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Document 62017CJ0688

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 12. September 2019.
Bayer Pharma AG gegen Richter Gedeon Vegyészeti Gyár Nyrt. und Exeltis Magyarország Gyógyszerkereskedelmi Kft.
Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Patente – Richtlinie 2004/48/EG – Art. 9 Abs. 7 – Inverkehrbringen von Erzeugnissen unter Verletzung der Rechte aus einem Patent – Einstweilige Maßnahmen – Spätere Nichtigerklärung des Patents – Folgen – Recht auf angemessenen Ersatz für durch die einstweiligen Maßnahmen entstandenen Schaden.
Rechtssache C-688/17.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:722

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

12. September 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Patente – Richtlinie 2004/48/EG – Art. 9 Abs. 7 – Inverkehrbringen von Erzeugnissen unter Verletzung der Rechte aus einem Patent – Einstweilige Maßnahmen – Spätere Nichtigerklärung des Patents – Folgen – Recht auf angemessenen Ersatz für durch die einstweiligen Maßnahmen entstandenen Schaden“

In der Rechtssache C‑688/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 9. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Dezember 2017, in dem Verfahren

Bayer Pharma AG

gegen

Richter Gedeon Vegyészeti Gyár Nyrt.,

Exeltis Magyarország Gyógyszerkereskedelmi Kft.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, J. Malenovský (Berichterstatter) und C. G. Fernlund sowie der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Bayer Pharma AG, vertreten durch E. Szakács, K. J. Tálas und I. Molnár, ügyvédek,

der Richter Gedeon Vegyészeti Gyár Nyrt., vertreten durch A. Szecskay und G. Bacher, ügyvédek,

der Exeltis Magyarország Gyógyszerkereskedelmi Kft., vertreten durch K. Szamosi, P. Lukácsi und Á. György, ügyvédek,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Havas, F. Wilman und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. April 2019

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt im ABl. 2004, L 195, S. 16).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bayer Pharma AG (im Folgenden: Bayer) auf der einen und der Richter Gedeon Vegyészeti Gyár Nyrt. (im Folgenden: Richter) und der Exeltis Magyarország Gyógyszerkereskedelmi Kft. (im Folgenden: Exeltis) auf der anderen Seite wegen des Schadens, den die beiden letztgenannten Gesellschaften infolge der gegen sie auf Antrag von Bayer ergangenen gerichtlichen Anordnungen erlitten haben wollen.

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

3

Der erste Absatz der Präambel des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen), das den Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) bildet, das am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet und mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt wurde, hat folgenden Wortlaut:

„Von dem Wunsch geleitet, Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu verringern, und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, einen wirksamen und angemessenen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zu fördern sowie sicherzustellen, dass die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht selbst zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden“.

4

Art. 1 („Wesen und Umfang der Pflichten“) Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens bestimmt:

„Die Mitglieder wenden die Bestimmungen dieses Übereinkommens an. Die Mitglieder dürfen in ihr Recht einen umfassenderen Schutz als den durch dieses Übereinkommen geforderten aufnehmen, vorausgesetzt, dieser Schutz läuft diesem Übereinkommen nicht zuwider, sie sind dazu aber nicht verpflichtet. Es steht den Mitgliedern frei, die für die Umsetzung dieses Übereinkommens in ihrem eigenen Rechtssystem und in ihrer Rechtspraxis geeignete Methode festzulegen.“

5

Art. 50 („Einstweilige Maßnahmen“) Abs. 7 des TRIPS-Übereinkommens bestimmt:

„Werden einstweilige Maßnahmen aufgehoben oder werden sie aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig oder wird in der Folge festgestellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, so sind die Gerichte befugt, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat.“

Unionsrecht

6

In den Erwägungsgründen 4, 5, 7, 8, 10 und 22 der Richtlinie 2004/48 heißt es:

„(4)

Auf internationaler Ebene sind alle Mitgliedstaaten – wie auch die Gemeinschaft selbst in Fragen, die in ihre Zuständigkeit fallen … – an das … [TRIPS-Übereinkommen] gebunden.

