EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61995CC0285

Schlussanträge des Generalanwalts Elmer vom 6. März 1997.
Suat Kol gegen Land Berlin.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberverwaltungsgericht Berlin - Deutschland.
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Beschluß des Assoziationsrates - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Ordnungsgemäße Beschäftigung - Beschäftigungszeiten, die aufgrund einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden.
Rechtssache C-285/95.

European Court Reports 1997 I-03069

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1997:107

61995C0285

Schlussanträge des Generalanwalts Elmer vom 6. März 1997. - Suat Kol gegen Land Berlin. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberverwaltungsgericht Berlin - Deutschland. - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Beschluß des Assoziationsrates - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Ordnungsgemäße Beschäftigung - Beschäftigungszeiten, die aufgrund einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden. - Rechtssache C-285/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-03069


Schlußanträge des Generalanwalts


Einleitung

1 In der vorliegenden Rechtssache ersucht das Oberverwaltungsgericht Berlin den Gerichtshof um Auslegung der Wendung "ordnungsgemässe Beschäftigung" im Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei im Zusammenhang mit einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis.

Die anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften

2 Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei(1) hat nach Artikel 2 Absatz 1 zum Ziel, "eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, daß hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden".

Nach Artikel 12 des Abkommens vereinbaren die Vertragsparteien, "sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen".

3 Nach Artikel 36 eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 23. November 1970(2) legt der Assoziationsrat die erforderlichen Regeln für die schrittweise Herstellung der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Artikels 12 des Assoziierungsabkommens fest.

4 Der Assoziationsrat erließ demgemäß den Beschluß Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der am 1. Juli 1980 in Kraft trat(3). Die Bestimmungen in Kapitel II Abschnitt 1 dieses Beschlusses, die die Artikel 6 bis 16 umfassen, betreffen die Beschäftigung und die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer.

In Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses heisst es:

"(1) ... hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemässer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung ... das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemässer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis."

5 Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses lautet:

"Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind."

Sachverhalt

6 Der 1966 geborene türkische Staatsangehörige Suat Kol reiste am 15. Februar 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gab er an, wegen Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen für immer eingereist zu sein. Die Eheschließung erfolgte am 9. Mai 1988. Wegen Verdachts der Zweckehe wurde er zunächst von den Ausländerbehörden im Hinblick auf genauere Untersuchungen erfasst. Danach erhielt er eine bis zum 20. März 1989 befristete Aufenthaltserlaubnis, die wiederholt verlängert wurde.

Bei ihrer Vorsprache am 2. Mai 1991 zwecks Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gaben Suat Kol und seine deutsche Ehefrau an, daß sie in der Ehewohnung in ehelicher Gemeinschaft unter Führung eines gemeinsamen Hausstandes lebten. Suat Kol erhielt daraufhin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Die abgegebene Erklärung über das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft war jedoch unrichtig. Nachträglich stellte sich heraus, daß die Ehefrau bereits im April 1990 Scheidungsklage eingereicht hatte und die Eheleute bereits längere Zeit vor Abgabe der Erklärung vom 2. Mai 1991 die eheliche Lebensgemeinschaft endgültig aufgelöst hatten. Die Ehe wurde durch Urteil vom 14. Februar 1992 geschieden.

7 Suat Kol wurde durch Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 29. November 1993 mit einer Geldstrafe belegt, weil er am 2. Mai 1991 unrichtige Angaben gemacht hatte, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen. Seine frühere Ehefrau wurde wegen Beihilfe bestraft.

8 Suat Kol wies den deutschen Behörden folgende Beschäftigungszeiten während seines Aufenthalts nach: 1. vom 3. April 1989 bis 31. Dezember 1989 und am 7. Februar 1990 bei der Firma Bosch-Siemens-Hausgeräte, 2. vom 15. Juni 1990 bis 6. Juli 1993 und vom 6. September 1993(4) bis 8. Februar 1994 sowie ab 24. März 1994 bei der Firma Enver Kol, die einen Imbißstand betreibt.

9 Das Landeseinwohneramt Berlin wies Suat Kol durch Verfügung vom 7. Juli 1994 mit der Begründung aus Deutschland aus, daß er die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nur durch Abgabe falscher Erklärungen gegenüber den Behörden erlangt habe. Sein gesetzwidriges Verhalten erfordere aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung, die den Zweck habe, andere Ausländer von vergleichbarem rechtswidrigem Verhalten abzuschrecken.

