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Document 62005CJ0429

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 4. Oktober 2007.
Max Rampion und Marie-Jeanne Godard, verehelichte Rampion gegen Franfinance SA und K par K SAS.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance de Saintes - Frankreich.
Richtlinie 87/102/EWG - Verbraucherkredit - Berechtigung des Verbrauchers, im Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrags, der die durch den Kredit finanzierten Waren oder Dienstleistungen zum Gegenstand hat, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen - Voraussetzungen - Angabe der finanzierten Ware oder Dienstleistung im Kreditangebot - Krediteröffnung, die eine wiederholte Nutzung des gewährten Kredits erlaubt - Befugnis des innerstaatlichen Gerichts, den Anspruch des Verbrauchers, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen, von Amts wegen zu berücksichtigen.
Rechtssache C-429/05.

Sammlung der Rechtsprechung 2007 I-08017

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:575

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑429/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal d’instance de Saintes (Frankreich) mit Entscheidung vom 16. November 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 2005, in dem Verfahren

Max Rampion,

Marie-Jeanne Godard, verehelichte Rampion,

gegen

Franfinance SA,

K par K SAS

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Franfinance SA, vertreten durch B. Soltner, avocat,

– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,

– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und A. Dittrich als Bevollmächtigte,

– der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,

– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48) in der durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 (ABl. L 101, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 87/102 oder Richtlinie), insbesondere ihrer Art. 11 und 14.

2. Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Rampion und Frau Godard, verehelichte Rampion (im Folgenden: Eheleute Rampion), gegen die Gesellschaften Franfinance SA (im Folgenden: Franfinance) und K par K SAS (im Folgenden: K par K) betreffend einen Kaufvertrag über Fenster und die zur Finanzierung dieses Vertrags verwendete Krediteröffnung (ouverture de crédit).

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3. Die Richtlinie 87/102 bezweckt die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit.

4. Art. 11 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass das Bestehen eines Kreditvertrages in keiner Weise die Rechte des Verbrauchers gegenüber dem Lieferanten von Waren bzw. Erbringer von Dienstleistungen beeinträchtigt, falls die betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen, die mit Hilfe dieses Kreditvertrages erworben werden, nicht geliefert bzw. erbracht werden oder in anderer Weise nicht vertragsmäßig sind.

(2) Wenn

a) für den Bezug von Waren oder Dienstleistungen ein Kredit mit einer anderen Person als dem Lieferanten vereinbart worden ist und

b) zwischen dem Kreditgeber und dem Lieferanten der Waren oder Dienstleistungen eine vorherige Abmachung besteht, wonach Kredite an Kunden dieses Lieferanten zum Zwecke des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des betreffenden Lieferanten ausschließlich von dem betreffenden Kreditgeber bereitgestellt werden, und

c) der unter Buchstabe a) genannte Verbraucher seinen Kredit im Rahmen dieser vorherigen Abmachung erhält und

d) die unter den Kreditvertrag fallenden Waren oder Dienstleistungen nicht oder nur teilweise geliefert werden oder dem Liefervertrag nicht entsprechen und

e) der Verbraucher seine Rechte gegen den Lieferanten erfolglos geltend gemacht hat,

ist der Verbraucher berechtigt, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen. Die Mitgliedstaaten bestimmen, wie weit und unter welchen Bedingungen diese Rechte geltend gemacht werden können.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn der Betrag des betreffenden Einzelgeschäfts unter einem Gegenwert von 200 [Euro] liegt.“

5. Art. 14 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditverträge von den zur Anwendung dieser Richtlinie ergangenen oder dieser Richtlinie entsprechenden innerstaatlichen Vorschriften nicht zum Nachteil des Verbrauchers abweichen.

(2) Die Mitgliedstaaten stellen ferner sicher, dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge, insbesondere eine Aufteilung des Kreditbetrags auf mehrere Verträge, umgangen werden.“

Nationales Recht

6. Art. L. 311-20 des Code de la consommation (Verbrauchergesetzbuch) sieht zur Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 87/102 vor, dass dann, „[w]enn in dem vorausgehenden Angebot die finanzierte Ware oder Dienstleistung genannt wird, … die Pflichten des Kreditnehmers erst mit dem Zeitpunkt der Lieferung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung wirksam [werden]“.