(5)

Das TRIPS-Übereinkommen enthält vornehmlich Bestimmungen über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, die gemeinsame, international gültige Normen sind und in allen Mitgliedstaaten umgesetzt wurden. Diese Richtlinie sollte die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten einschließlich derjenigen aufgrund des TRIPS-Übereinkommens unberührt lassen.

(7)

Aus den Sondierungen der Kommission zu dieser Frage hat sich ergeben, dass ungeachtet des TRIPS-Übereinkommens weiterhin zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede bei den Instrumenten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bestehen. So gibt es z. B. beträchtliche Diskrepanzen bei den Durchführungsbestimmungen für einstweilige Maßnahmen, die insbesondere zur Sicherung von Beweismitteln verhängt werden, bei der Berechnung von Schadensersatz oder bei den Durchführungsbestimmungen für Verfahren zur Beendigung von Verstößen gegen Rechte des geistigen Eigentums. …

(8)

Die Unterschiede zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums beeinträchtigen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und verhindern, dass die bestehenden Rechte des geistigen Eigentums überall in der Gemeinschaft in demselben Grad geschützt sind. …

(10)

Mit dieser Richtlinie sollen [die] Rechtsvorschriften [der Mitgliedstaaten] einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

(22)

Ferner sind einstweilige Maßnahmen unabdingbar, die unter Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verhältnismäßigkeit der einstweiligen Maßnahme mit Blick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles, sowie vorbehaltlich der Sicherheiten, die erforderlich sind, um dem Antragsgegner im Falle eines ungerechtfertigten Antrags den entstandenen Schaden und etwaige Unkosten zu ersetzen, die unverzügliche Beendigung der Verletzung ermöglichen, ohne dass eine Entscheidung in der Sache abgewartet werden muss. Diese Maßnahmen sind vor allem dann gerechtfertigt, wenn jegliche Verzögerung nachweislich einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums mit sich bringen würde.“

7

Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Sinne dieser Richtlinie umfasst der Begriff ‚Rechte des geistigen Eigentums‘ auch die gewerblichen Schutzrechte.“

8

Art. 2 („Anwendungsbereich“) Abs. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie berührt nicht:

b)

die sich aus internationalen Übereinkünften für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen, insbesondere solche aus dem TRIPS-Übereinkommen, einschließlich solcher betreffend strafrechtliche Verfahren und Strafen;

…“

9

Kapitel II („Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2004/48 umfasst die Art. 3 bis 15 dieser Richtlinie. Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung“) lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen.

(2)   Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.“

10

Art. 9 („Einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen“) der Richtlinie 2004/48 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, auf Antrag des Antragstellers

a)

gegen den angeblichen Verletzer eine einstweilige Maßnahme anzuordnen, um eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern oder einstweilig und, sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften dies vorsehen, in geeigneten Fällen unter Verhängung von Zwangsgeldern die Fortsetzung angeblicher Verletzungen dieses Rechts zu untersagen oder die Fortsetzung an die Stellung von Sicherheiten zu knüpfen, die die Entschädigung des Rechtsinhabers sicherstellen sollen …

b)

die Beschlagnahme oder Herausgabe der Waren, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums besteht, anzuordnen, um deren Inverkehrbringen und Umlauf auf den Vertriebswegen zu verhindern.

(2)   Im Falle von Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständigen Gerichte die Möglichkeit haben, die vorsorgliche Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens des angeblichen Verletzers einschließlich der Sperrung seiner Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte anzuordnen, wenn die geschädigte Partei glaubhaft macht, dass die Erfüllung ihrer Schadensersatzforderung fraglich ist. …

(7)   Werden einstweilige Maßnahmen aufgehoben oder werden sie auf Grund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig, oder wird in der Folge festgestellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, so sind die Gerichte befugt, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat.“

Ungarisches Recht

11

Gemäß § 18 Abs. 1 und 2 des Találmányok szabadalmi oltalmáról szóló 1995. évi XXXIII. törvény (Gesetz Nr. XXXIII von 1995 über den Patentschutz von Erfindungen) beginnt der Patentschutz mit der Veröffentlichung der Anmeldung und wirkt auf den Tag der Antragstellung zurück. Dieser Schutz ist vorläufig und wird erst endgültig, wenn der Anmelder für seine Erfindung ein Patent erhält.

