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Document 52014IE5356

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Investitionsschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat in Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Drittländern

OJ C 332, 8.10.2015, p. 45–63 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

8.10.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 332/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Investitionsschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat in Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Drittländern

(2015/C 332/06)

Berichterstatter:

Sandy BOYLE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Investitionsschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat in Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Drittländern.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 28. April 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 508. Plenartagung am 27./28. Mai 2015 (Sitzung vom 27. Mai) mit 199 gegen 55 Stimmen bei 30 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

Glossar der in dieser Stellungnahme verwendeten Abkürzungen

BIT — bilaterales Investitionsabkommen

CETA — umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen (Kanada)

GRCh — Charta der Grundrechte

ZG — Zivilgesellschaft

ZGO — zivilgesellschaftliche Organisation

EK — Europäische Kommission

EMRK — Europäische Menschenrechtskonvention

ECV — Vertrag über die Energiecharta

EuGH — Europäischer Gerichtshof

EP — Europäisches Parlament

EU — Europäische Union

ADI — ausländische Direktinvestitionen

FHA — Freihandelsabkommen

ICSID — Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten

IIA — internationales Investitionsabkommen

INTA — EP-Ausschuss für internationalen Handel

AS — Investitionsschutz

ISDS — Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat

LSE — London School of Economics

MS — EU-Mitgliedstaaten

NAFTA — Nordamerikanisches Freihandelsabkommen

OECD — Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

KMU — kleine und mittlere Unternehmen

TBC — Transatlantischer Wirtschaftsrat

EUV — Vertrag über die Europäische Union

AEUV — Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

TTIP — Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft

UNCITRAL — Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht

UNCTAD — Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen

WTO-DSP — Streitbeilegungsverfahren bei der Welthandelsorganisation

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Schlussfolgerungen

1.1.

Ausländische Direktinvestitionen sind ein wichtiger Beitrag zum Wirtschaftswachstum und ausländische Investoren müssen weltweit vor direkter Enteignung geschützt werden, dürfen keinerlei Diskriminierung unterliegen und müssen die gleichen Rechte genießen wie inländische Investoren.

1.2.

Das Recht eines Staates, im öffentlichen Interesse Vorschriften zu erlassen, ist von größter Bedeutung und darf durch internationale Investitionsabkommen nicht ausgehöhlt werden. Eine eindeutige Bestimmung, die dieses Recht auf allen Ebenen verankert, ist von wesentlicher Bedeutung.

1.3.

Durch den ISDS-Mechanismus darf der Status von transnationalem Kapital nicht dem Status des Kapitals eines souveränen Staats gleichgestellt werden bzw. dürfen ausländische Investoren nicht in die Lage versetzt werden, das Recht der Regierungen auf Regulierung und Selbstbestimmung anzufechten.

1.4.

Im Laufe der Zeit wurde eine Reihe von Fällen festgestellt, in denen ISDS missbräuchlich angewandt wurde und die jetzt angegangen werden müssen. Zu den systematischen Mängeln in der Funktionsweise von ISDS gehören die Intransparenz, das Fehlen klarer Vorschriften über das Schiedsverfahren, das Fehlen eines Rechtsmittels, die Diskriminierung einheimischer Investoren, die das ISDS-System nicht in Anspruch nehmen können, die Befürchtung, dass rein spekulative Investitionen, z .B. solche, die keine neuen Arbeitsplätze schaffen, geschützt werden, und die Angst vor einer Instrumentalisierung des Systems durch spezialisierte Anwaltskanzleien. Das Ziel besteht nun darin, eine alternatives Streitbeilegungsverfahren vorzuschlagen, das sowohl den legitimen Forderungen der Investoren als auch den Bedenken der anderen zivilgesellschaftlichen Akteure infolge der geschilderten negativen Wahrnehmung von ISDS ausgewogen Rechnung trägt.

Die Anhörung der Europäischen Kommission zum Thema ISDS in der TTIP hat eine große Diskrepanz zwischen der Meinung der Mehrheit der Unternehmen einerseits und der großen Mehrheit der Antworten der übrigen Zivilgesellschaft andererseits deutlich gemacht.

1.5.

Es gibt Bedenken darüber, dass ein aus drei privaten Rechtsanwälten bestehendes Gremium die Befugnis hat, in Bereichen von großem öffentlichem Interesse zu urteilen und bindende Entscheidungen zu treffen. Ungeachtet der Tatsache, dass UNCITRAL vor kurzem neue Vorschriften für die Transparenz erlassen hat, gibt es noch Bedenken, dass das derzeitige System in großen Teilen nicht transparent genug ist und kein Rechtsmittel vorsieht.

1.6.

Der ursprüngliche Gedanke hinter der ISDS ist längst in den Hintergrund gerückt. Das System hat sich inzwischen zu einem äußerst gewinnbringenden Geschäftsmodell für eine kleine Zahl marktbeherrschender, auf das Investitionsrecht spezialisierter Anwaltskanzleien entwickelt.

1.7.

Bestimmte spezialisierte Kanzleien bewerben nun den ISDS-Mechanismus als wichtiges Instrument zur Risikominderung im Vorfeld von Investitionen. Bekannt sind zum Beispiel Fälle, in denen ISDS zu einem Lobbyinstrument geworden ist, bei dem die bloße Androhung von Rechtsstreitigkeiten einen lähmenden Effekt auf die Rechtsetzung hat, die den Gesetzgeber davon abhält, legitime Maßnahmen von öffentlichem Interesse durchzusetzen. Es besteht auch Besorgnis angesichts der Tatsache, dass ISDS spekulative Investitionen von Hedge-Fonds usw. angezogen hat.

1.8.

Angesichts einer Reihe großzügiger Auslegungen der Frage, was unter einer Enteignung zu verstehen ist, wächst die Sorge, dass dem Steuerzahler Entschädigungszahlungen für Maßnahmen von öffentlichem Interesse, die angeblich gewinnschmälernd sind, aufgebürdet werden.

1.9.

Das Ende 2014 unterzeichnete Abkommen der EU mit Kanada (CETA) und das gesonderte Kapitel über Investitionen, um das das Freihandelsabkommen EU-Singapur ergänzt wurde, enthalten erstmals seit Einführung der EU-Zuständigkeit für Investitionen durch den Lissabon-Vertrag 2009 von der EU ausgehandelte Investitionskapitel. Obwohl diese Kapitel auf Verbesserungen am derzeitigen ISDS-System und die Einführung eines nach Angaben der Kommission neuen, modernen EU-Modells für ISDS abstellen, reichen sie bei weitem nicht aus, um die Befürchtungen der Öffentlichkeit zu zerstreuen. Die Modelle in Singapur und im CETA sind nicht identisch, und nach Ansicht vieler ist ISDS nach wie vor ein unausgewogenes und sehr teures Verfahren, das die Demokratie beschneidet, kein Rechtsmittel vorsieht und das Recht einer Regierung zur Festlegung von Vorschriften dadurch infrage stellt, dass ausländische Investoren Rechte erhalten, die über die in den jeweiligen nationalen Verfassungen verankerten oder die inländischen Investoren zustehenden Rechte hinausgehen. Der EWSA stellt mit Sorge fest, dass die CETA-Bestimmungen über ISDS derzeit die Grundlage für entsprechende Verhandlungen im Rahmen des Freihandelsabkommens EU-Japan bilden.

1.10.

Der Rollenwechsel zwischen Schiedsrichter und Berater stellt einen klaren Interessenkonflikt dar, der im CETA nicht gelöst wird. Dies bestätigt die Auffassung, dass die ISDS keine gerechte, unabhängige und ausgewogene Methode für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ist.

1.11.

Der EWSA begrüßt die öffentliche Konsultation zum Thema ISDS in der TTIP. Im Gegensatz zum CETA hat sie dazu beigetragen, die TTIP-Verhandlungen transparenter zu gestalten und einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen, der nach Überzeugung des Ausschusses nun auch auf alle künftigen Handelsverhandlungen ausgeweitet werden muss. Als Reaktion auf die Konsultation hat die Kommission vier Bereiche genannt, in denen weitere eingehende Überlegungen angestellt werden sollen, wobei der EWSA diese Liste für unvollständig hält und deshalb in den Abschnitten 7 bis 10 dieser Stellungnahme detaillierte Vorschläge zu diesen speziellen Themen unterbreitet.

1.12.

Der Ausschuss begrüßt zudem das Ziel, „unseriöse Klagen“ aus einem künftigen Mechanismus für den Investitionsschutz auszuschließen. Es ist wichtig, dass die an IIA beteiligten Parteien durch einen allgemeinen politischen Filter geschützt werden, mit dem sie in beiderseitigem Einvernehmen ggf. verhindern können, dass ein bestimmter Anspruch in ein Schiedsverfahren mündet, wenn berechtigte Gründe dafür vorliegen.

1.13.

Die Investoren sollten darin bestärkt werden, die in dem Abkommen verankerte Möglichkeit wie möglich zu halten.

1.14.

Der Schutzbedarf für ausländische Direktinvestitionen ist von Land zu Land unterschiedlich. aus.

1.15.

ISDS könnte sowohl die TTIP als auch das CETA zum Scheitern verurteilen. Die Kommission muss prüfen, ob es sinnvoll und richtig ist, dieses politisch heikle und in der Öffentlichkeit unpopuläre Ziel weiterzuverfolgen.

1.16.

Es gibt eine klare Botschaft aus Entwicklungsländern, dass ISDS ein inakzeptabler Mechanismus ist, der von einer zunehmenden Zahl wichtiger Global Players entschieden abgelehnt wird. Wird kein alternatives System gefunden, wird es immer schwieriger werden, den Investitionsschutz in künftige Abkommen aufzunehmen, gerade mit denjenigen Ländern, in denen dieser Schutz am dringendsten benötigt wird.

1.17.

Es bestehen erhebliche Bedenken auf der Ebene der EU-Verträge und des Verfassungsrechts in Bezug auf die Frage, in was für einem Verhältnis die im Rahmen der ISDS ergehenden Entscheidungen zur Rechtsordnung der EU stehen. Private Schiedsgerichte sind befugt, auch Schiedssprüche zu fällen, die nicht mit dem EU-Recht in Einklang stehen oder gegen die Grundrechtecharta verstoßen. Daher ist es nach Auffassung des EWSA unbedingt erforderlich, dass der EuGH vor der Beschlussfassung durch die zuständigen Institutionen und vor dem vorläufigen Inkrafttreten von der Kommission ausgehandelter internationaler Investitionsabkommen im Rahmen eines Gutachtens formell überprüft, ob die ISDS mit dem EU-Recht im Einklang steht.

Empfehlungen

1.18.

