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Document 62012CJ0063

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 19. November 2013.
Europäische Kommission gegen Rat der Europäischen Union.
Nichtigkeitsklage – Beschluss 2011/866/EU – Jährliche Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union – Beamtenstatut – Art. 65 des Statuts – Angleichungsmethode – Art. 3 des Anhangs XI des Statuts – Ausnahmeklausel – Art. 10 des Anhangs XI des Statuts – Erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage – Angleichung der Berichtigungskoeffizienten – Art. 64 des Statuts – Beschluss des Rates – Weigerung, den Vorschlag der Kommission anzunehmen.
Rechtssache C‑63/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:752

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

19. November 2013 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage — Beschluss 2011/866/EU — Jährliche Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union — Beamtenstatut — Art. 65 des Statuts — Angleichungsmethode — Art. 3 des Anhangs XI des Statuts — Ausnahmeklausel — Art. 10 des Anhangs XI des Statuts — Erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage — Angleichung der Berichtigungskoeffizienten — Art. 64 des Statuts — Beschluss des Rates — Weigerung, den Vorschlag der Kommission anzunehmen“

In der Rechtssache C‑63/12

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 3. Februar 2012,

Europäische Kommission, vertreten durch J. Currall, D. Martin und J.‑P. Keppenne als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch

Europäisches Parlament, vertreten durch A. Neergaard und S. Seyr als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer und J. Herrmann als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, D. Hadroušek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

Königreich Dänemark, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und C. Thorning als Bevollmächtigte,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

Königreich Spanien, vertreten durch N. Díaz Abad und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. Jenkinson und J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von R. Palmer, Barrister,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), E. Juhász, M. Safjan, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça, der Richter A. Rosas, G. Arestis, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader und des Richters C. Vajda,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. September 2013

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission vom Gerichtshof die Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/866/EU des Rates vom 19. Dezember 2011 betreffend den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sind, mit Wirkung vom 1. Juli 2011 (ABl. L 341, S. 54, im Folgenden: angefochtener Beschluss). Sie begründet dies damit, dass der Beschluss insbesondere gegen Art. 65 des durch die Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. L 56, S. 1), errichteten Statuts der Beamten der Europäischen Union in der durch die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 1080/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 (ABl. L 311, S. 1), die am 5. Juni 2012 berichtigt wurde (ABl. L 144, S. 48), geänderten Fassung (im Folgenden: Statut) sowie gegen die Art. 1, 3 und 10 des Anhangs XI des Statuts verstoße.

Rechtlicher Rahmen

2

Art. 64 des Statuts bestimmt:

„Auf die Dienstbezüge des Beamten, die auf Euro lauten, wird nach Abzug der nach dem Statut und dessen Durchführungsverordnungen einzubehaltenden Beträge ein Berichtigungskoeffizient angewandt, der je nach den Lebensbedingungen am Ort der dienstlichen Verwendung 100 v. H. oder einen höheren oder niedrigeren Hundertsatz beträgt.

Diese Koeffizienten werden vom Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 16 Absätze 4 und 5 [EUV]) festgesetzt.“

3

Art. 65 des Statuts lautet:

„(1)   Der Rat überprüft jährlich das Besoldungsniveau der Beamten und sonstigen Bediensteten der Union. Diese Überprüfung erfolgt im September an Hand eines gemeinsamen Berichts der Kommission, dem ein vom Statistischen Amt der Europäischen Union im Einvernehmen mit den statistischen Ämtern der einzelnen Mitgliedstaaten aufgestellter gemeinsamer Index zugrunde liegt; für diesen Index ist für jedes Land der Union der Stand am 1. Juli maßgebend.

Der Rat prüft hierbei, ob im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union eine Angleichung der Bezüge angebracht ist. Berücksichtigt werden insbesondere etwaige Erhöhungen der Gehälter im öffentlichen Dienst sowie die Erfordernisse der Gewinnung von Personal.

(2)   Im Falle einer erheblichen Änderung der Lebenshaltungskosten beschließt der Rat innerhalb von höchstens zwei Monaten Maßnahmen zur Angleichung der Berichtigungskoeffizienten und gegebenenfalls über deren Rückwirkung.

(3)   Bei Anwendung dieses Artikels beschließt der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit (Artikel 16 Absätze 4 und 5 [EUV]).“

4

Beschließt der Rat gemäß Art. 65 Abs. 1 des Statuts eine Anpassung der Dienstbezüge, so gilt sie nach Art. 82 Abs. 2 des Statuts auch für die Versorgungsbezüge.

5

Gemäß Art. 65a des Statuts sind die Anwendungsmodalitäten seiner Art. 64 und 65 in Anhang XI des Statuts festgelegt.

6

Anhang XI, der die Überschrift „Anwendungsmodalitäten zu den Artikeln 64 und 65 des Statuts“ trägt, umfasst mehrere Kapitel; von ihnen ist Kapitel 1, das aus den Art. 1 bis 3 besteht, mit „Jährliche Überprüfung des Besoldungsniveaus gemäß Artikel 65 Absatz 1 des Statuts“ überschrieben und Kapitel 4 mit „Festsetzung und Aufhebung von Berichtigungskoeffizienten (Artikel 64 des Statuts)“.

7

Art. 1 des Anhangs XI des Statuts, der zu Abschnitt 1 von Kapitel 1 dieses Anhangs gehört, sieht vor, dass Eurostat für die Überprüfung des Besoldungsniveaus gemäß Art. 65 Abs. 1 des Statuts jedes Jahr bis Ende Oktober einen Bericht über die Entwicklung der Lebenshaltungskosten in Brüssel (Belgien) (Brüsseler internationaler Index), über die Entwicklung der Lebenshaltungskosten außerhalb Brüssels (Kaufkraftparitäten und implizite Indizes) und über die Entwicklung der Kaufkraft der Dienstbezüge der nationalen Beamten in den Zentralverwaltungen von acht Mitgliedstaaten (spezifische Indikatoren) erstellt. Ferner enthält Art. 1 nähere Angaben dazu, wie Eurostat in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten bei den insoweit anzustellenden Berechnungen vorzugehen hat.

8

In Art. 3 des Anhangs XI des Statuts, der Abschnitt 2 („Modalitäten der jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge“) von Kapitel 1 dieses Anhangs bildet, heißt es:

„(1)   Mit Wirkung vom 1. Juli beschließt der Rat gemäß Artikel 65 Absatz 3 des Statuts bis Ende eines jeden Jahres über die von der Kommission vorgeschlagene Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge auf der Grundlage der in Abschnitt 1 dieses Anhangs genannten Elemente.

(2)   Der Wert der Angleichung entspricht dem Produkt aus dem spezifischen Indikator und dem Brüsseler internationalen Index. Die Angleichung wird in Nettowerten als ein gleicher Prozentsatz für alle ausgedrückt.

