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Document 62005CC0330

Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 27. Februar 2007.
Strafverfahren gegen Fredrik Granberg.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Hovrätten för Övre Norrland - Schweden.
Verbrauchsteuern - Mineralöle - Atypische Beförderungsart.
Rechtssache C-330/05.

European Court Reports 2007 I-09871

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2007:117

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

VERICA TRSTENJAK

vom 27. Februar 20071(1)

Rechtssache C‑330/05

Fredrik Granberg

gegen

Åklagaren

(Vorabentscheidungsersuchen des Hovrätt för Övre Norrland [Schweden])

„Steuervorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Richtlinie 92/12/EWG – Verbrauchsteuern – Mineralöle – Beförderung auf atypische Weise – Erwerb und Beförderung durch eine Privatperson in einem anderen Mitgliedstaat für ihren Eigenbedarf – Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie – Befugnis des Bestimmungsmitgliedstaats, die Stellung einer Sicherheitsleistung für die Entrichtung der Verbrauchsteuer und die Mitführung eines vereinfachten Begleitdokuments bei der Beförderung vorzuschreiben – Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie – Befugnis des Bestimmungsmitgliedstaats zur Erhebung von Verbrauchsteuer“





I –    Einleitung

1.     Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen legt das Hovrätt (Berufungsgericht) för Övre Norrland vier Fragen nach der Auslegung von Art. 7 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren(2) in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992(3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie) vor.

2.     Herr Granberg wird wegen der Beförderung von 3 000 Litern Heizöl mittels dreier Behälter im Laderaum eines Lieferwagens von Finnland nach Schweden für den Eigenbedarf strafrechtlich verfolgt, weil er die Erfordernisse nicht beachtet haben soll, die das schwedische Recht festlegt, um die Entrichtung der Verbrauchsteuer in Schweden sicherzustellen.

II – Das anwendbare Gemeinschaftsrecht

3.     Der fünfte bis siebte Erwägungsgrund der Richtlinie lauten:

„Jede Warenlieferung, jeder Besitz von zur Lieferung bestimmten Waren oder jede Bereitstellung von Waren für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, lässt den Verbrauchsteueranspruch in diesem anderen Mitgliedstaat entstehen.

Bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, sind die Steuern im Mitgliedstaat des Erwerbs zu erheben.

Die Mitgliedstaaten müssen eine Reihe von Kriterien berücksichtigen, damit festgestellt werden kann, ob der Besitz verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht privaten, sondern kommerziellen Zwecken dient.“

4.     Gemäß Art. 7 der Richtlinie gilt:

„(1) Befinden sich verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat, so werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden.

(4) Die in Absatz 1 genannten Waren werden zwischen den Hoheitsgebieten der einzelnen Mitgliedstaaten zusammen mit einem Begleitdokument befördert, das die wichtigsten Angaben des in Artikel 18 Absatz 1 genannten Dokuments enthält. Form und Inhalt dieses Dokuments werden nach dem Verfahren des Artikels 24 festgelegt.

…“

5.     Gemäß Art. 8 der Richtlinie gilt:

„Für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, werden die Verbrauchsteuern nach dem Grundsatz des Binnenmarkts im Erwerbsmitgliedstaat erhoben.“

6.     Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass im Verbrauchsmitgliedstaat ein Verbrauchsteueranspruch beim Erwerb von Mineralölen entsteht, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, wenn diese Waren von Privatpersonen oder auf deren Rechnung auf atypische Weise befördert worden sind. Als atypische Beförderungsarten gelten die Beförderung von Kraftstoff in anderen Behältnissen als dem Fahrzeugtank oder einem geeigneten Reservebehälter sowie die Beförderung von flüssigen Heizstoffen auf andere Weise als in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt werden.“

III – Die maßgeblichen Vorschriften des schwedischen Rechts

7.     Kapitel 4 § 1 Abs. 5 des Lag (1994:1776) om skatt på energi (Gesetz über die Energiesteuer; im Folgenden: LSE) bestimmt:

„Energiesteuer … hat zu entrichten,

wer Kraftstoff aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft einführt oder bezieht.“

