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Document 52020IE0995

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung einer inklusiveren und nachhaltigeren Bankenunion durch Verbesserung des Beitrags von gemeinschaftsorientierten Banken zur lokalen Entwicklung und zum Aufbau eines sozial verantwortlichen internationalen und europäischen Finanzsystems“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2020/00995

OJ C 364, 28.10.2020, p. 14–20 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

28.10.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 364/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung einer inklusiveren und nachhaltigeren Bankenunion durch Verbesserung des Beitrags von gemeinschaftsorientierten Banken zur lokalen Entwicklung und zum Aufbau eines sozial verantwortlichen internationalen und europäischen Finanzsystems“

(Initiativstellungnahme)

(2020/C 364/02)

Berichterstatter:

Giuseppe GUERINI

Beschluss des Plenums

20.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

24.6.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

16.7.2020

Plenartagung Nr.

553

Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

205/6/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die in den letzten Jahren auf internationaler und europäischer Ebene erlassenen Vorschriften tragen den unterschiedlichen Geschäftsmodellen, die zur Bankenvielfalt in Europa beitragen, nicht immer in vollem Umfang Rechnung. Dies hat sich erheblich auf kleinere und regionale Banken ausgewirkt, die insbesondere in Mitgliedstaaten wie Italien und Spanien häufig die Form von Genossenschaften haben.

1.2.

Die nach der Finanzkrise ergriffenen Regulierungsmaßnahmen haben die verschiedenen Modelle, die dem europäischen Bankensystem seinen Pluralismus und seine Vielfalt verleihen, nicht in gleicher Weise beeinflusst. In einigen Fällen wurden die Banken, die am wenigsten zur Krise von 2008 beigetragen haben, am stärksten von den infolge dieser Krise erlassenen Vorschriften getroffen.

1.3.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) anerkennt zwar durchaus die Fortschritte, die die Kommission bei der Berücksichtigung kleinerer und weniger komplex strukturierter Bankinstitute in ihren jüngsten Regulierungsmaßnahmen erzielt hat. Er hält es indes für sinnvoll, die Verhältnismäßigkeit der Bankenvorschriften im Hinblick auf die Merkmale ihrer Adressaten weiter zu differenzieren, ohne die Wirksamkeit der Aufsichtsvorschriften zu beeinträchtigen. Gleichzeitig dürfen die allgemeinen Grundsätze und Ziele, die den seit der Finanzkrise ergriffenen Maßnahmen zugrunde liegen, nicht gefährdet oder untergraben werden, da sie sich sowohl als notwendig als auch als wirksam erwiesen haben. Sicherheit, Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems sind von größter Bedeutung.

1.4.

Der EWSA unterstützt die jüngste Entscheidung, die Umsetzung der Basel-III-Vereinbarung zu verschieben und ist der Auffassung, dass die neue Bestimmung über die Eigenkapitalanforderungen so umgesetzt werden sollte, dass der Vielfalt der Geschäftsmodelle der Banken in Europa und ihrem Beitrag zur Diversifizierung und Widerstandsfähigkeit in der Bankenunion angemessen Rechnung getragen wird.

1.5.

Der EWSA fordert eine stärkere Anerkennung der einzigartigen Rolle regionaler und kommunaler Banken für die privaten Haushalte und KMU auf lokaler Ebene und die in einigen Mitgliedstaaten wie Italien und Spanien häufig als Genossenschaften organisiert sind. In einigen Fällen sind sie die wichtigste, wenn nicht sogar die einzige Kreditquelle für Tausende europäischer Bürger und Unternehmen.

1.6.

Der EWSA fordert ferner eine angemessene Anerkennung des Beitrags der größeren Genossenschaftsbanken in Ländern wie Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Frankreich zum europäischen Bankensystem. Dort, wo sie zum systemischen Risiko beitragen, muss dies entsprechend bei Regulierung und Aufsicht berücksichtigt werden.

1.7.

