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Document 61976CC0085
Opinion of Mr Advocate General Reischl delivered on 19 September 1978. # Hoffmann-La Roche & Co. AG v Commission of the European Communities. # Dominant position. # Case 85/76.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 19. September 1978.
Hoffmann-La Roche & Co. AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Marktbeherrschende Stellung.
Rechtssache 85/76.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 19. September 1978.
Hoffmann-La Roche & Co. AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Marktbeherrschende Stellung.
Rechtssache 85/76.
European Court Reports 1979 -00461
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1978:162
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS REISCHL
VOM 19. SEPTEMBER 1978
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
In dem Verfahren, das uns heute beschäftigt, geht es um eine Entscheidung, die die Kommission der Europäischen Gemeinschaften aufgrund von Artikel 86 des EWG-Vertrags wegen „mißbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt“ erlassen hat.
Die Klägerin des Verfahrens ist die Muttergesellschaft der weltweit operierenden Hoffmann-La Roche-Gruppe mit Sitz in Basel und Tochtergesellschaften in fast allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft außer in Luxemburg und in Irland. Hoffmann-La Roche — künftig Werde ich abkürzend von „Roche“ sprechen — stellte unter anderem nicht abgepackte synthetische Vitamine her. Diese Produktion wurde zum Teil schon in den dreißiger und vierziger Jahren begonnen; die dafür geltenden Patente scheinen inzwischen abgelaufen zu sein. Roche hat im Gemeinsamen Markt rund 5000 Kunden, die im Bereich der Arzneimittel-, Lebensmittel- und Futtermittelherstellung tätig sind. Mit einer Reihe von ihnen — es handelt sich um 22 Abnehmer, die sich im Gemeinsamen Markt als Hersteller und Verkäufer betätigen — wurden in der Zeit von 1963 bis 1973 Verträge über die Bedarfsdeckung abgeschlossen, auf deren zum Teil recht unterschiedlichen Inhalt nachher einzugehen sein wird. Nach der Darstellung der Kommission hatten sie den Zweck, die Hauptabnehmer von Vitaminen an die Klägerin zu binden, und zwar entweder mit Hilfe ausdrücklicher Bezugsverpflichtungen hinsichtlich des ganzen oder des größten Teils des Bedarfs oder aber mit Hilfe von — unterschiedlich ausgestalteten — Treueprämien oder Vorzugspreisen.
Diese Abmachungen — die Bindungen sollen bis Ende 1974 bestanden haben — hält die Kommission für gemeinschaftsrechtswidrig. Sie glaubt nämlich, eine beherrschende Position von Roche auf einer Reihe von Vitaminmärkten feststellen zu können, und ist der Meinung, derartige Vereinbarungen seien geeignet, die Wahlfreiheit und die Gleichbehandlung der Abnehmer zu beeinträchtigen.
Die Klägerin teilt diesen Standpunkt nicht. Sie hat aber — wie sie uns versicherte, schon nach einem ersten Besuch von Beamten der Kommission im Herbst 1974 — die Abänderung der beanstandeten Verträge in die Wege geleitet. Diese seien noch vor Erlaß der angegriffenen Entscheidung aufgehoben oder modifiziert worden. Neue Rahmenverträge sind offenbar im Januar 1975 der Kommission zur Begutachtung übermittelt worden. Außerdem wurden der Kommission anscheinend im Juni 1975 Neufassungen der Verträge zur Beurteilung vorgelegt, die mit der Firma Merck, einem der Abnehmer, um die es geht, abgeschlossen werden sollten.
Hinsichtlich des früher praktizierten Absatzsystems wurde aber gleichwohl im Juli 1975 ein Wettbewerbsverfahren gegen Roche eingeleitet. Dieses wurde, nachdem die Klägerin und ihre Vertragspartner ihre Stellungnahmen zu den von der Kommission niedergelegten Beschwerdepunkten abgegeben hatten, nachdem die Beteiligten angehört und an die Kunden sowie an die Tochtergesellschaften der Klägerin im Gemeinsamen Markt gerichtete Auskunftsersuchen beantwortet worden waren, am 9. Juni 1976 mit dem Erlaß einer Entscheidung abgeschlossen.
In ihr stellte die Kommission fest, die Klägerin habe im Gemeinsamen Markt auf sieben Vitaminmärkten (Vitamine A, B2, B6, C, E, H und Pantothensäure) eine beherrschende Stellung. Der Klägerin könne im Hinblick auf die in verschiedener Weise bewirkte Bindung einer Reihe ihrer Abnehmer und deren unterschiedliche Behandlung ein Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 des EWG-Vertrags vorgeworfen werden. Demgemäß wurde in Artikel 2 der Entscheidung verlangt, das beanstandete Verhalten unverzüglich abzustellen. Außerdem wurde mit der Begründung, der Verstoß gegen Artikel 86 sei vorsätzlich, zumindest aber fahrlässig begangen worden, eine Geldbuße nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 festgesetzt, wofür jedoch nur der Zeitraum von 1970 bis 1974 in Betracht gezogen wurde. Diese innerhalb von drei Monaten ab Zustellung der Entscheidung zahlbare Buße beläuft sich gemäß Artikel 3 der Entscheidung auf 300000 Rechnungseinheiten und wurde, da die Klägerin eine Tochtergesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat, in der Entscheidung auf 1098000 DM umgerechnet.
Gegen diese Entscheidung hat Roche am 27. August 1976 Klage erhoben. Ihrem Hauptantrag zufolge soll die genannte Entscheidung im ganzen aufgehoben werden. Hilfsweise hat Roche beantragt, nur Artikel 3 der genannten Entscheidung, also die Festsetzung der Geldbuße, aufzuheben.
Nachdem der Streit in umfangreichen Schriftsätzen ausgiebig abgehandelt worden war — zu einem reichhaltigen Fragenkatalog des Gerichtshofs haben die Parteien noch eine Fülle zusätzlicher Erklärungen abgegeben — und nachdem eine gründliche Erörterung in der Verhandlung vom 31. Mai 1978 stattgefunden hat, nehme ich dazu nunmehr wie folgt Stellung.