8.     Kapitel 4 § 1a LSE sieht eine Ausnahme von diesem Abs. 5 vor:

„Die Steuer gemäß § 1 Abs. 5 … wird nicht geschuldet für

Motorkraftstoffe, die für den Privatbedarf im Kraftfahrzeugtank, im Kraftstofftank von Wasser- und Luftfahrzeugen oder in einem Reservekanister von höchstens 10 Litern Fassungsvermögen nach Schweden eingeführt werden.“

9.     Kapitel 1 § 6 des Lag (1998:506) om punktskattekontroll av transporter m.m. av alkoholvaror, tobaksvaror och mineraloljeprodukter (Gesetz über verbrauchsteuerrechtliche Kontrollen der Beförderung u. a. von Alkoholerzeugnissen, Tabakerzeugnissen und Mineralölprodukten; im Folgenden: LPK) bestimmt:

„Eine verbrauchsteuerpflichtige Ware darf nur dann befördert werden, wenn die Anforderungen in Bezug auf das Begleitdokument, die Sicherheitsleistung, den Nachweis über die geleistete Sicherheit und die Anmeldepflicht, die sich aus den in Kapitel 1 § 2 LPK angegebenen Gesetzen oder aus Bestimmungen im Sinne des Kapitels 1 § 5a LPK ergeben, erfüllt sind.“

10.   Gemäß Kapitel 5 § 1 LPK wird wegen unerlaubter Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verurteilt, wer vorsätzlich unter Verstoß gegen Kapitel 1 § 6 LPK verbrauchsteuerpflichtige Waren aus einem zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Verbrauchsteuergebiet nach Schweden einführt und dadurch eine ernsthafte Erschwerung der behördlichen Kontrolle der Warenbeförderung verursacht. In einem minder schweren Fall wird er zu einer Geldstrafe verurteilt.

IV – Das Ausgangsverfahren und die Vorabentscheidungsfragen

11.   Herr Granberg wird von den schwedischen Behörden strafrechtlich verfolgt, weil er am 7. Dezember 2003 3 000 Liter Heizöl von Finnland nach Schweden befördert haben soll, ohne zuvor den Steuerbehörden die Beförderung dieser Ware angezeigt, eine Sicherheit für die Entrichtung der geschuldeten Steuern bestellt und ein Begleitdokument oder einen Nachweis für die Stellung der Sicherheit mit sich geführt zu haben.

12.   Das Erzeugnis wurde im Laderaum eines Lieferwagens in drei Behältern von je 1 000 Litern Fassungsvermögen befördert; es war für die Beheizung des Hauses mit Garage von Herrn Granberg gedacht und sollte demnach dem Eigenbedarf dienen.

13.   Herr Granberg hat den Sachverhalt eingeräumt, bestreitet jedoch, eine Straftat begangen zu haben.

14.   Mit Urteil vom 4. Mai 2004 hat das Tingsrätt (Gericht erster Instanz) Haparanda Herrn Granberg in erster Instanz wegen unerlaubter Beförderung einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware verurteilt. Gegen dieses Urteil hat Herr Granberg beim Hovrätt för Övre Norrland Berufung eingelegt.

15.   Diesem Gericht zufolge waren als innerstaatliche Rechtsvorschriften das LPK und das LSE anzuwenden. Jeder Verstoß gegen das LPK ist strafbar. Das LPK verweist auf die Richtlinie.

16.   Das Hovrätt för Övre Norrland hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Haben die Mitgliedstaaten nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie die Möglichkeit, Heizöl generell vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie auszunehmen, so dass ein Mitgliedstaat vorschreiben dürfte, dass eine Privatperson, die selbst und für ihren Eigenbedarf Heizöl in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, in dem es in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist, und es selbst in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert hat, unabhängig davon, auf welche Weise das Heizöl befördert wurde, dort Verbrauchsteuer zu entrichten hätte?

2.      Ist – falls Frage 1 bejaht wird – Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie mit den wesentlichen Grundsätzen des Vertrags über den freien Warenverkehr und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn der Zweck des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie offensichtlich darin besteht, Privatpersonen von der Beförderung von Mineralölen abzuhalten, indem eine Ausnahme von dem Grundsatz vorgesehen wird, dass bei Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erworben und selbst befördert haben, die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat erhoben wird, in dem die Waren erworben wurden, und ist ein solcher Zweck mit der vom Rat für die Richtlinie gewählten Rechtsgrundlage vereinbar, oder ist Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie ungültig?

