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Document 52021AE5378

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/138/EG im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, die Aufsichtsqualität, die Berichterstattung, langfristige Garantien, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken, die Gruppenaufsicht und die grenzüberschreitende Aufsicht (COM(2021) 581 final — 2021/0295 (COD)) und zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2009/138/EG, (EU) 2017/1132 und der Verordnungen (EU) Nr. 1094/2010 und (EU) Nr. 648/2012 (COM(2021) 582 final — 2021/0296 (COD))

EESC 2021/05378

ABl. C 275 vom 18.7.2022, p. 45–49 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

18.7.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 275/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/138/EG im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, die Aufsichtsqualität, die Berichterstattung, langfristige Garantien, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken, die Gruppenaufsicht und die grenzüberschreitende Aufsicht

(COM(2021) 581 final — 2021/0295 (COD))

und zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2009/138/EG, (EU) 2017/1132 und der Verordnungen (EU) Nr. 1094/2010 und (EU) Nr. 648/2012

(COM(2021) 582 final — 2021/0296 (COD))

(2022/C 275/08)

Berichterstatter:

Jörg Freiherr FRANK VON FÜRSTENWERTH

Mitberichterstatter:

Christophe LEFÈVRE

Befassung

Europäisches Parlament, 22.11.2021

Rat der Europäischen Union, 26.11.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

8.2.2022

Verabschiedung im Plenum

23.2.2022

Plenartagung Nr.

567

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

169/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Einschätzung der Europäischen Kommission, dass sich das auf drei Säulen (quantitative Vorgaben Eigenmittel; Geschäftsorganisation, Aufsicht; Berichterstattung, Transparenz) beruhende Solvabilität II-Regelwerk bewährt hat. Gleichwohl gebieten die Erfahrungen aus der Staatsschuldenkrise, die Niedrigzinspolitik, die ersten Auswirkungen der noch keineswegs beendeten Covid-19-Pandemie und das Wissen darüber, dass sich andere Krisen ereignen werden, Anpassungen des regulatorischen Rahmens.

1.2.

Der EWSA begrüßt es außerordentlich, dass sich die Europäische Kommission der Frage der systemischen Risiken im Versicherungssektor widmet. Das Risikoprofil der Versicherer ändert sich. Angesichts der Klimakrise ist der Versicherungssektor insbesondere bei der Versicherung gegen die Auswirkungen des Klimawandels und neuer Umweltrisiken (Beispiel Biodiversität) besonders gefordert. Auch bestehen höhere Risiken der Versicherer in ihrer Rolle als Investoren. Insbesondere werden Sach-, Haftungs- und Übergangsrisiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht angemessen bewertet.

1.3.

Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission in ihrem Ziel, einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, in dem der Versicherungssektor eine (noch) größere Rolle als Investor in der Finanzierung des Übergangs in eine nachhaltige Wirtschaft und in der Bekämpfung der COVID-19-Folgen und des Klimawandels einnimmt. Der EWSA betont aber zugleich das hohe Interesse der Zivilgesellschaft an der Stabilität des Finanzsektors und fordert, eine solide Eigenkapitalunterlegung und Risikovorsorge im Versicherungssektor zu gewährleisten. Instabilitäten des Versicherungssektors würden die Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise und zur Überwindung der Pandemie deutlich zurückwerfen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.   Der Ansatz der Europäischen Kommission

2.1.1.

Der EWSA teilt die Einschätzung der Europäischen Kommission, dass sich das auf drei Säulen (quantitative Vorgaben Eigenmittel; Geschäftsorganisation, Aufsicht; Berichterstattung, Transparenz) beruhende Solvabilität II-Regelwerk bewährt hat. Es hat den Europäischen Versicherungssektor gut durch die Turbulenzen der Staatsschuldenkrise, die allerdings noch andauernde Niedrigzinspolitik und die ersten Auswirkungen der noch keineswegs beendeten COVID-19-Pandemie geleitet. Der EWSA hält es für sinnvoll und notwendig, vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Anwendung der Regeln die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies betrifft insbesondere Fragen der Verhältnismäßigkeit und die Vorschriften zur Eigenkapitalausstattung und zur Risikovorsorge. Gerade die letztgenannten Punkte sind entscheidend für den Kapitalbedarf der Unternehmen und damit für die Rolle, die Versicherungen als Produktgeber und als Investor für die Wirtschaft wahrnehmen können.