(3)   Der auf diese Weise festgelegte Wert der Angleichung geht nach folgendem Verfahren in die Grundgehaltstabellen in Artikel 66 des Statuts … ein:

(5)   Die Berichtigungskoeffizienten für Belgien und Luxemburg werden auf 100 festgesetzt. Die Berichtigungskoeffizienten,

a)

die für die Dienstbezüge der in anderen Mitgliedstaaten oder an bestimmten anderen Dienstorten tätigen Beamten der Union gelten,

b)

die … für die Versorgungsbezüge gelten, die von der Union in anderen Mitgliedstaaten für den Anteil gezahlt werden, der den vor dem 1. Mai 2004 erworbenen Ansprüchen entspricht,

werden auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen den in Artikel 1 dieses Anhangs genannten Kaufkraftparitäten und den in Artikel 63 des Statuts vorgesehenen Wechselkursen für die betreffenden Länder festgesetzt.

Für Dienstorte mit starker Inflation gelten die Bestimmungen des Artikels 8 dieses Anhangs über die rückwirkende Geltung der Berichtigungskoeffizienten.

…“

9

Art. 8 des Anhangs XI des Statuts legt die Zeitpunkte der Anwendung zwischenzeitlicher und jährlicher Angleichungen des Berichtigungskoeffizienten für Orte mit starkem Anstieg der Lebenshaltungskosten fest.

10

Kapitel 5 des Anhangs XI trägt die Überschrift „Ausnahmeklausel“. Es besteht nur aus Art. 10, der lautet:

„Geht aus von der Kommission mitgeteilten objektiven Daten hervor, dass in der Union eine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage eingetreten ist, so legt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat entsprechende Vorschläge vor, über die diese gemäß Artikel 336 [AEUV] beschließen.“

11

Nach Art. 15 Abs. 1 des Anhangs XI galten dessen Bestimmungen vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2012.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Beschluss

12

Im Dezember 2010 gab der Rat eine Erklärung ab, in der er feststellte, dass „die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise in der [Union] zu substanziellen Haushaltsanpassungen und verstärkter Arbeitsplatzunsicherheit in verschiedenen Mitgliedstaaten geführt und eine ernsthafte und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der [Union] verursacht hat“. Er ersuchte die Kommission, auf der Grundlage von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts und im Licht der von der Kommission gelieferten objektiven Daten rechtzeitig geeignete Vorschläge zu unterbreiten, damit das Europäische Parlament und der Rat sie vor Ende 2011 prüfen und verabschieden können (vgl. Ratsdokument Nr. 17946/10 ADD 1 vom 17. Dezember 2010).

13

Am 13. Juli 2011 legte die Kommission dem Rat einen Bericht betreffend die Ausnahmeklausel (Artikel 10 von Anhang XI des Statuts) (KOM[2011] 440 endgültig, im Folgenden: Bericht vom 13. Juli 2011) vor. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit, für das Jahr 2011 die in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Ausnahmeklausel (im Folgenden: Ausnahmeklausel) anzuwenden, zog sie 15 Indikatoren heran, und zwar das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die Inlandsnachfrage, die Lagerbestände, die Netto-Ausfuhren, den privaten Verbrauch, den öffentlichen Verbrauch, die Gesamtinvestitionen und die Inflation innerhalb der Union, die gesamtstaatliche und öffentliche Verschuldung in der Union, die Gesamtbeschäftigung, die Arbeitslosenquote und die Entlohnung der Arbeitnehmer innerhalb der Union, den Indikator der wirtschaftlichen Einschätzung und die Beschäftigungserwartungen innerhalb der Union. Dabei stützte sie sich auf die von der Generaldirektion „Wirtschaft und Finanzen“ am 13. Mai 2011 veröffentlichten europäischen Wirtschaftsprognosen.

14

Im Bericht vom 13. Juli 2011 heißt es, die Indikatoren zeigten, dass der Wirtschaftsaufschwung in der Union weiter vorankomme. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass im Bezugszeitraum (dem Zeitraum zwischen der letzten jährlichen Angleichung der Bezüge am 1. Juli 2010 und Mitte Mai 2011, dem Zeitpunkt der Verfügbarkeit der jüngsten Daten) keine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union eingetreten sei und dass die Vorlage eines Vorschlags auf der Grundlage von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts nicht angebracht sei.

15

An die Prüfung des Berichts vom 13. Juli 2011 schlossen sich Erörterungen im Rat an, die zu einer erneuten Aufforderung des Rates an die Kommission führten, Art. 10 anzuwenden und einen angemessenen Vorschlag für die Angleichung der Dienstbezüge so rechtzeitig zu unterbreiten, dass das Parlament und der Rat ihn vor Ende 2011 prüfen und verabschieden können (vgl. Ratsdokument Nr. 16281/11 vom 31. Oktober 2011).

16

Zur Beantwortung dieser Aufforderung legte die Kommission die Mitteilung KOM(2011) 829 endgültig vom 24. November 2011 mit zusätzlichen Informationen zum Bericht vom 13. Juli 2011 (im Folgenden: Zusatzinformationen) vor, die sich insbesondere auf die von der Generaldirektion „Wirtschaft und Finanzen“ der Kommission am 10. November 2011 veröffentlichten europäischen Wirtschaftsprognosen stützt. In den Zusatzinformationen führte die Kommission aus, dass diese Prognosen „gegenüber den Frühjahrsprognosen eine Verschlechterung der Wirtschaftsentwicklung aufgrund sowohl der wirtschaftlichen als auch der sozialen Indikatoren aus[weisen] und … erkennen [lassen], dass die europäische Wirtschaft sich in einer Schwächephase befindet“. Gleichwohl war die Kommission in Anbetracht mehrerer Elemente der Ansicht, dass sich die Union nicht in einer außergewöhnlichen Lage im Sinne von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts befinde, die Maßnahmen rechtfertige, bei denen ein größerer Kaufkraftverlust eintrete als bei Anwendung der in Art. 3 des Anhangs vorgesehenen „normalen“ Methode. Die Kommission könne daher keine Maßnahmen auf der Grundlage der Ausnahmeklausel vorschlagen, ohne gegen Art. 10 zu verstoßen.

17

Am gleichen Tag legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union sowie der Berichtigungskoeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge anwendbar sind, mit Wirkung vom 1. Juli 2011 (KOM[2011] 820 endgültig, im Folgenden: Verordnungsvorschlag), nebst einer Begründung vor. Die auf der Grundlage der in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen „normalen“ Methode vorgeschlagene Angleichung der Bezüge betrug 1,7 %.

18

Im angefochtenen Beschluss nahm der Rat den Verordnungsvorschlag nicht an und begründete dies u. a. wie folgt:

„(6)

Der Rat ist der Auffassung, dass in keinem der von der Kommission vorgelegten Dokumente (nämlich der ‚Bericht [vom 13. Juli 2011]‘ und die ‚Zusatzinformationen‘) die gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Lage in der Union genau und umfassend berücksichtigt wird.

(7)

Darüber hinaus hat die Kommission nach Auffassung des Rates einen Fehler begangen, indem sie die Zeitspanne, auf die sich ihre Analyse erstreckt, zu kurz gewählt hat. Dieser Fehler hat eine korrekte Lagebewertung durch die Kommission verhindert und somit die Schlussfolgerungen aus den beiden Dokumenten – dass nämlich keine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union vorliegt – erheblich verzerrt.