3.      Handelt es sich – falls Frage 1 verneint wird – bei der Beförderung von 3 000 Litern Heizöl mittels dreier sogenannter IBC-Behälter, die an sich für die gewerbliche Beförderung von Gefahrgütern, u. a. Flüssigkeiten, zugelassen werden können, durch eine Privatperson im Laderaum eines Lieferwagens um eine Beförderung auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie?

4.      Ist mit Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie eine Regelung im Recht eines Mitgliedstaats vereinbar, nach der eine Privatperson, die selbst und für ihren Eigenbedarf Heizöl in einem anderen Mitgliedstaat, in dem es in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist, erworben hat und es selbst auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert hat, verpflichtet ist, eine Sicherheit für die Bezahlung der Verbrauchsteuern zu leisten und bei der Beförderung das vereinfachte Begleitdokument und einen Nachweis über die geleistete Sicherheit für die Verbrauchsteuern mitzuführen?

17.   Das vorlegende Gericht weist überdies darauf hin, dass sechs weitere Verfahren dieser Art bei ihm anhängig sind.

V –    Die beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen

18.   Schriftliche Erklärungen sind von der schwedischen, der griechischen, der italienischen und der polnischen Regierung sowie vom Rat der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingereicht worden. In der Sitzung hat Herr Granberg seinen Standpunkt vorgetragen.

A –    Zur ersten Frage

19.   Das vorlegende Gericht will wissen, ob Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie es zulässt, alle Beförderungen von Heizöl durch eine Privatperson, die es für den Eigenbedarf erworben hat, von einem Mitgliedstaat in einen anderen vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie auszunehmen und sie damit im Verbrauchsmitgliedstaat der Verbrauchsteuer zu unterwerfen.

20.   Nach Auffassung der polnischen Regierung, des Rates und der Kommission räumt Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie diese Möglichkeit nicht allgemein ein.

21.   Die Kommission legt dar, dass nur bei Beförderung in atypischer Weise im Mitgliedstaat der Bestimmung Verbrauchsteuer erhoben werden darf. Dagegen könne im Bestimmungsmitgliedstaat keine Verbrauchsteuer erhoben werden, wenn die Beförderung als normal betrachtet werden könne. Unter „atypischen Beförderungsarten“ im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie seien alle Beförderungen mit Ausnahme der genannten zu verstehen. Der zweite Satz der Vorschrift stelle klar, dass die durch diese eingeräumte Ausnahme nicht gelte, wenn der Kraftstoff im Fahrzeugtank oder in geeigneten Reservebehältern befördert werde. Der dritte Tatbestand, der im vorliegenden Fall zutreffe, betreffe die „Beförderung von flüssigen Heizstoffen auf andere Weise als in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt werden“.

22.   Der Rat ergänzt, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie als Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 8 eng ausgelegt werden müsse. Wenn es der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers gewesen wäre, den Ausschluss sämtlicher Mineralölbeförderungen durch Privatpersonen vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie zuzulassen, hätte er dies klar zum Ausdruck gebracht. In einem solchen Fall wiese Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie keinen zweiten Satz auf und würde wie folgt lauten:

„Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass im Verbrauchsmitgliedstaat ein Verbrauchsteueranspruch beim Erwerb von Mineralölen entsteht, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, wenn diese Waren von Privatpersonen befördert worden sind.“

23.   Die schwedische, die griechische und die italienische Regierung sind hingegen der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten jegliche Beförderung von Mineralölen durch Privatpersonen vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie ausnehmen und damit auf diese Erzeugnisse im Bestimmungsmitgliedstaat Verbrauchsteuer erheben könnten.

24.   Nach Auffassung der schwedischen Regierung gibt es nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie für eine Privatperson keine Möglichkeit, Mineralöle in typischer Weise zu befördern, da ein Privatmann ein solches Erzeugnis nicht in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt würden, befördern könne, was darauf hinauslaufe, dass Mitgliedstaaten, die das möchten, dieses Erzeugnis vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie ausnehmen könnten.

