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Document 62002CC0434

Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed vom 7. September 2004.
Arnold André GmbH & Co. KG gegen Landrat des Kreises Herford.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Minden - Deutschland.
Richtlinie 2001/37/EG - Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen - Artikel 8 - Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch - Gültigkeit.
Rechtssache C-434/02.
The Queen, auf Antrag von Swedish Match AB und Swedish Match UK Ltd gegen Secretary of State for Health.
Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court) - Vereinigtes Königreich.
Richtlinie 2001/37/EG - Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen - Artikel 8- Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch - Gültigkeit - Auslegung der Artikel 28 EG bis 30 EG - Vereinbarkeit der nationalen Regelung, die das gleiche Verbot enthält.
Rechtssache C-210/03.

European Court Reports 2004 I-11825

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2004:487

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

L. A. GEELHOED

vom 7. September 2004(1)

Rechtssache C-434/02

Arnold André GmbH & Co. KG

gegen

Landrat des Kreises Herford

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Minden)

„Gültigkeit des Artikels 8 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen – Verbot des Inverkehrbringens von Tabak zum oralen Gebrauch – Beibehaltung des Verkaufs von ‚Snus‘ in Schweden gemäß Artikel 151 Absatz 1 der Beitrittsakte von 1994 (Anhang XV Kapitel X ‚Verschiedenes‘) – Verhältnismäßigkeit eines vollständigen Vermarktungsverbots (Auslegung der Artikel 28 EG und 95 EG)“

und

Rechtssache C-210/03

Swedish Match AB und

Swedish Match AB UK Ltd

gegen

Secretary of State for Health

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice of England and Wales, Queen's Bench Division [Administrative Court])

„Auslegung der Artikel 28 EG, 29 EG und 30 EG – Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift über das Verbot des Verkaufs von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch – Gültigkeit des Artikels 8 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen – Verbot des Verkaufs von Tabak zum oralen Gebrauch – Beibehaltung des Verkaufs von ‚Snus‘ in Schweden gemäß Artikel 151 Absatz 1 der Beitrittsakte von 1994“





I –    Einleitung

1.        In den beiden vorliegenden Rechtssachen geht es im Wesentlichen um die Gültigkeit des Artikels 8 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (im Folgenden: Richtlinie)(2). Die Rechtssache C‑434/02 ist auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Minden (Deutschland) und die Rechtssache C‑210/03 auf ein Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice (England & Wales) zurückzuführen.

2.        Nach Artikel 8 der Richtlinie verbieten die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen Gebrauch unbeschadet des Artikels 151 der Akte über den Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens. In Schweden darf „Snus“ weiterhin verkauft werden.

3.        Die vorliegenden Rechtssachen schließen an die Rechtssache C‑491/01 (British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco)(3) an, in der der Gerichtshof die Gültigkeit der Richtlinie im Allgemeinen geprüft hat. Diese Prüfung hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie beeinträchtigen könnte. Der Gerichtshof hat sich jedoch gemäß dem Ersuchen des vorlegenden Gerichts in dieser Rechtssache nicht speziell mit Artikel 8 der Richtlinie befasst.

4.        Artikel 8 der Richtlinie verbietet das Inverkehrbringen eines in der Europäischen Union nur sehr wenig gebrauchten, hauptsächlich in einem Mitgliedstaat (Schweden) verwendeten Tabakerzeugnisses, während die Vermarktung aller anderen, weiter verbreiteten Tabakerzeugnisse mit einer Reihe strikter Auflagen weiterhin erlaubt ist. Wie vor dem Gerichtshof vorgetragen worden ist und aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen hervorgeht, ist zudem der Genuss von Tabak zum oralen Gebrauch weniger gesundheitsschädlich als das Rauchen von Zigaretten oder Zigarren.

5.        Wichtig ist auch, dass das Verbot von Tabak zum oralen Gebrauch im Jahr 1992 als Teil eines zusammenhängenden Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung des Tabakkonsums eingeführt wurde. Dieses Verbot beruhte darauf, dass es sich hierbei um Erzeugnisse handelte, die auf dem Gemeinschaftsmarkt noch nicht bekannt waren und für Kinder und Jugendliche attraktiv sein konnten. Das Verbot wurde in der Richtlinie von 2001 bestätigt, obwohl in diesem Zusammenhang eine Reihe von Änderungen eingetreten waren. Erstens war Schweden mit einem herkömmlichen und weit verbreiteten Gebrauch von Snus der Europäischen Union beigetreten. Zweitens tendierte die Politik der Gemeinschaft bei rauchlosen Tabakerzeugnissen außer Tabak zum oralen Gebrauch im Gegensatz zur Politik bei Zigaretten zu mehr Flexibilität.

6.        In diesem Zusammenhang liegen dem Gerichtshof folgende Fragen vor:

–        Kann ein Totalverbot für die Vermarktung bestimmter Erzeugnisse auf Artikel 95 EG gestützt werden?

–        Lässt sich ein Verbot für Tabak zum oralen Gebrauch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbaren?

–        Inwieweit erfordert das Gemeinschaftsrecht eine Gleichbehandlung ähnlicher Erzeugnisse?

–        Entsprechen die Gemeinschaftsvorschriften der Verpflichtung zur Angabe der Verbotsgründe?

7.        In den vorliegenden Rechtssachen wurde ferner, vor allem von den Antragstellerinnen der Ausgangsverfahren, die Frage der Anwendbarkeit mehrerer anderer Rechtsgrundsätze aufgeworfen. Es handelt sich in erster Linie um die Grundrechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere das Eigentumsrecht und die freie Handels- oder Geschäftsausübung, und in zweiter Linie um die freie Wahl des Verbrauchers, dem das Recht abgesprochen werde, sich für weniger schädliche Tabakerzeugnisse zu entscheiden. Insoweit genügt die Verweisung auf die Rechtssache C‑491/01 und andere Urteile des Gerichtshofes über eine Beschränkung des freien Warenverkehrs. Ich werde in meinen Schlussanträgen somit nicht auf diese Punkte eingehen.

8.        Ein weiteres Argument der Antragstellerinnen bezieht sich unmittelbar auf den freien Warenverkehr und hängt damit zusammen, dass Snus in einem Mitgliedstaat rechtmäßig vermarktet werden darf. Die Tatsache, das Snus nur in Schweden rechtmäßig erworben werden kann, stellt nach Ansicht der Antragstellerinnen ein Hindernis für den Binnenmarkt dar. Da dieses Hindernis auf einem Vertrag beruht, nämlich dem Vertrag über den Beitritt Schwedens, ist es nicht Sache des Gerichtshofes, festzustellen, ob dieses Handelshemmnis aufgrund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

II – Rechtlicher Rahmen

9.        Das Verbot der Vermarktung von Tabak zum oralen Gebrauch beruht auf der Richtlinie 92/41/EWG des Rates vom 15. Mai 1992 (im Folgenden: Richtlinie von 1992) zur Änderung der Richtlinie 89/622/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen (im Folgenden: Richtlinie von 1989)(4).

10.      Nach Artikel 8a der Richtlinie von 1989 (eingefügt durch die Richtlinie von 1992) untersagen die Mitgliedstaaten den Verkauf von Tabaken zum oralen Gebrauch. „Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch“ sind gemäß Artikel 2 Nummer 4 „alle zum oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen, sei es in Form eines Pulvers oder eines feinkörnigen Granulats oder einer Kombination dieser Formen, insbesondere in Portionsbeuteln bzw. porösen Beuteln, oder in einer Form, die an ein Lebensmittel erinnert, mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind“. Diese Definition blieb in der Richtlinie von 2001 unverändert und umfasst Snus(5).

11.      Die Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 gehen bei dem Verbot von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch von folgenden Überlegungen im Zusammenhang mit den Gesundheitsrisiken der betreffenden Erzeugnisse aus:

–        Es ist erwiesen, dass Tabakerzeugnisse ohne Verbrennung einen erheblichen Krebsrisikofaktor darstellen.

–        Nach Auffassung der wissenschaftlichen Sachverständigen bedeutet die durch den Tabakkonsum verursachte Abhängigkeit eine Gefahr, auf die durch spezifische Warnhinweise auf allen Tabakerzeugnissen hinzuweisen ist.

–        Neuartige Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, die in einigen Mitgliedstaaten in Umlauf gebracht werden, wirken besonders anziehend auf Kinder und Jugendliche.

–        Es besteht ein ernstzunehmendes Risiko, dass die neuartigen Erzeugnisse zum oralen Gebrauch vor allem von Kindern und Jugendlichen verwendet werden und damit eine Nikotinabhängigkeit verursachen, falls nicht rechtzeitig einschränkende Maßnahmen getroffen werden.

–        Untersuchungen des Internationalen Krebsforschungszentrums haben ergeben, dass Tabake zum oralen Gebrauch besonders große Mengen von Krebserregern enthalten. Diese neuartigen Erzeugnisse verursachen vor allem Krebserkrankungen der Mundhöhle.

–        Die einzig geeignete Maßnahme ist ein Totalverbot. Dieses Verbot betrifft jedoch nicht die zum oralen Gebrauch bestimmten herkömmlichen Tabakerzeugnisse.

12.      Da Artikel 95 EG die Rechtsgrundlage der Richtlinie von 1992 darstellt, nehmen deren Begründungserwägungen auch auf den Binnenmarkt Bezug. Dabei wird insbesondere festgestellt, dass „das bereits von drei Mitgliedstaaten eingeführte Verbot der Vermarktung dieser Tabake unmittelbare Auswirkungen auf die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes [hat]“.

13.      Die (1992 geänderte) Richtlinie von 1989 wurde durch die Richtlinie 2001/37 aufgehoben und ersetzt. Wie bereits dargelegt, verbietet Artikel 8 der Richtlinie das Inverkehrbringen von Tabak zum oralen Gebrauch mit einer Ausnahme für Schweden. Die Begründungserwägungen der Richtlinie führen keine Gründe für dieses Verbot an, abgesehen von dem Hinweis, dass mit der Richtlinie 89/622 der Verkauf bestimmter Tabake für den oralen Gebrauch verboten wurde (mit einer Ausnahme für Schweden).

14.      In der Bundesrepublik Deutschland wird Artikel 8a der Richtlinie 89/622 durch § 5a der Verordnung über Tabakerzeugnisse (Tabakverordnung)(6) in nationales Recht umgesetzt; darin wird der gewerbliche Vertrieb zum oralen Gebrauch bestimmter Tabakerzeugnisse außer Rauch- und Kautabak verboten.

15.      Im Vereinigten Königreich findet sich das Verbot in den Tobacco for Oral Use (Safety) Regulations (Verordnung über Tabak zum oralen Gebrauch [Sicherheit]) 1992 (im Folgenden: Verordnung von 1992); danach ist es „verboten, Tabak zum oralen Gebrauch zu liefern, zum Zweck der Lieferung anzubieten, auszustellen oder zu besitzen oder eine derartige Lieferung zu vereinbaren“. Die Verordnung von 1992 beruht auf einer Befugnisübertragung innerstaatlichen Rechts aufgrund des Consumer Protection Act (Verbraucherschutzgesetz) 1987.

16.      Schließlich ist noch die Etikettierungsregelung für rauchlose Tabakerzeugnisse zu erwähnen, die nicht unter das Vermarktungsverbot fallen. Nach der Richtlinie von 1992 mussten Packungen von Tabakerzeugnissen, die nicht zum Rauchen bestimmt sind, den spezifischen Warnhinweis „Verursacht Krebs“ tragen. Die Richtlinie von 2001 lässt indessen eine mildere Warnung zu. Nach Artikel 5 Absatz 4 dieser Richtlinie „[tragen] Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch, soweit sie nach Artikel 8 vermarktet werden dürfen, und sonstige nicht zum Rauchen bestimmte Tabakerzeugnisse folgenden Warnhinweis: ‚Dieses Tabakerzeugnis kann Ihre Gesundheit schädigen und macht abhängig‘“. Die Präambel der Richtlinie von 2001 enthält keine Gründe für diese Änderung.

III – Sachverhalt und Verfahren

A –    Die Rechtssache C-434/02

17.      Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, die Arnold André GmbH & Co. KG, die ihren Sitz in Deutschland hat, vertreibt neben Zigarren und Pfeifentabak auch rauchlose Tabakprodukte, u. a. verschiedene Erzeugnisse mit der Produktbezeichnung „Snus“.

18.      Mit Bescheid vom 12. September 2002 untersagte der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens, der Landrat des Kreises Herford, der Antragstellerin das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit den Bezeichnungen „Röda Lacket-Snus“, „Ljunglöf’s Ettan-Snus“ und „General Snus“ des Importeurs Swedish Match. Zugleich ordnete er unter Androhung eines Zwangsgelds eine interne Rückrufaktion und den sofortigen Vollzug der Verfügung an. Die Antragstellerin legte hiergegen am 27. September 2002 Widerspruch ein.

19.      Mit Beschluss vom 14. November 2002, der am 29. November 2002 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Verwaltungsgericht Minden dem Gerichtshof eine Frage nach der Gültigkeit des Artikels 8 der Richtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.

B –    Die Rechtssache C-210/03

20.      Die erste Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, die Swedish Match AB, ist ein schwedisches Unternehmen, das als Snus bezeichnete Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch herstellt und vertreibt. Die zweite Antragstellerin, die Swedish Match AB UK Ltd, vertreibt Tabakerzeugnisse im Vereinigten Königreich im Groß- und Einzelhandel.