(8)

Der Rat teilt diese Schlussfolgerungen nicht. Der Rat ist davon überzeugt, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise, die gegenwärtig in der Union herrscht und in einer großen Zahl der Mitgliedstaaten substanzielle Haushaltsanpassungen, unter anderem der Anpassung der Gehälter der mitgliedstaatlichen Beamten, zur Folge hat, eine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union darstellt.

(10)

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage wurde die Vorhersage für das Wachstum in der Union im Jahr 2012 erheblich von +1,9 % auf +0,6 % gesenkt. Das Quartalswachstum in der EU ist von +0,7 % im ersten Quartal 2011 auf +0,2 % im zweiten und im dritten Quartal dieses Jahres gefallen. Für das vierte Quartal 2011 und das erste Quartal 2012 ist kein BIP-Wachstum vorhergesagt.

(11)

Bei der Bewertung der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Lage hätte die Situation auf den Finanzmärkten stärker berücksichtigt werden müssen, insbesondere die Engpässe bei der Kreditversorgung und der Rückgang der Preise der Aktiva, die entscheidende Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung sind.

(12)

Hinsichtlich der sozialen Lage war die Schaffung von Arbeitsplätzen unzureichend, um einen stärkeren Rückgang der Arbeitslosenquote zu bewirken. Die Arbeitslosenquote in der [Europäischen Union] hat in den Jahren 2010 und 2011 geschwankt, um im Oktober 2011 9,8 % zu erreichen, und dürfte auf einem konstant hohen Niveau bleiben.

(13)

Angesichts dessen ist der Rat der Auffassung, dass der Standpunkt der Kommission in der Frage, ob eine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der EU vorliegt, und ihre Weigerung, einen Vorschlag nach Artikel 10 des Anhangs XI des Statuts vorzulegen, auf offensichtlich unzureichenden und fehlerhaften Gründen beruhen.

(14)

Da der … Gerichtshof in der Rechtssache C‑40/10 [Urteil vom 24. November 2010, Kommission/Rat (Slg. 2010, I‑12043)] entschieden hat, dass während der Geltungsdauer des Anhangs XI des Statuts das Verfahren nach dessen Artikel 10 die einzige Möglichkeit ist, eine Wirtschaftskrise bei der Anpassung der Bezüge zu berücksichtigen, war der Rat auf einen Vorschlag der Kommission zur Anwendung dieses Artikels in Krisenzeiten angewiesen.

(15)

Der Rat ist überzeugt, dass die Kommission angesichts des Wortlauts von Artikel 10 des Anhangs XI des Statuts und aufgrund der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen gemäß Artikel 13 Absatz 2 [EUV] verpflichtet war, dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Die Schlussfolgerungen der Kommission und die Nichtvorlage eines solchen Vorschlags verstoßen daher gegen diese Verpflichtung.

(16)

Da der Rat nur auf Vorschlag der Kommission tätig werden kann, hat die Tatsache, dass die Kommission nicht die richtigen Schlüsse aus den Hinweisen gezogen und keinen Vorschlag gemäß Artikel 10 des Anhangs XI des Statuts vorgelegt hat, den Rat daran gehindert, durch die Annahme eines Rechtsaktes nach Artikel 10 des Anhangs XI des Statuts richtig auf die erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage zu reagieren.“

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

19

Die Kommission beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

20

Der Rat beantragt,

die Klage als unzulässig abzuweisen,

hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen und

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

21

Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. März 2012 ist das Parlament als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

22

Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. Juli 2012 sind die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

Zur Zulässigkeit der Klage

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

23

Der Rat trägt vor, die Klage sei unzulässig, da der angefochtene Beschluss keine eigenständigen Rechtswirkungen erzeuge und daher kein anfechtbarer Rechtsakt im Sinne von Art. 263 AEUV sei.

24

Mit diesem Beschluss habe der Rat den Verordnungsvorschlag weder geändert noch endgültig abgelehnt, sondern sich darauf beschränkt, im Bemühen um Transparenz die Gründe darzulegen, aus denen er den Vorschlag nicht annehmen könne. Der angefochtene Beschluss habe keine Auswirkung auf den rechtlichen Bestand des Verordnungsvorschlags.

25

Die Kommission hebt dagegen hervor, dass der Rat der Sache nach einen „Beschluss“ im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV gefasst habe, der im Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe L, veröffentlicht worden sei. Das Tätigwerden des Rates habe dem Verordnungsvorschlag gegolten, denn er habe auf ihn im dritten Bezugsvermerk und im fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich Bezug genommen.

26

Dieser Beschluss erzeuge eigenständige Rechtswirkungen. Er verhindere nämlich die in den Art. 64 und 65 des Statuts vorgesehene jährliche Angleichung, und aus seiner Begründung gehe klar hervor, dass der vom Rat eingenommene Standpunkt endgültig sei, so dass die Weigerung, den Verordnungsvorschlag anzunehmen, einer Ablehnung dieses Vorschlags gleichkomme.

27

Überdies könne die Weigerung eines Organs, einen Beschluss zu fassen, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein, wenn die Handlung, deren Vornahme das Organ verweigere, aufgrund dieser Bestimmung hätte angefochten werden können. Der Rechtsakt, dessen Erlass der Rat abgelehnt habe – eine Verordnung –, sei aber als solcher ein anfechtbarer Rechtsakt.

Würdigung durch den Gerichtshof

28

Nach ständiger Rechtsprechung sind anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 263 AEUV alle Handlungen der Organe – unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form –, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen sollen (vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1971, Kommission/Rat, „AETR“, 22/70, Slg. 1971, 263, Randnr. 42, vom 17. Juli 2008, Athinaïki Techniki/Kommission, C-521/06 P, Slg. 2008, I-5829, Randnr. 29, vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C-322/09 P, Slg. 2010, I-11911, Randnr. 45, und vom 19. Dezember 2012, Kommission/Planet, C‑314/11 P, Randnr. 94).

29

Der vorliegende Fall betrifft ein spezielles Verfahren, in dem die Organe verpflichtet sind, jedes Jahr über die Angleichung der Bezüge zu entscheiden, sei es durch eine „mathematische“ Angleichung anhand der in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen Methode, sei es unter Abweichung von dieser mathematischen Berechnung gemäß Art. 10 des Anhangs.

30

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Kommission im Rahmen des in Art. 3 Abs. 1 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen „normalen“ Verfahrens zur jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge einen Verordnungsvorschlag vorgelegt hat, über den der Rat bis Ende 2011 hätte beschließen müssen.

31

In den Erwägungsgründen des angefochtenen Beschlusses hat der Rat jedoch ausgeführt, dass die gegenwärtig in der Union herrschende Finanz- und Wirtschaftskrise eine erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union darstelle und dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, einen entsprechenden Vorschlag gemäß Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorzulegen.

32

Folglich hat der Rat mit dem angefochtenen Beschluss seine Entscheidung über den auf der Grundlage von Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgelegten Verordnungsvorschlag nicht aufgeschoben. Er hat diesen Vorschlag vielmehr abgelehnt und damit das gemäß Art. 3 eingeleitete Verfahren beendet.

33

Aus dem Vorstehenden folgt, dass der angefochtene Beschluss verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll.