Es muss auch auf die zentrale Rolle hingewiesen werden, die sie bei der Förderung der Wirtschaftsdemokratie spielen: sie fördern die Beteiligung ihrer Mitglieder, bei denen es sich nicht um bloße Anteilseigner oder Kunden handelt, sondern um Partner, die auf der Grundlage von pro Kopf abgegebenen Stimmen an den Managementrichtlinien teilnehmen können. Diese sind in der Tat stärker auf den Stakeholder Value statt auf den Shareholder Value ausgerichtet.

1.8.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäischen Banken, einschließlich der Regional- und Genossenschaftsbanken, nach der COVID-19-Krise eine Schlüsselrolle bei der wirtschaftlichen Erholung spielen und die Wirtschaft und die Beschäftigung unterstützen werden.

1.9.

Ein diversifiziertes, von einer Vielzahl von Beteiligten getragenes und in den Regionen und lokalen Gemeinschaften verwurzeltes Bankensystem ist auch eine wichtige Garantie für die Wahrung der geteilten und partizipativen sozialen Verantwortung der Bürger, KMU und der einzelnen Wirtschaftsakteure, die maßgeblich an der Realwirtschaft beteiligt sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Diese Initiativstellungnahme bildet den Beitrag des EWSA zu einer Bankenunion im Dienste der nachhaltigen Entwicklungsziele und der sozialen Inklusion, die vor dem Hintergrund zahlreicher globaler Herausforderungen Voraussetzungen für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union sind. Der EWSA möchte in diesem Zusammenhang das Interesse der Zivilgesellschaft an einer inklusiven, diversifizierten und nachhaltigen Bankenunion geltend machen.

2.2.

Dieser Beitrag reiht sich ein in die bisherigen Stellungnahmen des EWSA zur Rolle der lokalen Banken und Genossenschaftsbanken (1) und erlangt angesichts der durch COVID-19 ausgelösten globalen Krise in den Bereichen Gesundheit, humanitäre Hilfe, Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales noch größere Bedeutung.

2.3.

Im Rahmen der stetig zunehmenden und im Laufe der Jahre immer strikter gewordenen Bankenregulierung auf europäischer Ebene ist es nicht immer gelungen, den verschiedenen Bankenformen, die die Vielfalt des Sektors in Europa ausmachen, gebührend Rechnung zu tragen und auch für kleinere, regionale Banken geeignete verhältnismäßige Vorschriften zu entwickeln.

2.4.

Die nachstehend erörterten Punkte beziehen sich in erster Linie auf gemeinschaftsorientierte Banken, die oft klein sind und eine einfachere Verwaltungsstruktur aufweisen, sowie auf die Genossenschaftsbanken unterschiedlicher Art und Größe in Europa. Diese Banken sind in einigen Ländern wie Italien und Spanien klein, zahlreich und regional aktiv. In anderen Mitgliedstaaten dagegen wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden sind sie wichtige Akteure, die sich allerdings, soweit sie als Genossenschaftsbanken tätig sind, dadurch auszeichnen, dass sie Stakeholder Value anstelle von (vorwiegend) Shareholder Value anstreben. Wenn Genossenschaftsbanken sich als börsennotierte Bankengruppe organisieren, müssen sie bestimmte Merkmale börsennotierter Unternehmen übernehmen.

2.5.

Um das Thema Bankenregulierung zu beleuchten, müssen sowohl die Ereignisse der Vergangenheit, die im Laufe der Jahre den europäischen Regulierungsrahmen geprägt haben, kritisch unter die Lupe genommen als auch eine klare Zukunftsvision entwickelt werden.

2.6.

Beim Blick in die Vergangenheit ist festzustellen, dass der derzeitige Rahmen weitgehend eine Reaktion auf die Krise von 2008 ist. Der europäische Gesetzgeber wollte die Vorschriften neu fassen, um die durch die Krise aufgedeckten Defizite zu beheben und vor allem dafür zu sorgen, dass die Banken besser aufgestellt und bei künftigen Krisen widerstandsfähiger sind.

2.7.

Die Ziele der umgesetzten Reformen waren und bleiben begrüßenswert, doch es besteht auch kein Zweifel daran, dass sich der bisherige Ansatz der Bankenaufsicht asymmetrisch auf die verschiedenen Teilsektoren des Bankensystems ausgewirkt hat.

2.8.

