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Document 62018CC0564

Schlussanträge des Generalanwalts M. Bobek vom 5. Dezember 2019.
LH gegen Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal.
Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Antrag auf internationalen Schutz – Art. 33 Abs. 2 – Unzulässigkeitsgründe – Nationale Regelung, nach der der Antrag unzulässig ist, wenn der Antragsteller aus einem Land, in dem er nicht der Verfolgung oder der Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, in dem betreffenden Mitgliedstaat eingetroffen ist oder dieses Land ausreichenden Schutz gewährt – Art. 46 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen über die Unzulässigkeit von Anträgen auf internationalen Schutz – Frist von acht Tagen für die Entscheidung – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Rechtssache C-564/18.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:1056

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 5. Dezember 2019 ( 1 )

Rechtssache C‑564/18

LH

gegen

Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal

(Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság [Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht, Ungarn])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 33 – Unzulässigkeitsgründe – Erschöpfender Charakter – Art. 46 Abs. 3 – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Frist von acht Tagen für die Entscheidung des Gerichts“

I. Einleitung

1.

Die Richtlinie 2013/32/EU ( 2 ) bestimmt fünf Situationen, in denen ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachtet werden kann. Zwei dieser Situationen sind für die vorliegende Rechtssache relevant, nämlich, dass ein Drittstaat im Hinblick auf den betreffenden Antragsteller als „erster Asylstaat“ oder als „sicherer Drittstaat“ betrachtet wird.

2.

Kann ein Mitgliedstaat eine Regelung einführen, die es seinen Behörden gestattet, Anträge als unzulässig zu betrachten, die von Antragstellern gestellt werden, die in diesen Mitgliedstaat über einen Drittstaat eingereist sind, der als „sicherer Transitstaat“ betrachtet wird, und die somit die Aufzählung in Art. 33 der Richtlinie 2013/32 faktisch um eine Kategorie erweitert?

3.

Kann außerdem für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Entscheidungen, mit denen Anträge für unzulässig erachtet werden, eine Frist von acht Tagen festgelegt werden?

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

4.

Nach dem 43. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 „[sollten] die Mitgliedstaaten … alle Anträge in der Sache prüfen, d. h. beurteilen, ob der betreffende Antragsteller gemäß der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anerkannt werden kann, sofern die vorliegende Richtlinie nichts anderes vorsieht, insbesondere dann, wenn vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ein anderer Staat den Antrag prüfen oder für einen ausreichenden Schutz sorgen würde. Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere nicht verpflichtet sein, einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache zu prüfen, wenn der erste Asylstaat dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat oder ihm anderweitig ausreichenden Schutz gewährt und die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist“.

5.

Dem 44. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 zufolge „[sollten] die Mitgliedstaaten … nicht verpflichtet sein, einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache zu prüfen, wenn vom Antragsteller aufgrund einer ausreichenden Verbindung zu einem Drittstaat im Sinne einzelstaatlicher Rechtsvorschriften erwartet werden kann, dass er in diesem Drittstaat Schutz suchen wird, und wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist. Die Mitgliedstaaten sollten nur dann nach diesem Grundsatz verfahren, wenn dieser Antragsteller in dem betreffenden Drittstaat tatsächlich sicher wäre. Zur Vermeidung der Sekundärmigration der Antragsteller sollten gemeinsame Grundsätze festgelegt werden, nach denen Mitgliedstaaten Drittstaaten als sicher betrachten oder als sicher bestimmen“.

6.

Art. 33 der Richtlinie 2013/32 betrifft „Unzulässige Anträge“. Er lautet wie folgt:

„(1)   Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.

(2)   Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a)

ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

b)

ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als erster Asylstaat des Antragstellers gemäß Artikel 35 betrachtet wird;

c)

ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als für den Antragsteller sicherer Drittstaat gemäß Artikel 38 betrachtet wird;

d)

es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, oder

e)

eine vom Antragsteller abhängige Person förmlich einen Antrag stellt, nachdem sie gemäß Artikel 7 Absatz 2 eingewilligt hat, dass ihr Fall Teil eines in ihrem Namen förmlich gestellten Antrags ist, und keine Tatsachen betreffend die Situation dieser Person vorliegen, die einen gesonderten Antrag rechtfertigen“.

7.

Art. 35 der Richtlinie 2013/32 handelt vom „Begriff des ersten Asylstaats“. Er legt fest:

„Ein Staat kann als erster Asylstaat für einen Antragsteller angesehen werden, wenn

a)

der Antragsteller in dem betreffenden Staat als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf oder

b)

ihm in dem betreffenden Staat anderweitig ausreichender Schutz, einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird,

vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird.

Bei der Anwendung des Konzepts des ersten Asylstaats auf die besonderen Umstände des Antragstellers können die Mitgliedstaaten Artikel 38 Absatz 1 berücksichtigen. Der Antragsteller hat die Möglichkeit, die Anwendung des Konzepts des ersten Asylstaats unter Berufung auf seine besonderen Umstände anzufechten“.

8.

Art. 38 betrifft „Das Konzept des sicheren Drittstaats“. Er legt fest:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können das Konzept des sicheren Drittstaats nur dann anwenden, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Drittstaat nach folgenden Grundsätzen behandelt wird:

a)

keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung;

b)

keine Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden;

c)

Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention;

d)

Einhaltung des Verbots der Abschiebung, wenn diese einen Verstoß gegen das im Völkerrecht festgelegte Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstellt, und

e)

Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten.

(2)   Die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats unterliegt den Regeln, die im nationalen Recht festgelegt sind; dazu gehören

a)

Regeln, die eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat verlangen, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt;

b)

Regeln betreffend die Methodik, mit der sich die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass das Konzept des sicheren Drittstaats auf einen bestimmten Staat oder einen bestimmten Antragsteller angewandt werden kann. Diese Methodik umfasst die Prüfung der Sicherheit des Staates im Einzelfall für einen bestimmten Antragsteller und/oder die nationale Bestimmung von Staaten, die als im Allgemeinen sicher angesehen werden;

c)

mit dem Völkerrecht vereinbare Regeln, die es ermöglichen, in Form einer Einzelprüfung festzustellen, ob der betreffende Drittstaat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist, und die dem Antragsteller zumindest die Möglichkeit bieten, die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats mit der Begründung anzufechten, dass der betreffende Drittstaat für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist. Darüber hinaus ist dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, das Bestehen einer Verbindung gemäß Buchstabe a zwischen ihm und dem betreffenden Drittstaat anzufechten.

…“

9.

Art. 46 handelt vom „Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“. Darin heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen

a)

eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz, einschließlich einer Entscheidung,

ii)

einen Antrag nach Artikel 33 Absatz 2 als unzulässig zu betrachten;

(3)   Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird.

(10)   Die Mitgliedstaaten können für das Gericht nach Absatz 1 Fristen für die Prüfung der Entscheidung der Asylbehörde vorsehen.

…“

B.   Nationales Recht

10.