34

Daher ist die Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses zulässig.

Zur Begründetheit

35

Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Rügen, die sich zum einen gegen die Weigerung des Rates richten, die Dienst- und Versorgungsbezüge anzugleichen, und zum anderen gegen die Weigerung des Rates, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge nach Maßgabe der verschiedenen Dienst- oder Wohnorte anzuwendenden Berichtigungskoeffizienten anzugleichen.

Zur ersten, gegen die Weigerung des Rates, die Dienst- und Versorgungsbezüge anzugleichen, gerichteten Rüge

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

36

Mit ihrer ersten Rüge macht die Kommission in erster Linie geltend, der Rat habe einen Befugnismissbrauch begangen und Art. 65 des Statuts sowie die Art. 3 und 10 des Anhangs XI des Statuts verletzt.

37

Der Rat habe in Wirklichkeit Art. 10 angewandt, indem er durch den angefochtenen Beschluss die Bezüge der Unionsbediensteten eingefroren habe, obwohl die Kommission keinen auf diesen Artikel gestützten Vorschlag vorgelegt habe. Mangels eines solchen Vorschlags seien aber die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 10 nicht erfüllt gewesen, und der Rat wäre verpflichtet gewesen, den auf Art. 3 des Anhangs XI des Statuts, der dem Rat keinen Beurteilungsspielraum einräume, gestützten Verordnungsvorschlag anzunehmen. Nur die Kommission sei befugt, die Kriterien von Art. 10 des Anhangs XI zu analysieren und festzulegen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen vorzuschlagen seien.

38

Darüber hinaus habe der Rat in die Befugnisse des Parlaments eingegriffen, indem er allein entschieden habe, dass die in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts genannten Voraussetzungen erfüllt seien, obwohl dieser Artikel auf Art. 336 AEUV und damit auf das ordentliche Gesetzgebungsverfahren Bezug nehme.

39

Die einzige Möglichkeit für den Rat, die Anwendung der Ausnahmeklausel zu erreichen, hätte darin bestanden, vor dem Gerichtshof die Entscheidung der Kommission, seinen Antrag auf Heranziehung dieser Klausel abzulehnen, oder die Tatsache, dass die Kommission keinen entsprechenden Vorschlag im Sinne von Art. 10 vorgelegt habe, wegen offensichtlichen Beurteilungsfehlers anzufechten und gegebenenfalls zugleich den Erlass einstweiliger Anordnungen für den in Rede stehenden Zeitraum bis zum Erlass des Urteils zu beantragen.

40

Hilfsweise trägt die Kommission vor, selbst wenn der Rat zum Erlass des angefochtenen Beschlusses befugt gewesen sein sollte, habe er einen Rechtsfehler begangen, weil er die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts verletzt habe. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei „unzureichend und fehlerhaft“, da die genannten Anwendungsvoraussetzungen im Jahr 2011 nicht vorgelegen hätten.

41

Nach der Rechtsprechung verfüge sie in den Bereichen, in denen eine Bewertung einer komplexen wirtschaftlichen und/oder sozialen Situation erforderlich sei, über eine weite Beurteilungsbefugnis. Sie habe 15 Indikatoren herangezogen, die sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Situation beträfen und von den Mitgliedstaaten im Lauf der Erörterung des Berichts vom 13. Juli 2011 und der Zusatzinformationen nicht beanstandet worden seien. Was der Rat in den Erwägungsgründen 7, 8 und 10 bis 12 des angefochtenen Beschlusses vorgebracht habe, könne den von ihr im Bericht und in den Zusatzinformationen gezogenen Schluss nicht in Frage stellen.

42

Das Parlament schließt sich dem Vorbringen der Kommission an und fügt hinzu, der Rat hätte ein etwaiges Bestreben, aus politischen, mit der Finanzkrise zusammenhängenden Gründen die im Statut festgelegte Methode zur Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge zu ändern, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verfolgen müssen, in dem die politischen Entscheidungen von den beiden Mitgesetzgebern, dem Parlament und dem Rat, getroffen würden.

43

Der Rat trägt vor, der angefochtene Beschluss sei nicht auf Art. 10 des Anhangs XI des Statuts gestützt. Mangels eines Vorschlags der Kommission auf der Grundlage dieser Bestimmung habe er sie nicht anwenden können und dies auch nicht getan.

44

Die Beurteilung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union sowie die Feststellung einer etwaigen erheblichen, abrupten Verschlechterung dieser Lage im Sinne von Art. 10 sei nicht ausschließlich Sache der Kommission, sondern der Rat und das Parlament verfügten insoweit über eine eigene Beurteilungsbefugnis. Aufgrund von Art. 10 und der in Art. 13 Abs. 2 Satz 2 EUV aufgestellten Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit müsse die Kommission dem Parlament und dem Rat objektive Daten mitteilen, um es ihnen zu ermöglichen, ihre eigene Beurteilung der Lage vorzunehmen.

45

Komme der Rat bei der Ausübung dieser Beurteilungsbefugnis im Gegensatz zur Kommission zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeklausel erfüllt seien, habe er nur die Möglichkeit, den auf die in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene „normale“ Methode gestützten Vorschlag der Kommission abzulehnen und zugleich beim Gerichtshof Klage auf Feststellung zu erheben, dass der von der Kommission gezogene Schluss unbegründet sei. Selbst wenn die Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeklausel ausschließlich Sache der Kommission sein sollte, müsse ein solches Vorrecht jedenfalls einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Der Rat müsse in der genannten Weise vorgehen, wenn er der Ansicht sei, dass die Analyse der Kommission mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet sei.

46

Dies sei hier der Fall. Der angefochtene Beschluss solle lediglich die Rechtsposition des Rates wahren, bis der Gerichtshof über die Frage entschieden habe, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeklausel erfüllt seien, so dass die Kommission verpflichtet sei, auf dieser Grundlage einen Vorschlag zu unterbreiten. Ein Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen durch den Gerichtshof für die Zeit bis zum Erlass eines Urteils sei in dieser Situation nicht angebracht.

47

Die Begründung dieses Beschlusses sei auch weder unzureichend, da seine 16 Erwägungsgründe geeignet seien, den Standpunkt des Rates zu stützen, noch offensichtlich fehlerhaft.

48

Der Rat verfüge über einen eigenen Beurteilungsspielraum in Bezug auf die Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, und für die gerichtliche Überprüfung der Ausübung dieser Befugnis müssten die gleichen Grenzen gelten wie für die von der Kommission ausgeübte Befugnis. Die Kommission hätte daher dartun müssen, dass der Rat einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

49

Was die Wendung „erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage“ im Sinne von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts angehe, teile der Rat im Prinzip die Meinung der Kommission, dass mit dem Begriff „Verschlechterung“ eine Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Lage beschrieben werde, dass ihre „Erheblichkeit“ anhand des Ausmaßes, aber auch der Dauer der festgestellten wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen bestimmt werden müsse und dass das Vorliegen einer „abrupten“ Verschlechterung anhand der Geschwindigkeit und der Vorhersehbarkeit dieser Auswirkungen zu beurteilen sei. Die Kommission habe diese Kriterien aber in offensichtlich fehlerhafter Weise angewandt, und ihre Analyse habe zahlreiche Mängel, methodische Fehler und Beurteilungsfehler, die ihr Ergebnis verfälschten.

