

Deshalb halte ich es nicht für erforderlich, im Rahmen der Überlegungen über den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität heranzuziehen.

C.   Zum sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001

1. Der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ und die in Ausübung hoheitlicher Rechte vorgenommenen Handlungen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs

49.

Das vorlegende Gericht führt in seiner Begründung der Vorlagefrage wie oben in Nr. 21 dargelegt aus, dass es hier darum gehe, festzustellen, ob Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „verwaltungsrechtliche Angelegenheiten“ im Sinne dieser Bestimmung die von den Beklagten im Auftrag eines Drittstaats verrichteten streitigen Tätigkeiten umfasst.

50.

Ferner verweist das vorlegende Gericht auf das Vorbringen der Beklagten, sie hätten die Tätigkeiten der Klassifikation und der Zertifizierung in Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii) verrichtet, da sie im Auftrag und für einen Drittstaat gehandelt hätten. Das vorlegende Gericht nimmt an, dass die Beklagten im Auftrag und für einen Drittstaat gehandelt haben, hat jedoch Zweifel bezüglich der Qualifizierung der Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung als „Tätigkeiten im Rahmen hoheitlicher Befugnisse“ und damit bezüglich seiner Verpflichtung, die von den Beklagten geltend gemachte Befreiung von der Gerichtsbarkeit anzuerkennen.

51.

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 nimmt nicht ausdrücklich auf die Handlungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii) und auf die Haftung für solche Handlungen Bezug, sondern schreibt lediglich vor, dass diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden ist (Satz 1) und dass sie insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten erfasst (Satz 2) ( 33 ).

52.

Wie aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 hervorgeht, hatte der Unionsgesetzgeber die Absicht, den in Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung enthaltenen Begriff „Zivil- und Handelssachen“ und damit den Anwendungsbereich der Verordnung weit zu fassen ( 34 ). Dies führt dazu, dass Klagen auf Schadensersatz grundsätzlich zu den Zivil- und Handelssachen gehören und damit in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallen ( 35 ). Ferner hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass der Anwendungsbereich dieser Verordnung im Wesentlichen durch die Natur der zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Rechtsbeziehungen oder durch dessen Gegenstand abgegrenzt wird ( 36 ).

53.

Wenn man von diesem letzten Punkt ausginge, würden praktisch alle Schadensersatzklagen vorbehaltlich der in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 genannten Ausnahmen unausweichlich in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Dies würde umso mehr für Klagen Dritter gelten, die im Allgemeinen vor Eintritt des in Rede stehenden Schadens keine Rechtsbeziehung zu dem angeblichen Schädiger hatten, so dass die einzige zwischen ihnen bestehende Beziehung die ist, die sich aus dem schädigenden Ereignis ergibt.

54.

Erstens ist jedoch festzustellen, dass sich eine Schadensersatzklage grundsätzlich gegen die Handlungen richtet, auf denen der von einer der Prozessparteien geltend gemachte Schaden beruht. Eine Klage kann nicht aufgrund der Natur solcher Handlungen von dem Begriff „Zivil- und Handelssachen“ ausgeschlossen werden, damit die Verordnung Nr. 44/2001 auf den Rechtsstreit, in dem sie erhoben wird, anwendbar wird ( 37 ).

55.

Zweitens enthält die Verordnung Nr. 44/2001 keinen Hinweis auf Handlungen iure imperii, im Gegensatz zu der ihr nachfolgenden Verordnung Nr. 1215/2012, die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass sie u. a. nicht anzuwenden ist auf „die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii)“.

56.

Durch die Neuformulierung des Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 wurde der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 im Verhältnis zu dem der Verordnung Nr. 44/2001 nicht verändert. Die Hinzufügung der Handlungen iure imperii bildet nur eine Klarstellung ( 38 ), so dass die Art. 1 Abs. 1 dieser beiden Verordnungen als gleichwertig angesehen werden können ( 39 ).

57.

Die Aufzählung der Steuer- und Zollsachen und der verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 44/2001 ist nicht abschließend und veranschaulicht nur die Rechtsgebiete, auf denen es zu Streitigkeiten kommen kann, die nicht Zivil- und Handelssachen betreffen. Vor dieser Aufzählung steht das Wort „insbesondere“, und die betroffenen Rechtsgebiete werden im Übrigen [in der französischen Fassung] durch das Wort „oder“ getrennt.

58.

Somit müssen zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 44/2001 die Gemeinsamkeiten zwischen den in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 genannten Rechtsgebieten herausgefunden werden, und es ist davon auszugehen, dass diese e contrario das Rechtsgebiet der Zivil- und Handelssachen definieren ( 40 ).

59.

Genau dieser Logik ist der Gerichtshof gefolgt, als er in seiner umfangreichen Rechtsprechung zu Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 wiederholt entschieden hat, dass die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits einen solchen Rechtsstreit von den Zivil- und Handelssachen im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ausschließt, da diese Partei Befugnisse ausübt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen ( 41 ). Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ die Klage einer Steuerbehörde eines Mitgliedstaats auf Ersatz des Schadens erfasst, der durch eine haftungsauslösende unerlaubte Verabredung zur Hinterziehung von in dem betreffenden Mitgliedstaat geschuldeter Mehrwertsteuer entstanden ist, sofern diese Behörde im Rahmen ihrer Klage den Beklagten wie ein Privater gegenübersteht ( 42 ). Ich entnehme daraus, dass für die Feststellung, ob die Verordnung Nr. 44/2001 in einem Rechtsstreit anwendbar ist, nicht auf das Rechtsgebiet abzustellen ist, zu dem die Handlung gehört, für die die Haftung geltend gemacht wird. Zu fragen ist vielmehr, ob diese Handlung in Wahrnehmung von Hoheitsrechten vorgenommen wurde.

60.

Die Frage, ob die Verordnung Nr. 44/2001 im Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, ist anhand dieser Rechtsprechung zu beantworten. Erstens ist zu prüfen, worin die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung, die den Ursprung dieses Rechtsstreits bilden und für die die Haftung geltend gemacht wird, bestehen. Sodann ist zu untersuchen, ob diese Handlungen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Ausübung hoheitlicher Rechte vorgenommen wurden.

2. Die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung

61.

Die Verpflichtungen der Staaten zur Klassifikation und Zertifizierung der ihre Flagge führenden Schiffe ergeben sich aus den internationalen Übereinkommen im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung, wie dem Montego-Bay-Übereinkommen und dem SOLAS-Übereinkommen.

62.

Der Prüfung dieser Übereinkommen und der internationalen Praxis auf diesem Gebiet zufolge ( 43 ) bestehen die Tätigkeiten der Klassifikation darin, dass Organisationen, die als Klassifikationsgesellschaften bezeichnet werden, ein „Class certificate“ (ein Klassenzeugnis, durch das bescheinigt wird, dass ein Schiff entsprechend den Klassenregeln gebaut und instandgehalten wurde) ausstellen. Ursprünglich erfüllten diese Zeugnisse einen privaten Zweck und wurden insbesondere zur Erlangung einer Versicherung ausgestellt. Wie zu Kommission bemerkt, ist die Ausstellung eines Klassenzeugnisses jetzt eine Voraussetzung für die Ausstellung eines staatlich vorgesehenen Zeugnisses ( 44 ).

63.

Die Ausstellung staatlicher Zeugnisse erfolgte und erfolgt immer noch in Erfüllung der Verpflichtungen aus den völkerrechtlichen Übereinkommen im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung ( 45 ). Sie besteht in der Ausstellung eines staatlich vorgesehenen Zeugnisses („statutory certification“) durch den Staat, dessen Flagge das Schiff führt, oder in dessen Namen durch eine damit beauftragte Organisation.

64.

In der Praxis werden die Überprüfungen und die Besichtigungen für die Klassifikation und die Zertifizierung eines Schiffes sowie die Ausstellung der Zeugnisse von derselben wirtschaftlichen Einheit vorgenommen. Diese Tätigkeiten werden aufgrund eines oder mehrerer direkt mit dem Eigentümer des Schiffes geschlossener Verträge gegen Entgelt verrichtet.

65.

Diese kurze Beschreibung gibt den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits wieder. Die Beklagten verrichteten aufgrund der Vereinbarung mit der Republik Panama von 1999 (im Folgenden: Vereinbarung von 1999) im Auftrag dieses Staates, für diesen Staat und angeblich in seinem Interesse Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung. In diesem Rahmen nahmen sie gegen Entgelt und aufgrund eines Vertrags mit dem Eigentümer des Schiffes Al Salam Boccaccio ’98 Überprüfungen und Besichtigungen zum Zweck der Klassifikation und der Zertifizierung dieses Schiffes vor und stellten sodann Klassenzeugnisse und staatlich vorgesehene Zeugnisse aus.

66.

Anhand dieser Wiedergabe des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens ist zu prüfen, ob die streitigen Handlungen, die darin bestehen, dass eine privatrechtliche Organisation erstens im Auftrag eines Staates, zweitens für diesen Staat und in dessen Interesse und drittens in Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung eines Schiffes ausgeübt hat, entsprechend den vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu dem Begriff „Zivil- und Handelssachen“ herausgearbeiteten Kriterien in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen wurden.

3. Die im Auftrag eines Staates vorgenommenen Handlungen

67.

Allein der Umstand, dass die Beklagten bestimmte Tätigkeiten im Auftrag eines Staates ausgeübt haben, vermag nicht die Auffassung zu stützen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne der Verordnung Nr. 44/2001 eine Klage, der diese Tätigkeiten zugrunde liegen, nicht erfasst.

68.

Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass allein der Umstand, dass bestimmte Befugnisse durch einen Hoheitsakt übertragen, ja delegiert wurden, nicht dazu führt, dass diese Befugnisse iure imperii ausgeübt werden ( 46 ).

69.

In Fällen, die eine Vielzahl von Beziehungen – teils zwischen einer Behörde und einer Privatperson, teils nur zwischen Privatpersonen betreffen, ist die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsbeziehung zu ermitteln und die erhobene Klage zu untersuchen ( 47 ). Aus dieser Perspektive betrachtet, berühren die Umstände, die die Beziehung zwischen der beauftragenden Behörde und dem Beauftragten kennzeichnen und diese Beziehung möglicherweise vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 ausschließen, nicht die Charakterisierung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Beauftragten und den Empfängern seiner Dienstleistungen ( 48 ).

70.

Dasselbe muss für Dritte gelten, die keine vertraglichen Beziehungen zu dem Beauftragten haben, denn schließlich richtet sich die Schadensersatzklage eines Dritten gegen Handlungen, deren Grundlage die Beziehung zwischen dem Beauftragten und seinen Dienstleistungsempfängern ist. Die Person des durch eine Handlung Geschädigten ändert nichts an der Natur einer Handlung, die vorgenommen wurde, ohne dass dabei hoheitliche Befugnisse ausgeübt wurden. Darüber hinaus darf es einer Organisation, die gegenüber ihrem Vertragspartner Handlungen vorgenommen hat, die unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen, nicht ermöglicht werden, sich für Schadensersatzklagen, die von Dritten wegen derselben Handlungen erhoben werden, der Zuständigkeit der Zivilgerichte zu entziehen.