21.      Die Antragstellerinnen beantragten am 8. Mai 2002 gegen den Antragsgegner eine gerichtliche Nachprüfung unter Anfechtung der Rechtmäßigkeit des Verbotes von Snus und begehrten eine Vorabentscheidung gemäß Artikel 234 EG für eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit ihren Anfechtungsgründen.

22.      Der High Court (Queen’s Bench Division, Administrative Court) ließ die gerichtliche Nachprüfung nach einer mündlichen Verhandlung vom 15. und 16. Oktober 2002 zu, wonach die Parteien übereinkamen, um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Mit Beschluss vom 2. April 2003, der am 15. Mai 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der High Court dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zur Vorabentscheidung vorlegt. Diese Fragen betreffen im Wesentlichen die Auslegung der Artikel 28 EG und 30 EG, die Gültigkeit des Verbotes in Artikel 8 der Richtlinie von 2001 und die Folgen einer etwaigen Ungültigkeit der Verordnung von 1992.

C –    Die beiden Rechtssachen

23.      Am 8. Juni 2004 hat vor dem Gerichtshof eine gemeinsame mündliche Verhandlung für beide Rechtssachen stattgefunden. Hierbei sind Erklärungen abgegeben worden von den Antragstellerinnen beider Rechtssachen, dem Antragsgegner in der Rechtssache C‑434/02, der Regierung des Vereinigten Königreichs, der französischen, der irischen sowie der finnischen Regierung, dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission. Die belgische und die schwedische Regierung haben schriftliche Erklärungen abgegeben.

IV –  Erste Vorbemerkung: Das Urteil in der Rechtssache C‑491/01 gibt keine endgültige Antwort bezüglich der Gültigkeit des Artikels 8

24.      Der Gerichtshof hat im Urteil der Rechtssache C‑491/01 – nach Beurteilung der Richtlinie im Ganzen – festgestellt, dass seine Prüfung nichts ergeben habe, was die Gültigkeit der Richtlinie 2001/37 beeinträchtigen könnte.

25.      Die Kommission legt in ihren schriftlichen Erklärungen dar, durch die Richtlinie solle vermieden werden, dass der Gebrauch von Tabak auf nationaler Ebene unterschiedlichen Maßstäben unterliege. Mit dem Verbot von Snus tritt in Artikel 8 lediglich ein Aspekt der Erreichung dieses Zieles in Erscheinung. Man könnte darüber streiten, ob darin tatsächlich das wichtigste Anliegen der Richtlinie zu sehen ist, die ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Tabakkonsums vorsieht. Dies ist jedoch nicht sachdienlich im Hinblick auf die von der Kommission aufgeworfene Frage, ob der Gerichtshof mit seiner Gesamtbeurteilung der Richtlinie auch die Gültigkeit von Artikel 8 beurteilt hat.

26.      Wäre dies der Fall, so bestünde kein vernünftiger Grund, die Gültigkeit des Artikels 8 zu bezweifeln. Für die Beantwortung der Vorlagefragen würde eine Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C‑491/01 genügen.

27.      Dies wäre meines Erachtens jedoch nicht die richtige Vorgehensweise. Ich bestreite nicht, dass die Fragen in der Rechtssache C‑491/01 die Richtlinie im Allgemeinen betrafen, was auch auf die Antwort des Gerichtshofes zutrifft. Andererseits halte ich es für bedeutungsvoller, dass sich die in dieser Rechtssache vorgebrachten Argumente fast ausschließlich auf die Artikel 3, 5 und 7 der Richtlinie bezogen. Dies gilt auch für die Beurteilung durch den Gerichtshof, da sie sich fast ausschließlich auf die drei genannten Artikel erstreckt. Es ging dabei um die Maßnahmen für die Zusammensetzung und Etikettierung von Zigaretten, was meines Erachtens unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Bedeutung im Mittelpunkt der Richtlinie steht.

28.      Die Beurteilung durch den Gerichtshof erfasste nicht Artikel 8 der Richtlinie, der als spezifische Bestimmung im Hinblick auf das Verbot der Vermarktung eines speziellen Erzeugnisses zu betrachten ist. Die Gültigkeit des Artikels 8 kann meines Erachtens unabhängig von der Gültigkeit der übrigen Bestimmungen der Richtlinie beurteilt werden. Die Richtlinie enthält nach meiner Ansicht zwar ein zusammenhängendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Tabakkonsums, jede einzelne Maßnahme kann jedoch ihre Wirkung entfalten, ohne durch eine Ungültigerklärung der übrigen Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

29.      Kurz, das Urteil in der Rechtssache C‑491/01 sollte nicht dahin ausgelegt werden, dass es sich auf die Gültigkeit jedes einzelnen Aspekts der Richtlinie bezieht. Ich weise hierbei auf den genauen Wortlaut der Entscheidung des Gerichtshofes hin: „Die Prüfung der ersten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 2001/37/EG … beeinträchtigen könnte.“

V –     Zweite Vorbemerkung: Artikel 2 Absatz 4 bestimmt, welche Erzeugnisse verboten sind

30.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof hat insbesondere die Antragstellerin in der Rechtssache C‑434/02 Zweifel bezüglich einer genauen Abgrenzung der verbotenen Erzeugnisse geäußert. Ihre Zweifel beruhen

–        auf den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992, in denen es heiße, dass das Verbot nicht die zum oralen Gebrauch bestimmten herkömmlichen Tabakerzeugnisse betreffe,

–        darauf, dass es keinen Unterschied gebe zwischen Kautabak und Lutschtabak,

–        auf einer behaupteten Unstimmigkeit zwischen der deutschen und der englischen Fassung.

31.      Zu den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 ist festzustellen, dass der betreffende Text, wie bereits erwähnt, nicht in der Richtlinie von 2001 wiedergegeben wird. In Ermangelung geeigneter Gründe für die Richtlinie von 2001 gehe ich indessen davon aus, dass die Erwägungen, die zum Präambeltext der Richtlinie von 1992 geführt haben, noch gültig sind; ich halte sie jedoch andererseits für irrelevant. Die Definition eines Erzeugnisses ergibt sich nämlich nicht aus einer Präambel, sondern aus einer Rechtsvorschrift. Die betreffenden Rechtsvorschriften (Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie von 1992 und Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie von 2001) unterscheiden nicht zwischen herkömmlichen und nicht herkömmlichen Erzeugnissen, sondern je nach Gebrauchsbestimmung.

32.      Ich werde später auf die Erklärungen eingehen, die dem Gerichtshof über den Unterschied im tatsächlichen Gebrauch von Kau- und Lutschtabak vorgelegt wurden. Wie bereits ausgeführt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Kautabak oft nicht gekaut, sondern gelutscht wird. Dies ist jedoch nicht von wesentlicher Bedeutung für die Bestimmung des Verbotsbereichs. Die Richtlinie unterscheidet nach dem beabsichtigten und nicht nach dem tatsächlichen Gebrauch.

33.      Was schließlich den behaupteten Unterschied zwischen der englischen und der deutschen Fassung anbelangt, so ist eine Unstimmigkeit zwischen den beiden Texten nicht ersichtlich. In der deutschen Fassung heißt es „die zum Kauen bestimmt sind“, in der englischen Fassung „which are intended to be chewed“.

34.      Somit stelle ich fest, das Artikel 2 Absatz 4 den Verbotsbereich bestimmt und dass der Text genügend klar ist.

VI –  Sachzusammenhang: Wissenswertes über Snus

A –     Allgemeines

35.      Die Beurteilung der rechtlichen Aspekte der vorliegenden Rechtssachen setzt einige Sachkenntnisse voraus. Was ist Snus? Wer gebraucht es? Wie wirkt sich Snus auf die öffentliche Gesundheit aus? Die Bedeutung dieser Sachfragen ergibt sich bereits aus der Anzahl und dem Umfang der Unterlagen, die dem Gerichtshof hierzu vorgelegt wurden. Diese Unterlagen sind als Grundlage für die widersprüchlichen Standpunkte anzusehen, die im vorliegenden Fall vertreten werden. Sie sollen entweder beweisen, dass das Verbot von Snus gesundheitsfördernd ist oder dass es gesundheitsschädlich ist.

B –    Was ist Snus, wie wird es gebraucht, und wer gebraucht es?

36.      Der Vorlagebeschluss in der Rechtssache C-210/03 beschreibt die Zusammensetzung und Aufmachung von Snus wie folgt: „Es gibt verschiedene Arten von Tabakerzeugnissen. Sie werden üblicherweise unterteilt in ‚Rauchtabak‘ und ‚rauchlosen Tabak‘ (einschließlich Snus). Der Begriff ‚rauchloser Tabak‘ umfasst Schnupftabak, Mundtabak, ‚Kautabak‘ und viele andere Erzeugnisse. Alle diese Produkte bestehen aus fein gemahlenen und geschnittenen Tabakblättern mit zugesetzten Geschmacksstoffen. Sie sind in dieser Hinsicht weitgehend identisch. Unterschiede zwischen den Erzeugnissen ergeben sich indessen aus der Art des verwendeten Tabaks, seiner Aufbereitung und den zugesetzten Geschmacksstoffen, was sich erheblich auf den Gehalt an tabakspezifischen Nitrosaminen und Benzopyrenen auswirkt, die beide als krebserregend gelten. Snus wird im Vergleich zu zahlreichen zugelassenen rauchlosen Tabakerzeugnissen ein sehr geringer Nitrosamin- und Benzopyrengehalt zuerkannt.

37.      Nach dem Gemeinschaftsrecht ist Snus eine spezifische Art von „Tabak zum oralen Gebrauch“. „Tabak zum oralen Gebrauch“ ist im Wesentlichen der gleiche Stoff wie „Kau“‑Tabak, außer dass er nicht zu Klumpen gepresst wird und eine andere Tabakpartikelgröße aufweist. Außerdem enthält „Tabak zum oralen Gebrauch“ mehr Wasser.

38.      Im Gegensatz zum Vorlagebeschluss in der Rechtssache C‑210/03 ist vor dem Gerichtshof betont worden – die Antragstellerinnen haben dies nicht widerlegt –, dass der Nitrosamingehalt in Snus verhältnismäßig hoch sei. Nitrosamine sind eine krebserregende Substanz. Überdies ist vor dem Gerichtshof ausgeführt worden, dass der Nikotingehalt ebenfalls ziemlich hoch sei. Der Rat bemerkt z. B., dass 1g Snus 8‑10 mg Nikotin enthalte. Nikotin ist giftig, insbesondere bei Berührung mit der Haut, und macht abhängig.

39.      Mein zweiter Punkt betrifft den Gebrauch von Snus. Die Antragstellerinnen haben vor dem Gerichtshof erklärt, Snus sei mit „Kautabakerzeugnissen“ vergleichbar, die nicht unter das Verbot des Artikels 8 der Richtlinie von 2001 fielen. Die betreffenden Erzeugnisse bestehen häufig aus fein geschnittenem Tabak, der zu Klumpen gepresst wird, die in den Mund, genauer gesagt, in die Mundhöhle zwischen Zahnfleisch und Oberlippe, geschoben werden. Viele unter der Bezeichnung „Kautabak“ verkaufte Erzeugnisse sind, wie behauptet wird, gar nicht zum Kauen bestimmt, und einige können überhaupt nicht gekaut werden. Bei einigen „Kau“‑Tabakerzeugnissen wird der Verbraucher darauf hingewiesen, dass sie „nicht gekaut“ werden sollen. Der Tabak wird entweder zwischen Zahnfleisch und Oberlippe gehalten oder einfach im Mund hin und her bewegt. Auch Kautabakprodukte in loserer Form werden in dieser Weise konsumiert.

40.      Der Unterschied im Gebrauch von Snus und Kautabak ist vor dem Gerichtshof ausführlich erörtert worden. Hierbei ging es im Wesentlichen um die Erklärung der Antragstellerinnen, dass als Kautabak verkaufte Erzeugnisse nicht gekaut würden und gegebenenfalls gar nicht zum kauen bestimmt seien. Diese Erörterung ist meines Erachtens in Anbetracht der Produktdefinition in der Richtlinie von 2001 nur von begrenzter Bedeutung für die Entscheidung in den vorliegenden Rechtssachen. Maßgebend ist, ob ein Tabakerzeugnis zum Kauen bestimmt ist. Ist ein rauchloses Tabakprodukt als „Kautabak“ gekennzeichnet, jedoch zugleich offensichtlich nicht zum Kauen bestimmt, so fällt es in den Verbotsbereich des Artikels 8 der Richtlinie von 2001. Ist es hingegen zum Kauen bestimmt, so ist es nach Maßgabe der Richtlinie ein anderes Erzeugnis, das rechtmäßig vermarktet werden kann.

41.      Drittens erhebt sich die Frage nach den Konsumenten von Snus. Innerhalb der EG wird Snus wohl nur in Schweden vermarktet. Ungefähr 20 % der männlichen Bevölkerung in Schweden gebraucht Snus regelmäßig. Frauen verwendeten Snus ursprünglich nicht häufig, konsumierten es in den letzten Jahren jedoch in zunehmendem Maße. Um Snus für Frauen attraktiver zu machen, wurde es in kleine „Teebeutel“ verpackt, um seinen Gebrauch sauberer zu machen. Die Kommission hat Angaben über das Durchschnittsalter der Konsumenten und deren (frühere) Rauchergewohnheiten geliefert. Mundtabak wurde 1976 von 10 % der schwedischen Männer zwischen 18 und 24 Jahren konsumiert, während für 1986 eine Zunahme auf 37 % bei den 16‑ bis 24‑Jährigen zu verzeichnen ist.