Die durchgeführten Reformen haben sich nicht in gleicher Weise auf die verschiedenen Geschäftsmodelle ausgewirkt, die die Vielfalt des europäischen Bankensystems ausmachen. In einigen Fällen trafen die Vorschriften diejenigen Unternehmensmodelle besonders hart, die am wenigsten zur Krise von 2008 beigetragen haben, wie die oft kleinen und in einigen Mitgliedstaaten genossenschaftlich organisierten lokalen Banken.

2.9.

Die kleinen bis mittleren Lokalbanken gerieten u. a. aufgrund von Vorschriften, die sie in mehrfacher Hinsicht unhaltbar belasten, unter zunehmenden regulatorischen Druck, sich zu größeren Gruppen zusammenzuschließen und zu fusionieren oder vom Markt verdrängt zu werden. Für das europäische Bankensystem bedeutete dies einen Verlust an Vielfalt.

3.   Regionalbanken und Bankenregulierung: allgemeine Erwägungen

3.1.

Die verschiedenen Vorschriften, die in den letzten Jahren zur Umsetzung internationaler Vereinbarungen und europäischer Regeln erlassen wurden, wirkten sich auf kleine und mittlere Institute, insbesondere Genossenschafts- und Regionalbanken und Banken auf Gegenseitigkeit in dreierlei Hinsicht nachteilig aus:

a)

hohe Befolgungskosten aufgrund umfangreicher, komplexer, sehr detaillierter und sich ständig verändernder Vorschriften;

b)

mangelnde Anerkennung der geringeren Systemrelevanz lokaler Banken in Bezug auf ihre Risiken;

c)

Bevorteilung großer systemrelevanter Banken bei den Finanzierungskosten.

3.2.

Nach Ansicht des EWSA sollte der Gesetzgeber daher umgehend eine größere strukturelle Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Bankenregulierung in Bezug auf die zu beaufsichtigenden Unternehmen sicherstellen. Der Gesetzgeber sollte dabei drei Ziele anstreben:

a)

Abbau künstlicher Wettbewerbsverzerrungen, die durch Vorschriften verursacht werden, die in Bezug auf die regulierten Banken, ihre Merkmale und Geschäftsziele unverhältnismäßig bzw. unangemessen sind;

b)

Sicherung der Vielfalt des europäischen Bankensektors, der dadurch künftige Finanz- und Wirtschaftskrisen besser bewältigen kann;

c)

Förderung (statt Abbau) der Kreditunterstützung für KMU als Schlüsselbereich der europäischen Wirtschaft.

3.3.

Der EWSA unterstützt die jüngste Entscheidung, die Frist für die Umsetzung der Basel-III-Vereinbarung zu verlängern, und empfiehlt, diese zum gegebenen Zeitpunkt in einer Form in EU-Recht umzusetzen, die der Vielfalt der in Europa tätigen Bankenmodelle Rechnung trägt.

3.4.

Im Hinblick auf die Umsetzung der in der Basler Vereinbarung vorgesehenen neuen Reformen hält es der EWSA für sinnvoll, auf die sieben vom Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) im Juni 2019, d. h. vor Einleitung der konsultativen Folgenabschätzung durch den ESRB aufgestellten Grundsätze hinzuweisen, die er unterstützt (2).

a)

Anpassungsfähigkeit : Die Regulierung des Finanzsektors sollte sich mit dem Finanzsystem weiterentwickeln können und nicht zu einem Innovationshemmnis werden. Dazu gehört auch, dass keine materiellen Zugangsschranken für neue Banken aufgebaut werden, dass die Vorschriften auf neu aufkommende Geschäftsmodelle nicht abschreckend wirken und dass etablierte alternative Bankenmodelle wie Genossenschaftsbanken erhalten bleiben.

b)

Diversität : Die Vielfalt der Finanzinstitute und Geschäftspraktiken muss gewahrt bleiben, weil sie wirksam vor systemischer Instabilität schützt. Es ist wichtig, eine übermäßige Homogenisierung der regulierten Unternehmen und Tätigkeiten zu vermeiden: die Fähigkeit, Abwehrkräfte zu entwickeln und vielfältige Formen der Reaktion/Resilienz gegenüber ungünstigen Konjunkturzyklen zu entwickeln, fördert beispielsweise generell die Stabilität des Finanzsektors und der Wirtschaft im Allgemeinen.

