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Document 62012CC0571

    Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 5. Dezember 2013.
    Greencarrier Freight Services Latvia SIA gegen Valsts ieņēmumu dienests.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Augstākās tiesas Senāts - Lettland.
    Vorabentscheidungsersuchen - Zollkodex der Gemeinschaften - Art. 70 Abs. 1 und Art. 78 - Zollanmeldungen - Teilbeschau von Waren - Entnahme von Mustern oder Proben - Falscher Code - Erstreckung der Ergebnisse auf in früheren Zollanmeldungen bezeichnete identische Waren nach deren Überlassung - Nachträgliche Kontrolle - Keine Möglichkeit, eine zusätzliche Zollbeschau der Waren zu verlangen.
    Rechtssache C-571/12.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:803

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    PAOLO MENGOZZI

    vom 5. Dezember 2013 ( 1 )

    Rechtssache C‑571/12

    Greencarrier Freight Services Latvia SIA

    gegen

    Valsts ieņēmumu dienests

    (Vorabentscheidungsersuchen des Augstākās tiesas Senāts [Lettland])

    „Zollunion — Zollkodex — Art. 70, 78 und 221 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 — Überprüfung von Zollanmeldungen — Teilbeschau von Waren — Erstreckung der Ergebnisse der Überprüfung von Waren auf in anderen Anmeldungen enthaltene identische Waren — Zulässigkeit — Nachträgliche Prüfung — Unmöglichkeit, eine zusätzliche Zollbeschau zu fordern — Verjährungsfrist — Rechtssicherheit“

    I – Einführung

    1.

    Das vorliegende vom Augstākās tiesas Senāts (Senat des Obersten Gerichtshofs, Lettland) vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen wirft im Wesentlichen die Frage auf, in welchem Umfang die Zollbehörden befugt sind, die Ergebnisse einer Prüfung von Zollanmeldungen anhand von Proben der in ihnen angeführten Waren auf frühere Anmeldungen von allem Anschein nach identischen Waren, von denen keine Proben genommen wurden und auch nicht mehr genommen werden können, zu erstrecken.

    2.

    Diese Frage entspringt einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung lettischen Rechts SIA Greencarrier Freight Services Latvia (im Folgenden: GFSL), die für Rechnung der Gesellschaft SIA Hantas Kekse und Schokoladenriegel aus Russland zum freien Verkehr in der Europäischen Union einführt, und der lettischen Steuerverwaltung.

    3.

    Genauer gesagt führte die Steuerverwaltung im Lauf der Monate April und Mai 2007 eine Überprüfung der von SIA Hantas zwischen dem 1. Mai 2004 und dem 31. Dezember 2006 entrichteten Zölle durch, und zwar auf der Grundlage von 35 Zollanmeldungen, die die GFSL eingereicht hatte, die bei Entstehen einer Zollschuld als Zollschuldnerin zu betrachten sei. In diesem Zusammenhang nahm die lettische Steuerverwaltung von den Waren, die mit sechs im Oktober und November 2005 eingereichten Zollanmeldungen angemeldet worden waren, Proben und analysierte sie. Aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung kam die Steuerverwaltung zu dem Schluss, dass GFSL in 29 zwischen dem 4. Juni 2004 und dem 29. November 2005 eingereichten Zollanmeldungen, einschließlich der sechs kontrollierten Anmeldungen, die zum freien Verkehr in der Union eingeführten Waren mit falschen Codes der Kombinierten Nomenklatur für ihre Einstufung in den Integrierten Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften (TARIC) angemeldet hatte.

    4.

    Mit Entscheidung vom 31. Mai 2007 unterrichtete die Steuerverwaltung GFSL über das Entstehen einer Zollschuld, setzte die Höhe der Einfuhrabgaben und der Mehrwertsteuer zuzüglich der Verzugszinsen fest und erlegte ihr wegen falscher Anwendung der Codes der Kombinierten Nomenklatur eine Geldbuße auf.

    5.

    Auf den Einspruch von GFSL wurde diese Entscheidung mit Entscheidung vom 14. September 2007 bestätigt.

    6.

    Das von GFSL mit einer Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung befasste Administratīvā apgabaltiesa (regionales Verwaltungsberufungsgericht) entschied mit Urteil vom 8. Dezember 2011, dass die Einfuhrabgaben, die Mehrwertsteuer und die Geldbuße in Bezug auf die in den sechs kontrollierten Anmeldungen angeführten Waren zwar zu Recht festgesetzt worden seien, die Entscheidung vom 14. September 2007 im Übrigen jedoch mit der Begründung aufzuheben sei, dass die lettische Steuerverwaltung unter Verstoß gegen Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 ( 2 ) (im Folgenden: Zollkodex) zu Unrecht die Ergebnisse der Untersuchung der in diesen sechs Anmeldungen angeführten Waren für Waren, die Gegenstand von 23 anderen zwischen dem 4. Juni 2004 und dem 6. September 2005 eingereichten Anmeldungen gewesen seien, d. h. für Waren, die mehr als ein Jahr vor den untersuchten Waren eingeführt worden seien, übernommen habe. Da die lettische Steuerverwaltung nicht habe nachweisen können, dass auf die fraglichen Waren falsche Codes angewandt worden seien, habe GFSL keineswegs die objektiven Eigenschaften dieser Waren aufzeigen müssen, zumal sie keine Möglichkeit mehr gehabt habe, diese Waren untersuchen zu lassen.

    7.

    Sowohl die lettische Steuerverwaltung als auch GFSL legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht ein.

    8.