4. Die für einen Staat und in dessen Interesse vorgenommenen Handlungen

71.

Auch der Umstand, dass die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung für einen beauftragenden Staat und in dessen Interesse ausgeübt wurden, vermag als solcher nicht die Auffassung zu stützen, dass diese Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 verrichtet wurden.

72.

Zwar legt die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs den Gedanken nahe, dass die Ausübung bestimmter Befugnisse im Interesse eines Staates ausschließt, dass ein Rechtsstreit „Zivil- und Handelssachen“ betrifft.

73.

Im Urteil Kuhn ( 49 ) hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Rechtsstreit keine „Zivil- und Handelssachen“ betrifft, in dem eine Privatperson einen Mitgliedstaat wegen des Erlasses einer Maßnahme verklagt hat, durch die dieser allen Inhabern der von ihm begebenen Anleihen eine wesentliche Änderung der finanziellen Bedingungen dieser Anleihen auferlegt hat. Zu diesem Ergebnis ist der Gerichtshof offensichtlich aufgrund der zunächst getroffenen Feststellung gekommen, dass diese Maßnahme in Ausübung von Befugnissen getroffen wurde, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen ( 50 ). Sodann hat sich der Gerichtshof auf den Kontext, in dem diese Maßnahme getroffen wurde, und auf das mit ihr verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel konzentriert ( 51 ), nämlich die Interessen des Staates im Bereich der öffentlichen Finanzen und das Interesse an der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets. Schließlich hat der Gerichtshof festgestellt, dass angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Bedingungen und der Umstände, unter denen die fragliche Maßnahme erlassen wurde, sowie des mit ihr verfolgten im Allgemeininteresse liegenden Ziels der Ausgangsrechtsstreit auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurückging ( 52 ).

74.

Dieses Urteil ist jedoch meines Erachtens nicht so zu verstehen, dass das allgemeine Ziel einer Handlung, das aus dem Kontext, in dem sie vorgenommen wurde, hergeleitet wird, als solches für die Feststellung ausreicht, dass diese Handlung eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte darstellt.

75.

Denn erstens stünde die Auffassung, dass das Ziel einer Handlung, die vorgenommen wird, ohne dass vom gemeinen Recht abweichende Befugnisse ausgeübt werden, für die Feststellung ausreicht, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ einen Rechtsstreit, der auf diese Handlung zurückgeht, nicht erfasst, im Widerspruch zu einer gefestigten Rechtsprechung, wonach die Wahrnehmung von Hoheitsrechten einen Rechtsstreit von den Zivil- und Handelssachen ausschließt ( 53 ).

76.

Zweitens stellt die Ausübung von vom gemeinen Recht abweichenden Befugnissen ein verlässliches und objektiv nachprüfbares Kriterium dar, was bei dem Ziel einer Handlung, die für einen Staat vorgenommen wird, nicht der Fall ist. Das Ziel einer Handlung ist einer Person, für die diese Handlung schädliche Wirkungen hat, nicht unbedingt bekannt. Die Vorhersehbarkeit der zuständigen Gerichte ist jedoch einer der Grundsätze, auf denen die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Union beruht ( 54 ). Auch wenn dieser Grundsatz per definitionem die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten betrifft, ist es unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit der zuständigen Gerichte noch wichtiger zu wissen, ob die Verordnung Nr. 44/2001, die die Regeln für diese Aufteilung festlegt, auf einen gegebenen Fall anwendbar ist.

77.

Drittens lässt sich in der Praxis für jede Tätigkeit, die durch oder für einen Staat verrichtet wird, ein von der Regierung verfolgtes Ziel ausmachen. Die Annahme, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ bestimmte Klagen aufgrund des Ziels der Tätigkeiten, die ihnen zugrunde liegen, ausschließt, würde es ermöglichen, ganze Gruppen von reinen Zivilsachen vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 auszuschließen ( 55 ).

78.

Aus diesen Gründen bildet der Umstand, dass bestimmte Handlungen unter Berücksichtigung ihres Ziels dem allgemeinen oder öffentlichen Interesse dienen, meines Erachtens nur ein Indiz dafür, dass diese Handlungen in Ausübung von Befugnissen vorgenommen wurden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen.

79.

Diese Auslegung findet eine Bestätigung im Urteil Pula Parking ( 56 ), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ die der Vorlagefrage zugrunde liegende Erhebung einer Parkgebühr durch eine im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehende Gesellschaft erfasst, obwohl es sich nach diesem Urteil bei der Verwaltung des öffentlichen Parkraums und der Erhebung von Parkgebühren um eine Aufgabe von lokalem Interesse handelt. Dieses Urteil macht deutlich, dass „in einem Interesse, das mit dem allgemeinen oder öffentlichen Interesse vergleichbar ist“, zu handeln, nicht bedeutet, im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 „in Ausübung hoheitlicher Befugnisse zu handeln“.

80.

Weiter hat der Gerichtshof im Urteil Sonntag ( 57 ) entschieden, dass der Umstand, dass ein Lehrer einer öffentlichen Schule Beamter ist und als solcher handelt, nicht entscheidend ist, um eine gegen ihn erhobene Schadensersatzklage vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens auszuschließen. Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass selbst wenn ein Beamter für den Staat handelt, er nicht immer hoheitliche Befugnisse ausübt. Der bloße Umstand, dass Handlungen für den Staat vorgenommen werden, bedeutet demnach nicht, dass sie in Ausübung öffentlicher Befugnisse im vorerwähnten Sinne verrichtet werden.

81.

Diese Auslegung hat der Gerichtshof vorgenommen, obwohl für die Haftung des betreffenden Lehrers eine öffentliche Garantie, nämlich ein öffentlich-rechtlicher Versicherungsschutz, bestand ( 58 ). Wie Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Sonntag ( 59 ) ausgeführt hat, ist das Bestehen eines solchen Schutzsystems, das den vom Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff „Zivil- und Handelssachen“ herausgearbeiteten Kriterien fremd ist, nicht geeignet, einen Akt vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens auszuschließen, der ihm seinem Wesen nach unterfällt.

82.

Somit schließt der Umstand, dass öffentliche Mittel als Ersatz für Schäden aufgrund von Handlungen einer Person, die für einen Staat gehandelt hat, bereitgestellt werden können, Rechtsstreitigkeiten, die auf diese Handlungen zurückgehen, nicht vom sachlichen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens und damit von der Verordnung Nr. 44/2001 aus. Ich leite daraus her, dass Rechtsstreitigkeiten, denen Handlungen zugrunde liegen, die für einen Staat vorgenommen wurden, auch durch die eventuelle Haftung dieses Staates für die durch diese Handlungen verursachten Schäden nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen werden ( 60 ).

83.

Weder die Vornahme der betreffenden Handlungen für einen beauftragenden Staat und in dessen Interesse noch die eventuelle Haftung dieses Staates für durch diese Handlungen verursachte Schäden sind als solche entscheidend für die Annahme, dass diese Handlungen in Ausübung von Befugnissen vorgenommen wurden, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen.

5. Die zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen eines Staates vorgenommenen Handlungen

84.

Der Umstand, dass eine privatrechtliche Organisation im Auftrag eines Staates, für diesen Staat und in dessen Interesse Handlungen in Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen dieses Staates im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung vornimmt, besagt noch nicht, dass diese Handlungen in Ausübung hoheitlicher Rechte verrichtet werden.

85.

Zwar kann das Urteil Rüffer ( 61 ) so verstanden werden, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ nicht die Klage eines Verwalters der öffentlichen Wasserstraßen auf Ersatz der Kosten für die Beseitigung eines Wracks erfasst, denn diese Beseitigung erfolgte in Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung im Bereich des Umweltschutzes auf der Grundlage von Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts.

86.

So gesehen würde dieses Urteil zugunsten der Auslegung sprechen, wonach die Verordnung Nr. 44/2001 auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar ist.

87.

In der Rechtssache, die dem Urteil Rüffer zugrunde liegt, nahm die betreffende Behörde jedoch, wie der Gerichtshof selbst ausgeführt hat ( 62 ), strompolizeiliche Aufgaben wahr und handelte gegenüber den Bürgern hoheitlich.

88.

Der Eigentümer eines Grundstücks kann sich nämlich nicht ein darauf stehendes Gebäude aneignen, das Grundstück verkaufen und den erhaltenen Betrag zur Deckung der Kosten der Beseitigung des Gebäudes benutzen, außer wenn er Befugnisse ausübt, die von dem im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden gemeinen Recht abweichen ( 63 ). Somit schließt die Ausübung hoheitlicher Befugnisse bei der Vornahme der betreffenden Handlungen die Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 unabhängig davon aus, welches die – internationale oder nationale – Quelle dieser Befugnisse ist und welches die Privatpersonen sind, deren Schutz mit der Ausübung dieser Befugnisse beabsichtigt ist.

89.

Es bleibt nur noch zu prüfen, ob die streitigen Handlungen, nämlich die Klassifikation und Zertifizierung eines Schiffes, in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen wurden und deshalb nicht von dem Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 erfasst werden. Dabei kann die Untersuchung des Auftrags, durch den ein Staat einer privatrechtlichen Organisation bestimmte Aufgaben überträgt, sowie die Untersuchung der Gesetze, denen die Erfüllung der sich aus diesem Auftrag ergebenden Verpflichtungen unterliegt, sich als nützlich erweisen, um das Spektrum der bei der Vornahme der streitigen Handlungen ausgeübten Befugnisse zu ermitteln und zu entscheiden, ob diese Handlungen nach den Kriterien, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff „Zivil- und Handelssachen“ herausgearbeitet hat, zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehören ( 64 ).

6. Das Spektrum der bei der Vornahme der Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung ausgeübten Befugnisse

90.

Was den Ausgangsrechtsstreit betrifft, können die Überprüfungen und die Besichtigungen, die für die Klassifikation und die Zertifizierung eines Schiffes durchgeführt werden, dazu führen, dass ein Zeugnis eingezogen wird oder, wie dies im SOLAS-Übereinkommen vorgesehen ist, dass eine anerkannte Organisation verlangt, dass an dem Schiff Reparaturen vorgenommen werden. Dabei muss diese Organisation die Vorschriften über den Schutz des menschlichen Lebens auf See und die Verhütung der Meeresverschmutzung anwenden.

91.

Insoweit weist erstens nichts darauf hin, dass eine Organisation, die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung verrichtet, anderen Bürgern als dem Schiffseigner gegenüber eine hoheitliche Stellung einnimmt.

92.