c)

Proportionalität : Der Regulierungsaufwand sollte in einem angemessenen Verhältnis zum Ausmaß der betreffenden Marktunvollkommenheit und zur systemischen Relevanz der beaufsichtigten Institute stehen.

d)

Abwicklungsfähigkeit : Die Regulierung sollte sicherstellen, dass unrentable Unternehmenseinheiten aus dem System ausscheiden können, ohne dass dies dessen Stabilität gefährdet. Es müssen jedoch Maßnahmen zur Verbesserung der internen Struktur und Komplexität der betroffenen Institute ergriffen werden.

e)

Systemische Perspektive : Die Finanzmarktregulierung sollte darauf abzielen, die kontinuierliche Verfügbarkeit elementarer Finanzdienstleistungen für die Gesellschaft sicherzustellen. Ein Regulierungsrahmen, der die Konzentration der Tätigkeiten auf eine begrenzte Zahl von Finanzinstituten begünstigt, kann aufgrund seiner Abhängigkeit vom Überleben dieser wenigen Finanzinstitute anfälliger sein.

f)

Verfügbarkeit von Informationen : der in den sektorspezifischen Vorschriften festgelegte Informationsfluss von den Banken zu den Regulierungsbehörden sollte eine rasche Ermittlung von Ansteckungskanälen und Schwachstellen ermöglichen.

g)

Nichtregulatorische Disziplin : Das Bestehen von regulatorischer Disziplin sollte Lösungen nicht ausschließen, die außerhalb eines rein regulatorischen Umfelds erprobt wurden.

4.   Vorschläge zur Umsetzung der neuen Vorschriften in den Rechtsrahmen der Bankenunion

4.1.

Es ist anzunehmen, dass die Europäische Kommission ihr Legislativprogramm für die europäische Legislaturperiode 2019-2024 nach der COVID-19-Krise überarbeiten wird. Bis das neue Programm bekannt ist, sollte die regulatorische Anpassung des europäischen Bankensystems nach Auffassung des EWSA auf folgenden zentralen Grundsätzen basieren.

4.2.

Die Basler Vereinbarung vom Dezember 2017 muss so umgesetzt werden, dass die Auslegungs- und Ermessensspielräume stärker genutzt werden, als dies beim Basel-II- und Basel-III-Rahmen der Fall war. Generell ist anzuerkennen, dass die Europäische Kommission einige Schritte in die richtige Richtung unternommen hat, um die Vorschriften in Bezug auf kleinere und nicht komplexe Bankinstitute in verschiedenen Bereichen wie Meldepflichten, Aufsichts- und Eigenkapitalanforderungen (Faktor zur Unterstützung von KMU) zu vereinfachen. Diese Entwicklung muss jedoch vorangetrieben und die Vorschriften müssen so weit wie möglich an die verschiedenen Geschäftsmodelle angepasst werden, ohne die Wirksamkeit der Aufsichtsvorschriften zu beeinträchtigen.

4.3.

Der EWSA anerkennt insbesondere die einzigartige Rolle der — in einigen Mitgliedstaaten wie Italien und Spanien häufig genossenschaftlich organisierten — regionalen und gemeinschaftsorientierten Banken für die privaten Haushalte und KMU. Der EWSA begrüßt den Beitrag größerer Genossenschaftsbanken z. B. in Deutschland, Österreich und den Niederlanden zum europäischen Bankensystem. Dort, wo sie zum systemischen Risiko beitragen, muss dies entsprechend bei Regulierung und Aufsicht berücksichtigt werden.

4.4.

