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Document 61994CJ0126

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. November 1996.
Société Cadi Surgelés, Société Sofrigu, Société Sofroi und Société Sofriber gegen Ministre des Finances und Directeur général des douanes.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance du 12ème arrondissement de Paris - Frankreich.
Freier Warenverkehr - Gemeinsamer Zolltarif - Gemeinsame Handelspolitik - Besteuerungssystem der französischen überseeischen Departements - Waren aus Drittländern.
Rechtssache C-126/94.

European Court Reports 1996 I-05647

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1996:423

61994J0126

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. November 1996. - Société Cadi Surgelés, Société Sofrigu, Société Sofroi und Société Sofriber gegen Ministre des Finances und Directeur général des douanes. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal d'instance du 12ème arrondissement de Paris - Frankreich. - Freier Warenverkehr - Gemeinsamer Zolltarif - Gemeinsame Handelspolitik - Besteuerungssystem der französischen überseeischen Departements - Waren aus Drittländern. - Rechtssache C-126/94.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-05647


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


1. Freier Warenverkehr ° Handelsverkehr mit Drittstaaten ° Zölle ° Abgaben gleicher Wirkung ° Einseitige Einführung durch die Mitgliedstaaten nach dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Zolltarifs ° Unzulässigkeit ° Erhebung von vor dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Zolltarifs eingeführten Abgaben ° Zulässigkeit ° Voraussetzungen

(EG-Vertrag, Artikel 18 bis 29)

2. Vorabentscheidungsverfahren ° Auslegung ° Zeitliche Wirkung von Auslegungsurteilen ° Rückwirkung ° Grenzen ° Rechtssicherheit

(EG-Vertrag, Artikel 177)

Leitsätze


1. Die Erhebung eines Zolles oder einer Abgabe mit gleicher Wirkung, die von einem Mitgliedstaat nach Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs am 1. Juli 1968 einseitig eingeführt worden sind, auf Einfuhren unmittelbar aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, ist mit dem Vertrag unvereinbar.

Dagegen steht der Vertrag nicht der Erhebung einer Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll entgegen, die unter Berücksichtigung aller ihrer wesentlichen Merkmale, darunter ihre Bezeichnung, ihr Entstehungstatbestand, ihre Bemessungsgrundlage, die Kriterien für ihre Erhebung, die ihr unterliegenden Personen und die Verwendung ihres Aufkommens, als am 1. Juli 1968 bestehende Abgabe anzusehen ist, sofern die Abgabe nicht erhöht worden ist. Im Fall einer Erhöhung ist die Abgabe nur in Höhe des überschießenden Teils als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen.

2. Aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit kann sich niemand auf die Vertragsbestimmungen über Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung berufen, um die Erstattung von Beträgen zu verlangen, die als zusätzliche Abgaben auf Waren aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, vor dem 16. Juli 1992, dem Tag des Erlasses des Urteils in der Rechtssache C-163/90 (Legros u. a.), mit dem die Unvereinbarkeit einer solchen Besteuerung mit dem Gemeinschaftsrecht festgestellt wurde, erhoben wurden, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

Gleiches gilt für die Beträge, die vor diesem Zeitpunkt als "octroi de mer" auf diese Waren erhoben wurden, soweit deren Erhebung wegen Verstosses gegen das Verbot, nach der Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs einseitig neue Abgaben gleicher Wirkung einzuführen, für rechtswidrig erklärt wird.

Entscheidungsgründe


1 Das Tribunal d' instance des 12. Arrondissements von Paris hat mit Urteil vom 27. Januar 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 9, 12, 113 und 227 Absatz 2 EWG-Vertrag, nunmehr EG-Vertrag, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den Firmen Cadi Surgelés, Sofrigu, Sofroi, Sofriber, Gesellschaften französischen Rechts mit Sitz in den französischen überseeischen Departements (im folgenden: Klägerinnen), einerseits und dem Minister für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt sowie dem Generaldirektor für Zoll andererseits.

