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Document 61983CC0268

Schlussanträge des Generalanwalts Sir Gordon Slynn vom 15. November 1984.
D.A. Rompelman und E.A. Rompelman-Van Deelen gegen Minister van Financiën.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Hoge Raad - Niederlande.
Harmonisierung des Mehrwertsteuerrechts - Sechste Richtlinie - Begriff des Steuerpflichtigen.
Rechtssache 268/83.

European Court Reports 1985 -00655

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1984:353

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

SIR GORDON SLYNN

vom 15. November 1984 ( 1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

Mit zwei schriftlichen Verträgen vom 25. November 1978 erwarben Herr und Frau Rompelman Eigentum an zwei Einheiten in einem im Bau befindlichen Gebäude sowie ein Erbbaurecht an dem zugehörigen Grundstück. Die von Herrn Rompelman gekaufte Einheit hat die Nr. 100, die von seiner Frau gekaufte die Nr. 99. In beiden Fällen erwarben sie ein Teilerbbaurecht. Das Erdgeschoß des Gebäudes war für Ausstellungsräume oder Läden vorgesehen, die anderen Stockwerke für Wohnungen. Die gekauften Einheiten waren Ausstellungsräume.

In einem Schreiben vom 26. Juni 1979 an den Inspecteur teilten Herr und Frau Rompelman mit, die Einheiten sollten vermietet werden; nach der Übereignung durch notarielle Urkunde sollten Herr und Frau Rompelman gemeinsame Eigentümer der Einheiten werden, so daß sie für Zwecke der Mehrwertsteuer gemeinsam als ein Unternehmen zu behandeln seien. Die notarielle Übereignungsurkunde wurde am 31. Oktober 1979 ausgefertigt. Am 18. Oktober 1979 gaben Herr und Frau Rompelman für das erste bis dritte Quartal 1979 eine Umsatzsteuererklärung ab, in der sie die Erstattung von Vorsteuer in Höhe von 14186,46 HFL beantragten. Unbestritten ist, daß die fragliche Vorsteuer die war, die beim Verkauf des Anwesens an die Eheleute Rompelman geschuldet war. Der Preis wurde anscheinend entsprechend dem Baufortschritt in Raten entrichtet.

Der Inspecteur lehnte den Erstattungsantrag ab, weil mit der tatsächlichen Nutzung des Grundstücks noch nicht begonnen worden sei. Gegen diese Entscheidung riefen die Eheleute Rompelman den Gerechtshof an. Nach dem Vorlagebeschluß war das Gebäude zu dieser Zeit fertiggestellt, die fraglichen Räume aber noch nicht vermietet. Der Gerechtshof bestätigte die Entscheidung des Inspecteurs mit der Begründung, daß die Eheleute Rompelman nach niederländischem Mehrwertsteuerrecht kein Unternehmen darstellten, da Unternehmereigenschaft nur eine Person habe, die unabhängig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit schließe die Nutzung körperlicher Gegenstände ein; das aber bedeute die tatsächliche Nutzung von bestehenden Gegenständen; die fraglichen Gegenstände bestünden noch nicht (die Eheleute Rompelman hätten nur Anspruch auf die künftige Übertragung von Rechten), deshalb stellten sie kein Unternehmen dar. Die Eheleute Rompelman legten Kassationsbeschwerde zum Hoge Raad mit der Begründung ein, der Gerechtshof habe den Begriff „Nutzung eines Gegenstands“ unzutreffend dahin ausgelegt, daß er die tatsächliche Nutzung eines bestehenden Gegenstands bedeute. Der Hoge Raad legt die folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

„Muß von einer Nutzung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Satz 2 der Sechsten Richtlinie (also der Richtlinie 77/388 des Rates vom 17. Mai 1977, ABl. 1977, L 145, S. 1) schon von dem Zeitpunkt an gesprochen werden, in dem jemand einen zukünftigen Gegenstand in der Absicht kauft, ihn zu gegebener Zeit zu vermieten?“