Nach Art. 51 Abs. 2 Buchst. f des menedékjogról szóló 2007. évi LXXX. törvény (Gesetz Nr. LXXX von 2007 über das Asylrecht) (im Folgenden: Asylgesetz) ist ein Antrag unzulässig, wenn der „Antragsteller über einen Staat nach Ungarn eingereist ist, in dem er weder Verfolgung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 noch der Gefahr ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 12 Abs. 1 ausgesetzt ist, oder in dem ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist“.

11.

Art. 53 Abs. 4 Asylgesetz sieht für die gerichtliche Phase des Asylverfahrens im Fall für unzulässig erklärter Anträge eine Dauer von längstens acht Tagen vor.

III. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

12.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der syrischer Staatsangehöriger und Kurde ist, stellte am 19. Juli 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

13.

Die zuständige Asylbehörde, die Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Behörde für Einwanderung und Asyl, Ungarn) (im Folgenden: Einwanderungsbehörde), entschied, der Antrag sei unzulässig und erklärte den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung im Fall des Klägers für nicht anwendbar. Sie verfügte die Rückführung des Klägers aus dem Gebiet der Europäischen Union in das Gebiet der Republik Serbien und ordnete den Vollzug der Entscheidung im Wege der Abschiebung an. Sie verhängte gegen den Kläger zudem ein zweijähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot.

14.

Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht, Ungarn), dem vorlegenden Gericht.

15.

Der Kläger trägt vor, die Entscheidung der Einwanderungsbehörde sei rechtswidrig und aufzuheben. Es müsse eine Sachentscheidung über seinen Asylantrag ergehen, da Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz, nach dem die Einwanderungsbehörde seinen Antrag als unzulässig eingestuft habe, gegen Unionsrecht verstoße. Durch diese Bestimmung werde nämlich ein neuer Unzulässigkeitsgrund eingeführt, der auf dem Konzept eines sicheren Transitstaats beruhe, das in Art. 33 der Richtlinie 2013/32 nicht vorgesehen sei.

16.

Die Einwanderungsbehörde trägt im Wesentlichen vor, Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz sei im Kontext seiner Entstehungsgeschichte zu beurteilen. Der Gesetzgeber sei bestrebt gewesen, Regelungen zu entwickeln, mit denen u. a. den Schwierigkeiten begegnet werde, die von der erheblichen Anzahl der Antragsteller herrührten.

17.

Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Angemessenheit der Acht-Tages-Frist, innerhalb deren es die Überprüfung der Entscheidung der Einwanderungsbehörde, mit der der Antrag des Klägers für unzulässig erklärt wird, abschließen muss.

18.

Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen vorgelegt:

1.

Können die unzulässige Anträge betreffenden Bestimmungen des Art. 33 der Richtlinie 2013/32 dahin ausgelegt werden, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der im Asylverfahren ein Antrag unzulässig ist, aus dem hervorgeht, dass der Antragsteller über ein Land eingereist ist, in dem er weder Verfolgung noch der Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, oder dass in dem Land, über das er in diesen Mitgliedstaat, hier: Ungarn, eingereist ist, ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet wird?

2.

Können Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 31 der Richtlinie 2013/32 – auch unter Berücksichtigung der Art. 6 und 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention – dahin ausgelegt werden, dass mit ihnen die Regelung eines Mitgliedstaats vereinbar ist, die bei im Asylverfahren für unzulässig erklärten Anträgen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine zwingende Verfahrenshöchstdauer von acht Tagen vorschreibt?

19.

Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Mit Beschluss vom 19. September 2018 hat die für Eilverfahren bestimmte Kammer entschieden, dem Antrag nicht stattzugeben.

20.

Der Kläger, die deutsche, die französische und die ungarische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Mit Ausnahme der französischen Regierung haben sie auch an der Sitzung vom 11. September 2019 teilgenommen.

IV. Würdigung

21.

Im ersten Teil dieser Schlussanträge werde ich vorschlagen, die Aufzählung der – materiellen – Unzulässigkeitsgründe in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 als erschöpfend zu betrachten. Da der zusätzliche Grund des „sicheren Transitstaats“ nicht unter die bestehenden Konzepte des „ersten Asylstaats“ oder des „sicheren Drittstaats“ subsumiert werden kann, muss ich zu dem Ergebnis kommen, dass die Mitgliedstaaten daran gehindert sind, einen solchen zusätzlichen Unzulässigkeitsgrund einzuführen (A).

22.

Was die zweite Frage angeht, werde ich in der vorliegenden Rechtssache ähnlich wie in meinen parallelen Schlussanträgen in der Rechtssache PG/Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Rechtssache C‑406/18) (im Folgenden: PG), vorschlagen, dass die Angemessenheit der vorgeschriebenen Acht-Tages-Frist davon abhängt, ob sie erlaubt, die Verfahrensrechte des Klägers zu gewährleisten. Dies ist vom nationalen Gericht im Licht der spezifischen Umstände des Falles und unter Berücksichtigung seiner Pflicht, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung durchzuführen, aber auch der gesamten Umstände und Bedingungen, unter denen dieses Gericht aufgerufen ist, seine Rechtsprechungsaufgabe wahrzunehmen, zu beurteilen. Sollte das nationale Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass die fragliche Frist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen nicht eingehalten werden kann, muss dieses Gericht die anwendbare Frist unangewendet lassen und die Prüfung so zügig wie möglich nach Ablauf dieser Frist abschließen (B).

A.   Erste Frage: Unzulässigkeitsgründe

23.

Nach Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz, der zum 1. Juli 2018 eingeführt wurde, wird ein Antrag als unzulässig angesehen, wenn der Antragsteller durch einen Drittstaat nach Ungarn einreist, in dem er weder Verfolgung noch der Gefahr ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, oder in dem „ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist“ ( 3 ). In diesen Schlussanträgen werde ich dies entsprechend der vom vorlegenden Gericht, dem Kläger und den Beteiligten verwendeten Kurzbezeichnung als Grund des „sicheren Transitstaats“ bezeichnen.

24.

Die ungarische Regierung ist der Auffassung, dieser Grund sei mit dem Konzept des „sicheren Drittstaats“ nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. c und Art. 38 der Richtlinie 2013/32 vereinbar. Sie hebt den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Richtlinie hervor und stellt fest, dass sich die nationalen Rechtsvorschriften in ihrer früheren Fassung eng an den Text der Richtlinie 2013/32 gehalten hätten, sich dies jedoch insbesondere während der Migrationskrise als unzulänglich erwiesen habe. Ferner zielten die aktuellen Rechtsvorschriften darauf ab, in Asylangelegenheiten die Wahl des günstigsten Gerichtsstands zu verhindern. Ein Asylsuchender müsse in dem ersten Staat Asyl beantragen, der für ihn sicher ist, und nicht unbedingt in dem Staat, den er als für ihn am besten ansehe. Der streitige neue Grund spiegele den Umstand wider, dass sich ein Asylsuchender nicht dafür entscheiden könne, internationalen Schutz nicht in einem Drittstaat zu beantragen, in dem er sich aufgehalten habe.

25.