I — |
Eine Zeitlang konnte Unklarheit bestehen, ob es der Klägerin nur auf die Annullierung der gegen sie verhängten Geldbuße, also des Artikels 3 der Entscheidung, oder aber auf die Aufhebung der gesamten Entscheidung ankommt. Insofern bestehen jetzt namentlich nach ausdrücklichen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr. Die Klägerin hält auch am Hauptantrag fest, der die Annullierung der Feststellung betrifft, die Klägerin habe eine beherrschende Stellung auf einigen Vitaminmärkten, die sie mit der Ausgestaltung der von ihr früher abgeschlossenen Lieferverträge mißbraucht habe. |
II — |
Die Untersuchung muß also mit der recht kontroversen Frage beginnen, ob die Klägerin zu der fraglichen Zeit, insbesondere von 1970 bis 1974, eine beherrschende Stellung innehatte. Daran anschließend werde ich prüfen, ob der Abschluß der erwähnten Lieferverträge als Mißbrauch im Sinne des Artikels 86 des EWG-Vertrags zu werten ist, und erst danach werde ich auf die übrigen Klagegründe eingehen, soweit sie nicht inzwischen fallengelassen worden sind wie die Rüge, die Kommission habe die Geldbuße zu Unrecht, nämlich unter Verletzung des Artikels 18 der Verordnung Nr. 17, in der Währung eines Mitgliedstaates festgesetzt. |
1. |
Zu dem in Artikel 86 des EWG-Vertrags enthaltenen Begriff „beherrschende Stellung“ gibt es schon eine gewisse Rechtsprechung. Danach ist von beherrschender Stellung zu sprechen, wenn der Wettbewerb wesentlich behindert ist (Rechtssache 6/72, Europemballage Corporation und Continental Can Company Inc. gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 21. Februar 1973, Slg. 1973, 215), wenn ein Unternehmen — wie es im Urteil der Rechtssache 78/70 (Deutsche Grammophon Gesellschaft mbH/Metro-SB-Großmärkte GmbH & Co. KG, Urteil vom 8. Juni 1971, Slg. 1971, 487) heißt — in der Lage ist, wirksamen Wettbewerb auf einem bedeutenden Teil des in Betracht kommenden Marktes zu verhindern. Zu berücksichtigen ist bei dieser Prüfung namentlich — das ergibt sich gleichfalls dem zuletzt genannten Urteil —, ob es Hersteller gibt, die gleichartige Erzeugnisse vertreiben, und welche Marktstellung diese haben. Von Marktanteilen wurde in bezug auf Artikel 86 unter anderem in dem berühmten Zuckerfall (Rechtssachen 40 etc./73, Cooperative vereniging „Suiker Unie“ UA und andere/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 16. Dezember 1975, Slg. 1975, 1663) gesprochen. Daraus läßt sich schließen, daß in diesem Fall, in dem die Anteile auf bestimmten abgrenzbaren Märkten sehr hoch sind (85, 90, 95 %) und die Einfuhren einen ganz geringen Umfang aufweisen, ohne weiteres, also ohne zusätzliche Untersuchungen davon ausgegangen werden kann, daß für das betreffende Unternehmen die Möglichkeit besteht, einen wirksamen Wettbewerb zu verhindern. Eine wichtige zusätzliche Klärung ist auch in dem Urteil der Rechtssache 27/76 (United Brands/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 14. Februar 1978), auf das vor allem die Kommission hingewiesen hat, erfolgt. Aus ihm ist die allgemeine Feststellung wichtig, kennzeichnend für einen Marktbeherrscher sei, daß er in gewissem Maße auf Konkurrenten, Kunden und Verbraucher keine Rücksicht zu nehmen brauche. Ferner wurde in dem Urteil hervorgehoben, eine beherrschende Position ergebe sich im allgemeinen aus mehreren Faktoren; notwendig sei einmal die Prüfung der Struktur des betreffenden Unternehmens und andererseits der auf dem Markt bestehenden Wettbewerbssituation. Unter dem zuerst genannten Gesichtspunkt spielten im Urteil 27/76 eine ganze Reihe von Elementen eine Rolle, wie ausgeprägte vertikale Integration, Vorhandensein eigener Transportmittel, technische Kenntnisse, wirksame Markenwerbung, die eine Verbraucherpräferenz zur Folge hatte, beschränkte Kundenzahl und Knapphaltung der Erzeugnisse. Was die Wettbewerbssituation auf dem Markt angeht — wenn man so will, beziehen sich auch einige der bereits erwähnten Elemente darauf —, so kam dem Marktanteil der Klägerin, der zwischen 40 und 45 % ausmacht, Gewicht zu. Darüber hinaus wurde aber festgehalten — und erst danach kam der Gerichtshof zur Annahme einer beherrschenden Stellung —, die Klägerin sei die wichtigste Bananengruppe; ferner wurden Ermittlungen angestellt zur Zahl und zur Stärke der Konkurrenten, und es wurde festgestellt, daß sich trotz wiederholten, sehr heftigen Wettbewerbs auf einzelnen Märkten, dem die Klägerin widerstehen konnte, keine Verschiebung der Marktanteile ergeben habe. Nicht zuletzt spielte auch eine Rolle, daß der Marktzugang wegen des Erfordernisses umfangreicher Investitionen erschwert ist, weswegen mit dem Erscheinen neuer Wettbewerber auf dem Markt nicht zu rechnen sei, während Überlegungen zur Rentabilität und zur Möglichkeit der Preisbestimmung nicht für wichtig erachtet wurden. |
2. |
Nützlich erscheint mir sodann auch ein kurzer Blick auf die nationalen Rechtsordnungen, die den Begriff der Marktbeherrschung kennen. Nach dem, was sich dort an Lehrmeinungen und Praxis entwickelt hat, kann man tatsächlich den Eindruck haben, daß sich das soeben erwähnte Bananenurteil, was in Betracht kommende Marktanteile und darüber hinausreichende Prüfungen angeht, auf einer im allgemeinen für richtig gehaltenen Linie gewegt. So ist von Interesse, daß in Frankreich vielfach Marktanteile um 50 % als relevant angesehen werden, wozu dann weitere Überlegungen — wie Stärke und Umfang anderer Wettbewerber, technische und kommerzielle Organisation und dergleichen — kommen (vgl. R. Collin in La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, Semaine de Bruges 1977, S. 244 ff.). Auch im deutschen Recht haben derartige Größenordnungen von Marktanteilen Bedeutung (vgl. die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 1976 