3 Die Klägerinnen führen seit einigen Jahren Waren in die französischen überseeischen Departements (im folgenden: DOM) aus anderen Regionen Frankreichs, anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und Drittländern ein. Bei der Einfuhr der Waren in die DOM verlangte die Zollverwaltung von den Klägerinnen die Zahlung eines Betrages, der sich aus den Abgaben "octroi de mer" und "droit additionnel" (zusätzliche Abgabe) zusammensetzt.

4 Bei der Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs am 1. Juli 1968 wurde nach dem Gesetz Nr. 46-451 vom 19. März 1946 auf die Verbringung aller Waren in die DOM eine "octroi de mer" genannte Abgabe erhoben.

5 Zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit wurden nach dem Gesetz Nr. 84-747 vom 2. August 1984 (im folgenden: Gesetz von 1984) alle in die DOM verbrachten Waren wegen dieser Einfuhr mit einer ebenfalls "octroi de mer" genannten Abgabe als "Verbrauchsabgabe" belegt. Bemessungsgrundlage dieser Abgabe war der Zollwert der Waren am Ort ihrer Verbringung in die betroffenen DOM. Im Gesetz von 1984 wurde den DOM ausserdem die Möglichkeit zuerkannt, unter den gleichen Bedingungen eine zusätzliche Abgabe in Höhe von 1 % einzuführen.

6 Da die Klägerinnen weder den "octroi de mer" noch die zusätzliche Abgabe für mit dem Vertrag vereinbar hielten, riefen sie am 11. Dezember 1991 das Tribunal d' instance des 12. Arrondissements von Paris an, um die Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Beträge zu erwirken.

7 Im Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-163/90 (Legros u. a., Slg. 1992, I-4625), das die Erhebung des "octroi de mer" nach dem Gesetz von 1984 betraf, hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß eine Abgabe, die ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren wegen deren Verbringung in eine zum Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats gehörende Region nach Maßgabe des Zollwerts der Waren erhebt, auch dann eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll darstellt, wenn sie auch die in diese Region aus einem anderen Teil desselben Staates verbrachten Waren trifft.

8 Mit Urteil vom 27. Januar 1994 verurteilte das vorlegende Gericht die Zollverwaltung aufgrund des Urteils Legros u. a., den Klägern die in Form dieser beiden Abgaben gezahlten Beträge zurückzuzahlen, soweit sie auf Waren aus einem anderen Mitgliedstaat erhoben worden seien. Die Kläger erhielten ihre Anträge auf Rückzahlung der Beträge aufrecht, die für die aus anderen französischen Regionen sowie aus Drittländern stammenden Waren erhoben worden waren. Daraufhin hat das Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

9 Mit Entscheidung vom 4. Mai 1994 hat der Präsident des Gerichtshofes gemäß Artikel 82a § 1 Buchstabe a der Verfahrensordnung das Verfahren bis zur Verkündung des Urteils vom 9. August 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/93 (Lancry u. a., Slg. 1994, I-3957) ausgesetzt.

10 In diesem Urteil hat der Gerichtshof befunden, daß eine Abgabe wie der "octroi de mer", die ein Mitgliedstaat auf alle in eine Region seines Hoheitsgebiets verbrachten Waren erhebt, nicht nur insoweit eine Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll ist, als sie aus anderen Mitgliedstaaten in diese Region verbrachte Waren trifft, sondern auch insoweit, als sie auf Waren erhoben wird, die aus einem anderen Teil desselben Staates in diese Region verbracht werden.

11 Aufgrund dieses Urteils hat das vorlegende Gericht mit Urteil vom 5. Januar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Januar 1995, die ersten drei Fragen zurückgezogen, jedoch die letzte Frage aufrechterhalten, die wie folgt lautet:

Lässt sich das Diskriminierungsverbot des EWG-Vertrags dahin auslegen, daß es einem Mitgliedstaat verbietet, auf Waren, die aus Drittländern stammen, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, eine inländische Abgabe zu erheben, die nach einer gerichtlichen Entscheidung als Abgabe gleicher Wirkung anzusehen ist, wenn aus den gleichen Drittländern in einen anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren dieser Abgabe nicht unterliegen?