Soll eine Patentlösung für die Beilegung von Streitigkeiten gefunden werden, darf diese nicht in einer geringfügigen Überarbeitung des derzeitigen ISDS-Systems bestehen, das in der Öffentlichkeit nur sehr wenig Unterstützung findet.

1.19.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen alle G7-Staaten in fortgeschrittenen Verhandlungen über umfassende Handels- und Investitionsabkommen, und damit bietet sich die einzigartige Gelegenheit, ein glaubwürdiges System zu entwickeln, das die legitimen Interessen der Investoren und die Rechte eines Staates miteinander in Einklang bringt.

1.20.

Soll die Lösung in einem einheitlichen Gremium bestehen, dann darf sich dieses nicht aus privaten Rechtsanwälten zusammensetzen, muss im stärkeren Maße KMU offenstehen und muss grundsätzlich die Möglichkeit eines Rechtsmittels vorsehen.

1.21.

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Vorschläge der UNCTAD zur Reform des ISDS-Systems zu prüfen, und kommt zu dem Schluss, dass die Einrichtung eines internationalen Investitionsgerichts die beste Lösung zur Gewährleistung eines demokratischen, fairen, transparenten und ausgewogenen Systems ist.

2.   Einleitung

2.1.

Gleichzeitig mit der mit überwältigender Mehrheit erfolgten Verabschiedung der Stellungnahme REX/390 (1) beschloss der EWSA, eine Initiativstellungnahme zum Thema ISDS zu erarbeiten. Zwar zielte die Empfehlung ursprünglich auf die TTIP ab, später wurde aber eine Ausweitung auf die Thematik Investitionsschutz und ISDS in Handels- und Investitionsabkommen mit Drittländern vereinbart.

2.2.

Auch wenn in dieser Stellungnahme die allgemeinen Folgen von ISDS-Vereinbarungen untersucht werden sollen, bezieht sich ein Großteil der verwendeten Materialien und Referenzen unvermeidlich auf die TTIP. Während der TTIP-Verhandlungen war die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat ein zentrales Thema für die Interessenträger aus der EU und den USA.

2.3.

Die Kommission führte eine 15 Wochen währende öffentliche Online-Konsultation (März bis Juli 2014) zum Thema ISDS in der TTIP durch. Der EWSA erachtete es als sinnvoll, vor Verabschiedung seiner Stellungnahme zunächst die Veröffentlichung der Ergebnisse dieser Konsultation abzuwarten und anschließend selbst eine öffentliche Anhörung durchzuführen. Die Ergebnisse der Konsultation wurden Mitte Januar 2015 veröffentlicht, und die Anhörung fand am 3. Februar 2015 statt. Die Beiträge waren bei der Erarbeitung dieser Stellungnahme äußerst hilfreich.

3.   Hintergrund

3.1.    Das System

3.1.1.

Der ISDS-Mechanismus ist ein Instrument des internationalen Rechts, das einem ausländischen Investor erlaubt, im Rahmen der Bestimmungen eines IIA ein Verfahren zur Streitbeilegung gegen einen ausländischen Staat anzustoßen. Die Abkommen sollen bei Auslandsinvestitionen grundlegende Verpflichtungen für die beteiligten Parteien schaffen und garantieren, dass Staaten wesentliche Grundsätze beachten, so z .B.:

die Verpflichtung, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren und eine faire und ausgewogene Behandlung zu gewährleisten;

das Verbot einer direkten oder indirekten Enteignung ohne eine umgehende und angemessene Entschädigung mit Schutzwirkung;

den Schutz der Möglichkeit des Kapitaltransfers.

3.1.2.

Sollte ein ausländischer Investor im Rahmen eines internationalen Investitionsabkommens eine Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen durch einen Staat vermuten, so kann er über den ISDS-Mechanismus ein internationales Schiedsverfahren anstoßen. Er muss nachweisen, dass ihm durch die betreffenden Maßnahmen ein erheblicher Schaden entstanden ist. Sollte der Klage stattgegeben werden, so hat der Gaststaat den entstandenen Schaden zu ersetzen. Im Gegensatz zu den WTO-Mechanismen zur Streitbeilegung ist ein verurteilter Staat hier nicht zur Änderung seiner Rechtsvorschriften verpflichtet.

3.1.3.

Das ISDS-System basiert weitgehend auf dem Argument, dass es ein entpolitisiertes und neutrales Forum für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen ausländischen Investoren und Gastgeberstaaten bietet. Es gibt Unternehmen die Möglichkeit, Staaten vor internationalen Gerichtshöfen zu verklagen. Diese Möglichkeit besteht ausschließlich für ausländische Unternehmen oder multinationale Unternehmen, die über ein Tochterunternehmen in einem anderen Land agieren. Die beteiligten Kommunen, Bürger, inländischen Unternehmer und Staaten können auf diesen Mechanismus nicht zugreifen.

3.1.4.

Die Schiedsrichter sind im Gegensatz zu nationalen Rechtssystemen keine Berufsrichter im öffentlichen Amt. Die Schiedsgerichte setzen sich zumeist aus drei privaten Rechtsanwälten zusammen und werden ad hoc besetzt. Sie tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ihre Entscheidung ist endgültig und es besteht keine Möglichkeit, Rechtsmittel dagegen einzulegen.

3.1.5.

Das ISDS-Verfahren kann auf Wunsch beider Streitparteien unter dem völligen Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt werden, auch wenn die Streitigkeit Fragen des öffentlichen Interesses berührt. Obwohl die Standard-BIT der USA für mehr Transparenz sorgen, gibt es in vielen bestehenden Abkommen nach wie vor Heimlichtuerei. Die UNCITRAL-Regeln über Transparenz werden zu einer erheblichen Verbesserung der Lage führen, sofern sie allgemein umgesetzt werden.

3.2.    Fakten und Statistiken

3.2.1.

93 % der bilateralen Investitionsschutzabkommen enthalten eine ISDS-Klausel (2). ISDS ist auch Bestandteil bestimmter internationaler Handelsabkommen, so z .B. des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA), und internationaler Investitionsabkommen wie des Energiecharta-Vertrags. Im Jahr 2014 löste der Energiecharta-Vertrag das NAFTA-Abkommen als das am häufigsten geltend gemachte Abkommen ab (3).

3.2.2.

Die EU-Mitgliedstaaten haben seit den 1950er Jahren mehr als 1  400 bilaterale Investitionsschutzabkommen geschlossen, d. h. in etwa die Hälfte aller weltweit geschlossenen Abkommen dieser Art (4). In allen finden sich weitgehend ähnliche Bestimmungen zum Investitionsschutz und zur ISDS. Berichten zufolge werden ISDS-Verfahren weltweit am häufigsten von Investoren aus der EU angestrengt (50 % aller Fälle).

3.2.3.

Zurzeit führt die EU Verhandlungen mit den USA über die TTIP und mit Japan über ein umfassendes Freihandelsabkommen, und sie hat kürzlich die Verhandlungen über ein Abkommen mit Kanada abgeschlossen. Mehr als jeder andere Aspekt haben diese Verhandlungen eine breite öffentliche Debatte darüber angestoßen, ob es nötig ist, in jedem Investitionskapitel einen ISDS-Mechanismus vorzusehen.

3.2.4.

Lediglich neun EU-Mitgliedstaaten haben bilaterale Investitionsabkommen mit den USA (Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei), sieben Mitgliedstaaten haben ein bilaterales Investitionsabkommen mit Kanada und kein EU-Land hat ein Abkommen mit Japan. Alle diese Abkommen bestanden bereits, bevor das jeweilige Land der EU beigetreten ist.

3.2.5.

Der Bestand ausländischer Direktinvestitionen von US-Investoren in den genannten neun Mitgliedstaaten entspricht 1 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen aus den USA in der EU. Die ausländischen Direktinvestitionen aus diesen Mitgliedstaaten in den USA machen gerade einmal 0,1 % des gesamten Bestands ausländischer Direktinvestitionen in den USA aus (5).

3.3.    Zahl der Verfahren

3.3.1.

Die Zahl der ISDS-Verfahren ist zwischen 2002 und 2014 drastisch gestiegen (auf 58 im Jahr 2013 und 42 im Jahr 2014) (6), wobei es bis Ende 2014 insgesamt 610 Schiedsverfahren auf Grundlage von Abkommen gab. Da die meisten Schiedsgerichte aber kein öffentliches Fallverzeichnis führen, ist damit zu rechnen, dass die tatsächliche Zahl der Verfahren höher liegt.

3.3.2.

Von den 356 bekannten Fällen, die zu einem Abschluss gekommen sind, wurden 25 % zugunsten des Investors und 37 % zugunsten des Staates entschieden. Bei 28 % der Fälle wurde nicht öffentlich gemacht, wie sie ausgegangen sind.

3.4.    Zeit und Kosten

3.4.1.

Die durchschnittlichen Kosten eines Schiedsverfahrens liegen bei 4 Mio. US-Dollar pro Partei, davon sind ca. 82 % Rechtskosten (7). Einige Verfahren können mehrere Jahre dauern.

3.4.2.

Die hohen Kosten haben dazu geführt, dass die Klagen zunehmend von Dritten finanziert werden. Damit sinkt das finanzielle Risiko für Unternehmen und steigt die Zahl der unseriösen Klagen, für die die Staaten aber dennoch im vollen Umfang die rechtlichen Kosten tragen müssen. Der Ausschuss lehnt spekulative Investitionen von Hedgefonds in bestimmte ISDS-Verfahren gegen einen Anteil an der gewährten Entschädigung nachdrücklich ab (8).

4.   Argumente für ISDS

4.1.

Abgesehen von Irland haben alle Mitgliedstaaten eine ISDS-Klausel in ihren bilateralen Investitionsabkommen vorgesehen. Darüber hinaus gibt es 190 EU-interne bilaterale Investitionsabkommen, auf die 16 % aller weltweit registrierten ISDS-Verfahren entfallen.

4.2.

Das Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission, das 2012 von den damals 27 Mitgliedstaaten erteilt wurde, umfasst auch das Ziel der Schaffung eines ISDS-Systems, das einen effektiven und modernen Streitbeilegungsmechanismus bietet.

4.3.

Die Europäische Kommission (9) sieht in der Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat

ein wichtiges Instrument zum Schutz von Investitionen und daher zur Förderung und Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums in der EU;

eine effektive Möglichkeit zur Durchsetzung der Verpflichtungen, die unsere Handelspartner gegenüber unseren Investoren bei der Unterzeichnung von Investitionsabkommen eingehen.

4.4.