Alle anderen Beteiligten – sowie das vorlegende Gericht – weisen darauf hin, dass der Unzulässigkeitsgrund des „sicheren Transitstaats“ in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 nicht vorgesehen sei. Sie tragen vor, die Aufzählung in diesem Artikel sei eindeutig erschöpfend und gestatte den Mitgliedstaaten nicht, zusätzliche Kategorien hinzuzufügen.

26.

Ich stimme dem zu. Gleichwohl sei eingangs klargestellt, dass sich das in der vorliegenden Rechtssache erörterte Konzept der „Unzulässigkeit“ in Art. 33 der Richtlinie 2013/32 auf das bezieht, was als „materielle“ Unzulässigkeit im Gegensatz zur „verfahrensrechtlichen“ Unzulässigkeit bezeichnet werden sollte.

27.

Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz unter bestimmten Umständen als unzulässig betrachten – und somit von einer Prüfung der Begründetheit absehen – können. Diese in den Buchst. a bis e vorgesehenen Szenarien zielen auf Situationen ab, in denen keine – oder keine erneute – Prüfung der Begründetheit des Antrags erforderlich ist ( 4 ). Eine solche „materielle“ Unzulässigkeit unterscheidet sich von Fragen der verfahrensrechtlichen Unzulässigkeit, die unter verschiedenen Umständen auftreten können. Mit anderen Worten bedeutet der Umstand, dass die Gründe für eine „materielle“ Unzulässigkeit durch die Richtlinie 2013/32 harmonisiert worden sind, nicht, dass die Mitgliedstaaten daran gehindert sind, Regelungen beizubehalten oder einzuführen, die verschiedene Aspekte der verfahrensrechtlichen (Un‑)Zulässigkeit wie etwa Klagefristen, Klagevoraussetzungen, Klagebefugnis usw. betreffen.

28.

Bei gezielter Betrachtung der Gründe für eine „materielle“ Unzulässigkeit muss ich in der Tat zu dem Ergebnis gelangen, dass Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 in dieser Hinsicht eine erschöpfende Aufzählung darstellt. Dieses Ergebnis beruht eindeutig nicht nur auf dem Wortlaut dieser Vorschrift („Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn“), sondern auch auf der Logik und der Systematik der Richtlinie ( 5 ) und ist kürzlich vom Gerichtshof – wenn auch in etwas anderem Zusammenhang – bestätigt worden ( 6 ).

29.

Daher lautet die Frage, die zu prüfen bleibt, ob der Grund des „sicheren Transitstaats“ unter einen der bereits in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 aufgeführten Unzulässigkeitsgründe subsumiert werden kann. Von den fünf vorgesehenen Gründen kommen im vorliegenden Kontext lediglich der „erste Asylstaat“ und der „sichere Drittstaat“, in Betracht, die in Art. 35 bzw. 38 der Richtlinie 2013/32 näher definiert werden.

30.

Ich werde nun diese beiden Gründe der Reihe nach prüfen.

1. Erster Asylstaat

31.

Das Konzept des ersten Asylstaats wird in Art. 35 der Richtlinie 2013/32 definiert. Es greift in zwei Situationen.

32.

Erstens erfasst es nach Art. 35 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 einen Staat, in dem der betreffende Antragsteller als Flüchtling anerkannt wurde und er diesen Schutz weiterhin in Anspruch nehmen darf. Diese Situation, die einen bereits gewährten und noch geltenden Status des Antragstellers als Flüchtling betrifft, erfasst eindeutig nicht den Grund des sicheren Transitstaats und ist, ausgehend von den verfügbaren Angaben, im Fall des Klägers nicht einschlägig.

33.

Zweitens kann das Konzept des ersten Asylstaats nach Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 einen Staat betreffen, in dem dem betreffenden Antragsteller „ausreichender Schutz einschließlich der Anwendung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung, gewährt wird, vorausgesetzt, dass er von diesem Staat wieder aufgenommen wird“.

34.

Die Richtlinie 2013/32 definiert nicht, was unter „ausreichendem Schutz“ zu verstehen ist. Doch gibt das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Alheto Hinweise hierzu. In dieser Rechtssache hat der Gerichtshof das Konzept des ausreichenden Schutzes im Sinne von Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 auf die Situation einer palästinensischen Antragstellerin angewendet, die beim UNRWA ( 7 ) registriert war und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Gazastreifen verlassen und sich in das Haschemitische Königreich Jordanien begeben hatte. Dort hielt sie sich für kurze Zeit auf ( 8 ), bevor sie in einen Mitgliedstaat einreiste, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das UNRWA ist auf dem Gebiet Jordaniens tätig und anerkannt und die Frage lautete im Wesentlichen, ob Jordanien als erster Asylstaat der Antragstellerin betrachtet werden konnte.

35.

In diesem spezifischen Kontext hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass einer Person, der tatsächlich Schutz oder Beistand vom UNRWA gewährt wird, „ausreichender Schutz“ im Sinne der genannten Bestimmung gewährt wird, sofern der betreffende Staat „sich verpflichtet, den Betroffenen wieder aufzunehmen, nachdem er sein Hoheitsgebiet verlassen hat, um internationalen Schutz in der Union zu beantragen“ und sofern dieser Staat „den Schutz oder Beistand des UNRWA anerkennt und dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung zustimmt, so dass sich der Betroffene in seinem Hoheitsgebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen so lange aufhalten kann, wie es die im Gebiet des gewöhnlichen Aufenthalts bestehenden Gefahren erfordern“ ( 9 ).

36.

Somit beruht die Situation nach Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 – in ähnlicher Weise wie die Situation nach Art. 35 Buchst. a dieser Richtlinie – auf der Prämisse, dass dem betreffenden Antragsteller bereits ein gewisses Maß an Schutz gewährt wurde, das ihm noch zugänglich gemacht werden kann ( 10 ).

37.

Diese in gewisser Weise „rückblickende“ Dimension des dem Antragsteller bereits gewährten – und noch zugänglichen – internationalen Schutzes im Sinne von Art. 35 Buchst. b wird überdies durch die Überschrift der gesamten Vorschrift (erster Asylstaat) und durch die Erläuterungen hierzu im 43. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 bestätigt.

38.

Diese Gesichtspunkte verdeutlichen, dass das Konzept des „ersten Asylstaats“ nach Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 auf etwas ganz anderes abzielt als der Begriff des „sicheren Transitstaats“.

39.

Erstens trifft es zwar zu, dass der eher allgemeine Begriff „ausreichender Schutz“, der nach Art. 35 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 eines der Merkmale eines „ersten Asylstaats“ darstellt, auch in der Definition des „sicheren Transitstaats“ in der streitigen nationalen Vorschrift erwähnt wird. Davon abgesehen verlangt Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz jedoch nicht ausdrücklich, dass der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung in dem fraglichen Drittstaat gewährleistet wird.

40.

Zweitens – und grundlegender – ist mir nur schwer ersichtlich, wie der bloße Umstand, durch einen Staat durchreisen zu können, einem Antragsteller tatsächlichen Schutz gewährt, auf den er sich wieder berufen kann, wenn – und falls – er wieder aufgenommen wird. Die bloße Möglichkeit des Antragstellers, in diesem Staat rückwirkend internationalen Schutz zu beantragen, unterscheidet sich sehr von einem bereits gewährten Schutz, der noch zugänglich gemacht werden kann, der dem Konzept des ersten Asylstaats zugrunde liegt.