Zweitens haben die Beklagten, auch wenn man den Blick hauptsächlich auf die Stellung dieser Organisation gegenüber dem Schiffseigner richtet, ihre Dienstleistung gemäß der Vereinbarung von 1999 aufgrund eines direkt mit dem Eigentümer des Schiffes Al Salam Boccaccio ’98 geschlossenen privatrechtlichen Vertrags gegen Entgelt erbracht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass es den Parteien dieses Vertrags nicht freigestanden hätte, den Preis für diese Dienstleistungen festzusetzen. Zudem hätten die Beklagten nach der Vereinbarung von 1999 Haftungsbeschränkungsklauseln in den Vertrag aufnehmen können. Die Modalitäten dieses Vertrags wurden also nicht einseitig, sondern in Ausübung der Vertragsfreiheit festgelegt. Da diese Freiheit u. a. die freie Wahl des wirtschaftlichen Partners umfasst, halte ich es für zweckmäßig, auf das Vorbringen der Kläger hinzuweisen, dass der Eigentümer des betroffenen Schiffes die Beklagten unter mehreren Organisationen ausgewählt hat, die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung für den Flaggenstaat verrichten.

93.

Deshalb fügt sich die Stellung der Beklagten gegenüber dem Schiffseigner, wie auch immer sie beschaffen sein mag, in den vertraglichen Rahmen ein, der mit seiner Zustimmung und durch seine Bereitschaft, sich den Überprüfungen und Besichtigungen zu unterwerfen und die dafür anfallenden Kosten zu tragen, geschaffen wurde. Somit hätten die Beklagten, selbst wenn sie in der Lage gewesen wären, Korrekturbefugnisse auszuüben, dies in dem frei vom Schiffseigner akzeptierten Rahmen getan.

94.

Drittens gehören nach der Vereinbarung von 1999 die Auslegung der anwendbaren Rechtsakte und die Festlegung der Äquivalenzen sowie die Genehmigung von anderen als den in den anwendbaren Rechtsakten festgelegten Anforderungen zu den Befugnissen der panamaischen Verwaltung. In dieser Vereinbarung wird bestimmt, dass die Ausnahmen von den in den anwendbaren Rechtsakten festgelegten Anforderungen ebenfalls zu den Befugnissen dieser Verwaltung gehören und von dieser vor der Erteilung eines Zeugnisses genehmigt werden müssen. Obwohl die Gesetzgebungstätigkeit zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehört, weist nichts darauf hin, dass der beauftragende Staat seine ausschließliche Zuständigkeit für diese Tätigkeit nicht behalten hat. Dagegen sind Tätigkeiten wie die der Beklagten, die der Vereinbarung von 1999 zufolge bezwecken, die Erfüllung der in den anwendbaren Rechtsakten festgelegten einschlägigen Anforderungen durch die Schiffe sicherzustellen und die entsprechenden technischen Zeugnisse auszustellen, offensichtlich technischer Natur.

95.

Unter diesen Umständen ergibt sich die Einziehung eines Zeugnisses wegen Nichterfüllung dieser Anforderungen durch das Schiff nicht aus der Entscheidungsbefugnis von Organisationen wie den Beklagten, deren Rolle sich auf die Vornahme von Überprüfungen gemäß dem zuvor festgelegten rechtlichen Rahmen beschränkt. Wenn ein Schiff wegen der Einziehung eines Zeugnisses nicht mehr betrieben werden kann, so aufgrund der Sanktion, die, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt haben, gesetzlich vorgeschrieben ist.

96.

Viertens schließlich können, wie die Kommission vorgetragen hat, nützliche Lehren aus der umfangreichen Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit und zur Dienstleistungsfreiheit ( 65 ) gezogen werden.

97.

So hat der Gerichtshof insbesondere im Urteil Rina Services u. a. ( 66 ) ausgeführt, dass die Zertifizierungstätigkeiten von Gesellschaften, die Zertifizierungseinrichtungen sind, nicht unter die in Art. 51 AEUV vorgesehene Ausnahme fallen, weil diese Gesellschaften gewinnorientierte Unternehmen sind, die unter Wettbewerbsbedingungen tätig sind und keinerlei Entscheidungsgewalt haben, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verknüpft wäre.

98.

Deshalb können die von den Beklagten verrichteten Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung des Schiffes Al Salam Boccaccio ’98 sowie die Ausstellung der entsprechenden Zeugnisse meines Erachtens nicht als mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden angesehen werden.

7. Zwischenergebnis

99.

Meiner Untersuchung zufolge schließt erstens der bloße Umstand, dass die Beklagten die streitigen Handlungen im Auftrag eines Staates verrichtet haben, als solcher den Rechtsstreit, in dessen Rahmen die Haftung für diese Handlungen geltend gemacht wird, nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 aus ( 67 ). Zweitens ergibt sich diese Wirkung auch nicht daraus, dass diese Handlungen für den beauftragenden Staat und in dessen Interesse vorgenommen wurden ( 68 ). Drittens schließlich ändert auch der Umstand, dass diese Tätigkeiten in Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen dieses Staates ausgeübt wurden, nichts an diesem Ergebnis ( 69 ).

100.

Gleichwohl führt die Ausübung hoheitlicher Befugnisse bei der Vornahme von Handlungen immer dazu, dass die Verordnung Nr. 44/2001 in einem Rechtsstreit, in dem die Haftung für diese Handlungen geltend gemacht wird, sachlich nicht anwendbar ist. Die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung des Schiffes Al Salam Boccaccio ’98 können jedoch angesichts des Spektrums der von den Beklagten dabei ausgeübten Befugnisse nicht als mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden angesehen werden ( 70 ).

101.

Nach alledem ist Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 meiner Auffassung nach dahin auszulegen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung eine Schadensersatzklage gegen privatrechtliche Organisationen wegen Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung erfasst, die diese Organisationen im Auftrag eines Drittstaats, für diesen Staat und in dessen Interesse verrichten.

D.   Zur Auswirkung des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität auf die Ausübung der sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit

102.

Die einzige Frage, die sich noch stellt, ist die nach der Auswirkung der vor dem vorlegenden Gericht erhobenen Einrede der Staatenimmunität auf die Ausübung der sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit. Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens zu prüfen, ob sich die Beklagten beim gegenwärtigen Stand der völkerrechtlichen Praxis auf die Staatenimmunität berufen können. Ist dies der Fall, so muss zweitens untersucht werden, ob das vorlegende Gericht diesen Rechtsstreit gleichwohl entscheiden kann, da die Beklagten ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben und die Verordnung Nr. 44/2001 im Ausgangsrechtsstreit sachlich anwendbar ist.

103.

Meines Erachtens ist der Gerichtshof für die Auslegung des Völkergewohnheitsrechts zuständig, wenn dieses möglicherweise Auswirkungen auf die Auslegung des Unionsrechts hat.

104.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass er, wenn der Sachverhalt, der Gegenstand des Rechtsstreits ist, der zu dem Vorabentscheidungsersuchen geführt hat, nicht unter das Unionsrecht fällt, für die Auslegung und Anwendung der Regeln des Völkergewohnheitsrechts, die das vorlegende Gericht auf diesen Sachverhalt anwenden will, wie etwa der Regeln über die Staatenimmunität, nicht zuständig ist ( 71 ). Andererseits kann der Gerichtshof, wenn der fragliche Sachverhalt unter das Unionsrecht fällt und dessen Auslegung möglicherweise von einer Regel des Völkergewohnheitsrechts beeinflusst wird, auch diese Regel auslegen.

105.

Diese Auffassung findet eine Bestätigung im Urteil Mahamdia ( 72 ), in dem der Gerichtshof den Inhalt des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität bestimmt und daraus hergeleitet hat, dass dieser Grundsatz der Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 im Ausgangsverfahren nicht entgegenstand.

106.

Wie ich jedoch oben in Nr. 46 bemerkt habe, ist nicht klar, ob die Unterscheidung zwischen den Handlungen iure imperii und den Handlungen iure gestionis anhand der Kriterien des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts oder der Kriterien des Völkerrechts vorzunehmen ist. Aber auch die Autoren, die sich für den Grundsatz der Qualifizierung der streitigen Handlungen anhand des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts aussprechen, räumen ein, dass diese Qualifizierung mit dem Völkerrecht vereinbar sein muss ( 73 ). Wenn man diesen Gedanken weiterführt, müsste die Bestimmung des Inhalts des Rechts der Staatenimmunität anhand der im Völkerrecht entwickelten Lösungen es ermöglichen, allgemein anerkannte Voraussetzungen der Staatenimmunität aufzustellen.

1. Die Befreiung der Klassifikations- und Zertifizierungsorganisationen von der Gerichtsbarkeit

107.

Das vorlegende Gericht schließt offenbar nicht aus, dass sich die Beklagten auf die Immunität berufen können, nimmt jedoch keine Untersuchung vor, um eine einschlägige Regel des Völkergewohnheitsrechts zu ermitteln. Nur die Beklagten berufen sich für alle ihre Tätigkeiten auf die Befreiung von der Gerichtsbarkeit. Sie stützen dieses Vorbringen auf verschiedene Übereinkommen und auf die Vereinbarung von 1999 sowie auf Urteile französischer und italienischer Gerichte. Die französische Regierung steht auf dem Standpunkt, dass diese Immunität den Beklagten nur hinsichtlich der Zertifizierungstätigkeiten zusteht.

108.

Wie erinnerlich, existiert eine völkergewohnheitsrechtliche Regel insbesondere nur bei Bestehen einer tatsächlichen Praxis verbunden mit einer opinio iuris, d. h. der Akzeptanz einer Regel als Rechtsregel. Im Licht dieses Grundsatzes ist zu untersuchen, ob bei Anwendung der Theorie der relativen Immunität der Inhalt des Grundsatzes der Staatenimmunität es den Beklagten erlaubt, sich auf die Immunität zu berufen.

109.

Was erstens die von den Beklagten ins Feld geführte Rechtsprechung angeht, so ermöglicht diese nicht die eindeutige Feststellung, dass sich eine Organisation, die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung verrichtet, unter Umständen wie den hier vorliegenden auf die Staatenimmunität berufen kann. Mehr noch, auch bei genauerer Prüfung der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten lässt sich nicht feststellen, dass diesen Organisationen durchgehend Immunität gewährt wird ( 74 ).

110.

Was zweitens die materielle Definition der Staatenimmunität betrifft, so wird diese in den schriftlichen Quellen des Immunitätsrechts selten präzisiert. Und selbst wenn solche Quellen existieren, erhellt ihre Prüfung ebenfalls das Fehlen einer einheitlichen Behandlung der Immunität von Einrichtungen, die sich rechtlich vom Staat unterscheiden ( 75 ).

111.

In diesem Zusammenhang legt das Urteil Mahamdia ( 76 ) den Gedanken nahe, dass sich der Gerichtshof bei der Prüfung, ob sich eine der Parteien des Ausgangsrechtsstreits auf die Staatenimmunität berufen konnte, am Übereinkommen von New York orientiert hat.