25.   Die genannten drei Regierungen verweisen im Übrigen darauf, dass diese Ausschlussmöglichkeit mit der besonderen Eigenart der Mineralöle zusammenhänge, die normalerweise aus Gründen der Sicherheit und des Umweltschutzes nicht von Privatpersonen befördert werden dürften.

B –    Zur zweiten Frage

26.   Für den Fall der Bejahung der ersten Frage will das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs und der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, und zum anderen, ob das Ziel, Privatpersonen von der Beförderung von Mineralölen durch Erhebung von Verbrauchsteuern abzubringen, mit der Rechtsgrundlage der Richtlinie zu vereinbaren ist.

27.   Zum ersten Teil der zweiten Frage vertritt die Kommission insbesondere die Auffassung, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs vereinbar sei. Sie verweist insoweit auf Randnr. 32 des Urteils vom 17. Juni 2003, De Danske Bilimportører, wonach der „Anwendungsbereich des Artikels 28 EG … solche Beeinträchtigungen nicht [erfasst], für die sonstige spezifische Vertragsvorschriften gelten, und die in den Artikeln 23 EG, 25 EG und 90 EG bezeichneten Beeinträchtigungen fiskalischer Art mit zollgleicher Wirkung … nicht dem Verbot des Artikels 28 EG [unterliegen]“(4). Die Kommission trägt ferner vor, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie den freien Warenverkehr deshalb nicht in Frage stelle, weil er, wie bei der Beantwortung der ersten Frage dargelegt, Privatpersonen gestatte, für den eigenen Bedarf Heizöl verbrauchsteuerfrei „in nicht atypischer Weise“ zu befördern.

28.   Zum zweiten Teil der Frage legt das Hovrätt för Övre Norrland in seiner Vorlageentscheidung dar, dass die Richtlinie insbesondere auf Art. 93 EG(5) verweise, der nicht zum Erlass von Maßnahmen, die die Sicherheit der Beförderung verstärken sollten, zu ermächtigen scheine, während Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie nach einem Bericht der Kommission den mit privaten Beförderungen von Mineralöl verbundenen Gefahren vorbeugen solle(6). Damit wirft das vorlegende Gericht die Frage der Gültigkeit dieser Vorschrift auf.

29.   Nach Auffassung der griechischen und der spanischen Regierung sowie des Rates ist Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie gültig. Falls Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie Erfordernisse in Zusammenhang mit der Sicherheit der Beförderungen berücksichtigen sollte, so nur als ergänzenden Zweck im Vergleich zur steuerlichen Hauptausrichtung der Richtlinie. Nach der Rechtsprechung müsse der Rechtsakt auf die Rechtsgrundlage gestützt sein, die dem Hauptziel der Maßnahme entspreche.

30.   Die schwedische und die griechische Regierung bemerken im Übrigen, dass mit den Verbrauchsteuerrichtlinien nur eine teilweise Harmonisierung bewirkt worden sei. Sie beschränkten sich im Kern darauf, die Erzeugnisse aufgrund objektiver Erwägungen zu klassifizieren, die Voraussetzungen für die Erhebung der Verbrauchsteuer festzulegen, eine Verkehrsregelung für die der Verbrauchsteuer unterliegenden Erzeugnisse zu entwickeln, die Bemessungsgrundlagen für die Verbrauchsteuer zu regeln und Mindestsätze festzusetzen.

C –    Zur dritten Frage

31.   Stellt – bei Verneinung der ersten Frage – die Beförderung von 3 000 Litern Heizöl mittels dreier Behälter durch eine Privatperson im Laderaum eines Lieferwagens eine Beförderung auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie dar?

32.   Die polnische Regierung, der Rat und die Kommission vertreten die Meinung, dass eine solche Beförderung atypisch sei. Die griechische und die schwedische Regierung halten es angesichts ihrer Antworten auf die vorangegangenen Fragen nicht für angezeigt, auf diese Frage zu antworten. Herr Granberg hat sich nicht geäußert.

D –    Zur vierten Frage

33.   Diese Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie es einem Mitgliedstaat gestattet, eine Privatperson, die selbst und für ihren Eigenbedarf Heizöl von einem in einen anderen Mitgliedstaat auf atypische Weise befördert, zu verpflichten, eine Sicherheit für die Entrichtung der Verbrauchsteuern zu leisten und bei der Beförderung das vereinfachte Begleitdokument mitzuführen.