und 16. Dezember 1976, Wirtschaft und Wettbewerb 1976, S. 783, und 1977, S. 255). Dazu kommen dann aber noch detaillierte Untersuchungen der Wettbewerbsverhältnisse, der Position von Konkurrenten, der Marktstruktur, der Marktentwicklung und des Verhaltens der Betroffenen; auch werden finanzielle und technische Ressourcen eines Marktführers berücksichtigt. Ahnliches scheint für die nordischen Länder zuzutreffen (vgl. La réglementation du comportement des monopoles et entreprises dominantes en droit communautaire, Semaine de Bruges 1977, S. 301 ff.). So wird in Finnland von einer beherrschenden Position gesprochen, wenn über 50 % des Marktes kontrolliert werden. Soweit in anderen Rechtsordnungen (Norwegen, Dänemark und Schweden) Marktanteile von 25 % oder zwischen 25 und 50 % ausreichen, darf nicht vergessen werden, daß dort der relevante Markt sehr eng interpretiert wird. Schließlich weicht auch das Bild in den USA mit der dort vorhandenen reichhaltigen Praxis zum Monopolrecht kaum ab. Es wird treffend gekennzeichnet durch eine Rechtsprechungsübersicht, die Holley in der bereits erwähnten Veröffentlichung der Semaine de Bruges 1977 auf den Seiten 174 ff. gibt. Danach sind, wenn der Markt zu 90 % kontrolliert wird, weitere Argumente nicht erforderlich. Bei 75 % Marktanteil gilt dies schon nicht mehr; hier sind zusätzlich andere Faktoren zu berücksichtigen, freilich besteht eine so starke Vermutung für Marktbeherrschung, daß diese schwierig zu widerlegen ist. Bei darunterliegenden Marktanteilen (60 bis 70 %) wird das Gewicht der zusätzlich zu berücksichtigenden Faktoren größer; liegen die Marktanteile nur etwas über 50 %, müssen starke Indizien anderer Art für eine Marktbeherrschung sprechen, und bei Marktanteilen unter 50 o/o besteht nach US-amerikanischem Recht offenbar eine sehr schwere Beweislast für die Existenz einer marktbeherrschenden Position. |
3. |
Wenn wir vor diesem Hintergrund an die Untersuchung des vorliegenden Falles gehen, so ist zunächst in Erinnerung zu bringen, daß die Kommission eine beherrschende Position der Klägerin vor allem im Hinblick auf die Größe ihrer Marktanteile auf den verschiedenen Vitaminmärkten und im Hinblick auf die Stellung der nächstgrößeren Produzenten angenommen hat. Von Bedeutung war für die Kommission aber auch die Tatsache, daß die Klägerin die größte Herstellerin von Vitaminen ist und über eine entsprechende Flexibilität und Kapitalkraft verfügt, daß sie ein sehr großes Vitaminsortiment aus eigener Produktion anbieten kann und daß sie gegenüber ihren Konkurrenten über einen technologischen und kommerziellen Vorsprung verfügt, wobei an das technische Know-how und an das stark entwickelte Vertriebsnetz der Klägerin zu denken ist. Die Klägerin beanstandet daran einmal, daß die Kommission von unzutreffenden Werten ausgegangen sei; in Wahrheit habe die Klägerin bei den einzelnen Vitaminen geringere Marktanteile. Ferner seien einige zusätzlich von der Kommission verwertete Aspekte — breites Vitaminsortiment der Klägerin sowie ihre Finanzkraft — bei Berücksichtigung der Situation von Konkurrenten, was die Marktmacht der Klägerin angehe, ohne Aussagekraft. Außerdem habe die Kommission zu Unrecht die Berücksichtigung weiterer Faktoren unterlassen. Dabei denkt die Klägerin an die Prüfung der Marktlage und des Marktverhaltens über einen längeren Zeitraum hinweg, wobei namentlich von Bedeutung sei, daß sich der Vitaminmarkt in einem Zustand starker Expansion befinde; auch habe sie keine Preisbestimmungsmacht, vielmehr werde die Preisentwicklung durch den Druck anderer Konkurrenten, auch potentieller Wettbewerber, mitbestimmt. Außerdem habe die Kommission den Zugang zu den Beschaffungsmärkten nicht berücksichtigt, wo für die Klägerin, anders als für ihre Hauptkonkurrenten, Schwierigkeiten bestünden, weil sie in bezug auf Vorprodukte von anderen Herstellern abhängig sei. |
4. |
Demnach ist es angebracht, zunächst auf die Marktanteile, die die Klägerin bei den einzelnen Vitaminen hat, einzugehen. Dabei herrscht Einigkeit darüber, daß die Vitaminmärkte getrennt zu untersuchen sind, weil für jedes Vitamin besondere Fabrikationsanlagen notwendig sind und die Vitamine untereinander nicht austauschbar sind. Im Verfahren konnte, nachdem die Kommission die Absatzzahlen der Konkurrenten der Klägerin offengelegt hatte, auch hinsichtlich einiger Werte Einigkeit erzielt werden, wie sich aus der gemeinsamen Stellungnahme der Parteien zu dem Fragenkatalog des Gerichtshofs ergibt. Soweit Streitpunkte verblieben sind, werde ich auf. sie bei der Behandlung der einzelnen Vitaminmärkte eingehen.
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5. |
Nach diesen Bemerkungen zu den Marktanteilen, nach denen feststeht, daß für die Vitamine B2, B6, H und C die Frage der Marktbeherrschung kaum noch zusätzliche Prüfungen von einigem Gewicht verlangt — etwas anderes gilt allein in bezug auf Vitamin A sowie auf Vitamin E für einen Teil des hier zu prüfenden Zeitraums —, wende ich mich nunmehr den Faktoren zu, die die Kommission in ihrer Entscheidung ausdrücklich zusätzlich angeführt hat, um zu sehen, ob sich das vorläufige Urteil zur beherrschenden Marktposition der Klägerin verfestigen läßt.
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6. |
Da die Prüfung der Marktanteile aber in einigen Bereichen (Vitamin A und zum Teil Vitamin E; Vitamin B3 kann aus anderen Gründen außer Betracht bleiben) nur zu Werten geführt hat, die an der Grenze relevanter Größenordnungen liegen, und da insofern in dem bereits erwähnten Bananenurteil sehr gründliche zusätzliche Prüfungen mancherlei Art angestellt worden sind, will ich jetzt auch noch auf die von der Klägerin angeführten Aspekte eingehen, die Zweifel an ihrer Marktmacht rechtfertigen sollen.