50

Die Tschechische Republik ist der Ansicht, der Rat habe in verfahrenstechnischer Hinsicht nicht anders handeln können, um eine wirksame Prüfung der Frage zu erreichen, ob die Kommission ihre Befugnisse aus Art. 10 des Anhangs XI des Statuts in rechtmäßiger Weise ausgeübt habe. Die Ordnungsmäßigkeit dieses Verfahrens hänge jedoch davon ab, ob der Rat die Einhaltung der Voraussetzungen für die Anwendung dieses Artikels zutreffend beurteilt habe. Dies sei die grundlegende Frage.

51

Das Königreich Dänemark weist auf die wirtschaftliche Lage in Dänemark und insbesondere auf einen erheblichen und abrupten Rückgang der realen Bezüge der dänischen Beamten im Lauf des Jahres 2011 hin, um deutlich zu machen, dass es im fraglichen Zeitraum sehr wohl eine erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union gegeben habe.

52

Die Bundesrepublik Deutschland hält die von der Kommission im Bericht vom 13. Juli 2011 und in den Zusatzinformationen gezogenen Schlüsse für falsch. Sie führt mehrere Gesichtspunkte an, die ihres Erachtens belegen, dass sich die wirtschaftliche und soziale Lage im Lauf des Jahres 2011 abrupt verschlechtert habe. Dazu gehörten das Erfordernis für drei Mitgliedstaaten, Finanzhilfen in Anspruch zu nehmen, sowie der Rückgang des BIP und der Ausfuhren in die Union im vierten Quartal 2011. Überdies gingen die Erläuterungen der Kommission in ihrem Bericht vom 13. Juli 2011 zum „Prinzip der Parallelität“ zwischen der Kaufkraftentwicklung bei den Beamten der acht Referenzmitgliedstaaten und den Unionsbeamten im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts ins Leere, da die im Statut vorgesehene „normale“ Methode zur jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge nicht alle Elemente widerspiegele, die Einfluss auf die Kaufkraft der Bezüge der nationalen Beamten hätten.

53

Auch das Königreich Spanien ist der Auffassung, dass es zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission ihren Verordnungsvorschlag vorgelegt habe, ausreichende Belege für das Vorliegen einer erheblichen und außergewöhnlichen, die Anwendung von Art. 10 unerlässlich machenden Krise gegeben habe; dies ergebe sich insbesondere aus den am 10. November 2011 veröffentlichten Wirtschaftsprognosen der Kommission vom Herbst 2011 und den von Spanien in den Jahren 2010 und 2011 getroffenen Maßnahmen in Bezug auf Arbeitnehmer des öffentlichen Sektors.

54

Das Königreich der Niederlande macht geltend, die Kommission liefere zwar die objektiven Daten zur wirtschaftlichen und sozialen Lage, habe aber keine ausschließliche Zuständigkeit für die Bewertung dieser Lage. Der Rat verfüge im Rahmen der Ausnahmeklausel über eine Beurteilungsbefugnis bei der Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union. Der Präsident der Kommission, Herr Barroso, habe im November 2011 bei der Präsentation des Jahreswachstumsberichts 2012 erklärt, dass eine Krise vorliege, für deren Bewältigung es dringlicher Maßnahmen bedürfe. Im Übrigen enthalte der Wortlaut von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur eine durch externe Ereignisse verursachte wirtschaftliche und soziale Verschlechterung die Anwendung der Ausnahmeklausel rechtfertige.

55

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs kann der Rat im Licht der von der Kommission mitgeteilten objektiven Daten feststellen, dass eine erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage eingetreten ist, und in diesem Fall beschließen, den in Anwendung von Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgelegten Vorschlag der Kommission nicht anzunehmen. Außerdem sei die Kommission im vorliegenden Fall bei ihrer Analyse der Anwendbarkeit von Art. 10 des Anhangs XI von der falschen Prämisse der Beibehaltung des in Art. 3 zum Ausdruck kommenden „Prinzips der Parallelität“ ausgegangen. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck von Art. 10 legten aber nahe, dass die allein maßgebende Form der Feststellung einer wirtschaftlichen oder sozialen Verschlechterung in der Prüfung bestehe, ob ein Ereignis eingetreten sei, durch das sich die Kaufkraft der nationalen Beamten in einer Weise verändert habe, die durch die in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Methode nicht habe berücksichtigt werden können oder nicht berücksichtigt werden könnte.

Würdigung durch den Gerichtshof

56

Die erste von der Kommission angeführte Rüge, mit der ein Befugnismissbrauch des Rates und eine Verletzung von Art. 65 des Statuts sowie der Art. 3 und 10 seines Anhangs XI geltend gemacht werden, betrifft im Wesentlichen die Rollenverteilung zwischen den Unionsorganen im Rahmen der jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge.

57

Erstens ist hinsichtlich der in Anhang XI des Statuts festgelegten Modalitäten der Anwendung von Art. 65 darauf hinzuweisen, dass Art. 3 dieses Anhangs, der das „normale“ Verfahren der jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge regelt, sowohl eine mathematische Berechnung der Angleichung als auch den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vorschreibt und daher weder der Kommission noch dem Rat einen Beurteilungsspielraum in Bezug auf den Inhalt des Vorschlags und des zu erlassenden Rechtsakts lässt.

58

Die Ausnahmeklausel in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts räumt den Organen einen weiten Beurteilungsspielraum in Bezug auf den Inhalt der zu treffenden Maßnahmen ein und bestimmt, dass das Parlament und der Rat gemeinsam gemäß dem in Art. 336 AEUV vorgesehenen Verfahren beschließen, d. h. nach dem in Art. 294 AEUV geregelten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.

59

Hinzuzufügen ist, dass während der Dauer der Anwendung von Anhang XI des Statuts das in dessen Art. 10 vorgesehene Verfahren die einzige Möglichkeit darstellt, im Rahmen der Angleichung der Bezüge eine Wirtschaftskrise zu berücksichtigen und die in Art. 3 Abs. 2 dieses Anhangs festgelegten Kriterien nicht anzuwenden (Urteil vom 24. November 2010, Kommission/Rat, Randnr. 77).

60

Folglich sind die Organe verpflichtet, jedes Jahr über die Angleichung der Bezüge zu entscheiden und entweder nach der in Art. 3 des Anhangs XI vorgesehenen Methode eine „mathematische“ Angleichung vorzunehmen oder im Einklang mit dessen Art. 10 von dieser mathematischen Berechnung abzuweichen.

61

Außerdem kann wegen der grundlegenden Unterschiede zwischen dem Ablauf dieser beiden Verfahren, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des Inhalts der zu treffenden Entscheidung sowie der beteiligten Organe, ein Verfahren, das durch einen auf Art. 3 des Anhangs XI des Statuts beruhenden Vorschlag der Kommission eingeleitet wurde, vom Rat nicht auf der Grundlage dieses Vorschlags in ein auf Art. 10 des Anhangs XI beruhendes Verfahren umgewandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2010, Kommission/Rat, Randnr. 83). Da ein auf Art. 3 beruhender Vorschlag, anders als ein auf Art. 10 beruhender Vorschlag, nicht dem Parlament vorgelegt wird, könnte eine solche Umwandlung selbst dann nicht erfolgen, wenn das Parlament und der Rat sich auf diese Vorgehensweise einigen würden.