Ein von der Gruppe der Arbeitgeber im EWSA organisiertes Wirtschaftsdiskussionsforum zum Thema TTIP kam in seiner gemeinsamen Erklärung (10) zu dem Schluss, dass ein internationales Abkommen wie die TTIP die richtigen Bedingungen schaffen sollte, um im hohen Maße künftige Investitionen im transatlantischen Markt anzuziehen. Dazu gehörten u. a. die Gewährung eines umfassenden Zugangs und die nichtdiskriminierende Behandlung von Investoren auf beiden Seiten sowie die Verbesserung des gegenwärtigen Rahmens für den Investitionsschutz (einschließlich ISDS), indem dieser für KMU zugänglicher gemacht wird, und die Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Rechten der Investoren und dem Recht der Mitgliedstaaten und der lokalen Gebietskörperschaften, im öffentlichen Interesse Vorschriften zu erlassen. Darüber zu wachen, dass die in der TTIP vorgeschlagenen ISDS-Bestimmungen die Mitgliedstaaten der EU nicht in ihrer Fähigkeit beschneiden, Regeln im öffentlichen Interesse aufzustellen, wurde auch in den Schlussfolgerungen einer gemeinsamen Sitzung zu den transatlantischen Verhandlungen im Juni 2014 von den Interessengruppen Verbraucher, Umweltschützer und Landwirte gefordert.

4.5.

Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks sehen eine dringende Notwendigkeit für einen ISDS-Mechanismus als wesentliche Garantie für ausländische Investitionen. Sie argumentieren, dass ein derartiger Mechanismus

ein entscheidender Teil des Investitionsschutzes ist, einen neutralen und auf Fakten gegründeten Streitbeilegungsmechanismus bietet und Regeln enthält, die die Einhaltung der Bestimmungen fördern und Missbrauch verhindern;

das Recht von Staaten auf Erlassung von Vorschriften und das Recht der Investoren auf Schutz durch das internationale Recht fördert.

4.6.

Ferner wird damit argumentiert, dass ISDS ein letztes Mittel sei, das nur in Extremfällen zum Einsatz komme, wenn alle anderen Optionen gescheitert seien, und dass 90 % der bilateralen Investitionsabkommen noch nie von Investoren genutzt worden seien, um Ansprüche geltend zu machen. Der weltweite Bestand an ausländischen Direktinvestitionen belaufe sich zwar auf über 25 Billionen Dollar, doch habe es seit 1987 erst rund 500 Fälle gegeben. Schiedssprüche gewährten lediglich eine finanzielle Entschädigung. Die Schiedsrichter hätten nicht die Möglichkeit, die Rechtsvorschriften oder Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu ändern (11).

4.7.

Die Unternehmen machen zudem geltend, dass ein funktionierendes und modernes ISDS-System auch für KMU wichtig sei, die ja 22 % aller Fälle weltweit eingereicht hätten (12).

4.8.

Die Vertreter der Unternehmen fordern zwar die Aushandlung eines liberalen Investitionsabkommens (13), räumen allerdings auch ein, dass Maßnahmen ergriffen werden sollten, um ISDS zu einem wirksameren, modernen, berechenbaren und transparenten Instrument zu machen. Sie sprechen sich für klarere Definitionen wichtiger Begriffe wie „Investor/Investition“, „gerechte und billige Behandlung“ und „indirekte Enteignung“ aus (14).

4.9.

Es wird argumentiert, dass — angesichts des enormen Interesses an den Verhandlungen zur TTIP, zum CETA und zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan und aufgrund des Einflusses jedes dieser Abkommen auf andere, sich noch in der Ausarbeitungsphase befindlichen Abkommen — das Ausbleiben einer Einigung die Aussichten auf eine ISDS-Bestimmung in anderen bilateralen Investitionsabkommen deutlich verringern würde.

5.   Bedenken und Gegenstimmen

5.1.

Die Unterstützung für ISDS findet keinen Widerhall in anderen zentralen Bereichen der Zivilgesellschaft. Allerdings besteht ein breiter Konsens darüber, dass ausländische Investoren Schutz vor direkter Enteignung benötigen, dass sie gegenüber inländischen Investoren nicht diskriminiert werden dürfen und dass ihnen dieselben Alternativen wie jenen offenstehen müssen.

5.2.

Heftiger Widerspruch wurde auf beiden Seiten des Atlantiks von Gewerkschaften, Nichtregierungs-, Verbraucher- und Umweltorganisationen sowie von Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens geäußert.

5.3.

Die Hauptsorge besteht darin, dass das ISDS-System nicht zweckdienlich ist und dass es internationalem Kapital quasi den gleichen Rechtsstatus verleiht, wie ihn ein souveräner Staat hat. Der Ausschuss weist jedoch darauf hin, dass zwei Länder, die ihre Wirtschaftsbeziehungen durch ein IIA fördern wollen, einander gewisse Garantien bezüglich der Behandlung der Investoren und Investitionen aus dem anderen Land geben werden.

5.4.

ISDS ist seit ihren bescheidenen Anfängen, als sie bei ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern mit einem schlecht funktionierenden Rechtssystem Unterstützung dabei leisten sollte, Entschädigungen für direkte Enteignungen privaten Eigentums durch nationale Regierungen zu erwirken, zu einem Mechanismus geworden, der

das Machtverhältnis zwischen Investoren, Staaten und anderen beteiligten Parteien grundsätzlich verschiebt;

die Rechte von Unternehmen über das Recht der Staaten auf Rechtsetzung und über das souveräne Recht von Nationen auf Selbstbestimmung stellt.

5.5.

Der Begriff Enteignung wurde immer weiter ausgedehnt und umfasst mittlerweile einer Enteignung gleichkommende Maßnahmen, indirekte und regulative Enteignung. Als Folge davon werden Klagen gegen jegliche staatliche Maßnahme, die möglicherweise Auswirkungen auf Gewinne, zukünftige Gewinne oder berechtigte Gewinnerwartungen haben könnte, zugelassen, selbst wenn die jeweilige Politik oder Maßnahme allgemeiner Natur ist und die infrage stehende Investition gar nicht betrifft.

5.6.

Niederlagen vor nationalen Gerichten wurden als „Enteignungen“ angefochten, z .B. in der 500-Mio.-US-Dollar schweren Klage des US-amerikanischen Pharmagroßunternehmens Eli Lilly gegen den kanadischen Staat, in der sich das Unternehmen darauf beruft, dass die Entscheidungen des kanadischen Bundesgerichts bezüglich zweier patentierter Medikamente die Investorenrechte des Unternehmens verletzten. Dies ist der erste Versuch eines Patente innehabenden Pharmakonzerns, die außerordentlichen Privilegien der US-Handelsabkommen als Instrument zur Ausweitung von Monopolstellungen durch Patentschutz zu nutzen (15).

5.7.

Mittlerweile bieten Fachkanzleien Beratung und gewinnbringende Nutzung in Fällen, die nicht viel mit der Enteignung privaten Eigentums zu tun haben. Eine Hand voll Fachkanzleien für Investitionsrecht ist auf der Welle des boomenden Geschäfts mit den Investitionsstreitigkeiten geritten und beherrscht nun den Markt.

5.8.    Ist eine ISDS-Bestimmung in der TTIP notwendig?

5.8.1.

Im Rahmen der TTIP kann kaum dahingehend argumentiert werden, dass Investoren Grund zum Zweifel an den bestehenden nationalen Rechtssystemen haben. Sowohl die EU als auch die USA haben ausgereifte und solide Rechtssysteme. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum die Rechte ausländischer Investoren über die Aufnahme einer einfachen Bestimmung über den diskriminierungsfreien und gleichberechtigten Zugang zu den nationalen Gerichten nicht angemessen geschützt sein sollten. Diese Argumente können auch für Kanada und Japan vorgebracht werden. Erweist es sich in diesen hoch entwickelten Demokratien als schwierig, internationale Rechte durch Verhandlungen, Mediation oder innerstaatliche Gerichtsbarkeit durchzusetzen, dann sollte das Problem in erster Linie durch eine Beilegung auf zwischenstaatlicher Ebene gelöst werden.

5.8.2.

In einem Bericht der London School of Economics, in dem das US-amerikanische Musterabkommen für bilaterale Investitionsabkommen von 2012 untersucht wird, wird festgestellt, dass es bestimmte Bereiche gebe, in denen das bilaterale Investitionsabkommen mit den USA erheblich über das Recht im Vereinigten Königreich hinausgehe. Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der Menge der US-Investitionen im Vereinigten Königreich wird die Auffassung vertreten, dass ein erhebliches Risiko — ein politischer Preis — bestehe, dass künftig bevorzugte Politikansätze auf Betreiben von US-Investoren im Vereinigten Königreich aufgegeben oder angepasst werden könnten.

5.8.3.

Die Behauptung, dass ein fehlender ISDS-Mechanismus ein Hindernis für ausländische Investitionen darstelle, ist nicht nachvollziehbar: Das Volumen der in die EU fließenden Auslandsinvestitionen ist innerhalb der Union sehr unterschiedlich. Einige der Mitgliedstaaten, die in ihren BIT mit den USA einen ISDS-Mechanismus vorgesehen haben, gehören zu jenen Ländern, in die die wenigsten US-Auslandsinvestitionen fließen:

Die ausländischen Direktinvestitionen der USA und der EU belaufen sich zurzeit auf beiden Seiten auf mehr als 2,5 Billionen USD (1,5 Billionen EUR). Aus den USA fließen allein nach Belgien viermal so viele ausländische Direktinvestitionen wie nach China.

Brasilien, das lateinamerikanische Land, in das die meisten ausländischen Direktinvestitionen fließen, hat keine Investitionsabkommen mit ISDS-Klausel.

Australien hat gezeigt, dass ein Land durchaus in der Lage ist, in dem einen bilateralen Handelsabkommen (mit den USA) keine Bestimmungen zum Investitionsschutz vorzusehen, in dem anderen (mit Korea) aber sehr wohl. Es gibt keinen Grund, warum die EU nicht einen ähnlichen Weg einschlagen sollte.

5.8.4.

Es ist äußerst fraglich, dass das Fehlen eines ISDS-Mechanismus in der TTIP die EU in ihren Möglichkeiten, ISDS in zukünftige bilaterale Investitionsabkommen und in Investitionsabkommen mit Nicht-OECD-Ländern wie China aufzunehmen, beeinträchtigen könnte. China hat bereits ein dichtes Netz von mehr als 130 bilateralen Investitionsabkommen aufgebaut (davon mit 26 Mitgliedstaaten der EU). In China ist der Wunsch nach einem Abkommen genauso stark wie in der EU. Fraglich ist dagegen, ob es im Interesse der EU läge, staatlichen chinesischen Unternehmen, die im Wesentlichen der verlängerte Arm der chinesischen Regierung sind, die Möglichkeit einzuräumen, öffentliche Maßnahmen durch Einsatz von ISDS anzufechten. So könnte ein ausländischer Staat ein ursprünglich für Wirtschaftsaspekte gedachtes Verfahren bei Fragen einsetzen, die eigentlich durch Verhandlung und Diplomatie gelöst werden sollten.