Das Verwaltungsgericht Berlin wies den Antrag von Suat Kol auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluß vom 12. Mai 1995 ab und führte zur Begründung aus, Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 begründe keinen gegenüber den allgemeinen Vorschriften des allgemeinen Ausländerrechts erhöhten Ausweisungsschutz.

Suat Kol legte gegen diesen Beschluß Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin ein und machte geltend, ihm stehe aufgrund seiner Beschäftigungszeiten ein Bleiberecht nach Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 zu. Eine allein generalpräventiv motivierte Ausweisung sei mit Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses unvereinbar.

Die Vorabentscheidungsfrage

10 Das vorlegende Gericht hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof mit Beschluß vom 11. August 1995 folgende Vorabentscheidungsfragen vorgelegt:

1. Sind Zeiten einer Beschäftigung, die ein türkischer Arbeitnehmer aufgrund einer durch vorsätzliche strafbare Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis in einem Mitgliedstaat verbracht hat, als ordnungsgemässe Beschäftigung im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei anzuerkennen?

2. Bei Bejahung von Frage 1:

Ist die Beendigung des Aufenthalts eines solchen Arbeitnehmers durch Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen zur Abschreckung anderer Ausländer mit Artikel 14 Absatz 1 des obengenannten Beschlusses vereinbar?

Stellungnahme

11 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß Suat Kol ungefähr neun Monate bei der Firma Bosch-Siemens-Hausgeräte beschäftigt war. Er hat somit aufgrund dieser Beschäftigungszeit keinen Anspruch auf Anwendung des Artikels 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80, da dort eine Beschäftigung von einem Jahr bei demselben Arbeitgeber verlangt wird. Er war allerdings mehr als ein Jahr (vom 15. Juni 1990 bis zum 6. Juli 1993, vom 6. September 1993 bis zum 8. Februar 1994 und vom 24. März 1994 an) bei der Firma Enver Kol beschäftigt. Seine Aufenthalts- und seine Arbeitserlaubnis waren jedoch in der Zeit nach dem 2. Mai 1991 durch Täuschung erlangt. Zu diesem Zeitpunkt war Suat Kol erst 10 1/2 Monate bei der Firma Enver Kol beschäftigt. Aufgrund dieses Sachverhalts möchte das nationale Gericht mit seiner ersten Frage wissen, ob Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, daß Zeiten einer Beschäftigung, die ein türkischer Arbeitnehmer aufgrund einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis in einem Mitgliedstaat zurückgelegt hat, als "ordnungsgemässe Beschäftigung" anzuerkennen sind.

12 Nach Auffassung von Suat Kol ist die erste Frage zu bejahen, da er in den Beschäftigungszeiten, die er in Deutschland zurückgelegt hat, im Besitz sowohl einer gültigen Aufenthaltserlaubnis als auch einer gültigen Arbeitserlaubnis gewesen sei.

13 Das Vereinigte Königreich, die französische, die spanische und die deutsche Regierung sowie die Kommission sind übereinstimmend der Auffassung, daß sich ein türkischer Arbeitnehmer nicht auf Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 berufen könne, wenn das formale Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat in den relevanten Beschäftigungszeiten durch Täuschung erlangt worden sei.

14 Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 hat unmittelbare Wirkung(5). Die Bestimmung gilt nach ihrem Wortlaut nur für das Recht auf Beschäftigung. Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich jedoch, daß im Zusammenhang mit diesem Recht auf Beschäftigung ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besteht(6).

15 So hat der Gerichtshof im Urteil vom 6. Juni 1995(7) ausgeführt,

"daß die Ordnungsmässigkeit einer während eines bestimmten Zeitraums ausgeuebten Beschäftigung anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaats zu prüfen ist, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt.

...

Die Anerkennung dieser Rechte wird nicht durch Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 von der Voraussetzung abhängig gemacht, daß der türkische Staatsangehörige zum Nachweis der Ordnungsmässigkeit der Beschäftigung ein von den Behörden des Aufnahmelandes ausgestelltes spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeitserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.

Folglich stehen die durch diese Bestimmungen verliehenen Rechte den türkischen Staatsangehörigen, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integriert sind, unabhängig davon zu, daß die zuständigen Behörden Verwaltungsdokumente ausstellen, durch die in diesem Zusammenhang nur das Bestehen dieser Rechte festgestellt werden kann, ohne daß sie jedoch eine Voraussetzung dafür darstellen können."