62

Dass das Parlament und der Rat die Rechtsgrundlage eines Vorschlags der Kommission nicht ändern können, stellt einen grundlegenden Unterschied zwischen den in Anhang XI des Statuts vorgesehenen Verfahren zur jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge einerseits und den Vorschriften des AEU-Vertrags über die gesetzgeberische Tätigkeit der Unionsorgane andererseits dar. Nach den letztgenannten Vorschriften sind das Parlament und der Rat nämlich gemeinsam u. a. gemäß Art. 294 Abs. 7 Buchst. a und 13 AEUV befugt, im Gesetzgebungsverfahren die von der Kommission herangezogene Rechtsgrundlage zu ändern.

63

Unter diesen Umständen ist die Rollenverteilung zwischen den Organen im Stadium der Einleitung des Verfahrens zur jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge anhand der Besonderheiten der in Anhang XI des Statuts vorgesehenen Verfahren zu beurteilen.

64

Zweitens ist festzustellen, dass die Wendung „in der Union [eingetretene] erhebliche, abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage“ im Sinne von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts objektiver Natur ist.

65

Zwar sieht Art. 10 mehrere Verfahrensschritte vor und legt ausdrücklich fest, dass allein die Kommission die objektiven Daten mitteilt und dem Parlament und dem Rat entsprechende Vorschläge vorlegt, über die diese beschließen. Er regelt aber nicht, welchem Organ oder welchen Organen es obliegt, die von der Kommission mitgeteilten Daten zu bewerten, um festzustellen, ob eine Verschlechterung im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, insbesondere dann, wenn die Kommission und der Rat zu entgegengesetzten Schlussfolgerungen kommen.

66

Bei der Bestimmung des oder der unter diesen Umständen hierfür zuständigen Organe ist der Kontext von Art. 10 des Anhangs XI zu berücksichtigen. Er befindet sich in einem Anhang des Statuts, der die Anwendungsmodalitäten von Art. 65 des Statuts festlegen soll.

67

Nach Art. 65 Abs. 1 des Statuts ist es aber Sache des Rates, jährlich das Besoldungsniveau der Beamten und sonstigen Bediensteten der Union zu überprüfen und zu prüfen, ob im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union eine Angleichung der Bezüge angebracht ist. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass sie dem Rat im Rahmen der jährlichen Überprüfung des Besoldungsniveaus eine Beurteilungsbefugnis einräumt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 1973, Kommission/Rat, 81/72, Slg. 1973, 575, Randnrn. 7 und 11, vom 6. Oktober 1982, Kommission/Rat, 59/81, Slg. 1982, 3329, Randnrn. 20 bis 22 und 32, und vom 24. November 2010, Kommission/Rat, Randnr. 55).

68

In Anbetracht dieser dem Rat durch Art. 65 Abs. 1 des Statuts übertragenen Rolle erfordert die Systematik von Art. 10 seines Anhangs XI eine Auslegung, nach der es in diesem Verfahrensstadium Sache des Rates ist, das Vorliegen einer erheblichen und abrupten Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Sinne von Art. 10 zwecks Einleitung des darin vorgesehenen Verfahrens festzustellen.

69

In Anbetracht der – in den Randnrn. 60 bis 62 des vorliegenden Urteils dargestellten – Besonderheiten der in den Art. 3 und 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen Verfahren verlangen zudem der Zweck von Art. 10 und insbesondere die Beachtung der dem Parlament durch ihn zugedachten Rolle, dass das in Art. 10 vorgesehene Verfahren auch eingeleitet werden kann, wenn die Kommission und der Rat unterschiedlicher Meinung über das Vorliegen einer erheblichen und abrupten Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union und damit über die Frage sind, ob das in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Verfahren in Gang zu setzen ist. Liegt eine solche Meinungsverschiedenheit vor, erlaubt es nur die Einleitung dieses Verfahrens, das Parlament in den Entscheidungsprozess einzubeziehen.

70

Die Einleitung dieses Verfahrens wäre aber nicht gewährleistet, und die praktische Wirksamkeit von Art. 10 könnte geschwächt werden, wenn nur die Kommission befugt wäre, über das Vorliegen einer erheblichen und abrupten Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union zu befinden.

71

Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass angesichts des klaren Wortlauts von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts keine Rede davon sein kann, dass der Kommission die Ausübung der ihr durch diesen Artikel verliehenen Befugnis, entsprechende Vorschläge vorzulegen, freistünde (Urteil vom 24. November 2010, Kommission/Rat, Randnr. 79).

72

Somit ist es Sache des Rates, die von der Kommission mitgeteilten objektiven Daten zu bewerten, um festzustellen, ob eine solche erhebliche und abrupte Verschlechterung vorliegt, die es erlaubt, von der in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen „normalen“ Methode zur jährlichen Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge abzuweichen und das in Art. 10 dieses Anhangs vorgesehene Verfahren einzuleiten, damit der Rat zusammen mit dem Parlament über die von der Kommission in einer solchen Krisensituation vorgeschlagenen geeigneten Maßnahmen beschließen kann.

73

Eine solche Auslegung kann im Übrigen, entgegen dem Vorbringen der Kommission und des Parlaments, weder den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts noch die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Unionsorganen in diesem Bereich beeinträchtigen, da die genannte Feststellung des Rates nur einen Zwischenschritt des in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehenen Verfahrens darstellt.

74

Es ist nämlich hervorzuheben, dass die Kommission, wenn der Rat auf der Grundlage der von ihr mitgeteilten objektiven Daten feststellt, dass eine erhebliche und abrupte Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union im Sinne von Art. 10 vorliegt, verpflichtet ist, dem Parlament und dem Rat gestützt auf diesen Artikel entsprechende Vorschläge vorzulegen. In dieser Situation verfügt sie jedoch über einen eigenen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Inhalts ihrer Vorschläge, d. h. der Frage, welche Maßnahmen ihr in Anbetracht der bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie gegebenenfalls anderer zu berücksichtigender Faktoren, etwa aus dem Bereich der Personalverwaltung und insbesondere der Erfordernisse der Gewinnung von Personal, angemessen erscheinen.

75

Im vorliegenden Fall hat der Rat die Kommission aufgefordert, ihm objektive Daten mitzuteilen, damit er die in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Bewertung vornimmt, und die Kommission hat dem Rat solche Daten vorgelegt, verbunden mit ihrer eigenen Bewertung.

76

Die jeweilige Beurteilung durch die beiden Organe hat aber zu entgegengesetzten Schlussfolgerungen geführt, ohne dass die Kommission Vorschläge vorgelegt hätte, die sich auf die Beurteilung des Rates gestützt und es dem Parlament und dem Rat ermöglicht hätten, gemäß Art. 10 des Anhangs XI des Statuts in dem in Art. 294 AEUV vorgesehenen Verfahren über die geeigneten Maßnahmen in Anbetracht der in der Union bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Lage zu beschließen.