12

§ 156 Abs. 1 des Polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. törvény (Gesetz Nr. III von 1952 über die Zivilprozessordnung) sieht vor:

„Das Gericht kann auf Antrag im Wege der einstweiligen Maßnahme anordnen, dass einem Antrag (Gegenantrag) oder einem Antrag auf einstweilige Maßnahmen stattzugeben ist, wenn eine solche Maßnahme notwendig ist, um einen unmittelbar drohenden Schaden abzuwenden oder den Status quo des Rechtsstreits aufrechtzuerhalten oder um ein besonders zu berücksichtigendes Recht des Antragstellers zu schützen, und der durch die Maßnahme verursachte Schaden nicht den durch diese Maßnahme erwarteten Vorteil übersteigt. … Der Sachverhalt, auf dem der Antrag beruht, ist glaubhaft zu machen.“

13

§ 339 Abs. 1 des Polgári Törvénykönyvről szóló 1959. évi IV. törvény (Gesetz Nr. IV von 1959 über das Bürgerliche Gesetzbuch, im Folgenden: ungarisches Bürgerliches Gesetzbuch) sieht vor:

„Wer einer anderen Person rechtswidrig einen Schaden zufügt, ist verpflichtet, diesen zu ersetzen. Von dieser Haftung ist befreit, wer nachweist, sich so verhalten zu haben, wie es unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden darf.“

14

§ 340 Abs. 1 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt:

„Der Geschädigte ist verpflichtet, so zu handeln, wie es unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden darf, um den Schaden zu vermeiden oder zu verringern. Der Teil des Schadens, der dadurch verursacht wurde, dass der Geschädigte dieser Pflicht nicht nachkommt, ist nicht zu ersetzen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15

Am 8. August 2000 reichte Bayer beim Szellemi Tulajdon Nemzeti Hivatala (Nationales Amt für geistiges Eigentum, Ungarn, im Folgenden: Amt) eine Patentanmeldung für ein Arzneimittelerzeugnis mit einem empfängnisverhütenden Bestandteil ein. Das Amt veröffentlichte diese Anmeldung am 28. Oktober 2002.

16

Richter, im November 2009 und im August 2010, und Exeltis, im Oktober 2010, begannen mit der Vermarktung empfängnisverhütender Arzneimittel in Ungarn (im Folgenden: in Rede stehende Erzeugnisse).

17

Am 4. Oktober 2010 erteilte das Amt Bayer ein Patent.

18

Am 8. November 2010 reichte Richter beim Amt einen Antrag auf Feststellung der Nichtverletzung ein, mit dem die Feststellung begehrt wurde, dass die in Rede stehenden Erzeugnisse nicht das Patent von Bayer verletzten.

19

Am 9. November 2010 beantragte Bayer beim vorlegenden Gericht, dem Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn), den Erlass einstweiliger Maßnahmen, um Richter und Exeltis das Inverkehrbringen der in Rede stehenden Erzeugnisse zu untersagen. Diese Anträge wurden abgewiesen, da der Verstoß nicht glaubhaft gemacht wurde.

20

Am 8. Dezember 2010 reichten Richter und Exeltis beim Amt einen Antrag auf Nichtigerklärung des Patents von Bayer ein.

21

Am 25. Mai 2011 reichte Bayer neue Anträge auf den Erlass einstweiliger Maßnahmen beim vorlegenden Gericht ein, das mit vollstreckbaren Beschlüssen vom 11. Juli 2011, die am 8. August 2011 wirksam wurden, Richter und Exeltis das Inverkehrbringen der in Rede stehenden Erzeugnisse untersagte und sie dazu verpflichtete, Sicherheiten zu leisten.

22

Am 11. August 2011 leitete Bayer beim vorlegenden Gericht Verletzungsverfahren gegen Richter und Exeltis ein. Diese Verfahren wurden bis zur endgültigen Entscheidung im Rahmen des Verfahrens über die Nichtigerklärung des Patents von Bayer ausgesetzt.

23

Im Rahmen von Widersprüchen, die von Richter und Exeltis gegen die Beschlüsse vom 11. Juli 2011 eingereicht wurden, erklärte das Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn) diese Beschlüsse am 29. September bzw. am 4. Oktober 2011 wegen Verfahrensmängeln für nichtig und verwies die Rechtssache an das vorlegende Gericht zurück.