16 Die Arbeitsberechtigung ist somit in der Zeit, in der sich der türkische Arbeitnehmer auf die Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 berufen kann, dadurch bedingt, daß er nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats bereits ein Aufenthaltsrecht erworben hat. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein türkischer Arbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht besitzt, ist nach nationalem Recht zu beurteilen. Dafür ist entscheidend, ob sich der Betroffene nach den materiellen Vorschriften des Mitgliedstaats rechtmässig im Land aufhält. Die formale Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ist ohne Bedeutung.

17 Der Gerichtshof hatte in zwei Rechtssachen Gelegenheit, die Wendung "ordnungsgemässe Beschäftigung" in Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 auszulegen.

Im Urteil vom 20. September 1990(8), in dem es um einen türkischen Arbeitnehmer ging, der seine Beschäftigung nur aufgrund der aufschiebenden Wirkung einer von ihm erhobenen Klage - die abgewiesen wurde - hatte aufrechterhalten können, hat der Gerichtshof verneint, daß in einer solchen Situation eine "ordnungsgemässe Beschäftigung" im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorlag, da diese "eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus[setzt]"(9).

Auch im Urteil vom 16. Dezember 1992(10) hat der Gerichtshof das Vorliegen einer "ordnungsgemässen Beschäftigung" verneint, da "die Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung ... eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts ... voraussetzt". In dieser Rechtssache ging es um einen türkischen Arbeitnehmer, dem während der Zeit, in der eine Klage, die er gegen die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis erhoben hatte, bis zur endgültigen Entscheidung des Rechtsstreits aufschiebende Wirkung hatte, die Erlaubnis zum Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat und das Recht zur Ausübung einer Beschäftigung gewährt worden waren.

18 Der Gerichtshof hat somit entschieden, daß nicht allein aufgrund eines vorläufigen Aufenthaltsrechts, das während der Zeit bis zur Entscheidung eines Rechtsstreits besteht, zurückgelegte Beschäftigungszeiten als Zeiten einer ordnungsgemässen Beschäftigung angesehen werden können. In der vorliegenden Rechtssache verhält es sich anders, da Suat Kol - aufgrund einer Täuschung - im streitigen Zeitraum im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, die erst durch eine spätere Ausweisungsverfügung aufgehoben wurde. Formal war die Position von Suat Kol auf dem deutschen Arbeitsmarkt also keine vorläufige. Da jedoch die Aufenthaltserlaubnis durch Täuschung erlangt worden war, war sie nach deutschem Recht anfechtbar.

Als die deutschen Ausländerbehörden die Täuschung entdeckten, wurde die Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen, und Suat Kol wurde ausgewiesen. Der Zeitpunkt der Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis von Suat Kol durch die deutschen Behörden war ganz zufällig und hing allein davon ab, wann die Behörden herausfanden, daß diese Erlaubnis aufgrund einer Täuschung erteilt worden war. Die Aufenthaltserlaubnis von Suat Kol konnte somit zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach Abgabe der falschen Erklärung zurückgenommen werden.

19 Es kann kaum der Zielsetzung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 entsprechen, wenn derartige Zufälle darüber entscheiden sollten, ob das Erfordernis der "ordnungsgemässen Beschäftigung" während eines Jahres erfuellt ist. Tatsache ist ganz einfach, daß die deutschen Ausländerbehörden Suat Kol am 2. Mai 1991 keine Aufenthaltserlaubnis erteilt hätten, wenn er die Wahrheit über seine Ehe gesagt hätte.

Meines Erachtens ist der vorliegende Fall deshalb ebenso wie der der Rechtssachen Sevince und Kus so zu beurteilen, daß der Zeitraum zwischen der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund der falschen Erklärung über die eheliche Lebensgemeinschaft vom 2. Mai 1991 und der Ausweisung am 7. Juli 1994 nicht als Zeitraum angesehen werden kann, in dem die Position von Suat Kol auf dem Arbeitsmarkt gesichert und nicht nur vorläufig war, da sein formales Aufenthaltsrecht anfechtbar war. Andernfalls wäre eine gerichtliche Entscheidung, durch die Suat Kol ein Aufenthaltsrecht nach deutschem Recht endgültig verweigert würde, bedeutungslos, und es würde ihm ermöglicht, die in Artikel 6 Absatz 1 festgelegten Rechte in einem Zeitraum zu erwerben, in dem er die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfuellte. Wollte man es Suat Kol erlauben, sich an die deutschen Ausländerbehörden zu wenden, um seine Beschäftigung nach dem 2. Mai 1991 zu legalisieren, so würde dies bedeuten, ein verwerfliches Verhalten zu belohnen, was andere ermutigen würde, den Ausländerbehörden der Mitgliedstaaten gegenüber falsche Erklärungen abzugeben, statt sie davon abzuschrecken.