2.2.   Kohärenz mit anderen Politikbereichen der EU

2.2.1.

Die Umsetzung des europäischen Grünen Deals und die Überwindung der Folgen der COVID-19-Pandemie sind eine absolut vorrangige Politik, deren Umsetzung den Einsatz großer Summen öffentlichen und privaten Kapitals erfordert. Als Langfristinvestoren mit einem Kapitalanlagenbestand des Europäischen Versicherungssektors von über 10 Billionen Euro in 2020 könnte der Europäische Versicherungssektor zur Finanzierung des Übergangs in eine klimaneutrale Wirtschaft wie auch für Infrastrukturprojekte und bezahlbaren Wohnraum einen wesentlich höheren Beitrag als heute leisten. Die Fähigkeit hierzu wird maßgeblich von den Vorschriften über die Eigenkapitalausstattung und die Risikovorsorge im Solvabilität II-System bestimmt.

2.2.2.

Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission in ihrem Ziel, einen regulatorischen Rahmen zu schaffen, in dem der Versicherungssektor eine (noch) größere Rolle als Investor in der Finanzierung des Übergangs in eine nachhaltige Wirtschaft und in der Bekämpfung der COVID-19-Folgen einnimmt. Der EWSA betont dabei zugleich die Notwendigkeit, die Schutzziele des Solvabilität II-Systems, nämlich der Schutz der Versicherten und der Begünstigten und die Wahrung der Finanzstabilität, nicht zu gefährden. Dies aber könnte drohen, wenn zur Unterstützung des europäischen Grünen Deals von der strikten Risikobewertung der Investitionen der Versicherer abgewichen werden würde. Die verbraucherschützenden Vorschriften des Solvabilität II-Systems sollten Investitionen und Aktivitäten des Versicherungssektors in den Sektoren einbeziehen, in denen Versicherer aufgrund von Forderungen der Behörden oder der Regierung investieren. Diese Investitionen können dann entsprechend belohnt oder bestraft werden. In jedem Fall aber muss jede Investition unter dem europäischen Grünen Deal oder — als Beispiel — NextGenerationEU derselben Risikoeinschätzung unterliegen wie jede andere Investition auch. Eine nachhaltige Versicherungsaufsicht erfordert eine faktenbasierte Risikoeinschätzung und eine daraus abgeleitete Kapitalbemessung. Der EWSA begrüßt uneingeschränkt den Ansatz der Europäischen Kommission, die bestehenden Regeln zur Eigenkapitalunterlegung daraufhin zu überprüfen, wo sie zu einer nicht adäquaten Eigenkapitalunterlegung (überhöht oder unzureichend) geführt haben. Die Vorschläge der Europäischen Kommission zeigen, welche Spielräume allein schon daraus erwachsen können. Gleichwohl, wo die Kapitalanforderungen zu gering sind (Beispiel: Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel), müssen sie zur Sicherung der Stabilität des Sektors heraufgesetzt werden.

2.2.3.

Der EWSA unterstützt die Anstrengungen der Europäischen Kommission, einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Realisierung der Kapitalmarktunion zu leisten. Die Schaffung des Binnenmarktes würde sowohl die Finanzierung der Wege aus der COVID-19-Pandemie als auch die Finanzierung des europäischen Grünen Deals erleichtern. Dies schon allein dadurch, dass die Verbraucher und Verbraucherinnen weitere Fortschritte in der Schaffung eines echten Binnenmarktes der Finanzmärkte wahrnehmen könnten, wiewohl dem noch viele rechtliche und tatsächliche Hindernisse der Realisierung der Kapitalmarktunion entgegenstehen.

2.2.4.