    Vor diesem Gericht machte die Steuerverwaltung geltend, dass die den 23 anderen Zollanmeldungen zuzurechnenden Waren mit den in den sechs geprüften Anmeldungen aufgeführten identisch seien, da Zusammensetzung, Bezeichnung, Erscheinungsbild und Hersteller identisch seien, was durch die von GFSL vorgelegten Bescheinigungen bestätigt werde. Die lettische Steuerverwaltung sei also aufgrund des Grundsatzes der Verfahrensökonomie berechtigt, die restlichen Waren nicht zu beschauen und die Ergebnisse der Bestimmung für die übrigen identischen Waren zu übernehmen, während GFSL verpflichtet gewesen sei, die Unterschiede zwischen den Waren nachzuweisen.

    9.

    Das vorlegende Gericht stellt allerdings fest, dass diese Ergebnisse für Waren übernommen worden seien, die in früheren Anmeldungen aufgeführt gewesen seien, die gegenüber den Anmeldungen, aufgrund deren Proben genommen worden seien, über ein Jahr zurückgelegen hätten. GFSL meint, dass es objektiv weder möglich sei, die in diesen Anmeldungen aufgeführten Waren nach dem Zolldurchgang zu beschauen, noch von dem Recht auf zusätzliche Zollbeschau Gebrauch zu machen.

    10.

    Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Kann Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex dahin ausgelegt werden, dass die Ergebnisse einer Teilbeschau der in einer Anmeldung bezeichneten Waren für Waren übernommen werden können, die in früheren Anmeldungen aufgeführt waren und nicht einer Teilbeschau unterzogen wurden, aber mit demselben Code der Kombinierten Nomenklatur angemeldet worden waren, von demselben Hersteller stammten und nach den Angaben zu ihrer Bezeichnung und Zusammensetzung in den Bescheinigungen dieses Herstellers mit den Waren identisch waren, die in der Anmeldung, bei der die Proben für die Teilbeschau entnommen worden waren, aufgeführt waren?

    Mit anderen Worten:

    Umfasst der Begriff der Anmeldungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex auch Anmeldungen, bei denen keine Proben für eine Beschau entnommen wurden, aber mit denen identische Waren angemeldet wurden (die Waren wurden unter demselben Code der Kombinierten Nomenklatur angemeldet, stammen von demselben Hersteller, und in den Bescheinigungen des Herstellers wurden dieselbe Bezeichnung und dieselbe Zusammensetzung für die Waren angegeben)?

    2.

    Sollte die erste Frage bejaht werden: Ist es zulässig, die Ergebnisse der in Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex vorgesehenen Teilbeschau der Waren für Anmeldungen zu übernehmen, für die der Anmelder aus objektiven Gründen keine zusätzliche Zollbeschau gemäß Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 2 des Zollkodex verlangen kann, da es nicht möglich ist, die Waren gemäß Art. 78 Abs. 2 letzter Halbsatz des Zollkodex zur Überprüfung vorzuführen?

    11.

    GFSL, die spanische, die lettische und die tschechische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Die Vorgenannten, mit Ausnahme der spanischen und der tschechischen Regierung, sind in der mündlichen Verhandlung am 2. Oktober 2013 gehört worden.

    II – Würdigung

    A – Zu Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex

    12.

    In seinen beiden Vorlagefragen hat das vorlegende Gericht nach der Auslegung des Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex gefragt und in der zweiten Frage am Rande Bezug auf Art. 78 dieses Kodex genommen.

    13.

    Auch wenn der Gerichtshof wiederholt die Verantwortung der nationalen Gerichte bei der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf die Beurteilung der Erheblichkeit der gestellten Fragen anerkannt hat, so fordert er ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung das nationale Gericht ersucht, und zu dem Zusammenhang, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Ausgangsrechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt sowie im Hinblick auf den Sachverhalt dieses Rechtsstreits, um ihm eine sachdienliche Antwort geben zu können ( 3 ).

    14.

    Aus den nachstehend dargelegten Gründen besteht meines Erachtens im vorliegenden Fall keine Gefahr, dass die Vorlagefragen als unzulässig anzusehen sind.

    15.

    Jedoch scheint im Hinblick auf den vom vorlegenden Gericht erläuterten Sachverhalt die Erheblichkeit einer Antwort des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex fraglich, wie übrigens die spanische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat.

    16.

    Nach dieser Vorschrift in dem die Prüfung der Zollanmeldungen betreffenden Abschnitt („Normales Verfahren“) des Zollkodex gelten nämlich, „[w]ird nur ein Teil der angemeldeten Waren beschaut, … die Ergebnisse dieser Teilbeschau für alle in der Anmeldung bezeichneten Waren“ ( 4 ).

    17.

    Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex regelt also, wie die spanische und die tschechische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausgeführt haben, die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten vorgenommene Prüfung der Zollanmeldungen vor Überlassung der Waren, indem die Übertragung der Ergebnisse einer solchen Teilbeschau von Waren einer Anmeldung auf alle Waren derselben Anmeldung zugelassen wird.

    18.

    Der Gerichtshof hat daher in Bezug auf unionsrechtliche Vorgängerbestimmungen von Art. 70 des Zollkodex, die jedoch die unmittelbare Grundlage für diesen Artikel bildeten, erläutert, dass das Bestreiten der Repräsentativität einer von den Zollbehörden ausgewählten Probe durch einen Wirtschaftsteilnehmer nicht unbegrenzt sein könne und grundsätzlich dann enden müsse, wenn die Behörden die betreffenden Waren freigäben ( 5 ).

    19.

    Bei dem vom vorlegenden Gericht dargestellten Sachverhalt geht es zum einen um eine nachträgliche Kontrolle der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, sich sämtlich auf bereits im Vorfeld überlassene Waren beziehenden Zollanmeldungen durch die lettische Steuerverwaltung und zum anderen um die Extrapolation der Zollbeschau der in den sechs Anmeldungen aufgeführten Waren auf Waren, die Gegenstand der 23 anderen, früheren Anmeldungen waren, nicht aber die Extrapolation der Teilbeschau von Waren ein und derselben Anmeldung, wobei jedoch allein dieser letztgenannte Fall in Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex angesprochen wird.