5.8.5.

In einer im März 2015 vom Zentrum für europäische politische Studien (CEPS) und dem Zentrum für transatlantische Beziehungen (CTR) der Johns-Hopkins-Universität veröffentlichten ausführlichen Analyse heißt es zusammenfassend: Die Aufnahme eines Investitionsschutzkapitels in die TTIP, das mit einem ISDS-Mechanismus einhergeht, wird wahrscheinlich keine großen wirtschaftlichen oder politischen Vorteile für die EU bringen. Aus unserer Analyse geht auch hervor, dass die Aufnahme derartiger Bestimmungen zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Kosten für die EU führen würde. Die möglichen Kosten dürfen zwar nicht überbewertet werden, doch in unserer Gesamtbewertung übersteigen die Kosten höchstwahrscheinlich etwaige Vorteile für die EU. Daher wäre es aus unserer Sicht für die EU ratsam, Alternativen zu erwägen, es sei denn, ISDS geht mit erheblichen Zugeständnissen der Vereinigten Staaten einher, die die ISDS-bedingten Kosten aufwiegen (16).

5.9.    Die gegenwärtige politische Lage

5.9.1.

Südafrika, Bolivien, Ecuador, Venezuela und Indonesien haben begonnen, bestehende bilaterale Investitionsabkommen zu kündigen oder auslaufen zu lassen. Indien prüft angeblich auch seine Abkommen, und im Zuge des Philipp-Morris-Verfahrens hat Australien angekündigt, in zukünftigen Abkommen keinen ISDS-Klauseln mehr zuzustimmen.

5.9.2.

Die Nationale Konferenz der bundesstaatlichen Parlamente, in der alle Parlamente der 50 US-amerikanischen Bundesstaaten vertreten sind, hat angekündigt (17), dass sie kein Handelsabkommen unterstützen werde, das eine Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat vorsieht, da dies ihre Fähigkeit einschränke, als staatlicher Gesetzgeber gerechte und diskriminierungsfreie Vorschriften zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und des Gemeinwohls, zur Sicherung der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer und zum Schutz der Umwelt zu beschließen und durchzusetzen.

5.9.3.

Auch in Europa wächst der Widerstand gegen ISDS. Deutschland, Österreich, Griechenland und Frankreich hinterfragen die Rechte der Investoren in der TTIP.

5.9.4.

Aus dem Europäischen Parlament hört man ebenfalls Warnungen von Mitgliedern des einflussreichen Ausschusses für Internationalen Handel (INTA), die fordern, ISDS aus der TTIP auszuklammern.

5.9.5.

Der Ausschuss der Regionen warnt davor, dass an der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbeigehende Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis Investor und Staat zwischen der EU und den USA mit hohen Risiken verbunden seien und demzufolge auf sie verzichtet werden sollte (18).

5.9.6.

Diese Haltung findet ihren Widerhall auch in zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen Europas, die ISDS in der TTIP ablehnen. Eines der Hauptargumente lautet, dass ein Investor nach Beschreiten des nationalen Rechtsweges und einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung seine Forderung dann immer noch vor einem Investitionsgericht geltend machen kann. Dieses Gericht hätte das letzte Wort, und das läuft der Demokratie zuwider.

6.   Die öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zum Thema Investitionsschutz und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat im Rahmen der TTIP

6.1.

Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, eine öffentliche Konsultation zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat im Rahmen der TTIP durchzuführen. Wenn die doppelt eingereichten Antworten außer Acht gelassen werden, gingen 1 43  053 Antworten ein, was das Ausmaß des öffentlichen Interesses belegt. Das im Januar 2015 veröffentlichte Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen enthält eine gründliche inhaltliche Analyse der öffentlichen Reaktion (19).

6.2.

Grundlage der Konsultation war ein Dokument, das sich an das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA anlehnte. Leider gab es zu dem Entwurf dieses Abkommens ebenso wie bei dem Abkommen mit Singapur keine öffentliche Konsultation. Die Tatsache jedoch, dass das CETA-Abkommen nach Abschluss der Verhandlungen — sozusagen nachdem die Tinte schon trocken war — als Grundlage für eine öffentliche Konsultation diente, hat dahingehend Bedenken laut werden lassen, dass die öffentliche Konsultation eine vollendete Tatsache betreffe und zu wenig mehr als dazu diene, die neue Generation von Investitionsabkommen im Sinne der EU abzusegnen. Diese Sorge wurde durch die Tatsache verschärft, dass der Schwerpunkt des Konsultationsdokuments auf den Modalitäten lag und dass die Konsultation keinerlei konkrete Frage darüber enthielt, ob ISDS grundsätzlich in die TTIP aufgenommen werden sollte. Die Konsultation hatte jedoch zum Ziel, die Interessenträger zu Verbesserungsmöglichkeiten von ISDS in der TTIP zu konsultieren.

6.3.

Angesichts der Unmenge der bereits vorhandenen Informationen aus der aktiven öffentlichen Debatte im Internet über die ISDS war die Konsultation nur eine geringe Bereicherung. Zur Zusammenführung der verschiedenen Argumentationslinien und als Gelegenheit zur direkten Einflussnahme für die Zivilgesellschaft war sie allerdings äußerst nützlich.

6.4.

Es ist bedauerlich, dass die 97 % der Antworten, die kollektiv über verschiedene Online-Plattformen eingereicht wurden, von einigen Befürwortern der ISDS einfach abgetan wurden, obgleich kollektive Beiträge ein legitimer Bestandteil öffentlicher Konsultationen sind. Der EWSA begrüßt die Versicherung der Kommission, dass alle Antworten gleichermaßen berücksichtigt worden seien.

6.5.

Der EWSA stellt fest, dass weniger als 1 % der Befragten angaben, Investoren in den USA zu sein, ist aber der Ansicht, dass dies kein Grund zur Besorgnis ist. Bei Fragen, die Demokratie sowie Hoheitsrechte und Selbstbestimmung der Staaten betreffen, ist eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft wesentlich und unabdingbar.

6.6.

Es wurden von der Europäischen Kommission vier Bereiche benannt, in denen nach weiteren Verbesserungsmöglichkeiten gesucht werden sollte:

Schutz des Rechts, Vorschriften zu erlassen;

Einrichtung und Arbeitsweise von Schiedsgerichten;

Zusammenhang zwischen nationalen Justizsystemen und ISDS;

Überprüfung von ISDS-Entscheidungen über einen Berufungsmechanismus.

Diese Bereiche werden in dem Konzeptpapier „Investment in TTIP and beyond — the path for reform“, das das Kommissionsmitglied Malmström im Mai 2015 dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt hat, weiter vertieft.

6.7.

Der EWSA nimmt mit Verwunderung zur Kenntnis, dass in der Sitzung im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Dialogs am 18. Mai bestätigt wurde, dass das im CETA vereinbarte Investitionsschutzmodell derzeit in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Japan als Grundlage dient. Angesichts der Tatsache, dass die EU-Kommissarin in ihrem dem Europäischen Parlament am 6. Mai vorgelegten Konzeptpapier „Investment in TTIP and beyond — the Path for Reform“ zahlreiche Bereiche für weitere Verbesserungen des Textes des CETA-Abkommens benannt hat, zeigt sich der Ausschuss darüber besorgt, dass dieses Abkommen weiterhin die Grundlage für Verhandlungen mit einem so wichtigen globalen Partner wie Japan bilden soll.

7.   Schutz des Rechts auf Rechtsetzung

7.1.

Der EWSA zeigt sich besorgt, dass das European Service Forum in seinem Beitrag zur öffentlichen Konsultation darauf drängt, Ausnahmen und Beschränkungen auf ein Minimum zu reduzieren, und von der Kommission fordert, „das ihr durch den Vertrag von Lissabon erteilte Verhandlungsmandat zur Verbesserung und Stärkung und nicht zur Verwässerung der ISDS“ zu nutzen. Die Forderungen umfassen: uneingeschränkte Meistbegünstigungsklausel, uneingeschränkte Inländerbehandlungsklausel, uneingeschränkte Klausel zur fairen und ausgewogenen Behandlung, eine breite Schirmklausel, keine Ausnahmen für bestimmte Branchen, keine Filtermechanismen, volle Entschädigung bei direkter und indirekter Beschlagnahmung  (20).

7.2.

ISDS wird immer stärker dazu genutzt, um nationale Rechtssysteme auszuhebeln und dabei Staaten vor Gerichten des internationalen Privatrechts zu verklagen, um für politische Maßnahmen im öffentlichen Interesse, die angeblich Unternehmensgewinne schmälern, mit Steuergeldern entschädigt zu werden. Dies trifft insbesondere auf die Bereiche Gesundheit und Umweltschutz zu.

7.3.

Der Widerstand gegen ISDS ist durch aufsehenerregende Fälle der jüngsten Vergangenheit deutlich stärker geworden:

Philip Morris hat Australien wegen der Verpackung von Zigaretten mit dem Argument verklagt, dass der Wert ihrer Investitionen in Marken und weiterem geistigen Eigentum geschmälert werde.

Nach dem Beschluss Deutschlands über den Atomausstieg fordert das Unternehmen Vattenfall vom deutschen Staat unter Berufung auf den Energiecharta-Vertrag mehr als 3,7 Mrd. US-Dollar.

Lone Pine verklagte Kanada auf 250 Mio. kanadische Dollar, nachdem die Provinz Quebec aufgrund von Umweltbedenken ein Moratorium für Fracking verhängt hatte.

Das Unternehmen Veolia hat Ägypten aufgrund seines Beschlusses zur Anhebung des Mindestlohnes verklagt, da dies zu einer Schmälerung der Gewinne des Unternehmens führen werde.

Libyen wurde aufgrund der Annullierung eines Tourismusprojekts dazu verurteilt, einem Unternehmen aus Kuwait für entgangene Gewinne aus tatsächlichen und sicheren Möglichkeiten 935 Mio. US-Dollar Entschädigung zu zahlen (21). Der Investor hatte gerade einmal 5 Mio. US-Dollar in das Projekt investiert und der Bau hatte noch gar nicht begonnen.