Für den Fall der Verneinung: Stellt die Erhebung einer solchen Abgabe durch den Mitgliedstaat eine Ungleichbehandlung dar, die die Gleichheit zwischen den Wirtschaftsteilnehmern der verschiedenen Mitgliedstaaten gefährdet und Verzerrungen hervorrufen oder die Grundlage des Gemeinsamen Marktes beschädigen kann?

12 Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es der Vertrag verbietet, daß ein Mitgliedstaat bei der Einfuhr von Waren aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, Abgaben mit zollgleicher Wirkung wie den "octroi de mer" und die zusätzliche Abgabe erhebt, wie sie vorliegend im Streit stehen.

13 Nach Artikel 9 Absatz 1 des Vertrages ist Grundlage der Gemeinschaft eine Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt. Sie umfasst zum einen das Verbot, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle jeder Art und Abgaben jeder Art mit gleicher Wirkung wie diese Zölle zu erheben, sowie zum anderen die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern.

14 Nach ständiger Rechtsprechung zielt der Gemeinsame Zolltarif auf eine Angleichung der Zollbelastungen bei Importerzeugnissen aus dritten Ländern an den Grenzen der Gemeinschaft ab, um Verzerrungen des innergemeinschaftlichen freien Warenverkehrs und der Wettbewerbsbedingungen zu verhindern (Urteil vom 13. Dezember 1973 in den verbundenen Rechtssachen 37/73 und 38/73, Diamantarbeiders, Slg. 1973, 1609, Randnr. 9).

15 Im Urteil Diamantarbeiders hat der Gerichtshof ausgeführt, daß zwar der Abschnitt des Vertrages über die Aufstellung des Gemeinsamen Zolltarifs (Artikel 18 bis 29 des Vertrages) im Unterschied zum Abschnitt über die Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten (Artikel 12 bis 17 des Vertrages) nicht die "Abgaben zollgleicher Wirkung" erwähnt, daß dies jedoch nicht bedeutet, daß derartige Abgaben aufrechterhalten oder gar neu geschaffen werden dürften (Randnr. 10).

16 Hinsichtlich der Einführung dieses Zolltarifs hat der Gerichtshof sodann festgestellt, daß zwar die Verordnung (EWG) Nr. 950/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 172, S. 1) die Abschaffung oder Angleichung von Abgaben, die keine echten Zölle sind, nicht ausdrücklich vorgesehen hat, daß sich jedoch aus dem Zweck dieser Verordnung für die Mitgliedstaaten das Verbot ergibt, auf dem Umweg über zusätzlich zu den Zöllen erhobene Abgaben die durch den Gemeinsamen Zolltarif abgesteckten Grenzen des Zollschutzes zu ändern (Randnr. 13).

17 Im selben Urteil hat der Gerichtshof ausserdem darauf hingewiesen, daß die einheitlichen Grundsätze, nach denen die gemeinsame Handelspolitik gestaltet wird (Artikel 113 Absatz 1 des Vertrages), ebenso wie der Gemeinsame Zolltarif selbst einen Abbau der verschiedenartigen nationalen fiskalischen und handelspolitischen Regelungen bedingen, die den Handel mit dritten Ländern beeinträchtigen (Randnr. 16).

18 Demgemäß hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß die Mitgliedstaaten vom 1. Juli 1968 an bei Direkteinfuhren aus dritten Ländern nicht einseitig neue Abgaben einführen oder seit diesem Zeitpunkt bestehende Abgaben erhöhen dürfen (Randnr. 22).

19 Daher sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, den Abgaben, die aufgrund der Gemeinschaftsregelung geschuldet werden, einseitig nationale Abgaben hinzuzufügen, da die Gemeinschaftsregelung sonst ihre notwendige Einheitlichkeit verlieren würde (Urteil vom 5. Oktober 1995 in der Rechtssache C-125/94, Aprile, Slg. 1995, I-2919, Randnr. 35).