    20.

    Eine Antwort des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Bestimmung scheint mir in Anbetracht der Umstände des Ausgangsrechtsstreits für das vorlegende Gericht daher wenig sachdienlich zu sein, es sei denn, um einfach darauf hinzuweisen, dass Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex nicht den Fall einer nachträglichen Beschau der Waren nach deren Überlassung regelt und nicht die Extrapolation der Zollbeschau von in mehreren Zollanmeldungen aufgeführten Waren auf – selbst identische – Waren zulässt, die Gegenstand anderer, früherer Zollanmeldungen waren.

    21.

    Eine solche Antwort steht nicht nur mit dem Wortlaut von Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex im Einklang, sondern entspricht auch der Systematik dieses Kodex.

    22.

    Art. 70 des Zollkodex fügt sich nämlich in die folgenden vier Hauptphasen des einheitlichen Verfahrens, das eine einzige Zollanmeldung betrifft und zur Entscheidung über die Überlassung der Waren in dem betreffenden Zollverfahren führt, nämlich a) die Abgabe der Zollanmeldung (Art. 62 des Zollkodex), b) die Annahme der Zollanmeldung (Art. 63 des Zollkodex), c) die fakultative Überprüfung der Zollanmeldung, worin die mögliche Zollbeschau und die Ermittlung ihrer eventuellen Folgen enthalten sind (Art. 68 bis 72 des Zollkodex) und d) die Entscheidung über die Überlassung der Waren (Art. 73 bis 75 des Zollkodex). Wird die Anmeldung nicht überprüft, wie es bei den ursprünglichen Anmeldungen von GFSL aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall gewesen zu sein scheint, sieht Art. 71 Abs. 1 des Zollkodex die Anwendung seiner Bestimmungen gemäß den Angaben in der Anmeldung vor, während es in Art. 73 des Zollkodex für diesen Fall heißt, dass die Zollbehörden die Überlassung für alle Waren erteilen, die Gegenstand derselben Anmeldung sind.

    23.

    Demnach bestätigt die Systematik des Zollkodex meines Erachtens, dass die in dessen Art. 70 Abs. 1 vorgesehene Zollbeschau ausschließlich die Überprüfung eines Teils der Waren ein und derselben Anmeldung vor Überlassung der Waren betrifft. Eine Überprüfung wäre also nach der Überlassung nicht möglich, und die Ergebnisse könnten nicht auf andere, frühere Anmeldungen erstreckt werden.

    24.

    Da Art. 70 Abs. 1 des Zollkodex nicht den Fall einer nachträglichen Beschau der Waren nach deren Überlassung regelt und die Extrapolation der Zollbeschau von in mehreren Zollanmeldungen aufgeführten Waren auf – selbst identische – Waren, die Gegenstand anderer, früherer Zollanmeldungen waren, nicht zulässt, braucht die zweite Frage des vorlegenden Gerichts, die nur für den Fall einer bejahenden Antwort auf die erste Frage gestellt worden ist, nicht geprüft zu werden.

    25.

    Im Hinblick auf den vom vorlegenden Gericht angesprochenen Sachverhalt, das, wie bereits erwähnt, auf eine nachträgliche Prüfung der Zollanmeldungen von GFSL hinweist, sowie auf die beim Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen zu Art. 78 des Zollkodex, scheint es jedoch diese Vorschrift zu sein, die im Ausgangsverfahren angewandt worden ist und deren Auslegung für das vorlegende Gericht von gewissem Nutzen sein könnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses als Kassationsgericht jedoch bei seiner Nachprüfung auf die Würdigung und die Rechtsgrundlage beschränkt ist, auf die das nationale Gericht, gegen dessen Urteil ein Rechtsmittel eingelegt wurde, abgestellt hat.

    26.

    Unter diesem verfahrensrechtlichen Vorbehalt, den das vorlegende Gericht gegebenenfalls auszuräumen hat, und im Hinblick darauf, diesem sachdienliche Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, um ihm die Lösung der ihm vorliegenden Rechtsfrage zu ermöglichen ( 6 ), sind zu Art. 78 des Zollkodex meines Erachtens folgende Erwägungen anzustellen.

    B – Zu Art. 78 des Zollkodex

    27.

    Art. 78 des Zollkodex findet sich in dessen Abschnitt „C. Nachträgliche Prüfung der Anmeldungen“ und bestimmt in seinem Abs. 1, dass „[d]ie Zollbehörden … nach der Überlassung der Waren von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders eine Überprüfung der Anmeldung vornehmen [können]“.

    28.

    Nach Art. 78 Abs. 2 können die Zollbehörden „nach der Überlassung der Waren die Geschäftsunterlagen und anderes Material, das im Zusammenhang mit den betreffenden Einfuhr- oder Ausfuhrgeschäften sowie mit späteren Geschäften mit diesen Waren steht, prüfen, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung zu überzeugen. Diese Prüfung kann beim Anmelder, bei allen in geschäftlicher Hinsicht mittelbar oder unmittelbar beteiligten Personen oder bei allen anderen Personen durchgeführt werden, die diese Unterlagen oder dieses Material aus geschäftlichen Gründen in Besitz haben. Die Zollbehörden können auch eine Überprüfung der Waren vornehmen, sofern diese noch vorgeführt werden können.“

    29.

    In Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex heißt es schließlich: „Ergibt die nachträgliche Prüfung der Anmeldung, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist, so treffen die Zollbehörden unter Beachtung der gegebenenfalls erlassenen Vorschriften die erforderlichen Maßnahmen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln.“

    30.