Das Unternehmen Micula verklagte den rumänischen Staat wegen einer Investition, die das Unternehmen vor dem EU-Beitritt des Landes im Rahmen einer staatlichen Fördermaßnahme für Unternehmen getätigt hatte. Im Rahmen seines Beitritts zur EU hat Rumänien aufgrund der Vorschriften über staatliche Beihilfen seine Förderprogramme eingestellt. Für die Nichteinhaltung der Verpflichtungen im Rahmen des bilateralen Investitionsabkommens sprach das Gericht dem Unternehmen eine Entschädigung in Höhe von 1 16  000 USD zuzüglich Zinsen zu (geschätzte Gesamtsumme 2 50  000 USD). Die Zahlung wurde Rumänien 2014 jedoch mit einer einstweiligen Verfügung der GD Wettbewerb vorläufig untersagt, da die Zahlung als rechtswidrige staatliche Beihilfe anzusehen wäre. Ungeachtet dessen hat das Schiedsgericht dem Unternehmen auf Grundlage einer Klausel mit Bezug auf das New Yorker Übereinkommen die Möglichkeit eingeräumt, die Schadensersatzforderung vor US-Gerichten einzuklagen.

7.4.

Investitionsabkommen verbieten jegliche Beschränkung der Kapital- oder Gewinnrückführung. Die Staaten dürfen zur Abwehr von Angriffen auf ihre Währung keine Kapitalverkehrskontrollen einführen oder in einer Krise abfließende Kapitalströme beschränken, auch wenn der IWF solche Kontrollen als eine entscheidende politische Maßnahme ansieht. Am härtesten hat es bei den ISDS-Fällen Argentinien getroffen, das nach seiner 2002 beschlossenen Abkopplung des Pesos vom US-Dollar mehr als 500 Mio. US-Dollar zahlen musste.

7.5.

Zwar sind für öffentliche Dienste in Kapitel 11 des CETA (Grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr) Ausnahmen vorgesehen, aber es gibt keine solchen Ausnahmen oder Ausschlüsse im Rahmen von Kapitel 10 (Investitionsschutz). Grundsätzlich ist es zwar richtig, dass Investoren vor Willkürakten staatlicher Behörden geschützt werden, aber die Definition des Begriffs „Enteignung“ und insbesondere des Begriffs „indirekte Enteignung“ gibt Anlass zu Bedenken in Hinsicht auf die Fähigkeit von Staaten, bestimmte Tätigkeiten, die derzeit von privatwirtschaftlichen Unternehmen erbracht werden, aus berechtigten Gründen des Gemeinwohls wieder in staatliche Hand zu legen. Enteignung nach Kapitel 10 umfasst jegliche Rechtsvorschriften, die dazu führen, dass der Wert eines privaten Unternehmens gemindert wird. Die Entschädigung muss dem tatsächlichen Verlust entsprechen. Das könnte es für Staaten wirtschaftlich untragbar machen, Dienstleistungen wieder in staatliche Hand zu legen.

7.6.

Im Rahmen des CETA wird allgemein anerkannt, dass die Definition des Begriffs „indirekte Enteignung“ zu weit gefasst ist. Anhang X.11 Absatz 3 versucht, Klarheit zu schaffen, indem die Gemeinwohlziele festgelegt werden, die keine indirekte Enteignung darstellen wie Gesundheit, Sicherheit oder Umwelt. Es besteht aber die Gefahr, dass dies als zu einschränkend ausgelegt werden könnte, da für andere, weiterreichende Gemeinwohlziele, wie etwa die Wirtschafts- oder Finanzpolitik oder die Renationalisierung zentraler Dienstleistungen, weiterhin die Möglichkeit besteht, im Rahmen der ISDS Ansprüche wegen indirekter Enteignung geltend zu machen. Es ist wichtig, diesen Punkt zu klären.

7.7.

Im Rahmen ihrer Pläne, einen Missbrauch der ISDS seitens der Investoren zu verhindern, erklärt die Europäische Kommission, dass sie beabsichtige, Bestimmungen zur Verhinderung unseriöser Klagen in die TTIP aufzunehmen (22). Der Entwurf des CETA sieht auch ein beschleunigtes Verfahren für die Zurückweisung unbegründeter und unseriöser Klagen vor. Allerdings wird es sich als äußerst schwierig erweisen, den Begriff unseriös streng juristisch zu definieren, was dazu führen könnte, dass sich das Geschäftsfeld für auf Investitionsrecht spezialisierte Anwälte noch weiter ausdehnt.

7.8.

Der Entwurf des CETA enthält ebenfalls eine abschließende Definition des Begriffs faire und ausgewogene Behandlung, die von den Gegnern der ISDS als zu weit gefasst und von der Wirtschaft als zu unflexibel angesehen wird. Sie lässt dem Gericht immer noch Interpretationsspielraum und beinhaltet keinen flexiblen Überprüfungsmechanismus.

7.9.

Schon allein die Aussicht auf ein ISDS-Verfahren kann auf die Rechtsetzung lähmend wirken und Staaten aus Angst vor dem Verfahren und den drohenden finanziellen Sanktionen davon abhalten, im öffentlichen Interesse gesetzgeberisch tätig zu werden. So hat zum Beispiel die Regierung Neuseelands ihr eigenes Gesetz über Einheitsverpackungen für Tabakerzeugnisse so lange aufgeschoben, wie eine Entscheidung im Verfahren Philipp Morris gegen Australien aussteht.

7.10.

In einer Mitteilung der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer an ihre multinationale Mandantschaft heißt es, Unternehmen sind heutzutage stärker für die mögliche Bedeutung von Investitionsabkommen sensibilisiert, nicht nur als letzte Verteidigungslinie für den Notfall, sondern auch als wichtiges präventives Instrument zur Risikominderung im Vorfeld von Investitionsentscheidungen.

7.11.

Auch wenn sich die Europäische Kommission dazu verpflichtet hat, in künftigen Handels-/Investitionsabkommen der EU sicherzustellen, dass ein Staat nicht gezwungen werden kann, eine Maßnahme rückgängig zu machen, wird außer Acht gelassen, wie sich allein die Androhung einer gigantischen Strafe infolge einer Klage über mehrere Milliarden Dollar auswirken könnte.

7.12.

Der Entwurf des CETA sieht außerdem vor, dass die Kosten des Schiedsverfahrens von der unterlegenen Partei zu tragen sind. Das bedeutet, dass bei geringfügigen Forderungen der Antragsteller alle Kosten zu tragen hat. Allerdings legt die enorme Höhe vieler der in jüngster Vergangenheit erhobenen Forderungen den Schluss nahe, dass angesichts des potenziellen Gewinns dieses Hindernis auf multinationale Unternehmen mit erheblichen Geldreserven und auf entsprechend spezialisierte Kanzleien keinen großen Einfluss haben wird. Auf kleine und mittlere Unternehmen allerdings müssen die Kosten von 4 Mio. US-Dollar, die im Durchschnitt pro Partei anfallen, wenn Forderungen aufgrund der ISDS-Bestimmungen erhoben werden, äußerst abschreckend wirken.

8.   Einrichtung und Arbeitsweise von Schiedsgerichten

8.1.

Das bestehende System wird unter Ziffer 3 erläutert. Bei der Konsultation hat sich gezeigt, dass es in Bezug auf dieses System verbreitet Bedenken gibt.

Es herrscht ein breiter Konsens, dass die ISDS in ihrer jetzigen Form nicht weitergeführt werden kann.

8.2.    Schiedsrichter

8.2.1.

Für jedes Verfahren benennen beide Parteien ihren Schiedsrichter und müssen sich diese beiden dann auf einen dritten Schiedsrichter verständigen, der mangels einer solchen Einigung üblicherweise von einer Ernennungsstelle ernannt wird. Dies steht im Gegensatz zu nationalen Richtern, die ohne Zutun der Parteien eingeteilt werden. Für gewöhnlich stammen die Schiedsrichter aus dem Zentrum ICSID oder der Kommission UNCITRAL und sind Spitzenjuristen wie z .B. erfahrene Rechtsanwälte, Professoren oder ehemalige Richter. Im Gegensatz zur Praxis der WTO scheint es, als ob für Verfahren mit Beteiligung anderer Staaten bisher keine staatlichen ISDS-Verteidiger oder staatliche Verhandlungsführer für Investitionsabkommen als Schiedsrichter benannt wurden.

8.2.2.

Nach Angaben des Corporate Europe Observatory (CEO) (23) waren Schiedsrichter häufig vorher in anderen Verfahren als Berater tätig: in 50 % der Fälle für die Investoren und in 10 % der Fälle für Staaten. Dieser Rollenwechsel innerhalb einer relativ kleinen Gruppe von Personen (15 Rechtsanwälte waren in 55 % aller Fälle als Schiedsrichter tätig) (24) wird bisweilen als Grund dafür gesehen, dass ein Korpsgeist entstehen und „schädliche Kompromisse“ nach sich ziehen könnte (25). Dass vorgeschlagene Schiedsrichter immer häufiger von der Gegenpartei abgelehnt werden, zeigt, dass Bedenken gegen die Unparteilichkeit der zur Auswahl stehenden Personen besteht (26).

8.3.

Es ist offensichtlich, dass die CETA-Bestimmungen zur Wahl und zu den Standesregeln von Schiedsrichtern sowie zur Durchführung der Verfahren, auch wenn viele sie als Verbesserung in verschiedenen Bereichen sehen, keinen breiten Rückhalt in der Zivilgesellschaft haben. Es bestehen ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Einsetzung und Arbeitsweise von Schiedsgerichten:

Vorschläge eines Staates zum Erlass von Rechtsvorschriften im öffentlichen Interesse könnten trotzdem Gegenstand von Schadensersatzklagen sein, über die dann ein mit drei privaten Anwälten besetztes Gremium entscheidet.

Es gibt nur schwache Garantien hinsichtlich Interessenkonflikten, die kaum die Befürchtungen zerstreuen können, dass es in einem ISDS-System nicht zu derartigen Konflikten kommt. Artikel X.25 des CETA sieht vor, dass Schiedsrichter sich im Fall von Interessenkonflikten in internationalen Schiedsverfahren nach den Leitlinien der internationalen Rechtsanwaltskammer zu richten haben. Diese Vorschrift löst aber nicht das grundsätzliche Problem, dass einige Anwälte für ein und dieselbe Partei in verschiedenen Fällen als Berater und Schiedsrichter tätig sind, was in punkto Interessenkonflikte das Hauptproblem darstellt.

Der Entwurf des CETA sieht vor, dass die UNCITRAL-Transparenzregeln auf die Offenlegung von Informationen anwendbar und die Verhandlungen öffentlich sein sollten. Diese zunächst attraktiv scheinende Förderung der Transparenz wird dadurch erheblich eingeschränkt, dass es weitgehend im Ermessen des Schiedsgerichts liegt, Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten und Dokumente nicht zu veröffentlichen.