20 Etwas anderes gilt jedoch für diejenigen Abgaben zollgleicher Wirkung, die am Tag des Inkrafttretens des Gemeinsamen Zolltarifs am 1. Juli 1968 bereits bestanden (im folgenden: bestehende Abgaben). Denn der Gerichtshof hat zwar im Urteil Diamantarbeiders hervorgehoben, daß die gemeinsame Handelspolitik darauf angelegt ist, die verschiedenartigen nationalen fiskalischen und handelspolitischen Regelungen, die den Handel mit dritten Ländern beeinträchtigen, abzubauen (Randnr. 23); er hat jedoch darauf hingewiesen, daß die Senkung oder die Abschaffung bestehender Abgaben somit Sache der Gemeinschaftsbehörden ist (Randnrn. 24 und 25).

21 Das den Mitgliedstaaten damit zuerkannte Recht, in ihren Beziehungen zu Drittländern bereits am 1. Juli 1968 bestehende Abgaben zollgleicher Wirkung aufrechtzuerhalten, stellt eine Ausnahme von den Grundsätzen der Einheitlichkeit dar, deren Verwirklichung mit dem Gemeinsamen Zolltarif und der gemeinsamen Handelspolitik angestrebt wird. Es ist deshalb in engen Grenzen auszuüben.

22 Daher ist davon auszugehen, daß eine Abgabe nur dann als bestehende Abgabe angesehen werden kann, wenn sie unter Berücksichtigung aller ihrer wesentlichen Merkmale die gleiche ist wie eine bereits am 1. Juli 1968 geltende Abgabe.

23 Das vorlegende Gericht hat zur Beantwortung der Frage, ob die streitige Abgabe als bestehende Abgabe anzusehen ist, die Vorschriften, die für die streitigen Abgaben gelten, und die Vorschriften, die am 1. Juli 1968 gegolten haben, miteinander zu vergleichen. Bei diesem Vergleich müssen alle eine Abgabe kennzeichnenden Umstände berücksichtigt werden, insbesondere ihre Bezeichnung, ihr Entstehungstatbestand, ihre Bemessungsgrundlage, die Kriterien für ihre Erhebung, die ihr unterliegenden Personen und die Verwendung ihres Aufkommens.

24 Insoweit steht ein blosser Wechsel der für die Abgabe zuständigen Behörde im Rahmen einer Umstrukturierung der Verwaltung ihrer Qualifizierung als bestehende Abgabe noch nicht entgegen.

25 Dagegen genügt es für eine Qualifizierung einer Abgabe wie des in Rede stehenden "octroi de mer" als bestehende Abgabe nicht schon, daß sie immer noch die gleiche Bezeichnung hat wie eine im Jahr 1968 bestehende Abgabe.

26 Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht unter anderem die Bedeutung der einzelnen Änderungen der einschlägigen Rechtsvorschriften, insbesondere der mit dem Gesetz von 1984 erfolgten Änderungen, zu prüfen, aufgrund dessen die fragliche Abgabe offenbar erstmals als "Verbrauchsabgabe" bezeichnet worden ist, die derjenige schuldet, der die Ware in den freien Verkehr überführt, während es sich zuvor um eine in den DOM erhobene Abgabe gehandelt hatte, die auf ein Gesetz "zur Errichtung des allgemeinen Zolltarifs" (Gesetz vom 11. Januar 1892) zurückgeht.

27 Sollte das vorlegende Gericht entscheiden, daß die streitige Abgabe als bestehende Abgabe zu qualifizieren ist, so hat es anschließend zu prüfen, ob sie seit dem 1. Juli 1968 erhöht worden ist. Denn nach dem Urteil Diamantarbeiders ist jede nach dem 1. Juli 1968 erfolgte Erhöhung, und sei sie noch so gering, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

28 Was die "octroi de mer" genannte Abgabe angeht, so ergibt sich aus den dem Gerichtshof von der französischen Regierung mitgeteilten nationalen Bestimmungen, daß die Abgabe seit 1968 in allen DOM für mehrere Warengruppen, insbesondere für Fleisch, Bier, Spirituosen und Kraftfahrzeuge, erhöht worden ist. Somit wäre für jedes der im vorliegenden Fall besteuerten Erzeugnisse der Betrag, der gegenwärtig als die streitige Abgabe zu zahlen ist, mit dem Betrag zu vergleichen, der insoweit gemäß den am 1. Juli 1968 geltenden Vorschriften für das gleiche Erzeugnis bei gleichem Warenwert zu zahlen gewesen wäre. In Höhe des überschießenden Teils ist die Abgabe als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen.