    Es ist daran zu erinnern, dass die dem Zollkodex vorangegangene Gemeinschaftsregelung keine gleichwertige Bestimmung für diesen Artikel enthielt und dieser daher vermutlich nach Feststellung einer Lücke im früheren System eingefügt worden ist, wobei es der Gemeinschaftsgesetzgeber wohl für erforderlich hielt, auch für die Zeit nach Erteilung der Überlassung der Ware die Möglichkeit einer Berichtigung von Zollanmeldungen vorzusehen ( 7 ).

    31.

    In der vorliegenden Rechtssache wird nicht bestritten, dass die Zollbehörden über einen vom Gerichtshof bereits anerkannten weiten Ermessensspielraum verfügen, um solche nachträglichen Kontrollen vorzunehmen und die Anmeldungen, die Gegenstand dieser Kontrollen sind, entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders hin zu überprüfen, einschließlich des Falles, in dem eine Zollbeschau der betreffenden Waren nicht mehr möglich ist ( 8 ).

    32.

    In dieser Rechtssache geht es auch nicht um die Auslegung des in Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex verwendeten Begriffs der „unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen“ der ursprünglichen Zollanmeldungen, die die Zollbehörden aufgrund ihrer nachträglichen Prüfung dieser Anmeldungen festgestellt hätten ( 9 ).

    33.

    Die Erörterung hat sich vielmehr um drei andere Aspekte gedreht, denen ein Bezug zur Tragweite von Art. 78 des Zollkodex gemeinsam ist und die sich mit den folgenden Fragen zusammenfassen lassen: a) Können sich die nachträgliche Kontrolle und die Überprüfung einer Anmeldung auf andere Anmeldungen erstrecken? b) Falls ja, ist die Übernahme der Prüfungsergebnisse allein auf identische Waren beschränkt? c) Besteht für die Anwendung des Art. 78 des Zollkodex ein zeitlicher Rahmen, so dass die Zollbehörden die Zollanmeldungen nicht unbegrenzt überprüfen können?

    1. Zum Grundsatz der Übernahme der Ergebnisse der nachträglichen Prüfung bestimmter Anmeldungen auf andere, auch frühere Anmeldungen

    34.

    Die Unwiderruflichkeit der Zollanmeldungen ist von den meisten Mitgliedstaaten der Union lange Zeit als unantastbarer Grundsatz betrachtet worden ( 10 ). Dieser Grundsatz wurde jedoch – ohne dass er dadurch in Frage gestellt worden wäre – schrittweise aufgeweicht, indem der Zollkodex zulässt, dass eine Anmeldung vor der Überlassung der Waren und unter den in diesem Kodex vorgesehenen Bedingungen auf Antrag des Anmelders berichtigt (vgl. Art. 65 des Zollkodex) und nach Annahme der Überlassung gemäß Art. 78 des Zollkodex überprüft werden kann ( 11 ).

    35.

    Art. 78 des Zollkodex stellt also eine Ausnahme vom Grundsatz der Unwiderruflichkeit der Zollanmeldungen dar ( 12 ) und sollte meines Erachtens daher streng ausgelegt werden.

    36.

    Stellt man allein auf den Wortlaut des Art. 78 des Zollkodex ab, ist festzustellen, dass die Extrapolation der nachträglichen Prüfung bestimmter Zollanmeldungen durch die Zollbehörden auf andere, insbesondere frühere Zollanmeldungen nicht erwähnt wird.

    37.

    Doch scheint diese Bestimmung in Anbetracht der Systematik und Zwecke des Zollkodex einer solchen Extrapolation durch die Zollbehörden nicht entgegenzustehen.

    38.

    Da die Zollbehörden zum einen nämlich im Allgemeinen keine vorherigen Kontrollen vornehmen, weil „Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen möglichst vermieden, zumindest aber in geringstmöglichem Umfang gehalten werden [sollten]“ ( 13 ), um angesichts der „große[n] Bedeutung“ ( 14 ) des Außenhandels für die Union günstige Bedingungen für die rasche Abwicklung des Handelsverkehrs zu schaffen, und zum anderen diese Behörden zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Anwendung des Zollrechts ( 15 ) über umfangreiche Kontrollmöglichkeiten verfügen müssen, erscheint es mir unerlässlich, ihnen zu ermöglichen, entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Zollanmelders die Ergebnisse der nachträglichen Beschau von Waren einer Zollanmeldung für identische Waren anderer Zollanmeldungen zu übernehmen und somit gegebenenfalls alle diese Anmeldungen zu überprüfen.

    39.

    Die Anerkennung eines solchen Spielraums für die Zollbehörden sichert ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Zollrechts und den Rechten der Zollanmelder.

    40.

    Stellt sich bei der Überprüfung nämlich heraus, dass bei der Anwendung der Vorschriften über das betreffende Zollverfahren von unrichtigen oder unvollständigen Grundlagen ausgegangen worden ist, haben die Zollbehörden nach Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Fall unter Berücksichtigung der ihnen bekannten neuen Umstände zu regeln. Zeigt sich bei einer Überprüfung – insbesondere bei einem Antrag auf Überprüfung durch den Zollanmelder –, dass die ursprünglich entrichteten Einfuhrabgaben höher waren als die gesetzlich geschuldeten, kann nach der Rechtsprechung die zur Regelung des Falles erforderliche Maßnahme nur in der Erstattung der zu viel gezahlten Abgaben oder in deren Erlass bestehen ( 16 ). Wenn also im Rahmen der Anwendung des Art. 78 des Zollkodex ein Verbot für die Zollbehörden bestünde, die Ergebnisse ihrer nachträglichen Prüfung bestimmter Anmeldungen für andere zu übernehmen, könnte dieses Verbot zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Behörden führen, wenn diese Ergebnisse zeigten, dass die Verwaltung zu viel erhalten hat. Diese Behörden wären daher meines Erachtens veranlasst, unter Verstoß gegen Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex ihrer Pflicht zur Regelung des Falles angesichts ihnen bekannter neuer Umstände nicht in vollem Umfang zu genügen.