24

Dieses wies mit Beschlüssen vom 23. Januar 2012 und vom 30. Januar 2012 die Anträge von Bayer auf den Erlass einstweiliger Maßnahmen zurück. Das Gericht war zwar der Ansicht, dass Richter und Exeltis unter Verletzung des Patents in den Markt eingetreten seien, stellte jedoch fest, dass insbesondere unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Stadiums des Verfahrens über die Nichtigerklärung des Patents von Bayer und des Widerrufs eines entsprechenden europäischen Patents die Anordnung dieser Maßnahmen nicht als verhältnismäßig angesehen werden könnte. Diese beiden Beschlüsse wurden vom Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) mit Beschluss vom 3. Mai 2012 bestätigt.

25

Mit Beschluss vom 14. Juni 2012 gab das Amt dem von Richter und Exeltis eingereichten Antrag auf Nichtigerklärung des Patents von Bayer teilweise statt. Auf einen erneuten Antrag von Richter und Exeltis nahm das Amt seinen Beschluss vom 14. Juni 2012 zurück und erklärte mit Beschluss vom 13. September 2012 das Patent insgesamt für nichtig.

26

Mit Beschluss vom 9. September 2014 hob das vorlegende Gericht den Beschluss des Amtes vom 13. September 2012 auf. Außerdem änderte es den Beschluss des Amtes vom 14. Juni 2012 und erklärte das Patent von Bayer insgesamt für nichtig.

27

Dieser Beschluss wurde vom Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) mit Beschluss vom 20. September 2016 bestätigt.

28

Nach der Klagerücknahme durch Bayer stellte das vorlegende Gericht am 3. März 2017 das Verletzungsverfahren zwischen Bayer und Exeltis ein.

29

Mit Entscheidung vom 30. Juni 2017 wies es die Verletzungsklage von Bayer gegen Richter wegen der endgültigen Nichtigerklärung des Patents von Bayer endgültig ab.

30

Richter, mit Widerklage vom 22. Februar 2012, und Exeltis, mit Klage vom 6. Juli 2017, beantragten, Bayer zum Ersatz des Schadens zu verurteilen, der ihnen infolge der in Rn. 21 des vorliegenden Urteils genannten einstweiligen Maßnahmen entstanden sei.

31

Vor dem vorlegenden Gericht hat Bayer beantragt, diese Klagen abzuweisen, und dazu geltend gemacht, dass Richter und Exeltis selbst den Schaden verursacht hätten, der ihnen entstanden sein soll, indem sie die in Rede stehenden Erzeugnisse vorsätzlich und rechtswidrig in Verkehr gebracht hätten. Gemäß § 340 Abs. 1 des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs könnten sie daher nicht den Ersatz dieses Schadens verlangen.

32

In diesem Zusammenhang ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass in Ermangelung einer ungarischen Rechtsvorschrift, die speziell die in Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 genannten Fälle regelt, die allgemeinen Vorschriften des ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Haftung und zum Schadensersatz im Licht dieser Bestimmung auszulegen sind. Es hat jedoch erstens Zweifel, was die Tragweite der Regelung in Art. 9 Abs. 7 dieser Richtlinie anbelangt, und fragt sich insbesondere, ob sich diese Bestimmung darauf beschränkt, dem Antragsgegner einen Anspruch auf Schadensersatz zu gewährleisten, oder ob sie auch den Inhalt definiert. Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 7 dieser Richtlinie dem entgegensteht, dass das nationale Gericht in Anwendung einer zivilrechtlichen Vorschrift eines Mitgliedstaats prüft, welche Rolle der Antragsgegner beim Entstehen des Schadens gespielt hat.