7. Nach Art. L. 311-21 dieses Code kann das Gericht „[b]ei Streit um die Erfüllung des Hauptvertrags … bis zur Entscheidung des Rechtsstreits die Erfüllung des Kreditvertrags aussetzen. Dieser wird von Rechts wegen aufgelöst oder aufgehoben, wenn der Vertrag, für den er abgeschlossen wurde, seinerseits gerichtlich aufgelöst oder aufgehoben wird.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8. Am 5. September 2003 bestellten die Eheleute Rampion im Zuge eines Haustürgeschäfts bei der K par K Fenster zum Preis von insgesamt 6 150 Euro. Nach dem Kaufvertrag sollten die Fenster binnen sechs bis acht Wochen nach Aufmaß durch den Vermessungstechniker geliefert werden.

9. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts nimmt der Kaufvertrag darauf Bezug, dass der Kauf vollständig durch einen von Franfinance eingeräumten Kredit finanziert wurde.

10. Am selben Tage vereinbarten die Eheleute Rampion mit Franfinance die Krediteröffnung mit einer Obergrenze in Höhe der Kaufsumme. Im Kreditangebot war durch die Formulierung „compte plate-forme K par K“ zwar die Identität des Verkäufers, nicht aber die finanzierte Sache angegeben.

11. Bei Lieferung der bestellten Fenster am 27. November 2003 stellten die Eheleute Rampion fest, dass sowohl die Fensterbrüstungen als auch die Zargen von Parasiten befallen waren. Die Arbeiten wurden nicht fortgesetzt, und mit Schreiben vom 5. Januar 2004 kündigten die Eheleute den Kaufvertrag.

12. Da ihr Verlangen nach Vertragsauflösung erfolglos geblieben war, erhoben die Eheleute Rampion mit Schriftsätzen vom 29. Oktober und 2. November 2004 gegen die K par K und gegen Franfinance Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags und anschließende Auflösung des Kreditvertrags mit der Begründung, dass im Kaufvertrag entgegen den Anforderungen des Code de la consommation die Frist für die Lieferung der betreffenden Waren nicht genau angegeben worden sei.

13. Die Eheleute Rampion beantragten hilfsweise die Auflösung des Kaufvertrags wegen eines Verstoßes der K par K gegen ihre Beratungspflicht, da sie die Lieferung und den Einbau der Holzbauelemente empfohlen habe, obwohl die Rahmen dafür schadhaft gewesen seien.

14. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens machten insbesondere geltend, dass die beiden Verträge nicht voneinander abhängig seien, da die finanzierte Sache im Kreditangebot nicht genannt sei, wie es Art. L. 311-20 des Code de la consommation aber verlange. Außerdem handele es sich um eine Krediteröffnung und nicht um einen zweckgebundenen Kredit zur Finanzierung des Kaufs.

15. Das vorlegende Gericht prüfte in der Verhandlung von Amts wegen mehrere Klagegründe nach den Bestimmungen des Code de la consommation über den Verbraucherkredit und den Haustürverkauf.

16. In diesem Zusammenhang hat das Tribunal d’instance de Saintes das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Art. 11 und 14 der Richtlinie 87/102 dahin auszulegen, dass der Richter die Vorschriften über die gegenseitige Abhängigkeit des Kreditvertrags und des mit diesem Kredit finanzierten Vertrags über die Lieferung einer Sache oder die Erbringung von Dienstleistungen anwenden kann, wenn der Kreditvertrag keine Angaben über die finanzierte Sache enthält oder in Form einer Krediteröffnung ohne Angabe der finanzierten Sache abgeschlossen worden ist?

2. Hat die Richtlinie 87/102 eine über den bloßen Verbraucherschutz hinausgehende, sich auf die Marktorganisation erstreckende Zielsetzung, die es dem Richter erlaubt, die sich aus ihr ergebenden Bestimmungen von Amts wegen anzuwenden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Zur Zulässigkeit

17. Franfinance macht erstens geltend, dass es nicht Sache des Gerichtshofs sei, sich zur ersten Frage zu äußern, da diese in Wirklichkeit nur die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Voraussetzungen betreffe, unter denen auf das Vorliegen eines zweckgebundenen Kredits geschlossen werden könne. Die Richtlinie 87/102 schreibe nämlich nur eine Mindestharmonisierung vor, und nach Art. 11 der Richtlinie bestimmten die Mitgliedstaaten insbesondere, unter welchen Voraussetzungen der Verbraucher Rechte gegen den Kreditgeber geltend machen könne.

18. Dazu ist festzustellen, dass zwar die Richtlinie 87/102 ausweislich ihres Art. 15 und ihres 25. Erwägungsgrundes, wonach die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht hindert, weiter gehende Vorschriften zum Schutz der Verbraucher aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, nur eine Mindestharmonisierung der innerstaatlichen Vorschriften über den Verbraucherkredit vorschreibt.