Nach Artikel 2 der Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer unter anderem „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“. Der Steuerpflichtige ist befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. Artikel 17 Absatz 2). Nach Artikel 4 Absatz 1 gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Absatz 2 lautet wie folgt: „Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfaßt.“

Die vorgelegte Frage zielt darauf ab, ob die Eheleute Rompelman zu der Zeit als Steuerpflichtige zu betrachten waren, als sie die Erstattung beantragten, obwohl sie noch keinen steuerbaren Umsatz getätigt hatten, so daß sie der Sache nach beantragten, von der für zukünftigen steuerbaren Umsatz (die Vermietung der Räume) geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die sie für die Lieferung von Gegenständen (den Verkauf der fraglichen Räume) gezahlt hatten, die für Zwecke des künftigen steuerbaren Umsatzes zu dienen bestimmt waren.

Es ist unbestritten, daß der Verkauf der Räume an Herrn und Frau Rompelman der Mehrwertsteuer unterlag, daß ein Steueranspruch im Sinne des Artikels 10 der Richtlinie vorlag und daß für den Verkauf Mehrwertsteuer entrichtet wurde.

Nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b unterliegt die Verpachtung von Grundstücken normalerweise nicht der Mehrwertsteuer. Nach Artikel 13 Teil C können die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen jedoch eine Besteuerungsoption einräumen. Die Niederlande habe eine solche Option eingeräumt; sie ist von Verpächter und Pächter gemeinsam auszuüben. Der Vorlagebeschluß geht von der Annahme aus, wenn die Option ausgeübt werde, sei die Verpachtung für die Zwecke des Abzugs als steuerbarer Umsatz zu behandeln; in einem Steuerzeitraum könnten Vorsteuern abgezogen werden, auf die in einem anderen Zeitraum Anspruch entstanden sei. Dagegen hat sich niemand gewandt. Wenn auch unsicher sein mag, welcher künftige Umsatz hinsichtlich der Lieferung von Investitionsgütern steuerbar sein wird, so entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug doch, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht, wenn also die Investitionsgüter geliefert werden (Artikel 17 Absatz 1), und das Recht auf Vorsteuerabzug kann ausgeübt werden, wenn die Gegenstände vorbehaltlich von Berichtigungen nach Artikel 18 Absatz 4 und Artikel 20 für Zwecke steuerbaren Umsatzes verwendet werden (Artikel 17 Absatz 2 und Artikel 18 Absatz 2). Bei Grundstükken kann der Zeitraum für die Berichtigung, der bei Investitionsgütern fünf Jahre beträgt, auf bis zu zehn Jahre verlängert werden.

Mit Herrn und Frau Rompelman hat die Kommission vorgetragen, der Erwerb der Mittel zur Ausübung eines Gewerbes (hier der Erwerb der Räume) sei die erste Handlung in Ausübung dieses Gewerbes; folglich sei eine Person vom Zeitpunkt dieser Vorbereitungshandlung an als Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 anzusehen. Auch nach Ansicht der niederländischen Regierung beginnt die Nutzung im allgemeinen vor der Erzielung von Einnahmen; ihr Anfang könne zu dem Zeitpunkt angesetzt werden, zu dem jemand noch nicht existierende Gegenstände kaufe. Im Gegensatz zu den übrigen Beteiligten trägt die niederländische Regierung jedoch vor, da eine Vorbereitungshandlung nicht unbedingt zur Nutzung des Gegenstands führe, müßten hinreichende objektive Belege dafür vorliegen, daß dies der Fall sein werde. Die erklärte Absicht der Beteiligten reiche nicht aus.

Für die Zwecke der Richtlinie gilt als Steuerpflichtiger, wer selbständig eine der in Artikel 4 Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Diese Tätigkeiten beschränken sich nicht auf die in den Artikeln 5 und 6 der Richtlinie genannten.