42.      Der wichtigste relevante Faktor des Gebrauchs von Snus ist darin zu sehen, dass Snus – in Schweden – in der Bevölkerung weit verbreitet und für Kinder und Jugendliche attraktiv ist. Es gilt, wie das Europäische Parlament in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, als „cool“. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich von anderen Schnupf- und Tabakprodukten, da diese – nach den Ausführungen der Kommission, die nicht widerlegt wurden – „praktisch keinen Markt außerhalb bestimmter gesellschaftlicher und beruflicher Gruppen (Seeleute, Bergleute und Teile der Armee) und Gegenden haben“. Dieser Markt ging überdies im Laufe des 20. Jahrhunderts ständig zurück.

43.      Somit lässt sich Snus unter dem Gesichtspunkt seiner Bestandteile und Aufmachung sowie der Gebrauchsweise mit anderen rauchlosen Tabakerzeugnissen vergleichen. Der wichtigste Unterschied betrifft die Konsumentenkreise.

C –    Wie gefährlich ist Snus?

44.      Dies ist eine Frage, in der unterschiedliche Standpunkte vertreten werden. Meines Erachtens sind drei Dinge zu unterscheiden:

–        die gesundheitlichen Folgen als solche mit der Frage, ob der Gebrauch von Snus schwere Erkrankungen wie Krebs verursacht;

–        ein Vergleich mit den Gesundheitsrisiken anderer Konsumarten, insbesondere des Rauchens und des Gebrauchs von Kautabak als rauchloses Tabakerzeugnis, das nicht verboten ist;

–        die Frage, ob Snus als Substitutionsmittel oder Einstiegsfaktor anzusehen ist. Ermutigt also die Verfügbarkeit von Snus dazu, das Rauchen aufzugeben? Besteht kein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Snus und den Rauchergewohnheiten, oder – schlimmer – zieht Snus vor allem Heranwachsende an, die nicht rauchen, und setzt es bei ihnen die Schwelle zum Nikotinkonsum und die Abhängigkeit herab?

45.      Ich befasse mich zunächst mit den Gesundheitsfolgen als solchen. In den Unterlagen, die dem Gerichtshof vorliegen, werden verschiedene Erkrankungen in Verbindung mit dem Gebrauch von Snus erwähnt. Snus wird insbesondere mit Mundkrebs in Zusammenhang gebracht. Nach der Begründung des Gemeinschaftsgesetzgebers führte u. a. dieser Zusammenhang zum Verbot von Snus. Die Präambel der Richtlinie von 1992 nimmt auf Untersuchungen des Internationalen Krebsforschungszentrums (IARC) Bezug.

46.      Die Antragstellerinnen halten diese Untersuchungen für unzutreffend, da sie hauptsächlich Erzeugnisse aus den USA und Asien zum Gegenstand gehabt hätten. Der IARC‑Bericht stütze sich vor allem auf Untersuchungen über „trockenen“ rauchlosen Tabak, der wegen der Unterschiede hinsichtlich der Gebrauchsmuster und der Produkteigenschaften, die sich in erster Linie aus der Trocknungsmethode ergäben, nicht mit Snus vergleichbar sei. Der IARC‑Bericht habe die Wirkung von Snus nicht erfasst, da es damals keine umfassenden Untersuchungen über einen etwaigen Zusammenhang zwischen Snus und Mundkrebs gegeben habe. Neuere Berichte verneinten im Gegenteil eine Verbindung zwischen dem Konsum von Snus und Mundkrebs.

47.      Diese Auffassung der Antragstellerinnen wird von den anderen Beteiligten, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, nicht geteilt, und sie hat auch in der mündlichen Verhandlung keine Unterstützung gefunden. Kurz gesagt, die Berichte, auf die sich die Antragstellerinnen beziehen, sollten letztlich ausgewogener betrachtet werden; sie enthalten nämlich durchaus Feststellungen, aus denen ein erhöhtes Mundkrebsrisiko durch intensiven Gebrauch von Snus hervorgeht. Zudem weist die Kommission auf eine jüngere Untersuchung der Universität Uppsala hin(7) wonach Mundkrebs bei dort behandelten Patienten durch Snus verursacht wurde. Ferner sind dem Gerichtshof Unterlagen vorgelegt worden, die zeigen, dass Konsumenten rauchloser Tabakerzeugnisse u. a. einem höheren Risiko unterliegen, an Herz‑Kreislauf‑Erkrankungen zu sterben, als Personen, die solche Produkte nicht konsumieren. Im Übrigen behauptet niemand ausdrücklich, dass Snus unschädlich sei. Sein Nikotingehalt ist recht hoch. Dadurch macht es abhängig.

48.      Der zweite Aspekt betrifft einen Vergleich mit den Gesundheitsrisiken anderer Tabakerzeugnisse, die nicht verboten sind. Die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens steht außer Zweifel. Die Antragstellerinnen erklären, alle verfügbaren Daten ließen klar erkennen, dass Zigaretten wesentlich schädlicher seien als Snus. Sie berufen sich auf Schätzungen, wonach Zigaretten hundertmal gefährlicher seien als Snus und skandinavischer rauchloser Tabak 90 % bis 99 % weniger gefährlich sei als das Rauchen von Zigaretten. Sie erwähnen ferner einen unlängst veröffentlichten Bericht des Tabakbeirats des Royal College of Physicians of London (2002), aus dem hervorgehe, dass rauchloser Tabak „in der Regel zehn- bis hundertmal weniger gefährlich ist als das Rauchen“. Obgleich sich die Genauigkeit dieser Werte bezweifeln lässt, kann die Aussage als solche, nämlich dass Zigaretten viel schädlicher sind als Snus, als richtig angesehen werden. Nach einer von den Antragstellerinnen in der Rechtssache C‑210/03 herangezogenen wissenschaftlichen Untersuchung ist „Snuff ein Minimonster im Vergleich zu Zigaretten“.

49.      Zusammenfassend ist unter den beiden vorgenannten Aspekten erkennbar, dass Snus ein Erzeugnis darstellt, das als solches für den Konsumenten gesundheitsschädlich ist, das jedoch weitaus ungefährlicher ist als Zigaretten.

50.      Somit komme ich zum dritten Aspekt. Um festzustellen, ob ein Verbot von Snus als angemessener Gesundheitsbeitrag angesehen werden kann, ist ein genauerer Blick auf den Zusammenhang zwischen Snus‑Konsum und Zigarettenrauchen erforderlich. Ist Snus also – wie vorstehend bereits gefragt wurde – als Substitutionsmittel für das Rauchen oder als Einstiegsfaktor zu betrachten?

51.      Man könnte argumentieren, dass Snus hauptsächlich als Substitutionsmittel für das Rauchen dient. Da es nicht leicht fällt, das Rauchen aufzugeben – wie viele aus eigener Erfahrung wissen –, könnten Abhängige entwöhnt werden, wenn der Markt eine reizvolle Alternative bereithielte. In dieser Hinsicht könnte der Nikotingehalt im Snus sogar gesundheitsfördernd sein. Die Antragstellerinnen argumentieren entsprechend. Sie haben dem Gerichtshof Zahlen vorgelegt, die zeigen sollen, dass Schweden mit seiner weiten Verbreitung des Snus‑Konsums bei Männern im internationalen Vergleich eine niedrige tabakbedingte Erkrankungsrate bei Männern aufweist. Sie betonen ferner, dass der Raucherprozentsatz in Schweden im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten äußerst niedrig sei, was mit der schwedischen Gewohnheit des Snus‑Konsums unmittelbar zusammenhänge. Dies ist jedoch zweifelhaft, da, wie die finnische Regierung ausführt, die Raucherzahlen in Finnland verhältnismäßig niedrig sind, obwohl der Gebrauch von Snus oder eine ähnliche Alternative nicht weit verbreitet ist.

52.      Die gegenteilige Auffassung beruht darauf, dass der Substitutionseffekt keine wesentliche Rolle spiele. Nach dieser Ansicht hält der Snus‑Konsum nicht vom Rauchen ab, und – schlimmer noch – die Verfügbarkeit von Snus zieht (junge) Leute an, die sich andernfalls nicht dem Tabak zuwenden würden. Demnach würde Snus die Schwelle zum Tabakkonsum senken. Die Kommission führt in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass Snus den Einstieg in das Rauchen erleichtere.

53.      Beide Standpunkte sind in den vorliegenden Rechtssachen vor dem Gerichtshof vertreten worden. Die Antragstellerinnen in beiden Rechtssachen und die schwedische Regierung vertreten die erstgenannte, die übrigen verfahrensbeteiligten Regierungen und die Gemeinschaftsorgane die letztgenannte Auffassung. Meines Erachtens lassen sich beide Standpunkte gleichzeitig vertreten. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Snus kann als Substitutionsmittel für das Rauchen betrachtet werden, sofern es hilft, das Rauchen aufzugeben, und andererseits zieht es Heranwachsende an, die (noch) nicht rauchen und nicht beabsichtigen, das Rauchen aufzunehmen. Beide Standpunkte werden zudem dadurch untermauert, dass Snus im Gegensatz zu herkömmlichem Kautabak als attraktives Produkt für junge Konsumenten vermarktet wird.

54.      Es ist nicht leicht, die vorherrschende Wirkung festzustellen. Wenn Heranwachsende von Snus angezogen werden und das Rauchen unterlassen, so bedeutet dies insbesondere nicht, dass sie andernfalls – wenn also Snus nicht vermarktet würde – mit dem Rauchen beginnen würden. Die Erfahrungen in Schweden lassen einige Rückschlüsse zu, die jedoch nicht eindeutig sind, wie die Angaben über das Zigarettenrauchen in Schweden und Finnland gezeigt haben.

VII – Die Tabakpolitik der Europäischen Union (und der Mitgliedstaaten)

55.      Die Politik zur Eindämmung des Tabakkonsums beruht, wie der Rat wiederholt betont hat(8), auf einer Gesamtstrategie der wirksamen Bekämpfung aller Arten des Tabakkonsums durch verschiedene umfassende Maßnahmen. Die Aktionen der Europäischen Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten sollen einander ergänzen.

56.      Das Hauptgewicht der Tabakpolitik liegt natürlich auf dem Rauchen und nicht auf rauchlosem Tabak. Die Tabakpolitik richtet sich also in erster Linie gegen das Rauchen. Die Maßnahmen gegen das Rauchen wurden im Laufe der Jahre immer einschneidender. Diese Tendenz beruht auf der zunehmenden Kenntnis von den schädlichen Folgen des Rauchens, aber auch auf einer veränderten Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem Rauchen und den Rauchern.

57.      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-491/01, British American Tobacco(9), habe ich dargelegt, dass die Regierungspolitik zur Zeit auf zwei Pfeilern ruht. Der erste Pfeiler sind Maßnahmen, die darauf abzielen, das Rauchen möglichst unattraktiv zu machen, insbesondere für junge Menschen; der zweite Pfeiler sind Maßnahmen, um die schädlichen Folgen des Rauchens möglichst zu begrenzen.

58.      Was den ersten Pfeiler anbelangt, so wird der Abschreckungseffekt in erster Linie in Artikel 5 der Richtlinie 2001 mit Etikettierungsvorschriften für Rauchtabak angestrebt. Packungen mit Tabakerzeugnissen müssen bekanntlich ernsthafte Warnhinweise tragen. Ferner begrenzt die Richtlinie 2003/33(10) die Werbung für Tabakerzeugnisse und deren Verkaufsförderung. Artikel 3 der Richtlinie von 2001 ist ein Beispiel für den zweiten Pfeiler der Gemeinschaftspolitik; darin werden Höchstwerte für den Teer‑, Nikotin‑ und Kohlenmonoxidgehalt festgelegt.

59.      Der Politik der Gemeinschaft zur Eindämmung des Rauchens sind Grenzen gesetzt, da sie den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie den Bedingungen unterliegt, die der Gerichtshof im Urteil über die Tabakwerbung(11) festgelegt hat. Neben der Gemeinschaftspolitik haben die Mitgliedstaaten zudem ihre eigene Politik entwickelt und u. a. Beschränkungen für den Verkauf von Tabakerzeugnissen eingeführt und die Raucherzonen begrenzt.

60.      Bemerkenswert ist, dass die Gemeinschaft ebenso wie die Mitgliedstaaten zunehmend strengere Maßnahmen gegen den Tabakkonsum ergreift. Die denkbar restriktivste Maßnahme – ein Totalverbot für Tabakerzeugnisse – wird jedoch nicht erwogen. Wie die Kommission ausführt, könnten die mit dem Rauchen verbundenen Gefahren eine derartige Maßnahme durchaus rechtfertigen, sie wäre indessen aus praktischen sowie steuerlichen und politischen Gründen nicht durchführbar. Ich möchte es anders formulieren: Ein Totalverbot wäre noch nicht durchführbar. Dies könnte sich in den kommenden Jahren allerdings ändern, wenn man die sich weiter entwickelnde Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem Rauchen und den Rauchern in Betracht zieht.

61.      Kurz gesagt, die Kommission führt also zweierlei Gründe an, weshalb der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht so handelt, wie er eigentlich handeln müsste, wenn nur dem Gesundheitsschutz der Tabakkonsumenten (und der Gesundheit der „Passiv“‑Raucher) Rechnung getragen würde.

62.      Die angeführten praktischen Gründe sind klar. Ein Totalverbot für Tabak würde zu unvernünftigen Durchsetzungskosten führen und gleichwohl keinen Verzicht auf das Rauchen bewirken. Es entstünde ein illegaler Markt.