112.

In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass in einem Rechtsstreit, in dem ein Angestellter einer Botschaft eines Drittstaats eine Vergütung begehrt und sich gegen die Kündigung seines mit diesem Staat geschlossenen Arbeitsvertrags wehrt, dieser Letztere keine Immunität genießt, wenn die von diesem Angestellten verrichteten Aufgaben nicht unter die Ausübung hoheitlicher Befugnisse fallen oder wenn die Klage nicht mit den Sicherheitsinteressen des Staates kollidieren kann ( 77 ).

113.

Zwar hat der Gerichtshof nicht ausdrücklich die Gründe angegeben, die ihn veranlasst haben, den Vorbehalt des Risikos einer Kollision mit den Sicherheitsinteressen des Staates einzuführen; in den Bestimmungen des Übereinkommens von New York über die einen Arbeitsvertrag betreffenden Verfahren findet sich jedoch eine identische Formulierung.

114.

Ungeachtet meiner Zweifel an der Relevanz dieses Übereinkommens ( 78 ) weise ich darauf hin, dass der Ausdruck „Staat“ nach dessen einleitenden Bestimmungen namentlich die Einrichten oder Stellen des Staates bezeichnet, soweit sie berechtigt sind, Handlungen in Ausübung der Hoheitsgewalt des Staates vorzunehmen, und solche Handlungen tatsächlich vornehmen. Aus den vorbereitenden Arbeiten zu diesem Übereinkommen ergibt sich allerdings die Vermutung, dass derartige Einrichtungen nicht zur Ausübung von Regierungsfunktionen ermächtigt sind und sich folglich in aller Regel nicht auf die Staatenimmunität berufen können ( 79 ). Im Übrigen heißt es in den Bestimmungen dieses Übereinkommens über privatwirtschaftliche Rechtsgeschäfte: Ist ein staatliches Unternehmen oder ein anderer von einem Staat gegründeter Rechtsträger mit selbständiger Rechtspersönlichkeit und der Fähigkeit, vor Gericht aufzutreten, an einem Verfahren beteiligt, das mit einem von diesem Rechtsträger getätigten privatwirtschaftlichen Rechtsgeschäft in Zusammenhang steht, so bleibt die Immunität dieses Staates unberührt. Dies muss erst recht für nicht staatliche Stellen wie die Beklagten gelten.

115.

Schließlich verweist das vorlegende Gericht bezüglich der Fragen, die es sich hinsichtlich der Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit stellt, auf den 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/15. Dieser lautet: „Stellen eine anerkannte Organisation, ihre Besichtiger oder ihre technischen Mitarbeiter die einschlägigen Zeugnisse für die Verwaltung aus, sollten die Mitgliedstaaten in Betracht ziehen, ihnen zu ermöglichen, im Hinblick auf diese delegierten Tätigkeiten verhältnismäßige Rechtsgarantien und Rechtsschutz einschließlich der Ausübung angemessener Verteidigungsrechte in Anspruch zu nehmen, mit Ausnahme der Immunität, die ein Recht ist, das als untrennbares Hoheitsrecht nicht delegierbar ist und auf das sich daher nur die Mitgliedstaaten berufen können.“

116.

Diese Richtlinie ergänzt die sich aus dem Völkerrecht wie etwa dem Montego-Bay-Übereinkommen und dem SOLAS-Übereinkommen ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Mit dieser Richtlinie werden Vorschriften aufgestellt, die von den Mitgliedstaaten bei ihren Beziehungen mit den Organisationen, die mit der Überprüfung, Besichtigung und Zertifizierung von Schiffen hinsichtlich der Einhaltung der internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und zur Verhütung der Meeresverschmutzung betraut sind, zu befolgen sind und zugleich dem Ziel der Dienstleistungsfreiheit dienen.

117.

Insoweit heißt es in der Richtlinie 2009/15, dass ein Mitgliedstaat, der die Wahrnehmung von Zertifizierungsaufgaben auf eine anerkannte Organisation überträgt, verpflichtet ist, in eine mit dieser Organisation geschlossene Vereinbarung Klauseln über deren finanzielle Haftung aufzunehmen. Durch diese Klauseln sichert sich der Staat ein Rückgriffsrecht gegen diese Organisation für den Fall, dass er bei einem Unfall auf See haftet.

118.

Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/15 besagt offensichtlich in Ergänzung dieser besonderen Verpflichtungen betreffend die finanzielle Haftung der anerkannten Organisationen, dass Organisationen wie die Beklagten nicht in den Genuss der Immunität kommen, die einem Staat zusteht.

119.

Um diese Darstellung der Richtlinie 2009/15 zu ergänzen und soweit diese für die Beantwortung der Vorlagefrage relevant ist, weise ich darauf hin, dass das vorlegende Gericht durch seine Bezugnahme auf den 21. Erwägungsgrund der Durchführungsrichtlinie 2014/111/EU ( 80 ) anzudeuten scheint, dass die Richtlinie 2009/15 angesichts der neueren Entwicklungen nicht mit dem Völkerrecht oder zumindest mit der internationalen Praxis im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung vereinbar sei. Wie sich nämlich aus dem 21. Erwägungsgrund der Durchführungsrichtlinie 2014/111 ergibt, unterliegen nach Unionsrecht staatlich vorgesehene Zeugnisse dem öffentlichen Recht, während Klassenzeugnisse privatrechtlich geregelt sind. Auf internationaler Ebene werden jedoch die „staatlich vorgesehenen Zeugnisse und Dienstleistungen“ systematisch als von der anerkannten Organisation „im Namen des Flaggenstaats“ ausgestellt bzw. erbracht bezeichnet, was im Widerspruch zu der im Unionsrecht getroffenen rechtlichen Unterscheidung steht.

120.

Dazu genügt die Feststellung, dass ich in den vorliegenden Schlussanträgen davon ausgegangen bin, dass ein Klassenzeugnis nicht nur rein private Zwecke erfüllt ( 81 ) und dass sich der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/15 auf die Zeugnisse bezieht, die dem öffentlichen Recht unterliegen.

121.

Die Beklagten machen noch geltend, erstens, dass die Richtlinie 2009/15 auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits nicht anwendbar sei, zweitens, dass die Union nicht befugt sei, den Mitgliedstaaten ihre Auslegung dieses Rechts aufzuzwingen, obwohl der 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie offensichtlich eine Auslegung des Völkergewohnheitsrechts enthalte ( 82 ), drittens, dass diese Richtlinie nur die Mitgliedstaaten betreffe, und viertens, dass ein Erwägungsgrund ohnehin keinerlei juristischen Wert besitze.

122.

Erstens ist jedoch, auch wenn es zutrifft, dass die Richtlinien 2009/15 und 2014/111 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zeitlich nicht anwendbar sind, bei der Prüfung, ob sich eine Prozesspartei auf die Befreiung von der Gerichtsbarkeit berufen kann, auf das Recht der Staatenimmunität in der Form abzustellen, in der es zur Zeit des Ausgangsverfahrens bestand ( 83 ).

123.

Zweitens kann, da das Völkergewohnheitsrecht Fragen betrifft, deren Gegenstand unter das Mandat internationaler Organisationen fällt, auch deren Praxis zur Bildung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln beitragen oder diese zum Ausdruck bringen ( 84 ).

124.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das von der Union abgeschlossene Montego-Bay-Übereinkommen den Umfang der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Flaggenstaaten im Bereich des Schutzes des menschlichen Lebens auf See und der Verhütung der Meeresverschmutzung festlegt. Die Union hat durch den Erlass der Richtlinie 2009/15 ihre Zuständigkeit zur Aufstellung von Vorschriften, die von den Mitgliedstaaten bei ihren in Durchführung dieser völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangenen Beziehungen mit ermächtigten Organisationen zu befolgen sind, ausgeübt. Im Übrigen ergibt sich die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Haftung der ermächtigten Organisationen aus dem Unionsrecht, nämlich der Verordnung Nr. 44/2001. Folglich ist die Frage der Immunität von Organisationen, die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung ausüben, Gegenstand des Mandats der Union.

125.

Drittens trifft es zu, dass die Richtlinie 2009/15 nur die Mitgliedstaaten betrifft. Diese Beschränkung beruht jedoch nicht auf dem Willen des Unionsgesetzgebers, seiner Auslegung des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität eine begrenzte Tragweite zu geben, sondern darauf, dass das Mandat der Union nur die Mitgliedstaaten betrifft. Die Zuständigkeit eines jeden Gesetzgebers und eines jeden Gerichts ist territorial oder persönlich begrenzt. Dies hindert sie nicht, zur Bildung von Regeln des Völkergewohnheitsrechts beizutragen oder diese zum Ausdruck zu bringen, wobei diese Regeln mit Ausnahme regionaler Gebräuche insgesamt kohärent sein müssen und keine erheblichen Widersprüche aufweisen dürfen.

126.

Viertens kann ein Erwägungsgrund, auch wenn er nicht rechtlich bindend ist, zum einen eine Form der Praxis einer internationalen Organisation darstellen, die unter dem Blickwinkel des Völkerrechts geeignet ist, zur Bildung von Regeln des Völkergewohnheitsrechts beizutragen oder diese zum Ausdruck zu bringen ( 85 ). Tatsächlich kommt die Praxis der Staaten und der internationalen Organisationen im Sinne des Völkerrechts in ihrem Verhalten zum Ausdruck und kann sehr verschiedene Formen annehmen ( 86 ). Zum anderen kann ein Erwägungsgrund als Ausdruck der mangelnden Bereitschaft verstanden werden, eine Regel als Rechtsregel (opinio iuris) zu akzeptieren.

127.

Unabhängig von der Natur der Auslegung des Völkergewohnheitsrechts, die man im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/15 erblicken kann, enthält dieser nicht eine stillschweigende Bekundung der Auffassung der Union, dass die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung durch eine privatrechtliche Gesellschaft nicht als mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden zu qualifizieren sind. Tatsächlich ergibt sich diese Auslegung aus meiner Untersuchung der Verordnung Nr. 44/2001, wonach unter Berücksichtigung der Kriterien der Unterscheidung zwischen Handlungen iure imperii und Handlungen iure gestionis, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff „Zivil- und Handelssachen“ entwickelt hat, die von privatrechtlichen Organisationen verrichteten Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung als Handlungen anzusehen sind, die ohne Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen werden ( 87 ).

128.

Somit entspricht das Bild, das sich aus meiner Untersuchung ergibt, nicht einer Situation, in der unzweifelhaft eine tatsächliche Praxis, verbunden mit einer opinio iuris, zugunsten einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel besteht, die es den Beklagten erlauben würde, sich im Ausgangsrechtsstreit auf die Staatenimmunität zu berufen. Ich halte es für zweckmäßig, daran zu erinnern, dass die Verneinung der Staatenimmunität einer Organisation, die Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung verrichtet, die Frage ihrer Haftung nicht präjudiziert. Diese Frage muss nach den materiellen Vorschriften des anwendbaren Rechts entschieden werden. Insoweit darf man nicht aus den Augen verlieren, dass für diese Organisationen auch Haftungsausschluss bestehen kann ( 88 ).