Der Erwerb eines Grundstücks ist eine wirtschaftliche Tätigkeit. Zu fragen ist daher, ob sie in Artikel 4 Absatz 2 genannt ist. Da die Überlassung der Nutzung der Liegenschaft nicht im Sinne des Artikels 5 die Übertragung der Befähigung darstellt, wie ein Eigentümer über sie zu verfügen — oder jedenfalls, wenn dem nicht so ist —, ist die Verpachtung von Grundstücken eine Dienstleistung im Sinne der Richtlinie. Der Erwerb eines Grundstücks zur Verpachtung ist die Tätigkeit eines Dienstleistenden im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Satz 1. Dieser Satz schließt Vorbereitungshandlungen für die tatsächliche Dienstleistung nicht aus. Er umgreift „alle Tätigkeiten... eines Dienstleistenden“; der Erwerb eines Grundstücks zur Verpachtung ist eine solche Tätigkeit. Trotz der Verwendung des Wortes „auch“ in der deutschen und seiner Entsprechung in der englischen Fassung nennt Satz 2 meines Erachtens beispielshalber eine der in Satz 1 genannten Tätigkeiten, nicht eine weitere Tätigkeit. Nach der niederländischen und der dänischen Fassung stellen Leistungen, die die Nutzung von körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenständen umfassen, „unter anderem„ wirtschaftliche Tätigkeiten dar; die französische und die italienische Fassung, die die Ausdrücke „notamment“ und „in particolare“ verwenden, unterstützen diese Auffassung. Jedenfalls wäre es ein unnatürlicher Sprachgebrauch, den Erwerb von Gegenständen als deren Nutzung zu betrachten. In der anschließenden Verwendung, hier durch Verpachtung, liegt die Nutzung oder Nutzbarmachung der Gegenstände.

Demgemäß stellt der Erwerb von Gegenständen, die zur Dienstleistung verwendet werden sollen, eine der in Artikel 4 Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten dar, wenn sie auch — anders, als dies in der Vorlagefrage gesehen wird — in Satz 1 und nicht in Satz 2 genannt ist. Wer eine solche Tätigkeit selbständig ausübt, ist Steuerpflichtiger im Sinne von Artikel 4 Absatz 1.

Die niederländische Regierung hat sicherlich Recht, wenn sie ausführt, es müßten Belege dafür vorliegen, daß die erworbenen Gegenstände zu Dienstleistungen verwendet werden sollen. Mit anderen Worten, es muß belegt werden, daß das, was eine Vorbereitungshandlung für eine künftige wirtschaftliche Tätigkeit sein soll, diese Tätigkeit wirklich vorbereitet. Der Grundstückserwerb allein ist noch keine Vorbereitungshandlung, da das Grundstück auch für persönliche Wohnzwecke und nicht zur Verpachtung oder für andere wirtschaftliche Tätigkeiten erworben worden sein mag.

Ob der Erwerb eine Vorbereitungshandlung darstellt, ist freilich ausschließlich eine Beweisfrage; die erklärte Absicht des Erwerbers kann einen hinreichenden Beweis darstellen, wenn sie akzeptiert wird. Ob sie akzeptiert werden sollte, mag vom Grundriß der Räume und ihrer Eignung für den erklärtermaßen beabsichtigten Zweck abhängen. Im vorliegenden Fall sollen die Räume als Ausstellungsräume entworfen und erworben worden sein.

Die Vorlagefrage sollte meines Erachtens deshalb in etwa wie folgt beantwortet werden:

„Die in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 77/388 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten schließen den Abschluß eines Vertrages über den Erwerb von zu errichtenden Gebäuden mit ein, wenn hinreichend belegt ist, daß das Grundstück für die Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden verwendet werden soll. Die Verpachtung von Grundstücken stellt eine Dienstleistung in diesem Sinne dar.“

Es ist Sache des vorlegenden Gerichtes, über die Kosten der Parteien des Ausgangsverfahrens zu entscheiden. Die Auslagen der Kommission und der niederländischen Regierung sind nicht erstattungsfähig.


( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.

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