77

In dieser Situation war der Rat nicht verpflichtet, den auf der Grundlage von Art. 3 des Anhangs XI des Statuts, d. h. der „normalen“ Methode zur Angleichung der Bezüge, vorgelegten Verordnungsvorschlag anzunehmen, da es in diesem Stadium des Verfahrens ihm obliegt, das Vorliegen einer erheblichen und abrupten Verschlechterung im Sinne von Art. 10 des Anhangs XI festzustellen, um das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren einzuleiten.

78

Folglich hat der Rat durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses keinen Befugnismissbrauch begangen und weder Art. 65 des Statuts noch die Art. 3 und 10 seines Anhangs XI verletzt.

79

In Bezug auf das Hilfsvorbringen der Kommission, dass der Rat die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeklausel in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts verletzt habe, da diese im Jahr 2011 nicht erfüllt gewesen seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission mit diesem Vorbringen geltend macht, dass sie in den Bereichen, in denen eine Bewertung einer komplexen wirtschaftlichen und/oder sozialen Situation erforderlich sei, über eine weite Beurteilungsbefugnis verfüge und dass die Gründe des angefochtenen Beschlusses den von ihr im Bericht vom 13. Juli 2011 und in den Zusatzinformationen gezogenen Schluss nicht in Frage stellen könnten.

80

Angesichts der Schlussfolgerung in Randnr. 77 des vorliegenden Urteils, dass es in diesem Verfahrensstadium dem Rat obliegt, das Vorliegen einer Verschlechterung im Sinne von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts festzustellen, um das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren einzuleiten, kann sich die Kommission aber nicht auf eine Beurteilungsbefugnis in Bezug auf diese dem Rat obliegende Feststellung berufen.

81

Folglich geht das Hilfsvorbringen der Kommission ins Leere.

82

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die erste Rüge zurückzuweisen.

Zur zweiten, gegen die Weigerung des Rates, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge nach Maßgabe der verschiedenen Dienst- oder Wohnorte anzuwendenden Berichtigungskoeffizienten anzugleichen, gerichteten Rüge

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

83

Mit dieser Rüge macht die Kommission geltend, der Rat habe Art. 64 des Statuts und die Art. 1 und 3 seines Anhangs XI verletzt, weil er es abgelehnt habe, den Verordnungsvorschlag anzunehmen, soweit dieser sich auf die Angleichung der für die Dienst- und Versorgungsbezüge geltenden Berichtigungskoeffizienten beziehe. Die Art. 1 und 3 seien für den Rat im Bereich der Berichtigungskoeffizienten ebenso bindend wie in Bezug auf die Angleichung der Bezüge. Insoweit verweist die Kommission auf ihr Vorbringen im Rahmen der ersten Rüge und fügt hinzu, nach dem Wortlaut und der Systematik der Art. 3 und 8 des Anhangs XI des Statuts müsse die Angleichung der Berichtigungskoeffizienten ebenso wie die Angleichung des allgemeinen Niveaus der Dienst- und Versorgungsbezüge bis Ende eines jeden Jahres erfolgen.

84

Der Rat habe auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, da die Angleichung der Berichtigungskoeffizienten zur Wahrung der substanziellen Gleichbehandlung der Beamten ungeachtet ihres Dienstorts in der Union diene. Diese wirtschaftliche Parität zwischen Brüssel und den übrigen Dienstorten müsse unabhängig von der Angleichung des allgemeinen Niveaus der Dienst- und Versorgungsbezüge gewährleistet sein.

85

Schließlich habe der Rat gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV verstoßen, weil er seinen Beschluss in Bezug auf die Berichtigungskoeffizienten nicht begründet habe. Im angefochtenen Beschluss werde Art. 64 des Statuts nicht einmal erwähnt. Die Beurteilung des Verordnungsvorschlags hinsichtlich der Berichtigungskoeffizienten lasse sich aber von der Beurteilung in Bezug auf die Angleichung der Bezüge trennen. Die Berichtigungskoeffizienten sollten nämlich den Grundsatz der Gleichbehandlung unabhängig vom allgemeinen Besoldungsniveau umsetzen und seien daher nicht an die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Union geknüpft. Art. 10 des Anhangs XI des Statuts habe somit eine Weigerung, die von der Kommission vorgeschlagenen Berichtigungskoeffizienten anzunehmen, nicht rechtfertigen können.

86

Der Rat trägt vor, die zweite Rüge beruhe ebenso wie die erste auf der falschen Annahme, dass er den Verordnungsvorschlag endgültig abgelehnt habe. Im Gegensatz zu Art. 65 des Statuts sehe zudem weder dessen Art. 64 noch eine andere Bestimmung seines Anhangs XI eine Verpflichtung des Rates vor, die Berichtigungskoeffizienten bis Ende des Jahres anzugleichen, auch wenn sie aus praktischen Gründen regelmäßig gleichzeitig mit der Höhe der Bezüge angeglichen würden. Insbesondere nehme Art. 3 des Anhangs XI des Statuts nicht auf dessen Art. 64 Bezug.

87

Was den geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung angehe, blieben die Unterschiede zwischen den seit dem 1. Juli 2010 geltenden und den von der Kommission im November 2011 vorgeschlagenen Berichtigungskoeffizienten alles in allem innerhalb einer Marge, die eine substanziell und rationell entsprechende Behandlung im Sinne der Rechtsprechung gewährleiste. Im Gegensatz zur Angleichung des allgemeinen Besoldungsniveaus sehe Anhang XI des Statuts nämlich keine bindende mathematische Methode vor, anhand deren sich ermitteln ließe, worin eine solche Entsprechung bestehe.

88

Hinsichtlich des gerügten Begründungsmangels wiederholt der Rat sein Vorbringen, dass der angefochtene Beschluss kein „Rechtsakt“ im Sinne von Art. 296 AEUV sei und deshalb nicht der dort vorgesehenen Begründungspflicht unterliege. Hauptgegenstand des angefochtenen Beschlusses sei jedenfalls die jährliche Angleichung der Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge und die Anwendung der Ausnahmeklausel auf sie. Da die Angleichung der Berichtigungskoeffizienten insbesondere aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Haushalt nur einen Nebenaspekt darstelle, müsse sie nach der Rechtsprechung zu Art. 296 AEUV nicht speziell begründet werden.

89

Das Vereinigte Königreich führt aus, die Frage der Angemessenheit einer etwaigen Angleichung der Berichtigungskoeffizienten hänge unmittelbar von einem etwaigen Beschluss in Bezug auf die jährliche Angleichung der Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge ab. Mangels eines solchen Beschlusses sei der Rat nicht zur gesonderten Angabe der Gründe für seinen Beschluss verpflichtet, den Verordnungsvorschlag hinsichtlich der Berichtigungskoeffizienten nicht anzunehmen.

Würdigung durch den Gerichtshof

90

Um über die Begründetheit der zweiten Rüge entscheiden zu können, muss geprüft werden, ob die in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Ausnahmeklausel nur für die jährliche Angleichung des allgemeinen Besoldungsniveaus gilt oder ob sie sich auch auf die jährliche Angleichung der Berichtigungskoeffizienten erstreckt.