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7. |
Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Kommission in der angegriffenen Entscheidung zu Recht festgestellt hat, die Klägerin habe eine beherrschende Posititon auf den Märkten für Vitamin A, B2, B6, C, E und H. Ein abweichendes Urteil läßt sich allein für Vitamin B3 rechtfertigen. Zwar hatte auch für dieses Erzeugnis die Klägerin im Jahre 1974 einen Marktanteil in einer für Artikel 86 relevanten Größenordnung. Angesichts der Größe der Marktanteile von Konkurrenten und der Preisentwicklung für dieses Vitamin, namentlich aber weil die hier interessierenden Verträge spätestens 1973 zum Abschluß kamen, sollte dieser Teilmarkt außer Betracht bleiben. |
III — |
Danach ist weiter zu prüfen, ob die Klägerin tatsächlich ihre beherrrschende Position mißbraucht hat. Die Kommission erblickt einen solchen Mißbrauch im Abschluß von 26 Verträgen mit 22 Abnehmern der Klägerin, die sich auf die Jahre 1963 bis 1973 verteilen. Diese Verträge hätten in verschiedener Weise die Abnehmer hinsichtlich des Bezugs einzelner Vitamine oder aller von dem jeweiligen Kunden benötigten Vitamine an Roche gebunden. Außerdem hätten sie den Kunden unterschiedliche, nicht nach den bei Roche entstandenen Kostenersparnissen bemessene Vorteile eingeräumt. Weil auf diese Weise die Wahlfreiheit der Abnehmer beeinträchtigt, der Wettbewerb zwischen Herstellern und Vitaminen eingeschränkt und anderen Herstellern der Zugang zu diesen Abnehmern versperrt worden sei, könne von einem Verstoß gegen den Grundsatz des Artikels 3 f) des EWG-Vertrags gesprochen werden, nach dem der Wettbewerb vor Verfälschungen zu schützen sei. Außerdem liege eine Mißachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Sinne des Artikels 86 Absatz 2 Buchstabe c) vor. Die Klägerin macht dazu geltend, es könne nicht von einem einheitlichen Absatzsystem die Rede sein; insbesondere wiesen die Abmachungen mit Unilever und Merck Merkmale auf, die eine gesonderte Betrachtung rechtfertigen. Wichtig sei weiterhin, daß die Verträge nicht aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung zustande gekommen, also nicht machtbedingt seien und außerdem im Geschäftsverkehr auch durchaus als üblich anzusehen seien. Zumindest sei bei ihrer Bewertung eine Interessenabwägung angebracht und namentlich zu berücksichtigen, daß die in den Verträgen enthaltene sogenannte englische Fallklausel dem Wettbewerb ausreichend Spielraum gelassen habe. Was die von der Kommission in Betracht gezogenen Unterschiede angehe, so seien sie zumindest zum Teil gerechtfertigt im Hinblick auf unterschiedliche, bei Roche entstandene Kosten. In keinem Fall hätten sie einen Umfang, der zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der Abnehmer geführt hätte. Endlich seien auch die Auswirkungen der Verträge auf den Markt in Rechnung zu stellen. Lasse man die als unbedenklich zu qualifizierenden Abmachungen beiseite, so könne keinesfalls angenommen werden, daß der Wettbewerb und der Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt worden seien. |
1. |
Bei der Beurteilung dieser Auseinandersetzung beginne ich mit einigen allgemeinen, von der Klägerin vorgebrachten Argumenten.
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2. |
Bei der weiteren Untersuchung des Falles werde ich mich zunächst mit dem Tatbestand der Bindung der Abnehmer der Klägerin befassen. Dabei sollen allerdings — der Argumentation der Klägerin folgend — die Verträge mit Unilever und Merck vorläufig ausgeklammert werden, weil sie angeblich besondere Merkmale aufweisen, die in jedem Falle eine abweichende Beurteilung notwendig machten. Zwei Arten von Bindungen sind in den Verträgen anzutreffen: einmal ausdrückliche Bezugsverpflichtungen, verbunden mit Rabattzusagen, und andererseits Bindungen, die allein auf Treuerabatten, wenn man die zugesagten Vorteile einmal abkürzend so kennzeichnen will, beruhen.
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3. |
Nachdem sich so gezeigt hat, daß die Kommission mit Recht — jedenfalls hinsichtlich der Mehrheit der vorliegenden Verträge — eine mißbräuchliche Bindung an die Klägerin angenommen hat, will ich jetzt noch auf die mit der Firma Merck und der Firma Unilever abgeschlossenen Verträge eingehen, um zu sehen, ob sich insoweit eine besondere Beurteilung rechtfertigt.