Der EWSA begrüßt den Ansatz, dass der Versicherungssektor bei der Finanzierung des grünen Übergangs verstärkt eine Rolle spielen soll. Auch sollte der Versicherungssektor anstreben, alle negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen seiner Kapitalanlagen und Versicherungsaktivitäten zu mindern. Eine Verknüpfung zur EU-Taxonomie ist sinnvoll. Der EWSA plädiert dafür, dass auch soziale Nachhaltigkeitsziele systematisch berücksichtigt werden. Denn schließlich kann auch die Missachtung von Arbeitnehmer- und Menschenrechten zu einem erhöhten Risiko führen.

2.2.5.

Die Vorschläge sehen an verschiedenen Stellen Vereinfachungen des komplexen Solvabilität II-Systems vor. Dies ist zu begrüßen. Nicht nachvollziehbar und abzulehnen ist, dass Anwender von internen Modellen nunmehr zusätzlich auch Berichterstattungen vorzulegen haben, als würden sie die Standardformel nutzen. Doppelte Berichterstattungen müssen ausgeschlossen werden.

2.3.   Delegierte Rechtsakte

2.3.1.

Dem EWSA ist bewusst, dass die Europäische Kommission berechtigt ist, bestimmte, vor allem technische Regeln durch delegierte Rechtsakte festzulegen. Sie kündigt eine Vielzahl von Vorschlägen an, die sie durch delegierte Rechtsakte umsetzen möchte. Diesen Vorschlägen kommen ein großes Gewicht und eine große wirtschaftliche Bedeutung zu. Zu erwähnen sind etwa die Volatilitätsanpassung, die Matching-Anpassung und die Extrapolation ebenso wie die zutiefst politische Entscheidung, in welchem Umfang und mit welchen Einschränkungen in der Risikobewertung der Investitionen die Finanzierung des Grünen Deals erleichtert werden soll. Der EWSA spricht sich hier wie auch an anderer Stelle dafür aus, wichtige wirtschaftspolitische Materien in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung des Parlaments und mit Anhörung der Zivilgesellschaft und nicht als delegierte Rechtsakte zu verabschieden. Vor der Annahme des Solvabilität II-Pakets sollten das Europäische Parlament, die Europäische Kommission wie auch der EWSA ein klares Bild über Inhalt und Auswirkungen der delegierten Rechtsakte haben.

2.4.   Evaluierung der Neukalibrierungen — Folgenabschätzung: Wettbewerbsfähigkeit

2.4.1.

Der EWSA schlägt vor, in den nächsten Jahren eine vollständige Evaluierung der Logik des Solvabilität II-Regelwerks vorzunehmen. Die Rahmenbedingungen haben sich inzwischen vielfältig geändert und werden sich weiter ändern, so dass eine Evaluierung unabweisbar ist. In diesem Zusammenhang könnte ein Wettbewerbscheck nützlich sein, um die Auswirkungen der geänderten Vorschriften auf die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Versicherungssektors auf dem Weltmarkt zu ermitteln.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Verhältnismäßigkeit und Schwellenwerte

3.1.1.

Der EWSA begrüßt den von der Europäischen Kommission angestrebten Ansatz, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu stärken. Eine Vereinfachung des sehr komplexen und aufwendigen Regelwerks ist insbesondere für kleinere und weniger risikoexponierte Versicherer, die ein wichtiger Teil der regionalen Vielfalt sind, wichtig. Es ist richtig, dass die Anforderungen von Solvabilität II beim Risikomanagement und bei der Berichterstattung regelbasiert überprüft und angepasst werden sollen. Bedauerlich ist jedoch, dass nach wie vor allein die Unternehmensgröße und nicht der Abgleich des Umfangs der aufsichtsrechtlichen Anforderungen mit den tatsächlichen Risiken des Versicherers in dessen Geschäftsmodell erfolgt.

3.1.2.

Eine wichtige Stärke des europäischen Versicherungsmarkts ist die Vielfalt von großen und kleinen Versicherern. Von solchen, die international tätig sind und solchen, die in der Region stark sind. Ebenso wie die Vielfalt von Rechtsformen als Aktiengesellschaft oder Genossenschaft. Diese Vielfalt darf nicht dadurch gefährdet werden, dass die Versicherer mit einem Übermaß an Bürokratie belastet werden.

3.2.   Langfristige Garantien

3.2.1.