Es wäre für die Wirtschaft und das Bankensystem Europas von Vorteil, die in Artikel 40 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 der Europäischen Zentralbank (3) enthaltene Gleichsetzung zu überwinden, wonach Banken, die Teil einer „bedeutenden“ Bankengruppe sind, selbst als „bedeutend“ eingestuft werden, obwohl sie in Bezug auf Größe, Funktion und Exposition gegenüber sogenannten Systemrisiken relativ klein bleiben. Dadurch könnten die im Mai 2019 von der CRD V und der CRR II (dem Bankenpaket) eingeführten Formen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. In Artikel 84 Absatz 4 der CRD 4 und Artikel 4 Absatz 1 (145) der CRR II wird der Begriff des „kleinen und nicht komplexen Instituts“ eingeführt, für das einige Anforderungen — insbesondere in Bezug auf die Offenlegung — eingeschränkt werden.

4.5.

Der EWSA erachtet den Begriff „kleines und nicht komplexes Institut“ als Grundlage für einen systematischen Ansatz in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit. Vereinfachte Anforderungen für kleine und nicht komplexe Institute sollten nicht auf die Offenlegungspflichten beschränkt sein. Diese Vereinfachung sollte auch auf andere Aufsichts- und Überwachungsanforderungen ausgeweitet werden können. So sollte beispielsweise ein kleines und nicht komplexes Institut nicht wie ein „bedeutendes“ Institut beaufsichtigt werden, wenn es einer „bedeutenden“ Gruppe angehört, für die eine solche Aufsicht nach nationalem Recht vorgeschrieben ist. Eine solche Situation könnte in Wirklichkeit zu einer doppelten Beaufsichtigung kleinerer Banken auf unterschiedlichen Ebenen führen — mit erheblichen negativen Auswirkungen sowohl in puncto Befolgungskosten für die Banken als auch auf Regulierungskosten für die Bankenaufsichtsbehörden.

4.6.

Der EWSA fordert ferner eine Überarbeitung der Regeln und Mechanismen für die Abwicklung und Liquidation von Banken, der Methode zur Berechnung der MREL (4) und der alternativen Maßnahmen, die von spezifischen Einlagensicherungsfonds (5) ergriffen werden können. Diese wurden von einigen regionalen oder genossenschaftlichen Bankengruppen auf der Grundlage des EuGH-Urteils in der Rechtssache Tercas vom 19. März 2019 (6) eingerichtet.

4.7.

Die neuen Grundverordnungen und die Aufsichtsvorschriften im Sinne tragfähiger Finanzen dürfen nicht zu weiteren Befolgungskosten und folglich zu Aufsichtsmodellen führen, die für kleine Banken und genossenschaftliche Rechtsformen nicht tragbar sind.

4.8.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments von 2019 zur Einführung eines „grünen und sozialen Unterstützungsfaktors“, um die Kapitalabsorption bei Bankenfinanzierungen für Unternehmen der Sozialwirtschaft und für solche Unternehmen, die sich effektiv in Programmen der nachhaltigen und inklusiven Entwicklung engagieren, zu verringern. Da der Finanzsektor widerstandsfähig und stabil sein muss, sollte die Möglichkeit, einen grünen und sozialen Unterstützungsfaktor zu entwickeln, angemessen geprüft und bewertet werden.

4.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in der neuen Verordnung über die Bankenunion Instrumente vorzusehen sind, um Bankinvestitionen in Tätigkeiten mit positiven sozialen und ökologischen Auswirkungen zu fördern. Diese Förderung sollte auch durch eine Vorzugsbehandlung im Hinblick auf die von der EBA geforderten aufsichtsrechtlichen Letztsicherungen erfolgen.

4.10.

Daten, aus denen das naturgemäß geringe Risiko von Investitionen sozialwirtschaftlicher Unternehmen hervorgeht, würden ein solches differenziertes regulatorisches Vorgehen untermauern. Sozialwirtschaftliche Unternehmen hatten nämlich in puncto notleidender Kredite fast keine nennenswerten negativen Auswirkungen auf das europäische Bankensystem.

4.11.

Die Mitgesetzgeber erzielten im Frühjahr 2019 einen Kompromiss, wonach die EBA (Artikel 501 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (7), CRR) nach Konsultation des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) beauftragt wurde, auf der Grundlage der verfügbaren Daten und Ergebnisse der Hochrangigen Expertengruppe der Kommission für ein nachhaltiges Finanzwesen zu prüfen, ob eine spezielle aufsichtliche Behandlung von Risikopositionen im Zusammenhang mit Vermögenswerten oder Tätigkeiten, die im Wesentlichen mit ökologischen und/oder sozialen Zielen verbunden sind, gerechtfertigt wäre. Der EWSA geht davon aus, dass diese Bewertung sorgfältig sein und zu einem positiven Ergebnis kommen wird.