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4. |
Ich komme danach zum zweiten Mißbrauchstatbestand, der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen, wie sie in Artikel 86, Absatz 2 Buchstabe c) für marktbeherrschende Unternehmen für unzulässig erklärt worden ist. Auch dazu kann auf den Zuckerfall verwiesen werden, in dem gerade zu Treuerabatten eine solche Kritik mit der Begründung erhoben worden ist, die Abnehmer würden auf diese Weise im Wettbewerb benachteiligt. Außerdem ist von Interesse, daß sich auch im nationalen Recht derartige Bewertungen finden, etwa, wenn nach französischem Recht untersagt ist, Preisunterschiede zu praktizieren, die nicht durch unterschiedliche Einstandspreise gerechtfertigt sind; ähnliches gilt nach englischem Recht (vgl. den Bericht der Monopolies and Restrictive Practices Commission „on supply of insulated electric wires and cables“). Daß im vorliegenden Fall die Abnehmer, was die Rabattbemessung angeht, unterschiedlich behandelt wurden, kann nicht in Zweifel gezogen werden und wurde von der Klägerin auch nicht bestritten. Sieht man sich die gestaffelten Gesamtumsatzrabatte an, so ergeben sich zum Teil erhebliche Abweichungen bezüglich der erforderlichen Mindestmengen und der sich auf die Mengen beziehenden Rabatte, und zwar sowohl, wenn man Verträge, die auf die gleiche Währung lauten und sich auf den gleichen Zeitraum beziehen, miteinander vergleicht, als auch, wenn man Verträge einander gegenüberstellt, die auf verschiedene Währungen lauten. Dasselbe trifft für die anderen Treuerabatte einschließlich der sogenannten Delkredererabatte zu, wo die Sätze zwischen einem Prozent und 7,5 Prozent schwanken, wenn man die als Mengenrabatte qualifizierten Nachlässe in dem Vertrag mit Merck außer Betracht läßt. Diese Abweichungen lassen sich auch nicht unter Berufung auf die Zeiträume, für die die Vereinbarungen galten — zum Teil decken sie sich —, oder unter Hinweis auf den Umfang der Bedarfsdeckung oder die tatsächlichen Bezüge rechtfertigen, die uns für das Jahr 1974 mitgeteilt worden sind. Im einzelnen brauche ich dies jetzt nicht zu belegen; eine sorgfältige Analyse der Verträge erlaubt insofern nicht den geringsten Zweifel. Die Rechtfertigungsversuche der Klägerin sehen deshalb auch ganz anders aus. So meinte sie bei der Anhörung durch die Kommission im Verwaltungsverfahren, die Rabatte und Rabattunterschiede seien wegen der Währungsfluktuationen nicht spürbar gewesen. Ferner machte sie geltend, in keinem Fall sei die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden beeinträchtigt worden. Fast alle Abnehmer verarbeiteten nämlich die Vitamine. In den Endprodukten aber spielten die Vitamine nur eine untergeordnete Rolle; namentlich bei der Futtermittel- und Lebensmittelherstellung, der der größte Teil der Absätze zugeflossen sei, hätten sie nur einen ganz geringen Anteil am Endpreis, nämlich ein Prozent oder weniger. Deshalb habe sich sogar eine Rabattdifferenz von 5 % auf die Wettbewerbsverhältnisse nicht auswirken können. Mir scheint jedoch, daß die Klägerin mit dieser Einlassung den Mißbrauchsvorwurf nicht ausräumen kann. Zum ersten Teil genügt es, daran zu erinnern, daß sich Abweichungen in den Rabattsätzen auch in Verträgen finden, die auf gleiche Währung lauten. Was den zweiten Teil der klägerischen Argumentation angeht, so weist die Kommission meines Erachtens mit Recht darauf hin, daß die in Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe c) enthaltene Wendung „im Wettbewerb benachteiligt“ nicht gleichbedeutend ist mit Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit. Dementsprechend wird auch in der Literatur (Siragusa in „Semaine de Bruges 1977“, Seite 425) hervorgehoben, Diskriminierungen seien auch unzulässig, wo kein Wettbewerb zwischen den betreffenden Abnehmern existiere. Außerdem darf nicht vergessen werden, daß die Abnehmer den Rabatten offenbar große Bedeutung beigemessen haben, woraus zu schließen ist, daß sie für ihre Marktstellung und ihre wirtschaftlichen Dispositionen durchaus Gewicht hatten; auch sei daran erinnert, daß auch im Zuckerfall Preisdifferenzen von 5 % vom Gerichtshof für ausreichend erachtet wurden, um von einer Verletzung des Artikels 86 Absatz 2 Buchstabe c) zu sprechen. Demnach kann nur festgehalten werden — und zwar, ohne daß es notwendig wäre, auf das offensichtlich neben der Sache liegende Argument einzugehen, auch Konkurrenten der Klägerin hätten Rabatte in dieser Größenordnung angewandt —, daß die Kommission in der angegriffenen Entscheidung zu Recht auch einen Mißbrauch im Hinblick auf die Gewährung unterschiedlicher Geschäftsbedingungen festgestellt hat. |
5. |
Nach diesen grundsätzlichen Erkenntnissen zum Mißbrauch einer beherrschenden Stellung ist jetzt noch der Frage nachzugehen, ob die von der Kommission getroffene Wertung, die — wie wir gesehen haben — größtenteils Bestand haben kann, unter Hinweis auf das von den Verträgen erfaßte Geschäftsvolumen zu erschüttern ist. Es muß also noch überlegt werden, ob es auf eine spürbare Wettbewerbsbeeinträchtigung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels ankommt und ob im vorliegenden Fall entsprechend der Auffassung der Klägerin die Anwendung des Artikels 86 ausgeschlossen werden kann, weil es daran fehlt. Dazu macht sie namentlich geltend, das kritisierte Absatzsystem habe — lasse man die Verträge mit Merck und Unilever beiseite und beschränke man sich unter Ausschluß der Gesamtumsatzrabatte auf reine Treueverträge — im Durchschnitt der Jahre 1970 bis 1974 lediglich vier Prozent des Vitaminverkaufs im Gemeinsamen Markt erfaßt. Nach meiner Überzeugung können wir der Klägerin auch in diesem Punkt nicht folgen. Mit Recht weist die Kommission darauf hin, daß die Theorie von der Spürbarkeit zu Artikel 85 entwickelt worden ist, also zu einem Bereich, wo an sich vorhandener wirksamer Wettbewerb durch Absprachen und dergleichen eingeschränkt wird. Bei Sachverhalten, die von Artikel 86 erfaßt werden, ist dagegen der Wettbewerb praktisch eliminiert, da ein beherrschendes Unternehmen einem wirksamen Wettbewerb nicht ausgesetzt ist. Hier erscheint es tatsächlich nicht