Der EWSA unterstützt die Absicht der Europäischen Kommission, dem Versicherungssektor zu ermöglichen, sich durch eine sachgerechtere Kapitalunterlegung in stärkerem Maße an der Finanzierung der Umsetzung des europäischen Grünen Deals, an der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen und der Bekämpfung der Folgen der COVID-19-Pandemie zu engagieren. Die Umsetzung des europäischen Grünen Deals darf nicht an der Finanzierung des Umbaus in eine nachhaltige Wirtschaft scheitern, und Nachhaltigkeitsziele dürfen nicht durch unzureichende Kapitalanforderungen gefährdet werden, die stark umweltbelastende Aktivitäten künstlich als Investition rentabel machen. Die Überarbeitung der Regeln über die notwendige Eigenkapitalunterlegung wird der Schlüssel sein, diese Punkte anzugehen. Der EWSA hält es für zwingend, dass eine Modifizierung der Solvabilität II-Regeln nur so weit erfolgen darf, wie die Aufsichtsziele des Schutzes der Versicherten und der Begünstigten sowie das Ziel der Finanzstabilität nicht gefährdet werden. Ziel muss ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Anreizen für Investitionen der Versicherer in Aktivitäten, die an den sozialen und ökologischen Zielen ausgerichtet sind, einerseits und den aufsichtsrechtlichen Anforderungen andererseits sein. Dies ist noch nicht gewährleistet.

3.2.2.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge der Kommission, die Volatilität aus langfristigen Anlagen durch die vorgeschlagene Volatilitätsanpassung zu dämpfen. Zugleich erhöht sie aber die Volatilität durch den Wechsel zu einer relativen Risikokorrektur (prozentualer Abzug von den Spreads). Dass ist kontraproduktiv. Es ist nicht ersichtlich, warum es nicht bei der geltenden Risikokorrektur bleiben soll.

3.2.3.

Die Vorschläge der Europäischen Kommission zu Modifizierung der Risikomarge (Beispiele: Kapitalkosten-Satz von 5 % und Nichtberücksichtigung des Liquiditätsfaktors), das Zinsrisiko und die Korrelation zwischen Spread- und Zinsrisiko sind zielführend, ohne die Schutzziele von Solvabilität II zu gefährden. Besondere Aufmerksamkeit muss aber den Level 2-Texten gewidmet werden, weil die zu einer allgemeinen Verbesserung führenden Vorschläge auch schädliche Auswirkungen auf die Anlageportfolios kleiner und mittlerer Versicherer haben können.

3.2.4.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Zulassungskriterien für die Anlageklasse der langfristigen Eigenkapitalanlagen unter gleichzeitiger Sicherung der finanziellen Stabilität. Diese wird es den Versicherungen erleichtern, von einer bevorzugten Kapitalbehandlung zu profitieren, wenn sie der Wirtschaft langfristige Kapitalmittel zur Verfügung stellen, vorausgesetzt dieses Kapital wird entsprechend den sozialen und ökologischen Zielen investiert. Eine zu große Komplexität der Regeln muss vermieden werden. Eine endgültige Bewertung ist auch hier nur in Kenntnis der Level 2-Vorschläge möglich.

3.2.5.

Die Europäische Kommission kündigt an, eine neue Extrapolationsmethode vorlegen zu wollen. Die Extrapolation ist eine Rechenmethode, die es möglich macht, Rückstellungen für Versicherungsverträge zu bilden, deren Laufzeiten weiter in die Zukunft reichen als zuverlässige Kapitalmarktinformationen über risikofreie Zinsen. Diese Methode ist ein wesentlicher Faktor in der Bemessung der Rückstellungen und damit des Bedarfs an Eigenmitteln. Die Extrapolation ist für die Lebensversicherung besonders wichtig, aber nicht nur dort. Die Europäische Kommission räumt in ihrer Mitteilung COM(2021) 580 final selbst ein, dass sich der Vorschlag, den sie in einem späteren delegierten Rechtsakt konkretisieren wird, „an mehreren Märkten signifikant auf das Kapital der Versicherer auswirken wird“. Diese signifikante Auswirkung wird auf der Grundlage der bisherigen Vorstellungen in der Nichtlebensversicherung einen Kapitalmehrbedarf von über 10 % bedeuten und damit den potenziellen Effekten zur Freisetzung von Kapital der Versicherer zuwiderlaufen. Der EWSA ist der Auffassung, dass derart weitreichende Eingriffe in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu entschieden sind.