19. Die erste Frage gilt jedoch ausdrücklich einer Auslegung des Art. 11 der Richtlinie, der in das französische Recht unstreitig insbesondere durch die Art. L. 311-20 und L. 311-21 des Code de la consommation umgesetzt wurde, die es dem Kreditnehmer unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, die Aussetzung, Auflösung oder Aufhebung des Kreditvertrags zu erwirken.

20. Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 vorgesehene Berechtigung des Verbrauchers, gegen den Kreditgeber Rechte geltend zu machen, durch das innerstaatliche Recht von weiteren als den in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf, gehört jedoch zur sachlichen Prüfung der ersten Vorlagefrage. Jede zusätzlich aufgestellte Bedingung birgt nämlich die Gefahr, dass die innerstaatlichen Rechtsvorschriften das durch die Richtlinie angestrebte Harmonisierungsniveau nicht erreichen, und kann daher nicht von vornherein als allein dem innerstaatlichen Recht unterliegend betrachtet werden.

21. Franfinance trägt zweitens vor, eine Zuständigkeit des Gerichtshofs, sich zu dieser Frage zu äußern, sei umso klarer ausgeschlossen, als es dem vorlegenden Gericht in Wirklichkeit nicht darum gehe, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob den Kreditnehmern im Ausgangsverfahren eine effektive Geltendmachung ihrer Rechte gegenüber dem Kreditgeber im Sinne des Art. 11 der Richtlinie möglich sei, sondern es eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den betreffenden Verträgen zu ganz anderen Zwecken festgestellt sehen wolle. Tatsächlich wolle das vorlegende Gericht nämlich Vorschriften des französischen Rechts anwenden, die ihrer Art und ihrem Gegenstand nach anders ausgerichtet seien. Sie beträfen nicht den fraglichen Anspruch auf eine Geltendmachung von Rechten, sondern sähen vor, dass der Kreditgeber ohne Weiteres seinen Zinsanspruch verliere, wenn im Kreditangebot bestimmte, diese gegenseitige Abhängigkeit betreffende Angaben fehlten.

22. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hält ihrerseits die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfragen oder die Zuständigkeit des Gerichtshofs für ihre Beantwortung deshalb für fraglich, weil das vorlegende Gericht nicht genau angebe, aus welchem Grund es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits einer Antwort bedürfe.

23. Insoweit ist daran zu erinnern, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat (vgl. Urteile vom 15. Mai 2003, Salzmann, C‑300/01, Slg. 2003, I‑4899, Randnrn. 29 und 31, und vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 25).

24. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra, C‑379/98, Slg. 2001, I‑2099, Randnr. 39, vom 15. Juni 2006, Acereda Herrera, C‑466/04, Slg. 2006, I‑5341, Randnr. 48, und Cipolla u. a., Randnr. 25).

25. Hierzu ist festzustellen, dass weder die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts offensichtlich jeden Zusammenhangs mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits entbehrt noch die Fragen zur Auslegung dieser Vorschriften offensichtlich hypothetisch sind. Auch wenn in der ersten Frage ganz allgemein von der Anwendung der „Vorschriften über die gegenseitige Abhängigkeit des Kreditvertrags und des … Vertrags über die Lieferung einer Sache oder die Erbringung von Dienstleistungen“ die Rede ist, ist der Vorlageentscheidung nicht zu entnehmen, dass diese Frage in Wirklichkeit auf die Anwendung anderer Vorschriften des innerstaatlichen Rechts zielt als derjenigen, mit denen Art. 11 der Richtlinie 87/102 umgesetzt wurde oder die in dessen Anwendungsbereich fallen.

26. Demnach ist die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der ersten Frage nicht widerlegt worden.

27. Da es jedoch im Rahmen des durch Art. 234 EG eingeführten Systems der Zusammenarbeit Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben, hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. u. a. Urteile vom 28. November 2000, Roquette Frères, C‑88/99, Slg. 2000, I‑10465, Randnr. 18, vom 20. Mai 2003, Ravil, C‑469/00, Slg. 2003, I‑5053, Randnr. 27, und vom 4. Mai 2006, Haug, C‑286/05, Slg. 2006, I‑4121, Randnr. 17).

28. Somit ist die erste Frage so zu verstehen, dass in Erfahrung gebracht werden soll, ob die Art. 11 und 14 der Richtlinie 87/102 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Berechtigung des Verbrauchers, gegen den Kreditgeber Rechte geltend zu machen, davon abhängig gemacht wird, dass in dem vorausgehenden Kreditangebot die finanzierte Sache oder Dienstleistung angegeben ist.