5.   Bankengruppen und Aufsicht

5.1.

Bezüglich der in der europäischen Verordnung vorgesehenen Einrichtung von genossenschaftlichen Bankengruppen, bei denen — insbesondere in bestimmten Ländern wie Italien und Spanien — gemeinschaftsorientierte und regionale Banken zusammengeschlossen werden, um eine größere kritische Masse für ihre Tätigkeiten zu erreichen, sollten regionale Banken in der Lage sein, die Kapitalabsorption der Anteile am Kapital der jeweiligen Mutterbanken angemessen abzuwickeln. Damit soll eine übermäßige Verdichtung des für Kredite verwendeten Kapitals vermieden werden.

5.2.

Derzeit basiert der Rechtsrahmen der europäischen Vorschriften über Bankengruppen auf drei Artikeln der CRR:

a)

Artikel 10: Bankengruppen, die von Banken gegründet werden, die ständig einer Zentralorganisation zugeordnet sind, mit gegenseitigen Garantien und Weisungs- und Koordinierungsbefugnissen (Italien, Niederlande, Finnland, Portugal und Luxemburg);

b)

Artikel 113 Absatz 6: Gruppen mit Weisungs- und Koordinierungsbefugnissen der Mutterbank oder in hohem Maße integrierte Systeme (Frankreich);

c)

Artikel 113 Absatz 7: Institutsbezogene Sicherungssysteme (Deutschland, Österreich, Spanien, Provinz Bozen-Südtirol/Italien).

5.3.

In der Praxis sind diese drei verschiedenen Ansätze aber nicht in der Lage, bestimmte Aspekte zu berücksichtigen, so charakteristische Tätigkeitsmerkmale derjenigen Genossenschaftsbanken, die sich nach der Schaffung der Bankenunion genossenschaftlichen Bankengruppen oder institutsbezogenen Sicherungssystemen anschließen mussten.

5.4.

Folgende Aspekte können nicht mit dem derzeitigen Regulierungsrahmen in Einklang gebracht werden: die Verpflichtung der Genossenschaftsbanken, gegenseitige Regeln einzuhalten und operationelle Regelungen zu entwickeln, die auf die Regionen beschränkt sind, in denen sie niedergelassen sind; ihre demokratische Governance; das Fehlen individueller Gewinnziele; die Grenzen für die Gewinnausschüttung und die Unteilbarkeit des Kapitals.

5.5.

Dies könnte ihre langjährige und wirksame Funktion als regionale Entwicklungsbanken mit nachgewiesener antizyklischer Funktion schwächen.

6.   Ein Rahmen für die Zeit nach der COVID-19-Krise

6.1.

Die dramatischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie liegen nun auf der Hand. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, mit einem deutlich höheren öffentlichen Schuldenstand zu leben. Um sicherzustellen, dass die Mittel rechtzeitig dorthin fließen, wo sie benötigt werden, muss das gesamte Finanzsystem von den Behörden und privaten Akteuren gemeinsam mobilisiert werden.

6.2.

Im Hinblick auf die Situation nach der COVID-19-Krise wurde von berufener Seite festgestellt, dass die europäischen Banken ein Instrument der öffentlichen Politik werden müssen, um die Wirtschaft und die Beschäftigung nach dieser gesundheitlichen Notlage zu unterstützen. Folglich sollte die Schaffung des für diesen Zweck erforderlichen Spielraums in den Bankbilanzen nicht durch Vorschriften oder Sicherheitsregelungen gehemmt werden (8).

6.3.

Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie sich die COVID-19-Krise auf die Wirtschaft auswirken wird und welche Auswirkungen sie letztlich auf die Banken haben wird. Doch wir müssen die Frage vor dem Hintergrund des derzeitigen und künftigen Rahmens bedenken.

a)

Aus regulatorischer Sicht bestand das Hauptziel nach der Finanzkrise von 2008 in der Verringerung des Risikos in den Bankbilanzen. Nach der COVID-19-Pandemie und auf derzeit unbestimmte Zeit werden die Bilanzen der Banken jedoch nach Maßgabe der von den Staaten und der Realwirtschaft übernommenen Risiken anschwellen.

b)

Der SSM, die EBA und die ESMA haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die den ihnen durch den Regulierungsrahmen eingeräumten Spielraum nutzen, um bestimmte Aufgaben auszusetzen oder bestimmte Aufsichtsanforderungen zurückzufahren.

c)

Sollten die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Krise in den künftigen Bilanzen der Banken noch in erheblichem Maße sichtbar sein, müssen diese Auswirkungen bei der Umsetzung des Basler Abkommens vom Dezember 2017 in der EU berücksichtigt werden.

d)

Der Beschluss des Basler Ausschusses, die Umsetzung der Vereinbarung vom Dezember 2017 zu verschieben, ist zweifellos angemessen und notwendig, um die Banken in die Lage zu versetzen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen und sowohl den Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Finanzlage der Banken Rechnung zu tragen, als auch der Vielfalt der Banken in Europa besser gerecht zu werden.

Brüssel, den 16. Juli 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Der EWSA hat bereits mehrere Stellungnahmen zur Bankenunion vorgelegt (so zum Thema „Die Bedeutung von Genossenschaftsbanken und Sparkassen für den territorialen Zusammenhalt“). Die darin enthaltenen Empfehlungen haben jedoch noch keine Berücksichtigung gefunden. Im Jahr 2014 legte der EWSA als Reaktion auf den Vorschlag für eine Verordnung über strukturelle Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Kreditinstituten in der Union (COM(2014) 43 final — 2014/0020 (COD)) Empfehlungen zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft und zur Notwendigkeit von Bankenvorschriften vor, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. 2018 veröffentlichte der EWSA eine Studie über europäische Modelle genossenschaftlicher Banken (Europe’s cooperative banking models, ISBN: 978-92-830-4024-8 Katalognummer: QE-01-18-233-EN-N), in der die Situation und die Aussichten für die Genossenschaftsbanken in Europa analysiert werden.

(2)  Berichte des Beratenden Wissenschaftlichen Ausschusses — Regulatory Complexity and the Quest for Robust Regulation, Nr. 8, Juni 2019.

(3)  ABl. L 141 vom 14.5.2014, S. 1.

(4)  MREL (Minimum Requirement for own funds and Eligible Liabilities — Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten) ist eine mit der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) eingeführte Anforderung. Sie soll die Wirksamkeit des Bail-in-Mechanismus durch Erhöhung der Verlustausgleichsfähigkeit der Bank sicherstellen.

(5)  Ein solcher Fonds zur Einlagensicherung wird vom Verband der italienischen Genossenschaftsbanken Banche Cooperative Italiane consorziate (BCC-CR) betrieben. Er ist ein gutes Beispiel für einen Mechanismus der Einlagensicherung, der vollständig aus Eigenmitteln der Banken finanziert wird und auf Verfahren der Gegenseitigkeit und des Genossenschaftsprinzips basiert. Der Fonds interveniert in folgenden Fällen: bei der Zwangsabwicklung von Mitgliedsbanken und von Tochtergesellschaften genossenschaftlicher Kreditbanken, die in Italien versichert sind und tätig sind, und nach Inanspruchnahme des staatlichen Garantiesystems; bei der Abwicklung einer Mitgliedsbank; bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Aufgabe von Aktivitäten, Einlagenverbindlichkeiten, Geschäftsbereichen, Vermögenswerten und gruppierten Rechtsgeschäften; um den Ausfall oder das Ausfallrisiko eines Mitglieds abzuwenden.

(6)  Mit diesem Urteil wird die Entscheidung der Kommission, wonach die Unterstützung eines privatrechtlichen Konsortiums für eines ihrer Mitglieder eine staatliche Beihilfe darstellt, praktisch aufgehoben.

(7)  ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1.

(8)  Siehe bspw. die Argumente des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi in der Financial Times vom 26. März 2020.


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