91

Dabei ist zum einen der Wortlaut von Art. 10 zu beachten, der allgemein gefasst ist und nicht ausdrücklich auf ganz bestimmte Vorschriften des Anhangs XI des Statuts, auf die Angleichung des allgemeinen Besoldungsniveaus oder auf die Berichtigungskoeffizienten Bezug nimmt.

92

Zum anderen ist die Systematik des Anhangs XI des Statuts zu berücksichtigen.

93

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 des Anhangs XI ein eigenes Kapitel dieses Anhangs bildet, das sich an die Kapitel mit Regeln zur jährlichen und zwischenzeitlichen Angleichung der Bezüge sowie zur Festsetzung und Aufhebung von Berichtigungskoeffizienten anschließt.

94

Außerdem wird in Anhang XI des Statuts bei der Festlegung der Anwendungsmodalitäten der Art. 64 und 65 des Statuts nicht klar zwischen den Vorschriften über die Berichtigungskoeffizienten auf der einen Seite und über die Angleichung des allgemeinen Besoldungsniveaus, d. h. die Änderung der Tabelle der Grundgehälter, auf der anderen Seite getrennt. Dagegen befinden sich die Anwendungsmodalitäten von Art. 64 des Statuts in Kapitel 4 dieses Anhangs und betreffen die Festsetzung und Aufhebung von Berichtigungskoeffizienten, während sich die Anwendungsmodalitäten von Art. 65 Abs. 1 des Statuts in Kapitel 1 des Anhangs befinden und die jährliche Überprüfung der Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge betreffen. Die letztgenannte Überprüfung umfasst aber nach Art. 3 des Anhangs nicht nur die Angleichung der allgemeinen Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge, d. h. der Tabelle der Grundgehälter, sondern auch die Angleichung der geltenden Berichtigungskoeffizienten, wie sich aus Abs. 5 von Art. 3 ergibt.

95

Folglich erstreckt sich die in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Ausnahmeklausel auf die jährliche Angleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge in ihrer Gesamtheit, einschließlich der Angleichung der geltenden Berichtigungskoeffizienten.

96

Angesichts der vorstehenden Ausführungen und der Würdigung der ersten Rüge der Kommission durch den Gerichtshof hat der Rat weder Art. 64 des Statuts noch die Art. 1 und 3 seines Anhangs XI verletzt, als er beschloss, den auf der Grundlage von Art. 3 vorgelegten Verordnungsvorschlag nicht anzunehmen, und zwar auch, soweit sich dieser Vorschlag auf die Angleichung der Berichtigungskoeffizienten bezog.

97

Der Rat hat auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen. Mit seiner Weigerung, den Verordnungsvorschlag anzunehmen, hat er nämlich das Ziel verfolgt, das in Art. 10 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene Verfahren in Gang zu setzen. Art. 10 sieht ein spezielles Verfahren für den Fall der erheblichen und abrupten Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union vor, ohne das inhaltliche Ergebnis dieses Verfahrens vorzuschreiben. Unter diesen Umständen ist es durchaus möglich oder sogar erforderlich, den Grundsatz der Gleichbehandlung im Rahmen der Entscheidung über den Inhalt der zu treffenden Maßnahmen zu berücksichtigen, ohne dass dieser Grundsatz ein Hindernis für die Durchführung des genannten Verfahrens darstellt.

98

Zu der von der Kommission geltend gemachten Verletzung von Art. 296 Abs. 2 AEUV ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die durch diese Bestimmung vorgeschriebene Begründung zwar die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den fraglichen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann, doch braucht sie nicht sämtliche rechtlich oder tatsächlich erheblichen Gesichtspunkte zu enthalten (vgl. u. a. Urteile vom 29. Februar 1996, Kommission/Rat, C-122/94, Slg. 1996, I-881, Randnr. 29, vom 12. Juli 2005, Alliance for Natural Health u. a., C-154/04 und C-155/04, Slg. 2005, I-6451, Randnr. 133, und vom 12. Dezember 2006, Deutschland/Parlament und Rat, C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Randnr. 107).

99

Die Beachtung der Begründungspflicht ist im Übrigen nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontexts und sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. u. a. Urteile vom 29. Februar 1996, Kommission/Rat, Randnr. 29, Alliance for Natural Health u. a., Randnr. 134, und Deutschland/Parlament und Rat, Randnr. 108). Insbesondere ist ein Rechtsakt hinreichend begründet, wenn er in einem dem betroffenen Organ bekannten Kontext ergangen ist und ihm gestattet, die Tragweite der getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 29. Oktober 1981, Arning/Kommission, 125/80, Slg. 1981, 2539, Randnr. 13, vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission, C-42/01, Slg. 2004, I-6079, Randnrn. 69 und 70, und vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, Randnr. 54)

100

Im vorliegenden Fall geht aus den Erwägungsgründen des angefochtenen Beschlusses, insbesondere den Erwägungsgründen 8, 15 und 16, klar hervor, dass er darauf beruht, dass nach der vom Rat vorgenommenen Beurteilung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Union die inhaltlichen Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 10 des Anhangs XI des Statuts erfüllt sind und dass die Kommission deshalb einen Vorschlag auf der Grundlage dieses Artikels und nicht auf der Grundlage von Art. 3 des Anhangs hätte vorlegen müssen.

101

Überdies betrafen die dem angefochtenen Beschluss vorausgegangenen Stellungnahmen des Rates und der Kommission die allgemeine Frage, ob für das Jahr 2011 die in Art. 3 des Anhangs XI des Statuts vorgesehene „normale“ Methode anzuwenden war oder die Ausnahmeklausel, ohne dass zwischen dem allgemeinen Besoldungsniveau und den Berichtigungskoeffizienten unterschieden wurde.

102

Im Übrigen verweist der zweite Bezugsvermerk des angefochtenen Beschlusses auf den gesamten Anhang XI des Statuts.

103

Unter diesen Umständen erstreckt sich die Begründung des angefochtenen Beschlusses auf den gesamten Verordnungsvorschlag und mithin auf die Angleichung sowohl des allgemeinen Besoldungsniveaus als auch der Berichtigungskoeffizienten.

104

Folglich hat der Rat Art. 296 Abs. 2 AEUV nicht dadurch verletzt, dass er im angefochtenen Beschluss die Gründe für seine Weigerung, die Berichtigungskoeffizienten in der von der Kommission vorgeschlagenen Weise anzugleichen, nicht gesondert erläutert hat.

105

Aus dem Vorstehenden folgt, dass die zweite, auf eine Verletzung von Art. 64 des Statuts, der Art. 1 und 3 seines Anhangs XI, des Grundsatzes der Gleichbehandlung sowie der Begründungspflicht gestützte Rüge der Kommission als unbegründet zurückzuweisen ist.

106

Da keine der von der Kommission zur Stützung ihrer Klage erhobenen Rügen durchgreift, ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kosten

107

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem dahin gehenden Antrag des Rates die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

 

3.

Die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und das Europäische Parlament tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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