129.

Abschließend ist festzustellen, dass der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität von der Gerichtsbarkeit der Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 in einem Rechtsstreit über eine Schadensersatzklage gegen privatrechtliche Organisationen wegen Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung, die diese im Auftrag eines Drittstaats, für diesen Staat und in dessen Interesse verrichten, nicht entgegensteht.

2. Zusätzliche Anmerkungen zur Immunität

130.

Der Vollständigkeit halber möchte ich für den Fall, dass der Gerichtshof meine Auffassung betreffend den Inhalt des völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität nicht teilt, kurz noch drei Anmerkungen machen.

131.

Erstens ist es schwierig, das Verhältnis zwischen der Staatenimmunität und den Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung Nr. 44/2001 in einen Kontext einzufügen.

132.

Die Verordnung Nr. 44/2001 enthält, worauf die Beklagten hingewiesen haben, eine Bestimmung, die das Verhältnis dieser Verordnung zu Übereinkommen regelt, die zwischen Mitgliedstaaten geschlossen wurden, nämlich Art. 71. Nach dieser Bestimmung lässt diese Verordnung Übereinkünfte unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln. Nach der Rechtslehre regelt diese Bestimmung namentlich das Verhältnis der Verordnung Nr. 44/2001 zu dem Übereinkommen von Basel ( 89 ). Ich entnehme daraus, dass die Frage der Ausübung der Jurisdiktion gegenüber der Einrede der Befreiung von der Gerichtsbarkeit zu den „besonderen Rechtsgebieten“ im Sinne des Art. 71 dieser Verordnung, die in deren Anwendungsbereich fallen, gehört ( 90 ).

133.

Allerdings sind weder die Italienische Republik noch die Republik Panama dem Übereinkommen von Basel beigetreten. Jedenfalls beruht im Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat und die Beklagten vorgetragen haben, die Immunität auf Völkergewohnheitsrecht.

134.

Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 betrifft nur die Übereinkommen, denen die Mitgliedstaaten zur Zeit des Erlasses dieser Verordnung beigetreten waren. Die statische Natur dieser Bestimmung entspricht nicht dem evolutiven Charakter des Völkergewohnheitsrechts, das im Übrigen die Mitgliedstaaten der Union bindet ( 91 ). Die Meinung, dass Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 die Verknüpfung zwischen dieser Verordnung und dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität regelt, würde bedeuten, dass der Unionsgesetzgeber das Völkergewohnheitsrecht in dem Zustand festschreiben wollte, in dem es sich zur Zeit des Erlasses dieser Verordnung befand. Diese Lösung wäre offensichtlich unvereinbar mit Art. 3 Abs. 5 EUV, wonach die Union einen Beitrag zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts leistet.

135.

Deshalb bin ich der Meinung, dass Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 für das Verhältnis zwischen dieser Verordnung und der Staatenimmunität nicht relevant ist. Mangels einschlägiger Bestimmungen in dieser Verordnung muss dieses Verhältnis meines Erachtens anhand der gerichtlichen Klarstellungen der Beziehung zwischen dem Unionsrecht und dem Völkerrecht geprüft werden, die weitgehend in Art. 3 Abs. 5 EUV kodifiziert sind ( 92 ).

136.

Nach ständiger Rechtsprechung haben die völkerrechtlichen Übereinkommen, die integraler Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und diese binden, Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts, die im Rahmen des Möglichen im Einklang mit diesen Übereinkommen auszulegen sind ( 93 ). Unbeschadet der Unterschiede zwischen den völkerrechtlichen Übereinkommen und den Regeln des Völkergewohnheitsrechts ( 94 ) müssen die Letzteren, wenn sie Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und diese binden ( 95 ), auch Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts haben. Deshalb sind die Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts wie die Verordnung Nr. 44/2001 im Einklang mit den Regeln des Völkergewohnheitsrechts auszulegen ( 96 ). Zugleich sind die Bestimmungen dieser Verordnung im Licht der Grundrechte auszulegen, die zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, und nun in der Charta verankert sind ( 97 ).

137.

Das Bestehen dieser beiden Verpflichtungen, nämlich derjenigen, zur Beachtung des Völkerrechts beizutragen, und derjenigen, die Wahrung der Autonomie der Rechtsordnung der Union zu sichern, kann zu Spannungen führen, die die Union lösen muss. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Völkerrecht ein nationales Gericht verpflichtet, die Immunität anzuerkennen, während es nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, seine Zuständigkeit wie die, die sich aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ergibt, auszuüben.

138.

In diesem Zusammenhang ist zweitens zu betonen, dass eine sich aus dem Vertragsvölkerrecht oder dem Völkergewohnheitsrecht ergebende Verpflichtung nur dann Bestandteil der Rechtsordnung der Union sein kann, wenn sie nicht die Verfassungsstruktur und die Werte in Frage stellt, auf die sich die Union gründet ( 98 ).

139.

Dies wird durch zwei Urteile veranschaulicht. Zum einen hat der Gerichtshof im Urteil Ungarn/Slowakei ( 99 ) ausgeführt, dass der Umstand, dass ein Bürger der Union das Amt eines Staatsoberhaupts bekleidet, eine Beschränkung des ihm von Art. 21 AEUV gewährten Rechts auf Freizügigkeit rechtfertigen kann, die sich aus den Regeln des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts und aus den Regeln multilateraler Abkommen ergibt, nach denen ein Staatsoberhaupt in den internationalen Beziehungen einen besonderen Status genießt, der insbesondere Vorrechte und Schutzrechte umfasst. Deshalb hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 21 AEUV unter den vorliegenden Umständen einen anderen Mitgliedstaat nicht dazu verpflichtetet, die Einreise in sein Hoheitsgebiet zu gewährleisten.

140.

Zum anderen hat der Gerichtshof im Urteil Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission ( 100 ) entschieden, dass die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht den Verfassungsgrundsatz der Union beeinträchtigen können, wonach alle Handlungen der Gemeinschaft die Menschenrechte achten müssen.

141.

Diese beiden Auslegungen des Verhältnisses zwischen dem Unionsrecht und dem Völkerrecht, die scheinbar widersprüchlich sind, veranschaulichen die Bedeutung der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen der Wahrung der Verfassungsidentität der Union und der Garantie, dass das Unionsrecht der Völkergemeinschaft nicht feindlich gegenübersteht, sondern einen aktiven Teil dieser Gemeinschaft bildet ( 101 ).

142.

Insoweit hindert die Bejahung der Staatenimmunität durch das zuständige Gericht den Kläger nicht, ein Verfahren vor den Gerichten des beklagten Staates anzustrengen, denn diese sind grundsätzlich für die Entscheidung über eine gegen diesen Staat erhobene Klage zuständig. Etwas anderes kann für die Bejahung der Staatenimmunität der privatrechtlichen Organisationen gelten, die sich außerhalb des Staates befinden, von dem die Immunität abgeleitet wird. Mangels der räumlichen Verbindung mit diesem Staat sind dessen Gerichte möglicherweise für Klagen gegen diese Organisationen nicht zuständig. Nach den Auslegungen der internationalen Gerichte hängt die Immunität nicht davon ab, ob es andere effektive Wege gibt, auf denen Schadensersatz erlangt werden kann ( 102 ), und damit von der Existenz eines anderen für den Kläger verfügbaren zuständigen Gerichts. Ich gestehe, dass mir das Argument einleuchtet, dass für Fälle, die a priori der Rechtsprechungsbefugnis der Gerichte eines Mitgliedstaats unterliegen, eine Regel des Völkergewohnheitsrechts, die zu einem solchen Ergebnis führt, nicht gedankenlos in die Rechtsordnung der Union aufgenommen werden sollte.

143.

Die Fälle, in denen wegen der Bejahung der Staatenimmunität kein Gericht für den Kläger zuständig ist, sind allerdings selten ( 103 ) und jedenfalls schwer zu ermitteln. Das vorlegende Gericht räumt ein, dass angesichts des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits die Zuständigkeit der panamaischen Gerichte sicherlich gegeben sei. Den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität nicht als zum Unionsrecht gehörend zu betrachten würde jedoch einen Bruch mit dem Besitzstand der internationalen Gemeinschaft betreffend alle Rechtsstreitigkeiten einschließlich derer, in denen ein anderes Gericht für den Kläger zuständig ist, bedeuten.

144.

Somit ist davon auszugehen, dass dieser Grundsatz Teil des Unionsrechts ist, ohne dabei die Auswirkungen der Staatenimmunität auf den Zugang zu den Gerichten und die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen der Wahrung der Verfassungsidentität der Union und der Beachtung des Völkerrechts zu vergessen.

145.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist drittens zu untersuchen, ob ein nationales Gericht im Licht des Art. 47 der Grundrechtecharta und des Art. 6 Abs. 1 EMRK seine sich aus einer Zuständigkeitsvorschrift der Verordnung Nr. 44/2001 ergebende Zuständigkeit ausüben kann, indem es sich weigert, die Staatenimmunität anzuerkennen.

146.

Das Recht auf Zugang zu einem Gericht ist ein Bestandteil des durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren ( 104 ). Desgleichen umfasst der in Art. 47 der Grundrechtecharta verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes mehrere Elemente, zu denen u. a. das Recht auf Zugang zu den Gerichten gehört ( 105 ).

147.

Die Prüfung der Rechtsprechung des EGMR zeigt, dass für diesen Gerichtshof die Anerkennung der Immunität eine Einschränkung dieses Rechts darstellt. Diese Einschränkung verfolge jedoch ein legitimes Ziel, nämlich das, das Völkerrecht zu achten, um die Höflichkeit und die guten Beziehungen zwischen den Staaten durch die Achtung der Souveränität eines anderen Staates zu fördern. Im Übrigen sei diese Einschränkung im Allgemeinen nicht unverhältnismäßig, da sie die im Bereich der Staatenimmunität allgemein anerkannten Grundsätze des Völkerrechts widerspiegele ( 106 ).

148.

Dem gleichen Gedankengang folgend hat der Supreme Court des Vereinigten Königreichs kürzlich entschieden, dass mangels einer sich aus dem Grundsatz der Staatenimmunität ergebenden Verpflichtung eine Weigerung, die Rechtsprechung auszuüben, gegen Art. 6 EMRK und – was auf das Unionsrecht gestützte Anträge betrifft – auch gegen Art. 47 der Grundrechtecharta verstößt ( 107 ). In seinem Urteil hat er allerdings nicht geprüft, ob die Anerkennung der Staatenimmunität die Ausübung der sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit beeinträchtigte. Er scheint dagegen der Meinung gewesen zu sein, dass Art. 47 der Grundrechtecharta aufgrund seiner unmittelbaren horizontalen Wirkung einem Drittstaat entgegengehalten werden kann, um in einem Rechtsstreit, in dem die Klage auf ein vom Unionsrecht garantiertes Recht gestützt wird, eine die Staatenimmunität betreffende nationale Bestimmung auszuschalten.