63.      Im Zusammenhang mit den vorliegenden Rechtssachen erscheinen mir die mit dem zweiten Grund verbundenen Gesichtspunkte (steuerlicher und politischer Art) bedeutungsvoller. Die Tabakpolitik der Regierungen war bekanntlich schon immer bis zu einem gewissen Grad mehrdeutig. Die Abgaben auf Tabakerzeugnisse tragen zum öffentlichen Haushalt und die Herstellung und der Vertrieb von Tabakprodukten zur Beschäftigung bei. Solche Überlegungen spielen natürlich eine wesentlich geringere Rolle, wenn es sich um Erzeugnisse handelt, die wirtschaftlich nicht von großer Bedeutung sind. In derartigen Fällen braucht der Gesetzgeber nicht auf die hohen volkswirtschaftlichen Kosten einer folgenschweren politischen Option wie eines Totalverbots der betreffenden Erzeugnisse zu achten. Er kann auf eine heikle Kosten‑Nutzen‑Untersuchung verzichten und sich auf die Bewertung der Auswirkungen der beabsichtigten Maßnahme auf die Gesundheit beschränken, natürlich innerhalb der Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

VIII – Würdigung: Kann sich ein Totalverbot bestimmter Erzeugnisse auf Artikel 95 EG stützen?

A –    Kompetenzbereich der Gemeinschaft nach Artikel 95 EG

64.      Artikel 95 EG ist die allgemeine rechtliche Grundlage für Maßnahmen zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes. Wie der Gerichtshof festgestellt hat, überträgt Artikel 95 EG dem Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Befugnis zur Regelung des Binnenmarktes. Zudem muss eine nach Artikel 95 EG getroffene Maßnahme wirklich eine Verbesserung der Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Nach dem Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C‑491/01 muss die Maßnahme tatsächlich „zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Waren‑ oder Dienstleistungsverkehr oder aber von Wettbewerbsverzerrungen beitragen. [Es] kann zwar Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, doch muss das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken …“(12)

65.      Aus diesen Erwägungen ergeben sich im Wesentlichen zwei Voraussetzungen. Es müssen Hemmnisse des freien Verkehrs vorliegen (oder zumindest ernsthaft zu entstehen drohen), und die Gemeinschaftsmaßnahmen müssen zur Beseitigung dieser Hemmnisse beitragen. Bei genauerer Betrachtung dieser beiden Erfordernisse wird eine Parallele zu den Kriterien ersichtlich, die der Gerichtshof heranzieht, wenn er eine den Mitgliedstaaten nach den Artikeln 28 EG und 30 EG zustehende Befugnis beurteilt, den freien Warenverkehr zu verbieten oder zu beschränken (das Gleiche gilt für die Artikel 52 EG und 59 EG in Bezug auf Dienstleistungen). Die Maßnahmen müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten(13). Die Zuständigkeit nach Artikel 95 EG muss indessen durch Mängel im Binnenmarkt selbst gerechtfertigt sein.

66.      Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, dass die erste Voraussetzung gegeben ist, da offensichtlich die ernsthafte Gefahr einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften besteht. Wie aus den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 hervorgeht, hatten nämlich bereits drei Mitgliedstaaten(14) ein Vermarktungsverbot für die betreffenden Tabakerzeugnisse erlassen. Wäre das Verbot mit Erlass der Richtlinie 2001 auf Gemeinschaftsebene aufgehoben worden, so hätten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls ihrerseits Snus verboten, jedoch hätte keine Gewähr dafür bestanden, dass die Mitgliedstaaten ihre autonomen Befugnisse in einer koordinierten Weise ausüben würden.

67.      Ich gehe nun unter dem Gesichtspunkt des Vermarktungsverbots für bestimmte Erzeugnisse nach Artikel 95 EG zur zweiten Voraussetzung über. Hierbei werde ich Folgendes erörtern:

–        die legislative Praxis,

–        die Grenzen nach dem Urteil über die Tabakwerbung,

–        das Verbot von Erzeugnissen,

–        die Rechtmäßigkeit des Artikels 8 der Richtlinie von 2001.

B –    Die legislative Praxis der Gemeinschaft

68.      Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat selten ein Totalverbot für die Vermarktung eines Erzeugnisses verhängt. Die französische Regierung führt in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen drei Beispiele an. Sie erwähnt erstens die Richtlinie 76/768 über kosmetische Mittel(15). Diese Richtlinie verbietet das Inverkehrbringen kosmetischer Mittel, wenn sie bestimmte Substanzen oder Farbstoffe enthalten. Sie verbietet nicht allgemein die Vermarktung bestimmter Arten kosmetischer Erzeugnisse, z. B. derjenigen, die in bestimmter Weise verwendet werden sollen. Sie sieht aber eine Anpassung der Anforderungen anhand des technischen Fortschritts vor. Dies könnte zur Folge haben, dass Erzeugnisse vom Markt genommen werden müssen. Ein System ähnlicher Wirkung für den Warenvertrieb ergibt sich aus der Richtlinie 76/769 über gewisse gefährliche Stoffe und Zubereitungen(16).

69.      Als drittes Beispiel erwähnt die französische Regierung die Richtlinie 2001/83 über Humanarzneimittel(17). Diese Richtlinie betrifft hauptsächlich die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Arzneimittel in Verkehr gebracht werden darf. Arzneimittel dürfen in den Mitgliedstaaten nämlich nur in Verkehr gebracht werden, wenn eine entsprechende Genehmigung vorliegt. Diese Genehmigung kann nur nach einer Prüfung verschiedener Aspekte des Arzneimittels erteilt werden.

70.      Die von der französischen Regierung angeführten Richtlinien betreffen u. a. die Zusammensetzung des Erzeugnisses. Sie führen bei bestimmten Erzeugnissen (gegebenenfalls) zum Vermarktungsverbot, wenn diese unerlaubte Stoffe enthalten. Obwohl keine der genannten Bestimmungen ausdrücklich eine spezifische Gruppe von Erzeugnissen verbietet, sind alle im Ergebnis mit Artikel 8 der Richtlinie von 2001 vergleichbar. Sie verhindern die rechtmäßige Vermarktung von Erzeugnisgruppen, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.

71.      Es ist bemerkenswert, dass ein ausdrückliches Verbot der Vermarktung bestimmter Erzeugnisse selbst in unter Artikel 95 EG fallenden spezifischen Produktregelungen für gefährliche Gegenstände wie Suchtstoffe und psychotrope Stoffe(18) oder Explosivstoffe für zivile Zwecke(19) nicht zu finden ist. Bei Feuerwaffen müssen die Mitgliedstaaten indessen nach einer nur auf Artikel 95 EG gestützten Richtlinie(20) alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen und Munitionsarten einer bestimmten Kategorie zu verbieten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber bezieht sich bei der Anwendung von Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage auf die vollständige Abschaffung der Kontrollen und Formalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen als grundsätzliche Bedingung für die Errichtung eines Binnenmarktes(21).

C –    Die Grenzen nach dem Urteil „Tabakwerbung“

72.      Der Gerichtshof hat im Urteil „Tabakwerbung“(22) ausgeführt, dass Artikel 95 EG dem Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes verleihe. Eine allgemeine Kompetenz widerspräche nicht nur dem Wortlaut des Artikels 95, sondern wäre auch unvereinbar mit dem in Artikel 5 Absatz 1 EG niedergelegten Grundsatz. Nach Randnummer 95 dieses Urteils ist zu prüfen, ob eine Bestimmung tatsächlich zur Beseitigung von Hemmnissen des freien Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit sowie von Wettbewerbsverzerrungen beiträgt. Der Gerichtshof hat ferner ausgeführt, dass ein Verbot von Werbung auf Plakaten, Sonnenschirmen, Aschenbechern und sonstigen in Hotels, Restaurants und Cafés verwendeten Gegenständen sowie ein Verbot von Werbespots im Kino keineswegs den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen fördern könnten(23).

73.      Es ist zu bedenken, dass der Gerichtshof Artikel 95 EG als Bestimmung betrachtet, die – so möchte ich es formulieren – eine funktionelle Zuständigkeit verleiht. Wichtig ist nicht, ob das Ziel einer Maßnahme letztlich darin liegt, den Handel zu fördern; es kommt vielmehr darauf an, ob eine Maßnahme geeignet ist, den Handel zu fördern. Das vorherrschende politische Ziel kann durchaus im Schutz der öffentlichen Gesundheit bestehen.

74.      Der Gerichtshof zeigt einige Grundelemente dieser funktionellen Zuständigkeit auf: 1. Die betreffenden Bestimmungen müssen eine Verbesserung der Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben, 2. sie müssen zur Beseitigung von Hemmnissen beitragen, 3. Wettbewerbsverzerrungen müssen beseitigt werden, und 4. die Bestimmungen müssen den Handel fördern.

D –    Das Verbot von Erzeugnissen

75.      Der Binnenmarkt umfasst nach Artikel 14 Absatz 2 EG einen Raum ohne Binnengrenzen. Für das Funktionieren dieses Marktes ist es wesentlich, dass die Bedingungen für die Vermarktung der Erzeugnisse in den verschiedenen Mitgliedstaaten gleich sind. Binnengrenzen können nur fallen, wenn diese Gleichheit erreicht ist.

76.      Aus diesem fundamentalen Grund ist der Gemeinschaftsgesetzgeber für die Harmonisierung divergierender Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zuständig. Die Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers ist jedoch noch umfassender. Er hat nicht nur die Voraussetzungen für einen Binnenwarenmarkt zu schaffen, sondern auch zu gewährleisten, dass die auf diesen Markt gebrachten Erzeugnisse nicht andere Allgemeininteressen wie Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz verletzen. Diese Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers geht aus Artikel 95 Absatz 3 EG hervor, der von einem hohen Schutzniveau ausgeht.

77.      Wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten die Vermarktung bestimmter Erzeugnisse aus Gründen der öffentlichen Gesundheit verbieten, während andere Mitgliedstaaten den Vertrieb dieser Erzeugnisse erlauben, entstehen Binnengrenzen, durch die das Funktionieren des Binnenmarktes gestört wird. Eine Maßnahme des Gemeinschaftsgesetzgebers zur Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften kann zur Beseitigung von Hemmnissen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft führen. Angesichts unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften liegt es im Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers, zu entscheiden, ob Beschränkungen für die Zusammensetzung bestimmter Erzeugnisse oder Vorschriften für ein Totalverbot der Vermarktung derartiger Erzeugnisse vorzusehen sind. Kann ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes, wie es auch nach Artikel 153 Absatz 1 EG erforderlich ist, nur durch ein Totalverbot gewährleistet werden, so ist der Gemeinschaftsgesetzgeber definitiv verpflichtet, diese Option zu wählen.

78.      Es kann natürlich eingewandt werden, dass ein Vertriebsverbot für ein Erzeugnis als solches nicht die Bedingungen für dessen Vermarktung verbessern kann. Das Erzeugnis wird nämlich vom Markt ausgeschlossen. Die Antragstellerinnen haben in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, es sei fraglich, ob ein derartiges Totalverbot überhaupt zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes beitragen könne. Ein derartiges Verbot könne kaum als Beseitigung von Hemmnissen bei der Vermarktung der betreffenden Erzeugnisse angesehen werden, da es die Existenz eines Marktes unmöglich mache. Es verhindere also die Entstehung eines rechtmäßigen Marktes, wodurch eine Handelsschranke geschaffen werde. Die Antragstellerinnen scheinen auch das Urteil „Tabakwerbung“ des Gerichtshofes(24) in diesem Sinne auszulegen, wenn sie vorbringen, dass ein absolutes Werbeverbot für bestimmte Erzeugnisse keinesfalls als Förderung des Handels mit diesen Erzeugnissen angesehen werden könne.

79.      Dieser Einwand wird indessen nicht der eigentlichen Bedeutung des Artikels 95 EG gerecht. Zwar haben die Gemeinschaftsmaßnahmen die Bedingungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern und den Handel zu fördern, dies muss jedoch nicht auf jedes einzelne Erzeugnis zutreffen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann, wie bereits dargelegt, die Vermarktung eines Erzeugnisses verbieten. Somit können derartige Waren im Gemeinschaftsgebiet nicht rechtmäßig in Verkehr gebracht werden. Dies verringert die Durchsetzungskosten und kann sogar die Kosten für die Durchsetzung von Regelungen für ähnliche Produkte verringern. Wenn also Snus nicht auf den Markt der Europäischen Union gelangt, können die Anstrengungen für eine Kontrolle des Vertriebs anderer rauchloser Tabakerzeugnisse reduziert werden. In dieser Hinsicht lässt sich sagen, dass Artikel 8 der Richtlinie von 2001 bei anderen Erzeugnissen zur Beseitigung von Handelshemmnissen beiträgt.

80.      Zusammenfassend gesagt, ist das wichtigste Ziel der Binnenmarktbestimmungen des Vertrages darin zu sehen, dass ein einheitlicher Markt entsteht, der nicht durch divergierende nationale Vorschriften zerstückelt wird. Dieses Ziel hat nicht zur Folge, dass alle denkbaren Erzeugnisse in Verkehr gebracht werden können, selbst wenn sie für die Konsumenten gesundheitsschädlich sind. Eine Bestimmung, die die Vermarktung eines bestimmten Erzeugnisses ausdrücklich verbietet, mag nicht zur Beseitigung von Hemmnissen für dieses spezielle Erzeugnis beitragen, sie kann aber gleichwohl ein Beitrag zur Errichtung und zum Funktionieren des Binnenmarktes im Sinne von Artikel 95 EG sein.