34.   Die Kommission legt dar, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie, der die durch Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie erfassten Erzeugnisse definiere, ausschließlich Erzeugnisse betreffe, die sich „zu gewerblichen Zwecken“ in einem anderen Mitgliedstaat befänden. Folglich betreffe Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie keine Erzeugnisse, die für den Eigenbedarf erworben worden seien.

35.   Die Kommission verweist im Übrigen auf Randnr. 23 des Urteils vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a.(7), wonach, „[w]ie aus der dritten, der fünften, der sechsten und der elften Begründungserwägung hervorgeht, … die Richtlinie eine Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Waren einerseits, die bei ihrer Beförderung von Dokumenten begleitet werden müssen, und persönlichen Zwecken dienenden Waren andererseits [trifft]“.

36.   Die Kommission ergänzt, zwar habe ein Mitgliedstaat, der gemäß Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie Verbrauchsteuern erheben dürfe, zugleich das Recht, Kontrollinstrumente einzusetzen, um sicherzustellen, dass die Verbrauchsteuer auch entrichtet worden sei, doch könne diese Befugnis nicht aus Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie abgeleitet werden.

37.   Dagegen folgt für die schwedische und die polnische Regierung aus Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie, dass jede atypische Beförderung zu gewerblichen Zwecken erfolgt. Privatpersonen sollten kein Heizöl befördern, weshalb jede Beförderung von Heizöl, auch wenn sie von einer Privatperson für den Eigenbedarf durchgeführt werde, als gewerblich betrachtet und demnach den Verpflichtungen nach Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie unterworfen werden müsse.

VI – Vorbemerkungen

38.   Groß sind die Schwierigkeiten der Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Mineralöl gewesen, sowohl schon wegen der Bedeutung der betreffenden Erzeugnisse für die Wirtschaft der Mitgliedstaaten als auch deshalb, weil die betreffenden Erzeugnisse (Benzin, Diesel, Heizöl, Kerosin usw.) enge und wichtige Verbindungen zu anderen sektoriellen Politiken aufweisen.

39.   Parallel zur Richtlinie 92/81/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle(8) legt die Richtlinie, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, eigene Regeln zur Ordnung des Handels mit verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnissen in einem Raum ohne Binnengrenzen fest.

40.   Art. 8 der Richtlinie stellt den allgemeinen Grundsatz auf, dass die Verbrauchsteuer für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, im Erwerbsmitgliedstaat erhoben wird.

41.   Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von diesem Grundsatz abzuweichen und die Erhebung der Verbrauchsteuer im Verbrauchsmitgliedstaat vorzusehen.

42.   Diese Vorschrift könnte indessen auf Initiative der Kommission demnächst aufgehoben werden(9).

43.   Beim gegenwärtigen Stand des positiven Rechts sollte aber Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie wörtlich angewandt werden, obwohl diese Anwendung zu einer Beschränkung der Freiheit des Warenverkehrs führt(10), die vor der Richtlinie nicht bestand und nach der Aufhebung dieser Vorschrift nicht mehr bestehen wird.

VII – Würdigung

A –    Zur ersten Frage

44.   Die Antwort auf die erste Frage setzt eine aufmerksame Betrachtung jedes der Begriffe voraus, die in Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie verwendet werden, der in Verbindung mit Art. 8 der Richtlinie zu lesen ist. Dieser bestimmt, dass für Waren, die Privatpersonen für ihren Eigenbedarf erwerben und die sie selbst befördern, „die Verbrauchsteuern nach dem Grundsatz des Binnenmarkts im Erwerbsmitgliedstaat erhoben [werden]“.

45.   Als Ausnahme von Art. 8 der Richtlinie sieht Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … ferner vorsehen [können], dass im Verbrauchsmitgliedstaat ein Verbrauchsteueranspruch beim Erwerb von Mineralölen entsteht, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, wenn diese Waren von Privatpersonen oder auf deren Rechnung auf atypische Weise befördert worden sind“(11).