    41.

    Diese Argumentation muss auch in dem Fall gelten, in dem nachträgliche Kontrollen zu einer Überprüfung der Zollanmeldungen führen können, deren Ergebnis die Mitteilung einer neuen Zollschuld nach sich ziehen kann, die in der Erhöhung der ursprünglich gezahlten Zollabgaben besteht.

    42.

    Da nämlich die Entscheidung, solche Kontrollen – auch von Amts wegen – durchzuführen, nicht unbedingt zu einer Überprüfung einer oder mehrerer Zollanmeldungen und erst recht nicht zu einer Berichtigung der ursprünglich entrichteten Zollabgaben führt, vermag ich nicht zu erkennen, warum die Zollbehörden allein ex ante zu ihrer Durchführung befugt sein sollten, sofern das Ergebnis den Zollanmelder begünstigt.

    43.

    Darüber hinaus wäre bei einer solchen Beschränkung der Befugnisse der Steuerbehörden stark zu befürchten, dass diese zu häufigeren und intensiveren vorherigen Kontrollen der Zollanmeldungen veranlasst wären, was mit dem Zweck des Zollkodex, zügige und wirksame Verfahren zur Überführung in den zollrechtlichen Freiverkehr zu gewährleisten, nur schwer vereinbar wäre ( 17 ).

    44.

    In diesem Kontext den Behörden die Durchführung nachträglicher Kontrollen auf der Grundlage von Warenproben und eine angemessene entsprechende Übernahme der Ergebnisse dieser Kontrollen zu gestatten, scheint sowohl mit den beschränkten Mitteln, über die diese Behörden verfügen, als auch mit dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit und dem Risikomanagement vereinbar zu sein ( 18 ).

    45.

    Jedoch kann der Spielraum der Zollbehörden im Rahmen der Anwendung des Art. 78 des Zollkodex nicht unbeschränkt sein.

    2. Zur Identität der von der Extrapolation nachträglicher Kontrollen betroffenen Waren

    46.

    Wie GFSL und die spanische Regierung zu Recht festgestellt haben, ist diese Extrapolation der Ergebnisse nachträglicher Kontrollen zunächst nur rechtmäßig, wenn die Waren, die nicht Gegenstand der Kontrollen waren, mit den kontrollierten identisch sind, wenn sie also alle in dieselbe Unterposition der Zollnomenklatur hätten eingeordnet werden müssen. Auf Unterschiede zwischen diesen Waren, die keinerlei Auswirkung auf deren zollrechtliche Einordnung hätten, kann es meiner Ansicht nach nicht ankommen.

    47.

    Auch wenn die Bedingung der Identität der Waren grundsätzlich nicht Gegenstand von Kontroversen ist, ist deren Vorliegen im Ausgangsverfahren von GFSL hingegen vehement bestritten worden, wobei sie vortrug, dass die Zollbehörden nicht dargelegt hätten, dass die Waren, die in den Zollanmeldungen aufgeführt gewesen seien, die nicht Gegenstand nachträglicher Kontrollen gewesen seien, tatsächlich mit den in den sechs kontrollierten Anmeldungen aufgeführten Waren identisch gewesen seien.

    48.

    Es lässt sich nicht leicht feststellen, ob die Frage der Warenidentität im Ausgangsverfahren abschließend beantwortet wurde, es wäre jedoch jedenfalls nicht Aufgabe des Gerichtshofs, im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit über diese Sachverhaltsfrage zu entscheiden.

    49.

    Gleichwohl hat das vorlegende Gericht als letztinstanzliches Gericht bei der Formulierung seiner Vorabentscheidungsfragen auf die zutreffende Prämisse abgestellt, dass die Identität der in den verschiedenen Zollanmeldungen aufgeführten Waren eine Voraussetzung für die Anwendung der Extrapolation der Ergebnisse der nachträglichen, im Rahmen von Art. 78 des Zollkodex durchgeführten Kontrollen darstellt.

    50.

    Vorsorglich füge ich hinzu, dass nicht der Hauch eines Zweifels darüber besteht, dass die Beweislast für die Identität dieser Waren – die auch vor dem Gerichtshof erörtert wurde – die Partei trägt, die sich zum Zweck der Überprüfung der Anmeldungen auf diese Identität berufen möchte, nämlich die Zollbehörden.

    51.

    Falls, wie im Ausgangsverfahren die Waren nicht mehr Gegenstand einer Zollbeschau sein können, sind diese Behörden nach Art. 78 Abs. 2 des Zollkodex berechtigt, sich auf sämtliche Beweisunterlagen zu stützen, die sie haben sammeln können und die für diese Identität sprechen.

    52.

    Mit diesen Beweisstücken konfrontiert, muss der Anmelder, der die von den Zollbehörden zugrunde gelegte Warenidentität in Zweifel ziehen möchte, deren Standpunkt mit allen Beweismitteln anfechten können und über die hierfür notwendigen Rechtsbehelfe verfügen.

    3. Zu den zeitlichen Grenzen nachträglicher Kontrollen

    53.

    Im Hinblick auf die mündliche Verhandlung vor dem Gerichtshof sind die Parteien aufgefordert worden, sich zum Bestehen möglicher zeitlicher Grenzen des Rechts der Zollbehörden, Zollanmeldungen gemäß Art. 78 des Zollkodex nachträglich zu überprüfen, insbesondere im Hinblick darauf zu äußern, dass diese Vorschrift nichts über eine etwaige Verjährungsfrist aussagt.

    54.

    Während GFSL sich auf das Vorbringen beschränkt hat, dass die nachträgliche Überprüfung von Anmeldungen aus der Zeit vor den von den Zollbehörden kontrollierten Anmeldungen nicht mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar sei, haben die lettische Regierung und die Kommission einen differenzierteren Standpunkt eingenommen.

    55.