29. Nach alledem ist die erste Frage als zulässig anzusehen.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

30. Alle Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, wie auch die Kommission vertreten die Ansicht, dass der Anspruch des Verbrauchers auf die Geltendmachung von Rechten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 nicht davon abhängig sein könne, dass im Kreditvertrag die finanzierte Sache ausdrücklich genannt sei. Sie stützen sich insoweit sowohl auf den Wortlaut dieser Bestimmung als auch auf das mit der Richtlinie verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes.

31. Franfinance trägt demgegenüber vor, dass ihr Vertrag mit den Eheleuten Rampion eine echte Krediteröffnung sei, die auf vielerlei Weise genutzt werden könne. Im Unterschied zu einem zweckgebundenen Kredit, der der Finanzierung eines einzigen Geschäfts diene, gelte für eine solche Krediteröffnung nicht die in Art. 11 der Richtlinie aufgestellte Regel der gegenseitigen Abhängigkeit, da der Kreditgeber nicht sämtliche wirtschaftlichen Risiken in Zusammenhang mit jedem einzelnen Erwerbsvorgang übernehmen könne. Etwaige Missbräuche oder betrügerische Verhaltensweisen seien im Einzelfall zu prüfen.

– Zum sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 87/102, insbesondere ihres Art. 11 Abs. 2

32. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie 87/102 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 auf Kreditverträge Anwendung findet, die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. c Unterabs. 1 als Verträge definiert werden, bei denen „ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens von einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oder zu gewähren verspricht“. Diese weite Bestimmung des Begriffs „Kreditvertrag“ wird, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, durch den zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 87/102 bestätigt, wonach „[e]in besserer Schutz des Verbrauchers … dadurch erreicht werden [kann], dass bestimmte Vorschriften erlassen werden, die für alle Formen des Kredits gelten“.

33. Wie jedoch Art. 1 Abs. 2 Buchst. c Unterabs. 2 und Art. 2 der Richtlinie sowie ihren Erwägungsgründen 11 und 14 zu entnehmen ist, sind bestimmte Kreditverträge oder Geschäftsvorgänge angesichts ihrer Merkmale teilweise oder gänzlich vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen oder ausschließbar. Die Krediteröffnung gehört nicht zu den in diesen Bestimmungen aufgezählten Fällen.

34. Eine Krediteröffnung nur zu dem Zweck, dem Verbraucher einen wiederholt nutzbaren Kredit zur Verfügung zu stellen, ist auch nicht – zumindest teilweise – nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 87/102 von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen.

35. Nach dieser Bestimmung findet die Richtlinie 87/102 nämlich keine Anwendung „auf Verträge, aufgrund deren Kredite durch ein Kredit- oder Geldinstitut in Form von Überziehungskrediten auf laufenden Konten gewährt werden, mit Ausnahme der Kreditkartenkonten“. Jedoch bleibt nach der Bestimmung Art. 6 der Richtlinie auf solche Kredite anwendbar.

36. Der Begriff „laufende Konten“ im Sinne dieses Art. 2 Abs. 1 Buchst. e, der als Ausnahme eng auszulegen ist, setzt, wie die Wendung „Kredite[, die] in Form von Überziehungskrediten auf laufenden Konten gewährt werden“ erkennen lässt, voraus, dass sich der Zweck des Kontos nicht darin erschöpft, dem Kunden einen Kredit zur Verfügung zu stellen. Ein solches laufendes Konto stellt vielmehr einen mehr oder minder allgemeinen Buchhaltungsrahmen dar, der dem Kunden die Ausführung von Geldgeschäften ermöglicht und dadurch gekennzeichnet ist, dass die – sei es durch den Kunden selbst, sei es durch einen Dritten – auf das Konto überwiesenen Beträge nicht notwendig die Rückführung eines auf dem Konto eingeräumten Kredits bezwecken. Mit anderen Worten ist ein in Form eines Überziehungskredits bewilligter Saldo zulasten des Kunden nur einer der möglichen Stände des Kontos, das auch einen Saldo zugunsten des Kunden aufweisen kann.

37. Im Übrigen sprechen weder der Aufbau noch die Zielsetzung der Richtlinie 87/102, die insbesondere die Verbraucher schützen soll, dafür, von ihrem Anwendungsbereich Kreditverträge auszuschließen, die in Form einer Krediteröffnung zu dem alleinigen Zweck geschlossen werden, dem Verbraucher einen wiederholt nutzbaren Kredit zur Verfügung zu stellen.

38. Was speziell den Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 betrifft, so ist – entgegen dem Vorbringen von Franfinance – dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu entnehmen, dass sie nur auf Kreditverträge zur Finanzierung eines einzigen Vertrags über einen Kauf oder die Erbringung einer Dienstleistung Anwendung fände.

39. Wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, spricht nichts im Wortlaut dieser Bestimmung dafür, dass sie auf die Krediteröffnung nicht anwendbar wäre. Insbesondere wird die einschränkende Auslegung, der Franfinance diese Bestimmung unterwerfen will, nicht dadurch gerechtfertigt, dass am Ende von Art. 11 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 87/102, der unter den Voraussetzungen, an die die Geltendmachung von Rechten geknüpft ist, den Umstand aufführt, dass „die unter den Kreditvertrag fallenden Waren oder Dienstleistungen nicht oder nur teilweise geliefert werden oder dem Liefervertrag nicht entsprechen“, das Wort „Liefervertrag“ im Singular verwendet wird.

40. Darüber hinaus sieht Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie ausdrücklich eine Ausnahme von der Anwendung des Art. 11 Abs. 2 vor. Die Krediteröffnung ist jedoch von dieser Anwendung nicht generell ausgenommen.

41. Zu dem Vorbringen von Franfinance, wonach Art. 11 der Richtlinie auf die Krediteröffnung deshalb keine Anwendung finden könne, weil der Kreditgeber nicht sämtliche wirtschaftlichen Risiken in Zusammenhang mit jedem einzelnen Erwerbsvorgang übernehmen könne, ist festzustellen, dass solche Risiken erheblich dadurch gemindert sind, dass der Verbraucher nach Art. 11 Abs. 2 zur Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Kreditgeber nur dann berechtigt ist, wenn im Einklang mit der unter Buchst. b aufgestellten Voraussetzung „zwischen dem Kreditgeber und dem Lieferanten der Waren oder Dienstleistungen eine vorherige Abmachung besteht, wonach Kredite an Kunden dieses Lieferanten zum Zwecke des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des betreffenden Lieferanten ausschließlich von dem betreffenden Kreditgeber bereitgestellt werden“, und wenn der Verbraucher gemäß der unter Buchst. c aufgestellten Voraussetzung „seinen Kredit im Rahmen dieser vorherigen Abmachung“ erhalten hat.

42. Um das durch Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 verfolgte Ziel erreichen zu können, muss diese Bestimmung auch dann gelten, wenn der Kredit in vielfältiger Weise verwendbar ist. Sie ist nämlich im Licht des 21. Erwägungsgrundes der Richtlinie 87/102 auszulegen, in dem es heißt: „Hat der Verbraucher Waren oder Dienstleistungen im Rahmen eines Kreditvertrags erworben, so sollte er zumindest in den nachstehend genannten Fällen Rechte gegenüber dem Kreditgeber geltend machen können, die zusätzlich zu den ihm nach dem Vertrag zustehenden üblichen Rechten gegenüber dem Lieferanten der Waren oder dem Erbringer der Dienstleistungen bestehen.“

43. Im Übrigen bedeutet der Umstand, dass einer von mehreren durch dieselbe Krediteröffnung finanzierten Erwerbsvorgängen den Verbraucher nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 dazu berechtigen kann, sich an den Kreditgeber zu wenden, nicht zwangsläufig, dass diese Geltendmachung von Rechten die Krediteröffnung als Ganzes berührt. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 65 ff. seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erlaubt es diese Richtlinienbestimmung nämlich, den dem Verbraucher gebotenen Schutz differenziert auszugestalten, um den Besonderheiten einer Krediteröffnung im Vergleich zu einem für einen einzigen Erwerb bewilligten Kredit Rechnung tragen zu können.

44. Somit ist davon auszugehen, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 sowohl auf einen zur Finanzierung eines einzigen Geschäfts bestimmten Kredit als auch auf eine Krediteröffnung Anwendung findet, die dem Verbraucher erlaubt, den gewährten Kredit wiederholt zu nutzen.

– Zu der Geltendmachung von Rechten im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102

45. Zu der Frage, ob es Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zuwiderläuft, dass der darin vorgesehene Anspruch auf die Geltendmachung von Rechten davon abhängig gemacht wird, dass in dem vorausgehenden Kreditangebot die finanzierte Sache oder Dienstleistung angegeben ist, ist festzustellen, dass eine solche Voraussetzung nicht zu den fünf in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 kumulativ aufgeführten Voraussetzungen zählt.

46. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 sieht zwar vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten bestimmen, wie weit und unter welchen Bedingungen diese Rechte geltend gemacht werden können“. Jedoch kann, wie die deutsche Regierung bemerkt hat und vom Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt worden ist, diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es den Mitgliedstaaten erlaubt, den Anspruch des Verbrauchers auf die Geltendmachung von Rechten von weiteren Voraussetzungen als denen abhängig zu machen, die in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 87/102 abschließend aufgezählt sind.