46.   Es muss nun herausgestellt werden, dass dieser Art. 9 Abs. 3 eine Definition des Begriffs der „atypischen Beförderung“ enthält: „Als atypische Beförderungsarten gelten die Beförderung von Kraftstoff in anderen Behältnissen als dem Fahrzeugtank oder einem geeigneten Reservebehälter sowie die Beförderung von flüssigen Heizstoffen auf andere Weise als in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt werden.“

47.   Damit liefert Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie eine E-contrario-Definition der „typischen Beförderung“. Als typische Beförderung gilt zum einen die Beförderung von Kraftstoff im Fahrzeugtank oder einem geeigneten Reservebehälter und zum anderen die Beförderung von flüssigen Heizstoffen in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt werden.

48.   Jede Beförderung, die nicht zu einer dieser Arten der „typischen Beförderungen“ gehört, ist eine „atypische Beförderung“.

49.   Da der Gesetzgeber die Voraussetzung einer „atypischen Beförderung“(12) aufgestellt hat, wenn die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben sollen, vom allgemeinen Grundsatz des Ortes der Erhebung der Verbrauchsteuer abzuweichen, liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass diese Möglichkeit nur bei „atypischer Beförderung“ bestehen soll. Dies wird noch dadurch bestärkt, dass der Gesetzgeber definiert hat, was unter diesen Begriff der „atypischen Beförderung“ fällt.

50.   Die schwedische Regierung macht geltend, dass es keine Möglichkeit für eine Privatperson gebe, Heizöl auf typische Weise zu befördern, da eine Privatperson Heizöl nicht in Tankwagen befördern könne, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt würden, und ist folglich der Meinung, dass die Mitgliedstaaten jede Beförderung von Mineralölen durch Privatleute vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie ausschließen könnten.

51.   Diesem Argument sollte nicht gefolgt werden, weil Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie als Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 8 der Richtlinie eng ausgelegt werden muss(13).

52.   Daher müsste die erste Frage selbst dann verneint werden, wenn es keine Möglichkeit für Privatleute geben sollte, Heizöl auf „typische“ Weise zu befördern(14). Das heißt, dass die Mitgliedstaaten Heizöl nicht generell bei Beförderung durch eine Privatperson, die es für ihren Eigenbedarf erworben hat, vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie ausnehmen können, weil sie dazu nur bei atypischer Beförderung berechtigt sind.

B –    Zur zweiten Frage

53.   Da die erste Frage zu verneinen ist, dürfte die zweite Frage nicht beantwortet werden müssen.

C –    Zur dritten Frage

54.   Der Regelung des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie ist zu entnehmen, dass jede Beförderung von flüssigen Heizstoffen, die „auf andere Weise als in Tankwagen, die auf Rechnung eines gewerblichen Unternehmers eingesetzt werden“, erfolgt, als eine Beförderung auf atypische Weise zu betrachten ist.

55.   Folglich dürfte nicht zu bestreiten sein, dass die Beförderung von 3 000 Litern Heizöl mittels dreier Behälter durch eine Privatperson im Laderaum eines Lieferwagens eine Beförderung auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie darstellt.

D –    Zur vierten Frage

56.   Wie die Kommission dargelegt hat, definiert Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie die durch Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie erfassten Erzeugnisse.

57.   Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Richtlinie, wie u. a. aus dem fünften und dem sechsten Erwägungsgrund hervorgeht, eine Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen Zwecken dienenden Waren einerseits, die bei ihrer Beförderung von Dokumenten begleitet sein müssen, und persönlichen Zwecken dienenden Waren andererseits trifft(15).

58.   Folglich scheint Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie keine Erzeugnisse zu betreffen, die für den Eigenbedarf erworben wurden, und sollte daher nicht als Rechtsgrundlage für die Forderung eines Mitgliedstaats dienen können, eine Sicherheit für die Entrichtung von Verbrauchsteuern zu bestellen und bei der Beförderung solcher Erzeugnisse einen Beleg für diese Sicherheitsleistung mitzuführen.

VIII – Ergebnis

59.   Nach alledem wird dem Gerichtshof vorgeschlagen, die vom Hovrätt för Övre Norrland vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung gibt den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis, Heizöl durch eine allgemeine Vorschrift vom Geltungsbereich des Art. 8 der Richtlinie auszunehmen, so dass ein Mitgliedstaat vorschreiben dürfte, dass eine Privatperson, die selbst und für ihren Eigenbedarf Heizöl in einem anderen Mitgliedstaat, in dem es in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden ist, erworben und es selbst in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert hat, dort unabhängig davon, auf welche Weise das Heizöl befördert wurde, Verbrauchsteuer zu entrichten hätte.