E –    Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Artikels 8

81.      Es bestehen Zweifel, ob Artikel 8 der Richtlinie von 2001 tatsächlich als Totalverbot einer bestimmten Art von Erzeugnissen angesehen werden muss, wie dies bei der Richtlinie über Feuerwaffen der Fall war, oder ob das Verbot des Artikels 8 mit einer Beschränkung der Erzeugniszusammensetzung wie in Artikel 3 der Richtlinie von 2001 vergleichbar ist.

82.      Artikel 8 verbietet nicht die Vermarktung von Tabakerzeugnissen im Allgemeinen. Das Verbot betrifft Tabakerzeugnisse nur, wenn sie in bestimmter Weise gebraucht werden sollen. Sein Umfang unterscheidet sich nicht wesentlich von dem eines Verbotes von Erzeugnissen mit einer bestimmten Zusammensetzung. Andererseits könnte man die Auffassung vertreten, dass es die Vermarktung einer bestimmten Art von Tabakerzeugnissen untersagt, die einen Markt haben, der vom Markt anderer Tabakprodukte durchaus unterschieden werden kann (abgesehen von dem in diesen Schlussanträgen an anderer Stelle erörterten „Substitutionseffekt“).

83.      Die im vorstehenden Abschnitt dargelegten Erwägungen brauchen nicht näher erörtert zu werden. Wie bereits ausgeführt, ist der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt, bestimmte Arten von Erzeugnissen nach Artikel 95 EG zu verbieten. Da die Richtlinie von 2001 nur eine spezifische, begrenzte Art von Erzeugnissen verbietet – die sich von anderen, erlaubten Erzeugnissen nicht durch ihre Zusammensetzung, sondern durch ihre Gebrauchsweise unterscheiden  –, steht außer Zweifel, dass Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage dienen kann.

IX – Wie von der Gemeinschaftszuständigkeit Gebrauch gemacht wird: Das Erfordernis des Artikels 95 Absatz 3 EG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

A –    Vorbemerkungen

84.      Wie bereits dargelegt, kann der Gemeinschaftsgesetzgeber von seiner Zuständigkeit nach Artikel 95 EG Gebrauch machen, wenn Hemmnisse des freien Verkehrs vorliegen (oder zumindest ernsthaft zu entstehen drohen) und die Gemeinschaftsmaßnahme zur Beseitigung dieser Hemmnisse beiträgt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfügt über ein weites Ermessen. Dieses Ermessen ist jedoch nicht unbegrenzt. Ich werde in diesem Kapitel die Grenzen aufzeigen, die für den Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Ausübung seiner Befugnisse bestehen.

85.      Erstens erfordert Artikel 152 Absatz 1 EG ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes bei der Festlegung aller Gemeinschaftsmaßnahmen. Artikel 95 Absatz 3 EG geht im Hinblick auf die Ausübung der legislativen Befugnisse nach Artikel 95 EG noch weiter, indem er überdies auf neue Entwicklungen Bezug nimmt, die sich auf wissenschaftliche Ergebnisse stützen. Während Maßnahmen einer nationalen Regierung, die den Handel nach Maßgabe der Artikel 28 EG und 30 EG beschränken, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber bei seinen Maßnahmen für ein hohes Schutzniveau Sorge zu tragen. Wenn ein Handelshemmnis besteht, übernimmt der Gemeinschaftsgesetzgeber den Schutz der öffentlichen Gesundheit, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache C‑491/01 ausgeführt habe(25). Unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes unterscheidet sich die Maßnahme des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht von der Maßnahme einer nationalen Regierung, die die Vermarktung von Erzeugnissen nach Maßgabe der Artikel 28 EG und 30 EG beschränkt.

86.      Zweitens ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach Artikel 5 EG darf eine Maßnahme der Gemeinschaft nicht über das hinausgehen, was in Anbetracht des verfolgten Zweckes erforderlich ist. Wenn eine Maßnahme der Gemeinschaft hauptsächlich den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt – wie dies bei Artikel 8 der Richtlinie von 2001 der Fall ist –, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht anders zu beurteilen als bei einer Maßnahme, die ein Mitgliedstaat nach den Artikeln 28 EG und 30 EG zum Schutz der öffentlichen Gesundheit trifft. Es muss festgestellt werden, ob die Maßnahme geeignet ist, die öffentliche Gesundheit zu schützen, und ob dasselbe Ergebnis nicht durch ein weniger restriktives Vorgehen erreicht werden könnte.

87.      Drittens muss der Gemeinschaftsgesetzgeber weitere Rechtsgrundsätze beachten, die aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes oder dem Vertrag hervorgehen, wie die Grundsätze der Sorgfaltspflicht, des Vertrauensschutzes und der Begründungspflicht. Wie in der Einleitung dieser Schlussanträge dargelegt, werde ich nicht näher auf diese Rechtsgrundsätze eingehen, mit Ausnahmen der Begründungspflicht (siehe unten).

B –    Ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes

1.      Die besondere Natur des Falles

88.      Die vorliegenden Rechtssachen sind besonderer Natur. Es steht außer Zweifel, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Verbot von Snus ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes anstrebt. Ungewiss ist jedoch, ob die Maßnahme geeignet ist, dieses Ziel der Gemeinschaftspolitik zu erreichen, und es ist sogar denkbar, dass diesem Ziel besser gedient wäre, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber die Vermarktung von Snus zugelassen hätte.

89.      Das Hauptproblem in den vorliegenden Rechtssachen besteht darin, dass Artikel 8 der Richtlinie von 2001 ein neuartiges Produkt verbietet, das – abgesehen von Schweden – in den Mitgliedstaaten noch nicht vermarktet wird. Die Unterlagen, die dem Gerichtshof vorliegen, lassen erkennen, dass Snus Mundkrebs verursachen kann. Dies allein rechtfertigt das Verbot von Snus indessen noch nicht. Meine zweite Feststellung ist die, dass die schädlichen Folgen des Snus‑Konsums viel geringer sind als die durch das Rauchen verursachten Gefahren. Und schließlich ist ungewiss, ob eine Vermarktung von Snus in erster Linie dazu führen würde, dass die Konsumenten veranlasst werden, das Rauchen aufzugeben („Substitutionseffekt“), oder dass der Einstieg in den Tabakgebrauch gefördert wird („Einstiegsfaktor“)(26).

90.      Ich werde mich nun mit der Bezugnahme des Artikels 95 Absatz 3 EG auf neue wissenschaftlich gestützte Entwicklungen, dem Vorsorgeprinzip bei fehlendem Konsens über die Wirksamkeit einer Maßnahme für die öffentliche Gesundheit und dem Grundsatz der Vorbeugung befassten.

2.      Bemerkungen über die Beweislage

91.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof hat der (wissenschaftliche) Nachweis als Grundlage für das Verbot von Snus große Beachtung gefunden.

92.      Erstens haben die Antragstellerinnen (und die schwedische Regierung) interessante rechtliche Argumente zur Relevanz neuer wissenschaftlicher Nachweise vorgetragen. Sie führen aus, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber verpflichtet sei, wissenschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bringe es mit sich, dass von Zeit zu Zeit geprüft werden müsse, ob eine Maßnahme gegebenenfalls unverhältnismäßig geworden sei(27). Die Antragstellerinnen berufen sich auf Artikel 95 Absatz 3 EG und auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes.

93.      Sie erwähnen insbesondere die Maßnahmen der Gemeinschaft im veterinärrechtlichen und tierzüchterischen Bereich, z. B. die Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE, die Gegenstand der Rechtssache C‑180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission)(28) gewesen sind. Dabei sei anerkannt worden, dass die zu treffenden Maßnahmen einer eingehenden wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden müssten und neue Informationen zu berücksichtigen seien. Einerseits stimme ich mit den Antragstellerinnen darin überein, dass Vorschriften überprüft werden müssen, wenn neue wissenschaftliche Daten Zweifel am Nutzen dieser Vorschriften hervorrufen. Die fortlaufende Überprüfung ist eine Verpflichtung für jeden Gesetzgeber. Diese Verpflichtung gewinnt an Bedeutung, wenn eine spezifische Maßnahme in eine Gemeinschaftsverordnung oder ‑richtlinie aufgenommen wird, die aufgrund neuer Entwicklungen in dem betreffenden Bereich geändert wird. Im Fall einer grundlegenden Änderung der Vorschriften über den Konsum von Tabakerzeugnissen müssen also alle Maßnahmen im Zusammenhang mit den verschiedenen Tabakerzeugnissen überprüft werden.

94.      Andererseits glaube ich nicht, dass eine Überprüfung im vorliegenden Fall notwendigerweise zu einer Änderung der Gemeinschaftsvorschriften für Snus geführt hätte. Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, zeigen – wie vorstehend in Nummer 47 dargelegt – die schädlichen Folgen des Gebrauchs von Snus, und sie enthalten entgegen der Meinung, die die Antragstellerinnen zu vertreten scheinen, keinen grundlegend neuen Gesichtspunkt in Bezug auf die Gesundheitsrisiken. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 30 EG geht überdies hervor, dass Maßnahmen für die öffentliche Gesundheit, die den freien Warenverkehr beschränken, auch bei fehlendem wissenschaftlichem Konsens getroffen werden können. Insoweit wären die Urteile De Peijper und National Farmers’ Union u. a.(29) zu erwähnen. Das Gemeinschaftsrecht erkennt kurz gesagt beschränkende Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit an, wenn sie auf geeigneten und jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen beruhen. Als Ergebnis derartiger Untersuchungen ist ein einmütiger wissenschaftlicher Nachweis der Gesundheitsrisiken nicht erforderlich. Ernsthafte Hinweise genügen.

95.      Zweitens geht es um den Nachweis der Wirksamkeit des Artikels 8 selbst. Es ist nicht wissenschaftlich erwiesen, dass Snus in erster Linie den Einstieg in den Tabakkonsum fördert und nicht ein Substitutionsmittel für das Rauchen darstellt. In der Tat betreffen der fehlende Nachweis und die wissenschaftliche Ungewissheit nicht den verbotenen Stoff als solchen, sondern die Erwartungen bezüglich des Verhaltens der Menschen. Es erhebt sich die Frage, ob das Verbot von Snus unter diesen Umständen als wirksame Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit angesehen werden kann. Gerade aus diesem Grund befasse ich mich mit dem Vorsorgeprinzip und dem Grundsatz der Vorbeugung.

3.      Das Vorsorgeprinzip

96.      Wie ich bereits betont habe, ist die Wirksamkeit eines Verbotes von Snus als Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ungewiss. Ich werde mich damit befassen, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber unter diesen Umständen von Maßnahmen Abstand nehmen muss oder seine Maßnahmen hingegen auf das Vorsorgeprinzip stützen kann.

97.      Das Vorsorgeprinzip ist im Vertrag nicht definiert, der sich auf diesen Grundsatz nur ein Mal bezieht, und zwar in Artikel 174 EG im Zusammenhang mit der Umweltpolitik der Gemeinschaft. Der Grundsatz geht jedoch weit über den Umweltschutz hinaus. Die Kommission veröffentlichte am 2. Februar 2000 eine Mitteilung über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips(30). Darin vertritt sie die Auffassung, dass das Vorsorgeprinzip einen allgemeinen Grundsatz darstelle, der insbesondere im Bereich des Umweltschutzes und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu berücksichtigen sei. Nach Ansicht der Kommission kommt das Vorsorgeprinzip nur dann zum Zug, wenn eine potenzielle Gefahr festgestellt wurde, diese Gefahr wissenschaftlich geprüft wurde und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung eine geteilte Meinung wiedergeben oder keine genauen Schlüsse zulassen.

98.      Das Vorsorgeprinzip verleiht dem Gemeinschaftsgesetzgeber hauptsächlich ein erweitertes, jedoch nicht unbegrenztes Ermessen. Soll dieses erweiterte Ermessen ausgeübt werden, unterliegt es einer erheblichen Beweislast, um sicherzustellen, dass die behauptete Gefahr nicht lediglich hypothetisch ist.

99.      Der Gerichtshof hatte mehrfach Gelegenheit, die Anwendung des Vorsorgeprinzips in Fragen des Gesundheitsschutzes und des freien Warenverkehrs zu überprüfen. In der Rechtssache C‑236/01 (Monsanto Agricoltura Italia)(31) ging es um die Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten(32) und Artikel 12 dieser Verordnung. In den Rechtssachen C‑192/01 (Kommission/Dänemark), C‑24/00 (Kommission/Frankreich) und C‑95/01 (Greenham und Abel)(33) hat sich der Gerichtshof mit verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften befasst, die Beschränkungen für Zusatzstoffe in Lebensmitteln wie Vitamine und Mineralstoffe vorsehen.

100. Eine korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips setzt erstens voraus, dass potenziell negative Folgen einer bestimmten Situation für die Gesundheit festgestellt wurden, und zweitens eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden zuverlässigsten wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung(34). Mit anderen Worten, das Bestehen eines Gesundheitsrisikos muss plausibel sein(35). Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: „Wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, unschlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen …“(36) Nach diesem Urteil liegt das Grundelement des Vorsorgeprinzips in der wissenschaftlichen Ungewissheit. Maßnahmen können getroffen werden, wenn das angestrebte Niveau des Umwelt‑ oder Gesundheitsschutzes gefährdet ist.