33

Unter diesen Umständen hat das Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist der Ausdruck „angemessener Ersatz“ im Sinne von Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Haftung der Parteien sowie den Umfang und die Art des Schadensersatzes festzulegen, nach denen die Gerichte der Mitgliedstaaten befugt sind, anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner Ersatz für die Schäden zu leisten hat, die durch Maßnahmen entstanden sind, die das Gericht nachher aufgehoben hat oder die später aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Klägers hinfällig geworden sind oder bei denen das Gericht in der Folge festgestellt hat, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Steht Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach auf den in dieser Richtlinienbestimmung vorgesehenen Schadensersatz die allgemeinen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats über die zivilrechtliche Haftung und den zivilrechtlichen Schadensersatz anzuwenden sind, nach denen das Gericht den Antragsteller nicht zum Ersatz der Schäden verurteilen kann, die durch eine einstweilige Maßnahme entstanden sind, deren Begründetheit wegen der Nichtigerklärung des Patents nachträglich weggefallen ist, wenn diese Schäden deshalb eingetreten sind oder der Antragsgegner für ihren Eintritt deshalb verantwortlich ist, weil er sich nicht so verhalten hat, wie es unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden durfte, vorausgesetzt, dass sich der Antragsteller bei der Beantragung der einstweiligen Maßnahme so verhalten hat, wie es unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden durfte?

Zu den Vorlagefragen

34

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48, insbesondere der Begriff „angemessener Ersatz“ in dieser Bestimmung, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass eine Person nicht für den Schaden zu entschädigen ist, den sie dadurch erlitten hat, dass sie sich nicht so verhalten hat, wie es allgemein erwartet werden darf, um ihren Schaden zu vermeiden oder zu verringern, und die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens das Gericht veranlasst, den Antragsteller auf Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht zu verurteilen, den durch diese Maßnahmen verursachten Schaden zu ersetzen, obwohl das Patent, auf dessen Grundlage diese Maßnahmen beantragt und gewährt wurden, später für nichtig erklärt wurde.

35

Um diese Fragen zu beantworten, ist erstens zu klären, ob es – wovon das vorlegende Gericht ausgeht – den Mitgliedstaaten obliegt, den Inhalt, den Umfang und die Modalitäten des Begriffs „angemessener Ersatz“ zu definieren, auf den sich Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 bezieht.

36

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 die Gerichte befugt sind, auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch einstweilige Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat, wenn diese aufgehoben oder aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig werden oder in der Folge festgestellt wird, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag.

37

Selbst wenn dies im Wortlaut dieser Bestimmung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ergibt sich eindeutig aus der allgemeinen Systematik des Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48, dass sich dieser an die Mitgliedstaaten richtet und diese verpflichtet, in ihrem nationalen Recht alle in Art. 9 vorgesehenen Maßnahmen einschließlich der in Abs. 7 dieses Artikels genannten Maßnahmen vorzusehen, wie im Übrigen auch der 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie bestätigt.

38

Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 ist somit dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihren Rechtsvorschriften den zuständigen Gerichten die Befugnis einzuräumen, dem Antragsteller auf Antrag des Antragsgegners aufzugeben, den durch die einstweiligen Maßnahmen im Sinne dieses Artikels verursachten Schaden zu ersetzen.

39

Aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 geht auch hervor, dass diese Befugnis erstens entweder ausgeübt werden kann, wenn einstweilige Maßnahmen aufgehoben oder aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig werden oder wenn in der Folge festgestellt wird, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag. Zweitens muss diese Befugnis den durch diese Maßnahmen entstandenen „Schaden“ betreffen, und drittens muss der Schadensersatz als „angemessener Ersatz“ geleistet werden.

40

Was insbesondere den Begriff „angemessener Ersatz“ betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (Urteil vom 21. Oktober 2010, Padawan, C‑467/08, EU:C:2010:620, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Da jedoch Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 in Bezug auf den Begriff „angemessener Ersatz“ keinen Verweis auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten enthält, ist dieser Begriff einer solchen autonomen und einheitlichen Auslegung zu unterziehen und kann seine Auslegung nicht den einzelnen Mitgliedstaaten obliegen.

42

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch das mit der Richtlinie 2004/48 verfolgte Ziel. Diese stellt in ihrem zehnten Erwägungsgrund nämlich klar, dass es Ziel der Richtlinie ist, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einander anzunähern, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

43

In dieser Hinsicht weist der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 auf beträchtliche Diskrepanzen zwischen den Mitgliedstaaten hin, insbesondere was die Durchführungsbestimmungen für einstweilige Maßnahmen anbelangt. Außerdem wird im achten Erwägungsgrund dieser Richtlinie festgestellt, dass diese Unterschiede das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen und verhindern, dass die bestehenden Rechte des geistigen Eigentums überall in der Union in demselben Grad geschützt sind.