149.

Im vorliegenden Fall wurde die im Ausgangsrechtsstreit erhobene Klage nicht auf das Unionsrecht gestützt.

150.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass ein nationales Gericht, das seine Zuständigkeit für die Entscheidung eines Rechtsstreits auf die Verordnung Nr. 44/2001 stützt, das Recht der Union im Sinne des Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta durchführt ( 108 ). Außerdem handelt es sich bei dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts. Folglich müsste für den Fall, dass sich aus irgendeinem Grund der Umfang des von Art. 47 der Grundrechtecharta gewährten Schutzes auf die Rechte und Freiheiten im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Grundrechtecharta beschränkt, dieser allgemeine Grundsatz „die Lücke schließen“ ( 109 ).

151.

Des Weiteren entfaltet Art. 47 der Grundrechtecharta aus sich heraus Wirkung und muss nicht durch Bestimmungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts konkretisiert werden, um dem Einzelnen ein Recht zu verleihen, das er als solches geltend machen kann ( 110 ). Da der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes das Recht auf Zugang zu den Gerichten umfasst, muss der Einzelne sich gegenüber den Hoheitsträgern der Mitgliedstaaten auf sein Recht, das zuständige Gericht anzurufen, berufen können.

152.

Schließlich hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Verpflichtung, jede nationale Bestimmung unangewendet zu lassen, die einer unionsrechtlichen Bestimmung, die unmittelbare Wirkung hat, entgegensteht, unabhängig davon besteht, ob die Rechtsstellung von Privatpersonen möglicherweise geändert wird, wenn das vorlegende Gericht eine nationale Bestimmung über die gerichtliche Zuständigkeit unangewendet lässt und über den Antrag entscheidet ( 111 ). Dasselbe muss für die Implikationen der Bemühung um den Ausgleich zwischen den völkerrechtlichen und den unionsrechtlichen Verpflichtungen gelten ( 112 ).

153.

Insoweit äußert das vorlegende Gericht keine Zweifel an dem Vorliegen des effektiven Zugangs zu den panamaischen Gerichten. Im Übrigen führt es aus, im Ausgangsrechtsstreit gehe es nicht um Verbrechen, die unter Verstoß gegen völkerrechtliche Regeln des ius cogens begangen worden wären. Unter diesen Umständen bin ich der Meinung, dass das Recht auf Zugang zu den Gerichten das vorlegende Gericht nicht daran hindern würde, die Staatenimmunität im Ausgangsrechtsstreit anzuerkennen.

154.

Unbeschadet dieser zusätzlichen Anmerkungen zur Reichweite der Staatenimmunität im Ausgangsrechtsstreit erhalte ich die Auffassung, die ich oben in Nr. 129 dargelegt habe, aufrecht.

V. Ergebnis

155.

Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunale di Genova (Gericht von Genua, Italien) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung eine Schadensersatzklage gegen privatrechtliche Organisationen wegen Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung erfasst, die diese Organisationen im Auftrag eines Drittstaats, für diesen Staat und in dessen Interesse verrichtet haben.

Der völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität steht der Anwendung der Verordnung Nr. 44/2001 in einem Rechtsstreit über eine solche Klage nicht entgegen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

( 3 ) Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1833, 1834 und 1835, S. 3.

( 4 ) Beschluss des Rates vom 23. März 1998 über den Abschluss des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 und des Übereinkommens vom 28. Juli 1994 zur Durchführung des Teils XI des Seerechtsübereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. 1998, L 179, S. 1).

( 5 ) Geschlossen in London am 1. November 1974.

( 6 ) Richtlinie 2009/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über gemeinsame Vorschriften und Normen für Schiffsüberprüfungs- und ‑besichtigungsorganisationen und die einschlägigen Maßnahmen der Seebehörden (ABl. 2009, L 131, S. 47).

( 7 ) Vgl. auch das Urteil des Supreme Court of the United Kingdom vom 18. Oktober 2017 in der Sache Benkharbouche/Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, [2017] UKSC 62, Nr. 59, wonach die räumlichen Verbindungen zwischen dem Kläger einerseits und dem beklagten Staat oder dem Gerichtsstaat andererseits nie völlig irrelevant sein können, selbst wenn sie keinen Einfluss auf die klassische Unterscheidung zwischen Handlungen iure imperii und Handlungen iure gestionis haben. Denn der wesentliche Grundsatz des Völkerrechts besagt, dass die Souveränität territorial ist und die Immunität der Staaten eine Ausnahme von diesem Grundsatz darstellt. Ich werde auf die in diesem Urteil angestellten Überlegungen in dem Teil der vorliegenden Schlussanträge zurückkommen, in dem ich auf die Beziehung zwischen der geltend gemachten Befreiung von der Gerichtsbarkeit und der Ausübung der sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit eingehe.

( 8 ) Im Urteil vom 15. Februar 2007, Lechouritou u. a. (C‑292/05, EU:C:2007:102), hat der Gerichtshof die Fragen nach dem Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 und nach der Wirkung einer Einrede der Immunität von der Gerichtsbarkeit auf die Ausübung der sich aus der Verordnung Nr. 44/2001 ergebenden Zuständigkeit in einer ähnlichen Reihenfolge untersucht.

( 9 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Lechouritou u. a. (C‑292/05, EU:C:2006:700, Nr. 76). Ich stelle insoweit fest, dass der unbestreitbare Vorrang der Immunität vor den Zuständigkeitsvorschriften offensichtlich in der neueren Lehre in Frage gestellt wird. Vgl. Sanger, A., „State Immunity and the Right of Access to a Court under the EU Charter of Fundamental Rights“, International & Comparative Law Quarterly, Bd. 65(1), 2016, S. 213 ff.

( 10 ) Urteil vom 15. Februar 2007, Lechouritou u. a. (C‑292/05, EU:C:2007:102).

( 11 ) Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. 1978, L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. 1982, L 388, S. 1) und des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. 1989, L 285, S. 1); im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen.

( 12 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 33 und 57).

( 13 ) Vgl. das kürzlich ergangene Urteil vom 8. März 2018, Saey Home & Garden (C‑64/17, EU:C:2018:173, Rn. 18).

( 14 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 23 und 24).

( 15 ) Vgl. namentlich Fox, H., Webb, P., The Law of State Immunity, Oxford University Press, Oxford 2013, S. 32 f.

( 16 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 54).

( 17 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 55).

( 18 ) Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:309, Nr. 21). Siehe auch Fox, H., Webb, P., a. a. O., S. 32 f.

( 19 ) Europarat, Sammlung der Europäischen Verträge, Nr. 74. Dieses Übereinkommen wurde im Europarat erarbeitet und lag am 16. Mai 1972 in Basel (Schweiz) zur Unterzeichnung durch die Staaten auf.

( 20 ) Dieses Übereinkommen wurde im Dezember 2004 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommen und lag ab 17. Januar 2005 zur Unterzeichnung durch die Staaten auf.

( 21 ) Vgl. Crawford, J., Brownlie’s Principles of Public International Law, Oxford University Press, Oxford 2019 (9. Aufl.), S. 473 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 22 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:309, Nr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Siehe auch Pavoni, R., „The Myth of the Customary Nature of the United Nations Convention on the State Immunity: Does the End Justify the Means?“, The European Convention on Human Rights and General International Law, unter der Leitung von A. Aaken, I. Motoc, Oxford University Press, Oxford 2018, S. 282.

( 23 ) Vgl. van Alebeek, R., unter der Leitung von R. O’Keefe, C. J. Tams, The United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property. A Commentary, Oxford 2013, S. 163, und Stewart, D. P., „The UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property“, The American Journal of International Law, Bd. 99, 2005, S. 199.

( 24 ) Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 101). Vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation (C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 9 und 10), und vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a. (C‑308/06, EU:C:2008:312, Rn. 51).

( 25 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. November 1992, Poulsen und Diva Navigation (C‑286/90, EU:C:1992:453, Rn. 9), und vom 25. Februar 2010, Brita (C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 45).

( 26 ) Schließlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es dem beklagten Staat freisteht, auf seine Immunität zu verzichten.

( 27 ) Siehe in diesem Sinne Crawford, J., a. a. O., S. 470, und Higgins, R., „General Course on Public International Law“, Recueil des cours de l’Académie de La Haye, Bd. 230, 1991, S. 115.

( 28 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 56).

( 29 ) Ich stelle fest, dass bestimmte nationale Gerichte aus der Nichtanwendbarkeit der Verordnung Nr. 44/2001 in einem gegebenen Rechtsstreit wegen der Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch einen beklagten Staat hergeleitet haben, dass der betreffende Staat in diesem Rechtsstreit in den Genuss der Immunität kommt. Offenbar hat nämlich der Oberste Gerichtshof (Österreich) in seinem Urteil vom 22. Januar 2019 (10 Ob 103/18x, unter 1.1) unter Berücksichtigung des Urteils vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass ein Rechtsstreit über eine Klage, die gegen einen Mitgliedstaat erhoben wurde, der Anleihen begeben hatte und nach der Emission dieser Anleihen ein Gesetz erließ, das es ermöglichte, die ursprünglichen Anleihebedingungen zu ändern, nicht „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) betraf, darauf erkannt, dass in einem entsprechenden Rechtsstreit die österreichischen Gerichte nicht über die Haftung eines beklagten Staates entscheiden können.

( 30 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 49).

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Muir Watt, H., Pataut, E., „Les actes iure imperii et le règlement Bruxelles I“, Revue critique de droit international privé, Bd. 97, 2008, S. 61 ff., Nr. 25.

( 32 ) Vgl. van Alebeek, R., a. a. O., S. 57 bis 59.

( 33 ) Der Umstand, dass Handlungen iure imperii nicht ausdrücklich genannt werden, erklärt möglicherweise, weshalb das vorlegende Gericht in der Begründung der Vorlagefrage ausführt, dass es sich frage, ob die von den privatrechtlichen Organisationen verrichteten Tätigkeiten der Klassifikation und Zertifizierung unter den Begriff „verwaltungsrechtliche Angelegenheiten“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 fallen.

( 34 ) Vgl. das kürzlich ergangene Urteil vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana (C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 35 ) Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 27).

( 36 ) Vgl. Urteil vom 12. September 2013, Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 37 ) Um zu ermitteln, ob der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ eine Schadensersatzklage erfasst, hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. Februar 2007, Lechouritou u. a. (C‑292/05, EU:C:2007:102, Rn. 38), auf Handlungen, die dem Schaden und damit der Schadensersatzklage zugrunde liegen, im Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 36), auf Handlungen, auf die ein Rechtsstreit zurückgeht, und schließlich im Urteil vom 28. April 2009, Apostolides (C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 45), auf Handlungen, gegen die sich eine Klage richtet, abgestellt.