101. Im Allgemeinen spielt das Vorsorgeprinzip dann eine Rolle, wenn eine Regierung einer Gefahr begegnen will. In der Deklaration von Rio de Janeiro im Rahmen des Weltgipfels für fortlaufende Entwicklung heißt es, dass das Prinzip Anwendung finde, wenn die Gefahr eines ernsthaften oder unumkehrbaren Schadens bestehe, diese Gefahr jedoch wissenschaftlich ungewiss sei. Der Umstand, dass kein Schadensnachweis vorliegt, kann nicht mit dem Nichtvorhandensein eines Schadens gleichgesetzt werden(37).

102. Es ist ungewiss, ob die sich aus dem Vorsorgeprinzip ergebende Befugnis, Gefahren zu begegnen, ausgeübt werden kann, um jede Gefahr zu bannen. Das Gericht erster Instanz hat in der Rechtssache T‑13/99 (Pfizer Animal Health/Rat)(38) ausgeführt, dass eine aufgrund des Vorsorgeprinzips getroffene Maßnahme der Gemeinschaft einerseits nicht auf ein „Nullrisiko“ ausgerichtet sein dürfe. Andererseits müssten die Gemeinschaftsorgane ihre Verpflichtung aus Artikel 152 Absatz 1 Unterabsatz 1 EG beachten, ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes sicherzustellen.

103. Es steht meines Erachtens außer Zweifel, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber seine Maßnahmen auf das Vorsorgeprinzip stützen kann, wenn drei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind. Es muss eine wissenschaftliche Ungewissheit bezüglich der Gefahr bestehen, die Gefahr muss geprüft und für realistisch befunden worden sein, und die Gefahr muss wesentliche Folgen für das Allgemeininteresse haben. Eine auf dem Vorsorgeprinzip beruhende Maßnahme darf inhaltlich aber nicht so weit gehen, dass sie jede Gefahr bannt.

104. Ich komme nun auf die vorliegenden Rechtssachen zurück. Nach Ansicht der Antragstellerinnen kann das Vorsorgeprinzip keine Anwendung finden. Sie berufen sich auf bestimmte im Urteil Pfizer Animal Health/Rat(39) vom Gericht erster Instanz aufgestellte Grundsätze, wonach das Vorsorgeprinzip nicht willkürlich herangezogen werden dürfe. Zudem komme dieses Prinzip nur dann zum Zug, wenn die Wirkung bestimmter Stoffe oder eines bestimmten Verhaltens wissenschaftlich ungewiss sei. Es setze voraus, dass alle verfügbaren wissenschaftlichen Daten geprüft worden seien, die Ungewissheit hingegen weiter bestehe.

105. Die Antragstellerinnen bestreiten eine Ungewissheit bezüglich des Gesundheitsrisikos von Snus. Sie betonen, dass Snus kein neuartiges Erzeugnis, sondern ein Produkt sei, das in einigen nordischen Ländern einen herkömmlichen Markt habe. Somit sei das Gesundheitsrisiko bekannt. Ich stimme dem zu. Das Vorsorgeprinzip ist nicht relevant im Zusammenhang mit den Wirkungen von Snus an sich, das als herkömmliches Erzeugnis in einigen nordischen Ländern anzusehen ist. Die wissenschaftlichen Studien, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, beurteilen zwar die mit dem Konsum von Snus verbundenen Gefahren nicht einheitlich, wie aus meinen vorstehenden Ausführungen erhellt, es besteht jedoch keine wissenschaftliche Ungewissheit im oben dargelegten Sinne. Der Gerichtshof kann daher von der Annahme ausgehen, dass Snus Mundkrebs verursachen kann.

106. Die Wirkung einer gemeinschaftsweiten Vermarktung von Snus auf das Verhalten – meist junger – Leute ist hingegen höchst ungewiss. Und damit komme ich zu den Auswirkungen der oben angestellten Überlegungen: die Ungewissheit hinsichtlich der Wirksamkeit des Verbotes, wobei sich die Frage erhebt, ob ein Verbot der Vermarktung von Snus die Raucher daran hindert, das Rauchen aufzugeben, oder junge Nichtraucher davon abhält, in den Tabakkonsum einzusteigen.

107. Meines Erachtens kann das Vorsorgeprinzip unter diesen Umständen nicht angewandt werden, wobei Folgendes zu bedenken ist:

–        Die Ungewissheit bezüglich der Gefahr, die das Verbot rechtfertigt, hängt mit Erwartungen hinsichtlich des Gebrauchs von Snus zusammen. Dies ist keine Gefahr wissenschaftlicher Natur, die die Anwendung des Vorsorgeprinzips rechtfertigt. Die Quelle der Ungewissheit hat nichts mit dem Vorsorgeprinzip zu tun.

–        Unter dem Gesichtspunkt der Beweislast ist zu sagen, dass der Schaden für die öffentliche Gesundheit im Fall einer Vermarktung von Snus nicht plausibel ist. In diesem Zusammenhang ist der Substitutionseffekt(40) zu erwähnen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber befand sich nicht in einer Situation, in der er seine Maßnahmen auf die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit(41) stützen konnte, ohne über einen eindeutigen wissenschaftlichen Nachweis zu verfügen.

–        Die dritte vorstehend in Nummer 103 erwähnte Voraussetzung liegt indessen vor; die Gefahr hat, wenn sie eintritt, wesentliche Folgen für die öffentliche Gesundheit.

4.      Vorbeugende Maßnahmen

108. Titel XIX des EG‑Vertrags über den Umweltschutz erwähnt auch den Grundsatz der Vorbeugung. Dieser in Artikel 174 Absatz 2 EG niedergelegte Grundsatz wurde auch im Zusammenhang mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit, insbesondere in der BSE‑Rechtsprechung(42), anerkannt. Er wird im Allgemeinen in Verbindung mit dem Vorsorgeprinzip erwähnt. Zum Beispiel in der BSE‑Rechtsprechung weist der Gerichtshof dem Grundsatz der Vorbeugung keine gesonderte Rolle zu.

109. Der Grundsatz spielt meines Erachtens in den vorliegenden Rechtssachen eine größere Rolle. Der Gemeinschaftsgesetzgeber, der mit den potenziellen Gesundheitsrisiken der Vermarktung von Snus konfrontiert ist, braucht nicht zu warten, bis sich die „Einstiegs“‑Theorie bewahrheitet. Er kann vorbeugend handeln. Außerdem ist die Situation zu betrachten, die entstünde, wenn die Gemeinschaft nicht vorbeugend handeln dürfte. Snus wäre am Markt, und man hätte begonnen, es zu konsumieren. Nach einigen Jahren könnte es klar geworden sein, dass Snus häufig von jungen Leuten gebraucht wird, die vorher nicht geraucht haben (und bei denen die Raucherschwelle verschwunden oder gesunken ist). Es hätte in der Verantwortung des Gemeinschaftsgesetzgebers gelegen, ein Erzeugnis loszuwerden, das die Konsumenten angezogen und abhängig gemacht hat. Es ist fraglich, ob eine derartige Maßnahme ebenso wirksam wäre wie das Verbot eines Erzeugnisses, das noch nicht den Weg zum Verbraucher gefunden hat. Ferner ist die Gefahr eines entstehenden illegalen Marktes zu bedenken. Auch kann das Verbot eines Erzeugnisses, das bereits vermarktet wird, das berechtigte Vertrauen des Herstellers verletzen und zu Schadensersatzzahlungen und/oder Übergangsmaßnahmen führen.

110. Kurz, vorbeugende Maßnahmen sind erforderlich, da eine Marktzulassung von Snus irreversible Folgen haben könnte. Würden die Regierungen eine Vermarktung und Verkaufsförderung von Snus für eine bestimmte Zeit zulassen, wäre ein wirksames Verbot von Snus nicht mehr möglich.

C –    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

1.      Im Allgemeinen

111. Der Gerichtshof befasst sich in seinem Urteil in der Rechtssache C‑491/01 mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit der Richtlinie von 2001 unter Berücksichtigung der Bedeutung eines angemessenen Schutzes der öffentlichen Gesundheit durch den Gemeinschaftsgesetzgeber. Ich nehme insoweit auf die ausführlichen Erwägungen des Gerichtshofes Bezug. Im Folgenden greife ich die wichtigsten Gesichtspunkte auf, die in einem speziellen Zusammenhang mit dieser Rechtssache stehen.

–        Die Maßnahmen müssen zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sein, nämlich zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, indem der Gebrauch von Tabakerzeugnissen weniger attraktiv gemacht wird.

–        Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfügt über ein weites Ermessen, das politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen mit sich bringt. Die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme kann nur beeinträchtigt werden, wenn diese im Hinblick auf die Verfolgung des angestrebten Zieles offensichtlich ungeeignet ist (Randnr. 123 des Urteils).

–        Selbst weitreichende Maßnahmen wie das Verbot der Herstellung von Zigaretten mit bestimmtem Produktgehalt und das Verbot bestehender, jedoch vermutlich irreführender Angaben werden als mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar angesehen.

112. Aus diesen Erwägungen des Gerichtshofes ergibt sich, dass eine Gemeinschaftsregelung für den Gebrauch von Tabak zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nicht ohne weiteres nichtig wird, weil sie nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dieser Grundsatz ist bekanntlich nicht mit einer vergleichenden Bewertung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der Geschäftsinteressen privater Unternehmen zu verwechseln. Das Verbot von Snus ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn

–        die Maßnahme, mit der dieses Erzeugnisses vom Markt ausgeschlossen wird, geeignet ist, die Gefahr für die öffentliche Gesundheit zu beseitigen oder zumindest zu verringern,

–        eine weniger einschneidende Maßnahme nicht dasselbe Niveau des Gesundheitsschutzes gewährleisten würde.

113. Am Ende dieses Abschnitts werde ich mich mit einer von den Antragstellerinnen aufgeworfenen Frage befassen, nämlich ob die betreffende Maßnahme für spezielle Unternehmen eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung bedeutet.

2.      Eignung der Maßnahme: die Regelungsbefugnis, wenn der Nutzen ungewiss ist

114. Die Ungewissheit hinsichtlich der Frage, ob das Verbot für die öffentliche Gesundheit von Nutzen ist, lässt sich mit der Ungewissheit vergleichen, mit der der Gemeinschaftsgesetzgeber konfrontiert war, als er sich für ein Verbot der vorbeugenden Impfung bei der Bekämpfung der Maul‑ und Klauenseuche entschieden hat. Der Gerichtshof hat in der Rechtssache C‑189/01 (Jippes u. a.)(43) hierzu ausgeführt:

–        Erstens: „Muss der Gemeinschaftsgesetzgeber künftige Auswirkungen einer zu erlassenden Regelung beurteilen, die nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden können, so kann seine Beurteilung nur beanstandet werden, wenn sie sich im Licht der Informationen, über die er zum Zeitpunkt des Erlasses der betreffenden Regelung verfügt hat, als offensichtlich fehlerhaft erweist.“

–        Zweitens: Es ergibt sich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber „die Vor‑ und Nachteile des zu errichtenden Systems umfassend abgewogen hat und dass [die] Politik … im Hinblick auf das Ziel der Bekämpfung der Maul‑ und Klauenseuche jedenfalls nicht offensichtlich ungeeignet war“.

–        Drittens: „Folglich überschreitet das … Verbot der vorbeugenden Impfung aufgrund des dem Rat … eingeräumten weiten Ermessens nicht die Grenzen dessen, was zur Erreichung des mit der Gemeinschaftsregelung verfolgten Zieles geeignet und erforderlich ist.“

115. Der Gerichtshof unterscheidet somit drei Kriterien. Der Gesetzgeber verfügt über ein weites Ermessen, er muss die Vor‑ und Nachteile des vorgesehenen Systems umfassend abwägen, und eine Gemeinschaftsmaßnahme kann nur im Fall einer offensichtlich fehlerhaften Beurteilung für nichtig erklärt werden. Wenn wir diese Kriterien auf die vorliegenden Rechtssachen übertragen, so wird deutlich, dass das Verbot von Snus als geeignet anzusehen ist. Ich nehme auf meine Ausführungen zum Grundsatz der Vorbeugung Bezug, um zu zeigen, dass die Beurteilung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht offensichtlich fehlerhaft war. Würde Snus der Zugang zum Gemeinschaftsmarkt ermöglicht, so hätte dies irreversible Folgen. Das Vorsorgeprinzip ist nicht relevant.

3.      Die Wirksamkeit weniger einschneidender Maßnahmen

116. Die Antragstellerinnen haben eine Reihe von weniger einschneidenden Maßnahmen genannt. Sie beziehen sich auf technische Standards, wie sie in Kanada bestünden oder wie sie Swedish Match ihrerseits entwickelt habe. Ferner erwähnen sie Etikettierungsvorschriften, die Möglichkeit von Altersgrenzen und Beschränkungen der Verkaufsstellen.

117. Im Hinblick auf das mit dem Verbot verfolgte politische Ziel – wie es in den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 dargelegt wird – könnten alternative Maßnahmen nicht so wirksam sein wie ein Totalverbot. Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Markteinführung neuartiger Erzeugnisse verhindern will, ist klar, dass dies nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die weniger einschneidend sind als ein Totalverbot.

118. Ich möchte betonen, dass technische Standards zwar die schädlichen Wirkungen des Gebrauchs bestimmter Erzeugnisse begrenzen können, dass sie diese Wirkungen jedoch nicht gänzlich beseitigen, wenn dem Erzeugnis nicht alle gefährlichen Stoffe einschließlich Nikotin, das das Produkt für den Konsumenten anziehend macht, entzogen werden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein so weit reichender technischer Standard – der von den Antragstellerinnen in den vorliegenden Rechtssachen auch gar nicht vorgeschlagen wird – für den Handel weniger einschneidend wäre als das jetzige Verbot durch die Gemeinschaftsbestimmungen.