41.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen komme ich daher zu dem Ergebnis, dass das Konzept des „sicheren Transitstaats“ nicht unter das Konzept des „ersten Asylstaats“ im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. b und Art. 35 der Richtlinie 2013/32 fällt oder mit diesem vereinbar ist.

2. Sicherer Drittstaat

42.

Die Anwendung des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. c und Art. 38 der Richtlinie 2013/32 unterliegt drei allgemeinen Kategorien von Voraussetzungen, die im Wesentlichen als Grundsätze, Regeln und Garantien beschrieben werden können.

43.

Erstens muss sich der Mitgliedstaat nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. a bis e der Richtlinie 2013/32 davon überzeugt haben, dass die ausdrücklich genannten Grundsätze gegenüber dem betreffenden Antragsteller respektiert werden. Sie bestehen darin, dass keine Gefährdung für Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung besteht, dass keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU ( 11 ) zu erleiden, dass der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention ( 12 ) gewahrt wird, dass das Verbot der Abschiebung eingehalten wird, wenn diese einen Verstoß gegen das im Völkerrecht festgelegte Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstellt, und dass die Möglichkeit besteht, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten.

44.

Zweitens, müssen die Mitgliedstaaten Regeln vorsehen, die gemäß Art. 38 Abs. 2 Buchst. a festlegen, dass eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat bestehen muss, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt. Nach Art. 38 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 müssen diese Regeln zudem die Methodik festlegen, mit der sich die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass das Konzept des sicheren Drittstaats auf einen bestimmten Staat oder einen bestimmten Antragsteller angewandt werden kann. Schließlich sind nach Art. 38 Abs. 2 Buchst. c mit dem Völkerrecht vereinbare Regeln zu erlassen, die es ermöglichen, in Form einer Einzelprüfung festzustellen, ob der betreffende Drittstaat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist.

45.

Was drittens die Garantien anbelangt, bestimmt Art. 38 Abs. 2 Buchst. c, dass die vorhandenen Regeln dem Antragsteller „zumindest“ die Möglichkeit bieten müssen, die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats mit der Begründung anzufechten, dass der betreffende Drittstaat für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist. Darüber hinaus ist dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, das Bestehen einer Verbindung zwischen ihm und dem betreffenden Drittstaat anzufechten. Außerdem muss nach Art. 38 Abs. 3 ein Mitgliedstaat, wenn er eine Entscheidung erlässt, die ausschließlich auf dem Konzept des sicheren Drittstaats beruht, den Antragsteller entsprechend unterrichten und ihm ein Dokument aushändigen, in dem die Behörden des Drittstaats in der Sprache dieses Staats davon unterrichtet werden, dass der Antrag nicht in der Sache geprüft wurde. Schließlich müssen nach Art. 38 Abs. 4 die Mitgliedstaaten, wenn der Drittstaat dem Antragsteller nicht erlaubt, in sein Hoheitsgebiet einzureisen, sicherstellen, dass im Einklang mit den in Kapitel II der Richtlinie 2013/32 beschriebenen grundlegenden Prinzipien und Garantien Zugang zu einem Verfahren gewährt wird.

46.

In der mündlichen Verhandlung ist die Frage erörtert worden, ob der Umstand der Durchreise durch einen bestimmten Staat als „eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat …, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt“, im Sinne von Art. 38 Abs. 2 Buchst. a angesehen werden kann.

47.

Ich denke nicht.

48.

Ich gebe zu, dass der Wortlaut von Art. 38 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 nicht viele Anhaltspunkte für die Bedeutung der Wendung „Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat…, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass diese Person sich in diesen Staat begibt“, liefert. Der 44. Erwägungsgrund verweist auf eine Definition nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften.

49.

Allerdings stelle ich bei der Prüfung des unmittelbaren Zusammenhangs, in dem das Konzept der „Verbindung“ steht, fest, dass Art. 38 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2013/32 den Mitgliedstaaten eine Verpflichtung auferlegt, Regeln zu erlassen, die eine Verbindung verlangen, und eine Methodik zur Beurteilung der Situation eines bestimmten Antragstellers festzulegen. Wäre der bloße Umstand einer einfachen Durchreise ausreichend, um eine solche Verbindung festzustellen, warum dann die ausführlichen Anforderungen an Grundsätze, Regeln und Garantien?

50.

Was den weiteren Kontext von Art. 38 Abs. 2 Buchst. a angeht, so stelle ich fest, dass das Konzept des „sicheren Drittstaats“ – zusammen mit „anderer Mitgliedstaat“ und „erster Asylstaat“ – zu den drei Kategorien von Staaten gehört, denen ein Antragsteller zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zugeführt werden kann. Mit anderen Worten gestatten diese Konzepte den Behörden der Mitgliedstaaten, die einen Antrag auf internationalen Schutz erhalten haben, die Verantwortung für die Prüfung des Bedürfnisses des Antragstellers nach internationalem Schutz auf einen anderen Staat zu verlagern.

51.

Erstens stellt dies eine Ausnahme von der allgemeinen Regel dar, nach der grundsätzlich alle Anträge geprüft werden sollten ( 13 ). Wie jede andere Ausnahme sollte sie streng ausgelegt werden ( 14 ).

52.

Zweitens stellen die drei Kategorien Staaten nicht irgendwelche andere Staaten dar, sondern Staaten, die spezifische Garantien bieten, deren Bestehen entweder – bei Mitgliedstaaten ( 15 ) – angenommen oder nach den festgelegten Regeln geprüft wird. Angesichts der recht ausführlichen Verfahrensregelung, die durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 eingeführt wurde, bin ich der Ansicht, dass, hätte der Gesetzgeber die Verbindung, die ein wesentliches Merkmal des Konzepts des „sicheren Drittstaats“ darstellt, durch einen Verweis auf die bloße Durchreise definieren wollen, eine solche Absicht eindeutig zum Ausdruck gebracht worden wäre. Nochmals, wäre dies der Fall, wäre die bestehende ausführliche Verfahrensregelung vollkommen überflüssig.

53.

Drittens sieht der letzte Satz von Art. 38 Abs. 2 Buchst. c vor, dass dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen ist, „das Bestehen einer Verbindung … zwischen ihm und dem betreffenden Drittstaat anzufechten“. Wenn diesem Recht eine Bedeutung zukommen soll, muss die fragliche Verbindung aus mehr bestehen als dem Umstand der Durchreise, da ansonsten die Erörterung wahrscheinlich darauf beschränkt wäre, welche Art der Durchreise entscheidend ist, ob zu Fuß, mit dem Auto, Bus oder Flugzeug oder ob z. B. ein 20-minütiger Halt, während dessen sich der Antragsteller an die Beamten des fraglichen Staates wenden konnte, ausreicht, um die maßgebliche Verbindung zu herzustellen.

54.