    Nach Ansicht der Kommission kann die Überprüfung einer Zollanmeldung nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Einreichung der ursprünglichen Anmeldung nicht mehr erfolgen. Die Festsetzung einer solchen Frist stehe im Einklang sowohl mit den Vorschriften des Art. 16 des Zollkodex, wonach die Zollanmelder nur verpflichtet seien, die einschlägigen Unterlagen von der Annahme der Anmeldung zum zollrechtlichen freien Verkehr an drei Jahre lang aufzubewahren, als auch mit denen des Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex, wonach die Mitteilung einer Zollschuld nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens dieser Zollschuld nicht mehr erfolgen dürfe. Im vorliegenden Fall sei diese Frist eingehalten worden, da die Mitteilung der neuen Zollschuld aufgrund der von den lettischen Zollbehörden vorgenommenen nachträglichen Kontrollen am 31. Mai 2007 erfolgt sei, während die betreffenden ersten ursprünglichen Anmeldungen das Datum 4. Juni 2004 trügen.

    56.

    Die lettische Regierung teilt zwar diese Ansicht, hat aber eingeräumt, dass eine andere Argumentation vertreten werden könnte, nämlich dahin, dass es bei fehlender Angabe einer Verjährungsfrist in Art. 78 des Zollkodex Sache der Mitgliedstaaten sei, diese Lücke zu schließen. Hierzu hat der Vertreter der lettischen Regierung darauf hingewiesen, dass die Republik Lettland fordere, dass die Überprüfung einer Zollanmeldung, der die Mitteilung einer neuen Zollschuld folge, nach Ablauf einer Frist von drei Jahren ab der ursprünglichen Anmeldung nicht mehr vorgenommen werden könne. Diese Frist sei angemessen und garantiere ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Verpflichtungen der Zollverwaltung und den Rechten der Wirtschaftsteilnehmer.

    57.

    Hierzu ist festzustellen, dass Art. 78 des Zollkodex keine Verjährungsfrist vorsieht, nach deren Ablauf keine nachträgliche Überprüfung einer Zollanmeldung mehr vorgenommen werden könnte.

    58.

    Dieses Schweigen ließe sich vor dem Hintergrund verstehen, dass die Folgen einer nachträglichen Überprüfung nicht systematisch einen Nachteil für den Anmelder bedeuten. Wie bereits ausgeführt, kann dieser nämlich Auslöser einer solchen nachträglichen Überprüfung sein, die letztlich zu einer Minderung der ursprünglich entrichteten Zollabgaben führen kann.

    59.

    Kann hingegen die nachträgliche Überprüfung zu einer Erhöhung der ursprünglich entrichteten Zollabgaben führen, muss die Rechtssicherheit der Zollanmelder gewährleistet werden, da dieser Grundsatz erfordert, dass die Lage der Einzelnen insbesondere gegenüber der Steuer- und Zollverwaltung nicht unbegrenzt offenbleiben kann ( 19 ).

    60.

    Diese Bemerkungen lassen die Feststellung zu, dass in Anbetracht des allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit letztlich weniger das Verfahren der nachträglichen Überprüfung als solches einer Verjährungsfrist unterliegen sollte, als vielmehr die von den Zollbehörden zur Regelung des Falles erlassenen Maßnahmen. Außerdem stellt Art. 78 Abs. 3 des Zollkodex klar, dass solche Maßnahmen von den Zollbehörden ausschließlich „unter Beachtung der gegebenenfalls erlassenen Vorschriften“ zu treffen sind.

    61.

    Aus dieser Sicht garantiert Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex, wie im Kern sowohl die lettische Regierung als auch die Kommission ausgeführt haben, dass dann, wenn eine nachträgliche Überprüfung zu einer neuen Mitteilung einer Zollschuld führen kann, diese Mitteilung nicht mehr vorgenommen werden darf, wenn die ursprüngliche Zollschuld mehr als drei Jahre vor dem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem die Zollbehörden die neue Mitteilung an den Anmelder richten oder zu richten gedenken. Ist diese dreijährige Frist verstrichen, ist die Schuld verjährt und damit im Sinne von Art. 233 des Zollkodex erloschen ( 20 ).

    62.

    Sogar in dem Fall, in dem die Zollschuld erloschen und eine neue Mitteilung an den Schuldner nicht mehr möglich ist, könnte es gewisse Vorteile mit sich bringen, wenn die nachträgliche Überprüfung einer Zollanmeldung als solche keiner Verjährungsfrist unterliegt. Wie die lettische Regierung in der mündlichen Verhandlung unterstrichen hat, würde die Anerkennung, dass eine solche Überprüfung möglich ist, eine praktische Wirksamkeit für die Zukunft in dem Fall bewahren, in dem der Anmelder identische Waren in das Gebiet der Union einzuführen gedächte.

    63.

    Allerdings hindert das Schweigen des Art. 78 des Zollkodex zur Festlegung einer Verjährungsfrist, nach deren Ablauf eine nachträgliche Überprüfung der Zollanmeldung nicht mehr erfolgen kann, die Mitgliedstaaten nicht daran, dieses Verfahren einer solchen Frist zu unterwerfen. Die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, eine solche Regelungslücke zu schließen, sollte nach meinem Eindruck nicht in Zweifel gezogen werden, da die Zollvorschriften der Union nicht nur aus den Bestimmungen des Zollkodex oder den zu seiner Durchführung auf Unionsebene erlassenen Vorschriften bestehen, sondern auch, wie es in Art. 1 des Zollkodex heißt, aus den einzelstaatlichen Durchführungsvorschriften ( 21 ).

    64.

    Hierzu hat die lettische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Republik Lettland die Möglichkeit für die Zollbehörden, Zollanmeldungen nachträglich zu überprüfen, einer höchstens dreijährigen Verjährungsfrist von der ursprünglichen Anmeldung an unterwirft; diese Frist entspreche derjenigen, die für die Mitteilung der Zollschuld an den Schuldner vorgesehen sei. Meinen Recherchen zufolge ist dies auch die Lage in Italien ( 22 ).