angängig, das Verhalten eines solchen Unternehmens, das nach den Kriterien des Artikels 86 als mißbräuchlich zu werten ist, mangels Spürbarkeit der Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse außer Betracht zu lassen. Selbst wenn man es aber für vertretbar hielte, Mißbräuche zu vernachlässigen oder sie wenigstens straffrei zu lassen, wo es sich gleichsam nur um „quantités négligeables“ handelt, muß doch ernsthaft angezweifelt werden, daß der vorliegende Fall in diese Kategorie gehört. Wie wir gesehen haben, können die Verträge mit Merck und Unilever keineswegs außer Betracht bleiben, sondern allenfalls diejenigen mit Protector und Upjohn, die jedoch vom gesamten Vitaminverkauf in der Gemeinschaft im Jahr 1974 weniger als ein halbes Prozent erfaßten. Wichtig ist auch, daß es sich um Verträge mit bedeutsamen Abnehmern der Klägerin handelt, die sich auf das Gebiet der Lebensmittel- und Futtermittelherstellung konzentrieren. Gleichgültig aber, ob man ihr Geschäftsvolumen mit dem Gesamtabsatz der Klägerin oder — wie es die Klägerin will — mit dem Gesamtabsatz an Vitaminen im Gemeinsamen Markt vergleicht, keinesfalls haben wir Größenordnungen vor uns, die es, auch bei Berücksichtigung der englischen Fallklausel, erlauben, von ganz unbedeutenden Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse zu sprechen. Da es sich außerdem um Verträge mit Vitaminverarbeitern handelt, deren Tätigkeit sich nicht auf das Gebiet eines Mitgliedstaats beschränkt, berechtigt dies gleichzeitig dazu, auch eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einem Ausmaß anzunehmen, das für Artikel 86 von Bedeutung ist. |
IV — |
Lassen Sie mich, nachdem die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, daß die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Kommission, soweit sie den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung feststellt, zum überwiegenden Teil nicht in Zweifel gezogen werden kann, nunmehr der weiteren Frage nachgehen, ob die Verhängung der Geldbuße kritisiert werden kann. Hierzu kommen vor allem drei Überlegungen in Betracht:
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1. |
Zum ersten Gedanken hat die Klägerin auf den § 22 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, nach dem ein mißbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Unternehmen an sich nicht mit Bußgeld belegt ist, und auf andere nationale Wettbewerbsvorschriften hingewiesen, die Bußen nur für den Fall vorsehen, daß konkrete Anordnungen der Kartellbehörden nicht befolgt werden. Außerdem hat sie daran erinnert, daß durch ein Gesetz aus dem Jahre 1973 ein zusätzliches Umtegungsverfahren in das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Begründung eingeführt worden sei, Bußgeldbestimmungen seien zur Klärung der damit zusammenhängenden Fragen nicht geeignet. Wenn ich recht sehe, geht sie aber dennoch nicht so weit, daraus zu folgern, die Bußgeldbestimmung des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 sei, soweit sie sich auf Artikel 86 des EWG-Vertrags bezieht, insgesamt unzulässig. Sie ist nur der Auffassung, dieser Artikel 15 müsse grundrechtskonform ausgelegt werden in dem Sinne, daß Bußen erst dann verhängt werden könnten, wenn verdeutlichende Verwaltungsentscheidungen bereits ergangen seien. Wichtiger Ausgangspunkt für diese Ansicht ist die These, daß im vorliegenden Fall der Abschluß bestimmter Verträge gerügt werde, die durchaus üblich und kartellrechtlich unbedenklich seien und deren Unzulässigkeit nur bei Vorliegen einer beherrschenden Stellung angenommen werden könne. Zu der Frage der Marktbeherrschung aber müsse eingeräumt werden, daß sie schwierige tatsächliche Wertungen mit sich bringe und daß dazu, weil es nicht nur auf Marktanteile und Marktstruktur, sondern auf eine ganze Reihe ergänzender Fragen ankomme, im vorliegenden Fall zumindest begründete Zweifel bestehen müßten. Die Verhängung einer Geldbuße in einer solchen Situation gerate also in Konflikt mit dem Grundsatz, daß Strafvorschriften, ehe sie angewandt werden könnten, ausreichend bestimmt sein müßten. Dieser Grundsatz der Bestimmtheit, der mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zusammenhänge, sei, wie sich der Literatur und der Rechtsprechung entnehmen lasse, zum Teil im nationalen Verfassungsrecht (Artikel 103 des deutschen Grundgesetzes; Artikel 25 Absatz 2 der italienischen Verfassung) verankert; außerdem habe er — wie sich ebenfalls der Lehre entnehmen lasse — in Artikel 7 der Menschenrechtskonvention Ausdruck gefunden. Für Rechtsordnungen, in denen eine solche Verfassungsbestimmung, die sich übrigens nicht nur auf Kriminalstrafen, sondern auch auf Ordnungswidrigkeiten beziehe, fehle, könne wie etwa für das belgische Recht auf den Grundsatz „in dubio pro reo“ oder — und dies treffe für andere Mitgliedstaaten zu — auf das Prinzip „nullum crimen sine lege“ verwiesen werden. Auch daraus könne abgeleitet werden — und zwar auch in bezug auf Ordnungswidrigkeiten —, daß eine Bestrafung entfalle, wenn die Begriffe unklar seien und Zweifel an ihrer Auslegung bestünden. Zumindest seien danach unbestimmte Gesetze eng zu interpretieren. Die Kommission hatte zu diesen Überlegungen eine Reihe von Bedenken und Einwendungen, die namentlich die Tragweite der angezogenen Verfassungsbestimmungen, der Vorschrift aus der Menschenrechtskonvention sowie des im belgischen Recht anzutreffenden Grundsatzes betreffen und nach denen bezweifelt werden müsse, ob ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des von der Klägerin behaupteten Inhalts bestehe. Sie wies darauf hin, daß sich ein derartiger Grundsatz nur im Verfassungsrecht zweier Mitgliedstaaten, die eine gerichtliche Kontrolle der Legislative kennen, auszumachen sei, daß es sich um einen neuartigen Grundsatz handele, und daß er sich vor allem auf das Strafrecht beziehe, während noch nicht endgültig geklärt sei, ob er auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, zu dem die Bußen nach Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 zu rechnen seien, Geltung habe. In jedem Falle müsse angenommen werden, daß sich danach keine übermäßig strengen Schlußfolgerungen