Es gibt einen weiteren Aspekt des Konzepts des „sicheren Transitstaats“ im Sinne von Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz, nämlich das Erfordernis des „ausreichenden Schutzes“.

55.

Wie bereits erwähnt, verlangt Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz – im Gegensatz zu den Konzepten des ersten Asylstaats und des sicheren Drittstaats – nicht ausdrücklich, dass „sichere Transitstaaten“ den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung garantieren, dessen Wahrung nach der Genfer Flüchtlingskonvention und somit folgerichtig auch nach dem Unionsrecht ( 16 ) erforderlich ist.

56.

Daher lockert der Grund des sicheren Transitstaats im Sinne des einschlägigen nationalen Rechts die geltenden Standards in zweifacher Hinsicht, nämlich hinsichtlich der Stärke der Verbindung, die zwischen dem Antragsteller und dem betroffenen Drittstaat bestehen muss, und hinsichtlich des Schutzniveaus, das dieser Staat bieten muss. Ich bin der Ansicht, dass der nach Art. 51 Abs. 2 Buchst. f Asylgesetz vorgesehene „sichere Transitstaat“ aus diesen beiden Gründen nicht dem Konzept des in Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 aufgeführten „sicheren Drittstaats“ entspricht.

57.

An diesem Ergebnis ändert der Umstand nichts, dass der aus jüngerer Zeit stammende Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Asylverfahrensverordnung ( 17 ) zur Ersetzung der Richtlinie 2013/32 im Entwurf des Art. 45 Abs. 3 Buchst. a vorsieht, dass „die Asylbehörde … einen Drittstaat nur dann als sicheren Drittstaat für einen bestimmten Antragsteller [betrachtet], wenn sie sich nach individueller Prüfung des Antrags davon überzeugt hat, dass die Sicherheit des Drittstaats für einen bestimmten Antragsteller im Einklang mit den Kriterien gemäß Absatz 1 gewährleistet ist und sie festgestellt hat, dass a) eine Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem betreffenden Drittstaat besteht, aufgrund derer es sinnvoll wäre, dass diese Person sich in diesen Staat begibt, unter anderem weil der Antragsteller im Transit durch diesen Drittstaat, der sich geografisch in der Nähe seines Herkunftslands befindet, gereist ist; …“ ( 18 ).

58.

Erstens ist dieser Text ein Gesetzgebungsvorschlag geblieben. Er stellt (noch) keinen bindenden Rechtsakt des Unionsrechts dar.

59.

Zweitens kann der vorgelegte Vorschlag in Anbetracht des Inhalts des Entwurfstextes zum Konzept des sicheren Drittstaats kaum als Klarstellung oder Kodifizierung des geltenden Rechts in diesem Bereich angesehen werden. Vielmehr stellte er, wie von der Kommission eingeräumt, wenn er angenommen würde, eine eindeutige Änderung der rechtlichen Regelung dar.

60.

Drittens scheint der Umstand, dass in der vorgeschlagenen Fassung eine erhebliche Änderung über eine bloße Klarstellung des bestehenden Konzepts hinaus erwogen wird, auf starken Widerhall im Gesetzgebungsverfahren gestoßen zu sein, in dem Zweifel daran zum Ausdruck gebracht worden sind, ob sich der Kommissionsvorschlag gut in die Gesamtsystematik einfügt, die dem Konzept des sicheren Drittstaats zugrunde liegt.

61.

In dieser Hinsicht stelle ich fest, dass der maßgebliche Ausschuss des Europäischen Parlaments vorgeschlagen hat, den oben angeführten Entwurfstext wie folgt zu ändern: „a) eine ausreichende Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem Drittstaat besteht, aufgrund derer es sinnvoll wäre, dass diese Person sich in diesen Staat begibt; dies bedeutet, dass ein früherer Wohnsitz oder Aufenthalt in diesem Staat vorliegen muss, wobei angesichts der Dauer und Art des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts von einem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er in diesem Staat Schutz suchen wird, und Grund zu der Annahme besteht, dass die Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist, …“ ( 19 ).

62.

Damit vergleichbar ist der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees) (im Folgenden: UNHCR) der Auffassung, dass das Konzept des „sicheren Drittstaats“ nicht in der von der Kommission in ihrem Vorschlag nahegelegten Weise definiert werden sollte ( 20 ). Der UNHCR erkennt an, dass während „das Völkerrecht nicht das Bestehen einer bedeutenden Verbindung erfordert, sich der UNHCR stets für das Erfordernis einer solchen bedeutenden Verbindung ausgesprochen hat, die es für eine Person angemessen und vertretbar machen würde, in einem anderen Staat Asyl zu beantragen“ ( 21 ). Er meint ferner, dass die „Berücksichtigung der Dauer und der Art jedes Aufenthalts und der familiären Verbindungen oder anderer enger Beziehungen die Durchführbarkeit der Rückkehr oder des Transfers sowohl vom Standpunkt des Einzelnen als auch des Drittstaats steigert. Sie vermindert als solche das Risiko irregulärer Weiterreise, verhindert die Schaffung von ‚Orbit-Situationen‘ und fördert die internationale Zusammenarbeit und Verantwortungsteilung“ ( 22 ).

63.

Der Standpunkt, dass eine solche Verbindung angenommen werden kann, wenn spezifische Verbindungen des Antragstellers bestehen, die jedoch gewiss über eine bloße Durchreise hinaus gehen, hat sich auch in früheren Standpunkten niedergeschlagen, die vom UNHCR zu dieser Frage eingenommen worden sind ( 23 ).

64.

Es ist nicht die Rolle des Gerichtshofs, zu Gesetzgebungsentwürfen Stellung zu nehmen. Wenn jedoch das Konzept des sicheren Drittstaats eine unabhängige Bedeutung haben soll, kann die Auslegung dieses Konzepts nicht zur quasi-automatischen Abschiebung von Antragstellern in Staaten, durch die sie gereist sind, führen, die einen Domino-Effekt erzeugt, mit dem Ergebnis, dass die Begründetheit eines Antrags nirgendwo geprüft würde ( 24 ).

65.

Somit lautet mein erstes Zwischenergebnis im Licht der vorstehenden Erwägungen, dass Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die festlegen, dass ein Antrag als unzulässig zu betrachten ist, wenn der Antragsteller in diesen Mitgliedstaat über einen Drittstaat eingereist ist, in dem er weder der Verfolgung noch der Gefahr, ernsthaften Schaden zu erleiden, ausgesetzt ist oder in dem ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet wird.

B.   Zweite Frage: Angemessenheit der Acht-Tages-Frist

66.

Mit der zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht in der Sache wissen, ob Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ( 25 ) Rechtsvorschriften entgegensteht, die eine zwingende First von acht Tagen festlegen, innerhalb derer ein Gericht seine Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung abzuschließen hat, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig erklärt wurde.

67.