    65.

    Auch wenn es im Ausgangsverfahren Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob die lettischen Vorschriften die nachträgliche Überprüfung tatsächlich einer solchen Frist unterwerfen, scheint diese Überprüfung (sowie die anschließende Mitteilung der Zollschuld) nach den von diesem Gericht sowie den Parteien in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben bei allen Anmeldungen, auf die die Ergebnisse dieser nachträglichen Kontrollen erstreckt worden sind, unter Wahrung dieser Frist (sowie der in Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex vorgesehenen dreijährigen Frist für die Mitteilung der Zollschuld) vorgenommen worden zu sein. Nach den Akten trägt die erste dieser Anmeldungen das Datum 4. Juni 2004, während die Entscheidung der lettischen Steuerverwaltung, mit der dem Anmelder die Überprüfung der betreffenden Anmeldungen bekannt gegeben und die neue Zollschuld mitgeteilt wurde, am 31. Mai 2007 zugestellt wurde.

    66.

    Die Entscheidung eines Mitgliedstaats, eine dreijährige Verjährungsfrist einzuführen, die für die nachträgliche Überprüfung einer Zollanmeldung gilt, scheint angemessen zu sein und mit derjenigen in Einklang zu stehen, die nach Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex für die Mitteilung der Zollschuld gilt ( 23 ). Außerdem lässt sich durch diese Frist erreichen, dass der Grundsatz der Unwiderruflichkeit der Zollanmeldung nicht über das erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt wird.

    67.

    Die Festsetzung unterschiedlicher Verjährungsfristen in den einzelnen Mitgliedstaaten oder das Nebeneinanderbestehen solcher Verjährungsfristen und ihrer fehlenden Festsetzung in anderen Mitgliedstaaten könnten jedoch die einheitliche Anwendung des Zollkodex in der Union beeinträchtigen.

    68.

    Die unerwünschten Folgen dieser Unterschiede könnten durch den Erlass geeigneter Maßnahmen auf Unionsebene entweder vom Unionsgesetzgeber oder gegebenenfalls im Wege des in den Art. 247 und 247a des Zollkodex ( 24 ) vorgesehenen Verfahrens behoben werden.

    69.

    Angesichts des Schweigens von Art. 78 des Zollkodex und der verbleibenden Kompetenzen der Mitgliedstaaten denke ich hingegen nicht, dass der Gemeinschaftsrichter befugt ist, anstelle des Unionsgesetzgebers im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung eine bestimmte Verjährungsfrist einzuführen. Allenfalls könnte er beim gegenwärtigen Stand des Zollrechts anhand der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität die Angemessenheit der Verjährungsfristen prüfen, mit denen die Mitgliedstaaten die Regelungslücke in Art. 78 des Zollkodex geschlossen haben.

    70.

    Auch wenn nicht sicher ist, dass ein solcher Fall eintreten könnte, könnte eine solche Prüfung im Hinblick auf eine Vorschrift eines Mitgliedstaats erfolgen, die die Anwendung einer Verjährungsfrist für die nachträgliche Überprüfung einer Zollanmeldung vorsähe, die kürzer wäre, als die gemäß Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex für die Mitteilung der Zollschuld geltende dreijährige Frist.

    71.

    In diesem Fall wäre nämlich zu prüfen, ob ein vor Ablauf einer Frist von drei Jahren geltendes Verbot der nachträglichen Überprüfung von Zollanmeldungen nicht faktisch dazu führen würde, die Zollbehörden daran zu hindern, eine vor Ablauf der in Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex genannten Dreijahresfrist entstandene Zollschuld einzuziehen, was auch eine Bedrohung der finanziellen Interessen der Union zur Folge hätte.

    72.

    Ferner darf auch der Umstand, dass ein Mitgliedstaat keine konkrete Ausschlussfrist festgesetzt hat, nach deren Ablauf die Zollbehörden eine Zollanmeldung nicht mehr nachträglich überprüfen können, nicht zu einem Verstoß gegen die in Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex vorgesehene Verjährungsfrist führen. Wie vorstehend ausgeführt worden ist, kann eine solche nachträgliche Überprüfung etwaige Auswirkungen nur für die Zukunft in dem Fall haben, in dem der Anmelder identische Waren in das Gebiet der Union einführen möchte.

    73.

    Somit rege ich an, der vorgeschlagenen Antwort zur Auslegung des Art. 70 des Zollkodex hinzuzufügen, dass Art. 78 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass er der Erstreckung der Ergebnisse nachträglicher Prüfungen von Zollanmeldungen durch die Zollbehörden eines Mitgliedstaats auf andere – selbst frühere – Zollanmeldungen nicht entgegensteht, sofern die von allen Anmeldungen betroffenen Waren identisch sind und die nachträgliche Überprüfung dieser Anmeldungen den genannten Behörden nicht ermöglicht, die für die Mitteilung der Zollschuld an den Schuldner geltende Verjährungsfrist gemäß Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex außer Acht zu lassen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

    III – Ergebnis

    74.

    Nach alledem schlage ich vor, auf die Vorlagefragen des Augstākās tiesas Senāts wie folgt zu antworten:

    1.

    Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften regelt nicht den Fall einer nachträglichen Beschau der Waren nach deren Überlassung und lässt die Extrapolation der Zollbeschau von in mehreren Zollanmeldungen aufgeführten Waren auf – selbst identische – Waren, die Gegenstand anderer, früherer Zollanmeldungen waren, nicht zu.

    2.