3.3.   Klimaszenarioanalysen und Mandat für EIOPA (1) bezüglich Nachhaltigkeitsrisiken

3.3.1.

Der EWSA unterstützt voll und ganz, dass Versicherer jede materielle Exposition gegenüber Risiken des Klimawandels identifizieren und die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf ihr Geschäft bewerten müssen. Der EWSA empfiehlt, diese Szenarioanalyse auf alle Umweltrisiken auszudehnen und auf diese Anforderungen den Begriff der doppelten Wesentlichkeit anzuwenden. Versicherer sollten auch verpflichtet sein, die Auswirkungen, die ihre Geschäftstätigkeit auf den Klimawandel und die Umwelt im weiteren Sinne haben, zu bewerten und gegebenenfalls zu mindern.

3.3.2.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, die EIOPA damit zu beauftragen, nach Konsultation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken in einem Bericht bis zum 28. Juni 2023 mögliche Anpassungen der Kapitalanforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken vorzuschlagen. Es ist richtig, derartig weitreichende Themen auf einer empirischen Grundlage zu diskutieren. Der EWSA hält allerdings die Frist für die Vorlage des Berichts für zu wenig ambitiös. Die Eindämmung der Folgen des Klimawandels erfordert schnelles Handeln. Der EWSA weist bereits jetzt darauf hin, dass die Ableitung von Erkenntnissen aus diesen Vorschlägen grundlegende Fragen der Finanzierung des europäischen Grünen Deals betreffen werden. Sie werden daher nicht technischer, sondern politischer Natur sein und müssen nach Auffassung des EWSA in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung des Europäischen Parlaments behandelt werden.

3.4.   Gruppenaufsicht

3.4.1.

Die Aufsichtspraxis hat regulative Schwächen in der Gruppenaufsicht offengelegt. Der EWSA unterstützt die Vorschläge der Europäischen Kommission, Versicherungsholdingsgesellschaften und gemischte Finanzholdinggesellschaften in den unmittelbaren Anwendungsbereich des EU-Aufsichtsrahmens zu bringen. Aus Verbrauchersicht muss sichergestellt sein, dass die Außendarstellung einer Gruppe in Bezug auf ihrer Haftungsverhältnisse transparent ist.

3.5.   Die Rolle von Versicherungen in Pandemiezeiten und vor dem Hintergrund sonstiger Ereignisse, die wirtschaftliche Störungen in großem Umfang nach sich ziehen

3.5.1.

Der EWSA teilt die Einschätzung der Europäischen Kommission, derzufolge die Pandemie gezeigt hat, dass insbesondere in Bezug auf Betriebsunterbrechungen und Reiseversicherungen klarere und einfachere Informationen über die Bedingungen des Versicherungsschutzes und Garantien für Verbraucher erforderlich sind, insbesondere in Bezug auf Betriebsunterbrechungs- und Reiseversicherungen und dass kontinuierlich sichergestellt werden muss, dass die Versicherungsprodukte auch weiterhin den Bedürfnissen der Verbraucher entsprechen. Ebenso wichtig ist es, dass die Verbraucher ihre Ansprüche auch durchsetzen können. Offensichtlich hat die bisherige Praxis der Aufsicht über Versicherungsprodukte nicht hinreichend funktioniert. Der EWSA fordert die Kommission auf, EIOPA zur Vorlage von konkreten Vorschlägen aufzufordern, wie das beschriebene, schon länger bekannte Problem besser gelöst werden kann.

3.5.2.

Die Pandemie, die Auswirkungen des Klimawandels, die wir in Europa mit Waldbränden, Dürre, Waldsterben, Starkregen und Überschwemmungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß erleben, und neue großen Risiken wie die Cyberrisiken stellen die Frage nach der Verfügbarkeit von Versicherungsschutz für derartige Ereignisse, die nicht singulär bleiben werden. Der EWSA unterstützt die Europäische Kommission nachdrücklich in ihrem Plan, bis 2022 einen Dialog zum Thema Klimaresilienz ins Leben zu rufen, der Versicherer, Rückversicherer, öffentliche Stellen und andere relevante Interessenträger zusammenbringen soll. Der EWSA regt an, von Anfang an Vertreter der Zivilgesellschaft in diesen Dialog einzubeziehen.