47. Zum einen setzt nämlich Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 87/102 nach seinem Wortlaut das Bestehen des in Satz 1 vorgesehenen Anspruchs auf die Geltendmachung von Rechten voraus. Zum anderen liefe es dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel, insbesondere die Einhaltung eines Mindeststandards für den Verbraucherschutz auf dem Gebiet des Verbraucherkredits in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, zuwider, wenn man es zulassen würde, dass der dem Verbraucher gegenüber dem Kreditgeber nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie zustehende Anspruch auf die Geltendmachung von Rechten von einem Formerfordernis abhängig gemacht wird, wie es im Ausgangsverfahren in Rede steht.

48. Diese Auslegung wird bestätigt durch Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie, wonach „[d]ie Mitgliedstaaten [sicherstellen], dass Kreditverträge von den zur Anwendung dieser Richtlinie ergangenen oder dieser Richtlinie entsprechenden innerstaatlichen Vorschriften nicht zum Nachteil des Verbrauchers abweichen“, sowie Art. 14 Abs. 2, wonach „[d]ie Mitgliedstaaten … ferner [sicherstellen], dass die Vorschriften, die sie gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge … umgangen werden“.

49. Dieser Art. 14 unterstreicht nämlich in allgemeiner Weise die Bedeutung, die der Gemeinschaftsgesetzgeber den Schutzvorschriften der Richtlinie 87/102 und ihrer strikten Anwendung beigemessen hat. Darüber hinaus läuft es, wie die französische, die deutsche, die spanische und die italienische Regierung sowie die Kommission vorgetragen haben, Art. 14 Abs. 2 zuwider, dass der Kreditgeber aufgrund einer innerstaatlichen Regelung durch das schlichte Unterlassen der Angabe der finanzierten Gegenstände oder Dienstleistungen verhindern kann, dass er der Geltendmachung von Rechten durch den Verbraucher nach Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie ausgesetzt ist.

50. Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 11 und 14 der Richtlinie 87/102 dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Berechtigung des Verbrauchers, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen, davon abhängig zu machen, dass in dem vorausgehenden Kreditangebot die finanzierte Sache oder Dienstleistung angegeben ist.

Zur zweiten Frage

Zur Zulässigkeit

51. Franfinance hält diese Frage, die für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich sei, für unzulässig. Das vorlegende Gericht brauche nämlich nicht von Amts wegen die Frage zu prüfen, ob zwischen dem Hauptvertrag und dem Kreditvertrag eine gegenseitige Abhängigkeit bestehe, da diese Frage von den Eheleuten Rampion unmittelbar aufgeworfen worden sei, hätten diese doch beim vorlegenden Gericht die Ungültigerklärung des Kaufvertrags und „dementsprechend“ die Auflösung des akzessorischen Vertrags über die Finanzierung beantragt.

52. Die französische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Eheleute Rampion, gestützt auf verschiedene Klagegründe, beim vorlegenden Gericht die Ungültigerklärung des Kaufvertrags und die anschließende Auflösung des Kreditvertrags beantragt hätten, ohne sich jedoch auf das Vorliegen einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den beiden betreffenden Verträgen zu berufen. Wenn das vorlegende Gericht gleichwohl diese Frage aufgeworfen habe, habe es dies nicht wirklich von Amts wegen getan, da sowohl K par K als auch Franfinance in ihrer jeweiligen Klagebeantwortung geltend gemacht hätten, dass der Kreditvertrag mangels Angabe der verkauften Sache im Kreditangebot kein zweckgebundener Kreditvertrag gewesen sei.

53. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es sei nicht sicher, dass das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren Anlass gehabt habe, die Frage der gegenseitigen Abhängigkeit der Verträge von Amts wegen aufzuwerfen. Indem die Eheleute Rampion nämlich die Auflösung des Kreditvertrags wegen Ungültigkeit des Kaufvertrags beantragt hätten, hätten sie selbst auf die bestehende gegenseitige Abhängigkeit zwischen diesen beiden Verträgen abgestellt. Außerdem könne sich in Anbetracht des Verteidigungsvorbringens von K par K und Franfinance im Ausgangsrechtsstreit die Frage stellen, ob das vorlegende Gericht nicht bereits mit den auf diese gegenseitige Abhängigkeit bezogenen Argumenten befasst gewesen sei.