9.   Zusammenhang zwischen nationalen Justizsystemen und ISDS

9.1.

Ausländische Direktinvestitionen begründen das beinah einzigartige Recht, aufgrund dessen eine Person einen Staat nach internationalem Recht vor einem Schiedsgericht verklagen kann. Aus den Menschenrechten leiten sich ebenfalls konkrete Rechte für den Einzelnen ab, vorwiegend um zu verhindern, dass nationale Gerichtssysteme umgangen werden, doch die Einzelpersonen müssen hier die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft haben, bevor eine Klage bei einem internationalen Gericht eingereicht werden kann. Im Rahmen des CETA müssen die nationalen Rechtsmittel nicht ausgeschöpft sein. Die einzige Voraussetzung besteht darin, dass Investoren beraten werden müssen.

9.2.

Von Mitgliedstaaten wurden in zentralen Punkten vertragsbezogene und verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber ISDS geäußert, und zwar unter Bezugnahme auf die Bestimmungen, die im CETA enthalten und für die TTIP geplant sind (27). Diese Bedenken konnten auch durch die bis jetzt angeregten Verbesserungen der ISDS in bilateralen Investitionsabkommen nicht zerstreut werden (28). Im Bereich der Handelspolitik (Artikel 205 und 207 AEUV) unterliegt die EU den in Artikel 3 EUV dargelegten Grundsätzen sowie der Grundrechtecharta und anderen EU-Rechtsnormen.

Wenn im Rahmen von Handelsabkommen Investitionsstreitigkeiten durch internationale Schiedsgerichte entschieden werden, die durch derartige Bestimmungen nicht gebunden sind, könnte es daher zu Entscheidungen kommen, die nicht mit dem EU-Recht in Einklang stehen (vgl. Ziffer 7.3 Micula/Rumänien).

9.3.

Diese Übertragung der Zuständigkeit auf private Schiedsgerichte, die nicht durch die Grundsätze der EU gebunden sind, könnte durch den Vertrag von Lissabon nicht gedeckt sein und eine erhebliche Überschreitung der Befugnisse darstellen. Der EuGH hat die Schaffung einer solchen internationalen Gerichtsbarkeit davon abhängig gemacht, dass der Grundsatz der Wahrung der Autonomie der EU-Rechtsordnung und die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung der EU dadurch nicht beeinträchtigt werden (29).

9.4.

Da die ISDS in der TTIP im Rahmen eines gemischten Abkommens beschlossen werden muss, ist die Zustimmung der Parlamente aller 28 Mitgliedstaaten erforderlich, bevor sie (vorläufig) in Kraft treten kann. In Hinsicht auf den Ausschluss nationaler Gerichte ist das Subsidiaritätsprinzip zu beachten.

9.5.

Es ist zu berücksichtigen, dass hier ein Spannungsverhältnis zwischen dem europäischen und dem internationalen Recht vorliegt, insbesondere hinsichtlich des Rechtsprechungsmonopols des EuGH (Artikel 19 EUV und Artikel 263 und folgende AEUV). Die Stellungnahme des EuGH zum Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (30) und der Ansatz der Kommission, mit dem sie in der Rechtssache Micula/Rumänien den Vorrang des Gemeinschaftsrechts fordert, sprechen ebenfalls dafür. Artikel 14.16 des CETA verneint die unmittelbare Wirkung des CETA und sieht vor, dass die Bestimmungen des Abkommens in das Recht der EU oder der Mitgliedstaaten umzusetzen sind, damit sich Investoren darauf berufen können. Dadurch wird das Verhältnis zwischen der Rechtsordnung der EU und ISDS-Urteilen von Schiedsgerichten noch komplizierter.

9.6.

Da die Aufnahme von ISDS in Freihandelsabkommen der EU ein Novum mit weltweiten Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten und viele Bürgerinnen und Bürger der EU darstellt, ist es nach Auffassungen des EWSA unbedingt erforderlich, die EU-Rechtskonformität im Voraus durch den EuGH überprüfen zu lassen. Dies ist von besonderer Bedeutung für die grundlegenden Werte der EU und die Grundrechtecharta, aber auch mit Blick auf das Rechtsauslegungsmonopol des EuGH und die Subsidiarität. Es ist daher vor Inkrafttreten des Abkommens — auch vor seinem provisorischen Inkrafttreten (Artikel 218 AEUV) — erforderlich, ein entsprechendes Rechtsgutachten einzuholen und zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass, falls das CETA in Kraft tritt, es eine Bestandssicherungsklausel enthält, die im Falle einer Beendigung des Abkommens die Gültigkeit der CETA-Bestimmungen für vor der Beendigung des Abkommens getätigte Investitionen um 20 Jahre verlängert.

9.7.

Es ist dringend erforderlich, dass die Kommission Überlegungen anstellt, wie mit bestehenden bilateralen Investitionsabkommen umgegangen werden soll, sowohl mit Abkommen zwischen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten als auch mit Abkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern, insbesondere Industrieländern wie den USA und Kanada, die veraltete ISDS-Mechanismen enthalten und aktuell dazu genutzt werden können, das staatliche Recht auf Rechtsetzung und Erreichung legitimer staatlicher Ziele anzufechten. Die meisten dieser Abkommen enthalten ebenfalls Bestandssicherungsklauseln, die ihre Beendigung weiter erschweren.

10.   Rechtsbehelf

10.1.

Im Rahmen der öffentlichen Konsultation sprachen sich große Teile der Zivilgesellschaft für einen Rechtsbehelf aus. Dies zeigte sich auch in der öffentlichen Anhörung des EWSA.

10.2.

Der Entwurf des CETA enthält keinen Rechtsbehelf. Er bietet jedoch die Möglichkeit, ein derartiges System einzurichten. Im CETA sind künftige Konsultationen über Rechtsbehelfssysteme und -methoden vorgesehen. Dadurch, dass eine spätere Beschäftigung mit dem Thema in Aussicht gestellt wird, wird die Bedeutung dieser Frage auf ein Minimum reduziert. Es muss dringend eine Lösung gefunden werden.

10.3.

Grundsätzlich ist die Entscheidung eines Schiedsgerichtes endgültig und kann nur in äußersten Extremfällen angefochten oder aufgehoben werden (31). Das entspricht in keiner Weise nationalen Gerichtssystemen und läuft grundsätzlichen, in der Konsultation angesprochenen Bedenken zuwider.

11.   Wie kann das ISDS-System reformiert werden?

11.1.

Die UNCTAD hat für die Reform des ISDS-Systems fünf Optionen genannt:

Optimierung bestehender Systeme durch internationale Investitionsabkommen;

Beschränkung des Zugangs zur ISDS für Investoren;

Förderung einer alternativen Streitbeilegung durch den Staat;

Einführung eines Rechtsmittels;

Schaffung eines ständigen internationalen Investitionsgerichts.

11.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Optionen genauer erwogen werden sollten. Im Rahmen der Ausarbeitung der Entwürfe für das CETA und das Abkommen zwischen der EU und Singapur hat sich die Europäische Kommission zur Findung eines neuen Ansatzes für den Investitionsschutz und die ISDS mit den ersten vier Optionen auseinandergesetzt. Die Konsultation hat gezeigt, dass immer noch tief verwurzelte Bedenken bestehen. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der Ansatz der Schaffung eines internationalen Investitionsgerichts der beste Weg sei, da auf diese Weise Legitimität und Transparenz des Systems weitgehend sichergestellt würden und dieser Ansatz zu einer einheitlicheren Auslegung und mehr Präzision der Entscheidungen führen würde. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Aussage der für Handel zuständigen EU-Kommissarin an die Adresse des INTA-Ausschusses des EP vom 18. März 2015, wonach ein multilateraler Gerichtshof unter dem Gesichtspunkt der Ressourceneffizienz und der größeren Legitimität besser wäre.

11.3.

Der EWSA hält es jedoch nicht für realistisch, Verhandlungen über ISDS in der TTIP zu führen und gleichzeitig mittelfristig die Option der Schaffung eines internationalen Investitionsgerichts zu verfolgen. Käme es zu einer Einigung im Rahmen der TTIP, würde diese aller Wahrscheinlichkeit nach als Goldstandard angesehen werden und jegliche Aussicht auf Befürwortung eines internationalen Gerichtes unterminieren. Die Lage wird noch komplizierter dadurch, dass die TTIP keine automatische Kopplung zum CETA besitzt. Es muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass die Verhandlungen über das CETA abgeschlossen sind und es keine Gewähr dafür gibt, dass Kanada der Übernahme möglicher Änderungen zustimmt, die im Rahmen der TTIP vereinbart werden.

11.4.

Aus der gegenwärtigen Strategie könnte sich für die Kommission das Problem ergeben, dass ihre ersten Verhandlungen über Investitionsschutz in drei unterschiedliche Systeme für die USA, Kanada und Singapur münden. Ein einheitliches System durchzusetzen, dürfte der Kommission jedoch nur in äußerst zähen Verhandlungen gelingen. Nach Auffassung des EWSA wäre es dann aber praktisch unmöglich, die notwendige Unterstützung für eine Neuausrichtung der Bemühungen auf die Schaffung eines internationalen Gerichts zu gewinnen.

11.5.

Der Ausschuss kommt daher zu dem Schluss, dass sich im Zuge der gleichzeitig laufenden Verhandlungen über Handels- und Investitionsabkommen mit wichtigen globalen Akteuren wie den USA, Kanada und Japan eine einmalige Chance bietet, auf ein internationales Investitionsgericht hinzuarbeiten. Der Ausschuss ist ferner der Ansicht, dass dies auch die beste Option ist, um Entwicklungsländer, in denen die Notwendigkeit eines Investitionsschutzes wohl viel größer ist, für ein neues weltweites System zu gewinnen.

Brüssel, den 27. Mai 2015

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Stellungnahme des EWSA: Transatlantische Handelsbeziehungen/Zusammenarbeit und Freihandelszone EU-USA, ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 9.

(2)  OECD (2012): ISDS — A scoping paper for the investment policy community [ISDS — Ein Rahmenpapier für die Investitionspolitik].

(3)  UNCTAD: Recent Trends in IIAs and ISDS [Jüngste Entwicklungen bei internationalen Investitionsabkommen und der ISDS] — Nr. 1, Februar 2015 http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/webdiaepcb2015d1_en.pdf

(4)  Begleitvermerk zu der öffentlichen Anhörung zum Thema ISDS in der TTIP.

(5)  UNCTAD: ISDS — an Information Note on the US and the EU [ISDS — ein Informationsvermerk zu den USA und der EU].

(6)  Siehe Fußnote 3.

(7)  E (SN/EP/6777), 10.12.2013.