rechtfertigten. Sowohl im deutschen als auch im italienischen Recht habe man hingenommen, daß in Gesetzesvorschriften allgemeine, nicht eindeutig zu bestimmende Begriffe vorkämen, und es sei danach vor allem wichtig, ob der gezogene Rahmen eine Auslegung durch den Richter gestatte und eine zuverlässige Grundlage für die Rechtsprechung abgebe. Nicht zuletzt treffe dies für das Wettbewerbsrecht zu, in dem wegen der Vielgestaltigkeit des Wirtschaftslebens auf allgemeine Begriffe nicht verzichtet werden könne. Hier sei es ausreichend, wenn sich der genaue Inhalt einer Bestimmung unter Rückgriff auf die Zielsetzung der Normengesamtheit ermitteln lasse, und dabei spiele in einem Fall wie dem vorliegenden sicher auch eine Rolle, daß ein großes, im internationalen Handel tätiges Unternehmen genügend Anhaltspunkte für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit seines Verhaltens aus der Kenntnis der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen gewinnen könne. Zu dieser Auseinandersetzung — und deshalb habe ich sie verhältnismäßig ausführlich dargestellt — ist sicher zu sagen, daß es außerordentlich reizvoll wäre, den aufgeworfenen Problemen im einzelnen nachzugehen. Im vorliegenden Fall besteht dazu aber aus Gründen, die nachher gleich verständlich werden, kein zwingender Anlaß. Schwerlich vertretbar erscheint mir die These, daß in keinem Fall an eine Anwendung der Bußgeldvorschrift der Verordnung Nr. 17 vor dem Erlaß von Verwaltungsentscheidungen gedacht werden könne, die den Artikel 86 konkretisierten. Ganz offensichtlich ginge dies zu weit, denn sicherlich gibt es Sachverhalte, die sich ohne Schwierigkeiten unter die Vorschriften des Artikels 86 subsumieren lassen, wo also keine ernsthaften Zweifel am Vorliegen einer marktbeherrschenden Position sowie eines Mißbrauches im Sinne der im Artikel 86 angeführten Beispielfälle bestehen. Soweit es daneben aber Grauzonen und Grenzbereiche gibt, solange sich die Verwaltungspraxis noch nicht ausreichend entwickelt hat, dürfte es wohl in den meisten Fällen möglich sein, dem gebührend mit Erwägungen Rechnung zu tragen, die sich auf den Schuldvorwurf beziehen. So dürfte es sich zumindest im vorliegenden Fall verhalten, und deshalb ist es nach meiner Meinung angezeigt, den Schwerpunkt der Untersuchung auf dieses Thema, also auf die zweite von der Klägerin angestellte Überlegung, zu legen. |
2. |
Zu der Frage, ob die Klägerin schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, ihre beherrschende Stellung mißbraucht habe, wurde von ihr die interessante Rechtsfigur des entschuldbaren Verbotsirrtums in die Debatte eingeführt. Mit Hilfe gründlicher rechtsvergleichender Darlegungen ist es der Klägerin auch gelungen, zu zeigen, daß es sich um einen weitverbreiteten Rechtsgedanken handelt und daß es demnach naheliegt, ihn als fortschrittliches Element auch für den EWG-Bereich und die hier geltenden Bußgeldvorschriften anzuerkennen. Ich verweise hierzu auf die Ausführungen der Klägerin zur Geltung des Verbotsirrtums im deutschen Recht, und zwar auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, sowie zum dänischen, niederländischen und französischen Recht — jedenfalls was die dortige Lehre angeht —, und ich erinnere daran, daß Jeschek in seiner Abhandlung „Die Strafgewalt übernationaler Gemeinschaften“ (Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 1953, S. 497, ff.) die Ansicht vertreten hat, ein entsprechender Grundsatz lasse sich für das Montanrecht aus dessen Artikel 36 herleiten. Dagegen dürfte schwerlich ins Gewicht fallen, daß insofern im englischen und italienischen Recht noch eine gewisse Zurückhaltung festzustellen ist. Akzeptiert man diesen Standpunkt, so ist die entscheidende Frage, ob im vorliegenden Fall tatsächlich von einem entschuldbaren Irrtum der Klägerin gesprochen werden kann, was ihre beherrschende Position und das von der Kommission gerügte Verhalten anbelangt. Dabei ist, was die beherrschende Position betrifft — und ganz abgesehen von einem möglichen Tatsachenirrtum, für den der Weltmarktanteil der Klägerin eine Rolle spielen mag —, folgendes zu erwägen: Auf einigen Märkten (Vitamine A und E) bewegt sich der Anteil der Klägerin offensichtlich im Grenzbereich des Relevanten. Soweit sich das sagen läßt, mag von Bedeutung sein, daß es in der Entscheidungspraxis, die vor Abschluß der Verträge der Klägerin mit ihren Kunden existierte, durchweg um Monopole oder sehr hohe Marktanteile ging. Unwidersprochen wurde uns vorgetragen, daß nach der deutschen Praxis vor der Gesetzesänderung des Jahres 1973 auch sehr hohe Marktanteile für die Annahme einer beherrschenden Position nicht ausreichten, wenn gleichwohl ein Qualitätswettbewerb zu verzeichnen war. Eine Rolle spielen kann in diesem Zusammenhang auch, was sich im Verfahren zur Preisentwicklung auf den Vitaminmärkten und zu einem gewissen Preiswettbewerb ergeben hat, namentlich in Verbindung mit der Tatsache, daß es nach dem Montanvertrag für eine beherrschende Position auf die Preisbestimmungsmacht ankommt. Schließlich kann für die Meinung der Klägerin, sie habe wirksamen Wettbewerb nicht ausschließen können, auch die Kenntnis von der Finanzkraft großer Konkurrenten wichtig gewesen sein, wie auch nicht von der Hand zu weisen ist, daß ihre Beurteilung der Lage durch die Erkenntnis beeinflußt sein konnte, daß sie sich in einem sehr stark expansiven Markt betätigte. Zu dem von der Kommission kritisierten Verhalten kann — soweit es um den Tatbestand der Ungleichbehandlung der Abnehmer geht — in Betracht gezogen werden, daß sich die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit in Grenzen hielten und daß für die Marktteilnehmer seinerzeit nicht ohne weiteres erkennbar war, daß es darauf für Artikel 86 nicht entscheidend ankommt. Soweit es um die Bindung der Abnehmer geht, sind meines Erachtens anzuerkennende Überlegungen, daß Treuerabatte im Montanrecht und in bezug auf Artikel 86 zum Teil auch von der Lehre nicht kritisiert werden (vgl. Van Hecke, „Kartelle und Monopole im modernen Recht“, 1. Band, Seite 338) und daß es zur Zeit des Abschlusses der kritisierten Verträge noch keine Entscheidung