( 38 ) Vgl. in diesem Sinne Rogerson, P., „Article 1er“, Brussels I bis Regulation, unter der Leitung von U. Magnus, P. Mankowski, Otto Schmidt, Köln 2016, S. 63, Nr. 13. Vgl. dazu auch Boschieriero, N., „Jurisdictional Immunities of the State and Exequatur of Foreign Judgments: a private International Law Evaluation of the Recent ICJ Judgment in Germany v. Italy“, International Courts and the Development of International Law: Essays in Honour of Tullio Treves, unter der Leitung von N. Boschiero, T. Scovazzi, C. Pitea, C. Ragni, T. M. C. Asser Press, Den Haag 2013, S. 808 und 809, der ausführt, dass der Haftungsausschluss von Handlungen iure imperii nichts mit dem eigentlichen Wesen der „Zivil- und Handelssachen“ zu tun habe, sondern auf einer politischen Entscheidung beruhe.

( 39 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 31 und 32). Zudem wurde durch diese Ergänzung die terminologische Kohärenz zwischen der Verordnung Nr. 1215/2012 und anderen Akten des internationalen Privatrechts der Union hergestellt. Zur Veranschaulichung siehe Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 40), wonach diese Verordnung insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii) gilt. Dies bedeutet zum einen, dass die Auslegung dieser Rechtsakte sich für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 44/2001 als nützlich erweisen kann, und zum anderen, dass die Auslegung dieser Verordnung durch den Gerichtshof Auswirkungen auf den Anwendungsbereich dieser Rechtsakte haben wird.

( 40 ) Vgl. Toader, C., „La notion de matière civile et commerciale“, Europa als Rechts- und Lebensraum: Liber amicorum für Christian Kohler zum 75. Geburtstag am 18. Juni 2018, unter der Leitung von B. Hess, E. Jayme, H.‑P. Mansel, Verlag Ernst und Werner Gieseking, Bielefeld 2018, S. 521 und die dort angeführte Lehre. Vgl. auch in diesem Sinne zu der in Fn. 39 genannten Verordnung Nr. 864/2007 Nourissat, C., „Le champ d’application du règlement ‚Rome II‘“, Le règlement communautaire ‚Rome II‘ sur la loi applicable aux obligations non contractuelles. Actes du colloque du 20 septembre 2007 – Dijon, unter der Leitung von S. Corneloup und N. Joubert, Litec LexisNexis, Paris 2008, S. 24.

( 41 ) Vgl. Urteile vom 1. Oktober 2002, Henkel (C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 26), vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 9. März 2017, Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 35).

( 42 ) Vgl. Urteil vom 12. September 2013, Sunico u. a. (C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 43). Man kann allerdings die Auffassung vertreten, dass eine Steuerbehörde, die Forderungen wegen eines Verstoßes gegen die Steuervorschriften erhebt, hoheitlich handelt, selbst wenn sie nach allgemeinem Haftungsrecht Schadensersatz vor den ordentlichen Gerichten verlangt. Vgl. Kohler, C., „Abschied von der autonomen Auslegung des Begriffs ‚Zivil- und Handelssachen‘ in Art. 1 EuGVVO?“, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, Bd. 35(1), 2015, S. 55.

( 43 ) Vgl. De Bruyne, J., Third-Party Certifiers, Wolters Kluwer, Alphen aan den Rijn, 2019; Goebel, F., Classification Societies. Competition and Regulation of Maritime Information Intermediaries, Lit, Zürich 2017, S. 42 ff., und Ulfbeck, V., Møllmann, A., „Public Function Liability of Classification Societies“, Certification – Trust, Accountability, Liability, unter der Leitung von P. Rott, Springer, Cham, 2019, S. 213 ff.

( 44 ) Vgl. Regel 3-1, Teil A‑1, Kapitel II‑1 des SOLAS-Übereinkommens. Vgl. auch Ulfbeck, V., Møllmann, A., a. a. O., S. 225.

( 45 ) Vgl. namentlich Regel 6, Kapitel I des SOLAS-Übereinkommens.

( 46 ) Urteil vom 9. März 2017, Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 35).

( 47 ) Vgl. Urteil vom 5. Februar 2004, Frahuil (C‑265/02, EU:C:2004:77, Rn. 20).

( 48 ) Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2014, flyLAL-Lithuanian Airlines (C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 35).

( 49 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2018 (C‑308/17, EU:C:2018:911).

( 50 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 38 und 39).

( 51 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 40 und 41).

( 52 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2018, Kuhn (C‑308/17, EU:C:2018:911, Rn. 42).

( 53 ) Vgl. Fn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 54 ) Vgl. Urteil vom 4. Mai 2010, TNT Express Nederland (C‑533/08, EU:C:2010:243, Rn. 49).

( 55 ) Auch wenn der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 nicht notwendigerweise mit dem negativen Bereich der Immunität zusammenfällt, halte ich die Relevanz des Ziels einer Tätigkeit auch im Recht der Staatenimmunität für fragwürdig. Namentlich im Rahmen des Übereinkommens von New York, das auf der Unterscheidung zwischen den Handlungen iure imperii und den Handlungen iure gestionis beruht, kann das Ziel eines Rechtsakts für die Frage bedeutsam sein, ob dieser iure gestionis vorgenommen wurde mit der Konsequenz, dass sich der beklagte Staat nicht auf die Immunität berufen kann. Nach diesem Übereinkommen ist der Zweck eines Rechtsakts ein subsidiäres Kriterium im Verhältnis zu seiner Natur, das in bestimmten Fällen berücksichtigt werden kann. Zudem ist dieses subsidiäre Kriterium erstens stark umstritten (vgl. Pavoni, R., a. a. O., S. 282) und zweitens aus den in Nr. 77 dieser Schlussanträge dargelegten Gründen Gegenstand der Kritik der Lehre (vgl. Bröhmer, J., State Immunity and the Violation of Human Rights, Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag 1997, S. 1); drittens wird es von den einzelstaatlichen Gerichten, die dazu neigen, ausschließlich auf die Natur eines Rechtsakts abzustellen, nicht durchgehend angewandt (vgl. Yang, X., State Immunity in International Law, Cambridge University Press, Cambridge 2012, S. 85 bis 108).

( 56 ) Urteil vom 9. März 2017 (C‑551/15, EU:C:2017:193, Rn. 35).

( 57 ) Urteil vom 21. April 1993 (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 21).

( 58 ) Urteil vom 21. April 1993, Sonntag (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 27 und 28).

( 59 ) C‑172/91, EU:C:1992:487, Nr. 44.

( 60 ) Da der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 nicht notwendigerweise mit dem negativen Bereich der Immunität zusammenfällt, kann ich nicht ausschließen, dass eine solche eventuelle Haftung des Staates im Kontext des Rechts der Staatenimmunität möglicherweise von Bedeutung ist.

( 61 ) Vgl. Urteil vom 16. Dezember 1980 (814/79, EU:C:1980:291, Rn. 9).

( 62 ) Vgl. Urteil vom 16. Dezember 1980, Rüffer (814/79, EU:C:1980:291, Rn. 9 und 10).

( 63 ) Ich muss darauf hinweisen, dass die niederländische Regierung in der Rechtssache, die zum Urteil vom 16. Dezember 1980, Rüffer (814/79, EU:C:1980:291), geführt hat, vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, dass das niederländische Recht es dem Verwalter einer öffentlichen Wasserstraße gestattet, ein Wrack, das eine Gefahr oder eine Beeinträchtigung für den Seeverkehr darstellt, zu beseitigen, ohne dass er dafür die Zustimmung des Eigentümers oder des Besitzers des Wracks einholen muss. Ferner hat der Gerichtshof in Rn. 11 dieses Urteils auf die allgemeinen Grundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergeben, Bezug genommen, um festzustellen, dass, wie sich aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergibt, der Verwalter der Wasserstraßen bei der Wrackbeseitigung in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird. Diese Passage muss im Licht der Darstellung der innerstaatlichen Regelungen in den Schlussanträgen von Generalanwalt Warner in der Rechtssache Rüffer (814/79, EU:C:1980:229) gelesen werden. Daraus ergibt sich, dass diese Regelungen speziell die Befugnisse der Verwalter gegenüber den Eigentümern, die ein ihnen gehörendes Wrack nicht beseitigt haben, präzisieren, weniger dagegen die bezüglich der Umwelt bestehenden Verpflichtungen.

( 64 ) Vgl. Basedow, J., „Civil and Commercial Matters. A New Key Concept of Community Law“, Rett og toleranse. Festskrift til Helge Johan Thue – 70 år, Gyldendal, unter der Leitung von T. Frantzen, J. Giersten, G. Cordero Moss, Gyldendal, Oslo 2007, S. 159.

( 65 ) Was die Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssachen“ betrifft, wird die Relevanz der Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten u. a. durch Bezugnahme auf ein Urteil über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestätigt, vgl. Urteil vom 21. April 1993, Sonntag (C‑172/91, EU:C:1993:144, Rn. 24).

( 66 ) Urteil vom 16. Juni 2015 (C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 20).

( 67 ) Vgl. oben, Nrn. 67 bis 70.

( 68 ) Vgl. oben, Nrn. 71 bis 83.

( 69 ) Vgl. oben, Nrn. 84 bis 88.

( 70 ) Vgl. oben, Nrn. 90 bis 98.

( 71 ) Vgl. Beschluss vom 12. Juli 2012, Currà u. a. (C‑466/11, EU:C:2012:465, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Offensichtlich ist dies auch die Auffassung, die Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Lechouritou u. a. (C‑292/05, EU:C:2006:700, Nr. 78) vertreten hat, wo er ausgeführt hat, dass in einem Rechtsstreit, in dem das Brüsseler Übereinkommen nicht anwendbar ist, die Prüfung der Immunität und ihrer Auswirkungen auf die Menschenrechte über die Befugnisse des Gerichtshofs hinausgeht.

( 72 ) Vgl. Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 49).

( 73 ) Vgl. van Alebeek, R., The Immunity of States and Their Officials in International Criminal Law and International Human Rights Law, Oxford University Press, Oxford 2008, S. 57 bis 59.