44

Eine Auslegung, nach der den Mitgliedstaaten selbst freisteht, den Inhalt, den Umfang und die Modalitäten des Begriffs „angemessener Ersatz“ in Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 zu definieren, würde dieses vom Unionsgesetzgeber angestrebte Ziel der Gleichwertigkeit und der Homogenität bei einem hohen Schutzniveau für geistiges Eigentum jedoch verkennen.

45

Die Schlussfolgerung in Rn. 41 des vorliegenden Urteils verstößt nicht gegen die Verpflichtungen aus dem TRIPS-Übereinkommen, das sowohl die Union als auch ihre Mitgliedstaaten bindet und auf das die Richtlinie 2004/48 mehrfach Bezug nimmt.

46

Das TRIPS-Übereinkommen sieht nämlich in Art. 1 Abs.1 u. a. vor, dass es den Mitgliedern freisteht, „die für die Umsetzung dieses Übereinkommens in ihrem eigenen Rechtssystem und in ihrer Rechtspraxis geeignete Methode festzulegen“. Die Tragweite dieser allgemeinen Bestimmung erstreckt sich auch auf Art. 50 Abs. 7 dieses Übereinkommens, dessen Wortlaut mit dem des Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 im Wesentlichen identisch ist und der sich auch auf den Begriff „angemessener Ersatz“ bezieht.

47

Im Übrigen räumt dieses Übereinkommen, das nach dem ersten Absatz seiner Präambel einen wirksamen und angemessenen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums gewährleisten soll, in seinem Art. 1 Abs. 1 den Mitgliedern ausdrücklich die Möglichkeit ein, einen umfassenderen Schutz als den durch dieses Übereinkommen geforderten aufzunehmen.

48

Dies sind genau die Entscheidungen, die der Unionsgesetzgeber getroffen hat, als er die Richtlinie 2004/48 erließ, deren Hauptzweck – wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt – die Gewährleistung eines hohen, gleichwertigen und homogenen Schutzniveaus für geistiges Eigentum in der Rechtsordnung der Union und ihrer Mitgliedstaaten ist.

49

Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass der Begriff „angemessener Ersatz“ als ein autonomer Begriff des Unionsrechts zu betrachten ist, der im Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist.

50

Wie insoweit aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils hervorgeht, verpflichtet Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 die Mitgliedstaaten dazu, ihren nationalen Gerichten die Befugnis einzuräumen, dem Antragsgegner unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen einen angemessenen Ersatz zu gewähren.

51

Es ist daher Sache dieser nationalen Gerichte, in Ausübung der ihnen innerhalb dieses Rahmens übertragenen Befugnisse die besonderen Umstände der bei ihnen anhängigen Rechtssachen zu beurteilen, um zu entscheiden, ob der Antragsteller zu verurteilen ist, dem Antragsgegner Ersatz zu leisten, der „angemessen“, d. h. in Anbetracht dieser Umstände gerechtfertigt, sein muss.

52

Insbesondere wenn die zuständigen nationalen Gerichte ihre Befugnis, diesen Ersatz zu gewähren, ausschließlich unter der Voraussetzung ausüben dürfen, dass entweder die einstweiligen Maßnahmen aufgrund einer Handlung oder Unterlassung des Antragstellers aufgehoben werden oder hinfällig werden oder in der Folge festzustellen ist, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag, bedeutet der Umstand, dass diese Voraussetzungen in einer bestimmten Rechtssache erfüllt sind, nicht, dass diese Gerichte automatisch und in jedem Fall verpflichtet wären, den Antragsteller zum Ersatz jedweden Schadens zu verurteilen, der dem Antragsgegner aufgrund dieser Maßnahmen entstanden ist.