zu echten oder unechten Treuerabatten gab. Insbesondere wurden derartige Verträge nach den unwidersprochenen Äußerungen der Klägerin offenbar sowohl in den USA, als auch in der deutschen Praxis bislang nicht mit Geldbußen geahndet. Nicht völlig abwegig erscheint es auch, daß die Klägerin der Meinung war, in der Expansionsphase des Marktes seien derartige Bindungen weniger bedenklich, weil für alle Marktteilnehmer — anders als in einem stagnierenden Markt — ausreichend Spielraum verbleibe. Auch kann man es nicht als gänzlich verfehlt bezeichnen, wenn sie dem Grundsatz der Interessenabwägung Bedeutung beimaß, von dem immerhin in der GEMA-Entscheidung der Kommission in bezug auf eine Ausschließlichkeitsbindung und im Sabam-Urteil des Gerichtshofes in bezug auf einen ähnlichen Fall die Rede war. Nicht zuletzt dürfte in diesem Zusammenhang die in allen Verträgen enthaltene englische Fallklausel sowie ihre tatsächliche Handhabung durch die Klägerin eine Rolle spielen, und dies namentlich im Hinblick auf die Tatsache, daß eine solche Klausel auf Betreiben der Kommission selbst in deren Dunlop-Entscheidung (ABl. 1969, L 323, S. 21) aufgenommen worden ist. Angesichts all dieser Überlegungen — denen gegenüber meines Erachtens nicht überzeugend darauf verwiesen werden kann, die Klägerin habe sich durch Einholung von Rechtsauskünften absichern können und es habe für sie aufgrund der Kenntnisse des nationalen Rechts, das tatsächlich zum Teil erheblich divergiert, Anlaß zur Vorsicht bestanden — sollte man nicht zögern, von einem entschuldbaren Rechtsirrtum in bezug auf die Anwendung des Artikels 86 auf ihren Fall zu sprechen. Zumindest läßt sich die Annahme vertreten, es liege ein so geringes Maß an Schuld vor, daß für die Verhängung einer Geldbuße kein Anlaß bestand, und dies namentlich einem Unternehmen gegenüber, das sich im Verwaltungsverfahren anerkanntermaßen außerordentlich kooperativ verhalten und sich sogleich zur Einstellung des gerügten Verhaltens bereit gefunden hat. |
3. |
Danach braucht auf den Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung bei der Verhängung der Geldbuße im Grunde nicht mehr eingegangen zu werden. Will man es trotzdem noch tun, so wäre dazu in aller Kürze zu bemerken, daß dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall für die Klägerin in Wahrheit nicht hilfreich sein kann. Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den Zuckerfall bezogen hat, muß nämlich daran erinnert werden, daß in ihm eine Geldbuße auch wegen der Verletzung des Artikels 86 durch Gewährung von Treuerabatten ausgesprochen worden ist und daß diese vom Gerichtshof lediglich, wenn auch in beträchtlichem Umfang, herabgesetzt worden ist. |
4. |
Desgleichen erübrigen sich — wenn man die Annullierung der Bußgeldentscheidung für richtig hält — Überlegungen dazu, ob nicht wenigstens ihre Bemessung zu korrigieren wäre. Ich will dazu aber doch wenigstens anmerken, daß eine solche Korrektur in jedem Fall angezeigt wäre, da nach den Ergebnissen des Verfahrens eine Marktbeherrschung bei Vitamin B3 zu verneinen ist und da sich auch der Vorwurf des Mißbrauchs, was die Bindung der Abnehmer angeht, in bezug auf zwei Verträge schwerlich halten läßt. Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang möglicherweise der Tatsache Rechnung zu tragen, daß ein erheblicher Teil der klägerischen Lieferungen technologischen Zwecken diente, also auf einen Markt kam, für den eine beherrschende Stellung der Klägerin nicht nachgewiesen wurde. Außerdem wären hier wohl auch die tatsächlichen Auswirkungen in Rechnung zu stellen, die von den gerügten Verträgen ausgingen. Ich erinnere insofern an die Behauptungen der Klägerin, deren Richtigkeit sie zum Teil unter Hinweis auf die Stellungnahmen ihrer Abnehmer zu den Beschwerdepunkten der Kommission zu belegen versuchte, die Abnehmer hätten sich nicht zuletzt dank der englischen Fallklausel und ihrer großzügigen Handhabung durch die Klägerin in ihren Kaufentscheidungen weithin frei gefühlt. Ich erinnere auch an die Einlassungen der Kommission, nach denen offenbar — kontrolliert wurde dies anscheinend nicht immer — die festgelegten Verpflichtungen nicht durchweg eingehalten worden sind und der Anreiz, der von der Rabattgewährung ausging, nicht überall so groß war wie befürchtet. So muß man es jedenfalls verstehen, wenn die Kommission zusammenfassend festhält, die jetzt interessierenden 22 Abnehmer der Klägerin hätten zum überwiegenden Teil ihren Bedarf ausschließlich oder im wesentlichen bei der Klägerin gedeckt. Einzelheiten will ich jetzt nicht weiter nachgehen. Ich verweise dazu auf die Ausführungen der Kommission auf Seite 52 ff. ihrer Duplik und in ihrer Stellungnahme zu den Fragen des Gerichtshofs (Seite 12 ff.) sowie auf die uns vorgelegten Berichte über Nachprüfungen bei den Kunden der Klägerin. |
V — |
Die Prüfung des Falles ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Es ist noch auf zwei Argumente einzugehen, die nach Ansicht der Klägerin die Rechtmäßigkeit der Entscheidung insgesamt in Frage stellen, nämlich die Verletzung des Verbots der Verwertung illegal beschaffter Unterlagen und die Verletzung des rechtlichen Gehörs.
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VI — |
Lassen Sie mich danach meine Meinung noch einmal zusammenfassen. Ich bin der Auffassung, daß die angegriffene Entscheidung Bestand haben kann, soweit sie eine beherrschende Stellung der Klägerin auf den Märkten von sechs Vitaminen, also nicht auf dem Markt von Vitaminen B3, annimmt und soweit sie der Klägerin eine mißbräuchliche Bindung von zwanzig Abnehmern, also nicht der Firmen Protector und Upjon, sowie eine mißbräuchlich unterschiedliche Behandlung der in der Entscheidung angeführten Unternehmen vorwirft. Die Verhängung einer Geldbuße wegen Verletzung von Artikel 86 erscheint mir dagegen mangels ausreichenden Verschuldens der Klägerin nicht gerechtfertigt. Mit dieser Maßgabe ist der Klage der Firma Hoffmann-La Roche stattzugeben; im übrigen ist sie zurückzuweisen. Bei dieser Beurteilung erscheint es mir außerdem angebracht, auszusprechen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen hat. |