Ich behandele die Frage der Fristen, die für die gerichtliche Überprüfung in Angelegenheiten des internationalen Schutzes gelten, in meinen parallelen, am selben Tag wie die vorliegenden Schlussanträge verlesenen Schlussanträgen in der Rechtssache PG. Meiner Ansicht nach gelten die darin im Hinblick auf eine Frist von 60 Tagen für die Überprüfung von Entscheidungen über die Begründetheit in Angelegenheiten des internationalen Schutzes dargelegten Vorschläge gleichermaßen und in vielen Fällen sogar erst recht für eine Frist von acht Tagen für Entscheidungen über die Unzulässigkeit.

68.

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich mich daher auf die Gesichtspunkte konzentrieren, die die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache PG unterscheiden, während ich im Übrigen auf meine Analyse in jenen Schlussanträgen verweise. Insbesondere werde ich hervorheben, dass eine Entscheidung, in der einer der Unzulässigkeitsgründe angewandt wird, selbst wenn sie in einem spezifischen und beschleunigten Verfahren ergeht, nicht zu einem „gelockerten“ Überprüfungsstandard führen kann (1). Dieser Umstand, zusammen mit strukturellen Erwägungen, die denen in der Rechtssache PG ähneln, lässt mich zu dem Ergebnis kommen, dass das vorlegende Gericht, sollte es feststellen, dass die Frist von acht Tagen im Fall des Ausgangsverfahrens eine umfassende Ex-nunc-Überprüfung unter Wahrung der sich insbesondere aus der Richtlinie 2013/32 ergebenden Rechte des Klägers unmöglich macht, die betreffende Vorschrift des nationalen Rechts unangewendet lassen und die gerichtliche Prüfung so schnell wie möglich nach Ablauf der Frist abschließen muss (2).

1. Die (begrenzten) spezifischen Merkmale der Überprüfung der Unzulässigkeitsgründe

69.

In seinem Vorlagebeschluss stellt das vorlegende Gericht fest, dass die Acht-Tages-Frist in vielen Fällen nicht – oder nur unter großen Schwierigkeiten – eingehalten werden könne. Sie erlaube es dem Gericht nicht, den Sachverhalt gemäß dem erforderlichen Standard aufzuklären. Sie führe daher zu einem Verstoß gegen das Erfordernis, eine umfassende Prüfung durchzuführen. Es sei insbesondere im Kontext für unzulässig gehaltener Anträge schwierig, das Verfahren innerhalb der streitigen Frist abzuschließen, da die Beweislast beinahe ausschließlich bei den Antragstellern liege, die sich ohnehin in einer prekären Lage befänden. Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben sei.

70.

In ihren schriftlichen Erklärungen bringen die Beteiligten divergierende Ansichten darüber zum Ausdruck, ob die Acht-Tages-Frist angemessen ist.

71.

Der Kläger stimmt dem vorlegenden Gericht darin zu, dass es in der Praxis unmöglich sei, die streitige Frist einzuhalten. Er weist darauf hin, dass der Antrag im Ausgangsverfahren nach spezifischen Regeln, die für eine Krisensituation gelten, bearbeitet worden sei, und dass andere Verfahrensaspekte die Durchsetzung der Rechte des Klägers erschwerten. Er verweist auf die Drei-Tages-Frist für die Klageerhebung und den Umstand, dass es in der Praxis unmöglich sei, eine Anhörung durch den Richter zu erhalten, da eine solche Anhörung in der Transitzone über Telekommunikationsmittel durchgeführt werden müsse, die dem Richter nicht zur Verfügung stünden. Der Kläger betont ferner, dass einer Klage gegen eine Verwaltungsentscheidung keine aufschiebende Wirkung zukomme, es sei denn, diese werde beantragt, was in der Praxis ohne rechtlichen Beistand nicht möglich sei. Er verweist auch auf die Notwendigkeit, dem Antragsteller genügend Zeit zum Vorbringen des Sachverhalts zu gewähren, sowie auf den Umstand, dass es sein könne, dass sich für einige Sprachen nur ein Dolmetscher im gesamten Land befinde. Er stellt ebenso fest, das Gericht habe sicherzustellen, dass eine negative Entscheidung und die Abschiebung des Antragstellers nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK führten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die streitige Frist zwar nicht als solche mit dem Erfordernis wirksamen Rechtsschutzes unvereinbar sei, dass sich die Unvereinbarkeit aber aus dem Umstand ergebe, dass die Frist nicht verlängert werden könne.

72.

Der ungarischen Regierung zufolge ist es mangels gemeinsamer Regeln gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der Mitgliedstaaten, die anwendbaren Fristen festzulegen. Es bestehe ein übergreifendes Ziel, Anträge schnell zu bearbeiten. Außerdem ermögliche die schnelle Bearbeitung von Fällen wie dem vorliegenden es den Gerichten, sich auf Fälle zu konzentrieren, in denen die Begründetheit geprüft werde. Die fragliche Frist sei angemessen, da in Zulässigkeitsfällen die Begründetheit nicht erörtert werde und die zu bearbeitenden Fragen es nicht erforderten, umfangreiche Beweismittel beizubringen.

73.

Die Kommission stellt fest, dass die Sache, da die Richtlinie 2013/32 keine gemeinsamen Regeln zu Fristen enthalte, unter die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten falle. In diesem Kontext ist sie der Auffassung, das Erfordernis der Wirksamkeit sei nicht erfüllt, da die fragliche Frist es nicht erlaube, die individuellen Umstände zu berücksichtigen. Die Kommission weist insbesondere auf den Entwurf des Art. 55 in ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur Ersetzung der geltenden Richtlinie 2013/32 ( 26 ) hin, in dem sie für Situationen wie diejenige des Ausgangsverfahrens eine Zwei-Monats-Frist vorschlägt, die für weitere drei Monate verlängert werden kann. Im Licht dieses Vorschlags hält die Kommission acht Tage für unangemessen.

74.

Erstens scheint es, dass die Acht-Tages-Frist gleicher verfahrensrechtlicher Natur ist wie die 60-Tages-Frist, um die es in der Rechtssache PG geht ( 27 ).

75.

Zweitens unterscheidet sich die hier in Rede stehende Frist von der 60-Tages-Frist in der Rechtssache PG und ist erheblich kürzer. An sich ist dieser Unterschied unabhängig von der genauen Länge nicht problematisch. In einem vergleichbaren Kontext hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Fristen, innerhalb derer der Antragsteller eine Klage erheben muss, vorsehen können, abhängig davon, ob eine Entscheidung in einem regulären oder beschleunigten Verfahren ergeht ( 28 ).

76.

Diese Feststellung kann auf die Unterschiede entsprechend angewandt werden, die zwischen den Fristen bestehen mögen, innerhalb derer das Gericht die Prüfung eines Falles abzuschließen hat, je nachdem, ob es die Beurteilung überprüft, die eine Verwaltungsbehörde zur Begründetheit oder lediglich zu Unzulässigkeitsgründen vorgenommen hat. In der Tat, nicht alle Fälle sind gleich.

77.