54. Es ist daran zu erinnern, dass nach der oben in Randnr. 24 angeführten Rechtsprechung die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts dem Gerichtshof nur möglich ist, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

55. In den Entscheidungsgründen zur zweiten Frage weist das vorlegende Gericht unmissverständlich darauf hin, dass die Art. L. 311‑20 und L. 311‑21 des Code de la consommation von den Eheleuten Rampion nicht geltend gemacht worden seien. Demnach ist nicht klar ersichtlich, dass die vorliegende Frage, die die Befugnis des Gerichts zur Anwendung dieser innerstaatlichen Rechtsvorschriften von Amts wegen betrifft, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stünde oder dass das Problem hypothetischer Natur wäre.

56. Daher ist die zweite Frage als zulässig anzusehen.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

57. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 87/102 dahin auszulegen ist, dass sie es dem innerstaatlichen Gericht erlaubt, die Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie in das innerstaatliche Recht insbesondere deshalb von Amts wegen anzuwenden, weil diese eine über den bloßen Verbraucherschutz hinausgehende, sich auf die Marktorganisation erstreckende Zielsetzung hat.

58. Die Frage nach der Zielsetzung der Richtlinie 87/102 wurde im spezifischen Kontext der Rechtsprechung der Cour de cassation (französischer Kassationsgerichtshof) gestellt, die, wie der Vorlageentscheidung und insbesondere der Stellungnahme der französischen Regierung zu entnehmen ist, zwischen im Allgemeininteresse festgelegten Leitbestimmungen (règles d’ordre public de direction), die das Gericht von Amts wegen heranziehen kann, und Schutznormen (règles d’ordre public de protection) unterscheidet, die im Interesse einer bestimmten Personengruppe erlassen wurden und nur von deren Angehörigen geltend gemacht werden können. Die Regelung über den Verbraucherkredit soll zu diesen letztgenannten Vorschriften gehören.

59. Wie der Gerichtshof bereits wiederholt festgestellt hat, sind die Ziele der Richtlinie 87/102 nach deren Erwägungsgründen zum einen die Errichtung eines gemeinsamen Verbraucherkreditmarkts (Erwägungsgründe 3 bis 5) und zum anderen der Schutz der Verbraucher, die solche Kredite aufnehmen (Erwägungsgründe 6, 7 und 9) (Urteile vom 23. März 2000, Berliner Kindl Brauerei, C‑208/98, Slg. 2000, I‑1741, Randnr. 20, und vom 4. März 2004, Cofinoga, C‑264/02, Slg. 2004, I‑2157, Randnr. 25).

60. Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die sich insbesondere aus den Urteilen vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, Slg. 2000, I‑4941), und vom 21. November 2002, Cofidis (C‑473/00, Slg. 2002, I‑10875), ergebende Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Befugnis des Gerichts, die Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) von Amts wegen heranzuziehen, auf die Richtlinie 87/102 übertragen werden kann.

61. In Randnr. 26 des Urteils Océano Grupo Editorial und Salvat Editores hat der Gerichtshof entschieden, dass das Ziel des Art. 6 der Richtlinie 93/13, nach dem die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher nicht bindend sind, nicht erreicht werden könnte, wenn die Verbraucher die Missbräuchlichkeit solcher Klauseln selbst geltend machen müssten. In Rechtsstreitigkeiten mit niedrigem Streitwert könnten die Rechtsanwaltsgebühren höher sein als der streitige Betrag, was den Verbraucher davon abhalten könnte, sich gegen die Anwendung einer missbräuchlichen Klausel zu verteidigen. Zwar räumen die Verfahrensordnungen vieler Mitgliedstaaten dem Einzelnen in solchen Rechtsstreitigkeiten das Recht ein, sich selbst zu verteidigen, doch besteht die nicht zu unterschätzende Gefahr, das s der Verbraucher die Missbräuchlichkeit der ihm entgegengehaltenen Klausel vor allem aus Unkenntnis nicht geltend macht. Infolgedessen kann ein wirksamer Schutz des Verbrauchers nur erreicht werden, wenn dem nationalen Gericht die Möglichkeit eingeräumt wird, eine solche Klausel von Amts wegen zu prüfen.

62. Unter Bezugnahme auf diese Randnummer des Urteils Océano Grupo Editorial und Salvat Editores hat der Gerichtshof in Randnr. 33 des Urteils Cofidis bestätigt, dass die dem Gericht somit eingeräumte Befugnis, die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu prüfen, als notwendig angesehen worden ist, um den wirksamen Schutz des Verbrauchers insbesondere angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahr zu gewährleisten, dass dieser seine Rechte nicht kennt oder Schwierigkeiten hat, sie auszuüben (vgl. auch Urteil vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro, C‑168/05, Slg. 2006, I‑10421, Randnr. 28).