53

Im Ausgangsverfahren ist erstens unstreitig, dass das Patent erst erteilt wurde, nachdem Richter mit der Vermarktung der in Rede stehenden Erzeugnisse begonnen hatte, und dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu dem Zeitpunkt, als sie ursprünglich den Erlass einstweiliger Maßnahmen beantragt hatte, und zu dem Zeitpunkt, als sie nach Abweisung dieses Antrags am 25. Mai 2011 als Reaktion auf diese Vermarktung erneut den Erlass einstweiliger Maßnahmen beantragt hatte, Inhaberin dieses Patents war.

54

Zweitens ist ebenfalls unstreitig, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens zu diesem Zeitpunkt bereits beim Amt beantragt hatten, dieses Patent für nichtig zu erklären.

55

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass diese einstweiligen Maßnahmen nach ihrem Erlass durch das vorlegende Gericht am 11. Juli 2011 durch das Berufungsgericht am 29. September bzw. 4. Oktober 2011 aufgehoben wurden und dass das vorlegende Gericht – obwohl es der Auffassung war, die Beklagten im Ausgangsverfahren seien unter Verletzung des Patents von Bayer in den Markt eingetreten – diese einstweiligen Maßnahmen nach der Zurückverweisung der Sachen unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Stadiums des Verfahrens über die Nichtigerklärung dieses Patents und des Widerrufs eines entsprechenden europäischen Patents nicht erneuert hat.

56

Viertens schließlich wurde das Patent von Bayer zunächst am 13. September 2012 durch Beschluss des Amtes, dann in einem zweiten Schritt durch Beschluss des vorlegenden Gerichts vom 9. September 2014 für nichtig erklärt.

57

Aus der Vorlageentscheidung und den darin dem Gerichtshof vorgelegten Fragen geht aber hervor, dass unter diesen Umständen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften es dem Gericht nicht erlauben, dem Antragsteller aufzugeben, den durch diese einstweiligen Maßnahmen dem Antragsgegner verursachten Schaden zu ersetzen.

58

Vor diesem konkreten Hintergrund ist zweitens auf die Frage zu antworten, ob Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48, insbesondere der Begriff „angemessener Ersatz“ in dieser Bestimmung, unter diesen Umständen der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, die ausschließen, dass der Antragsgegner Ersatz des Schadens erhalten kann, den er dadurch erlitten hat, dass er sich unter den gegebenen Umständen nicht so verhalten hat, wie es allgemein erwartet werden darf, um diesen Schaden zu vermeiden oder zu verringern, vorausgesetzt, der Antragsteller hat sich bei der Beantragung der einstweiligen Maßnahmen so verhalten, wie es unter den gegebenen Umständen allgemein erwartet werden darf.

59

Da sein Wortlaut hierzu keine ausdrücklichen Anhaltspunkte enthält, ist Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 nach ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung von Kontext und Zielsetzung der Regelung, zu der er gehört, auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juni 2018, Koppers Denmark, C‑49/17, EU:C:2018:395, Rn. 22).

60

Hinsichtlich dieses Kontexts ergibt sich erstens aus dem Ende des 22. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2004/48, dass der in Art. 9 Abs. 7 dieser Richtlinie vorgesehene angemessene Ersatz eine Sicherheit darstellt, die der Unionsgesetzgeber als erforderlich angesehen hat, um dem Antragsgegner „im Falle eines ungerechtfertigten Antrags“ auf einstweilige Maßnahmen etwaige Unkosten und den entstandenen Schaden zu ersetzen.

61

Nach dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 sind die in Art. 9 der Richtlinie vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen vor allem dann gerechtfertigt, wenn jegliche Verzögerung einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums mit sich bringen würde.

62

Infolgedessen setzt die Feststellung, ob ein Antrag auf einstweilige Maßnahmen ungerechtfertigt ist, vor allem die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums im Fall der Verzögerung beim Erlass der von ihm beantragten Maßnahmen voraus.

63

Wenn – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – die Antragsgegner ihre Waren vertreiben, obwohl ein Patent beantragt worden ist oder ein Patent besteht, das dieser Vermarktung entgegensteht, kann dieses Verhalten auf den ersten Blick als ein objektives Indiz für die Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens für den Inhaber dieses Patents im Fall der Verzögerung beim Erlass der von ihm beantragten Maßnahmen angesehen werden. Folglich kann der von diesem als Reaktion auf ein solches Verhalten gestellte Antrag auf einstweilige Maßnahmen nicht von vornherein als „ungerechtfertigt“ im Sinne von Art. 9 Abs. 7 in Verbindung mit dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 eingestuft werden.