2.      Angesichts der Verneinung der ersten Frage bedarf es keiner Antwort auf die zweite Frage.

3.      Die Beförderung von 3 000 Litern Heizöl mittels dreier Behälter durch eine Privatperson im Laderaum eines Lieferwagens stellt eine Beförderung auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie dar.

4.      Art. 7 Abs. 4 dieser Richtlinie gilt nicht für die Beförderung von Heizöl durch eine Privatperson, die es selbst und für ihren Eigenbedarf in einem anderen Mitgliedstaat, in dem es in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden war, erworben und selbst auf atypische Weise im Sinne des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert hat.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – ABl. L 76, S. 1.


3 – ABl. L 390, S. 124.


4 – C‑383/01, Slg. 2003, I‑6065.


5 – Diese Vorschrift lautet: „Der Rat erlässt auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts innerhalb der in Artikel 14 gesetzten Frist notwendig ist.“


6 – Das vorlegende Gericht bezieht sich auf den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 92/12/EWG (KOM[2004] 227 endg.).


7 – C-296/95, Slg. 1998, I‑1605.


8 – ABl. L 316, S. 12.


9 – Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/12/EWG über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren: „Absatz 3 wird gestrichen. Die Kommission ist nicht von der Notwendigkeit der Beibehaltung einer steuerlichen Bestimmung überzeugt, die es den Mitgliedstaaten gestattet, in Bezug auf Beförderungen durch Privatpersonen vom allgemeinen Grundsatz des freien Warenverkehrs abzuweichen. Bei etwaigen Sicherheitsproblemen bei der Beförderung von Mineralölen stellt der Rückgriff auf eine Bestimmung, die eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz einführt, keine rechtlich zufriedenstellende Problemlösung dar. Die Tatsache, dass eine Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats oder der Gemeinschaft die Beförderung von Mineralölen sehr strengen Sicherheitsbestimmungen unterwirft, darf unter keinen Umständen mit der steuerlichen Behandlung derartiger Beförderungen verknüpft werden. Falls diese Vorschriften nicht eingehalten werden, ist eine entsprechende Zuwiderhandlung festzustellen, wobei allerdings diese Feststellung in keinem Fall verbrauchsteuerliche Auswirkungen haben darf“ (KOM[2004] 227 endg.).


10 – Zumal sich ein Einzelner, der die Verbrauchsteuer im Erwerbsmitgliedstaat gemäß Art. 8 der Richtlinie entrichten und von dem man die Entrichtung einer Verbrauchsteuer im Verbrauchsmitgliedstaat verlangen würde, weil er unter den Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie fiele, nicht auf das Erstattungssystem des Art. 22 der Richtlinie für den Fall einer Doppelbesteuerung berufen könnte, da dieser die genannte Möglichkeit nur „auf Antrag eines Wirtschaftsbeteiligten in Ausübung seines Berufes“ vorsieht.


11 – Diese Ausnahme erscheint eindeutig, so dass das Rechtssprichwort gilt: „Interpretatio cessat in claris“ (Bei Eindeutigkeit endet die Auslegung).


12 – Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie: „wenn diese Waren … auf atypische Weise befördert worden sind“.


13 – Vgl. insbesondere Urteile vom 12. Dezember 1995, Oude Luttikhuis u. a. (C‑399/93, Slg. 1995, I‑4515, Randnr. 23), vom 18. Januar 2001, Kommission/Spanien (C‑83/99, Slg. 2001, I‑445, Randnr. 19), und vom 12. Dezember 2002, Belgien/Kommission (C‑5/01, Slg. 2002, I‑11991, Randnr. 56).


14 – Außerdem dürfte z. B. die Anmietung eines Tankwagens mit Fahrer durch eine Privatperson zur Beförderung des für den eigenen Bedarf erworbenen Heizöls unter die Definition der „typischen Beförderung“ fallen.


15 – Urteil vom 23. November 2006, Joustra (C‑5/05, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 28).

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