(8)  Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments: ISDS and prospects for reform [ISDS und die Aussichten auf eine Reform] http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2015/545736/EPRS_BRI(2015)545736_REV1_EN.pdf

(9)  Europäische Kommission: Informationsblatt zur ISDS, Punkt 2, 3.10.2013.

(10)  EWSA-Wirtschaftsdiskussionsforum: Gemeinsame Erklärung über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), 16.12.2014.

(11)  Businesseurope: ISDS — Overview of Businesseurope position [ISDS — Darlegung des Standpunkts von Businesseurope], Februar 2015.

(12)  Ebd. und Positionspapier von Eurochambres: Views and priorities for the negotiations with the US for the TTIP [Sichtweisen und Prioritäten für die TTIP-Verhandlungen mit den USA], 6.12.2013.

(13)  Trans-Atlantic Business Council: Comments of the TBC regarding the proposed TTIP [Anmerkungen des TBC zum TTIP-Vorschlag], 10.5.2013.

(14)  Businesseurope: ISDS — An Indispensable Tool to protect Investors [ISDS — Ein unverzichtbares Werkzeug zum Schutz der Investoren], 2.5.2014. Businesseurope: ISDS — Overview of Businesseurope position [ISDS — Darlegung des Standpunkts von Businesseurope], Februar 2015.

(15)  https://www.citizen.org/eli-lilly-investor-state-factsheet

(16)  „Transatlantic Investment Treaty Protection“ [Schutz in transatlantischen Investitionsabkommen], gleichzeitig veröffentlicht auf den Webseiten des CEPS (www.ceps.eu) und des CTR (http://transatlantic.sais-jhu.edu).

(17)  http://www.citizen.org/documents/State-Legislators-letter-on-Investor-State-and-TPP.pdf

(18)  AdR — TTIP — ECOS-V-063, Februar 2015.

(19)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/january/tradoc_153044.pdf

(20)  Antwort des European Service Forums auf die öffentliche Konsultation zur ISDS, 20.6.2014.

(21)  http://www.iisd.org/itn/2014/01/19/awards-and-decisions-14/

(22)  Europäische Kommission: Informationsblatt zur ISDS, Punkt 8, 3.10.2013.

(23)  Corporate Europe Observatory (CEO) ist eine gemeinnützige Forschungs- und Aktionsgruppe, die zur Lobbyarbeit von Unternehmen auf EU-Ebene wissenschaftliche Untersuchungen durchführt und Berichte veröffentlicht (http://corporateeurope.org/).

(24)  Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments: ISDS State of Play and Prospects for Reform [ISDS — Sachstand und Perspektiven für eine Reform], 21.1.2014.

(25)  Arbeitspapier der OECD über internationale Investitionen Nr. 2012/3, S. 44-45.

(26)  UNCTAD: Reform of ISDS — In Search of a Roadmap [Reform der ISDS — Auf der Suche nach einem Zeitplan], Nr. 2, Juni 2013, S. 4.

(27)  Rechtsgutachten: „Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA)“ von Dr. Andreas Fischer-Lescano, Bremen, Oktober 2014; „Modalities for investment protection and Investor-State Dispute Settlement (ISDS) in TTIP from a trade union perspective“ [Die Modalitäten des Investitionsschutzes und der Streitbeilegung zwischen Investor und Staat (ISDS) in der TTIP aus Gewerkschaftsperspektive] von Dr. Markus Krajewski, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, FES Oktober 2014; „Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit“ von Prof. Siegfried Broß, Bericht zur Mitbestimmungsförderung Nr. 4, H.-Böckler-Stiftung, 2015.

(28)  CETA: „Verkaufte Demokratie“, Corporate Europe Observatory.

(29)  EuGH, Gutachten 1/91 vom 14.12.1991 — EWR 1; Gutachten 1/00 vom 18.4.2002 — Gemeinsamer Europäischer Luftverkehrsraum; Gutachten 1/09 vom 8.3.2011 — Patentgericht.

(30)  EuGH, Gutachten 2/13 vom 18.12.2013.

(31)  Internationale Konvention zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, Artikel 52.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgende Gegenstellungnahme wurde im Laufe der Erörterung abgelehnt, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der Stimmen:

Den gesamten Text der Stellungnahme streichen und wie folgt ersetzen:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Ausländische Direktinvestitionen (ADI) sind ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung. Unternehmen, die in einem anderen Land investieren, gehen zwar automatisch ein gewisses Risiko ein, aber ausländische Vertragspartner müssen vor einer unverhältnismäßigen und missbräuchlichen Behandlung aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit durch den Staat, in dem sie Investitionen getätigt haben, geschützt werden, das heißt vor direkter Enteignung, Diskriminierung und unfairer und ungleicher Behandlung im Vergleich zu inländischen Investoren. Ein neutrales Streitbeilegungsverfahren ist hier wichtig. Investitionen sind häufig sehr langfristig angelegt und die politischen Umstände im Aufnahmestaat können sich ändern.

1.1.1.

Ein internationales Investitionsabkommen (IIA) zwischen zwei Staaten (oder Regionen) betrifft internationales Recht. Im Hinblick auf die Wirksamkeit des Abkommens ist daher ein effizientes und ausgewogenes internationales Streitbeilegungsverfahren erforderlich.

1.1.2.

In den meisten IIA sieht der Streitbeilegungsmechanismus jedoch so aus, dass das Verhältnis zwischen den einzelnen Unternehmen und dem Aufnahmestaat durch das Verfahren über die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat (ISDS) geregelt wird (1). ISDS wirkt vom Wesen her im Nachhinein. Anders als beim WTO-Streitbeilegungsverfahren fällt hierbei nur eine Entschädigung an, wenn ein Staat in einem solchen Verfahren unterliegt. Die betroffenen Rechtsvorschriften muss der Staat jedoch nicht aufheben. Der Bereich Investitionen fällt nicht in die Zuständigkeit der WTO, wurde er doch 2003 aus der Verhandlungsliste der Doha-Runde ausgeklammert.

1.2.

Die EU ist sowohl der größte Investor im Ausland als auch der größte Empfänger von Auslandsinvestitionen. Investitionen sind für die europäische Wirtschaft, u. a. KMU, von zentralem Interesse. Der Ausschuss begrüßt daher den Standpunkt der Kommission (2), dass ISDS

ein wichtiges Instrument zum Schutz von Investitionen und daher zur Förderung und Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums in der EU ist;

eine effektive Möglichkeit zur Durchsetzung der Verpflichtungen bietet, die unsere Handelspartner gegenüber unseren Investoren bei der Unterzeichnung von Investitionsabkommen eingehen.

1.2.1.

Ein von der Gruppe Arbeitgeber im EWSA organisiertes Wirtschaftsdiskussionsforum zum Thema Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) kam in seiner gemeinsamen Erklärung (3) zu dem Schluss, dass ein internationales Abkommen wie die TTIP die richtigen Bedingungen schaffen sollte, um im hohen Maße künftige Investitionen im transatlantischen Markt anzuziehen. Dazu gehörten u. a. die Gewährung eines umfassenden Zugangs und die nichtdiskriminierende Behandlung von Investoren auf beiden Seiten sowie die Verbesserung des gegenwärtigen Rahmens für den Investitionsschutz (einschließlich ISDS), indem dieser für KMU zugänglicher gemacht wird, und die Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Rechten der Investoren und dem Recht der Mitgliedstaaten und der lokalen Gebietskörperschaften, im öffentlichen Interesse Vorschriften zu erlassen.

1.3.

Das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), dessen Ratifizierung noch aussteht, beinhaltet ein umfassendes Kapitel zum Investitionsschutz und sieht darin ISDS vor. Dieses Abkommen ist zusammen mit dem ebenfalls ein Investitionskapitel beinhaltenden Freihandelsabkommen EU-Singapur (4) das überhaupt erste Investitionsabkommen, das die EU ausgehandelt hat, seit sie durch den Vertrag von Lissabon 2009 die Zuständigkeit für den Bereich Investitionen erlangte. Bis dahin war es ein weiter Weg, denn bestehende Bedenken mussten angegangen werden, allerdings muss ISDS auch noch weiterentwickelt werden.

1.4.

Neben dem Meistbegünstigungsprinzip (MFN-Prinzip) und der Schutzklausel, die die Kommission normalerweise für die Regelung von Entschädigungen in Fällen von Krieg, Revolution usw. vorsieht, fordert der Ausschuss, dass die Investitionsschutzregelungen im Rahmen von IIA, die ja eine Inanspruchnahme von ISDS ermöglichen, auf die vier wesentlichen Schutzbereiche beschränkt bleiben, nämlich

Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit des Investors;

Mindeststandard für die Behandlung, der gewöhnlich als „gerechte und billige Behandlung“ beschrieben wird;

unverzügliche, angemessene und effektive Entschädigung bei Enteignung (ohne Diskriminierung und im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens);

Möglichkeit des Transfers von Geldern im Zusammenhang mit der Investition.

1.5.

Im Laufe der Zeit wurden jedoch in einer Reihe von Fällen tatsächliche und vermeintliche Missbräuche von ISDS festgestellt, die angegangen werden müssen. ISDS muss aktualisiert werden. Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission im Januar 2015 — nachdem das von den Mitgliedstaaten einstimmig erteilte Verhandlungsmandat entsprechend ausgeweitet worden war — als Reaktion auf die öffentliche Konsultation über Investitionsschutz und ISDS in der TTIP vier Bereiche genannt hat, in denen weitere Untersuchungen zu Investitionsschutz und ISDS angestellt werden sollen.

1.5.1.

Diese Bereiche betreffen:

den Schutz des Rechts der Staaten, Vorschriften zu erlassen;

die Einrichtung und Arbeitsweise von Schiedsgerichten;

die Überprüfung von ISDS-Entscheidungen über einen Berufungsmechanismus;

das Verhältnis zwischen ISDS und den innerstaatlichen Rechtssystemen.

1.5.2.

Nach Ansicht des Ausschusses ist ein angemessener Schutz des Rechts eines Staates, Vorschriften zu erlassen, von wesentlicher Bedeutung, weshalb noch bestehende Unklarheiten ausgeräumt werden sollten. Wie in der Stellungnahme des Ausschusses zur TTIP (5) festgestellt wird, ist es „wesentlich, dass die in der TTIP vorgeschlagenen ISDS-Bestimmungen die EU-Mitgliedstaaten nicht in ihrer Fähigkeit beschneiden, Regeln im öffentlichen Interesse aufzustellen“. Frühere internationale Investitionsabkommen wurden in erster Linie angesichts des Schutzbedarfs für Investitionen geschlossen. Sowohl im CETA als auch im Abkommen mit Singapur werden zentrale Definitionen strikter formuliert, um ungerechtfertigte Interpretationen zu vermeiden, und in der Präambel beider Abkommen wird ausdrücklich auf das Recht des Staates auf den Erlass von Rechtsvorschriften hingewiesen. Nach Auffassung des EWSA sollte dies nun in Form eines eigenen Artikels in den Bestimmungsteil des jeweiligen Abkommens aufgenommen werden.