29 Die zusätzliche Abgabe ist unabhängig davon, ob sie als blosse Erhöhung des "octroi de mer" oder als neue Abgabe angesehen wird, mit dem Vertrag unvereinbar.

30 Nach allem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß die Erhebung eines Zolles oder einer Abgabe mit gleicher Wirkung, die von einem Mitgliedstaat nach Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs am 1. Juli 1968 einseitig eingeführt worden sind, auf Einfuhren unmittelbar aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, mit dem Vertrag unvereinbar ist. Dagegen steht der Vertrag nicht der Erhebung einer Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll entgegen, die unter Berücksichtigung aller ihrer wesentlichen Merkmale als am 1. Juli 1968 bestehende Abgabe anzusehen ist, sofern die Abgabe nicht erhöht worden ist. Im Fall einer Erhöhung ist die Abgabe nur in Höhe des überschießenden Teils als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen.

Zu den zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils

31 Für den Fall, daß der Gerichtshof die Erhebung von Abgaben der im Ausgangsverfahren streitigen Art für mit dem Vertrag unvereinbar hält, ersucht die französische Regierung den Gerichtshof, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu beschränken.

32 Im Urteil Legros u. a. hat der Gerichtshof befunden, daß sich aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit niemand auf die Vertragsbestimmungen über die Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle berufen kann, um die Erstattung von Abgaben wie dem "octroi de mer", die vor Erlaß dieses Urteils (am 16. Juli 1992) entrichtet wurden, zu verlangen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.

33 Aus den gleichen Gründen ist festzustellen, daß sich niemand auf die Vertragsbestimmungen über Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung berufen kann, um die Erstattung von Beträgen zu verlangen, die vor dem 16. Juli 1992 als zusätzliche Abgaben auf Waren aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, erhoben wurden, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt. Gleiches gilt für die Beträge, die vor diesem Zeitpunkt als "octroi de mer" auf diese Waren erhoben wurden, soweit deren Erhebung aufgrund des vorliegenden Urteils für rechtswidrig erklärt wird.

34 Dagegen konnte die französische Regierung angesichts der Urteile Diamantarbeiders und Legros u. a. für die Zeit nach dem 16. Juli 1992 bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht mehr davon ausgehen, daß die Erhebung der zusätzlichen Abgabe und die des "octroi de mer" auf Waren aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, in seiner Gesamtheit ° für den Fall, daß der "octroi de mer" als neue Abgabe qualifiziert wird ° oder hinsichtlich seiner späteren Erhöhungen ° für den Fall, daß er als bestehende Abgabe qualifiziert wird ° mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

Kostenentscheidung


Kosten

35 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunal d' instance des 12. Arrondissements von Paris mit Urteil vom 27. Januar 1994 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

1. Die Erhebung eines Zolles oder einer Abgabe mit gleicher Wirkung, die von einem Mitgliedstaat nach Einführung des Gemeinsamen Zolltarifs am 1. Juli 1968 einseitig eingeführt worden sind, auf Einfuhren unmittelbar aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, ist mit dem Vertrag unvereinbar. Dagegen steht der Vertrag nicht der Erhebung einer Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll entgegen, die unter Berücksichtigung aller ihrer wesentlichen Merkmale als am 1. Juli 1968 bestehende Abgabe anzusehen ist, sofern die Abgabe nicht erhöht worden ist. Im Fall einer Erhöhung ist die Abgabe nur in Höhe des überschießenden Teils als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen.

2. Niemand kann sich auf die Vertragsbestimmungen über Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung berufen, um die Erstattung von Beträgen zu verlangen, die vor dem 16. Juli 1992 als zusätzliche Abgaben auf Waren aus Drittländern, die mit der Gemeinschaft kein Sonderabkommen geschlossen haben, erhoben wurden, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt. Gleiches gilt für die Beträge, die vor diesem Zeitpunkt als "octroi de mer" auf diese Waren erhoben wurden, soweit deren Erhebung aufgrund des vorliegenden Urteils für rechtswidrig erklärt wird.

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