( 74 ) In der Sache „Erika“ wurde die Frage der Staatenimmunität in dem Urteil Nr. 3439 vom 25. September 2012 (10‑82.938) (FR:CCASS:2012:CR03439) nicht entschieden: Die Cour de Cassation (chambre criminelle) (Frankreich) führte aus, dass eine der Parteien, die geltend gemacht hatte, dass ihr eine Immunität zustehe, aktiv an den Ermittlungen teilgenommen hatte und dass diese aktive Teilnahme an den Ermittlungen mit einer eventuellen Absicht, sich auf diese Immunität zu berufen, nicht vereinbar sei. In der Sache „Prestige“ wurde das ebenfalls von den Beklagten angeführte Urteil vom 19. März 2014 des Tribunal de Bordeaux (Frankreich) durch Urteil Nr. 14/02185 der Cour d’appel de Bordeaux vom 6. März 2017 aufgehoben, soweit darin entschieden worden war, dass den Beklagten Staatenimmunität zustehe. Zwar entschied die Cour de Cassation mit Urteil Nr. 17‑18.286 vom 17. April 2019 (FR:CCASS:2019:C100370), in dem sie das Urteil der Cour d’Appel bestätigte, dass die Tätigkeiten der Zertifizierung und der Klassifikation voneinander trennbar seien und dass nur die Erstere es einer privatrechtlichen Gesellschaft ermögliche, sich auf die Staatenimmunität zu berufen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Rechtssache nur die Haftung für die Tätigkeiten der Klassifikation betraf, so dass die Ausführungen zu den Tätigkeiten der Zertifizierung als obiter dicta angesehen werden können. Übrigens wurde in den von den Beklagten angeführten Urteilen der italienischen Gerichte, u. a. im Urteil des Tribunale di Genova (Gericht von Genua) Nr. 2097 vom 8. März 2012 die Gegenmeinung hinsichtlich der Trennbarkeit dieser Tätigkeiten vertreten, vgl. Goebel, F., a. a. O., S. 334.

( 75 ) Vgl. u. a. Dickinson, A., „State Immunity and State-Owned Enterprises“, Business Law International, Bd. 10, 2009, S. 97 ff.

( 76 ) Urteil vom 19. Juli 2012 (C‑154/11, EU:C:2012:491).

( 77 ) Urteil vom 19. Juli 2012, Mahamdia (C‑154/11, EU:C:2012:491, Rn. 55 und 56).

( 78 ) Vgl. oben, Nr. 38.

( 79 ) „Draft articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, with commentaries“, Yearbook of International Law Commission, 1991, Bd. II(2), S. 17.

( 80 ) Durchführungsrichtlinie der Kommission vom 17. Dezember 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/15 (ABl. 2014, L 366, S. 83).

( 81 ) Vgl. oben, Nr. 62.

( 82 ) Vgl. in diesem Sinne Ulfbeck, V., Møllmann, A., a. a. O., S. 218.

( 83 ) Vgl. Internationaler Gerichtshof, Urteil vom 3. Februar 2012 zur Staatenimmunität (Deutschland/Italien; Streithelfer Griechenland), CIJ Recueil 2012, Nr. 58.

( 84 ) Vgl. Rocha Ferreira, A., Carvalho, C., „Formation and Evidence of Customary International Law“, UFRGS Model United Nations Journal, Bd. 1, 2013, S. 187 und 188 und die dort zitierte Rechtslehre. Vgl. auch „Draft conclusions on identification of customary international law, with commentaries“, Yearbook of the International Law Commission, 2018, Bd. II.

( 85 ) Zum Problem der positiven und negativen Beiträge der Union im Rahmen ihrer Teilnahme an der Bildung gewohnheitsrechtlicher Regeln vgl. Malenovský, J., „Le juge et la coutume internationale: perspective de l’Union européenne et de la Cour de justice“, The Law and Practice of International Courts and Tribunals, Bd. 12, 2013, S. 218.

( 86 ) Vgl. den Bericht der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Amtliche Dokumente. Dreiundsiebzigste Sitzung, Supplément Nr. 10 (A‑73/10), S. 127.

( 87 ) Vgl. oben, Nrn. 100 und 101.

( 88 ) Anders als die Immunität führt der Haftungsausschluss dazu, dass nach materiellem Recht eine Haftung ausscheidet. Vgl. Ulfbeck, V., Møllmann, A., a. a. O., S. 232 und 238.

( 89 ) Vgl. Briggs, A., Civil Jurisdiction and Judgments [Informa law from Routledge], Taylor & Francis Group, New York 2015, S. 391; Hess, B., „Die intertemporale Anwendung des europäischen Zivilprozessrechts in den EU-Beitrittsstaaten“, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, Bd. 4, 1994, S. 374, Nrn. 10 und 14, und Mankowski, P., a. a. O., S. 1058.

( 90 ) Vgl. e contrario Urteil vom 13. Mai 2015, Gazprom (C‑536/13, EU:C:2015:316, Rn. 43).

( 91 ) Dazu wurde in der Rechtslehre die Meinung geäußert, dass Art. 71 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht das Verhältnis zwischen dieser Verordnung und den völkerrechtlichen Übereinkommen regele, denen alle Mitgliedstaaten der Union beigetreten sind. Diese Übereinkommen seien integraler Bestandteil der Rechtsordnung der Union, und deshalb müsse ihr Verhältnis zu dieser Verordnung anhand des Art. 67 dieser Verordnung oder des Art. 216 Abs. 2 AEUV untersucht werden. Vgl. Lazić, V., Stuij, S., „Brussels I bis in Relation to Other Instruments on the Global Level“, unter der Leitung von V. Lazić, S. Stuij, Brussels I bis Regulation: Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme, Springer, Den Haag 2017, S. 133, und Puetz, A., „Rules on Jurisdiction and Recognition or Enforcement of Judgments in Specialised Conventions on Transport in the Aftermath of TNT: Dynamite or Light in the Dark?“, The European Legal Forum, Bd. 5/6, 2018, S. 124.

( 92 ) Vgl. in diesem Sinne Lenaerts, K., „The Kadi Saga and the Rule of Law within the EU“, SMU Law Review, Bd. 67, 2014, S. 712.

( 93 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 11. Juli 2018, Bosphorus Queen Shipping (C‑15/17, EU:C:2018:557, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 94 ) Insbesondere übt die Union anders als bei den völkerrechtlichen Übereinkommen ihre Zuständigkeit nicht so aus, dass sie sich an die Regeln des Völkergewohnheitsrechts binden lässt. Vgl. Neframi, E., „Customary International Law and Article 3(5) TUE“, The European Union’s External Action in Times of Crisis, unter der Leitung von P. Eeckhout, M. Lopez-Escudero, Hart Publishing, Oxford 2016, S. 208 ff.

( 95 ) Vgl. Urteil vom 25. Februar 2010, Brita (C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 42). Vgl. auch in diesem Sinne Urteile vom 23. Januar 2014, Manzi und Compagnia Naviera Orchestra (C‑537/11, EU:C:2014:19, Rn. 39), und vom 14. März 2017, A u. a. (C‑158/14, EU:C:2017:202, Rn. 87).

( 96 ) Dies ist auch die Auffassung, die der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Vereinigtes Königreich), in seinem Urteil vom 20. Dezember 2005, Grovit/De Nederlandsche Bank u. a. [2006] 1 WLR 3323, Nr. 47 zum Verhältnis des Rechts der Staatenimmunität zur Verordnung Nr. 44/2001 vertrat. Diesem Urteil zufolge ist die Verordnung nicht so auszulegen, dass sie die Berufung auf die Staatenimmunität ausschließt, wohl aber unter Beachtung des internationalen Rechts der Staatenimmunität.

( 97 ) Urteil vom 11. September 2014, A (C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 51).

( 98 ) Vgl. Lenaerts, K., a. a. O., S. 707, 710 und 711.

( 99 ) Vgl. Urteil vom 16. Oktober 2012 (C‑364/10, EU:C:2012:630, Rn. 51 et 52).

( 100 ) Urteil vom 3. September 2008 (C‑402/05 P und C‑415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 285).

( 101 ) Vgl. in diesem Sinne Lenaerts, K., a. a. O., S. 712.

( 102 ) Vgl. Internationaler Gerichtshof, Urteil vom 3. Februar 2012, Staatenimmunität (Deutschland/Italien; Griechenland [Streithelfer]), CIJ Recueil 2012, Nr. 101. Das auf das Fehlen anderer möglicher Wege, Schadensersatz zu erlangen, gestützte Vorbringen wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil vom 14. Januar 2014, Jones u. a./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2014:0114JUD003435606, §§ 193 und 195), stillschweigend zurückgewiesen.

( 103 ) So bestimmt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2009/15, dass eine Vereinbarung zwischen einem Mitgliedstaat und einer anerkannten Organisation die Verpflichtung enthält, eine örtliche Vertretung in diesem Mitgliedstaat einzurichten, wodurch die Zuständigkeit von dessen Gerichten sichergestellt werden kann. Vgl. zu dieser Problematik Ulfbeck, V., Møllmann, A., a. a. O., S. 220.

( 104 ) Vgl. insbesondere EGMR, 21. Februar 1975, Golder/Vereinigtes Königreich, (CE:ECHR:1975:0221JUD 000445170, § 36).

( 105 ) Siehe Urteil vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 48).

( 106 ) Vgl. insbesondere EGMR, 21. November 2001, Al-Adsani/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2001:1121JUD003576397, § 56), und EGMR, 14. Januar 2014, Jones u. a./Vereinigtes Königreich, (CE:ECHR:2014:0114JUD003435606, §§ 186 bis 189). Ich stelle fest, dass diese Rechtsprechung vor allem im Kontext von Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen und Staaten entwickelt wurde. Nach meinen Bemerkungen oben in Nr. 142 erklärt dies möglicherweise die Gründe, aus denen der EGMR das Bestehen anderer effektiver Wege, die es ermöglichen, Schadensersatz zu erlangen, nicht prüft und feststellt, dass allgemein die Einschränkung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht nicht unverhältnismäßig ist. In einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen und einer internationalen Organisation, die kein eigenes staatliches zuständiges Gericht hat, hat der EGMR andere zumutbare Wege gesucht, um die von der EMRK garantierten Rechte wirksam zu schützen. Vgl. EGMR, 18. Februar 1999, Waite und Kennedy/Deutschland (CE:ECHR:1999:0218JUD002608394, § 68). Meines Erachtens ist in diesem Kontext die Situation von privatrechtlichen Organisationen, die sich außerhalb des Staates befinden, von dem ihre Immunität hergeleitet wird, mit der einer internationalen Organisation vergleichbar.

( 107 ) Vgl. Urteil vom 18. Oktober 2017, Benkharbouche/Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs, [2017] UKSC 62.

( 108 ) Vgl. Urteil vom 25. Mai 2016, Meroni (C‑559/14, EU:C:2016:349, Rn. 44).

( 109 ) Prechal, S., „The Court of Justice and Effective Judicial Protection: What Has the Charter Changed?“, C. Paulussen, T. Takács, V. Lazic, B. Van Rompuy (Hrsg.), Fundamental Rights in International and European Law. Public and Private Law Perspective, Springer, Den Haag 2016, S. 148 und 149.

( 110 ) Vgl. zur Möglichkeit der Berufung auf Art. 47 der Grundrechtecharta Urteil vom 17. April 2018, Egenberger (C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 78).

( 111 ) Siehe Urteil vom 11. Juli 2019, A (C‑716/17, EU:C:2019:598, Rn. 39).

( 112 ) Siehe oben, Nrn. 137 und 144.

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