63. Wie die italienische und die spanische Regierung sowie die Kommission vorgetragen haben und der Generalanwalt in den Nrn. 102 ff. seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gelten diese Erwägungen auch für den in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 vorgesehenen Schutz der Verbraucher.

64. Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie in Verfolgung des in Randnr. 59 des vorliegenden Urteils genannten doppelten Ziels dem Verbraucher in genau umschriebenen Fällen Rechte gegenüber dem Kreditgeber verleihen soll, die zusätzlich zu den ihm nach dem Vertrag zustehenden üblichen Rechten gegenüber dem Lieferanten der Waren oder dem Erbringer der Dienstleistungen bestehen (vgl. oben, Randnr. 42).

65. Insbesondere angesichts der nicht zu unterschätzenden Gefahr, dass der Verbraucher seine Rechte nicht kennt oder Schwierigkeiten hat, sie auszuüben, könnte dieses Ziel nicht wirksam erreicht werden, wenn sich der Verbraucher selbst auf seinen durch die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie gewährten Anspruch berufen müsste, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen. Wie der Generalanwalt in Nr. 107 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, rechtfertigt der Umstand, dass das Ausgangsverfahren von den Eheleuten Rampion angestrengt worden ist und diese darin von einem Rechtsbeistand vertreten werden, keine andere Schlussfolgerung, da das Problem unabhängig von den in diesem Verfahren gegebenen konkreten Umständen zu lösen ist.

66. Franfinance macht allerdings geltend, mittels der zweiten Frage solle es in Wirklichkeit für zulässig erklärt werden, dass als Sanktion von Amts wegen der Verlust des Zinsanspruchs des Kreditgebers ausgesprochen werde, den das französische Recht für den Fall vorsehe, dass in dem vorausgegangenen Angebot für einen zweckgebundenen Kredit bestimmte innerstaatlich vorgeschriebene Angaben gefehlt hätten. Dabei handele es sich aber um eine echte „Privatstrafe“, die nie von Amts wegen verhängt werden könne, ohne dass der Dispositionsgrundsatz und der in Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegte Anspruch auf einen fairen Prozess verletzt würde.

67. Im gleichen Sinne hat die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf das Urteil vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen (C‑430/93 und C‑431/93, Slg. 1995, I‑4705), vorgetragen, dass dann, wenn ein Verbraucher vor Gericht nicht den Verfall der Zinsen beantrage, die er dem Kreditgeber schulde, das Gericht nicht von Amts wegen berücksichtigen dürfe, dass in dem vorausgehenden Kreditangebot die Angabe der finanzierten Sache oder Dienstleistung fehle, ohne mit seiner Entscheidung über den von diesem Verbraucher formulierten Antrag hinauszugehen.

68. Hierzu ist festzustellen, dass die zweite Frage, wie aus den obigen Randnrn. 55 und 57 hervorgeht, nur Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 87/102 sowie die Bestimmungen betrifft, die seine Umsetzung in das innerstaatliche Recht gewährleisten, im vorliegenden Fall nach Angaben des vorlegenden Gerichts also die Art. L. 311-20 und L. 311‑21 des Code de la consommation. Das vorlegende Gericht nimmt in seiner Entscheidung mit keinem Wort Bezug auf eine etwaige Sanktion, die darin bestünde, dem Kreditgeber seinen Zinsanspruch zu nehmen. Vor dem Gerichtshof ist auch nicht vorgetragen worden, dass diese Bestimmungen des Code de la consommation diese Sanktion vorsähen. Daher sind die in den vorstehenden Randnummern wiedergegebenen Argumente im Rahmen der vorliegenden Beurteilung nicht einschlägig, da diese nicht die Frage umfasst, ob das innerstaatliche Gericht befugt ist, von Amts wegen eine Sanktion wie die von Franfinance genannte auszusprechen.

69. Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 87/102 dahin auszulegen ist, dass sie es dem innerstaatlichen Gericht erlaubt, die Vorschriften, mit denen Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt wird, von Amts wegen anzuwenden.

Kosten

70. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Art. 11 und 14 der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit in der durch die Richtlinie 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass es ihnen zuwiderläuft, die in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehene Berechtigung des Verbrauchers, Rechte gegen den Kreditgeber geltend zu machen, davon abhängig zu machen, dass in dem vorausgehenden Kreditangebot die finanzierte Sache oder Dienstleistung angegeben ist.

2. Die Richtlinie 87/102 in der Fassung der Richtlinie 98/7 ist dahin auszulegen, dass sie es dem innerstaatlichen Gericht erlaubt, die Vorschriften, mit denen Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie in das innerstaatliche Recht umgesetzt wird, von Amts wegen anzuwenden.

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