    Art. 78 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass er der Erstreckung der Ergebnisse nachträglicher Prüfungen von Zollanmeldungen durch die Zollbehörden eines Mitgliedstaats auf andere – selbst frühere – Zollanmeldungen nicht entgegensteht, sofern die von allen Anmeldungen betroffenen Waren identisch sind und die nachträgliche Überprüfung dieser Anmeldungen den genannten Behörden nicht ermöglicht, die für die Mitteilung der Zollschuld an den Schuldner geltende Verjährungsfrist gemäß Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex außer Acht zu lassen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.


    ( 1 ) Originalsprache: Französisch.

    ( 2 ) Verordnung des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1). Die Vorschriften dieser Verordnung wurden mehrfach geändert, doch sind diese Änderungen für die vorliegende Rechtssache irrelevant. Es ist auch zu bemerken, dass die Verordnung Nr. 2913/92 aufgehoben und durch die Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. L 145, S. 1) ersetzt wurde, die erst seit dem 24. Juni 2013 anwendbar ist.

    ( 3 ) Vgl. in diesem Sinne u. a. Beschluss vom 17. September 2009, Investitionsbank Sachsen-Anhalt (C‑404/08 und C‑409/08, Randnrn. 28 bis 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 4 ) Hervorhebung nur hier.

    ( 5 ) Vgl. Urteil vom 4. März 2004, Derudder (C-290/01, Slg. 2004, I-2041, Randnr. 43).

    ( 6 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2012, Gülbahce (C‑268/11, Randnrn. 31 und 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 7 ) Vgl. in diesem Sinne Nr. 57 der Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Overland Footwear (C‑379/00, Urteil des Gerichtshofs vom 5. Dezember 2002, Slg. 2002, I‑11133). Es ist zu bemerken, dass der Gerichtshof in seinem Urteil (siehe Randnr. 22) entschieden hat, dass dahinstehen könne, ob er sich zur Auslegung des Art. 78 des Zollkodex äußere.

    ( 8 ) Zum Ermessensspielraum vgl. Urteil vom 12. Juli 2012, Südzucker u. a. (C‑608/10, C‑10/11 und C‑23/11, Randnr. 48), und zur Möglichkeit einer Überprüfung auch ohne Zollbeschau der Waren Urteile Südzucker u. a. (Randnr. 50) und vom 22. November 2012, Digitalnet u. a. (C‑320/11, C‑330/11, C‑382/11 und C‑383/11, Randnr. 66).

    ( 9 ) Vorsorglich erinnere ich daran, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass dieser Ausdruck sich sowohl auf tatsächliche Irrtümer oder Unterlassungen als auch auf Auslegungsfehler des anwendbaren Rechts bezieht: vgl. u. a. Urteil vom 14. Januar 2010, Terex Equipment u. a. (C-430/08 und C-431/08, Slg. 2010, I-321, Randnr. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Berr, C. J., und Trémeau, H., Le droit douanier communautaire et national, 6. Aufl., Economica, Paris, 2004, S. 179.

    ( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2005, Overland Footwear (C-468/03, Slg. 2005, I-8937, Randnr. 64).

    ( 12 ) Vgl. Nr. 33 der Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der in Fn. 11 angeführten Rechtssache Overland Footwear.

    ( 13 ) Vgl. sechster Erwägungsgrund des Zollkodex.

    ( 14 ) Ebd.

    ( 15 ) Vgl. fünfter Erwägungsgrund des Zollkodex.

    ( 16 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Overland Footwear (Randnr. 53) und Terex Equipment u. a. (Randnr. 63). Dieser Erlass wird von Art. 236 des Zollkodex geregelt: vgl. Urteil Terex Equipment u. a. (Randnr. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Derudder (Randnr. 45).

    ( 18 ) Vgl. in diesem Sinne im Kontext der nachträglichen Kontrolle von Waren (Rindfleisch) durch die nationalen Behörden, die zu Rückforderungen von einem Wirtschaftsteilnehmer gewährten Ausfuhrerstattungen führte, Urteil vom 30. November 2000, HMIL (C-436/98, Slg. 2000, I-10555, Randnr. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 19 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2012, Elsacom (C‑294/11, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 20 ) Vgl. hierzu Urteile vom 23. Februar 2006, Molenbergnatie (C-201/04, Slg. 2006, I-2049, Randnrn. 40 und 41), und vom 28. Januar 2010, Direct Parcel Distribution Belgium (C-264/08, Slg. 2010, I-731, Randnr. 43).

    ( 21 ) So hat der Gerichtshof in einer Rechtssache betreffend die Auslegung des Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex, der für die Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Zölle eine Frist von drei Jahren vorsieht, entschieden, dass unabhängig davon, ob eine angemessene Ausschlussfrist durch das nationale Recht oder das Unionsrecht vorgeschrieben wird, die Festsetzung einer solchen Frist im Interesse der Rechtssicherheit ist und gleichwohl den Rechtsbürger nicht daran hindert, die durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte auszuüben: vgl. Urteil vom 14. Juni 2012, CIVAD (C‑533/10, Randnr. 23).

    ( 22 ) Vgl. Art. 11 Abs. 1 des Decreto legislativo Nr. 374/90 vom 8. November 1990, in dem es heißt: „[l]a revisione (dell’accertamento divenuto definitivo) e’ eseguita d’ufficio, ovvero quando l’operatore interessato ne abbia fatta richiesta con istanza presentata, a pena di decadenza, entro il termine di tre anni dalla data in cui l’accertamento e divenuto definitivo“. Vgl. auch De Cicco, A., Legislazione e tecnica doganale, G. Giappichelli Editore, Turin, 2003, S. 524.

    ( 23 ) Die gleiche Frist gilt für Anträge auf Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Zollabgaben nach Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex.

    ( 24 ) Es handelt sich um das sogenannte „Regelungsverfahren“, in dessen Rahmen die Kommission beim Erlass der zur Durchführung dieses Kodex erforderlichen Maßnahmen vom Ausschuss für den Zollkodex unterstützt wird.

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