64

Was den Umstand anbelangt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einstweiligen Maßnahmen aufgehoben wurden, kann dieser zwar, wie in Rn. 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eine der Voraussetzungen darstellen, die für die Ausübung der Befugnis nach Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 erforderlich sind, jedoch kann er nicht als solcher als ausreichender Beleg dafür betrachtet werden, dass der Antrag, der den aufgehobenen einstweiligen Maßnahmen zugrunde lag, ungerechtfertigt war.

65

Eine andere Schlussfolgerung könnte den Inhaber des fraglichen Patents unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens davon abhalten, auf Maßnahmen nach Art. 9 der Richtlinie 2004/48 zurückzugreifen, und liefe damit dem Ziel dieser Richtlinie, der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für geistiges Eigentum, zuwider.

66

Was zweitens das Verhalten des Antragstellers angeht, ist Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 in Verbindung mit Art. 3 dieser Richtlinie auszulegen, der eine „allgemeine Verpflichtung“ enthält, die für das gesamte Kapitel II dieser Richtlinie gilt, zu dem auch Art. 9 gehört.

67

Nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 müssen die von dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen, so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.

68

Diese Bestimmung verpflichtet somit die Mitgliedstaaten und letztlich die nationalen Gerichte, Garantien dafür anzubieten, dass insbesondere die in Art. 9 der Richtlinie 2004/48 genannten Maßnahmen und Verfahren nicht missbräuchlich verwendet werden.

69

Zu diesem Zweck müssen die zuständigen nationalen Gerichte prüfen, ob der Antragsteller in einer bestimmten Rechtssache diese Maßnahmen und Verfahren nicht missbräuchlich verwendet hat.

70

Es ist somit Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der Antragsteller die in Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48 vorgesehene Maßnahme nicht missbräuchlich verwendet hat. Zu diesem Zweck muss es alle objektiven Umstände der Rechtssache, einschließlich des Verhaltens der Parteien, gebührend berücksichtigen.

71

Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48, insbesondere der Begriff „angemessener Ersatz“ in dieser Bestimmung, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass eine Person nicht für den Schaden zu entschädigen ist, den sie dadurch erlitten hat, dass sie sich nicht so verhalten hat, wie es allgemein erwartet werden darf, um ihren Schaden zu vermeiden oder zu verringern, und die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens das Gericht veranlasst, den Antragsteller auf Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht zu verurteilen, den durch diese Maßnahmen verursachten Schaden zu ersetzen, obwohl das Patent, auf dessen Grundlage diese Maßnahmen beantragt und gewährt wurden, später für nichtig erklärt wurde, vorausgesetzt, diese Regelung ermöglicht es dem Gericht, alle objektiven Umstände der Rechtssache, einschließlich des Verhaltens der Parteien, gebührend zu berücksichtigen, um insbesondere zu prüfen, ob der Antragsteller diese Maßnahmen nicht missbräuchlich verwendet hat.

Kosten

72

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 9 Abs. 7 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere der Begriff „angemessener Ersatz“ in dieser Bestimmung, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die vorsieht, dass eine Person nicht für den Schaden zu entschädigen ist, den sie dadurch erlitten hat, dass sie sich nicht so verhalten hat, wie es allgemein erwartet werden darf, um ihren Schaden zu vermeiden oder zu verringern, und die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens das Gericht veranlasst, den Antragsteller auf Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht zu verurteilen, den durch diese Maßnahmen verursachten Schaden zu ersetzen, obwohl das Patent, auf dessen Grundlage diese Maßnahmen beantragt und gewährt wurden, später für nichtig erklärt wurde, vorausgesetzt, diese Regelung ermöglicht es dem Gericht, alle objektiven Umstände der Rechtssache, einschließlich des Verhaltens der Parteien, gebührend zu berücksichtigen, um insbesondere zu prüfen, ob der Antragsteller diese Maßnahmen nicht missbräuchlich verwendet hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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