119. Die anderen vorstehend erwähnten Alternativen haben nicht dieselbe Wirkung wie ein Verbot. Da Snus als attraktiv für Heranwachsende angesehen wird, kann allein schon seine Verfügbarkeit auf dem Markt junge Leute zum Konsum dieses Erzeugnisses anregen. Es wäre sogar denkbar, dass gesetzliche Beschränkungen wie Etikettierungsvorschriften und Altersgrenzen Snus noch attraktiver erscheinen ließen.

4.      Die unverhältnismäßige Belastung spezieller Unternehmen

120. Mein letzter Punkt betrifft die behauptete unverhältnismäßige Belastung der Hersteller und Vertriebsfirmen von Snus. Diese Frage ist von den Antragstellerinnen aufgeworfen worden. Wie bereits dargelegt, ist das Verbot von Snus eine Maßnahme, die aufgrund des Artikels 95 EG getroffen werden kann und die – als solche – mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Dies schließt jedoch eine Verpflichtung für die Europäische Gemeinschaft nicht aus, den durch diese Maßnahme verursachten Schaden nach der Bestimmung über die außervertragliche Haftung in Artikel 288 Absatz 2 EG wieder gutzumachen.

121. Eine derartige Verpflichtung entsteht indessen nur dann, wenn ein tatsächlicher Schaden vorliegt und/oder ein berechtigtes Vertrauen missachtet wurde. Ich kann mich hier kurz fassen. Snus ist (außer in Schweden) noch nicht auf dem Gemeinschaftsmarkt gebracht, und die Hersteller von Snus konnten nicht die berechtigte Erwartung haben, dass es ihnen gestattet würde, Snus in der Gemeinschaft herzustellen und zu vertreiben. Das Verbot von Snus bestand bereits aufgrund der Richtlinie von 1992 (vor dem Beitritt Schwedens zur Europäischen Union).

X –    Der Grundsatz der Gleichbehandlung

122. Der Grundsatz der Gleichbehandlung stellt sich in den vorliegenden Rechtssachen als Prinzip dar, das nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwechselt werden darf, obgleich sich die Anwendung der beiden Grundsätze unter den gegebenen Umständen ganz ähnlich auswirkt. Das Verbot von Snus wird gerade deshalb als unverhältnismäßig betrachtet, weil andere Erzeugnisse, die ebenso schädlich oder sogar noch schädlicher sind, auf dem Markt geduldet werden.

123. Die zahlreichen Erklärungen, die vor dem Gerichtshof zu diesem Grundsatz abgegeben worden sind, erfordern hingegen eine gesonderte Beurteilung. Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung dürfen insbesondere vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern hierfür keine objektive Rechtfertigung vorliegt(44).

124. Es könnte argumentiert werden, dass dieser Grundsatz eine wesentliche Grenze für das Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers darstelle, insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen, mit denen die Vermarktung eines bestimmten Erzeugnisses beschränkt oder gar verboten werden soll. Führt man dieses Argument weiter, so erfordert es eine Bewertung der Gefahren, die mit der Vermarktung aller anderen vergleichbaren Erzeugnisse verbunden sind, bevor eine Gemeinschaftsmaßnahme getroffen werden kann.

125. Ich kann mich nicht einer Auffassung anschließen, nach der der Grundsatz der Gleichbehandlung so weitreichende Folgen hätte. Bringen z. B. in einem bestimmten Marktbereich – ich beschränke mich hierbei auf einen genau definierten Sektor wie den Tabaksektor – fünf verschiedene Erzeugnisse ernsthafte Gesundheitsgefahren mit sich, so liegt es im Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers, zu entscheiden, welches dieser Erzeugnisse – und in welcher Reihenfolge – vom Markt zu nehmen oder anderen restriktiven Maßnahmen zu unterwerfen ist. Die einzige Grenze für den Gesetzgeber ist dabei die, dass er keine willkürliche Wahl treffen darf. Er muss Gründe anführen, weshalb ein spezielles Erzeugnis Gegenstand einer strengen Regelung ist. Diese Begründung könnte teilweise aus einem Vergleich mit anderen am Markt befindlichen Erzeugnissen bestehen.

126. Damit komme ich zu den beiden wichtigsten Einwänden der Antragstellerinnen im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Der erste Einwand besteht darin, dass gleichwertige Erzeugnisse nicht verboten seien. So sei der Vertrieb von Kautabak nicht untersagt, obwohl dieser Tabak praktisch in derselben Weise konsumiert werde wie Snus. Er werde zwar üblicherweise „Kautabak“ genannt, jedoch häufig nicht gekaut, sondern gelutscht.

127. In diesem Punkt könnten die Antragstellerinnen Recht haben. Der Unterschied zwischen den beiden Erzeugnissen ist nicht offensichtlich, auch wenn sie sich hinsichtlich ihres Nitrosamin‑ und Nikotingehalts ein wenig von einander unterscheiden könnten(45). Selbst wenn die Ausführungen der Antragstellerinnen zum Gebrauch von Kautabak nicht der Wirklichkeit entsprächen, so sind die Gesundheitsfolgen der Gebrauchsweise doch vergleichbar. Hinsichtlich der schädlichen Wirkungen des Tabakkonsums macht es nämlich keinen grundlegenden Unterschied, ob das Erzeugnis gelutscht oder gekaut wird. Die Ähnlichkeit der Produkte führt indessen nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Die unterschiedliche Behandlung beruht nämlich nicht auf der Auswirkung auf den einzelnen Konsumenten, sondern auf den unterschiedlichen (potenziellen) Verbrauchergruppen. Während Kautabak vorwiegend von gut definierten gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen bevorzugt wird, soll Snus, wie in Schweden, einen umfangreichen Verbraucherkreis erfassen. Die unterschiedliche Behandlung ist kurz gesagt nicht durch die Eigenart der Erzeugnisse als solche, sondern durch die Personen gerechtfertigt, die diese Erzeugnisse (potenziell) gebrauchen.

128. Der zweite Einwand richtet sich gegen die Erklärung des Gemeinschaftsgesetzgebers, dass es sich um ein neuartiges Erzeugnis handele; Snus sei vielmehr ein herkömmliches Produkt, was zumindest auf einige nordische Länder zutreffe. Die Antragstellerinnen verwenden den Ausdruck „neuartig“ anders als der Gemeinschaftsgesetzgeber und die übrigen Beteiligten am Verfahren vor dem Gerichtshof. Sie beziehen den Begriff auf das Erzeugnis als solches und nicht wie die anderen Beteiligten auf den betreffenden Markt.

129. Ich räume ein, dass, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber in den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 von neuartigen Erzeugnissen gesprochen hat, er sich nicht auf den Binnenmarkt bezogen hat. Er hat sich jedoch eindeutig auf noch nicht auf dem Gemeinschaftsmarkt verfügbare Erzeugnisse und nicht auf neuartige Erzeugnisse an sich bezogen, da die Richtlinie von 1992 – ebenso wie die jetzige Richtlinie – nur den Binnenmarkt für Tabakwaren zum Gegenstand hat und nicht Erzeugnisse betrifft, die in Drittländern hergestellt werden und dort verfügbar sind. Genauer betrachtet wurde der Begriff „neuartig“ im Zusammenhang mit dem politischen Ziel verwendet, junge Leute der Europäischen Union vom Einstieg in den Tabakkonsum oder – noch schlimmer – vom Einstieg in den Gebrauch von Tabakerzeugnissen abzuhalten, die ihnen vorher noch nicht zur Verfügung standen. Snus konnte in der Europäischen Union von Heranwachsenden nicht erworben werden. Es war vergleichbar mit Tabakerzeugnissen, die in anderen Kontinenten, jedoch nicht in Europa häufig gebraucht werden.

130. Da das Königreich Schweden noch kein Mitgliedstaat war, als die Richtlinie von 1992 erlassen wurde, konnte der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff „neuartig“ ohne Einschränkung verwenden, denn die betreffenden Erzeugnisse wurden im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft überhaupt nicht vermarktet. Dieser Kontext änderte sich erst später, als das Königreich Schweden der Gemeinschaft beitrat. Der Unterschied blieb indessen bestehen, da Snus in dem einzigen Mitgliedstaat, in dem es herkömmlich gebraucht wird, nicht verboten ist.

131. Somit lässt keiner der beiden Einwände eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung erkennen. Wie oben festgestellt, spielt dieser Grundsatz insofern eine Rolle, als er es erforderlich macht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Gründe für die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Erzeugnisse angibt.

132. Es steht außer Zweifel, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber in den Begründungserwägungen der Richtlinie von 1992 stichhaltige Gründe genannt hat, wie sie oben in Nummer 5 erwähnt werden. Die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament geben in ihren Erklärungen weitere Erläuterungen zum Verbot von Snus. Sie erwähnen erstens auf dem Funktionieren des Binnenmarktes beruhende Erwägungen, da drei Mitgliedstaaten an ein Verbot von Snus gedacht oder dieses bereits verhängt hätten. Zweitens weisen sie auf rasch zunehmende Verbrauchertrends hin. Drittens legen sie im Einzelnen die Gesundheitsrisiken dar, und viertens erwähnen sie die verhältnismäßig geringen volkswirtschaftlichen Kosten eines Verbotes.

133. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen steht Artikel 8 der Richtlinie von 2001 im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung.

XI – Die Begründungspflicht nach Artikel 253 EG

A –    Änderung des Kontextes

134. Das Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch wurde mit der Richtlinie von 1992 eingeführt und beruhte auf der Überlegung, dass es Erzeugnisse betraf, die auf dem Gemeinschaftsmarkt noch nicht bekannt waren und Heranwachsende anziehen könnten. Diese Gründe könnten das Verbot stützen, wie oben gezeigt wurde. Als das Verbot mit der Richtlinie von 2001 bestätigt wurde, wurde indessen keine materielle Begründung dafür gegeben. Die Begründungserwägungen verweisen lediglich auf das Verbot, das aufgrund der Richtlinie von 1992 bestand.

135. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Begründungspflicht eine wesentliche Formvorschrift, die von der Frage der Richtigkeit der Begründung, die die materielle Rechtmäßigkeit der streitigen Rechtshandlung betrifft, unterschieden werden muss. Die Begründung muss der Art des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Die Begründung muss nicht auf alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte eingehen, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 253 EG entspricht, nicht nur im Hinblick auf seinen Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet(46).

136. Ich möchte betonen, dass die Verpflichtung nach Artikel 253 EG mehr als eine bloße Formvorschrift ist, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs in den vorliegenden Rechtssachen ausgeführt hat. Der Gerichtshof muss in die Lage versetzt werden, nachzuprüfen, ob eine Entscheidung durch die angeführten Gründe gerechtfertigt ist. Eine eingehendere Begründung ist zudem erforderlich, wenn eine Entscheidung von der üblichen Praxis abweicht oder sonstige Umstände eine eingehendere Begründung verlangen, um sicherzustellen, dass der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann.

137. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 253 EG sind die Erfordernisse dieses Artikels nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut, sondern auch auf ihren Kontext zu beurteilen. Für mich ist offensichtlich, dass die Begründung nicht nur in dem Kontext zu sehen ist, der bestand, als die Bestimmung erlassen wurde, sondern sie muss auch wesentlichen Änderungen des Kontextes Rechnung tragen. Dieses Erfordernis gewinnt noch an Bedeutung, wenn die gesamte Politik auf einem bestimmten Gebiet einer Überprüfung unterzogen wird. In den vorliegenden Rechtssachen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Kontextänderung indessen nicht beachtet.

138. Ich den vorliegenden Rechtssachen handelt es sich um zwei wesentliche Änderungen:

–        Das Königreich Schweden ist der Europäischen Union beigetreten,

–        die Gemeinschaftspolitik für Tabakerzeugnisse wurde grundlegend geändert.

B –     Der Beitritt Schwedens

139. Zunächst einmal ist mit Schweden ein Land beigetreten, in dem der Gebrauch von Snus herkömmlich und weit verbreitet ist. Somit ist auf die in der Präambel der Richtlinie von 1992 enthaltene Begründung, dass das Verbot nicht die zum oralen Gebrauch bestimmten herkömmlichen Tabakerzeugnisse betrifft, näher einzugehen. Nach allem war die Prämisse dieser Begründung die, dass es sich bei Snus um ein Erzeugnis handelt, das auf dem Binnenmarkt der Gemeinschaft keineswegs herkömmlich ist.

140. Ich messe dem Beitritt Schwedens jedoch noch größere Bedeutung hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Binnenmarkt für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch bei. Die Gemeinschaft reagierte auf die Folgen des schwedischen Beitritts mit einer Aufspaltung dieses Marktes. Der schwedische Markt ist für diese Erzeugnisse vom Binnenmarkt getrennt. Zudem müssen die schwedischen Behörden die nötigen Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass Erzeugnisse, die in Schweden rechtmäßig vermarktet werden, jedoch in der übrigen Europäischen Gemeinschaft vom Markt ausgeschlossen sind, dorthin ausgeführt werden.