20 In Übereinstimmung damit hat der Gerichtshof folgendes ausgeführt(11):

"Der Grund, aus dem der Gerichtshof es ... [im] Urteil Sevince abgelehnt hat, als Zeiten ordnungsgemässer Beschäftigung die Zeiten anzusehen, die der Betroffene zurückgelegt hat, während seine Klage gegen die Entscheidung, durch die ihm das Aufenthaltsrecht verweigert worden ist, aufschiebende Wirkung entfaltete, bestand nämlich darin, zu verhindern, daß ein türkischer Arbeitnehmer sich die Möglichkeit zur Erfuellung dieser Voraussetzung und somit zum Erwerb des Aufenthaltsrechts, das mit dem in Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Recht auf Zugang zu[r] ... Beschäftigung ... untrennbar verbunden ist, während eines Zeitraums verschafft, in dem er über ein nur vorläufiges Aufenthaltsrecht bis zum Abschluß des Rechtsstreits verfügte.

Dieser Grund gilt so lange weiter, als nicht endgültig feststeht, daß dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen zustand; andernfalls würde einer Gerichtsentscheidung, durch die ihm dieses Recht endgültig verweigert wird, jede Bedeutung genommen und ihm damit ermöglicht, für sich die in Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich vorgesehenen Rechte während eines Zeitraums zu begründen, in dem er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfuellte."

21 Schließlich muß auch der Zweck des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 zu dem genannten Ergebnis führen. Die beschäftigungsrechtlichen Vorteile dieser Bestimmung bezwecken, türkischen Arbeitnehmern, die bereits in den regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integriert sind, eine weitere Integration in dem betreffenden Mitgliedstaat zu gewährleisten. Diese Integrationsabsicht würde die entgegengesetzte Wirkung haben, wenn sich ein türkischer Arbeitnehmer durch Täuschung eine Rechtsposition verschaffen könnte, die nur den in Artikel 14 genannten Bedingungen unterliegt.

22 Die erste Frage ist aufgrund dieser Erwägungen meines Erachtens dahin zu beantworten, daß Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 so auszulegen ist, daß Zeiten einer Beschäftigung, die ein türkischer Arbeitnehmer aufgrund einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis in einem Mitgliedstaat verbracht hat, nicht als "ordnungsgemässe Beschäftigung" anzusehen sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob im konkreten Fall eine Täuschung vorliegt.

23 Da die erste Frage wie söben dargelegt zu beantworten ist, erübrigt sich eine Stellungnahme zur zweiten Frage.

Entscheidungsvorschlag

24 Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, die Vorabentscheidungsfragen wie folgt zu beantworten:

Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 des Assoziationsrates, der aufgrund des am 12. September 1963 in Ankara unterzeichneten und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen wurde, ist dahin auszulegen, daß Zeiten einer Beschäftigung, die ein türkischer Arbeitnehmer aufgrund einer durch Täuschung erwirkten Aufenthaltserlaubnis in einem Mitgliedstaat verbracht hat, nicht als "ordnungsgemässe Beschäftigung" anzusehen sind.

(1) - Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, unterzeichnet in Ankara am 12. September 1963 und im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt durch den Beschluß des Rates 64/732/EWG vom 23. Dezember 1963 (Sammlung der von den Europäischen Gemeinschaften geschlossenen Abkommen, Band 3, S. 541).

(2) - ABl. 1972, L 293, S. 4.

(3) - Der Beschluß ist nicht veröffentlicht.

(4) - Im Vorlagebeschluß ist der 6. September 1990 angegeben. Aus den Akten geht jedoch hervor, daß das richtige Datum der 6. September 1993 ist.

(5) - Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-192/89 (Sevince, Slg. 1990, I-3461).

(6) - Vgl. Fußnote 5.

(7) - Rechtssache C-434/93 (Bozkurt, Slg. 1995, I-1475).

(8) - Siehe Fußnote 5.

(9) - Randnr. 30.

(10) - Rechtssache C-237/91 (Kus, Slg. 1992, I-6781).

(11) - Vgl. Fußnote 10.

Top