3.6.   Sicherungssysteme für Versicherungen (IGS), Sanierung und Abwicklung und neue Aufsichtsmaßnahmen

3.6.1.

Die Europäische Kommission legt keinen Vorschlag zur Harmonisierung des bunten Fleckenteppichs der IGS in Europa vor. Sie unterlässt dies, obwohl die IGS den Versicherten und Begünstigen einen wichtigen Schutz in letzter Instanz bieten. Ein europaweites System der IGS, das zugleich die Art der Produkte und damit die Schutzwürdigkeit der Verbraucher berücksichtigt, würde das Vertrauen in einen europäischen Versicherungsbinnenmarkt deutlich steigern. Der EWSA hält — wie dies auch EIOPA vorschlägt — zumindest eine Harmonisierung einer Reihe von Mindestgrundsätzen der IGS für dringlich. Andererseits sieht der EWSA auch — worauf die Europäische Kommission hinweist –, dass dies für Versicherungsmärkte in einigen Mitgliedstaaten, die noch keine IGS Systeme haben, zu einer erheblichen finanziellen Belastung führen würde, die ihnen zum jetzigen Zeitpunkt der Erholung nach der COVID-19-Krise nicht zumutbar erscheint. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, in einem ersten Schritt zügig einen Vorschlag zu einem Mindestrahmen für IGS vorzulegen, der mit einer entsprechende Übergangsfrist das Thema angeht, ohne die Märkte zu überlasten.

3.6.2.

Mit dem Vorschlag zu Sanierung und Abwicklung (2) erweitert die Europäische Kommission die aufsichtsrechtlichen Instrumente, die den Aufsichtsbehörden im Fall einer Unternehmenskrise und vor allem einer sich abzeichnenden Krise ein schnelleres und effizienteres Einschreiten ermöglichen sollen. Zu diesen Instrumenten zählen auch Maßnahmen wie eine präventive Sanierung und ein Abwicklungsplan, und zwar jeweils auch unter Einbeziehung der Gruppenebene. Die Instrumente und Befugnisse bezüglich der Abwicklung werden definiert. Dabei fehlt allerdings eine klare Abgrenzung zu den bestehenden Solvabilität II-Aufsichtsmaßnahmen. Insgesamt wird die durchaus bewährte sog. Interventionsleiter an vielen Stellen in Frage gestellt, da neue Eingriffsbefugnisse bereits vor einem Bruch der Solvenzkapitalanforderungen (SCR) greifen sollen. Der EWSA hält es für unverzichtbar, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen widerspruchsfrei mit den Regeln der Interventionsleiter in Einklang zu bringen sind. Die Abwicklungsregeln sollten einen harmonisierten Ansatz auf Gruppenebene erleichtern, insbesondere bei gemischten Finanzgruppen.

3.6.3.

Gegen die Vorschläge wird angeführt, dass die COVID-19-Pandemie und vor allem die Niedrigzinspolitik gezeigt hätten, dass das Solvabilität II-Instrumentarium ausgereicht habe, die schwierigen Situationen zu meistern. Auch wenn dies weitgehend der Fall war, macht sich der EWSA diese Argumentation nicht zu eigen. Der EWSA hält es vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den Finanzkrisen der Vergangenheit für dringend notwendig, auf Unternehmensebene auch schon vor einer Unterschreitung der Mindestkapitalanforderungen mit abgestuften Maßnahmen der Krisenintervention zu beginnen, sofern klare Zeichen auf eine Verschlechterung der Situation hinweisen. Der EWSA weist darauf hin, dass es in der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der Regeln sehr darauf ankommen wird, die Aufgaben der EIOPA und der nationalen Aufsichtsbehörden eindeutig zu definieren und klar abzugrenzen.

Brüssel, den 23. Februar 2022

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA).

(2)  COM(2021) 582 final.


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