141. Diese Option des Gesetzgebers, die eine Aufspaltung des Binnenmarktes zulässt, widerspricht dem Konzept dieses Marktes. Hier möchte ich die Bedeutung der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarktes als eines Instruments der europäischen Integration hervorheben. In den vorliegenden Rechtssachen ist eine derartige Aufspaltung noch gravierender, da

–        die Richtlinie von 2001 gerade der Errichtung und dem Funktionieren des Binnenmarktes dienen soll, indem Hemmnisse des freien Verkehrs von Tabakerzeugnissen beseitigt werden. Die Ausnahmeregelung für Schweden schafft hingegen ein neues Hemmnis;

–        sich diese Aufspaltung nicht auf eine Übergangszeit beschränkt. Eine Ausnahme für Schweden zur Zeit des Beitritts war sinnvoll, da es der schwedischen Regierung wohl schwergefallen wäre, den Gebrauch von Snus sofort einzustellen. Eine zeitliche Begrenzung dieses Effekts für den Binnenmarkt hätte indessen der Bedeutung dieses Marktes besser entsprochen. Eine normale Konsequenz des Beitritts zur Europäischen Union ist die Anpassung der Rechtsvorschriften an die Standards der Union.

142. Kurz, durch das Fehlen jeder Begründung im Zusammenhang mit dem Beitritt Schwedens entstehen zwei Unzulänglichkeiten. Erstens hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber die Auswirkung des Verbotes auf Tabakerzeugnisse bedenken müssen, die in einem Mitgliedstaat herkömmlich sind. Zweitens hätte er die Folgen des Beitritts für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes für Tabakerzeugnisse beachten müssen.

C –    Änderung der Gemeinschaftspolitik für Tabakerzeugnisse

143. Ich komme nun zur grundlegenden Änderung der Gemeinschaftspolitik für Tabakerzeugnisse. Allgemein gesehen ist die Richtlinie von 2001 Ausdruck einer Tabakpolitik, die im Laufe der Jahre immer restriktiver wurde. Wie bereits dargelegt, handelt es sich dabei in erster Linie um eine Politik, die sich gegen das Rauchen richtet.

144. Allerdings hat es den Anschein, dass die Politik für rauchlose Tabakerzeugnisse (abgesehen von Snus) im Gegensatz zum allgemeinen Trend der Zigarettenpolitik dazu neigt, flexibler zu werden. Ich denke dabei an die Vorschriften über die Etikettierung rauchloser Tabakerzeugnisse außer Snus. Die Packungen brauchen nicht mehr den Warnhinweis „Verursacht Krebs“ zu tragen; es genügt auf der Packung der Warnhinweis: „Dieses Tabakerzeugnis kann Ihre Gesundheit schädigen und macht abhängig“. Gleichzeitig wurden die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen sowohl im Format als auch inhaltlich erheblich verschärft. Sie enthalten Wendungen wie „Rauchen ist tödlich“.

145. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die allgemeine Tendenz darin besteht, die Rechtsvorschriften für Tabakwaren restriktiver zu gestalten. Der Gesetzgeber sieht eine Ausnahme für eine spezifische Art von Tabakerzeugnissen (rauchloser Tabak) vor. Es wäre logisch gewesen, wenn mit dieser Ausnahme alle Produkte erfasst worden wären, die dieser Kategorie angehören. Der Gesetzgeber hat jedoch das Gegenteil getan und die strikteste Maßnahme bestätigt, die gegenüber einer speziellen Untergruppe der genannten Kategorie denkbar ist.

146. Ich möchte betonen, dass die Aufrechterhaltung des Verbotes von Snus unter diesen Umständen nicht als eine bloße Fortführung der bisherigen Politik angesehen werden kann. Es ist noch einmal auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes hinzuweisen, wonach eine Entscheidung, die von der üblichen Praxis abweicht, eine eingehendere Begründung erfordert, um sicherzustellen, dass der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann. Überdies sind die Betroffenen berechtigt, zu erfahren, aus welchen Gründen der Gemeinschaftsgesetzgeber eine Beschränkung ihrer Freiheit beschlossen hat.

D –    Die Folgen

147. Je mehr eine Entscheidung von der üblichen Praxis abweicht, desto genauer müssen die Gründe vom Gemeinschaftsgesetzgeber dargelegt werden. In Anbetracht der wesentlichen Änderungen des Kontextes erfordert die Entscheidung des Gesetzgebers über die Beibehaltung des Verbotes von Snus, die als solche nicht sein Ermessen überschreitet, eine stichhaltige Begründung. Das Fehlen jeder Begründung stellt einen klaren und offensichtlichen Verstoß gegen die Verpflichtung der Gemeinschaft aus Artikel 253 EG dar.

148. Ich stelle außerdem fest, dass dieses Fehlen jeder Begründung unter Berücksichtigung des veränderten Kontextes als Verletzung eines wesentlichen Formerfordernisses anzusehen ist, das zur Ungültigkeit des Artikels 8 der Richtlinie von 2001 führt. Ich schlage daher vor, dass der Gerichtshof Artikel 8 der Richtlinie von 2001 für ungültig erklärt.

149. Man sollte jedoch bedenken, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber – 1992 – stichhaltige Gründe für das Verbot von Snus hatte, wie die Prüfung der vorliegenden Rechtssachen gezeigt hat. Außerdem ist zu beachten, dass eine geradewegs vorgenommene Ungültigerklärung der angefochtenen Bestimmung die Hauptwirkung des Verbotes wahrscheinlich zunichte machen und das politische Ziel, den Zugang neuartiger und potenziell attraktiver Tabakerzeugnisse zum Markt auszuschließen, behindern würde. Auch ist zu berücksichtigen, dass der wesentliche legislative Gehalt der Richtlinie nicht zu beanstanden ist, wie meine vorstehenden Ausführungen gezeigt haben.

150. In Anbetracht dieser Überlegungen ist es aus wichtigen Gründen der Rechtssicherheit ähnlich wie im Fall der Nichtigerklärung bestimmter Verordnungen nach Artikel 231 Absatz 2 EG gerechtfertigt, dass der Gerichtshof die Wirkungen der Ungültigerklärung beschränkt(47). Daher schlage ich vor, dass der Gerichtshof unter den besonderen Umständen der vorliegenden Rechtssachen entscheidet, dass alle Wirkungen des Artikels 8 der Richtlinie von 2001 zunächst aufrechterhalten bleiben, bis der Rat und das Europäische Parlament diesen Artikel durch eine neue Vorschrift ersetzt haben, die sich auf eine angemessene Begründung stützt.

XII – Ergebnis

151. Aufgrund all dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die ihm vom Verwaltungsgericht Minden in der Rechtssache C‑434/02 und vom High Court of Justice of England & Wales, Queen’s Bench Disivion, in der Rechtssache C‑210/03 vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

–        Artikel 8 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, der ein Totalverbot für die Vermarktung von Tabakerzeugnissen zum oralen Gebrauch enthält, kann auf Artikel 95 EG gestützt werden.

–        Das Verbot für Tabak zum oralen Gebrauch in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37/EG ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

–        Das Verbot für Tabak zum oralen Gebrauch in Artikel 8 der Richtlinie 2001/37/EG ist mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung ähnlicher Erzeugnisse vereinbar.

–        Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist der Verpflichtung zur Angabe der Gründe, auf denen das Verbot beruht, nicht nachgekommen, so dass Artikel 8 für ungültig zu erklären ist.

–        Zunächst werden alle Wirkungen des Artikels 8 der Richtlinie 2001/37/EG aufrechterhalten, bis der Rat und das Europäische Parlament diesen Artikel durch eine neue Vorschrift ersetzt haben, die sich auf eine angemessene Begründung stützt.


1 – Originalsprache: Englisch.


2  – ABl. L 194, S. 26.


3  – Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 2002 (Slg. 2002, I-11453).


4  – ABl. L 158, S. 30.


5  – Siehe Artikel 2 Nummer 4 der Richtlinie von 2001.


6  – [Betrifft nicht die deutsche Fassung der Schlussanträge.]


7  – Jan‑M. Hirsch u. a., Oral Cancer in Swedish Snuff-Dippers, dem Gerichtshof von der Kommission vorgelegt.


8  – Empfehlung des Rates vom 2. Dezember 2002 zur Prävention des Rauchens und für Maßnahmen zur gezielteren Eindämmung des Tabakkonsums (ABl. 2003, L 22, S. 31) und frühere Rechtsakte des Rates, auf die darin Bezug genommen wird.


9  – Zitiert in Fußnote 3, Nr. 60 der Schlussanträge.


10  – Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (ABl. L 152, S. 16). Diese Richtlinie ersetzt die Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen (ABl. L 213, S. 9), die der Gerichtshof mit Urteil vom 5. Oktober 2000 in der Rechtssache C‑376/98 (Deutschland/Parlament und Rat, „Tabakwerbung“, Slg. 2000, I‑8419) für nichtig erklärt hat.


11  – Zitiert in Fußnote 10.


12  – Randnrn. 60 und 61 des Urteils in der Rechtssache C-491/01.


13  – Vgl. die Kriterien im Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C‑55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I‑4165).


14  – Belgien, Irland und das Vereinigte Königreich.


15 – Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169).


16  – Richtlinie 76/769/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen (ABl. L 262, S. 201).


17  – Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67).


18  – Richtlinie 92/109/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 über die Herstellung und das Inverkehrbringen bestimmter Stoffe, die zur unerlaubten Herstellung von Suchtstoffen und psychotropen Stoffen verwendet werden (ABl. L 370, S. 76).


19  – Richtlinie 93/15/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Harmonisierung der Bestimmungen über das Inverkehrbringen und die Kontrolle von Explosivstoffen für zivile Zwecke (ABl. L 121, S. 20).


20  – Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. L 256, S. 51).


21  – Siehe die Begründungserwägungen der Richtlinie 91/477.


22  – Rechtssache C-376/98, zitiert in Fußnote 10, Randnr. 83.


23  – Randnr. 99 des Urteils.


24  – Rechtssache C‑376/98, zitiert in Fußnote 10, Randnrn. 95 bis 100.


25  – Insbesondere Nr. 106 der Schlussanträge.


26  – Vgl. oben, Nrn. 44 bis 54.


27  – Die Antragstellerinnen ziehen unter diesem Gesichtspunkt Vergleiche mit der Rechtsprechung in Sozialfragen, in der der Gerichtshof anerkannt habe, dass die betreffenden Tätigkeiten in regelmäßigen Abständen zu prüfen seien, um unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung festzustellen, ob eine Ausnahmeregelung noch aufrechterhalten werden könne (Urteil vom 11. Januar 2000 in der Rechtssache C-285/98, Kreil, Slg. 2000, I‑69).


28  – Urteil vom 5. Mai 1998 (Slg. 1998, I‑2265, Randnr. 101).


29  – Urteile vom 20. Mai 1976 in der Rechtssache 104/75 (De Peijper, Slg. 1976, 613) und vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C‑157/96 (National Farmers’ Union u. a., Slg. 1998, I‑2211).


30  – Mitteilung der Kommission über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips (KOM [2000]1 endg.). Mit dieser Mitteilung will die Kommission erläutern, welchen Ansatz sie bei der Anwendung dieses Prinzips zugrunde legt, Leitlinien für die Anwendung dieses Prinzips festlegen, einen Grundkonsens darüber erzielen, wie wissenschaftlich noch nicht in vollem Umfang erfassbare Risiken bewertet und eingeschätzt werden können oder wie ein entsprechendes Risikomanagement aussehen könnte und die Öffentlichkeit über diese Risiken informiert werden sollte, und verhindern, dass auf das Vorsorgeprinzip nur als Vorwand für protektionistische Maßnahmen zurückgegriffen wird.


31  – Urteil vom 9. September 2003 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 113).


32  – ABl. L 43, S. 1.


33  – Urteile vom 23. September 2003 in der Rechtssache C‑192/01, vom 5. Februar 2004 in der Rechtssache C‑24/00 und vom 5. Februar 2004 in der Rechtssache C‑95/01 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


34  – Nach den Ausführungen des Gerichtshofes in der Rechtssache C‑192/01 (Kommission/Dänemark, zitiert in Fußnote 33, Randnrn. 51 bis 55).


35  – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache C‑192/01 (Kommission/Dänemark, zitiert in Fußnote 33, Nr. 124).


36  – Randnr. 52.


37  – Siehe im Einzelnen „Is the precautionary principle justiciable?“, E. Fischer, Journal of Environmental Law, Bd. 13, Nr. 3, S. 315.


38  – Urteil vom 11. September 2002 (Slg. 2002, II‑3305, Randnr. 152).


39  – Zitiert in Fußnote 38.


40  – Siehe oben, Nrn. 50 bis 53.


41  – Vom Gerichtshof formuliertes Kriterium, das oben in Nr. 100 genannt wird.


42  – Urteile vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C‑180/96 (Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998, I‑2265) und in der Rechtssache C‑157/96 (National Farmers’ Union, zitiert in Fußnote 29).


43  – Urteil vom 12. Juli 2001 (Slg. 2001, I‑5689, insbesondere Randnrn. 84, 85, 95 und 100).


44  – Vgl. z. B. Urteil vom 13. April 2000 in der Rechtssache C‑292/97 (Kjell Karlsson u. a., Slg. 2000, I‑2737, Randnr. 39).


45  – Vgl. oben, Nr. 38.


46  – Vgl. Nr. 182 meiner Schlussanträge zum Urteil des Gerichtshofes vom 29. April 2004 in der Rechtssache C‑278/00 (Griechenland/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) und die in Fußnote 42 dieser Schlussanträge zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofes.


47  – Die Beschränkung der Wirkungen lässt sich sehr ähnlich begründen, wie es der Gerichtshof im Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-295/90 (Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1992, I‑4193) getan hat.

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