1.5.3.

Als wesentliche Voraussetzung müssen die Schiedsrichter an ISDS-Schiedsgerichten vollkommen unparteiisch sein. Hier darf kein Raum für Interessenkonflikte bestehen. Der Ausschuss fordert, dass sämtliche Schiedsrichter aus einer Liste ausgewählt werden müssen, die die Vertragsparteien des jeweiligen Abkommens im Voraus festlegen, und dass klare Qualifikationsanforderungen für sie festgelegt werden. Insbesondere müssen sie die Befähigung zum Richteramt besitzen und nachweislich über profunde Fachkenntnisse in den relevanten Bereichen des internationalen Rechts verfügen.

1.5.4.

Ferner ist ein Berufungsmechanismus unentbehrlich: rechtliche Verfahren ohne Rechtsmittel gibt es zu Recht sehr selten, auch wenn dies in bestehenden IIA der Fall ist. Der EWSA weist darauf hin, dass in den ursprünglichen TTIP-Verhandlungsrichtlinien auf einen Berufungsmechanismus Bezug genommen wird. Die Ausgestaltung eines derartigen Mechanismus ist von entscheidender Bedeutung. u. a. in Bezug auf das Verfahren zur Benennung der Mitglieder, ihre Qualifikation und Vergütung sowie etwaige Fristen. Der Mechanismus sollte bei Rechtsfehlern und Sachverhaltsfehlern zur Verfügung stehen. Es sollte frühzeitig erwogen werden, ob ein bilateraler Mechanismus auf die multilaterale Ebene ausgeweitet werden könnte, ggf. nach dem Vorbild des WTO-Berufungsgremiums. Ein derartiger Mechanismus wird zusätzliche Kosten verursachen, aber das sollte berücksichtigt werden.

1.5.5.

Es wird sich als schwieriger erweisen, das Verhältnis zwischen ISDS und den innerstaatlichen Justizsystemen zu klären. Bei IIA handelt es sich um internationale Abkommen, und innerstaatliche Gerichte haben nicht unbedingt die Zuständigkeit für eine Auslegung von Fragen des internationalen Rechts. Selbst das beste System funktioniert nicht immer störungsfrei, aber eine doppelte Geltendmachung von Ansprüchen sollte ausgeschlossen werden. Die potenziell prozessführende Partei sollte sich entweder zu Beginn des Verfahrens verbindlich festlegen oder bei Inanspruchnahme von ISDS das Recht verlieren, den innerstaatlichen Rechtsweg zu beschreiten.

1.6.

Die langfristige Lösung besteht in einem multilateralen internationalen Gerichtshof, der parallel zur Ausformung von ISDS in der TTIP und anderen Abkommen entwickelt werden muss. Bis ein solches internationales Gremium ausgehandelt und eingerichtet sein wird, ist weiter irgendeine Form internationalen Investorenschutzes zwingend erforderlich.

1.6.1.

Für die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes als langfristiges Ziel für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten ist das Erreichen einer kritischen Masse wichtig. Eine breite Akzeptanz eines derartigen internationalen Berufungsmechanismus kann dadurch erreicht werden, dass er einvernehmlich eingerichtet wird, wobei in diesem Rahmen die entsprechenden potenziellen Probleme angegangen werden müssen, mit denen alle neuen internationalen Institutionen, einschließlich des Internationalen Strafgerichtshofs, konfrontiert sind.

1.6.2.

Der EWSA warnt vor dem Vorschlag, dass die G7-Mitglieder aus dem Grund, dass sie gegenwärtig alle in Verhandlungen über IIA stehen, allein die Entwicklung eines internationalen Gerichtshofs einleiten sollten. Die kritische Masse kann nur dann erreicht werden, wenn von Anfang an mehr Länder beteiligt sind und die Tür allen offensteht, die sich, soweit und sobald das Interesse vorhanden ist, beteiligen können.

1.6.3.

In der Zwischenzeit empfiehlt der EWSA der EU und den USA, sich auf einen bilateralen Investitionsstreitbeilegungsmechanismus in der TTIP zu einigen.

2.   Hintergrund

2.1.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass zwei Länder, die ihre Wirtschaftsbeziehungen durch ein internationales Investitionsabkommen fördern wollen, einander gewisse Garantien bezüglich der Behandlung der Investoren und Investitionen aus dem anderen Land geben werden. Diese bewusst eingegangenen Zusagen müssen dann auf nationaler Ebene vollständig ratifiziert werden. Dabei wird jedoch Unternehmensinteressen keinerlei Vorrang gegenüber dem Recht der Staaten auf den Erlass entsprechender Rechtsvorschriften eingeräumt. Im Interesse der Rechtsstaatlichkeit müssen die Regierungen jedoch zu den von ihnen gegebenen Garantien stehen.

2.2.

Der Ausschuss ist sich im Klaren darüber, dass die Verhandlungsstaaten zwar die Aufnahme von Bestimmungen zum Schutz ihrer eigenen Unternehmen vor diskriminierenden Maßnahmen der Handelspartner anstreben, sich benachteiligt fühlende Unternehmen aber nicht wirklich erwarten können, dass jede Streitigkeit automatisch auf die zwischenstaatliche, d. h. eine politische bzw. diplomatische Ebene gehoben wird.

2.2.1.

Wenn sich die Unternehmen darauf verlassen würden, dass die EU die Streitigkeiten auf eine zwischenstaatliche Ebene bringt, würden nur sehr wenige Streitigkeiten davon profitieren, und kleinere Unternehmen würden wahrscheinlich weniger Gehör finden. Grundsätzlich ist unwahrscheinlich, dass es zwischen zwei etablierten demokratischen Rechtsordnungen zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten käme, würde ein zwischenstaatliches Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten jedoch zur Norm, wäre mit einer steigenden Zahl möglicher Verfahren zu rechnen, was erhebliche finanzielle Auswirkungen für die Mitgliedstaaten mit sich brächte.

2.2.2.

Wie Kommissarin Malmström im Zusammenhang mit den Verhandlungen zur TTIP selbst ausgeführt hat (6), kann internationales Recht vor US-amerikanischen Gerichten nicht geltend gemacht werden und verbietet kein Gesetz der USA die Diskriminierung ausländischer Investoren. In anderen Ländern könnten die nationalen Gerichte möglicherweise noch unberechenbarer sein.

2.2.3.

Investitionen sind nicht dasselbe wie Handel. Bei einer Handelsstreitigkeit fällt es eindeutig dem Staat zu, tätig zu werden. Derartige Streitigkeiten betreffen für gewöhnlich ein bestimmtes Produkt oder Erzeugnis wie Bananen, Solarpaneele oder Textilien: Dumping ist ein zentraler Bereich des WTO-Mechanismus zur Streitbeilegung.

3.   Die Entwicklung von ISDS

3.1.

Obwohl die Zahl der ISDS-Verfahren (7) insgesamt gering bleibt, hat ihre Inanspruchnahme seit 2002 erheblich zugenommen. Dies entspricht dem Anstieg des Gesamtumfangs der ausländischen Direktinvestitionen, die sich 2013 weltweit auf über 25 Billionen USD beliefen. Rund 50 % aller seit 2002 geltend gemachten Ansprüche gehen von europäischen Investoren aus. Eine beträchtliche Anzahl dieser Ansprüche wurde von kleineren oder spezialisierten Unternehmen geltend gemacht (8). Es ist wichtig, dass ein — wie auch immer geändertes — ISDS-Verfahren im stärkeren Maße für KMU offen steht.

3.1.1.

Von den 356 bekannten Verfahren, die zu einem Abschluss geführt wurden, wurden 25 % zugunsten des Investors und 37 % zugunsten des Staates entschieden. Die restlichen Verfahren wurden gütlich beigelegt (9).

3.2.

Aufgrund von — als solche empfundenen oder tatsächlichen — Problemen, die sich aus den Entscheidungen einer Reihe von ISDS-Verfahren und auch einigen noch nicht abgeschlossenen Verfahren weltweit ergeben, hegt unter dem Einfluss von Gewerkschaften, NRO und anderen Organisationen ein wachsender Teil der Öffentlichkeit in der EU zunehmend Bedenken gegenüber der Anwendung von ISDS, wobei der Widerstand gegen die Aufnahme eines Kapitels über Investitionen und ISDS in die TTIP wächst.

3.3.

Der Ausschuss stellt fest, dass ohne eine Reform von ISDS und die Aufnahme eines Kapitels über Investitionen in die TTIP die bisherigen Regelungen, wie sie von einzelnen Mitgliedstaaten (mit Ausnahme von Irland) in den 1  400 bilateralen Investitionsabkommen (BIT) — und insbesondere von neun Mitgliedstaaten mit den USA — ausgehandelt worden sind, selbstverständlich bestehen bleiben und ihre Gültigkeit behalten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

94

Nein-Stimmen:

191

Enthaltungen:

25


(1)  Bestimmungen über ISDS finden sich in etwa 93 % der mehr als 3  250 bestehenden IIA, wobei das Verfahren jedoch nur bei weniger als hundert Abkommen (d. h. weniger als 3 %) zur Anwendung kam.

(2)  Europäische Kommission: Informationsblatt zur ISDS, Punkt 2, 3.10.2013.

(3)  EWSA-Wirtschaftsdiskussionsforum: Gemeinsame Erklärung über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), 16.12.2014.

(4)  Auch dieses Abkommen muss noch ratifiziert werden und ist beim EuGH rechtshängig in Bezug auf die Frage, ob es sich um ein „gemischtes“ Abkommen handelt, das von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten gebilligt werden muss.

(5)  Stellungnahme des EWSA: Transatlantische Handelsbeziehungen/Zusammenarbeit und Freihandelszone EU-USA vom 4. Juni 2014, ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 9.

(6)  EP, 6. Mai.

(7)  610 Verfahren bis Ende 2014.

(8)  Laut Stockholmer Handelskammer sind von den 2006-2011 etwa 100 abgeschlossenen Verfahren etwa 22 % KMU zuzuordnen; weiterhin sind nach Angaben des BDI 30 % der von deutschen Unternehmen ausgehenden Verfahren von KMU eingeleitet worden.

(9)  Europäische Kommission: Informationsblatt zur ISDS, 3. Oktober 2013.


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