Drittens und im Kontext der vorliegenden Rechtssache vielleicht am bedeutendsten, hat der Gerichtshof anerkannt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung von Unzulässigkeitsgründen „[eine Lockerung der] Pflicht des zuständigen Mitgliedstaats, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen“ angestrebt hat ( 29 ). Der Gerichtshof hat gleichfalls festgestellt, dass „die dem Gericht [nach Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32] obliegende umfassende Exnunc-Prüfung … nicht zwingend eine inhaltliche Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz zum Gegenstand hat und somit die Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz betreffen kann, wenn das nationale Recht dies gemäß Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlaubt“ ( 30 ).

78.

Allerdings ist es eine Sache, zuzustimmen, dass die Prüfung von Verwaltungsentscheidungen eventuell keine umfassende Prüfung der Begründetheit erfordert, wenn die Anfechtung die spezielle Frage der Zulässigkeit eines Antrags betrifft. Eine ganz andere Sache ist es aber, nahezulegen, dass in einem solchen Fall der Überprüfungsstandard und die Verfahrensrechte der Antragsteller nach der Richtlinie 2013/32 keine Anwendung mehr finden.

79.

Somit genießen die Antragsteller, wenn es um das Recht geht, ihren Fall von einem Gericht im Sinne von Art. 46 dieser Richtlinie prüfen zu lassen, grundsätzlich unabhängig davon, ob ihr Antrag in Hinblick auf die Zulässigkeit oder die Begründetheit überprüft wird, die gleichen Rechte ( 31 ). Gemäß den spezifischen Vorschriften der Richtlinie 2013/32 liegt der Unterschied nur im Gegenstand, nicht in der Qualität dieser Überprüfung.

2. An den Rechten orientierter Ansatz bei der Beurteilung der Angemessenheit der Frist

80.

In Übereinstimmung mit dem Vorschlag in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache PG ( 32 ) sollte die Acht-Tages-Frist im Kontext des erforderlichen Überprüfungsstandards und der spezifischen Verfahrensrechte geprüft werden, die Antragsteller nach dem Unionsrecht genießen müssen.

81.

Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache schlägt der Kläger vor, die fragliche Frist im Kontext des gesamten Verfahrens zu beurteilen. Er weist insbesondere auf die Drei-Tages-Frist hin, innerhalb derer Antragsteller eine Klage vor Gericht erheben müssen, während sie sich in einer Transitzone aufhalten. Seiner Ansicht nach schränkt dieser zusätzliche Umstand die Möglichkeit ein, rechtlichen Beistand oder eine persönliche Anhörung durch den Richter zu erhalten. Dies komme in der Praxis nie vor, da das Gericht nicht mit den notwendigen Kommunikationsmitteln ausgestattet sei.

82.

Dies zu beurteilen, ist Sache des vorlegenden Gerichts, doch ist eindeutig, dass solche Bedingungen, wonach der Fall eines Antragstellers nicht nur einer, sondern offenbar einer Reihe strenger Fristen unterliegt, notwendigerweise die Qualität des Schriftsatzes beeinträchtigen. Dies beeinträchtigt wiederum die Arbeit des Gerichts ( 33 ), das gleichwohl die Pflicht hat, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorzunehmen ( 34 ).

83.

Weiterhin müssen Antragsteller die Möglichkeit erhalten, die Anwendung des Konzepts des „ersten Asylstaats“ oder des „sicheren Drittstaats“ auf ihre besondere Situation anzufechten ( 35 ), was bedeutet, dass die Anwendung dieser Konzepte immer anhand des Einzelfalls unter Berücksichtigung der spezifischen Situation des Antragstellers zu beurteilen ist.

84.

Viertens schließlich erwähnt das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache nicht, ob insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 Buchst. b bis e in Verbindung mit Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32, oder durch Art. 20, 22, 24 oder 25 dieser Richtlinie garantierte Rechte infolge der fraglichen Frist verletzt worden sind ( 36 ).

85.

Nimmt man all diese Elemente zusammen, ähnelt die von mir vorgeschlagene Antwort auf die zweite Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache daher der in der Rechtssache PG vorgeschlagenen Antwort. Wenn das nationale Gericht in Anbetracht dieser Gesichtspunkte feststellt, dass es nicht möglich ist, die erforderliche Überprüfung innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Wahrung der nach dem Unionsrecht garantierten Rechte des Antragstellers durchzuführen, muss es die betreffende Vorschrift des nationalen Rechts unangewendet lassen und die Überprüfung so schnell wie möglich nach Ablauf der Frist abschließen ( 37 ).

86.

Gleichwohl ist hinzuzufügen, dass die Angemessenheit der Frist von 60 Tagen in der Rechtssache PG unter bestimmten Bedingungen – wie etwa einer kürzeren Prozessliste des fraglichen Gerichts oder Richters und wenn dem Gericht alle notwendigen technischen Mittel zur Verfügung stehen – diskutierbar sein könnte ( 38 ). Dagegen gibt eine Frist von acht Tagen, selbst wenn ein Richter „lediglich“ die Beurteilung der Asylbehörde in Bezug auf einen der fünf Unzulässigkeitsgründe zu überprüfen hat, Anlass zu ernsteren Zweifeln hinsichtlich ihrer Angemessenheit.

87.

In der Tat braucht die bloße Registrierung einer Rechtssache bei einem Gericht Zeit. Anschließend benötigt der Richter Zeit, um sich mit der Akte vertraut zu machen und die erforderlichen Anweisungen, gegebenenfalls zur Sicherstellung rechtlichen Beistands und mündlicher Übersetzung, zu geben, falls nötig eine Anhörung anzuberaumen, sowie die erforderlichen Informationen über die maßgeblichen Drittstaaten und die besondere Situation des Antragstellers einzuholen. Es liegt mir fern, die Effizienz gut geführter gerichtlicher Verfahren in Zweifel zu ziehen, doch die Fähigkeit, dies alles zusammen mit der anschließenden Prüfung des Falles unter Einhaltung angemessener Standards binnen acht Tagen zu erledigen, während natürlich parallel eine Reihe anderer Rechtssachen geführt werden, wäre ausreichend, um selbst Richter Herkules vor Neid erblassen zu lassen.

88.

Im Licht dieser Erwägungen lautet mein zweites Zwischenergebnis, dass Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob die nach den nationalen Rechtsvorschriften festgelegte Frist für die Überprüfung in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Fall unter Berücksichtigung seiner Verpflichtung, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung gegebenenfalls einschließlich einer Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95 unter Wahrung der insbesondere in der Richtlinie 2013/32 definierten Rechte des Antragstellers vorzunehmen, angemessen ist. Ist das nationale Gericht der Auffassung, dass diese Rechte im Licht der spezifischen Umstände des Falles oder der gesamten Bedingungen – wie etwa einer besonders hohen Anzahl gleichzeitig gestellter Anträge –, unter denen das Gericht seine Aufgaben wahrnehmen muss, nicht gewährleistet werden können, muss das Gericht die anwendbare Frist wenn nötig unangewendet lassen und die Prüfung so zügig wie möglich nach Ablauf der Frist abschließen.

V. Ergebnis

89.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht, Ungarn) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Antrag unzulässig ist, wenn der Antragsteller in diesen Mitgliedstaat über einen Staat eingereist ist, in dem er weder Verfolgung noch der Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist, oder in dem ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet wird.

2.

Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob die nach den nationalen Rechtsvorschriften festgelegte Frist für die Überprüfung in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Fall unter Berücksichtigung seiner Pflicht, eine umfassende Ex-nunc-Prüfung gegebenenfalls einschließlich einer Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes unter Wahrung der insbesondere in der Richtlinie 2013/32 definierten Rechte des Antragstellers vorzunehmen, angemessen ist. Ist das nationale Gericht der Auffassung, dass diese Rechte im Licht der spezifischen Umstände des Falles oder der gesamten Bedingungen – wie etwa einer besonders hohen Anzahl gleichzeitig gestellter Anträge –, unter denen das Gericht seine Aufgaben wahrnehmen muss, nicht gewährleistet werden können, muss das Gericht die anwendbare Frist wenn nötig unangewendet lassen und die Prüfung so zügig wie möglich nach Ablauf der Frist abschließen.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

( 3 ) Hervorhebung nur hier.

( 4 ) Siehe oben, Nr. 6.

( 5 ) In systematischer Hinsicht, wie der 43. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 („Die Mitgliedstaaten sollten alle Anträge in der Sache prüfen“) bestätigt, was darauf hindeutet, dass die Fälle, in denen es möglich ist, von dieser Verpflichtung abzusehen, als Ausnahmen zu behandeln und eng auszulegen sind.

( 6 ) Vgl. Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 76).

( 7 ) Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East).

( 8 ) 23 Tage. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:327, Nr. 85).

( 9 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 143).

( 10 ) Vgl. ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:327, Nr. 84).

( 11 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

( 12 ) Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet in Genf am 28. Juli 1951 (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 137, Nr. 2545 [1954]), das am 22. April 1954 in Kraft getreten ist. Es wurde ergänzt und geändert durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterschrieben in New York am 31. Januar 1967, das am 4. Oktober 1967 in Kraft getreten ist (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention).

( 13 ) Vgl. oben, Fn. 5.

( 14 ) Vgl. ebenso Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:327, Nr. 78) bezüglich der Vorgängerregelung zur Richtlinie 2013/32.

( 15 ) Vgl. Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u. a. (C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17, EU:C:2019:219, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Vgl. Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention. Vgl. Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 21 der Richtlinie 2011/95.

( 17 ) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (COM[2016] 467).

( 18 ) Hervorhebung nur hier.

( 19 ) Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, 22. Mai 2018 (COM[2016] 467 – C8‑0321/2016 – 2016/0224[COD]).

( 20 ) UNHCR Comments on the European Commission Proposal for an Asylum Procedures Regulation (COM[2016] 467), April 2019. Wie der Gerichtshof im Kontext der Richtlinie 2011/95 festgestellt hat, „sind die vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) herausgegebenen Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant“ vgl. Urteil vom 23. Mai 2019, Bilali (C‑720/17, EU:C:2019:448, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 30. Mai 2013, Halaf (C‑528/11, EU:C:2013:342, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) UNHCR Comments on the European Commission Proposal for an Asylum Procedures Regulation (COM[2016] 467), April 2019, S. 42.

( 22 ) Ebd.

( 23 ) Vgl. z. B. UNHCR, Legal Considerations regarding access to protection and a connection between the refugees and the third country in the context of return or transfer to safe countries, April 2018, und Guidance note on bilateral and/or multilateral transfer agreements of asylum-seekers, Mai 2013.

( 24 ) Vgl. ebenso 44. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32, der vor Sekundärmigration der Antragsteller warnt, die sich ereignet, wenn Antragsteller auf internationalen Schutz von dem Staat, in den sie zuerst eingereist sind, in einen anderen Staat ziehen, um Schutz zu suchen.

( 25 ) Das vorlegende Gericht verweist in seiner zweiten Frage auf Art. 31 der Richtlinie 2013/32 sowie auf die Art. 6 und 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention; im Folgenden: EMRK). Angesichts des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache – ein Fall vor einem Gericht – und des Umstands, dass die Europäische Union nicht Vertragspartei der EMRK ist, verstehe ich diese Frage jedoch so, dass sie nicht auf Art. 31 – der die Prüfung auf der Verwaltungsebene betrifft – verweist, sondern auf Art. 46 der Richtlinie 2013/32 – der die gerichtliche Prüfung betrifft – und auf Art. 47 der Charta, der gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta unter Berücksichtigung der maßgeblichen Vorschriften der EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) auszulegen ist.

( 26 ) COM(2016) 467. Gegenwärtig als Gesetzgebungsverfahren 2016/0224/COD anhängig.

( 27 ) Vgl. nähere Erläuterungen in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache PG, Nrn. 43 bis 47.

( 28 ) Der Gerichtshof hat anerkannt, dass beabsichtigt sein kann, unzulässige Asylanträge schneller zu bearbeiten, „damit die Anträge von Personen, die die Flüchtlingseigenschaft berechtigterweise beanspruchen, effizienter bearbeitet werden können“. Vgl. Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf (C‑69/10, EU:C:2011:524, Rn. 65 bis 66).

( 29 ) Vgl. Urteil vom 17. März 2016, Mirza (C‑695/15 PPU, EU:C:2016:188, Rn. 43).

( 30 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 115).

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 115).

( 32 ) Vgl. Nrn. 59 bis 63 jener Schlussanträge.

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 2. Februar 2012, I.M./Frankreich (CE:ECHR:2012:0202JUD000915209, § 155).

( 34 ) Vgl. Urteil vom 25. Juli 2018, Alheto (C‑585/16, EU:C:2018:584, Rn. 115).

( 35 ) Was das Konzept des „ersten Asylstaats“ angeht, stellt der letzte Satz des Art. 35 der Richtlinie 2013/32 fest, dass „der Antragsteller … die Möglichkeit [hat], die Anwendung des Konzepts des ersten Asylstaats unter Berufung auf seine besonderen Umstände anzufechten“. Was das Konzept des „sicheren Drittstaats“ angeht, erlassen die Mitgliedstaaten nach Art. 38 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32, „mit dem Völkerrecht vereinbare Regeln, die es ermöglichen, in Form einer Einzelprüfung festzustellen, ob der betreffende Drittstaat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist, und die dem Antragsteller zumindest die Möglichkeit bieten, die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats mit der Begründung anzufechten, dass der betreffende Drittstaat für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist. Darüber hinaus ist dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, das Bestehen einer Verbindung gemäß Buchstabe a zwischen ihm und dem betreffenden Drittstaat anzufechten“.

( 36 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PG, Nr. 64.

( 37 ) Die in Nr. 71 jener Schlussanträge vorgenommenen Klarstellungen gelten hier ebenso. Sowohl Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 als auch Art. 47 der Charta haben unmittelbare Wirkung. Vgl. Urteil vom 29. Juli 2019, Torubarov (C-556/17, EU:C:2019:626, Rn. 56 und 73), oder (nur zu Art. 47 der Charta) Urteile vom 17. April 2018, Egenberger (C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 78), und vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C-585/18, C-624/18 und C-625/18, EU:C:2019:982, Rn. 162).

( 38 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache PG, Nrn. 65 bis 69.

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